Forschungsbeiträge

22. Slavische Etymologien und ihre Überprüfung an Hand von Gewässer-, Orts- und Flurnamen. In: Lautgeschichte und Etymologie. Akten der VI. Fachtagung der Indogermanischen Gesellschaft, Wiesbaden 1980, S. 523-541. (PDF)
23. Alteuropa an der Weichselmündung. In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 15 (1980) 25-39. (PDF)
24. Rez.: Onomastica, Bd. 22, Wrocław usw. 1978. In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 15 (1980) 172-173. (PDF)
25. Rez.: G. Schlimpert, Slawische Personennamen in mittelalterlichen Quellen zur deutschen Geschichte, Berlin 1978. In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 15 (1980) 173-176. (PDF)
26. Rez.: E. Eichler, H. Walther, Ortsnamenbuch der Oberlausitz, Teil II, Berlin 1978. In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 15 (1980) 176-178. (PDF)
27. Rez.: N.B. Thelin, Towards a Theory of Aspect, Tense and Actionality in Slavic, Stockholm-Uppsala 1978. In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 15 (1980) 178-179. (PDF)
28. Zum Namen der Pader. In: Indogermanische Forschungen 85 (1980) 214-226. (PDF)

Onomastische Studien zu slawischen Flur- und Siedlungsnamen. Ausgewählte Untersuchungen im südlichen Ostseeraum. Hrsg. von Friedhelm D e b u s und Michael M ü l – ler-Wi l l e . (Studien zur Siedlungsgeschichte und Archäologie der Ostseegebiete, Bd. 9.) Wachholtz. Neumünster 2010. 300 S. ISBN 978-3-529-01398-0. (€ 50,–.) Die Publikation entstand im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Starigard/ Oldenburg – Wolin – Novgorod: Besiedlungen im Umland slawischer Herrschaftszentren.
Die archäologische, onomastische und paläobotanische Überlieferung“, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Unternehmen der Akademie der Wissenschaften und Literatur zu Mainz. Mit den in diesen Band aufgenommenen Untersuchungen soll ein weiterer Beitrag zu der häufig geäußerten Forderung, aus namenkundlicher Sicht zu interdisziplinären Forschungen beizutragen, geleistet werden.
Das Buch beginnt mit einem Geleitwort von Friedhelm D e b u s , dem sich ein erster Teil mit dem Titel „Östliches Holstein“ anschließt, der die Studie „Flurnamen slawischer und slawisch-deutscher Herkunft im östlichen Holstein“ von Antje S c hmi t z und den Beitrag „Flurnamen und ihr historischer Aussagewert. Mit besonderer Berücksichtigung von Mikrotoponymen altpolabischer Herkunft“ von Debus enthält. Der zweite Teil „Westliches
Pomorze/Pommern“ besteht aus nur einer einzelnen, aber sehr umfangreichen Untersuchung von Ewa R z e t e l s k a – F e l e s z k o und Jerzy D uma , „Die alten slawischen Ortsnamen des Stettiner Raumes“ (S. 97-300), einer Untersuchung, die vor 20 Jahren bereits auf Polnisch erschienen ist1 und die nun auch dem des Polnischen nicht mächtigen Interessenten
zugänglich gemacht worden ist. Ergänzt wird diese Studie durch ein Vorwort
der beiden Autoren und ein Nachwort von Ernst E i c h l e r. Angesichts der Übersetzung der älteren Studie kommt meines Erachtens den ersten beiden
Studien eine besondere Bedeutung zu, vor allem deshalb, weil Flurnamenstudien in Ostholstein immer noch eine Rarität sind. Mit Recht heißt es daher in dem Vorwort von Debus, dass in der Untersuchung von Schmitz „erstmals die Flurnamen altpolabischer Herkunft im östlichen Holstein (Kreis Ostholstein) systematisch erfasst, sprachwissenschaftlich analysiert und für die Siedlungsgeschichte ausgewertet“ worden sind (S. 7 f.). 1 EWA RZETELSKA-FELESZKO, JERZY DUMA: Dawne slowianskie nazwy miejscowe Pomorza
Sródkowego [Alte slawische Ortsnamen Mittelpommerns], Wroclaw u.a. 1985.

Debus geht in seinem Beitrag vor allem auf allgemeine Fragen der Flurnamen und deren Bedeutung für die Orts- und Siedlungsgeschichte Ostholsteins ein. Mit Recht erwähnt er den hohen Wert dieser Relikte für die Erforschung der früheren Besiedlung durch slawische Stämme. Vermisst habe ich in diesem Zusammenhang allerdings den Hinweis auf eine wichtige Studie, die vor allem den niedersächsischen (und damit niederdeutschen) Flurnamen gewidmet ist und die man für die Frage, ob von einem niederdeutschen oder einem slawischen Flurnamen auszugehen ist, unbedingt heranziehen sollte.2 Eine Anmerkung muss auch zu der Gleichsetzung Swenter Berg – Wienberg gemacht werden. Während man der Deutung des ersten Namens mit Hilfe von slawisch *svety „heilig“ kaum widersprechen darf, bleiben bei Wienberg und dessen Interpretation als ursprüngliche Wendung *to dem wihen berg „bei dem heiligen Berg“ doch Zweifel, die Wolfgang Laur deutlich formuliert hat: Zum einen sei ein Adjektiv zu altsächsisch wih „Heiligtum“ im Niederdeutschen nicht bezeugt, zum anderen begegnet Wienbarch, Weinberg in Holstein auch dort, wo eine sakrale Deutung nicht möglich ist.3 Dem folgt auch Katharina Falkson,
die in Flurnamen „wie Wienbarg … eine Zusammenziehung von Wieden ‚Weiden‘ oder von wieten, flektiertes wiet adj. ‚weit‘“ vermutet.4 Besonders zu begrüßen ist, wie schon angemerkt wurde, der Beitrag von Schmitz zu
den Flurnamen slawischer und slawisch-deutscher Herkunft im östlichen Holstein. Die Kennerin der Namenlandschaft Ostholsteins schließt mit dieser Studie eine Lücke, was man dankbar zur Kenntnis nehmen muss. Ihren Deutungen kann man zum allergrößten Teil folgen; bei Flurnamen, die schlecht oder erst spät überliefert sind, ist immer mit problematischen Erklärungen zu rechnen. Nur zwei kleine Anmerkungen: Man könnte erwägen, ob der Flurname Prewark, 1855 Prewark (S. 44 f.) nicht vielleicht auf slawisches Prewalk „Übergangsstelle, Landenge“ zurückgehen könnte und -walk zu -wark volksetymologisch umgestaltet worden ist. Die slawische Grundlage findet sich ja bekanntlich in Priwall (S. 45), wobei ich hier einen Hinweis auf die vorliegende5 gesamtslawische Auflistung und Kartierung der damit verbundenen Namen vermisst habe. Im Ganzen liegt ein wertvoller Band vor, der unsere Kenntnis der slawischen Sprachreste in Ostholstein ergänzt und erweitert hat. Namenforschung, Geschichtswissenschaft und Volkskunde sollten ihn bei der weiteren Forschung berücksichtigen.

Die große Bedeutung der Gewässernamen für die Früh- und Vorgeschichte des europäischen Raumes zwingt immer wieder zu Untersuchungen, Bestandsaufnahmen und kritischen Auseinandersetzungen. Das anzuzeigende Buch gehört am ehesten zur zweiten Kategorie: es enthält neben einer kurzen Einleitung (S. 4-8) zwei ungleich große Abschnitte, von denen der erste (S. 9-34) theoretische Aspekte der Herausarbeitung des urslavischen hydronymischen Bestands zum Inhalt hat (Abgrenzung des Areals; appellativische Basen; Morphologie; Strukturen von archaischen Gewässernamentypen, u.a. Ableitungen von Basen wie *tu-, *s?-, *ma-/*mo-, Bildungen mit –tr-, -st-, -dr-, -zn-, -kn-), während der zweite (S. 35-332) eine Auflistung der in Frage kommenden Gewässernamen in Form eines „Fragments rekonstrukciï“ enthält. Eine sehr knappe Zusammenfassung der Ergebnisse (S. 333-334), ein Quellenverzeichnis (S. 335-358) und verschiedene Register (S. 359-367) beschließen den Band, den jeder des Ukrainischen mächtigen Gewässernamenforscher mit Interesse in die Hand nehmen wird.

Um es aber vorweg zu nehmen: die Ausarbeitung leidet – vielleicht bedingt durch die Umbrüche in Osteuropa und durch erschwerten Zugang zu westlicher Literatur – unter einem Ungleichgewicht: während die Arbeiten osteuropäischer Spezialisten immer wieder und gern zitiert werden (O.N. TRUBACEV, T. LEHR-SPLAWINSKI, O.S. STRYŽAK, O.P. KARPENKO, V.P. NEROZNAK, D.G. BUCKO u.a.), sind neuere Arbeiten westdeutscher und westeuropäischer Forscher wie von W.P. SCHMID, J. UDOLPH (nur in einer Rezension von J. ZAIMOV genannt) wie auch die Reihe der Hydronymia Europaea unerwähnt geblieben. Das ist insofern ein entscheidender Nachteil, weil die genannten Autoren durch ihre Arbeiten an slavischen und vorslavischen Gewässernamen gezeigt haben, daß sich unter dem slavischen Namenbestand ein alteuropäisches (= indogermanisches) Substrat verbirgt und erst durch die Arbeiten an der Abgrenzung zwischen beiden Gruppen deutlicher erkennbar wird, welcher Name einer voreinzelsprachlichen und welcher einer urslavischen oder slavischen Schicht zugeordnet werden kann. Und noch ein weiteres Problem wird erst bei Einbeziehung der alteuropäischen Hydronymie deutlich: da sich das Slavische als indogermanische Sprache (wie auch dessen Schwestersprachen) nicht völlig losgelöst vom vorslavischen Erbe entfaltet haben dürfte, ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob es nicht Hydronyme gibt, die als Bindeglieder zwischen der alteuropäischen Hydronymie und den slavischen Gewässernamen anzusehen sind. Die Zuordnung zu der einen oder der anderen Namengruppe dürfte in solchen Fällen geradezu unmöglich sein. Das hat dann wieder erneute – und positive – Konsequenzen für das mutmaßliche Areal urslavischer Siedlung: dieses muß derartige Bindeglieder in seinem Bestand enthalten.

Zu diesen Fragen trägt der Band leider nur bedingt bei. Entstanden ist ein Nachschlagewerk von vor allem ukrainischen Gewässernamen, die im allgemeinen einer frühslavischen Schicht zugerechnet werden können. Nicht hierher gehören z.B. die in dem Band aufgeführten Namen *Alba, *Bug?, *Gorina, *Neb?l? u.a.m. Die Untersuchung darf als eine Station auf der Etappe bewertet werden. In welcher Weise das Verhältnis zwischen alteuropäische Hydronymie und slavischer Namengebung umrissen werden kann, hat der Rezensent unlängst zu zeigen versucht: Alteuropäische Hydronymie und urslavische Gewässernamen, in: Onomastica 42(1997)21-70; Typen urslavischer Gewässernamen; in: Praslowianszczyna i jej rozpad, Warszawa 1998, S. 275-294. Dort finden sich auch Hinweise auf neuere Arbeiten, die bei zukünftiger Diskussion unbedingt Berücksichtigung finden müssen.

Mit 52 Bildern und Karten und einer farbigen Übersichtskarte (Buxtehuder Blätter, Bd. 6), Moisburg (Auslieferung durch Altstadt-Buchhandlung Striebich, Buxtehude) 1995, 406 S.

Erschienen in: Stader Jahrbuch 87/88(1997/1998)[1999], S. 263-268.

Der durch seine zahlreichen Veröffentlichungen bekannte und streitbare, inzwischen aber verstorbene Autor hat mit diesem Buch sein letztes großes Werk der Öffentlichkeit übergeben können. Somit kann er sich gegen ungerechtfertigte Kritik – wie es von ihm zu erwarten gewesen wäre – nicht mehr wehren. Ich will daher versuchen, Zweifelhaftes beiseite zu lassen und die Publikation möglichst objektiv zu bewerten.

Völlig zurecht heißt es im Vorwort: „Ortsnamenforschung ist so wichtig, weil Ortsnamen ja versteinerte Zeugen  längst vergangener Sach-, Rechts- und Sprachzustände sind, die in eine Zeit zurückreichen, aus der wir keine Schriftzeugnisse mehr haben. Ortsnamen können also sprechen, wo sonst nur Schweigen ist“ (S. 10). Völlig zurecht lehnt er die Sumpftheorien H. Bahlows, die durch die Veröffentlichung im Suhrkamp-Verlag erneut Verbreitung gefunden haben, nachhaltig ab. Verfehlt und überheblich fällt aber sein Urteil über Ludwig Bückmann aus, dem er dessen Fehler (wer macht die nicht?) immer wieder gnadenlos ankreidet.

Was enthält das Buch? In 38 Kapiteln werden zunächst ca. 30 Ortsnamen untersucht, wobei Förstes Hauptverdienst weniger der z.T. ausschweifende Kommentar mit extensiver Ablehnung verfehlter Deutungen ist, sondern vielmehr die sorgfältige Aufistung der historischen Überlieferung der Ortsnamenbelege. Auf einige wird noch zurückzukommen sein. In einem – grob gesprochen – zweiten Abschnitt (Kap. 33-38) werden zum einen zwei bedeutsame Quellen des 15. Jahrhunderts ediert (wichtig: Rechnungsbuch des Moisburger Schloßhauptmann Lippold Rosenberch von 1448, S. 289-318), zum anderen wird Leben, Begräbnis und Nachlaß der Herzogin Hedwig zu Braunschweig-Lüneburg (1536-1616) anhand von historischen Quellen illustriert.

Eine Zusammenstellung von besonderen Aussprachezeichen und Wortabkürzungen, der abgekürzt zitierten Quellen und Darstellungen und ein Register der Orts-, Flur- und Personennamen (S. 367-406) beschließt den Band.

Kritik erfordert insbesondere die Diskussin der ca. 30 Ortsnamen (Kap. 1-25, S. 17-220). Diese bezieht sich nicht oder kaum auf die zutreffend erklärten Namen Ochtmannsbruch/Mokensbrook (S. 53-59); Ottensen und die –stedt-Orte (S. 67-79); Daënsen (S. 81-90; < Dodenhusen); Meilsen (S. 99-103); Heimbruch (S. 105-111); Holvede (S. 119-125, Bildung mit –wede „Wald“; Zusammenstellung der damit immer wieder verwechselten –wedel-Ortsnamen bei J. Udolph, Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Berlin – New York 1994, S. 892-906); Fischbeck (S. 131-137; allerdings viel zu langatmige Ablehnung anderer Meinungen); Moisburg (S. 139-148); Foß (S. 149-155); Revenahe (S. 165-170); Wichmannsborstel (S. 171-182); Wohlesbostel (S. 183-187); Horneburg (Niederelbe) (S. 199-206; die Fakten hätten allerdings auf zwei Seiten zusammengefaßt werden können); Nianford? (S. 207-213) und Francop (S. 215-220).
 
Einige kleinere Ergänzungen sind notwendig bei Ohlenbüttel (S. 45-52; vgl., auch zur allgemeinen Deutung und Einordnung der –büttel-Namen, jetzt K. Casemir, Die Ortsnamen auf –büttel, Leipzig 1997, speziell S. 177). – Die angeblich fränkische Gründung des Ortes Pippensen (angeblich Anklang an Pippin) ist zurückzuweisen; zum Personennamen des Bestimmungswortes vgl. H. Kaufmann, Ergänzungsband zu: E. Förstemann, Personennamen, München-Hildesheim 1968, S. 60, zur Frage fränkischer Ortsnamen in Norddeutschland s. J. Udolph, Fränkische Ortsnamen in Niedersachsen? In: Festgabe für D. Neitzert zum 65. Geburtstag (= Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte, Bd. 1), Bielefeld 1998, S. 1-70. – Korrekt ist die Ablehnung der Verbindung des historischen Beleges Tintine mit Deinste, jedoch kann Inten (S. 189-197) kaum auf einem Personennamen Tingrid/Tingred beruhen.

Verfehlt sind aus verschiedenen Gründen A.C. Förstes Deutungen in folgenden Fällen: Der Ortsname Dollern (S. 61-65) kann unmöglich aus Dalrim hergeleitet und als dal + rim  „Talrand“ interpretiert werden. Er findet vielmehr stützendes Vergleichsmaterial in Dollbergen (Kr. Hannover) und in Wörtern wie mnd. westf. dulle „Beule“, mnd. dolle, dulle, aisl. dollr (tul-no oder -so) „Baum, Pflock“, nhd. dolle „Baumkrone, Baumbüschel“, schwed. tull „Baumwipfel“, letztlich „Erhöhung, Gipfel, Wipfel, Oberes, Erhöhtes“ (s. U. Ohainski, J. Udolph, Die Ortsnamen des Landkreises und der Stadt Hannover, Bielefeld 1998, S. 106f.); zur mutmaßlichen germ. Lautform *dul-an-, die zu duln-/doln- führen mußte, vgl. (mit anderem Material) A. Bammesberger, Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 32,1998,14. Daran angetreten ist wohl ein –r-Suffix (dazu ausführlich Udolph, Germanenproblem S. 169-199), Grundbedeutung: „erhöht liegender Ort“. – Falsch ist auch die Etymologie des Ortsnamens Holm, Kreis Harburg (S. 127-130), dessen älteste Belege tom Holle, To dem Holne, Tom Holle, Hollen usw. Förste zu mnd. hol, holl „Höhle; hölzerne Röhre oder Wasserdurchlaßrohr“ stellt. Der Name ist wie Holle (Kr. Hildesheim), 1146 in Holle usw. zu erklären: germ. *hul-ana o.ä. „Hügel, Erhebung“, verwandt mit engl. engl. hill „Hügel“. – Inakzeptabel ist die angebliche „Einzigartigkeit“ des Ortsnamens Rotmers A (heute Ahof im Kreis Rotenburg) (S. 157-163), die darin liegen soll, daß man – entgegen den Belegen von 986 hrodmundes á (mehrfach abgeschrieben, vgl. Zuflüsse zur unteren Elbe [= Hydronymia Germaniae A 16], Stuttgart 1990, S. 288 [von Förste nicht benutzt]), und 1226 Rotmundesa – in dem ON. einen PN. Hrtmar anzusetzen habe, der 819 in einer Urkunde Ludwig des Frommen als Hruotmar genannt sei, und daß damit diejenige Person gemeint sei, die den Ort Rotmers A gegründet habe. Förste glaubt, daß die Schreibungen Hrodmund- „weit vom Schuß“ in der kaiserlichen Kanzlei als Versehen für *Hrod-mar- entstanden seien, geht aber mit keinem Wort auf den Beleg von 1226 Rodmundesa ein, der in einer Besitzerklärung des Bremer Erzbischofs erwähnt ist. Damit aber verstößt er gegen die von ihm selbst immer wieder aufgestellte Prämisse, daß man nur das anerkennen könne, was in den Quellen wirklich stehe. Es ist sprachgeschichtlich überhaupt kein Problem, aus Hrodmundesa durch Abschwächung der unbetonten Nebensilben zu Rotmansa (Beleg von ca. 1503) zu gelangen. Der spätere Ersatz von –man- durch –mer- in Familien- und Ortsnamen (und umgekehrt) ist häufig belegt. – Verfehlt ist Förstes apodiktisch vorgetragene Bemerkung, Namen des Typs –hude (Buxtehude usw.) kämen nur „in einer der drei niederdeutschen Mundarten, nämlich im ‘Nordniederdeutschen’, vor … Schon in Westfalen, einer niederdeutschen Kern-Landschaft, fehlt dieser Begriff völlig, ebenso im ostsächsischen Sprachgebiet zwischen der oberen Weser und der mittleren Elbe (Ostfalen)“. Man vergleiche Udolph, Germanenproblem S. 460ff. mit Karte 44 (-hude-Namen sind kein niederdeutsches Problem, sondern ein gesamtgermanisches; dafür spricht auch der Zusammenhang mit slav. *kt- „Ecke, Winkel, enge, winkelförmige Bucht“). – Verfehlt ist Förstes Interpretation des Orts- (bzw. besser: Gewässer-)namens Immenbeck (S. 17-24). Zwar hat er mit der Ablehnung der Erklärungen als „Bienenbach“ und „In dem Bach“ völlig recht, seine eigene These, daß – wie auch in Einbeck – ein PN. zugrunde liege, ist allerdings abzulehnen. Er übersah – man kann es verzeihen – die Zusammenstellung alteuropäischer Flußnamen des Rezensenten, die von Ina/Ihne in Pommern über Ein-upis in Litauen, Ain im Rhone, Ijnen in Gelderland, Eine in Thüringen bis zur Una in Kroatien (in der Antike Oenus, Oineus) reicht, wodurch indogermanischer Ablaut *ei-n-, *oi-n-, *i-n- erwiesen wird (J. Udolph, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie, Heidelberg 1990, S. 126ff.). – Verfehlt ist die Interpretation des Ortsnamens Emmen (S. 25-33) als–ithi-Bildung *Emnithi oder fem. *Emnitha = „Ebene“, eine Deutung, die sich vor allem auf G. Neumanns Beitrag über die südniedersächsischen Flurnamen Emme und Endel stützt. Nur paßt dieser Flurname Emme keineswegs zum ON. Emmen, denn jener ist eindeutig ein –ithi-Name belegt (um 1400 De emmede), dieser aber nicht unbedingt. Nimmt man dagegen die –p-haltigen Belege Empne ernst (woraus Emm- bestens erklärlich assimiliert sein kann), dann ergibt sich die Möglichkeit eines Zusammenhangs mit der Wüstung Ember in Hannover, Empede bei Hannover und anderen Namen (s. U. Ohainski, J. Udolph, Ortsnamen Hannover, Bielefeld 1998, S. 133ff. mit Deutung der Namen). – Verfehlt ist Förstes Auffassung von der Herkunft des Ortsnamens Grauen (S. 35-43). Die von ihm dankenswerterweise zusammengetragenen Belege weisen auf eine Grundform *Growingi. Es hat mich überrascht, daß Förste, der sich doch gut in der Ortsnamenliteratur auskannte, von einem Verbalabstraktum ausgegangen ist. In Ortsnamen steckt etwas ganz anderes, es ist das aus hunderten von Namen bekannte Suffix –ingi, man vergleiche Göttingen, Roringen, Sindelfingen, Reutlingen. Es bedeutet „Siedlung der Leute“, entweder einer Sippe oder an einem Ort. Im Fall von Grauen können wir mühelos an mnd. grove „Graben“ anschließen, gewinnen eine Grundform *Growingi und eine Grundbedeutung „Siedlung der Leute an einem Tal, einer Niederung, einer tiefen Stelle“. Bildungen mit –ingi gehören in Norddeutschland zu den älteren Ortsnamen; die ganze Northeim-Verbindung, die Förste an diesem Ortsnamen aufhängt, ist – wie auch bei anderen Namen – restlos zu streichen. –  Auch sonst enthalten Förstes allgemeine Bemerkungen über Ortsnamen überraschende Schwächen; so etwa, wenn er meint: „Unter Kennern ist es schon lange bekannt, daß die von Geländenamen abgeleiteten Ortsnamen in der Regel jünger sind als die mit Rufnamen („Personennamen“) gebildeten“ (S. 110). Genau das Gegenteil ist richtig: das zeigt z.B. ein Blick in die mit –lar oder –ithi gebildeten Ortsnamen, von denen nicht ein einziger im Bestimmungswort einen Personennamen enthält.

Welchen Wert hat Förstes Untersuchung, sein Vermächtnis? Er hat den Wunsch geäußert: „Möge die aufgewandte Mühe und die aufgeopferte Zeit (vom Gelde ganz zu schweigen) der Wissenschaft zum Nutzen und dem geistig interessierten Leser zu Gewinn gereichen“ (Einleitung, S. 11). Von Nutzen sind in jedem Fall die sorgfältig zusammengestellten Belegreihen der einzelnen Namen; von Nutzen sind Bemerkungen über die lautliche Entwicklung der Toponyme, die gute Kenntnis der niederdeutschen Sprachgeschichte erkennen lassen. Aber die negative Seite ist nicht zu übersehen: alles wirkt etwas aufgeblasen; das Buch hätte von über 400 Seiten bedenkenlos auf 200 Seiten gekürzt werden können; unangenehm berühren überscharfe, z.T. arrogante Bemerkungen, vor allem dann, wenn es um die Ablehnung verfehlter Theorien geht; diese schrecken ab und erzeugen Widerwillen; eine sachliche Zurückweisung hätte wesentlich größere Wirkung erzielt.

Ohne A.C. Förste persönlich kennengelernt zu haben, zeugt sein Schreibstil auch des zu rezensierenden Buches von einer Person, die nicht geneigt ist, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Die Folge ist klar: er stieß auf Abneigung und Widerstand, gelegentlich dann auch in Fällen, in denen er eigentlich recht hatte. Daß er aber keineswegs immer recht hatte, habe ich zu zeigen versucht. Bei etlichen Ortsnamendeutungen hat er nicht das Niveau erreichen können, das diese schwierige Disziplin nun einmal erfordert. Für eine überzeugende Erklärung eines alten Namens sind Kenntnisse der sprachlichen Entwicklung aller auf dem entsprechenden Gebiet einmal gesprochenen Sprachen und Dialekte notwendig. Die Aufgabe erfordert ferner enge Vertrautheit nicht nur mit niederdeutscher, sondern allgemein mit germanischer Laut- und Wortgeschichte, mit der Bildung altgermanischer Wörter und Namen, z.T. darüber hinausgehend auch Kenntnisse indogermanistischer Methoden, denn gerade Ortsnamen Niedersachsens sind nicht immer aus dem Germanischen heraus zu erklären. Vor allem die osteuropäischen Sprachen, darunter in erster Linie das Baltische, z.T. aber auch das Slavische, spielen eine wichtige Rolle (s. oben unter Immenbeck).

Trotz allem: die weitere Bearbeitung der nordniedersächsischen Ortsnamen wird an diesem Buch nicht vorbeigehen können; allerdings muß der Benutzer Vorsicht walten lassen. In jedem einzelnen Fall ist zu prüfen, inwieweit Förstes Bemerkungen korrekt sind. Der Laie ist damit allerdings zumeist überfordert; es wird die Aufgabe von Fachleuten sein, bei der in Angriff genommenen intensiven Bearbeitung der niedersächsischen Ortsnamen zu A.C. Förstes Untersuchungen Stellung zu nehmen.

Einem Wunsch von H. Jarecki folgend soll durch eine genauere Analyse von Flur-, Orts- und Gewässernamen der Orte Vehrte, Powe und Icker die Stichhaltigkeit älterer Auffassungen geprüft werden, wonach etwa Flurnamen wie Teufelsstein, Süntelstein, Vehrte und Seelhorst Hinweise auf Opferstellen, Gedenksteine oder Grenzanlagen enthalten. Angesichts zahlreicher Kultsteine im Norden des Gemeindegebietes sind immer wieder Vermutungen geäußert worden, daß die geograhische Namen Informationen enthalten könnten, die auf Rechtsverhältnisse oder geistige Vorstellungen Bezug nehmen.

Es darf als allgemein anerkannt gelten, daß, wie W. Fieber und R. Schmitt es ausdrücken1, „Flurnamen … eine der Grundlagen für volkskundliche, archäologische und rechtshistorische Untersuchungen“ sind. Weiter darf vorausgeschickt werden, daß Vermutungen, die z.T. auf das 19. Jh. zurückgehen, durch neuere Untersuchungen der niedersächsischen Flur-, Orts- und Gewässernamen zu korrigieren sind. Zugleich darf auch gehofft werden, daß junge und jüngere Vermutungen, die sich im Lichte der Namen um Sachsenfrage, fränkischen Einfluß auf die niedersächsische Toponymie, Germanenproblem und Ausbreitung nach England drehen, auch durch eine Untersuchung eines kleineren Bereichs Unterstützung oder Kritik erfahren. Ein geographischer Name hat nicht nur für den unmittelbar benachbarten Raum Bedeutung, sondern kann durch Einbettung in größere Zusammenhänge auch für andere Bereiche wichtig sein. Das gilt mit gewissen Einschränkungen sogar für die Flurnamen, die im folgenden im Mittelpunkt stehen sollen.

Es empfiehlt sich, bei der Untersuchung eine gewisse Schichtung vorzunehmen. Ausgehend von jüngeren und z.T. leicht zu durchschauenden Toponymen, die auch nur knapp behandelt werden sollen, wird der Weg

über ältere, zumeist an ihrer niederdeutschen Form erkennbaren Namen bis hin zu schwierigeren Siedlungs- und Gewässernamen führen.

I. Flurnamen

A. Jüngere (hochdeutsche) Namen

Bei dem FlurN. Am Schäferhause2, für den ältere Belege leider nicht zu ermitteln sind, handelt es sich um einen jungen, durchsichtigen Namen aus hochdeutsch Schäfer + -haus. Beide Namenelemente sind aus dem Hochdeutschen erklärbar. Wie eine ältere, niederdeutsche Form aussehen müßte, zeigt ein für eine nicht mehr zu lokalisierende Örtlichkeit überlieferte Beleg aus dem Jahre 1160 Scaphus3.

Bei Klein Icker verzeichnet die Deutsche Grundkarte4 einen Flurnamen Auf dem Berge. Es liegt ein durchsichtiger Name vor, dessen Motiv (erhöhte Lage) auch heutige Karten noch zu erkennen geben.

Südöstlich von Vehrte liegt die Flur Auf dem Osterberg5, 1784-1790 Auf dem Osterberge6, davon abgeleitet ist ein Straßenname Osterberg7. Es kann sich durchaus um einen durchsichtigen Namen handeln, der auf die Lage östlich von Vehrte Bezug nimmt. Einer Mitteilung von H. Jarecki folgend bezog sich die Namengebung auf die Lage östlich der alten Bauernschaft Vehrte.

Im Zusammenhang mit diesem Namen sei bemerkt, daß in großen Teilen der Bevölkerung, aber auch bei interessierten Laien, das Osterfest und dessen Name irrtümlicherweise mit einem angeblichen Kult zu Ehren einer Göttin Ostara verbunden wird. Damit verbunden werden auch nicht selten Flurnamen wie Osterfeld, Osterberg. Entsprechende Hinweise finden sich auch im Osnabrücker Schrifttum. N. Bödige8 schreibt bei der Erwähnung der Oestringer Steine im Nettetal: „Nach alter Überlieferung sollen die Oestringer Steine dem Kultus der Frühlingsgöttin Ostara gedient haben

und daher ihren Namen tragen; wahrscheinlich aber stellen sie Begräbnisstätten der vorzeitlichen Besitzer des benachbarten Meierhofes dar, einer uralten Siedlung, die später … zu den Familiengütern des Sachsenführers [Wittekind] gehörte“. Entsprechend zählt P. Buettner9 Namen wie Osterboll, Gemarkung Bassum; Osterberg, Gem. Berge; Asterfeld, niederdeutsch Aosterfeld, Gem. Dalvers; Osterfeld, Gem. Grothe; Osteresch, Gem. Wulften; Osteresch, Gem. Gr. Drehle; Osterkamp, Gem. Settrup; Osteresch, Gem. Evinghausen; Osterfeld, Gem. Langen; Im Osterfelde, Gem. Langen (daneben: Osterwiese); Osterberg, Gem. Rüssel; Osterkamp, Gem. Tütingen; Osterstiege, Gem. Thiene, auf und mutmaßt: „Benannt nach der Ostara, der germanischen Erd- und Frühlingsgöttin, die besonders bei den Angels und Sachsen verehrt wurde, wodurch sich auch die Häufung des mit Oster … zusammengesetzten Flurnamen gerade im norddeutschen Raum erklärt“.

Es fehlt hier der Raum, um ausführlicher auf das Problem des Oster-Namens einzugehen, einige Anmerkungen müssen genügen10. Schon W. Golther11 hatte geäußert: „Die Osterbräuche erklären sich aus dem Frühlingsfeste, das den Germanen wie allen Völkern eigen war, aber auf keine bestimmte Gottheit zu beziehen ist … Die zahlreichen Monatsnamen unter den Germanen stammen aus allen möglichen, insbesondere landwirtschaftlichen Beziehungen, niemals aber sind sie von Götternamen hergenommen … Darum ist Bedas Meinung, es habe unter den Angelsachsen Göttinnen namens Eostre und Hreda gegeben, wenig glaubhaft. Die von J. Grimm … aufgestellten altdeutschen Göttinnen Hruoda, Ostara, Ricen, Zisa sind aus den Glaubensvorstellungen der alten Deutschen zu streichen“. Ganz ähnlich hat sich fünzig Jahre später K. Helm geäußert12. Und auch K. Weinhold13 hielt Bedas Erklärung „für üble Spielerei“, da man „keine germanischen Monatnamen sicher nachweisen [könne], die nach einer alten Gottheit benannt wären“.

Es war die Autorität Jacob Grimms, die zu dem weit verbreiteten Irrtum geführt hat. Eine Göttin Ostara hat es nie gegeben. Es ist daher K. Helm

nachdrücklich zuzustimmen, wenn er knapp bemerkt hat14: „ … alles, was man in der Osterzeit in Zeitungsartikeln über Ostara zu lesen pflegt, ist Phantasie“ .

Hinter dem ON. Auf dem Talkamp westlich von Vehrte, in dem auch ein Staßenname Talkamp bezeugt ist15, und der um 1525 in den Personennamen Anna up den Talkamp; Hermann up den Talkamp bezeugt ist16, liegt das auch im Osnabrücker Raum häufige Kamp vor, dessen Bedeutung in den niedersächsischen Mundarten variiert. U. Scheuermann verzeichnet für die mittelniederdeutsche Zeit „Landstück, insbes. eingefriedetes Stück Landes, Weide- oder Ackerland, auch gehegtes Waldstück, im allgemeinen als Privatbesitz; Feldstück von bestimmter, doch nicht festgelegter Größe“; im Neuniederdeutschen erscheint das Wort in der Bedeutung „ein mit einer Hecke oder mit einem Graben eingehegtes Stück Land, gleich viel, ob es Ackerland, oder Wiese, oder Waldbestand ist“ 17. Daneben enthält der Orts- und Straßenname hochdeutsch Tal, obwohl niederdeutsch dal zu erwarten wäre.

Die Fluren Bruchwiesen18, Im Bruche19, Vor dem Bruche20 und der Straßenname Vor dem Bruch in Klein Icker21 enthalten nach dieser Schreibung hochdeutsch Bruch „Bruch-, Sumpf-, Moorland; niedriges nasses Uferland“ bzw. Wiese. Eine niederdeutsche Entsprechung des ersten Namens müßte etwa Brookwisch, des zweiten Namens Brook lauten.

Der Herrenkamp enthält neben kamp (s.o.) ein Bestimmungswort Herr-, das nach U. Scheuermann22 und anderen auf „(ehemalige) adlige Grundherrschaft bzw. den Landesherrn, evtl. auch auf Kirchenbesitz“. hinweist. Was in unserem Namen letztlich vorliegt, kann nur eine intensivere heimatkundliche Untersuchung ermitteln, die von der Lokalforschung angestrengt werden müßte.

Der Flurname Johannis Heide23 enthält kaum Heide „sandige, unbebaute, wildbewachsene Fläche“, sondern ist wohl zu dem bei Du Plat genannten Personennamen Johann Heyde  zu stellen24.

Der Name der Karlsburg25 bezieht sich offenbar auf ein kleines Gehöft am Power Weg östlich von Klein Icker; er lebt auch weiter in dem Straßennamen Karlsburger Weg. Nach H. Jarecki ist „definitiv keine Burg bekannt“. Man kann daraus ohne Kenntnis der Lokalgeschichte nur folgern, daß im vorliegenden Fall deutsch Burg „bergende, schützende Stätte“ auf ein Wohnhaus übertragen wurde.

Im Fall des Flurnamens Rehbruch26 könnte man es leicht machen und neben dem hochdeutschen Grundwort Bruch (vgl. oben) hochdeutsch Reh sehen. Doch diese Deutung wird falsch sein. Wie der Rehbach in Göttingen-Grone steckt im ersten Teil des Namens sicherlich eher niederdeutsch Ried „Schilf“, so z.B. auch in den Ibbenbürener Flurnamen Reeackerstuck, Rehediek, Reidiek, Reewechstucke27.

B. Ältere (niederdeutsche) Namen

Die Flur Auf dem Bultkamp28 enthält im Grundwort Kamp (s.o.). Das Bestimmungswort Bult erinnert vor allem an den Namen der Hannoverschen Pferderennbahn Neue Bult. Weiter sind anzuschließen die Ortsnamen Bulte bei Wiedenbrück und Bülten (Kr. Peine und Hildesheim). Zugrunde liegt mittelniederdeutsch bult, vgl. mndl. bult, fläm. bulte, afries. bult, blut „Erdhaufen, (künstlicher) Erdhügel“29.

Der FlurN. Auf dem Plasse an der Nette südwestlich Vehrte30 bedeutet „auf der freien, ebenen Stelle liegend“. Er enthält ein Wort, das G. Müller31 unter einem Flurnamenansatz Plaß wie folgt beschreiben hat: „Platz; Stelle (an der sich etwas befindet); freie,ebene Stelle“.

Zweideutig ist der FlurN. Auf dem Rott32. Gehört er zu mittelniederdeutsch rote, rate „Verrotten, Fäulnis“, neuniederdeutsch Rote, Rate „Grube zum Flachsrösten, Rößegrube“ oder aber zu neuniederdeutsch Rott „Rodeland“?33

Besser erklärbar ist die Bezeichnung Auf der Boekenhorst, davon abgeleitet auch der Straßenname Boekenhorst in Vehrte34. Sie enthalten niederdeutsch bök, b?k „Buche“ und im Grundwort -horst, das zu mittelhochdeutsch hurst, althochdeutsch hurst, altsächsisch hurst „Gebüsch, Gestrüpp“, mittelniederdeutsch, mittelniederländisch hurst, horst, neuniederländisch horst, altenglisch hyrst, neuenglisch hurst „Buschwald, Gebüsch, Gehölz, Gesträuch, Gestüpp, Niederholz“, auch „bewachsene kleine Erhöhung in Sumpf und Moor“, jünger auch „Vogelnest“, gehört35.

Der Name Auf der Haarenburg36 enthält neben -burg (das aber auch altes -berg sein kann; die beiden Wörter wechseln in Namen z.T. regellos miteinander, mancher Burgberg hat nie eine Burg bessessen) ein altes Sumpf- und Morastwort. Haar gehört zu althochdeutsch horo „Schlamm, Brei, Schmutz, Kot, Erde“, „Sumpfboden, Schlamm, Schmutz, Kot, Sumpf“, horo, horaw „Sumpf“, adjektivisch horawig, horawîn, hurwîn „sumpfig“, mittelhochdeutsch hor, hore „Sumpfboden, kotiger Boden, Kot, Schmutz, Schlamm“; altsächsisch horu „Kot, Schmutz“, horh „Rotz, Nasenschleim“, horo „Fäulnis“; mittelniederdeutsch hôr „lutum“, „Dreck, Unrat; Schlamm, Moorerde, Lehm“, hôr(e), hâr(e) „Dreck, Unrat, Schmutz“; neuniederdeutsch hâr „Schmutz, Kot“. Dieses Wort steckt auch in Harburg, Horb, Horton und in zahlreichen anderen Namen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden, in Belgien und England37.

Die Flur Auf der Wellenbreite38 enthält hochdeutsch Breite, zumeist zu verstehen als „Ackerbreite, Ackerstück von größerer Breite als Länge“ u.a.m.39, und im Bestimmungswort niederdeutsch welle „Quelle“40,  „Stelle, wo das Wasser aus der Erde hervorbricht oder sprudelt und sich

sammelt; Quelle, natürlicher Brunnen“41. Der Blick auf die Karte bestätigt diese Deutung. Hier anzuschließen ist die Hofbreite42, deren Bestimmungswort offenbar auf den Hof Lückemeyer Bezug nimmt.

In Bocksiek43 liegt neben niederdeutsch bök, b?k „Buche“ siek vor, das in Niedersachsen in der Form siek, sik oder auch sick erscheint und zumeist in der Bedeutung „Bodensenkung, sumpfige Niederung“, „sumpfige Niederung, eine stets feuchte Stelle im Acker“, „feuchte Niederung, feuchte, sumpfige Stelle“ bezeugt ist. Das Mittelniederdeutsche kannte es als sîk „wasserhalti­ger Grund, sumpfige Niederung, Tümpel“, das Altsächsische in der Form s?k „Wasserlauf, Sumpf“44. Dieses Wort steckt auch in dem FlurN. Bolsiek45, dessen Bestimmungswort am ehesten zu mittelniederdeutsch bol „hohl, unterhöhlt, aufgebläht“ (so daß hohle Stellen zwischen der Masse sind), neuniederdeutsch boll, bool „hohl“ (im Niederländischen bol „weich, morastig“)46 gehört. Weniger wahrscheinlich ist ein Anschluß an neuniederdeutsch boll „Anhöhe, Hügel“ (auch die Lage der Flur spricht dagegen).

Auf einen Bachlauf weist der FlurN. Breite Riede (auch Straßenname Breitenriede47), dessen erstes Element hochdeutsch breit ist, jedoch werden auch in diesem Fall hochdeutsch sprechende Administratoren das ursprüngliche niederdeutsch br?d verdrängt haben. Die Bestätigung für diese Annahme findet sich bei Du Plat, der eine Flur Bey der Bredenriede48 bezeugt. Im zweiten Teil liegt ein in Norddeutschland weit verbreitetes Bachwort vor, das zumeist auf kleine, häufig versumpfte Gewässer hinweist. Am bekanntesten dürfte es aus der Eilenriede in Hannover sein. Es erscheint in unterschiedlicher Gestalt: rîd(e) „Bach, Wasserlauf“, auch ride, rien „natürlicher Wasserlauf, kleiner Fluß, Rinnsal auf dem Watt“, westfälisch, ostfälisch rye, rie „kleiner Bach, Wasserlauf“, auch als rîge und rî’e, rîhe „kleiner Wasserlauf“. Das Mittelniederdeutsche kannte es als rîde, rîe, rîge (ride, rije, rige) „Bach, kleiner Wasserlauf, Graben“49.

In dem Vehrter Straßennamen Farnbrink50 steckt ein FlurN., dessen Bestimmungswort leicht erkenntlich zu deutsch Farn gehört. Das Bestimmungswort brink begegnet sehr häufig in norddeutschen Flurnamen (auch in Familiennamen als Brinkmann usw.). Es bedeutet nach G. Lerchner51, der sich ausführlich damit befaßt hat, „‘Anhöhe, Hügel’, davon spezifiziert einerseits ‘Anhöhe im Wiesengelände’, dann ‘bewachsene Hochfläche’, ‘bewachsene Anschwemmung im Flußbett’, ‘bewachsene Fläche’ überhaupt ‘Anger’, ‘Versammlungsplatz’, schließlich sogar ‘Versammlung’; andererseits ‘abgrenzende Höhe’, ‘Rand’, ‘Ufer’ …“. Eine Zusammenstellung norddeutscher Namen unter Einbeziehung der Zusammenhänge mit englischen und skandinavischen Entsprechungen findet sich bei J. Udolph52.

Der Name des Gattberges südwestl. Vehrte enthält im Bestimmungswort unstrittig -berg. Das Bestimmungswort wird niederdeutschen Wörtern zu verbinden sein, die U. Scheuermann53 zusammengestellt hat. Dort heißt es unter einem Ansatz Gatt: „mittelniederdeutsch gat ‘Loch, Öffnung, Durchbruch, Durchlaß, Durchgang; Grube; Wasserstraße, Durchfahrt’, neuniederdeutsch Gatt ‘Loch, Öffnung, Durchgang, Grube, Höhle’; ‘im Binnenland oft in Namen für feuchte Bodensenken’“. Für unseren Namen darf man auf eine ursprüngliche Bedeutung „Durchgang, Durchfahrt“ schließen. Das läßt sich nicht nur durch die Etymologie des Ortsnamens Vehrte stützen (dazu s. unten S. 81), sondern auch durch die Beobachtung, daß über den Gattberg der sogenannte Bremer Heerweg verläuft54. Man beachte auch den Straßennamen Im Gattberg südöstlich der Erhebung55. Den Gattberg darf man daher wohl am ehesten als „Berg am Durchgang“ verstehen.

Der Name Glassiek56 besitzt im Grundwort niederdeutsch siek, das schon unter Bocksiek und Bolsiek behandelt wurde (s.o.) und geht daher wohl auf einen Bachnamen zurück57. Nicht so leicht ist zu erklären, wie das erste Element zu verstehen ist. Glassiek könnte als „durchsichtiger, klarer Bach“ verstanden werden, jedoch liegt bei fast allen anderen Namen, die das Wort Glas enthalten, ein Hinweis auf eine Glashütte vor. Nach Aus-

kunft von H. Jarecki ist davon aber nichts bekannt, so daß sich das Benennungsmotiv wohl doch auf das ursprünglich klare Wasser bezogen haben wird.

Die Hagenbrede58 enthält im Grundwort nicht wie in den schon behandelten Namen Wellenbreite und Breite Riede hochdeutsch breit, sondern niederdeutsch br?de „Breite“. Das Bestimmungswort Hagen gehört zu niederdeutsch h?gen, nach G. Müller59 zu verstehen als „(ursprünglich umzäunter, umhegter Grund, überwiegend) Wald“. Man vergleiche dazu auch die Behandlung der -hagen-Ortsnamen im Kr. Schaumburg durch W. Laur60.

Das Grundwort des FlurN. Im Ellerkamp (auch Straßenname Ellerkamp)61 ist oben unter Talkamp bereits besprochen worden. Daneben enthält der Name mittelniederdeutsch eller, elre, neuniederdeutsch Eller „Erle“.

Im Wellbrook, Flur und Straßenname in Vehrte62, ist ein „Quellbruch“, man vergleiche oben unter Wellenbreite sowie niederdeutsch brook „tiefliegendes, feuchtes, auch sumpfiges Gelände“.

Probleme bereitet die Flurbezeichnung In den Hengelrieden63. Die Hengelriede bezeichnete ursprünglich eine größere Flur als in der Grundkarte ausgewiesen und liegt nach einer Mitteilung von H. Jarecki auf einer leichten Erhöhung zwischen den Quellbereichen zweier Bäche. Daß der Name heute nicht mehr verstanden wird, darf aus der Tatsache gefolgert werden, daß eine ca. 500 m südlich davon in Vehrte liegende Straße den Namen Engelriede führt64. Zu riede „Bach, Rinnsal“ wurde oben schon Stellung genommen (s. Breite Riede). Das Bestimmungswort erinnert an die Hengemühle bei Diepholz, eine Wassermühle an der Hunte, deren alte Belege nach G. Lutosch grundsätzlich altes -l- enthalten: 1356 in Hengelmolen, 1771 Hengelmühle65. Er vermutet einen Zusammenhang mit hängen und verweist auf Lübben-Walther66. Dort steht unter hengel-bôm: „Baum, Stange, Rick, worüber man allerlei hängen kann“, hengelmole … „(?) Mühle“, hengel-rode „ein hängender Querbalken an einer Wippe, einem Brunnen, Galgen etc.“, hengelse (-sche) „herunterhängendes Gewand“.

Diese Wörter gehören natürlich zu Hang „Neigung, schräge Fläche, Abhang“, hängen, hangeln, Abhang, wozu nach Hj. Falk und A. Torp67 als Deminutivbildung schwed. dial. hangla, schwed. hängla u.a.m. gehören (man vergleiche auch deutsch Henkel als -l-Ableitung).

Hier können weitere Flurnamen genannt werden, etwa Bey dem Hangelbaum, beim Hangel Bohm und In Hängelbäumen im Kreis Rotenburg/Wümme, wozu es bei P. Hessmann68 heißt: „Niederdeutsch hangel, hängel bedeutet ‘Herabhängendes’. Das Wort kommt vor in Zusammensetzungen wie hangelbeer ‘Hängelbirne’, hangelb?k ‘Hängebauch’. Ein hangelbaum wird ein Baum mit herunterhängenden Ästen und Zweigen sein (z.B. eine Trauerweide). Vgl. niederdeutsch hangelbark ‘Hänge-, Trauerbirke’“. Hierzu gehört wohl auch der Hengelsberg bei Dransfeld, wo sich eines der wichtigsten und bekanntesten Kulturdenkmale des Göttinger Raumes, die sogenannten Altarsteine, befindet69. Weiter lassen sich anführen „die Hangeleiche bei Heimburg im Kreis Wernigerode, der Hangelsberg bei Aschersleben … [und] Hangelhoch bei Erxleben, Kreis Haldensleben“70. Zu den Hängelsbergen bei Groß-Ottersleben hat aus sprachlicher Sicht ausführlich W. Burghardt71 Stellung genommen. Der geht dabei von Verschreibung mit falsch hinzugesetzten H- aus und vermutet eine Ausgangsform Angelsberg. Eine Erklärung dieser Form gibt er aber nicht! Es fällt schwer, seiner Annahme zu folgen, zumal W. Burghardt selbst fortsetzt: „Die Hangelbreite in Magdeburg-Lemsdorf und Osterweddingen nach dem Gelände zu ‘Hang’. Hangel-Berg Groß-Ottersleben, Hangel-Hoie Groß-Ottersleben, Magdeburg-Diesdorf, Hangel-Bergfeld in Groß-Ottersleben, Hangel-Breite in Magdeburg-Lemsdorf, Osterweddingen“.

Aus dem Kreis Heiligenstadt können angeführt werden: Hangelbirke, Hangelblöcke, die nach E. Müller72 das gleiche Elemente wie in mittelhoch-

deutsch hangelboum, hengelboum, worin „Hängen, Herunterhängendes“ zu vermuten sei, enthalten.

Einige dieser Namen stehen zweifellos unter Verbindung mit deutsch hängen, aufhängen in einem Zusammenhang mit Gerichtsstätten, so nach W. Fieber und R. Schmitt73 mit Sicherheit der Hangelsberg bei Aschersleben. Das gilt auch für andere Flurnamen, die aber wie die Vehrter Hengelriede kein -l- aufweisen und daher von vornherein nur unter Vorbehalt herangezogen werden könnten.

Genannt seien hier in aller Kürze der Hängehügel bei Osterhausen, der auf eine Gerichtsstätte weist 74, ein fast kreisrunder, ca. 3,5 m hoher und im Durchmesser ca. 20 m großer Hügel75, 1538 (kleiner) Hengehohe, 1541 Hanshoe; vonn der gebreite an dem Henge Hobell gelegen, 1588 auf den Hennge Hügel, 1600 Hanghügell, 1614 Hengehügell, 1622 Henghügel, nach dem Hanghügel … am Hengehügel,  1723 Hengehügel76, dessen Grundwort z.T. mit dem von K. Bischoff behandelten77 germanischen *haugaz „Hügel, Grabhügel“78 und dessen dialektalen Weiterentwicklungen Hoch, Hauck, Hök, Hoe, Hog, Ho verbunden werden kann.

Weitere Flurnamen „mit dem Grundwort Hang- sind im mitteldeutschen Raum mehrfach überliefert, so … der Hängehügel bei Hedersleben, Kreis Eisleben, die Hangeiche bei Winkel, Kreis Sangerhausen, der Hangensberg bei Abberode, Kreis Hettstedt, der Hangefleck bei Woffleben, Kreis Nordhausen, das Gehänge bei Nohra, Kreis Nordhausen … „79, von denen auf Richtstätten hinweisen: „die Hangeiche bei Winkel, Kreis Querfurt … und der Hängehügel auf der Gemarkungsgrenze zwischen Bornstedt, Kreis Eisleben, und Osterhausen, Kreis Querfurt. Letzterer … ist … ohne Zweifel … der Galgen des Amtes Sittichenbach“80.

Von diesen ist aber die Vehrter Flur In den Hengelrieden zu trennen. Dieser Flurname enthält eine -l-Ableitung und ist mit einiger Wahrscheinlichkeit mit den oben genannten Namen Henge(l)mühle bei Diepholz, Hengelsberg bei Dransfeld, Hangelhoch bei Erxleben, Hängelsbergen bei Groß-Ottersleben, Hangelbreite in Magdeburg-Lemsdorf und Osterweddingen, Hangel-Hoie in Groß-Ottersleben und Magdeburg-Diesdorf, Hangel-Bergfeld in Groß-Ottersleben, Hangel-Breite in Magdeburg-Lemsdorf und Osterweddingen, Hangelblöcke im Kr. Heiligenstadt, zu verbinden. Weiter ist hier an deutsch Hang „Neigung, schräge Fläche, Abhang“ und Abhang, sowie an die nordischen Deminutivbildung schwed. dial. hangla, schwed. hängla zu erinnern.

Eine Bestätigung der Annahme, daß sich Hengel- in Hengelriede am ehesten als „Abhang-, Hang-“ und die Flur (alter Bachname) Hängelriede als „Hangbach, Bach an einer Schräge“ auffassen läßt, zeigt auch die topographische Lage81. Daneben ist auch ein Bezug zu England wichtig: bei der Erörterung des ON Hangleton in Sussex erwägt A.H. Smith82 ein altenglisches Wort *hangel „slope“ (also „Abhang, Neigung“) oder als Adjektiv *hangol „schräg, abschüssig“, die mit altengl. hangelle „hängendes Objekt“ verbunden werden könnten. Diesem Vorschlag hat sich E. Ekwall83 angeschlossen.

Wir gewinnen damit eine westgermanische -l-Ableitung eines gemeingermanischen Wortes (deutsch hängen, Hang, gotisch hãhan, anord. hanga, altengl. h?n), das vor allem im Norden Deutschlands (mit Schwerpunkt an der Mittelgebirgschwelle) und in England zur Namengebung verwendet wurde. Das gemeinsame Vorkommen in diesen beiden Bereichen besitzt zahlreiche Parallelen, die hier nicht weiter genannt werden können84.

Der Name In den Wiedebraken85 besteht aus einer Wendung, die im Grundwort niederdeutsch br?ke „Brache, umbrochenes Land“ enthält, hier wahrscheinlich wie bei G. Müller86 nicht in der Bedeutung „(zeitweise) unbearbeitetes Ackerland“, sondern eher wie in mittelniederdeutsch br?kelant „erstmals umbrochenes, aus Wald-, Heide- oder Ödland gewonnenes Ackerland“ bezeugt. Im Bestimmungswort ist am ehesten niederdeutsch w?de „Weide“ zu vermuten; niederdeutsch w?d „weit, ausgedehnt“ bleibt besser fern.

Der FlurN. In der Lite87 besitzt Entsprechungen in etlichen Orts- und Flurbezeichnungen Niedersachsens, so etwa in Liethe, ON. bei Wunstorf, dem ON. Liedingen (Kr. Peine), 822-826 (Abschr. 15. Jh.) Lithingi, in einer Straße Auf der Lieth in Göttingen, in einer schon sehr früh (1329) im Urkundenbuch Mariengarten erwähnten Flur silvam … dictam Lyde, in den ON. Lühnsche Lieth (Kr. Holzminden), Lietber bei Voldagsen nördlich Einbeck, Liethe bei Rastede sowie Hinter der Lieth und Lietherhof bei Cuxhaven. Die Namen gehören zu mittelniederdeutsch lît „Abhang, Halde, Senkung“, neuniederdeutsch Liet „Berglehne, Bergabhang“, ein Wort, daß mit Lehne, lehnen und Leiter verwandt ist.

Probleme bereitet der Straßenname Katzhegge88. Man denkt an deutsch Katze, dessen häufiges Vorkommen in Flurnamen aber nicht sicher geklärt ist (zudem wäre es hier ein hochdeutsches Wort, also später Herkunft). Z.T. vermutet man bei damit zusammengesetzten Namen „eine Minderwertigkeit des im Grundwort genannten Begriffes“89. Dazu paßt aber hegge, sofern es mit dem bei G. Müller90 genannten Belegen heege, heeg, heeen, heeggen, heeghe, heeghen, hege, heghe, heck „Hecke“ in Verbindung gebracht werden kann nicht. Zudem stört der in den Ibbenbürener Flurnamen bezeugte Langvokal. Falls man dennoch bereit ist, von einer Lautform Katzenhecke auszugehen, besteht die Möglichkeit, an das ebenfalls bei Müller, Ibbenbüren S. 254 genannte hekke „Einfallstor, Gatter“ zu denken. Dafür könnte eine Mitteilung von H. Jarecki sprechen91, wonach festzuhalten sei, „daß mit Katzhegge ursprünglich der Wald auf dem Osterberg bezeichnet wurde. Die Deutung von hekke als ‘Einfallstor, Gatter’ hat einiges für sich und könnte sich auf die Straße beziehen, die von Belm nach Vehrte führt und in die Vehrter Dorfstraße mündet“. Nimmt man weiter hinzu, daß man in norddeutschen Namen ein Element *kat- „gekrümmt“ sucht 92 und die Straßenführung des Weges von der Bauernschaft Vehrte auf den Osterberg hinauf dieser Bedeutung entspricht, ergibt sich eine weitere Deutungsmöglichkeit. Allerdings muß man bekennen, daß eine sichere Deutung nicht zu gewinnen ist.

Auf den ersten Blick unklar ist der FlurN. Schamelei93, der mit einem Straßennamen Schamelweg zusammenhängen wird. Zwei Einträge mit älteren Belegen klären den Namen. Er enthält einen Personennamen. Bei Du Plat ist ein Schamel als Halber Erbe bezeugt94 und um 1525 erscheint nach J. Vincke95 Hynrick Schamel als Eigentümer.

Zu verschiedenen Überlegungen gab der FlurN. Seelhorst96, auch Straßenname in Vehrte97, Anlaß. J. Sudendorff meinte vor mehr als 100 Jahren98, man könnte den Namen ableiten  „von: Seele und hohe (höe) Rast …“. In einer Anmerkung setzt er später jedoch hinzu: „Doch ist es wohl richtiger abzuleiten: Seelhorst von Sadel, Sedel, welches in den Worten: Sadel oder Saelhofen (Selihova) und in dem Worte Saal vorkommt, und in dem Orte In den Seelhöfen, die Oberzala der ältesten Osnabr. Urkunden bei Altenmelle, dem früheren Gerichtsplatze des Schreigödings, erhalten hat. Sadel oder Sedel, ursprünglich = Sitz, daher Sadel-, Sedel-, Sael- oder Seelhöfe, Stuhlhöfe, welche einen Erb-Schöffensitz im Gericht haben“.

Eine kritische Begutachtung des Vorschlages hat zunächst zu unterstreichen, daß der Name nicht isoliert ist. Er findet sich auch in Seelhorst, OT. von Hannover, 1483 als Waldname erwähnt, heute aus dem Seelhorster Kreuz gut bekannt: up de Selhorst, sowie in drei weiteren, recht früh bezeugten Ortsnamen Selhorst bzw. Zeelhorst bei Förstemann99, 890 Selihurst bzw. 1185 Selehorst, 12.Jh. Selehurst, die dieser zunächst zu altsächsisch seli „Wohnung“ stellt (vgl. Bruchsal, Brüssel < br?k-sel-).

Keiner der Vorschläge überzeugt. Zu beachten ist, daß es sich bei den hier in Rede stehenden Namen vor allem um Flurnamen handelt (das trifft auf jeden Fall für unser Seelhorst wie für den OT. von Hannover zu). Dem entspricht auch die Bedeutung des Grundwortes -horst, das bereits oben bei Boekenhorst behandelt wurde („Gebüsch, Gestrüpp, Buschwald, Gehölz, Gesträuch, Niederholz“, auch „bewachsene kleine Erhöhung in Sumpf und Moor“).

Von hieraus muß im Bestimmungswort Seel- eine erläuternde Bezeichnung für das Grundwort -horst gesucht werden. Aus sprachlicher Sicht kommt weder sedel, sadel „Sitz“ oder salha „Salweide“ in Frage. Von der Bedeutung her ist eine Verbindung mit Seele nicht in Betracht (das Wort ist in Orts- oder Flurnamen weder zu erwarten noch bezeugt).

Die Lösung findet sich – so meine ich – am ehesten in einer Etymologie, die im Bestimmungswort mittelniederdeutsch sele (seile) „Niederung, Wiese“100 sieht. Es ist fraglich, ob E. Förstemann recht hat, wenn er101 ausgeführt hat: „Das mittelniederdeutsch sele, zeyle, Niederung scheint eher zu sil als zu s?l zu gehören“, denn altes -i- müßte sich eigentlich erhalten; auch bedeutet mittelniederdeutsch sîl, sîle „Durchlaß für Abwässer“ und findet sich vor allem im deutschen Küstengebiet. Es spricht somit vieles für eine Verbindung sel(e) „Niederung, Wiese“ + -horst „kleine Erhöhung im Niederungsgebiet“.

Bestätigt wird diese Etymologie durch Bemerkungen bei S. Wauer102. Sie erwägt bei dem Ortsnamen Holdseelen mit Recht einen Zusammenhang mit Flurnamen wie Seelenwiesen, Sehlscher Werder und den Ortsnamen Seelenhorst, 1725 an der Sehlen Horst. Sowohl niederländische wie slavische Herkunft wird dadurch unwahrscheinlich.

Auch der Komplex um den Süntelstein, den Süntel und den OT. Sonnenhügel in Osnabrück (alt Süntelbek) erfordert einen längeren Kommentar. Der Name des Süntelsteins bei Vehrte (dort auch Süntelsteinweg103), 1841 Sündel oder Sonnenstein genannt104, 1853 Sündelstein105, ist seit J.K.

Wächters Auflistung und H. Hartmanns Untersuchung106 immer wieder diskutiert worden. Wächter, S. 108 schrieb: „Der Name Sündel oder Sonnenstein, der in der Gegend öfter vorkommt, könnte …  auf eine astronomische und somit druidische oder religiöse Bedeutung des Steins hindeuten“. H. Hartmanns Bemerkungen hat F. Runge zusammengefaßt107: „Während er früher die Ansicht vertrat, daß der Name mit dem des Gebirgszuges, auf dem der Stein steht, zusammenhänge, will er ihn jetzt von dem althochdeutsch sunnâ, Sonne, ndd. sunne, sünne, ableiten und ihn als ‘Sonnenaltar‘ angesehen wissen, der dem Wodan, dem höchsten Gott, ‘dessen Augen als Sonne die ganze Welt erleuchtet‘, heilig war … wenn H. aber meint, der Name Süntel sei für den Gebirgszug zu keiner Zeit volkstümlich gewesen, so darf man dem doch billige Zweifel entgegensetzen, die sich darauf stützen, daß die Sündelbeke bei Osnabrück und der Sundelberch (die jetzt Sonnenhügel genannte Anhöhe) in historischer Zeit keinen andern Namen geführt haben … Beide stehen aber unzweifelhaft mit dem Gebirgszuge in Verbindung“.

Diese so überzeugend klingenden Verbindungen erfordern eine eingehende Prüfung, die vor allem auf einer Zusammenstellung älterer Belege aufbauen muß. Nicht zuletzt dank der Sammlungen von G. Wrede können die Namen heute besser beurteilt werden. Der Gebirgsname Süntel, unter dem ursprünglich das gesamte nördliche Wesergebirge einschließlich des Wiehengebirges verstanden wurde, erscheint in den Quellen wie folgt: z.J. 782 in monte qui dicitur Sundal; Varianten: suntal, sumptdal, siimptal, suntdal108; in loco qui vocatur Sundtal109; in monte qui dicitur Suntdal110; in loco qui dicitur Suntal111; z.J. 783 ad montem qui Suntal appellatur; Varianten: sunttal, sultal, sontal112; 991 (A. 18. Jh.) dedimus silvam Suntal vocatam113; (1015-1036, Vita Meinwerci) inter Suntal et Asnig114; 11.Jh. iuxta montem Suntal115; 1305 supra montem, qui Suntel vocatur116; 1308 in monte, qui dicitur Suntel117; 1448 (F.) in dewenen Zuendel118; 1462-1478 an dem Suntel, vor dem119; 1503 uppe den Suntel120; 1574 am Suntel121; 1609 für dem Süntel122.

Zu einer Deutung des schwierigen Namens wird noch zu kommen sein; zuvor gilt es, anhand eines Vergleichs der Belege mit denen der für verwandt gehaltenen Namen die oben vorgestellten Vermutungen zu überprüfen. Der ON. Sonnenhügel, heute OT. von Osnabrück, hieß früher auch Süntelbek und ist deshalb mit Süntel und dem Süntelstein zusammengebracht worden. Die Annahme ist verfehlt, wie die folgende Auflistung zeigt. Der Ortsname Sonnenhügel ist wie folgt belegt: 1246 vridhinc Sunnelesbike, 1272 (A. um 1500) Sunsebeke, 1277 Sunnesbeke, 1283 Sunnel(s)beke, 1291 (A. 15. Jh.) Sunnesbe(e)ke, 1305 Sundelbecke, 1311 Sundelbecke, 1326 Sundelsbecke, 1412 Sundelbeke, 1426 Zundelbeke, 1442 Zundelbecke, 1456/58 Sundelbecke, 1489, 1490, 1502, 1563 Sündelbeck, Sündelbeke123,  Mitte 19.Jh. Sündelhügel124. Der ON. geht auf den Namen eines Nebenflusses der Hase bei Sonnenhügel zurück; dieser erscheint in alten Quellen wie folgt. 1189 (Fälschung) Suntelbeke, 1284 iuxta flumen Sunnesbeke, 1391 Zundelbeke, mundartlich süntlo b?k?125.

Die Überlieferung zeigt einwandfrei, daß zwischen diesem Namen und dem des Süntel keinerlei Zusammenhang bestanden hat. Der Orts- und Flußname Sonnenhügel, Süntelbeke  ist vielmehr gleichen Ursprungs wie der des ON. Sünsbeck, Ksp. Holte (südöstlich von Osnabrück bei Bissendorf), man vergleiche: 1182 Sunnesbeke, (2. H. 13. Jh) Sunnesbeke, 1331 Sunnesbeke, 1316 (A. 1404) Sunsbeke, 1402 Zunsbeke, 1412 Zunsebeke,

Zunzebeke, 1442 Sunsbeke, tor Sunbeke, 1456/58 Sunsbeke, Sundesbecke, 1464 Sunsbecke, 1496 Sünsbeck, 1512 Sundesbecke, (nach 1605) Sünßbecke, 1634 Sunßbeche, 1772 Sünsbeck126.

Zu diesem Namen stellt Förstemann, Ortsnamen II,2, Sp. 946 weiterhin Sünsbruch, ein Gut bei Hattingen, 11. Jh. (Hs. d. 12. Jhs.) in Sunnasbroka. Die Etymologie dieser Namen erfordert eine intensivere Diskussion, die hier nicht geleistet werden kann. Es sei nur soviel gesagt, daß die Namen gemeinsam mit dem baltischen Flußnamen Suñka im Pregelgebiet, seit 1318 als Suna, Süne bezeugt, und zusammen mit lettisch s?ñas „Moos“127 zu der im Baltischen häufig vorkommenden Wurzel indogermanisch *seu-, *s?- „Saft, Feuchtes, regnen, rinnen“ gehören werden.

Für unsere Fragestellung sind vor allem noch zwei Dinge zu prüfen: 1. Woher kommt und was bedeutet der Name Süntel als Gebirgszug? 2. Wie steht dazu der Name des Süntelsteins?

Unter Süntel verstand man früher nicht nur den Gebirgszug nordwestlich von Hameln, „sondern dazu auch die ganze Weserkette und das Wiehengebirge“128. Die Belege wurden oben angeführt. Unter diesen können Formen wie sundal, suntdal, Suntal als volksetymologische Umdeutungen aussortiert werden, zumal eine Bildung mit dal oder Tal mit W. Laur129 sehr unwahrscheinlich ist, „da ein Gebirgszug kaum nach einem Tal benannt sein wird“. W. Laur geht daher von einem -l-Suffix aus und führt weiter aus130: „Schwierigkeiten bereitet … die Erklärung des /t/ im Auslaut des Wortstammes … So können wir … vermuten, daß unser Gebirgsname vielleicht von einem dem althochdeutsch sunt = ‘Süden’ entsprechenden Wort abgeleitet ist, vgl. Sundgau, also ‘das Gebirge im Süden’“.

Gegenüber bisherigen Deutungen wie etwa = „Sonnental“ oder der seit E. Förstemann131 favorisierten Erklärung zu gotisch swinþs „mächtig, stark“, wozu auch deutsch ge-sund gehört, ist W. Laurs Vorschlag ein echter Fortschritt, jedoch fehlt auch bei ihm eine überzeugende Deutung des -t-. Das von W. Laur angesprochene Wort für „Süden“ ist althochdeutsch sund, mittelhochdeutsch sunt, niederländisch zuid, altenglisch s?þ, englisch south, altsächsisch s?th „im Süden“, das auf germanisch *s?nþ- zurückgeht und indogermanisch *sunt- verlangt. Es ist eine Ableitung von dem Wort für Sonne, eigentlich „das zur Sonne hin liegende Gebiet, Land“. Aus dem germanischen -þ- kann aber hoch- und niederdeutsch nur -d- werden, daher auch neuhochdeutsch Süd, Süden, neuniederdeutsch suder. Nur im Auslaut könnte -d- als -t- erscheinen, aber diese Position liegt im Namen Süntel offensichtlich nicht vor. Der einfache Vergleich mit deutsch Süden hilft somit nicht.

Aber dennoch ist dieses wohl der richtige Weg. Es muß nur gefragt werden, ob nicht neben germanisch *sunþ- „Süden“ in den germanischen Sprachen auch eine Variante *sunt- gleicher Bedeutung bestanden haben könnte. Das es einen Wechsel zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten, vor allem zwischen -d- und -t-, -b- und -p- und -g- und -k- sowohl im Wortschatz wie im Namenbestand des Germanischen gegeben haben muß, ist gerade in letzter Zeit immer deutlicher geworden132. Wir werden darauf auch im Fall der Nette zurückkommen. [Nachtrag: hierzu BergN. Sündelt südl. Meschede??].

Unter diesem Aspekt ist für unser Problem Süntel der Name des Harzes besonders interessant und wichtig: dieser geht für das Altsächsische auf Hart zurück (Hartesburg für Harzburg usw.), erst hochdeutsch entwickelt sich daraus die heute verbreitete Form Harz. Das ist für sich genommen noch kein Problem. Dieses entsteht jedoch, wenn man dasjenige Wort hinzusetzt, zu dem der Name des deutschen Mittelgebirges gehört: es ist hochdeutsch hard (althochdeutsch hard) „Bergwald“, heute gut bekannt aus der Haardthöhe in Bonn.

Das Verhältnis von hochdeutsch hard(t) und niederdeutsch Hart „Harz“ stimmt nicht mit den üblichen Lautverschiebungsverhältnissen überein; schon H. Verhey betonte133, daß im Wort Harz die Lautverschiebung nicht stimme.

Genau an dieser Stelle können wir Hart „Harz“ : hard(t) und Süntel : sunþ- „Süden“ in Beziehung zueinander setzen und die These wagen, daß sich im Namen des Süntel germanisch *Sunt-ila verbirgt, das Grundwort mit Konsonantenwechsel im Stammauslaut zu sunþ- „Süden“ gehört und der Name „Gebirgszug im Süden“ bedeutete. Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, das der angesprochene Konsonantenwechsel vor die erste (= germanische) Lautverschiebung gesetzt werden muß und somit im ersten Jahrtausend vor Christus erfolgt ist. Daraus erhellt sich das hohe Alter des Namens.

Wenn wir jetzt zum Namen des Süntelsteins bei Vehrte übergehen, so ist natürlich sofort klar, daß das hohe Alter des Süntel-Namens mit dem des Süntelsteins nichts gemein haben wird. Allenfalls könnte in dem Namen des Steins die alte Bezeichnung des Wiehengebirges weiterleben, jedoch hängt dieses von den Belegen ab. Die jüngeren zeigen Unsicherheiten: 1841 Sündel oder Sonnenstein, 1853 Sündelstein, und stimmen nicht mit dem Namen des Gebirgszuges (noch 1609: für dem Süntel) überein. Jedoch enthält der älteste zu ermittelnde Beleg aus dem Jahr 1756 Süntelsteen134 in Übereinstimmung mit dem Gebirgszug -t-, so daß zum einen K. Beckmann gefolgt werden kann135, der betont hatte: „Der Sünnensteen heißt eigentlich Süntelstein“, und zum anderen die Folgerung erlaubt ist, daß in dem Süntelstein der alte Name des Gebirges steckt. Nachdem dieser durch „Wiehengebirge“ verdrängt wurde, war der alte Sinn nicht mehr verstanden und der Weg zu Umdeutungen (Sonne, Sünde) war frei. Damit erlededigen sich bisherige Vermutungen, daß sich aus der Bezeichnung des Steines Hinweise auf eine ursprüngliche religiöse Bedeutung des Steins ableiten ließen oder dieser als „Sonnenaltar“ gedient habe.

Wie jung die Namen der Findlinge zum Teil sind, läßt sich auch am Beispiele der Teufelssteine, heute auch Teufels Teigtrog136 und Teufels Backofen (Teufelsteine)137 genannt, erkennen. Schon die sprachliche Formen zeigen, daß es sich um keine alten Namen handelt,  denn entgegen einer ganzen Anzahl von Flurnamen, die bis heute ihre niederdeutsche Lautung bestens bewahrt haben (Boekenhorst, Bocksiek, Hagenbrede, Wellbrook), zeigt sich in den Beschreibungen und Belegen der Teufelssteine nicht ein einziges Mal die normale niederdeutsche Form Düwel „Teufel“. Man vergleiche dem gegenüber etwa Hinweise aus dem ehemaligen Kreis Bersenbrück: „In dem Forstort Maiburg bei Bippen liegt ein großer Stein, dat Dalumer br?tschapp, düwelstein oder den dü¯        wel sine geldkisten genannt, bei dem der Teufel sein Unwesen treibt … Auf dem Restruper esk liegt ein großer Findling, der döwelst?n“138.

Bei unseren Teufelssteinen wird es sich daher um junge Namen handeln, um die sich Geschichten ranken, deren Ursprung kaum noch erklärt werden kann139. Einen Teufelsstein kennt man auch in der Gemarkung Höckel-Wielage und in der Gemarkung Bippen140.  U. Scheuermann141 sieht in Flurnamen, die niederdeutsch Düwel, Döwel, Deuwel „Teufel“ enthalten, Hinweise auf einen „schauerlichen, unheimlichen, verrufenen Ort“.

Im allgemeinen ist man gern bereit, schaurigen Geschichten Glauben zu schenken. Das dürfte auch bei unserem letzten Flurnamen, dem Butterstein am Gatt-Berg bei Eistrup142, auch Straßenname Am Butterstein143, der Fall sein. Dieses außergewöhnlich „große Exemplar eines Findlings“144 wurde von J. Vincke145 zu butt = grob und Büttel = Henkersknecht gestellt und als „Gerichtsstein“ aufgefaßt.

Flurnamen mit dem Element Butter sind nicht leicht zu erklären. P. Alpers und F. Barenscheer haben bereits vor Jahrzehnten146 zusammengestellt, wie man den vor allem im Ostfälischen häufigen Butterberg (im alten Kreis Uelzen allein 11mal!) zu erklären versuchte: man dachte an 1. fettig, ertragreich oder klebrig (zumeist vom Boden); 2. den Weg der Butterfrauen; 3. an Butterblumen oder Buttervögel (Schmetterlinge) oder die Honigbutter als Bienennahrung; 4. an die runde Form eines Halbpfundes Butter; 5. an die Abgabe einer Buttermenge; 6. an einen Berg, „in dem die Unterirdischen buttern“ oder „wo die Elben [Elfen] boddern“, oder wo die Hexen buttern, wo es also spukt; 7. an eine Gerichtsstätte147; 8. an einen Osterfeuerplatz (zu beuten = Feueranmachen); 9. an eine Entstellung von Bünteberg oder Otterberg oder Butenbarg (= außen gelegen); 10. an butt = stumpf (von Menschen).

Alpers-Barenscheer weisen darauf hin, daß eine allgemein gültige Antwort nicht zu geben ist. Bei einigen Namen des Kreises Uelzen läßt sich das

Motiv aber einigermaßen sicher fassen: sie bezogen sich auf ertragreicher Boden (= 1) oder auf die abseitige Lage (= 9).

Wichtig könnte aber noch ein mittelniederdeutscher Beleg sein, den Alpers-Barenscheer nicht genannt haben. Im mittelniederdeutschen Handwörterbuch148 ist sowohl bot-dink „(gebotenes Ding), feierlicher, allgemeiner Gerichtstag“ bezeugt wie auch bottingstên, worunter ein „Stein, an und auf welchem das Botding gehalten wurde“ verstanden wurde. Eine Umdeutung zu „Butterstein“ wäre durchaus möglich. Von den von Alpers-Barenscheer aufgezeichneten Möglichkeiten wäre das dann der siebente Vorschlag.

Nicht ausgeschlossen ist aber der letzte von Alpers-Barenscheer genannte Punkt. Niederdeutsch butt bedeutet „klumpig, plump“149. Eine einfache Bezeichnung „plumper, großer, dicker, klumpenförmiger Stein“ kann leicht aus Buttstein zu Butterstein umgedeutet worden sein.

Es fragt sich, was für unseren Butterstein zutrifft. Da Steine dieser Größe gern als Treffpunkt gewählt wurden, ist die Möglichkeit, daß es sich um einen Treffpunkt für Gerichtsverhandlungen gehandelt hat, nicht auszuschließen. Diese Deutungsmöglichkeit wird offenbar von der Lokalforschung gestützt, denn nach H. Jansing150 kamen „bereits in vorgeschichtlicher Zeit … die Menschen am Butterstein zusammen. Der Felsen bildete unter anderem den Mittelpunkt eines Gerichtsplatzes“. Nachtrag: H. Schuster-Šewc, Der Butterberg …, Letopis 50,2003,2,89-94.

Mit diesem Flurnamen könnten wir die Besprechung verlassen. Es gilt aber noch, eine Korrektur an einer z.T. weit verbreiteten Auffassung vorzunehmen, die sich auf die Ritzungen mancher Findlinge, hinter denen man wohl zurecht Fruchtbarkeitssymbole vermutet, bezieht. In der grundlegenden Arbeit von D. Evers151 heißt es dazu (S. 116): „Selbst im Deutschen ist es durchaus möglich, daß es einen Zusammenhang zwischen bohren und geboren gibt. Jedenfalls ist das germanische b?rôn, das heißt bohren, urverwandt mit dem lateinischen forare und dem griechischen öáñÜù, was wiederum ‘pflügen’ heißt. Und so wären wir wieder einmal im großen Symbolwirrwarr bei dem ackerbauzeitlichen Fruchtbarkeitssymbol, dem Pflug, angekommen“.

Es muß unterstrichen werden, daß diese Etymologie völlig verfehlt ist. Richtig ist die Verbindung von deutsch bohren mit griechisch öáñï™í „pfügen“, lateinisch for?re „(durch)bohren“, aber deutsch geboren (werden) hat damit nicht zu tun: zugrunde liegt ein mit gotisch gabaíran, althochdeutsch, altsächsisch giberan „hervorbringen, erzeugen“ verwandtes Wort, das eigentlich „zu Ende tragen“ bedeutet und mit lateinisch ferre, griechisch öÝñåéí „tragen“ verbunden werden kann. Der Vokal -o- in geboren entstammt dem Ablaut des germanischen Verbums und kann nicht einfach mit außergermanischem -o- verglichen werden.

Damit können wir endgültig die Durchsicht der Flurnamen verlassen und uns den Ortsnamen (im Sinne von Siedlungsnamen) zuwenden. Diese besitzten im allgemeinen (Ausnahmen bestätigen die Regel) höheres Alter als die Flurnamen. Für die infrage kommenden Ortsnamen Eistrup, Powe, Vehrte und Icker trifft diese Feststellung aber ohne Einschränkung zu. Es handelt sich um sehr alte Zeugen der sprachlichen Vergangenheit des Nordteiles des Belmer Gemeindegebietes.

II. Ortsnamen

1. Eistrup. Die Überlieferung des Namens zeigt, daß er etymologisch nichts mit dem heute identischen ON. Eistrup, Gem. Uphausen-Eistrup (als Edesthorpe, Edestorpe152) zu tun hat: (ca. 1200) Ekestorpe, (ca. 1240) Ekesthorpe, 1307 Ekesthorpe, 1350 Ekestorpe, 1402 Ekestorpe, Eckstorpe, 1412 Ekestorpe, 1442 Eckstorpe, 1456/58 Eyckstorppe, 1510 Eckstorpe, 1512 Exstorpe, 1522 Eckedorpe, 1565 Esterup, (nach 1605) Eistrupff, 1634 Eßtrup, 1772 Eistrup, mundartlich ä  strup153.

Der Name enthält im Grundwort altsächsisch thorp „Dorf, Gehöft, Siedlung“. Davor steht unzweifelhaft ein sogenannter stark flektierender Personenname, der im Gen. Sing. -es- enthält (vgl. noch heute deutsch der Tag : des Tages). H. Jellinghaus154 sieht in dem ON ein „Dorf des Agiki“, worin eine durchaus mögliche Erklärung des Namens vorliegen kann. Sie ist derjenigen von J. Vincke155, wonach der ON „als ‘Dorf des Eggi’ zu deuten“ sei, unbedingt vorzuziehen. Die Ortsnamenbelege zeigen -k-, nicht -g(g)-.

Letztlich ist aber der zugrunde liegende Personenname nicht mehr sicher zu bestimmen; die sprachgeschichtlich nicht mehr genau zu rekonstruierende Verschleifung hat die ursprünglichen Verhältnisse so stark verwischt, daß Sicherheit über den Personennamen nicht mehr zu gewinnen ist. Im Bereich der niedersächsischen Toponymiue gehört Eistrup zu einer Gruppe von Zehntausenden von Ortsnamen, die mit einem Personennamen im Bestimmungswort gebildet sind, wobei es sich um einen altsächsischen (= niederdeutschen) Personennamen gehandelt haben wird. Nur selten liegt dabei aber der Name des Gründers156 einer Siedlung vor; eher erfolgt die Namengebung unter Bezug auf einen Bewohner der Siedlung, der sich in irgendeiner, heute nicht mehr zu bestimmende Weise von den Mitbewohnern abhob. Wenn J. Vincke157 betont, daß die Gründung „zweifellos noch in heidnischer Zeit“ erfolgte, so wird dieses auch aus sprachgeschichtlichen Gründen zutreffen. Hinzu kommt, daß der immer wieder und auch im Osnabrücker Gebiet vermutete fränkischer Einfluß viel zu hoch eingeschätzt worden ist158. Jedoch sollte das Alter von Eistrup nicht gesondert betont werden; fast alle Ortsnamen des Osnabrücker Gebietes sind vorfränkischer Herkunft. Das zeigen auch die folgenden Namen159.


2. Icker. Die historische Überlieferung des Ortsnamens zeigt, daß der Name recht konstant geblieben ist: 1090 Ickari, 1158 (Fälschung?) Icker, 1412 Icker, ca. 1200 (A. 13. Jh.), 1236 (A. 14. Jh.), (ca. 1300), 1426 (de, in) Ickere, 1223 Hichere, 1249, 1280 (de) Ikkere, 1250 (de) Ychere, 1265 Ichere, 1350 Ykere, in Nickere, 1350, 1360, 1402, 1412 (in) Yckere, 1402, 1412, 1423, 1456/58 Yker, 1442 Ycker, Ikker, 1480 Icka, mundartlich ik?r160. Nach F. Wrede161 liegt im Dorfkern die Siedlung Klein Icker, für die alte Belege aber fehlen.

Es ist schon verschiedentlich versucht worden, den schwierigen Namen zu deuten. So meinte H. Jellinghaus162: „Der erste Teil ist das in vielen alten Ortsnamen als Suffix erscheinende ik, iki, welches vielleicht Spitze bedeutete. Der zweite Teil ist das ebenso häufig erscheinende Suffix -ari, dessen Bedeutung wir nicht kennen. Derselbe Name ist Ickerlo bei Paderborn … Ickern bei Dortmund entstand aus Ie-horne“.

Unter Berücksichtigung weiterer Namen darf man mit J. Udolph163 in Icker ein in zahlreichen Ortsnamen bezeugtes, sehr altertümliches germanisches

Suffix -r-164 sehen, das auch in Barver, Binder, Blender, Börger, Deter, Diever, Dinker, Drüber, Eimer, Fahner, Fehmarn, Freren, Gitter, Gummer, Halver, Heger, Höxter, Iber, Inger, Kelbra, Letter, Levern, Limmer, Lüdern, Mahner, Mehler, Bad Münder, Nebra, Ölber, Ölper, Örner, Rümmer, Salder, Schieder, Schlutter, Schwemmer, Secker, Söhre, Steder, Stemmern, Welver begegnet. Mit Atter, Helfern, Hilter, Himmern, Laer (alt Lodre), Lecker, Wetter und Wimmer ist davon auch der Osnabrücker Raum betroffen165.

Ortsnamen mit einem Element -r- gehören zu den ältesten germanischen Ortsnamenbildungen. Zum Teil enthalten sie Ableitungsbasen, die aus dem Germanischen nicht mehr erklärt werden können, zum Teil aber auch eindeutig germanische Grundwörter. Namen auf -r- sind daher Zeugen einer Kontinuität von vorgermanischer Zeit bis in die germanische Sprachperiode hinein und kennzeichnen auch den Osnabrücker Raum als altes germanisches Siedlungsgebiet. Aufgrund ihres Alters gelingt es nicht immer, das Grundwort zu deuten.

Zweifelnd erwog ich166 einen Zusammenhang mit einem germanischen „Eis“-Wort in altnordisch jaki „Eisstück“, schweizerdeutsch jäch, gicht, altenglisch gicel(a) „Eiszapfen, -scholle“ an, das zu einer indogermanischen Wurzel *?eg-, *ig- „Eis“ gestellt wird167. Die Unsicherheit dieses Vergleichs war mir schon damals bewußt.

Vielleicht kann jetzt hier eine bessere Deutung vorgelegt werden. Geht man für Icker von einer germanischen Grundform *Ekira aus, so darf der Name wie etwa der der Bille, Zufluß der Elbe bei Hamburg, 786 usw. Belina, erklärt werden: in dem Flußnamen sieht man eine Grundform *Belina und erklärt die Entwicklung *Belina > Bilena durch Einfluß des -i- auf das davor stehende -e-, also *-e-i- > *-i-e-168. Diese lautliche Veränderung erkannte schon Jacob Grimm.

Unter Voraussetzung eines Ansatzes *Ekira findet sich nun wahrscheinlich eine Lösung. Icker kann mit Eckerde bei Barsinghausen verglichen werden, dessen ältere Belege kein -d- enthalten, sondern seit ca. 1225 durchgängig nur Ekkere, Eckere lauten. Die Form mit -d- erscheint erst 1660169. Der Name kann (mit einer etwas anderen Grundform als Icker) zu der indogermanischen Wurzel *ak-, *ok-, auch *ag-, *og- „Ecke, Kante, Spitze“ gestellt werden und hier wird Icker < *Ekira anzuschließen sein. Gerade -r-Ableitungen besitzen besitzen im Kern zumeist Hinweise auf geographische Eigentümlichkeiten der Siedlungs- oder Flurlage.

Die Wurzel weist auf „Ecke, Kante, Biegung“, die Namengebung bezieht sich bei Eckerde auf den Verlauf des Mühlbachs oder auf die Lage an der Kante des nördlich von Eckerde liegenden Hügels. Ganz ähnlich läßt die Karte erkennen, daß eine Hügelkette südlich von Icker das Motiv für die Namengebung, etwa „Siedlung an einer Kante“ abgegeben haben wird. Eine Bestätigung dieser Deutung wird sowohl durch eine Beschreibung von Icker durch G. Wrede170, der – wie andere – auf die Hanglage des Ortes hingewiesen und die Existenz steiler Hänge im Ortsgebiet unterstrichen hat, und die Realprobe (Hinweis von H. Jarecki) gestützt. Der Ortsname Icker geht aufgrund seiner Bildung mit -r-Suffix mit Sicherheit in die Zeit um Christi Geburt zurück.

2. Powe. Der Ortsname ist wie folgt überliefert: (ca. 1200) Powe, ca. 1240 Powe, 1324 Powe, Pouwe,  1350 Pouwe, 1402 Powe, 1412 Powe, Pouwe, 1426 Pouwe, 1442 Pouwe, 1456/58 Pouwe, 1512  Pouwe, Buwermarcke, 1561 Powe, 1565 Pouwe, (nach 1605) Pouwe, 1634 Pouwe, 1772 Powe, mundartlich p?w?171.

Bislang hat man den schwierigen Namen unter Hinweis auf Espowe nördlich Icker als Umdeutung aus Espowe „Espenau“ interpretiert172. Das läßt die Überlieferung keineswegs zu; es ist von einer Grundform Powe auszugehen.

Um es vorweg zu nehmen: der Name erschließt sich uns nicht. Es gelingt zwar, die Entwicklung des Wurzelvokals zu beleuchten (nach  Ausweis der

Überlieferung liegt in der Wurzelsilbe -?- vor, das auf westgerm. -?¹- weist, also germanisch *-?- fortsetzt), aber die Etymologie des Ortsnamens bleibt im Dunkeln.

Die Problematik beginnt schon bei dem anlautenden P-, das als Ergebnis einer normalen Verschiebung aus indogermanisch *B- hergeleitet werden müßte. Ein zufriedenstellender Anschluß findet sich aber nicht. Auch der Versuch, von ursprünglichem *Sp- auszugehen und dadurch das schwierige P- zu erklären173, hilft nicht weiter. Es gelingt keine überzeugende Verknüpfung mit einer Wurzel, die in Ortsnamen zu erwarten wäre. Auch eine Verbindung mit dem in Schottland belegten Wort poffle, das ohne sichere Bedeutung ist, wenn es auch gelegentlich als „small parcel of land“ verstanden wird174, ist mehr als fraglich.

H. Kuhn175 hat versucht, den Namen seinem sogenannten „Nordwestblock“ zuzuzählen, einem von Germanen spät erreichten Gebiet. Ihm hat W. Meid176 zugestimmt: „Mir erscheinen [von H. Kuhn, J.U.] plausibel gedeutet z.B. … Powe bei Osnabrück, aus idg. *p?- ‘weiden’ (lat. p?sc?  usw.)“. Die Unhaltbarkeit dieser These177 zeigt sich zum einen in der unbegründeten Annahme, es läge ein unverschobenes *p- vor, zum anderen in einer fehlenden -?-Ableitung der *p?-Wurzel178 und schließlich an dem Lautstand zahlreicher Osnabrücker Ortsnamen selbst, unter anderem auch bei Icker, Vehrte und Nette.

Die Schwierigkeit der Deutung spricht in jedem Fall dafür, daß ein alter Name vorliegt, dessen ursprünglicher Sinn im Lauf der Sprachgeschichte verschüttet wurde. Nachtrag: vgl. Pooley, 13.Jh. Poueleye bei E. Ekwall, English Place-Names, Oxford 1960, S. 370!

3. Vehrte. Besser steht es um diesen Ortsnamen, der bislang gern mit althochdeutsch ferach, ferch „Seele“ verbunden worden ist. Eine kritische Prüfung weist auf ein ganz anderes, interessantes Benennungsmotiv.

Die Kritik setzt bereits an einem Beleg ein, der bislang fast immer zu Vehrte gestellt worden ist: ca. 1050 Fariti gehört nicht hierher, sondern zu Verth, Landkreis Warendorf179. Die Überlieferung beginnt daher erst mit ca. 1200 Verete und lautet dann: (ca. 1240) In Verethere, 1350 Verete, 1402 Verete, 1412 Verete, 1254, 1277 (A. 14. Jh.) Verethe, 1350, 1402, 1426, 1442, 1456/58, 1556 (to) Verte(n), 1510 Verthe, 1512 Veerte, 1634 Vertte, (nach 1605), 1772 Vehrte180.

Nach J. Sudendorff181 enthält der Ortsname althochdeutsch fër(a)ch Seele: „Vera, gleichbedeutend mit Seele, und Ethe, Hethe oder Heide“, und ergänzend dazu in einer Anmerkung: „ Vera zwar eigentlich: anima, Seele; in der Zusammensetzung mit: Qualla (ferah-qualla) aber auch supplicium, Todesstrafe …“. Damit wird ein relgiöser Bezug nahegelegt. Aber schon F. Runge182 hatte daran Zweifel: „Auch die Ableitung des Ortsnamens Vehrte vom althochdeutsch fërach, ferch Seele, ist anfechtbar“.

In jüngster Zeit ist der ON erneut und auch ausführlicher behandelt worden. In meiner Darstellung der mit einem Suffix -ithi gebildeten Namen183, die im Osnabrücker Raum mit Gehrde, Hüsede, Oesede, Pente, Remsede, Vinte durchaus vertreten sind184, hatte ich den Namen nur am Rand erwähnt, da er m.E. nicht mit diesem Suffix gebildet sei. Dem ist auch in der jüngsten Behandlung durch R. Möller185 gefolgt worden. Sein Kommentar verdient es, hier vollständig wiedergegeben zu werden. Nach Auflistung der Belege aus G. Wrede meint R. Möller: „Der Ort liegt hoch und trocken am Südhang des Wiehengebirges. Nördlich fließt die Ruller Flut ohne ein ausgeprägtes Feuchtgebiet. Die Straße von Osnabrück nach Hunteburg und nach Bohmte-Bremen durchqueren die Gemarkung. Wahrscheinlich ist eine Bildung mit Dentalsuffix, wohl germ. -itja, zu altsächsisch faran ‘sich bewegen, reisen’, bezogen auf den Höhenweg und nicht auf einen Flußübergang“.

Dieser Deutung ist nachhaltig zuzustimmen: es liegt eine Dentalableitung, wohl *-itja, zu der im Germanischen bestens bezeugten Sippe um gotisch,

altsächsisch, altenglisch faran, altnordisch fara „gehen, reiten, fahren“ vor. Das Wort bezog sich ursprünglich auf jede Art der Fortbewegung.

Der Name nahm wahrscheinlich Bezug auf die Lage des Ortes an dem Bremer Heerweg, der vom Gattberg kommt und über das Wiehengebirge weiter nach Norden läuft. Die alte Verbindung zeigt sich auch in der Straßen- und Eisenbahnführung, wozu auch eine Bemerkung von G. Wrede paßt: „In Vehrte ist eine Altsiedlung zu erkennen. Die Kernhöfe liegen … an der Straße aufgereiht“186.

Mit einer Deutung aus *Far-itja erweist sich Vehrte als hochaltertümliche, germanische Bildung, die wie bei Icker zweifellos in die Zeit um Christi Geburt hinreinreicht. Trotz der Unklarheit im Fall von Powe wird auch dieser Name kaum jünger sein. Die Siedlungsnamen zeigen somit, daß mit germanischer Besiedlung in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende zu rechnen ist. Geht man noch einen Schritt weiter in die zumeist noch älteren Flußnamen, so finden sich dort weitere Bestätigungen.

III. Gewässernamen

1.) Miegbecke, ein bei J. Sudendorff187 erwähnter, jüngerer Name für die Nette, ist eine Variante, die offenbar nur lokal verbreitet gewesen ist188. Doch man kann sie erklären. Sie enthält neben niederdeutsch bek(e) „Bach“ (< germ. *baki-, *bakja- „Bach, fließendes Gewässer“), einem in fast allen germanischen Sprachen bezeugten Wort (althochdeutsch bah, altsächsisch beki, altenglisch bece, becc, anord. bekkr usw.), im Bestimmungswort offensichtlich mig-, das zu althochdeutsch mîgan „harnen, urinieren“ bzw. eher zu mittelniederdeutsch mittelniederdeutsch mige „Harn, Urin“, migen „harnen, urinieren“189 gehört. Dabei geht es weniger um Geruch oder Farbe als um den geringen Wasserstand des Baches; das Motiv der Namengebung bezog sich wahrscheinlich auf das spärliche Tröpfeln (vielleicht auch auf das Geräusch bezogen) und Rinnen des Wassers. E. Förstemann190 hat damit drei Vergleichsnamen wie Michelbeke, Megen und Mighem am Pas de Calais und in Flandern verbunden.

2.) Ein ebenfalls bei J. Sudendorff191 genannter Name, der der Krietbecke, bezog sich auf einen Seitenarm der Nette. Auch dieser fehlt bei Witt192 und auf modernen Karten, aber dennoch kann ein Deutungsvorschlag unterbreitet werden. Bei Lübben-Walther193 finden sich gleich mehrere mittelniederdeutsche Anknüpfungspunkte: a.) krite „Kreide“; b.) krete „Ritze, Kerbe“, dazu deminituv kretele „Falte, Runzel“ (Bedeutung nicht sicher); c.) krêt(e), kreit (krît) „Kreis, Kampfplatz“; d.) krête, kreit, krît „Zank, Hader, Streit“.

Der Blick in norddeutsche Flurnamen könnte dafür sprechen, die dritte Möglichkeit zu favorisieren. U. Scheuermann194 stellt die beiden Flurnamen das Kritland und auf den Krittel-Camp zu mittelniederdeutsch krête, kreit, krît „Zank, Streit, Hader“. Bei einem weiteren Flurnamen desselben Kreises (Die Kritstücken) schwankt allerdings P. Hessmann195 zwischen Zuweisung zu mittelniederdeutsch kr?t „Streit“ und „Kreide“ („Im letzten Fall wäre eine Flur mit hellem Boden gemeint“).

Eine Entscheidung kann letztlich nur von der Lokalforschung erbracht werden. Dankenswerterweise hat H. Jarecki einen Hinweis gefunden, der wohl die Entscheidung bringt; bei J. Sudendorff196 heißt es: „ … hier tritt das … Bächlein Krietbecke in schwarzen Kreideufern aus einer Schlucht … rasch hervor … Versteinerungen mancher Art aus der Liasformation werden alljährlich von der Krietbecke aus den Venner Bergen losgespült und an den Abhängen vielfach gefunden“. Hinzu kommt, daß nur wenige Meter östlich des Baches die Vehrter Schwarzkreidegrube liegt; wir haben also einen „Kreidebach“ vor uns.

3.) Der wichtigste Fluß ist die Nette. Zwar ist auch deren Name nicht früh überliefert (allein der Ortsname Nette erscheint in der ersten Hälfte des 16. Jhs. als Nete197), aber dank der Tatsache, daß auch andere Flüsse den Namen Nette tragen, kann der Gewässername dennoch einer älteren Schicht zugeordnet werden198.

Man vergleiche an niederdeutschem Material: Nette, anderer Name der Altenau, r.z. Oker bei Halchter, 997 Net; Nette, Nfl. d. Alme im Kr. Büren, 1656 die Vette (= Nette); Nette, Nfl. d. Lenne mit den ONN. Nette, Nettenscheid, nach 1480 dat Netenschede; Nette-Bach, Nfl. d. Emscher, mit den ONN. Ober-, Nieder-Nette, 1123 Nette; Nate, FlN. bei Natendorf, Kr. Uelzen, 1192 usw. in notendorpe; Nathe, Nfl. d. Hahle bei Duderstadt, 1477 Nathe, wohl *Natana, Notter, Nfl. d. Unstrut, 1337 Nathra; Neetze, GN. und ON. bei Lüneburg, 1205 Netisse, < *Natisa.

Hochdeutsche Entsprechungen (mit zweiter Lautverschiebung) sind u.a. Nasse, r.z. Leine bei Sangerhausen, 1341 Nassa; Nazzaha bei Gotha; Nesse, GN. im Saalegebiet, 1068 Nezza; Nesse, jüngerer Name der Lupnitz/Lupentia, 1014 (Kopie) Nazaha; Netzbach, ON. bei Diez, < GN., 1092 u.ö. Nezebach, 1129 Nezebach u.a.m.199

Das Besondere an dieser Flußnamensippe ist ein alter Wechsel im Dental. Die Osnabrücker Nette geht wie zahlreiche andere auf eine germanische Grundform *Natia mit Gemination des t vor j zurück. Verwandt ist deutsch naß, gotisch (ga)natjan „benetzen“. Diese Wörter verlangen wegen der vollzogenen Lautverschiebung einen indogermanischen Ansatz *nad-, während das verwandte griechische Wort íüôéïò, íïôåñüò  „naß“200 indogermanisch *nat- voraussetzt. Es liegt also ein wurzel- oder stammauslautender Wechsel zwischen -d- und -t- vor, der – und das muß festgehalten werden – erfolgt sein muß, bevor die erste oder germanische Lautverschiebung die Wurzel erfaßte, der aber zugleich Kennzeichen germanischer Entwicklung ist, wie die Sippe um naß, Nässe, benetzen zeigt.

Das Fazit: die Nette zeigt durch ihre Lautgestalt, daß sie früh germanisiertes Siedlungsgebiet durchfließt; anders ist der Wechsel des Konsonanten nicht zu erklären. Dabei muß dieser Wechsel in frühe Zeiten zurückdatiert werden, mit Sicherheit in eine Zeit, die weit vor Christi Geburt liegt.

IV. Zusammenfassung, Folgerungen und Schluß

Die Durchsicht der Gewässer-, Orts- und Flurnamen im Norden der Gemeinde Belm hat gezeigt, daß die Namengebung in erste Linie auf die Lage der Flur und der Siedlung Bezug genommen hat. Bei Gewässernamen steht das Wasser selbst, dessen Farbe, Gestalt, Verlauf, Charakter usw. an erster Stelle201. Hinweise auf Opferstellen, Gedenksteine oder Grenzanlagen, auf Rechtsverhältnisse oder geistige Vorstellungen, die die ältere Forschung gern in geographischen Namen sehen wollte, haben sich nur bei wenigen Namen finden lassen: mit einiger Wahrscheinlichkeit nur beim Butterstein.

Das mag angesichts der zahlreichen Kultsteine im Norden des Belmer Gemeindegebietes verwundern. Man sollte aber nicht übersehen, daß das Leben des Menschen in der Frühzeit wie im Mittelalter in erster Linie von der unmittelbaren Umgebung der Wohnstätte geprägt worden ist. Benannt wurden zunächst Gegenstände, Fluren, Wiesen und Felder der nächsten Umgebung, das weitere Umland ist davon weniger betroffen gewesen. Hinzu kommt die Tatsache, daß ein tradierter Name immer auch ununterbrochene Siedlung oder zumindestens ununterbrochene Namenweitergabe voraussetzt. Das ist jedoch im Verlauf von hunderten oder tausenden von Jahren nur für wenige wichtige Objekte in der Nähe einer Siedlung zu erwarten. Schon zwischen Flurnamen und Siedlungsnamen klaffen da erhebliche Lücken; auch unsere Analyse hat das deutlich höhere Alter der Siedlungsnamen erkennen lassen. Die Benennung eines Findlings in etwa 2-3 km Entfernung eines Dorfes hat dagegen nur geringe Chancen, über Jahrhunderte hinweg Bestand zu haben.

Für die Siedlungsabfolge ergibt unsere Untersuchung, daß mit germanischer Namengebung seit vorchristlicher Zeit zu rechnen ist. Hinzu kommt, daß die behandelten Namen in sich Spuren sehr alter Benennung enthalten, Spuren, die z.B. in den bisher für altgermanisch angesehenen Siedlungsräumen wie Schleswig-Holstein oder Dänemark nicht vorhanden sind. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für Herkunft, Heimat und Wanderungen germanischer und sächsischer Stämme202 sind durch die hier vorgelegte Untersuchung eines kleinräumigen Gebietes bestätigt worden203. Es konnten – und darin dürfte ein gewichtiger Punkt liegen – dem Gesamtbild weitere Mosaiksteine hinzugefügt werden.

Man man sich fragen, ob es überhaupt Flurnamen mit dem Bestandteil „Burg“ gibt? Handelt es sich nicht vielmehr um Hinweise auf eine jetzige Burg oder auf die noch erhaltenen Reste einer derartigen Anlage? Und ist dann nicht eher von Ortsnamen im Sinne von Siedlungsnamen zu sprechen, worunter im deutschen Sprachgebiet im allgemeinen die Bezeichnungen für von Menschen bewohnte Gebäude verstanden werden, während man unter einem Flurnamen gerade eine von Menschen nicht bewohnte Örtlichkeit verstanden wird?

Das Lexikon versteht unter einer Burg eine „historische Bauanlage, charakterisiert durch die Doppelfunktion ,Wohnen und Wehren’, weist aber im Anschluß daran aber schon darauf hin, daß die Bezeichnung Burg im weiteren Sinne „auch alle ehemals bewohnbaren vor- und frühgeschichtlichen Wehranlagen inner- und außerhalb Europas“ umfaßt1.

Zu etwa demselben Ergebnis kommt man, wenn man sich um das Wort Burg in seiner historischen Entwicklung bemüht. Es begegnet in allen germanischen Sprachen, ist für das Germanische als *burgs anzusetzen und erscheint im Gotischen als báurgs, vgl. weiter ahd. puruc, purc, asä., afries. burug, burg. ags. byrig, engl. borough, altnord, schwed., dän. borg, mhd. burc, nnl. borg, nhd. Burg, nnd. borch. Etymologisch gehört es als sogenannte indogermanische „Schwundstufenform“ *bhro                                         gh- zur Vollstufenform *bhergho-, die in unserem

Wort Berg erscheint. Damit verwandt sind z.B. altind. brh. ánt- „groß, hoch, erhaben“, keltisch bre „Hügel“, zum Beispiel in Brigantia „Bregenz“.

Bei Edward Schröder heißt es dazu2: „Der Berg diente zum Schutze; was auf dem Berg untergebracht ist, das ist gut aufgehoben. Burg und Berg sind in der älteren Zeit nicht gut zu trennen. Deshalb wechseln sie auch häufig in ein und demselben Ortsnamen. Deshalb auch ist bei den Namen auf -burg das Alter schwer zu bestimmen. Sie können uralt sein, aber ebenso gut auch ganz jung“.

Schon Tacitus nannte an Namen aus Deutschland Asciburgium, Teutoburgiensis saltus (Teutoburger Wald), Ptolemäus kannte Ortsnamen wie EÁóêé-âïýñãéïí, Ëáêéâïýñãéïí, Ôïõëéâïýñãéïí.

Sieht man sich in Sammlungen von Orts- und Flurnamen Niedersachsens (vor allem in dessen südöstlichem Teil) und in den benachbarten Landstrichen in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hessen und Westfalen um, so läßt sich eine Fülle von Namen ermitteln. Das gesamte deutsche Sprachgebiet kennt nach E. Förstemann3 allein in Belegen vor dem Jahr 1200 ca. 350 Ortsnamen mit -burg als Grundwort, darunter etwa Bildungen wie Burgbeck, Burgberg, Burgfeld, Burgheim, Burghorst, Burghusen, Burgloh, Burgdorf.

1.) Einfache Bildungen

Das einfache Wort Burg, niederdeutsch borg, borch dürfte auf das Vorhandensein einer Burg hinweisen. Hierher gehören Burg bei Celle, schon um 900 so genannt4, Burg, OT. v. Hannover, Burg bei Magdeburg. In Kombination mit anderen Grundwörtern finden sich Burgdorf bei Hannover, Burghagen bei Ziegenhagen, 1357 in deme Borghayne, 1357 (A. 16. Jh.) in dem Borghayne5, Burgmühlen, 5mal in Hessen.

2.) Ableitungen von Gewässernamen

Bei der Lage an Gewässern liegt kaum ein alter Flurname, sondern der Bau eines Gebäudes zugrunde. Hierher gehören etwa Aschaffenburg (an der Aschaff), Boizenburg an der Elbe, die Ertheneburg bei Artlenburg an der Elbe, Gelsterburg bei Witzenhausen an der Gelster, Hallerburg an der Haller nahe Springe (dem alten Hallerspringe). Auch Katlenburg enthält einen alten Flußnamen, ebenso Limburg an der Lahn, weiter Saalburg an der Saale.

Auf einen See nehmen Bezug Seeburg im Kreis Eilsleben, Seeburg am Seeburger See und Seeburg im Vogelsbergkreis.

3.) Personennamen in Burgnamen

Bei diesen Burgennamen wird kaum ein Flurname eine Rolle gespielt haben. In jedem Fall ist zu prüfen, ob nicht erst nachträglich der Name einer Person hineingedeutet worden ist. Wenn die Überlieferung früh genug beginnt, ist eine Entscheidung zumeist möglich.

Aus der Fülle der hier aufzuführenden Burg- und Ortsnamen nenne ich Abbenburg bei Höxter; Amelungsburg bei Hessisch Oldendorf; Charlottenburg, Wüstung in der Gemeinde Gleichen; Erichsburg im Kreis Northeim. Schon in älteren Belegen erscheinen Burg-Namen mit Personennamen kombiniert, so etwa 1274 als Gernandesborch (bei oder in Hannover).

Ein Personenname liegt auch vor in der Hämelschenburg, die nicht zum Namen Hameln gehört, sondern aufgrund der alten Belege (1304-1324) hermerschenborch, (Anf. 14. Jh.) de Hermerscheborg, 1339 Hermersen auf einem älteren Namen *Herimares-husen beruht. Weiter gehören hierher Süpplingenburg bei Helmstedt, 1125 Suplingeburch, 1303 Suplingeborch.

Den Namen einer ehemaligen Königen enthalten die Marienburg bei Hildesheim, den der Gottesmutter die Marienburg im Weichseldelta.

Zu Vorsicht muß geraten werden in Fällen wie der Cheruskerburg am Gehrdener Berg, der Frankenburg in Frankenhausen und der Frankenburg bei Rinteln. Diese erhielten ihre Namen zumeist erst in jüngerer Zeit durch mythische Verklärung an historische Völkerschaften. Bezeichnenderweise geht der Name der Frankenburg bei Rinteln auf den Familiennamen eines Försters zurück6. Ähnliches mag gelten für die Friesenburg bei Obersdorf, Kr. Sangerhausen, die Pipinsburg bei Osterode und bei Sievern, die Wittekindsburg bei Minden, 993 in castello suo Wedegenburch7, und die Wittekindsburg bei Osnabrück8.

4.) Ableitungen von Ortsnamen

Auch diese Gruppe enthält kaum alte Flurnamen. Die Namen sind meist durchsichtig wie etwa Bennigser Burg, Burghasungen, Burghaun bei Hünfeld, Burg­uffeln. Auch der Name der Trendelburg bei Hofgeismar, 1303 Trindirberg, 1305 Drendeneburg ist nach einem Ort benannt. Am Fuß des Berges liegt der Ort Trende9.

5.) Standesbezeichnungen in Burgnamen

Den Typus Grebenstein, Fürsteneck, Bischofsstein habe ich unter den Namen mit -burg kaum finden können. Aber vielleicht kann man hier den Typ der Schalkenburg, Schalkerburg, Schalksburg einordnen, der rund um den Harz nicht selten begegnet und zu deutsch Schalk, ursprünglich „Knecht“, gestellt wird. Hierzu gehört auch die Schallenburg bei Sömmerda, 1019 Scalcaburg, Scalchisburg. Auch der Name eines Burgwalls Schanzenburg bei Heudeber, Kr. Halberstadt, 1294/98 Scalkesburg, und ist daher auch hier einzuordnen.

6.) Besitz; Kirche; Kloster; Recht; Abgaben

Typische Burgennamen weisen auch auf Besitzverhältnisse, auf Zusammenhänge mit Kirchen und Klöstern, auf Rechtsverhältnisse und Abgaben hin: Kammerburg bei Lorch in Hessen (der Kammerjäger war zunächst ein fürstlicher Leibjäger), die Paschenburg oberhalb der Schaumburg, nach W. Laur wie weitere Paschenburgen zu mnd. pâsche(n) „Ostern“, ndd. påsch, påschen, dazu evtl. auch die Pagenburg bei All Wallmoden stellt.

An die zahlreichen Spielberge in Deutschland kann der Name der Spielburg bei Auleben, Kr. Nordhausen, angeschlossen werden. Sie werden am besten mit engl. spell „erzählen, sprechen“ und dt. Kirchspiel verbunden und deuten auf eine Gerichtsstätte hin. Dt. Steuer, Abgabe vermutet C. Stühler in den Namen Steuerburg (in Hessen).

Auf dem Namen des alten Leinegaus geht die Lüningsburg bei Neustadt/Rbge. zurück. Dieses verraten die alten Belege, z.B. 1315 Loghingeborch, 1330-1352 Logyngheborch; Loghingeborch. Es ist also eine alte „Leinegauburg“.

7.) Heraldik, Wappentiere, Schutz und Trutz

Der typische Burgenname wie Falkenstein, Greifeneck, Treuenfels, Stolzenfels findet sich auch mit dem Wort burg kombiniert: Ehrenburg bei Frankenberg an der Eder, vielleicht auch Engelsburg, verschwunden bei Nordhausen, Falkenburg bei Frankenhausen, vielleicht auch Eulenburg bei Osterode [Nachtrag: nein, s. Schreiben von G. Becker (Osterode), 24.2.2000], ganz sicher aber der Typ der „Löwenburg“, z.B. in Lauenberg bei Dassel, Lauenburg an der Elbe, Lauenburg bei Blankenburg, Kr. Wernigerode, Lauenburg im Kreis Quedlinburg und Löwenburg bei Bleicherode, Kr. Nordhausen.

8.) Alter

Auf das Alter wird häufig bezug genommen, einem hochdt. Naumburg, z.B. an der Saale, aber auch bei Wolfhagen, 1182 novum castrum, steht das niederdt. Niemberg bei Halle, 1184 Ninburch, und das bekannte Nienburg gegenüber. Wo etwas „neu“ ist, darf auch das „Alte“ nicht fehlen: Ohlenburg bei Lamspringe und bei Hornsen nahe der Winzenburg, Oldenburg und die hochdt. Variante Altenburg.

9.) Form, Gestalt, Ausstattung

Namen wie Breitenburg im Kr. Steinburg und Grotenburg bei Detmold sind leicht verständlich. Aber auch Luxemburg ist nichts anderes als eine kleine Burg (engl. little, ndt. lütt). Dem gegenüber ist Mecklenburg eine ursprünglich „große Burg“, vgl. altsächs. mikil „groß“. In der Schöneburg, die in Resten in Altenbrak bei Wernigerode vorhanden ist, sieht man dt. schön, die Klingenburg bei Duderstadt scheint auf Glocken o.ä. hinzuweisen.

Bauliche Merkmale oder Angaben zum Charakter des Untergrundes weisen als erste auf Berührungen mit eventuell dahinter verborgenen Flurnamen hin. Ist eine Hornburg nach der Bauform oder der Geländeform benannt? Besitzt die Kogelnburg bei Volkmarsen eine Kugelgestalt? Bezieht sich der Name

Kracheborch oder Kragenburg bei Oberdorla auf die Kragenform des Gebäudes oder des Geländes? Beides ist möglich. Die Krukenburg im Kr. Hameln-Pyrmont stellt man zu ndt. Krück(e) in der Bedeutung ,Ecke, Winkel, Krümmung’, also ,gekrümmter Berg’ oder ,Berg in einer Krümmung’“, in der Kuppenburg bei Bräunrode, Kr. Hettstedt, wird man die Bergkuppe vermuten dürfen, während der Name der Sababurg, 1300 Zappenburg, mit dt. Zapfen verbunden wird.

Aber was bedeutet die Spiegelburg bei Klostermansfeld, Kr. Eisleben und bei Oberode im Thüringer Wald? Klarer ist da schon die Spitzenburg bei Gieselwerder und die Stapelburg im Kr. Wernigerode.

Bezieht sich Rot in Rodenberg im Kreis Schaumburg, in Rotenburg an der Fulda, Rotenburg an der Wümme und Rothenburg bei Bad Frankenhausen auf die Farbe der Burg oder auf den Boden? Beliebt war auch die Farbe weiß, so in Weißenburg und niederdt. Wittenburg bei Elze, Wittenburg im Kr. Hagenow und Wittenburg bei Reyershausen.

10.) Wald, Holz, Pflanzen/Tiere

Man vergleiche Heisterburg bei Bad Nenndorf, fast genau gegenüber liegt die Heisterberg(-burg) und mnd. hêister, hester „junger, noch nicht ausgewachsener Baum“. Unsicher ist, ob die Holzburg bei Neukirchen in Hessen aus Holz gebaut. In der Lindenburg, einer Wallburg im Kreis Heiligenstadt, steckt wohl der Name der Linde, aber entsprechend die Weide in Widenburg bei Steigerthal im Kreis Nordhausen (Variante: Weydenburg, 1551 Widenburgk oder Weydenburgk)? Die vor etlichen Jahren entdeckte Retburg bei Koldingen im Kreis Hannover gehört dagegen wohl zu dt. Ried oder Reet, die Bramburg bei Hemeln im Bramwald zu dt. Brombeere, mnd. brambeer, die Eschenburg auf dem Eschenberg bei Bremke zur Esche.

Tierbezeichnungen finden sich in Jetenburg, OT. von Bückeburg, mua. Jetenborch, 1153-70 in Geteneburg (vgl. mnd. geite, asä. get, mua. jitt, jett „Ziege“, hdt. Geiß und die Jettenhöhle im Kreis Osterode). Bezieht sich aber Mückenburg bei Riddagshausen auf die Mücke? Die Ochsenburg bei Steinthalleben, Kr. Artern, und die Ochsenburg bei Pfaffschwende scheinen klar zu sein, aber was sucht der Ochse im Burgnamen? Die Pagelsburg im Kreis Osterode hat U. Scheuermann zu mnd. page „Pferd“ gestellt. Die Schnakenburg bei Wernigerode könnte mnd. snãke „Schlange, vor allem Ringelnatter, Blindschleiche“ enthalten, aber der Beleg von 1472 Schnavenburg mahnt zur Vorsicht. Auch in Schnackenburg an der Elbe liegt wahrscheinlich nicht der Tiername zugrunde10. Probleme bereitet auch die Vogelsburg bei Salzderhelden nahe Vogelbeck. Möglicherweise liegt eine alte Klammerform *Vogelbergburg vor.

11.) Stellenbezeichnungen, Bodenqualität u.ä.

Hier finden sich am ehesten alte Flurnamen. Die Asseburg im Kreis Wolfenbüttel enthält den Namen des Gebirgszuges Asse und kann vielleicht mit dt. Asche und

Esse verbunden werden, vielleicht als Bezeichnung eines trockenen Gebietes. Der Wechsel zwischen -berg und -burg zeigt sich in dem Typ Blankenburg, bei Schlotheim 1143 Blankenberg, aber 1506 Blankenburg, auch Bad Blankenburg bei Rudolstadt: 1193 Blankenberc. Bückeburg stellt man zu bücke, ndt. Gebück, aus Hainbuchen angefertigte lebende Hecke, die als Schutzwehr diente. Klar ist Dammburg bei Wentorf und anderswo. Die ndt. Entsprechung zu hdt. tarnen findet sich Derenburg, Burgreste im Kr. Wernigerode, in der Derneburg bei Hildesheim. Der Wechsel zwischen berg und burg begegnet wieder im Fall von Dornberg in Hessen, 1160 de Dornburg. In der Haarburg bei Haynrode, Kr. Worbis, vermute ich wie in Harburg bei Hamburg das alte deutsche Wort hor, har „Sumpf, Dreck, Morast“. Aber die Burgreste der Harburg bei Wernigerode gehören wegen der Nennung von 1412 in monte Hardenberg zusammen mit Hardenberg bei Nörthen als „(am harten) Berg“ gelegen eher zu hdt. hart, ndt., engl. hard. Hamburg enthält wie wie Hamm in Westfalen und Hameln, Hemeln ein altes Wort ham für „Ecke, Winkel, Biegung“. In der Harzburg bei Bad Harzburg und bei Ilfeld finden wir den Namen des Harzes wieder, während der nicht seltene Name Hindenburg auf die Lage bezug nimmt (hdt. hinter, altsächs. hindan). Das betrifft auch den häufigen Typ der Homberg, der hohen Burg

In Lüneburg vermutet man ein Wort für „Schutz, Abhang, Schräge“, während eine Moorburg sich selbst erklärt. Nicht ganz sicher bin ich, ob Moseberg bei Bad Sachsa, 1073 Moseburg (also mit Wechsel des Grundwortes) und Moseburg zum Moos gehören. Der bekannte Nürburgring gehört wie Nürnberg zu einem alten Wort nörr, nürr „Fels“, während Osterburg und Westerburg im Kreis Halberstadt und bei Bad Sooden-Allendorf nach der Lage benannt zu sein scheinen. In der Querenburg bei Nettlingen liegt das alte germanische Wort für die „Mühle“, got. qaírnus, aisl. kvern, schwed. qvarn, asä. quern zugrunde. Eine Beziehung zur Mühle vermutet man auch in dem ON. Radeburg bei Dresden, nämlich zum Mühlrad.

Die Heldenburg bei Salzderhelden hat nichts mit Helden zu tun, sondern gehört zusammen mit dem Heldenberg, auf dem sie liegt, und mit Salzderhelden zu ndt. helde „abschüssige Stelle“, verwandt mit der bekannten Halde. Die bekannte Schaumburg findet sich häufig in in Deutschland (auch als Schauenburg bei Kassel) und wird als „schauende Burg“, also als Burg, die in das Land schaut, verstanden. Der direkte Gegensatz findet sich in Schulenburg, einem versunkenen Ort im Okerstausee, einem ON. im Kreis Hannover und einem Wall nahe der Marienburg bei Nordstemmen. Die Namen gehören zu ndt. schulen „versteckt sein, sich verbergen“, bi der schulenden borch bezeichnet nach E. Schröder eine verborgene, eine im Versteck lauernde Burg“.

Nach der Form des Berges sind zumeist die Staufenburgen benannt, so etwa bei Zorge, bei Gandersheim und im Kreis Goslar. Man stellt sie zu ahd. stouf, stoupf „Becher, auch von Felsen gesagt“, „Fels“. Wenig bezeugt ist Steinburg begegnet, n in dem ON. Steinbergen bei Bückeburg begegnet er. Neben dem berühmten Straßburg im Elsaß gibt es auch ein Strasburg bei Neubrandenburg. Vienenburg bei

Goslar ist eine Burg „über dem Sumpfe“ und enthält ein altes Wort fenni, vgl. Hohes Venn im deutsch-belgischen Grenzgebiet und den Venusberg in Bonn. Auch die Fehn-Orte in Nordwestniedersachsen sind hier anzuschließen.

12.) Unklares und Vermischtes

Noch unklar sind Magdeburg (sicher keine Mägde-, Mädchenburg), die Madeburg bei Reckershausen, Merseburg. Umstritten ist der Name Brandenburg.  Übertragen sind Neubrandenburg und der ON. Salzburg im Kreis Hameln-Pyrmont (Hugenottensiedlung). In ganz alte Zeiten reicht der Ortsname Börger im Emsland, um 1000 (A. 15. Jh.) Burgiri, auch Börry im Kreis Hameln-Pyrmont, 968-969 (Abschr. 15. Jh.) in Burgiun, kann als alter Name bezeichnet werden, ebenso wie Burgripi, eine Wüstung zwischen Lenne und dem Ith.

Ein Wort verdient der häufige Name Hünenburg. In dieser gern vergebenen Bezeichnung sieht der Volksmund gern einen Hünen, einen Riesen. Vorsicht ist geboten. So ist die Hünenburg bei Hohenrode keine ehemalige Burg, sondern bezieht sich auf steile, mauerähnliche Felsabbrüche11, die Hünenburg bei Badenhausen heißt auch Hindenburg, die Hüneburg bei Wimmelburg 1569 Heineborch. In diesen Fällen ist die Verbindung mit einem Hünen abzulehnen.

Manchmal wird auch das Wort Burg falsch hineingedeutet: der Ort Burgwalde bei Heiligenstadt heißt 1236 im Bortwolde und bedeutet „Grenzwald“ und gehört zu nd. bord „Grenze, Rand“.

Manchmal sucht man auch eine Burg in Fällen, wo nie eine gestanden hat, so etwa in Herberhausen, alt Herborgehusen, eine Ableitung von einem weiblichen Personennamen, vgl. Walburga, Burglinde.

Zu Vorsicht man der Wechsel zwischen Burg und Berg, der auch in einzelnen Namen begegnet. Es kann durchaus sein, daß hinter einem Flurnamen mit dem Bestandteil -burg keineswegs eine Burg stecken muß. Gelegentlich reichen landschaftliche Eigentümlichkeiten, vielleicht aufragende Felsen oder Steine dazu aus, daß man die Örtlichkeit als Burg bezeichnet.

13.) Das Wort Burg in Flurnamen

In Ahrbergen bei Hildesheim wird der Platz vor der heutigen Kirche Alter Burgplatz genannt. Dort stand vielleicht einmal eine Burg. Die Flurnamen Auf der Burg und Burgpfad in Schlewecke bei Gandersheim weisen nach Stolberg 369 auf eine Burg. Borg ist ein Flurname bei Deblinghausen im Kreis Nienburg12. Der noch 1875 so genannte Borgwall am Seeburger See bezieht sich auf eine Fluchtburg13. In Hedemünden gibt es die Flurnamen Am Burgberg, Auf der Burg und Burgweg. Nach Kaerger14 ist der Ringwall auf dem Steinberg gemeint. Der Flurname Burg in Schwanebeck bei Halberstadt weist auf die Reste einer Wasserburg hin15. Aber nicht immer gilt das. So schreibt U. Maack16 zum Flurnamen Up’r Burg bei Exten: „Volkstümlicher Name einer Straße im nördlichen Dorfteil … Erhöhte Lage [östlich der] Dorfstraße führte zur Namensbildung Burg. Eine Burg hat es hier nicht gegeben“. Also war nur die erhöhte Lage von Bedeutung. Der Name Burgberg bei Witzenhausen soll auf eine Wüstung weisen17.

Die Zellerfelder Flurnamen Burgstätte, Burgstätter Gang weisen auf die ehemalige Burg hin18, wie auch der Flurname Burgstede in Exten, 1545 de Burgstede19. Burgwege gibt es in Rohden (er führt zur Schaumburg) und mehrmals im Kreis Heiligenstadt. Aus dem Braunschweigischen hat Andree in seiner Volkskunde genant: Burgberg in Großdahlum; Burglegden in Adersheim; Burgkamp in Cramme; Burgbreite in Berel; Burgstelle in Völkenrode, Barmke und Weferlingen (in diesem Ort vorgeschichtlicher Ringwall); Burgthal in Schliestedt; Burgwanne in Semmenstedt, und Burgwiese in Rottorf und meinte dazu: „Ob auf eine wirkliche Burg deutend? Zuweilen auch auf vorgeschichtliche Ringwälle“.

Als wichtigstes Ergebnis darf man festhalten: häufig weist Burg in Flurnamen auf eine ehemalige Burg oder Wallanlage, aber gelegentlich wird eine Burg an Stellen hineingedeutet, wo es nie eine gegeben hat. Auch der Wechsel mit dem Bergwort muß immer im Auge behalten werden.

Da die frühmittelalterlichen kleinen Wallanlagen nicht ständig besiedelt waren und oft in natürlich geschützer Position lagen20, nimmt es nicht wunder, daß bereits in den ersten Berichten über germanische Stämme unser Wort auftaucht. Es liegt vor in dem für Römer berühmt-berüchtigen saltus Teutoburgiensis, dem Teutoburger Wald, ferner in dem Namen der Burgunder und einer Insel, die gern mit ihnen in Verbindung gebracht wird, nämlich Bornholm, altnordisch Burgundrholmr, und auch einer der wichtigstenen Burg der Sachsen im Kampf mit Karl dem Großen, der Eresburg, dem heutigen Obermarsberg an der Diemel. Der letzte Name allerdings erhielt seinen Zusatz Burg wiederum erst später: auszugehen ist von dem Namen Eresberg, der uralt ist und am besten mit dem altgriechischen Wort für den Berg, griech. —ñïò, aus *eros, eres-, verbunden werden kann. Man sieht: Burg und Berg standen schon früh nebeneinander und sind manchmal nicht mehr voneinander zu trennen.

Die in niederländischer und zum großen Teil in englischer Sprache abgefaßte Untersuchung (bei Zitaten bevorzuge ich im folgenden die englische Variante) hat ein Thema zum Inhalt, das in dieser Form noch nicht diskutiert worden ist. Ausgangspunkt des Autors ist die Überlegung, die Laryngaltheorie zur Beurteilung der Alteuropäischen Hydronymie H. Krahes und W.P. Schmids einzusetzen und zu prüfen, inwieweit dadurch die Richtigkeit der Alteuropatheorie bestätigt werden kann.

Im einzelnen setzt sich die Untersuchung, gegliedert in neun Kapitel, zwei ergänzende Abschnitte und einige Register, aus folgenden Abschnitten zusammen: einem Vorwort (S. 9) schließt sich eine Einleitung (Kap. 1, S. 11-19) an.

In der Einleitung (S. 11-19) wird die Theorie H. Krahes anhand der systemhaften Beispiele *Amara,  *Amula usw. der Laryngaltheorie (in der „klassischen“ Form mit drei Varianten) gegenübergestellt und die Einteilung des Buches in Kapitel erläuert. – Kapitel 2 befaßt sich mit „´t Amers Gat, Ammers and similar water-names“ (S. 21-44). Der Name des Flüßchens ´t Amers Gat wird von Tegelaar für sehr alt gehalten, jedoch schränkt er selbst ein, daß Herkunft von einem Personennamen nicht ausgeschlossen ist (S. 24). Schon hier muß Kritik angemeldet werden: angesichts der späten Bezeugung (Ersterwähnung: 1674 Groote Rel of Amers Gadt) und der Tatsache, daß wir uns hier in einem Poldergebiet befinden, bedarf es bei einer so diffizilen Materie schon sicherer und besser überlieferter Namen. Diese finden sich z.B. unter Ammers, Oude Ammers u.a. (S. 31ff., kartiert S. 42), wobei eine Entwicklung *Ambrussa > Ambres > Ambers > Ammers (S. 35) angenommen wird. In dem nur niederländisch verfaßten Kapitel 3 bahnt sich unter dem Thema „De samenhang tussen de riviernamen Amer en Hamer“ (S. 45-63) bereits als zentraler Punkt der Diskussion die Frage an, ob nicht die beiden Gruppen mit ihren anlautenden Ha- und A- in einem Verhältnis zueinander stehen. Zunächst wird jedoch vor allem das zu behandelnde Material in verschiedenen Gruppen geboten: a.) Amer, Amer-diep, b.) Hameren, Hammerbek, Ham, Hambeek, c.) Hemert, alt Hamaritda. Weiter ausgeführt wird dieses dann im vierten Kapitel „The Amer and the Hamer in the context of Krahe’s theories“ (S. 65-112). Tegelaar kritisiert die schon von H. Krahe vertretene Auffassung, Gewässernamen wie Ammer u.a. könnten mit idg. *am- „Wasserlauf, Kanal“ in alb. amë, heth. ami?ara, griech. PìÜñá usw. verbunden werden: „In my view this cannot hold out“ (S. 65) und zweifelt offenbar generall an einem Wurzelansatz *am-: „I hold that the acceptance of a root *am- has to be abandoned (such a root may have existed, but it has no bearing on the present river-names)“ (S. 65). Im einzelnen sei nach Tegelaar noch zu korrigieren (woraus sich die Basis für eine laryngalistische Deutung ergibt): 1.) Krahes Ansatz *Amaroa für niederländische Gewässernamen sei in *Amaros zu verbessern; 2.) die Geminata  -mm- erschwert zusätzlich die Etymologie; 3.) bei etlichen Namen sei eine Grundform *Ambrina/*Ambrana (> Ambren/Ambron > ndl. Ammeren, dt. Amern) vorzuziehen; 4.) es sei im larygalistischen Sinn von einer Wurzel *vmb- + -r-Suffix auszugehen, wodurch sich für Hamer  *hvmbros ergäbe; 5.) keltisch beeinflußtes Material, wie z.B. Sambre ? Maas, alt Sambra,. könne wegen span., portug. sombra „Schatten“ gegenüber lat. umbra hier ebenfalls angeschlossen werden; 6.) germanische Namen wie Hamer können, wenn sie mit lat. imber usw. verbunden werden, nicht auf „normalen“ Wege erklärt werden (idg. *k- > germ. *h-). Nach Tegelaar kann hier ein spirantisches Element eine Rolle gespielt haben; er verweist auf ahd. gambar „kraftvoll“, auf Alten-, Neuengamme und erwägt Zusammenhang mit den Sugambri. Aus diesen Argumenten folgt: der schwankende Anlaut spricht dafür, daß eine Wurzel mit Laryngal anzusetzen ist. Unter anderem werden folgende Lautentwicklungen vermutet: 1.) „Proto (Italo-) Celtic sv- > late Celtic (among which Gaulish, British, Irish (Gaelic)/Italic (among with Latin) v-“; 2.) „Proto-Germanic hv- ¿ h= [?/?]? > hv- > hv- > late Germanic v-“ (S. 131). Etliche Auflistungen von Gewässernamen samt Kartierung (S. 161) sollen die Streuung der Varianten demonstrieren. – Paralipomena (Kap. 8), in denen es vor allem das hohe Alter der geographischen Namen, um H. Krahes Theorie und dessen Auswirkungen auf die Gliederung der idg. Sprachen geht (S. 163-177), ein „(s)fragment“ (Kap. 9), das sich Fragen der Rekonstruktion widmet (S. 179-185), ein Aanhangsel I, das sich um die Etymologie von ham und hamrik (nach Tegelaar: < hambrik) bemüht (S. 187-191) und Appendix II mit der Frage „Can it be established, that a geographical name ist of non-Indo-European stock?“ (S. 192-194) sind die letzten Kapitel des Buches. Nach Tegelaar ist die Existenz eines nichtidg. Namens grundsätzlich möglich, aber Fragen und Beweisbarkeit bleiben offen. – Ein Verzeichnis der Karten, Symbole, Abkürzungen, der benutzten Literatur und ein Namenregister (S. 195-208) beschließen den Band.

Wenn der Autor mit seiner Meinung recht hätte, zöge nicht nur die alteuropäische Hydronymie sondern auch auch die Laryngaltheorie aus dem Beitrag Gewinn. Der Versuch krankt aber an unzureichender Aufbereitung des Materials. Hier einige Beispiele: zwischen den Sippen *am- (ausführlich dargeboten in meinem Beitrag Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg und seiner Umgebung. In: Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter, Berlin-New York 1993, S. 7-16) und *emb(h)r-, *omb(h)r-, *mo b(h)r- ist grundsätzlich zu unterscheiden; vor einer Vermengung ist zu warnen. Namen wie Hameln, Hamburg, Hemeln sind von germ. *ham- „Ecke, Winkel“ nicht zu trennen, vgl. U. Ohainski, J. Udolph, Die Ortsnamen des Landkreises und der Stadt Hannover, Bielefeld 1998, S. 202f. und M. Gelling, The Element hamm in English Place-Names, Namn och Bygd 48(1960)140-162. Der Ortsname Hombressen bei Hofgeismar hat mit Gewässernamen nichts zu tun (entgegen S. 87), er gehört mit dem Beleg von 1185 in … Hu(m)bahtisse(n) zu einem Personennamen Humbracht + -husen (vgl. K. Andrießen, Siedlungsnamen in Hessen. Verbreitung und Entfaltung bis 1200, Marburg 1990, S. 102). Ebenso gehört der Gammelsbach ? Neckar (S. 87) natürlich keineswegs zur alteuropäischen Hydronymie. Der Name Emmerborn bei Stadtoldendorf kann angesichts des ältesten Beleges (nach 1539) Eimerborn (H. Kleinau, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig, Teil 1 , Hildesheim 1967, S. 175) kaum zu *Embr- gestellt werden (S. 93). Schemmerbach (? Wehre ? Werra) verlangt zusammen mit dem ON. Schemmern wegen des Beleges um 990 (K. 12.Jh.) Scamberaha (Andrießen, op. cit., S. 161) einen Ansatz *Skamb-r-aha. Wie soll eine Beziehung zu Emmer, Immer (S. 93) hergestellt werden? Ebenso wenig gehört Schambach hierher, sondern zu ahd. scam „kurz“. Die Zusammenstellung Samern, Sümmern, Sommerach, Sömmern, Simmelbuch, Schimmelbach (S. 95) ist ein Beispiel für die Arbeitsweise des Autors: Namen unterschiedlichster Herkunft werden verfehltermaßen mit einander verbunden; eine saubere Differenzierung ist unerläßlich. Ein weiteres Beispiel: der Anlaut d. Šembera, Fluß in Böhmen, wird als keltische Entwicklung aufgefaßt und mit dem Namen d. Sambre vergleichen. Bisher erklärte man Šember, Šemberk aus dt. Schönberg, zweifellos die bessere Etymologie. Verfehlt ist auch die Einordnung der Karte 21 (S. 128) eingetragenen slavischen Ortsnamen Sambir/Sambor, Sombor, Samobor, die mit einem Gewässernamen nichts zu tun haben.

Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Unzureichende Materialaufbereitung und verfehlte Etymologien sind nicht zu übersehen. Kritik an H. Krahes Alteuropäischer Hydronymie ist schon aus unterschiedlichster Blickrichtung geübt worden, bisher konnte sie in ihren Grundfesten nicht erschüttert werden; im Gegenteil, baltisches, slavisches und germanisches Material – um nur einige Bereiche herauszugreifen – haben in letzter Zeit erheblich zu ihrer Stützung beigetragen. Die vorliegende Untersuchung  trägt, obwohl ihr Ansatz nicht ohne Reiz ist, ebenfalls nicht zu einer Schwächung der Theorie bei. Leider profitiert aber von ihr weder die Alteuropäische Hydronymie noch die Laryngaltheorie; die Schwächen sind nicht zu übersehen.

Die Problematik der Besprechung umfassender und von zahlreichen Wissenschaftlern erstellter Sammelwerke ist bekannt. An der Nützlichkeit der innerhalb der Reihe Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft erschienenden Bände ist im allgemeinen kein Zweifel geäußert worden. Auch sprechen dafür nicht zuletzt Neuauflagen älterer Ausgaben.

Von Rezensenten wird aber immer wieder – und auch das ist angesichts zahlreicher Beiträger nicht anders zu erwarten – das Ungleichgewicht und die das unterschiedliche Niveau der Aufsätze betont. Dagegen wird oft positiv vermerkt, daß der Griff zu den Bänden zumindestens einen ersten Einblick in ein fremdes Sachgebiet vermittelt; positiv wird auch die Zusammenstellung der angeführten Literatur bewertet, die ja im allgemeinen von Sachkennern zusammengestellt ist und eine gute bis hervorragende Orientierung für den Einzelnen, der kaum noch die Fülle der Publikationen auf einem ihm etwas ferner stehenden Sachgebiet überblicken kann, gewährleistet.

Dem Charakter der Indogermanischen Forschungen entsprechend sollen die hier vorgetragenen Bemerkungen im folgenden an einem für die Indogermanistik wichtigen, aber immer noch umstrittenen Teilbereich überprüft werden: gemeint ist die alteuropäische Hydronymie, die ja durchaus als eine auf Gewässernamen aufbauende Theorie das sicherste und gewiß auch wichtigste Bindeglied zwischen Namenforschung und Indogermanistik ist. Wir werden zu prüfen haben, inwieweit diese These in einzelnen Beiträgen behandelt und bewertet worden ist, und ob Th. Andersson recht hat, wenn er an anderer Stelle (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde – Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde [Studienausgabe], Berlin – New York 1998, S. 94) geäußert hat, daß heute „die alteurop. Theorie nicht oder nicht voll akzeptiert worden ist und deswegen eine Neudefinierung verlangt worden ist“.

Von den über 250 Autoren aus 45 Ländern ist die alteuropäische Hydronymie ausführlicher behandelt worden in den Beiträgen von W.P. Schmid „Alteuropäische Gewässernamen“ (Bd. 1, S. 756-762), A. Greule, Gewässernamen: Morphologie, Benennungsmotive, Schichten (Bd. 2, S. 1534-1539) und J. Udolph, Slavische Gewässernamengebung (Bd. 2, S. 1539-1547). Andere gehen über sie hinweg, es sind ausschließlich nordische Forscher. Hinweise auf die Alteuropa-Theorie fehlen in der Übersicht schwedischer Gewässernamen (T. Andersson, Bd. 1, S. 41ff.) und in dem Bericht über die Namenforschung in Dänemark (J. Kousgård Sørensen, Bd. I, S. 46-49), obwohl ein wichtiger Teilbereich des Landes in der Göttinger Dissertation von G. Kvaran Yngvason, Untersuchungen zu den Gewässernamen in Jütland und Schleswig-Holstein (1981) ausführlich behandelt worden ist. Begründet wird dieses von Th. Andersson im ersten Satz seines Beitrages „Namen in Skandinavien“ (Bd. 1, S. 792-805) wie folgt: „In Skandinavien besteht seit alters her sprachliche Kontinuität, insofern als unter der germanischen Schicht kein Substrat nachgewiesen worden ist“ (S. 792). Und an anderer Stelle heißt es: „im Hauptteil des skandinavischen Altsiedlungsgebiets, d.h. im größten Teil von Dänemark, Norwegen und Schweden, sind … neben der germanischen Sprache und deren Vorstufe keine weiteren Sprachen bezeugt“ (Th. Andersson, Bd. 2, S. 1697). Nicht nur aus diesem Grund stellt sich „die skandinavische Forschung zur Theorie einer vorgermanischen alteuropäischen Hydronymie im allgemeinen skeptisch“ (Th. Andersson, Bd. 1, S. 793); es wird gefolgert: „Dies alles spricht dafür, daß in Skandinavien (mit Ausnahme des nördlichen Teils) sprachliche Einheitlichkeit und Kontinuität seit der Zeit der ältesten überlieferten Ortsnamen herrscht“ (Th. Andersson, Bd. 2, S. 1697). Auf diese These wird noch zurückzukommen sein.

Zunächst zeigt ein Blick in Beiträge anderer Autoren, daß in allen anderen europäischen Ländern die Grundlagen der alteuropäischen Hydronymie akzeptiert werden: „In den Orts- und Gewässernamen treffen wir auf Wurzeln und Wortstämme, die in unserer heutigen Sprache oder auch bereits in den überlieferten Sprachformen nicht mehr vorkommen. Ein ganz augenfälliges Beispiel dafür stellen die Flußnamen der alteuropäischen Hydronymie dar“ (W. Laur, Bd. 1, S. 614). In den Niederlanden wurde nach R. Rentenaar (Bd. 1, S. 54) durch das Buch von M. Schönfeld, Nederlandse waternamen (1955) „gerade noch die erste Phase der Diskussion über die alteuropäische Hydronymie“ gestreift. W. Haubrichs ist der Ansicht (Bd. 1, S. 66), daß es H. Krahe war, „der nach dem Kriege die ‘alteuropäische’ indogermanische Hydronymie nach Leitlexemen und Leitsuffixen systematisierte und eine systematische Erforschung der deutschen Gewässernamen in Gang setzte“. Nach H. Löffler (Bd. 1, S. 88) hatten H. Krahe und seine Schüler durch Studien über die ältesten Flußnamen „die Frage nach der vorkeltischen Sprachbevölkerung im heutigen deutschen Sprachraum schrittweise von der umstrittenen Illyrer-, Ligurer-, Veneter-Hypothese zur Ansetzung eines ‘alteuropäischen‘ (West-)Indogermanischen entwickelt … In kritischer Fortsetzung dieser Studien hat W.P. Schmid 1968 die heute gesicherte Anschauung vom indogermanischen Ursprung dieses alteuropäischen Namen’systems’ formuliert“. Ähnlich urteilt R. Schmitt (Bd. 1, S. 634): „Intensive Forschungen galten seit Jahrzehnten den erfahrungsgemäß besonders konservativen Gewässernamen und vor allem der von Hans Krahe … sog. ‘Alteuropäischen Hydronymie’ … die in Lexematik und Morphologie Strukturen indogermanischen Typs aufweist, aber nicht mit Krahe auf eine Vorstufe des westindogermanischen Sprachen zurückgeht, sondern mit Schmid 1968 auf das Indogermanische selbst“, ähnlich auch G. Bauer (Bd. 1, S. 10): „Vor-indogermanisches archaisches Sprachgut hat man lange in Gewässernamen (Hydronymen) gesehen (Krahe). Es ist inzwischen als indogermanisch erwiesen worden (W.P. Schmid)“. Nach H. Tiefenbach (Bd. 1, S. 777) ist schon unter den ältesten germanischen Namen der Völkerwanderungszeit in lateinischen und griechischen Quellen „bei den Gewässernamen … die sog. alteuropäische Schicht indogermanischer Gewässerwörter mit den typischen Ableitungssuffixen gut erkennbar“. In Österreich gibt es nach P. Wiesinger (Bd. 2, S.1082) Gewässernamen, „von denen eine Reihe zum Typus der ‘alteuropäischen Hydronymie’ gehört“. Auf den Britischen Inseln ist die Situation ähnlich: „A group of river names … often with counterparts or close relatives in England and on the Continent … hints at the presence of speakers of Indo-European  (‘Old European’) in Scotland and in Britain as a whole before the arrival of the Celts …“ (W.F.H. Nicolaisen, Bd. 2, S. 1411). Ein Bereich stützt einen anderen: im Maingebiet liegt nach A. Greule (Bd. 2, S. 1551) „unter der verschwindend geringen Zahl keltischer Namen … die relativ starke Schicht alteuropäischer Namen, die nicht aus einer Einzelsprache erklärbar sind, aber die morphologische Struktur eines indogermanischen Erbworts, das zum Wortfeld der Wasserwörter gehört, haben und entweder in ein Netz wurzel- und strukturverwandter Namen in Europa gehören oder wenigstens mit einem anderen Namen in Europa ein Paar bilden“. Die von W.P. Schmid häufig unterstrichene besondere Position des Baltischen betont auch D. Hirša: „Den archaischen Charakter der baltischen Sprachen bezeugt die Verbreitung der Hydronymie, deren Grundschicht gleichmäßig verbreitet ist und hohe Konzentration der alteuropäischen Hydronymie in sich aufweist” (Bd. 1, S. 817). Auch „im thrakischen Sprachgebiet sind zweifellos Spuren der alteuropäischen Hydronymie erhalten geblieben“ (I. Duridanov, Bd. 1, S. 822).

Besonders auffällig ist der Umschwung in den slavischen Ländern, speziell in Polen, gewesen. Wer weiß, wie vehement vor nur wenigen Jahrzehnten gerade in Polen gegen die These von vorslavischen Gewässernamen zu Felde gezogen wurde (S. Rospond, M. Rudnicki u.a., vgl. Bd. 2, S. 1540,1544f.), kann sich nur wundern, welcher Wandel beobachtet werden kann; so heißt es im Beitrag von K. Rymut über westslavische Namen (S. 805-811): „Es unterliegt keinem Zweifel, daß Eigennamen bereits in der indogermanischen Epoche existierten … Dies trifft insbesondere auf Gewässernamen zu, die große Flüsse bezeichneten …“ (S. 806). Polen besaß sogar einen Vorläufer von H. Krahe, J. Rozwadowski (†1935). Dieser „kam als erster zu der Erkenntnis, daß es unter den alten slawischen GewN eine große Gruppe von Namen gibt, die nicht aus dem Slawischen zu erklären sind, d.h. nicht mit Hilfe nur slawischen Sprachmaterials, sondern daß diese Namen Analogien in den Namen anderer Sprachfamilien (der germanischen, keltischen, griechischen, romanischen, thrakischen usw.) besitzen. Dieses Konzept lag auch, unabhängig von den Ansichten J. Rozwadowskis, der bekannten Hypothese H. Krahes über die sogenannten alteuropäischen GewN zugrunde“ (K. Rymut, Bd. 1, S. 211; vgl. dazu auch J. Udolph, Bd. 2, S. 1541).

Neuere Untersuchungen zeigen, daß Osteuropa für nicht wenige Bereiche des Kontinents von ganz besonderer Bedeutung ist: „Die Aufdeckung und Weiterentwicklung der alteuropäischen Hydronymie … hat auch für die Gewässernamen im slavischen Siedlungsgebiet einige Konsequenzen …: Unter der einzelsprachlichen, slavischen Schicht ist in ganz Osteuropa mit voreinzelsprachlichen, alteuropäischen (idg.) Namen zu rechnen; die besondere Stellung des Baltischen … bringt es mit sich, daß sich als Entsprechungen für westidg. Material … besonders häufig balt. Namen, aber auch alteurop. Relikte im angrenzenden slav. Siedlungsgebiet ausfindig machen lassen. Dadurch ergeben sich neue Interpretationsmöglichkeiten für bisher kaum deutbare Gewässernamen Mittel- und Westeuropas“ (J. Udolph, Bd. 2, S. 1540).

Entgegen diesen doch recht einheitlichen Auffassungen enthalten die hier zu besprechenden Bände aber auch einige wenige Beiträge, die in unterschiedlicher Hinsicht dem Stand der Diskussion um die alteuropäische Hydronymie nicht (mehr) gerecht werden. Dazu zähle ich eine Äußerung wie die folgende: „Der Namenschatz Deutschlands ist nicht einheitlich ‘germanisch’, sondern verteilt sich überwiegend auf verschiedene indoeuropäische … Völker bzw. Kulturen, darunter die Ligurer, Illyrer, Veneter und Kelten. Zwischen ihnen muß es längere Zeitspannen sprachlichen Kontaktes gegeben haben, da eine deutliche Trennung von früh- und vorgermanischen Namen (mit ie. Prägung) nicht jeweils möglich ist“ (H. Menke, Bd. 2, S. 1071). Überholt ist auch die Auffassung desselben Autors, H. Kuhns Nordwestblock decke „sich in etwa mit dem venetisch-belgischen Siedlungsgebiet, das auch die -apa-Namen kennt“ (ebda.). In dieser Form mißverständlich ist der Passus: „Krahes Versuch des Nachweises eines indogermanischen ‘Alteuropäischen’ hielt der seit den ausgehenden 60er Jahren einsetzenden Kritik besonders von Wolfgang Paul Schmid … nicht stand“ (P. Wiesinger, Bd. 2, S. 981). Skepsis, die z.T. überholt ist, zeigt E. Seebolds Meinung (Bd. 1, S. 604), wonach die Zuweisung von Namen zur alteuropäischen Hydronymie unsicher sei: „Während die Existenz eines solchen Systems durch die häufigere Wiederkehr der verwendeten Elemente einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad für sich beanspruchen kann, ist die Erklärung der einzelnen Bildungen in allen Punkten unsicher. Schon die Zuweisung zur indogermanischen Sprachfamilie stößt sich an dem überdurchschnittlich häufig auftretenden a-Vokalismus, und die Verknüpfung mit ‘Wasser-Wörtern’, die möglicherweise in ein frühes Stadium der indogermanischen Sprachen zurückgehen, kann wenig Verbindlichkeit für sich beanspruchen“. Seltsamerweise hat man sich aber bisher an dem a-Vokalismus lateinischer Wörter nicht gestoßen (vgl. W.P. Schmid, Bd. 1, S. 760).

Faßt man die Beiträge zusammen, so wird deutlich, daß es keine andere Theorie gibt, die der Existenz voreinzelsprachlicher Gewässernamen gerechter wird als die der alteuropäischen Hydronymie. Durch sie wird auch klar, daß es bestimmte Bereiche gibt, in denen eine Kontinuität von einer voreinzelsprachlichen (= alteuropäischen, indogermanischen) Namengebung bis hin zu einer einzelsprachlichen Schicht, z.T. jüngerer und jüngster Ausprägung, beobachtet werden kann. Daß diese in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich stark ist, darf nicht verwundern. Dort aber, wo diese Kontinität fehlt, kann und muß ein Bruch in der Besiedlung angenommen werden. Das zeigt sich z.B. überdeutlich in einem Vergleich indianischer Flußnamen in Nordamerika mit denen von Einwanderern gegebenen. Brüche unterschiedlicher Art zeigen sich auch in Bereichen Mitteleuropas; so sind die Verbindungslinien zwischen vorgermanischer und germanischer Namengebung im Bereich zwischen Saale und Elbe wesentlich dünner als zwischen Elbe und Rhein.

Der Überblick über Beiträge zur alteuropäischen Hydronymie zeigt aber auch erneut, wie isoliert die nordische Namenforschung steht. Es soll und kann hier gar nicht entschieden werden, ob es im Norden wirklich keine alteuropäischen Namen gibt (erhebliche Zweifel sind angebracht). Etwas anderes erscheint mir aus nordischer Sicht wichtiger: die bewußte Betonung des „rein germanischen“ Charakters der nordischen Hydronymie führt zu einer Konsequenz, die der skandinavischen Auffassung von der germanischen Heimat im Norden alles andere als dienlich ist: nur ein Bereich, in dessen Namenschatz eine gewisse Kontinuität von alteuropäischer Hydronymie bis zu germanischer Namengebung hin beobachtet werden kann, darf dafür in Anspruch genommen werden. Dieses aber ist mit der Skepsis der skandinavischen Forscher sicher nicht bezweckt worden; vielleicht sollte man dort – wie in Polen geschehen – zu einer Revision der eigenen Auffassung kommen. Eine kritische Sichtung der hier besprochenen Bände aus nordischer Sicht könnte dazu der erste Schritt sein. Th. Anderssons Meinung, wonach „die alteurop. Theorie nicht oder nicht voll akzeptiert worden ist und deswegen eine Neudefinierung verlangt worden ist“, wird durch in den vorliegenden Bänden publizierten Beiträge in keiner Weise bestätigt.

Unsere Durchsicht der beiden Bände (mit Nachdruck sei auf den dritten, überaus hilfreichen Registerband verwiesen) hat an einem Teilbereich gezeigt, daß der Leser anhand der unterschiedlichen Stellungnahmen nicht nur bestens in die Thematik und Problematik onomastischer Untersuchungen eingeführt, sondern auch unmittelbar mit aktuellen Streitfragen konfrontiert wird. Den Herausgebern ist für ihre Mühe nachdrücklich zu danken.

Erschienen in: Namen im Text und Sprachkontakt. K. Hengst gewidmet (= Namenkundliche Informati-onen, Beiheft 20 [Studia Onomastica, 10]), Leipzig 1999, S. 247-266.


I.) Der ON. Magdeburg; historische Belege, bisherige Deutungen

Versucht man, sich über die ursprüngliche Bedeutung des Ortsnamens Magdeburg zu informieren, so wird man schon recht schnell in eine einheitliche Richtung geführt (über eine abweichende, aber bisher nicht zur Kenntnis genommene andere Meinung wird noch zu sprechen sein). Letztlich geht die com-munis opinio auf eine Studie von Karl Bischoff zurück:  „Das Bestimmungswort in Magadoburg ist and. maga?, ahd. magad, got. maga?s ‘Mädchen’“ . Magdeburg bedeutet demnach soviel wie „die geschützte Stätte heidnischer weiblicher Wesen“ (zu den Einzelheiten s.u.).  Ist diese fast allgemein angenommene, für einen Ortsnamen aber – vorsichtig ausgedrückt – ungewöhnliche und für einen Orts-namenforscher, der sich mit niederdeutschen Namen befaßt – ebenfalls vorsichtig ausgedrückt – mehr als zweifelhafte Etymologie wirklich die richtige? Um es vorweg zu nehmen: man konnte zu dieser Deutung nur kommen, weil man den Ortsnamen Magdeburg fast völlig isoliert betrachtet hat. Nur die Unberücksichtigung von zwei Dutzend weiteren Ortsnamen, die mit dem gleichen Bestimmungswort gebildet worden sind, konnte zu dieser, wie ich ausführen möchte, verfehlten Deutung führen. Ich hof-fe, es gelingt mir, dieses im folgenden deutlich zu machen.

Ich beginne mit einer kurzen Übersicht der historischen Belege des Namens und bisheriger Deutungen. Die Überlieferung des Namens  setzt mit der Erwähnung im Diedenhofener Kapitular von 805 ad Ma-gadoburg ein, im 10.Jh. erscheint der Name in den Formen Magadaburg, Magathaburg, Magedeburg, 975 Magedeburc, Magdeburg, Magidiburg, später als Magadeburc, Maegethebrug, Magdiburg, um seit dem 13. Jh. durch Ausstoß des intervokalischen  g  zu Meydeburc, Maidburg und ähnlichen Formen geführt zu werden.  Nach K. Bischoff  „haben wir in Magdeburg im 10. Jh. eine vorherrschende Kanz-leiform Magadaburg, eine seltener überlieferte und wohl auch seltener gebrauchte and. Schreibform Magathaburg und ein sicher mehr der gesprochenen Sprache angehöriges Matheburg …“, nach D. Ber-ger  zeigen die historischen Belege des Ortsnamens „nur lautliche Varianten des ersten Glieds ahd. ma-gad, magid, asächs. magath ‘Jungfrau, Mädchen’“.

Schon früh wurde der ON. als „Burg von (nichtchristlichen) Jungfrauen“ verstanden; es fragt sich nur, ob dieses die zugrundeliegende Bedeutung gewesen ist oder ob es nicht eher eine – allerdings sehr nahe liegende – volksetymologische Umdichtung ist.

Die Diskussion um den ON. Magdeburg erhielt schon früh durch den Vorschlag einer slavischen Deu-tung einen neuen Akzent. Er wurde von W.M.E. Möllenberg  eingebracht und erinnert stark an die kor-rekte slavistische Etymologie von Magdeborn bei Leipzig: Möllenberg sah in Magdeburg slavisches *Medeburu „Honigwald, Honigheide“.

Mit Recht ist diese Deutung auf keine Gegenliebe gestoßen; schon Reccius  wies diese zurück, nach M. Puhle hat dann „Germanist Karl Bischoff 1950 diese Deutung überzeugend widerlegt“,  und auch B. Schwineköper lehnte sie ab.

Alle Genannten bevorzugen eine andere, die bis heute fast allgemein anerkannte Erklärung als „Jung-frauen- oder Mädchenburg“. Sie findet sich schon im 12. Jahrhundert in den Magdeburger Annalen (verfaßt um 1140), die eine Gründungssage enthält, nach der die Stadt von Cäsar gegründet sein soll; wörtlich heißt es dort: „Unter diesen [Städten] gründete er nicht die unbedeutendste zur Ehre der Diana, welche bei den Heiden in thörichtem Wahne für eine Göttin der Jungfräulichkeit gehalten und deshalb von parthenu, was im Griechischen ‘Mädchen’ bedeutet, selbst parthena genannt wurde, – und so be-nannte er die Stadt nach der parthena d.i. Diana Parthenopolis d.i. der Stadt der parthena. Das bezeugt auch der barbarische Name, weil Magdeburg ‘Mädchenstadt’ heißt“.

Der Bogen spannt sich von dieser Fabel bis zur Deutung durch K. Bischoff. Die Interpretation als „Mädchenburg“ wurde auch im Slavischen aufgegriffen: aber schon A. Brückner erkannte , daß „das „ bei Polen und Cechen zuweilen hiefür gebräuchliche dzevin, devin (diewen bei A. Crantzii histor. eccle-siast. 1568 S. 4,5 nach clöden märkische Forschungen III) devcýhrad … eine willkürliche Übersetzung [ist]“.

Nach allgemeiner Ansicht hat K. Bischoff „an Hand einer ausführlich belegten Geschichte des Ortsna-mens nachweisen können, daß dieser eindeutig germanischer Herkunft ist. Ihm liegt das Wort magath zugrunde, das zu einem ekmagadi = Baumelfen der Werdener Prudentiusglossen gestellt werden muß“.  Dabei kann an die Mutter Gottes Maria nicht gedacht werden , denn „es handelt sich um ein Wort der germanisch-heidnischen Begriffswelt“  . In Standardwerken der deutschen Ortsnamenfor-schung heißt es etwa zusammenfassend: „Zweifellos gehört der Name zu altsächs. magath ‘Jungfrau, Magd, Dienerin’. Wohl schon ein mythologischer bzw. kultischer Name aus vorchristlicher Zeit, vgl. altsächs. ?kmagadi ‘Nymphen, Elfen, dienende Naturgeister’ oder ‘Dienerinnen einer Gottheit’ … Je-denfalls ‘die geschützte Stätte heidnischer weiblicher Wesen’“.

Diese Deutung war die Basis für weitere weitreichende Überlegungen. Eine betrifft den mutmaßlich fränkischen Einfluß in der altsächsischen Ortsnamengebung. Basierend auf der Untersuchung von K. Bischoff wurde u.a. ausgeführt: „Um 800 wurde dann dem Namen magad von den christlichen Franken der Namenbestandteil burg angefügt. Einerseits weil der Name magad alleine nicht stehen bleiben konnte, da er der heidnischen Begriffswelt entstammte, andererseits weil die Franken mit diesem Ort eine ältere Siedlungs-, zumindest aber Befestigungstradition verbanden“.  „Die Franken hätten dem-nach, als sie den Ortsnamen erstmalig überlieferten, einen älteren Namen verwendet, der an einer be-siedelten und befestigten Stelle haftete“.

Es muß auch an dieser Stelle betont werden, daß der Einfluß der Franken auf die altsächsische und norddeutsche Ortsnamengebung stark überschätzt worden ist. Eine von mir durchgeführte grundlegende Untersuchung von mehr als fünfzig Ortsnamen, die mutmaßlich von Franken benannt oder zumin-destens fränkischem Einfluß ausgesetzt gewesen sein sollen, hat unter dem Titel „Fränkische Ortsna-men in Niedersachsen?“  den Beweis erbringen können, daß es sich um eine fata morgana handelt: deutlich auf altsächsische und niederdeutsche Herkunft weisende Fakten wie nordseegermanische Züge im Lautstand, Zetazismus, Streuung der entsprechenden Namentypen ausschließlich in Norddeutsch-land, Vokalentwicklungen, die dem Hochdeutschen fremd sind u.a.m. sprechen nachhaltig dafür, dem mutmaßlichen fränkischen Einfluß im niederdeutschen Sprachgebiet zunächst einmal äußerste Skepsis entgegenzubringen.

Die vorgeschlagene Deutung führte zu einer weiteren riskanten Annahme. Durch sie gewinnt nämlich nach B. Schwinekoeper „die bisher als reine Fabelei angesehene Angabe der Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium über die Zerstörung eines sagenhaften Idols der Diana in der Stadt an Gewicht“.

Man sieht erneut, welche Konsequenzen eine Ortsnamendeutung haben kann. Natürlich ist und bleibt dieser angebliche Bericht reine Fabelei, denn er baut natürlich auf der Interpretation des Ortsnamens Magdeburg als „Mägde-, Jungfrauenburg“ auf und läßt darum – modern ausgedrückt – eine „story“ ranken.

Man muß sich daher erneut fragen, ob die allgemein anerkannte Deutung des Ortsnamens Magdeburg wirklich richtig ist. Erhebliche und m.E. völlig berechtigte Zweifel hat schon vor zehn Jahren H. Tie-fenbach vorgebracht, allerdings eine Erklärung vorgelegt, der ich auch nicht folgen kann. Ich will das begründen.

II.) Kritik der bisherigen Deutungen

Mit Recht hat H. Tiefenbach zur Bedeutung der altsächsischen ekmagadi-Glosse, der Basis bisheriger Erklärungsversuche, geäußert: „Die ?kmagadi dokumentieren … die volkssprachliche Auseinanderset-zung mit der antiken Bildungstradition in ottonischer Zeit. Mit germanischer Naturreligion haben sie nichts zu tun; zur Erklärung der Motivation von Magdeburg sind sie untauglich“.  Er erhärtet seine Ablehnung der bisher vorgetragenen Etymologie mit überzeugenden Hinweisen auf die Wortbildung der diskutierten Ortsnamen: nach Überprüfung der Belege kommt er zu dem Schluß, „daß das ur-sprüngliche Bestimmungswort des Ortsnamens kaum das konsonantisch flektierte as. maga? ‘Jungfrau, Mädchen’ sein kann …“.  Seiner Ansicht nach zeigt die 956 belegte Form Magedunburg „eine Form, die als uneigentliches Kompositum mit einem schwachen Femininum als Bestimmungswort aufgefaßt werden kann. Dazu stimmen die Magada-, Magede-Belege als eigentliche Komposita, bei denen (wie häufiger bei Namen) der Bindvokal nicht beseitigt wurde“.  Er vermutet das gleiche Bestimmungswort auch in 1149 Magedevelde, in 1197 Magedon und anderen Ortsnamen und schließt daraus, daß „Mag-deburg auf dem Hintergrund der Namen mit ‘beweglichem –burg’ (so der Terminus von E. Schröder) zu betrachten [ist]“.

Somit sprechen die Formen nach H. Tiefenbach für ein schwaches Femininum as. magatha, das nur in Namen bezeugt ist, das aber auch außeronomastisch nachgewiesen werden kann. Er vermutet es in dem altenglischen femininen n-Stamm mage?e, mæge?e, mæg?e „Kamille“, das auch im Altenglischen zur Bildung von Ortsnamen benutzt wurde, wobei nach H. Tiefenbach „der Typus ‘Kamillenfeld’ in England (Mayfield/Sussex) wie auf dem Kontinent (Magethevelde) in gleicher Weise vertreten ist. Auch der Bannforst Magetheide des Sachsenspiegels wird hier zu nennen sein, dem die Magetheida im D. 64 Heinrichs IV. anzuschließen ist“.  Seine Schlußfolgerung lautet: „Die mit magatha gebildeten Ortsnamen beruhen somit auf einer Stellenbezeichnung im Dativ (wohl Singular) wie in Magedon, die durch Siedlungen bezeichnendes –burg erweitert werden konnten (Magedunburg, auch als uneigentli-ches Kompositum deutbar), oder auf eigentlicher Komposition (Magada-, Magedeburg). Die Verwen-dung als Namenwort geht, wie die englischen Parallelbildungen zeigen, offenbar schon auf die Zeit vor der Abwanderung der Angelsachsen zurück“.  

Somit steht jetzt neben der fast allgemein anerkannten Bedeutung von Magdeburg als „Jungfrauen-, Mädchenburg“ eine „Kamillenburg“. Ich sage ganz offen – zunächst ohne weitere und nähere Begrün-dung -, daß weder das eine noch das andere überzeugt. H. Tiefenbachs Kritik enthält aber mehrere wichtige und m.E. zutreffende Punkte:

1.) die morphologische Analyse spricht gegen eine Verbindung mit asä. magath „Jungfrau, Mädchen“.

2.) im Bestimmungswort scheint ein Wort zu stecken, das vor allem in Namen begegnet und im appel-lativischen Wortschatz nur schwer zu finden ist.

3.) die Verbindungen nach England sind von Bedeutung.

Der entscheidende Fehler beider Etymologisierungsversuche liegt aber darin, daß man es bisher ent-schieden versäumt hat, möglichst alle Ortsnamen heranzuziehen, die im Bestimmungswort das gleiche Element wie im Namen Magdeburg aufweisen. Namenkundliche Standardwerke und H. Tiefenbach zogen nur die Namen Megedefeld und Magetheide heran, H. Tiefenbach weiter auch den 1197 und nur einmal bezeugten ON. Magedon sowie englische Parallelen.

Die Auswahl erfolgte offenbar zur Stützung des eigenen Vorschlags. Schon ein Blick auf den frühesten Beleg eines hier heranzuziehenden Namens läßt die Deutungen mehr als unwahrscheinlich werden: gemeint ist der in den Fuldaer Traditionen (8.-9. Jh.) genannte Gewässer- und Ortsname Magedobrun-no, Magdabrunno (zur Zuordnung s.u.). Er dürfte kaum eine „Jungfrauen-“ oder „Kamillenquelle“ be-zeichnet haben. Unerläßlich ist daher eine Zusammenstellung mutmaßlich verwandter Namen. Erst diese eröffnet in Verbindung mit einer ganz ähnlich gebildeten Namensippe neue Perspektiven. In An-sätzen haben wir diese Gedanken schon an anderer Stelle vorgetragen,  jedoch hat weiteres Material zu einer Ergänzung gezwungen.

III.) Vergleichsnamen

1.) Edeberg, Hügel bei Fegetasche nahe Plön, wo im Mittelalter das Goding (Landgericht) von Wagrien tagte, 1221 (A. 1286) Megedeberge in communi placito, 1264-1289 in Megetheberge, 1466 uppe deme Megedeberge, mua. Edebarch, nach W. Laur  unter Bezug auf K. Bischoff als „Mägdeberg“ aufzufas-sen. Durch falsche Abtrennung und Schwund des intervokalischen /g/ ist aus *tome Megedeberge *tom Medeberg und Edeberg geworden.

2.) 1216 erwähnt: Mactveld, wahrscheinlich Wüstung (oder auch nur Flur) bei Wöltingerode (Kr. Gos-lar).

3.) Nur einmal bezeugt: 1197 in Magedon,  nach O. Dobenecker  in der Nähe von Nohra und Hain-rode östlich Bleicherode zu suchen und mit Madungen, Ackerfläche bei Kirchberg, zu identifizieren.

4.) Magdeburg; hiervon abgeleitet Magdeburgerforth westlich Ziesar.

5.) Mägdehöfft, verschwundene Insel in der Elbe bei Magdeburg, 1646 den Werder in der Elbe, das Mägdehoeft/Heubt genannt, 1668 Mägdehöfft .

6.) Mägdesprung, ON., auch Bergname, bei Harzgerode; auf diesen Ort beziehen sich wahrscheinlich folgende, bisher zu Magdeborn gestellte Belege : 8./9. Jh. circa fontem, qui dicitur Magedobrunno; in loco, qui dicitur Magdabrunno ; 1576 wird der Ort erwähnt als Meidesprungk , 1653 Mägdle-Sprung, 1703 Mägde-Sprung, 1710 Mägde-Sprung .

In dem Namen sieht K. Schulze  – ohne Berücksichtigung der Magedobrunno-, Magdabrunno-Belege –, ein Grundwort sprung „hervorspringender Berg oder Fels“ und weiter einen vorspringenden Mägde-berg, „ein Berg, auf welchem die Holznutzung dienenden Mädchen (mhd. maget, Gen. Plur. megede, kontrahiert megde) überlassen ist.“ H. Größler  vermutet eine Sage als namenauslösenden Faktor, setzt aber hinzu (und das ist für diesen und weitere Magde-, Meg(e)de-Namen von einiger Bedeutung): „Mir [ist] kein Fall bekannt, daß irgendwo Mägden ein Waldteil zur Benutzung zugewiesen worden wäre“. Es ist durchaus unklar, ob im Grundwort dt. Sprung vorliegt; genauso möglich oder vielleicht sogar vorzuziehen ist – wie der Hinweis auf dt. Ursprung bestätigen könnte – ahd. sprung „Quelle“ . Der heute dort auch zu findende Name Magdtrappe oder Mägdetrappe ist jungen Ursprungs .

7.) Maghed Ek, bei Suderburg südwestl. Uelzen vermutet, bezeugt in einem Beleg aus dem Jahr 1339: de holt herscaph tho der maghed ek ; enthält im Grundwort natürlich ndt. ?k „Eiche“.

8.) Magetheide, Teil der Lüneburger Heide (?), im einzelnen nicht mehr ganz sicher zu lokalisieren und zu identifizieren; auch bleibt unklar, ob alle folgenden Belege denselben Bezirk meinten : 1060 (K. Anf. 14.Jh.) in Magetheida, 1387 (K. 17. Jh.) a Megdeheide usque in Vrsinam, 15.Jh. extendit a ma-getheyda usque vrsinam , fraglich ist auch, wie dazu die im Sachsenspiegel erwähnte Magetheide  steht. W. v. Hodenberg  meinte dazu: „Die große Bedeutsamkeit dieser Magetheide geht aus dem Sachsenspiegel hervor, welcher in Sachsen überhaupt nur drei Heiden unter Königsbann stellt, darunter die Magetheide: … Und diß sind drey banförst: der ein ist die heyde zu Köhne, der ander ist der Hartz, der dritt die Magetheyde oder Prettinische heyde“.

Zum Namen sagt Hodenberg:  „Die Bezeichnung Magetheide dürfte abzuleiten sein von magan (ro-bur, vigor), maht (potestas, potentia), mahtig (potens, magnus) … Diese „mächtige“ Heide (in ihrem ganzen Umfange) wird mit der sogenannten ‘Lüneburger Heide’ zusammenfallen“. Weiter erwägt v. Hodenberg auch Herkunft von mähen usw. Hodenbergs Überlegungen kritisierten Alpers-Barenscheer  u.a. mit dem Argument, „große Heide“ (vom Stamme mag) könne nicht vorliegen, „es wäre zu erwar-ten Mecklenheide (bei Hannover)“, auch eine Verbindung zu mähen sei verfehlt; Alpers-Barenscheer bevorzugen „zugemessene Heide“, zu ae. meta = zugemessene Heide und verweisen auf Flurnamen wie Kerkenmate, Maatberg, Maatshoop.

9.) Magetheide, nach Alpers-Barenscheer S. 124 im Kreis Winsen/Luhe bezeugt.

10.) Magetheide, nach Alpers-Barenscheer S. 124 bei Dannenberg bezeugt.

11.) Magetheide, Mark bei Herbern nahe Lüdinghausen

12.) Medebek, Zufluß z. Trave bei Lübeck, 1426 (A. 18. Jh.) in Meghedebeke,  
1428 Meghedebeke, 1494 Megedebek (Narrenschiff),   enthält nach A. Schmitz  und W. Laur  mnd. *M?gedeb?ke „Mädchenbach, Jungfrauenbach“.

13.) Megdebruch, 1669 erwähnter FlurN. für ein Feuchtgebiet zwischen Steinhorst und Grebshorn.

14.) Megedeberg, Hügel bei Hart nahe Sendenhorst, erwähnt 1311: iuxta Zozenstaken, item prope Me-gedeberg latum agellum.

15.) up (under) dem Megedeberge, im 15. u. 16. Jh. erwähnter Flurname in Göttingen-Herberhausen.

16.) Megedeberg (Meideberg), Anhöhe bei Seeburg (Kr. Göttingen), Anf. 17.Jh. Meydebergs-Warte, 1673 die Meydeburgische Warte.

17.) Megedefelde, Wüstung ca. 500 m südlich Rittergut Bennigsen (Kr. Hannover), 969-996 (A. 17. Jh.) Magatha ville, 1149 Magedevelde, 1207-1224 Magethevelde (usw.).

18.) Megedehove, Hufenbezeichnung bei Othfresen, Kr. Goslar, 1288 super quondam manso litonico, que Megedehove dicitur , enthält nach R. Zoder  Magd.

19.) Megedekot, kleine Siedlung (?) bei Rulle (Kr. Osnabrück), 1277 (1276) in villa Rulle … unius case, que Megedekot vocatur .

20.) Megederode, Wüstung unbekannter Lage (bei Ballenhausen oder Groß Schneen, Kr.Göttingen?), 1224  (K.) decimas in Megidiroth (Var. Megideroth), et in Vertzingeroth, (um 1250) in Megederoht, Var. Megederot, Megederoth .

21.) Meghedehop, Anhöhe bei Dötzum (Kr. Hildesheim), 1462-1478 over den Meghedehop by den van Dotsem .

22.) Megetefeld bei Vlotho, 1576 upm Megedevelde .

23.) Meinefeld, ON. bei Stadthagen, 1207-1224 in Magethevelde, 1221 fratribus de Magethevelde, 1244 de Megethevelde .

Fern bleiben u.a. Marienborn bei Helmstedt, denn die Belege aus den Fuldaer Traditionen circa fontem, qui dicitur Magedobrunno und in loco, qui dicitur Magdabrunno gehören nicht hierher.  Die ältesten lauten vielmehr 1191

Mortdal, 1200 (1207?) Mortal, 1204 (Kopie) Morthdal, 1205 Mordele . Ab 1205 setzen dann Belege wie Fons sancte Marie, fontis sancte Marie ein, die von ca. 1346 ab von niederdeutschen Formen wie to sente Marien bornen  abgelöst werden und zum heutigen Magdeborn führen.

Allerdings könnten hier jetzt einige englische Ortsnamen genannt werden, die aber zunächst noch zu-rückgestellt werden sollen.


IV. Eine neue Deutung

Die Heranziehung der über zwanzig Ortsnamen verändert die Ausgangsbasis erheblich. Das Material führt zunächst aus zwei Gründen zur Ablehnung der beiden bisher vorgeschlagenen Etymologien.

1.) Die Grundwörter der vergleichbaren Ortsnamen passen in ihrer Gesamtheit weder zu einem Be-stimmungswort mit der Bedeutung „Magd, Jungfrau“ noch zu „Kamille“. Während man vielleicht noch – z.T. mit einiger Mühe – „Jungfrauenbach“, „Jungfrauenburg“, „Jungfrauenfeld“, „Jungfrauenhof“ akzeptieren mag, überschreitet die Annahme von „Jungfrauenberg“, „Jungfrauenbruch“ und „Jungfrau-eneiche“ das Verständnis erheblich, um bei „Jungfrauenrodung“ und „Jungfrauenheide“ doch wohl auf Ablehnung zu stoßen. Auch ein Ersatz von Jungfrau durch Magd oder ähnliche Wörter verringert die Probleme nicht.

Noch unverständlicher wären Ansätze wie „Kamilleneiche“, „Kamillenkate“, „Kamillenstedt“ oder „Kamillenrodung“.

2.) Die Morphologie der Ortsnamen spricht ebenfalls gegen eine Verbindung mit magath(a) „Magd“ oder magatha „Kamille“. Es empfiehlt sich – durchaus im Einklang mit den Hinweisen von H. Tiefen-bach –, der Kompositionsfuge genauere Aufmerksamkeit zu schenken. Dieses kann natürlich nur bei den ältesten Belegen, die noch Vollvokale ohne Abschwächung enthalten, mit Erfolg versucht werden. Zu berücksichtigen sind vor allem (geordnet nach Genera):

a.) starke Maskulina in 1221 (A. 1286) Megedeberge bzw. 1311 Megedeberg (asä. berg), 1426 (A. 18. Jh.) in Meghedebeke (asä. beki, biki);

b.) schwache Maskulina in 8./9. Jh. circa fontem, qui dicitur Magedobrunno, in loco, qui dicitur Mag-dabrunno (asä. brunno);  

c.) starke Feminina in 805 Magathaburg (usw.) „Magdeburg“; 1060 (Kopie (!) Anf. 14.Jh.) in ma-getheida, aber 1387 (K. 17. Jh.) Megdeheide (asä. hê?(a)); 1288 Megedehove (asä. hô?a „Hufe“);

d.) starke Neutra in 969-996 (A. 17. Jh.) Magatha ville (nach H. Tiefenbach beeinflußt durch benach-bartes villulis und aus –velde und –vilde entwickelt), 1149 Magedevelde (asä. feld), bzw. 1207-1224 in Magethevelde.

Diese Zusammenstellung zeigt, daß im Bestimmungswort kein Substantiv, sondern ein Adjektiv ge-standen hat. Die Varianten Magedobrunno und Magdabrunno lassen dieses besonders deutlich erken-nen. Sie vertreten die beiden möglichen Formen der altsächsischen schwachen Adjektivflexion (mask.) –o und –a. Auch die alten Formen für den ON. Magdeburg sind eindeutig: sie weisen auf einen Ansatz *Magatha-burg und damit auf die ältere Form der schwachen femininen Adjektivflexion.

Die Wahrscheinlichkeit, daß das Bestimmungswort ein Adjektiv enthalten hat, wird auch durch den Vergleich mit Ortsnamen gestützt, bei der unzweifelhaft das germ. Adjektiv mikil- „groß“, bezeugt in got. mikils, asä. mikil, ahd. michil, mihhil, enthalten ist. Eine Gegenüberstellung beider Ortsnamenrei-hen zeigt, daß beide Bestimmungswörter zum großen Teil mit den gleichen Grundwörtern kombiniert worden sind (Tabelle 1).

Ich meine, aus der Analyse schließen zu dürfen, daß der Ortsname Magdeburg und die mit dem glei-chen oder ähnlichen Bestimmungswort gebildeten Namen Magedevelde/Megedefelde, Magetheida, Magedobrunno usw. aus einer Verbindung von Adjektiv + Substantiv bestehen. Es wird zu prüfen sein, wie das vermutete Adjektiv beschaffen gewesen ist, ob es in den germanischen Sprachen noch gefun-den werden kann oder ob es gelingt, es durch den Vergleich mit ähnlichen Wörtern genauer zu bestim-men. Der Versuch wird dadurch erschwert, daß schon sehr früh in den hier behandelten Ortsnamen das „Magd“-Wort eingedrungen ist und dadurch die ursprünglichen Verhältnisse verdeckt worden sind.

Die Suche nach einem Adjektiv führt in Verbindung mit den in den Ortsnamen bezeugten Grundwör-tern Bach, Berg, Bruch, Eiche, Feld, Heide, Höft, Kot, Hof, Rode, Sprung und Stedt zu der Frage: was für ein Bach? Wie beschaffen ist der Berg? Was für eine Eiche? Was für eine Burg? usw.

Die Antwort fällt – vor allem durch den Vergleich mit mikils, meknicht schwer: es dürfte sich um ein in der Bedeutung ähnliches Adjektiv handeln, denn es macht keinerlei Probleme, alle in den Ortsnamen enthaltenen Grundwörter mit einem Adjektiv „groß“ zu kombinieren: ein großer Bach, ein großer Berg, ein großes Bruch, eine große Burg, eine große Eiche, ein großes Feld sind ebenso verständlich wie eine große Heide, ein großer Hof und eine große (starke) Quelle.

-au

-bach/-bek

-berg

-bruch

-burg

-dorf

-ek

-esch

-feld

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Medebek, 1424 in Meghedebeke

Edeberg, 1221 Megedeberge; 1311 prope Megedeberg, †Megederberg

Megdebruch, 1669 Megdebruch

Magdeburg, 805 Magadoburg, später Magathaburg

 

Maghed Ek, 1339 tho der maghed ek

 

1216 in Mactfelde; Megedefelde, 1149 Magedevelde; Megetefeld, 1576 upm Megedevelde, Meinefeld, 1207-1224 Magethefelde

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-au

-bach/-bek

-berg

 

-burg

-dorf

 

-esch

-feld

Michel-au

 

 

Mecklenberg, Michelbach

896 Michelenberch

 

Mecklenburg

Mecklendorf, Micheldorf

 

Meckelesch

Meckelfeld, †Meckelnfeld, Michelfeld

-heide

 -höft

-horst

  -kot

  -hof

 -rode/-riet

-sprung

-sted

-stein

-weg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1060 Maget-heida, 1386 Megdeheide; Magetheide

†Mägdehöfft, 1668 Mägdehöfft

 

Megedekot, 1277 Megedekot

 

Megedehove, 1288 Megedehove

 

Megederode, 1224 in Megidiroth, (um 1250) in Megederoht

Mägdesprung bei Harzgerode, 8./9. Jh. Magedobrunno;  Magdabrunno

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-heide

 

-horst

 

 

-rode/-riet

-sprung

-sted

-stein

-weg

Mecklenheide

 

Mekkelhorst, Mecklenhorst

 

 

Michelrieth, 10.Jh. Michilinrieth

 

Michelstadt, Michelstetten

Michel-stein

Meckelwege

Versuche, hier mit Jungfrauen, Mägden oder der Kamille zu arbeiten, können – so denke ich – angesichts dieser von der Bedeutung her überzeugenden Verbindung nicht überzeugen.

Aber es kam natürlich schon sehr früh zu Umdeutungen und Eindeutungen des „Magd“-Wortes. Als Beweis dafür können Erscheinungen angeführt werden, die den Prozeß noch erkennen lassen. So zeigen die älteren Belege des Flur-namens Mädchenäcker in Salzgitter-Bad (1668 in den Metgen Acker), daß eine volksetymologische Umdeutung einer ursprünglichen genetivischen Fügung mit einem Familiennamen Metge vorliegt ; bei H. Bosse  heißt es: „Namen, deren Sinn nicht mehr verstanden wird, werden im Sprachgebrauch vielfach umgestaltet, so daß neue Wortbildungen hervortreten. Das mnd. mede, mäde, mädland wird in FlN. zu Mädchen … Ich verzeichne hier eine Mädchen Wiese …“. Die gleiche Erscheiung vermutet R. Holsten  in den Flurnamen Mäd-chenbruch und Mädchenmoor. Der wohl bekannteste Fall ist der ON. Magde-born bei Leipzig, der bei Thietmar usw. noch als Medeburu, Medeburun er-scheint, slavischen Ursprungs ist und dt. Magd genauso wenig enthält wie – so meine Überzeugung – Magdeburg.

Es bleibt aber noch eine schon mehrfach angesprochene Aufgabe bestehen: der hier vorgelegte Deutungsversuch verlangt nach einem Adjektiv im Bestim-mungswort. Dieses kann nach bisheriger Kenntnis – das sei vorausgeschickt – in den germanischen Sprachen nicht nachgewiesen werden. Ich möchte aber zeigen, daß man es – selbstverständlich nur bis zu einem gewissen Grade – wahrscheinlich machen kann. Ein Rest an Unsicherheit bleibt bestehen; daran ist kein Zweifel.

Betrachten wir uns nochmals die älteren Belege der behandelten Namen, so wird deutlich, daß diese in der Wurzelsilbe überwiegend –a- enthalten: 805 Magadoburg; 1216 Mactvelde; 149 Magedefelde; 1207-1224 Magethefelde; 1060 Magetheida; 8./9. Jh. Magedobrunno; Magdabrunno. Weiter muß mit einem Dental gerechnet werden, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit darf dieser als -?- bestimmt werden. Wir gewinnen daher relativ sicher eine Grundform *magath-.

Der Blick in die Adjektivbildungen der germanischen Sprachen zeigt, daß Dentalbildungen gerade in einer einer älteren Stufe des Germanischen bezeugt sind ; u.a. haben H. Krahe u. W. Meid  auf entsprechende Bildungen hinge-wiesen, wobei der präsuffixale Vokal unterschiedlich ausfallen kann: -i?a- in ahd. gi-fiderit „gefiedert“ (zu federa „Fieder“), ae. gel?fed „gläubig“ (zu gel?afa „Glaube“), -??a- in ahd. hofer?t „bucklig“ (zu hovar „Buckel“). Beide Varianten passen aber nicht zu einem Ansatz *maga?-. Jedoch liegt eine genaue und in ihrer Struktur und Streuung fast deckungsgleiche Parallele in dt. nackt vor.

Dt. nackt, ahd. na(c)kot, na(c)chet, got. naqa?s, anord. n?kviðr, ae. nacod, næcad, altfries. nakad, naked wird von F. Heidermanns   im Einklang mit bisherigen Vorschlägen auf germ. *nakwad- zurückgeführt. Dieser Ansatz kann auf einer idg. Vorform *nóg?ot- basieren. Es macht keine Mühe, ganz entsprechend das aus den Ortsnamen zu gewinnende *maga?- aus *maghot- zu entwickeln. Zu fragen ist nur, von welcher Basis dieses Adjektiv abgeleitet sein könnte.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man eine Verbindung zu der auch bei den Ortsnamen schon behandelten Sippe um got. mikils, asä. mikil „groß“ usw. herstellen. Diese geht auf einen idg. Ansatz *me?- zurück, dane-ben läßt sich aber auch – allerdings nur im Altindischen – *me?h- gewinnen, das die Basis für germ. *maga?- abgegeben haben kann. Eine Bestätigung für die Richtigkeit der Verbindung kann man unter Umständen in einigen erwei-terten Bildungen sehen, die in den Sippen um germ. *naqa?- „nackt“ wie idg. *meg(h)- „groß“ gleichermaßen auftreten: *naqa?- mit Dentalformans ~ air. mochtae (mit -o-!) „groß“, mkymr. maith „lang, groß“ (*ma?-tio-); *nag-n- mit –n-Formans in altind. nagná-, anord. nakinn, mnd. naken(t) ~ griech. ìÝãáò, ìåãÜëç, ìÝãá (*me?-no      -) „groß“, -n- auch in lat. magnus; hierzu etwa auch heth. nekumant- ~ lat. magmentum „Fleischstücke als Zusatz zum Opfer“?

Vielleicht ist aber die zweite Möglichkeit vorzuziehen. Sie liegt in der gut be-zeugten germ. Sippe um got., ags. magan, dt. mögen, Prät. mag (so auch schon got., asä., ahd.) vor, wozu nicht nur weitere germ. Wörter wie aisl. magn, meg(i)n, ags. mægen „Macht, Hauptsache“, got. mahts, dt. Macht, gestellt werden können, sondern auch aind. maghá- „Macht, Kraft, Reichtum, Gabe“, aksl. mog?, mošti „können, vermögen“, mošt? „Macht, Stärke“ u.a.m. Diese Wortgruppe erfordert einen Ansatz *magh- : *m?gh-  und kann somit prob-lemlos als Grundlage eines germanischen Adjektivs *mag-a?- betrachtet wer-den.

Gleichgültig, welchen Anschluß man wählt, ein germ. Adjektiv *maga?- mit der Bedeutung „groß, stark, kräftig (z.B. von einer Quelle)“ findet in jedem Fall eine befriedigende Basis.

Das vermutete germ. Adjektiv wäre nach diesem Vorschlag im Wortschatz verschwunden oder wurde verdrängt durch mikil/michil und groß/gr?t, hätte aber im Namenschatz Norddeutschlands, u.a. in dem ON Magdeburg als „große Burg“, seine Spuren hinterlassen. Wie rasch ein Adjektiv mit der Bedeutung „groß“, das in Ortsnamen gut faßbar ist, untergehen kann, zeigt gerade got. mikils, asä. mikil, ahd. michil, mihhil, das in den modernen germanischen Sprachen kaum noch nachgewiesen werden kann.

Mit dieser Bemerkung könnte ich diesen Versuch schließen. Es ist jedoch noch ein kurze Behandlung der englischen Ortsnamen, die H. Tiefenbach mit Recht herangezogen hat, angezeigt.

Wie in Deutschland werden in England die Ortsnamen fast übereinstimmend zu dem „Mädchen-, Magd-“Wort engl. maiden, ae. mægden, mæg(e)? ge-stellt. Daneben wird bei einigen wenigen aber auch altenglisch mæg?e „Ka-mille“ herangezogen. Es soll hier nicht bestritten werden, daß einige der fol-genden Ortsnamen eines der beiden Substantive enthalten; einzelne Namen zeigen aber sowohl durch ihre älteren Belege, durch ihre kontinentalen Paralle-len und auch wegen der z.T. ungewöhnlichen Bedeutung (um es vorweg zu nehmen: weder „Mädchenfurt“ noch „Kamillenfurt“ überzeugt“), daß diese Etymologien zumindestens fraglich sind.

In aller Knappheit schließe ich hier eine Zusammenstellung von englischen Ortsnamen an . Mir sind bekannt geworden: Madley, südlich von Birming-ham, im Grundwort l?ah; Maidebury in Cambridge, Grundwort burh; Maiden Down in Devon, Grundwort d?n; Maiden Castle bei Brough (Westmorland), ca. 1540 usw. Mayden Castel(l), „refers to a rectangular Roman fort … near the Roman road over Stainmore … The name … means ‘maidens’ fortification …, occurs several times and usually refers to prehistoric earthworks and fortifica-tions …“ ; Maiden Castle in Cumberland und Dorset; Castle Hill in York (West Riding), früher Maidanecastell; Maiden Castle in Edinburgh, früher auch Castrum Puellarum; Maiden Way, Bezeichnung einer Römerstraße bei Alston (Cumberland), ca. 1179 Maydengathe usw. ; Maidens Bridge in Midd-lesex; Maidenburgh in Essex; Maidencombe in Dorset, Grundwort cumb; Maidencourt in Berkshire, Grundwort cot (vgl. oben unter den dt. Ortsnamen Nr. 19 1277 (1276) Megedekot); Maidenford in Dorset, Grundwort ford; Mai-denhead in Berkshire, 1202 Maideheg, 1241 Maydehuth‘, Maydeheth‘, 1248 Maydehuth, Grundwort h?ð, nach E. Ekwall  „the maidens’ landing-place“, (man beachte die zu verfolgende Entwicklung Maide-h?th > Maiden-head); Maidenwell in Cornwall und Lincolnshire, 1086 Welle, 1212 Maidenwell, „the maidens’ spring“ ; ae. mægðe „Kamille“ liegt nach A.H. Smith vor in Maid-ford (Wiltshire; Grundwort ford), „but difficult to distinguish form mægð“; wella „Quelle, Bach“ wird als Grundwort angenom-men in Maidwell (Norfolk), „perhaps in allusion to ‘fertility’ springs“  und auch in Maidwell (Northamptonshire), 1086 Medewelle, 1198 Maidewell, „the maidens’ spring or stream“ . Geht man wie in Mägdesprung, 8./9. Jh. circa fontem, qui dicitur Magedobrunno; in loco, qui dicitur Magdabrunno (vgl. unter den dt. ON. oben Nr. 6) von einem Adjektiv mit der Bedeutung „groß“ aus, lösen sich die schwierigen semantischen Probleme. Aus England vgl. wei-ter Maidford in Northamptonshire, 1086 Merdeford, 1167 Maideneford, 1200 Meideford, Grundwort ford (Smith II 32), „the maidens’ ford“ ; umstritten ist Maidstone, 10.Jh Mæidesstana, Mæg?an stan, 1086 Meddestane, 11.Jh. Maegdestane, vgl. E. Ekwall : „Probably ‘the maidens’ stone’. One OE form seems to suggest the word mæg?e as the first el., but ‘mayweed stone’ gives no goot meaning. Probably the original form was mæg?a-st?n, which came to be misunderstood“. Weiter ist hinzuweisen auf Mayburgh, 1671 Maburgh usw., ON. bei Askham (Westmorland), bezieht sich auf ein altes Amphithea-ter .

Wie schon eingangs bemerkt wurde, hat H. Tiefenbach aufgrund des engli-schen Materials einen altenglischen femininen n-Stamm mage?e, mæge?e, mæg?e „Kamille“ in die Diskussion um den ON. Magdeburg eingeführt. Die-ses Wort ist nach seinen Ausführungen „auch im Altenglischen zur Bildung von Ortsnamen benutzt worden, wobei der Typus ‘Kamillenfeld’ in England (Mayfield/Sussex) wie auf dem Kontinent (Magethevelde) in gleicher Weise vertreten ist“ . Die englischen Forscher sind sich da gar nicht so sicher. Ae. mægðe „Kamille“ liegt zwar auch nach Smith II 32 in Mayfield in Sussex, ca. 1200, 1248 Magefeud, 1279 Megthefeud, vor, aber es ist „difficult to distingu-ish form mægð“; auch E. Ekwall hat Zweifel : „feld where mæg?e or may-weed grew“. Man vergleiche weiter Maybridge in Worcestershire; Mayford (Surrey), 1212 Maiford, 1230 Maynford, 1236 Mayford, nach E. Ekwall  „No doubt identical with Mæg?eford 955 … (Abingdon, Brk), Ma??eford 931 … (Norton, Gl). This may be ‘maidens’ ford’ (OE mæg?) or ‘ford where may-weed grew’ (OE mæg?e)“; schließlich sind noch zu nennen Maytham (Kent), ca. 1185 Maihaim, 1242 Meyhamme, 1314 Matham, „hamm overgrown with mæg?e or mayweed“ , und Medbury in Bedfordshire.

Trägt man die deutschen wie englischen Ortsnamen auf eine Karte ein, so zeigt die Streuung – völlig unabhängig davon, ob man einer Kombination mit Mäd-chen, Kamille oder groß den Vorzug gibt –, daß sie in Deckung steht zu zahl-reichen anderen Verbreitungen altgermanischer Ortsnamen . Skandinavien und Schleswig-Holstein spielen dabei keine Rolle.




Kommen wir zum Schluß und zum Ortsnamen Magdeburg zurück. Der Dich-ter Peter Lotichius schreibt im 16. Jahrhundert in einer lateinischen Elegie, die er an seinen Freund Marcus Eridanus richtete, über die Bedeutung des Namens:

Wie ist der uralten Stadt am kräuternährenden Elbstrom,

Die nach der Jungfrauen heißt, treffend ihr Name gewählt!

Da sie der Mädchen so viel von lieblichem Antlitz, o Marcus,

wenn auch entstammt nur dem Blut mittlerer Stände, besitzt.

Diese Deutung bleibt eine Fabel. Ich würde die bisherige Erklärung „geschütz-te Stätte heidnischer weiblicher Wesen“ bzw. „Kamillenburg“ oder derglei-chen, die für einen Ortsnamen sowieso mehr als ungewöhnlich ist, ersetzen wollen durch „große Burg“, oder besser „große Stadt“ (altsächsisch borg be-deutet „Burg, Stadt“), eine – zugegeben – recht profane Erklärung, die aber in bezug auf Ortsnamen mit Sicherheit zu bevorzugen ist.

In Auszügen erschienen als:
„Bei den Siedlern am Hang“. Die Bedeutung der Namen Heldra und Heldrastein, in: Das Werraland 51(1999), H. 1, S. 4-6.

Die ungewöhnliche und exponierte Lage des Heldrasteins hat ihm nicht zu Unrecht den Beinamen “Krone des Werratales” eingebracht . Die Beschreibung der wie eine Mauer wirkenden Felswand zeigt auch dem Unkundigen, daß es sich um eine außergewöhnliche Erhebung handelt: “ … ein 500 m hoher, markanter Muschelkalkklotz mit beinahe waagerecht verlaufender Deckfläche und Hangkante sowie einer fast 2000 Meter langen, steilen, bis zu 62 Meter senkrecht abfallenden Felswand, dem gewaltigen Absturz einer flach nach Südwest geneigten Hochfläche” .
Es fragt sich, ob diese ungewöhnliche Gestalt nicht auch den Namengebern des Berges ins Auge sprang und Anlaß für die Benennung gewesen ist. Eine Überprüfung bisheriger Deutungen führte in Verbindung mit neueren Arbeiten nord- und mitteldeutscher Namen zu einem Gedanken, der in einer Anmerkung des Beitrages von H. Weigel und W. Ernst (s. Anm. 1) bereits angeführt wurde, hier und im folgenden aber weiter und genauer ausgearbeitet werden soll.
Die Behandlung eines geographischen Namens und dessen Etymologie verlangt zunächst nach einer möglichst genauen Auflistung der historischen Belege des Objektes. Diese zeigen nicht selten Veränderungen des Namens, die für eine zufriedenstellende Erklärung unerläßlich sind. Zwar ist die Lautgeschichte eines Namens eingebunden in diejenige des am Ort gesprochenen Dialektes, aber immer wieder kommt es zu Umdeutungen eines Namens, indem die Sprecher diesem einen neuen Sinn geben, zumeist dann, wenn die alte Bedeutung verblaßt ist und nicht mehr verstanden wird.
Es liegt im Phänomen der Veränderlichkeit der Sprachen, daß sich der Wortschatz einer Sprache, einer Sprachgruppe wandelt. Einzelne Wörter werden irgendwann durch andere ersetzt und verschwinden. Dies bedeutet nicht selten, daß das Wort in der lebenden Sprache nicht mehr verwendet wird und nur noch aus Texten, Wörterbüchern und schriftlichen Aufzeichnungen gewonnen werden kann. Mit diesem Prozeß geht einher, daß Wörter in ihrer Verwendung eingeschränkt sein können und nicht mehr von allen Sprechern benutzt werden. So verwendet man heute zum großen Teil Pferd für Roß, Insel für Eiland, ehrlich, rein für lauter usw. Roß, Eiland, lauter wirken heute antiquiert oder gehoben, waren aber einmal Bestandteil des allgemeinen Sprachgebrauchs.
Die Faszination der Ortsnamen liegt darin, daß gerade sie alte Wörter enthalten, die ein moderner Sprecher nicht mehr benutzt und daher auch nicht erkennt. So enthalten Namen wie Lauterbach ein altes Wort für “sauber, rein”, noch faßbar in dt. geläutert, ein lauterer Charakter. Zusammenfassend gesagt: Wörter verschwinden aus der Sprache. Aber sie leben oft in den Orts-, Flur- und Flußnamen weiter.
Der Ortsname Heldra ist wie folgt überliefert:
876 (K. 10.Jh.) Heldron (K. Andrießen, Siedlungsnamen in Hessen. Verbreitung und Entfaltung bis 1200, Marburg 1990, S.  242 nach Monumenta Germaniae Historica, Diplomata Ludwig d. Dt. Nr. 170)
1365 Heldern (H.B. Wencks Hessische Landesgeschichte, Bd. 2, Frankfurt-Leipzig 1789, S. 426)
14.Jh. zcu Helder (Weisthümer. Gesammelt von J. Grimm, Bd. 3, Göttingen 1842, S. 324)
1613 Heldra (K.G. Bruchmann, Der Kreis Eschwege, Marburg 1931, S. 149)

Der Flußname Heldra(-Bach) ist in alten Quellen offenbar nicht bezeugt , jedoch ist von dem Flußnamen wohl eine in der Nähe liegende Wüstung Helderbach benannt worden .

Sie erscheint wie folgt in älteren Urkunden:
1081 (F. 11. Jh.) Helderbach (K. Andrießen, Siedlungsnamen in Hessen. Verbreitung und Entfaltung bis 1200, Marburg 1990, S. 181 nach Mainzer Urkundenbuch, Bd. I Nr. 358)
1365 Helderbeche (Reimer, Hist. Ortslexikon S. 220 nach Wenck, Hess. Landesgeschichte, Bd. 3, S. 213)
1778 Hellersbach (Reimer, Hist. Ortslexikon S. 220)

Der Flurname Heldrastein ist wie folgt bezeugt:
Anf. 16.Jh. supra lapidem dictum Heldestein (K.G. Bruchmann, Der Kreis Eschwege, Marburg 1931, S. 131)
1574 am Hellerstein (K.G. Bruchmann, Der Kreis Eschwege, Marburg 1931, S. 137)
1613 des Hellersteins (K.G. Bruchmann, Der Kreis Eschwege, Marburg 1931, S. 150)
um 1745 auf den Hellerstein (K.G. Bruchmann, Der Kreis Eschwege, Marburg 1931, S. 155)
Weitere Flurnamen bietet W. Arnold (s.u.).

Es ist unverkennbar, daß Orts-, Fluß-, Wüstungs- und Flurname miteinander verbunden sind und letztlich auf eine einzige Bezeichnung zurückgehen. An diese sind die Zusätze -bach und -stein hinzugeteten. Die Deutung muß daher von einer Form Heldra o.ä. ausgehen. Zur alten Ortsnamenform Heldron s. unten.

Bisherige Deutungen verbanden den Namen gern mit dem Wort für Holunder, so schon W. Arnold : “Heldra bei Wanfried …: zu hol(un)tar sambucus”. Er fährt fort: “Daselbst *Helderbach … Die Localnamen haben abwechselnd Heller und Holler: Hellerlache Wiesen bei Heldra, Hellerstein daselbst, Hellersbach Feldort bei Unterngeis, Hellersgrund Wiesen bei Harmerz, der Hellrich Feld und Holz bei Völzberg; daneben Holler, Hollerberg, Hollerborn, Hollerfeld …”.
Arnolds Vorschlag ist – allerdings ohne es zu erwähnen – E. Schröder, Deutsche Namenkunde, 2. Aufl., Göttingen 1944, S. 185 gefolgt. Bei der Behandlung der Ortsnamen Hessens kommt er auf Namen mit ursprünglichem -tar zu sprechen, worin ein altes Wort für “Baum” steckt (noch zu erkennen in dt. Holunder, engl. tree und auch verwandt mit dt. Teer). Für Heldra nimmt Schröder wie Arnold Herkunft vom Holunder an. Gleiches vermutet K. Andrießen  für den Wüstungsnamen Helderbach.

Gegen diesen Vorschlag hatte sich schon – mit Recht – A. Werneburg ausgesprochen  und ausgeführt: “Arnold … leitet [ihn] von ahd. hol(un)tar – sambucus ab, indem er meint, Heller und Holler seien gleichbedeutend. Dem kann ich aber schon deshalb nicht beistimmen, weil das Wort nicht Hellron, sondern Heldron lautet. Meines Erachtens kommt hier das alte Haltaere, Helder … in Betracht, im Sinne von ‘Hirt’, so dass Heldra als ‘Hirtenwohnung’ zu deuten wäre”.

Einen ganz anderen Weg schlug auch der Altmeister der deutschen Namenforschung, Ernst Förstemann , ein. Er stellte Heldra zusammen mit Helda, Hilden (alt Heldein, Helede, Heldene), Heldrungen und anderen zu niederländisch helde, helle “Abhang, Hügel, schräge Fläche, Kuhle, Tiefe”, mittelniederdeutsch helle “abhängiges Land”, althochdeutsch halda “die Halde”, ahd. hald “geneigt”, ein Wort, das schon im Gotischen (4. Jh. n. Chr.) als -halþei, z.B. in wilja-halþeis “Zuneigung” bezeugt ist. Dazu gehört auch die dt. Sippe (mit einer Bedeutungsveränderung) um hold, Huld, huldvoll usw., eigentlich “(zu)geneigt”.

Diesem Vorschlag folgte H. Walther . Er sieht in dem Namen Heldra eine ähnliche Bildung wie in dem Ortsnamen Heldrungen südöstlich Bad Frankenhausen, 876 Heltrunga, 1004 Haldrungin, der neben dem Ortsnamen Oberheldrungen auch den Flußnamen Helderbach neben sich hat.
Bevor ich E. Förstemanns und H. Walthers Erklärungsvorschlag aufgreife, seien einige ergänzende Belege und ältere Deutungen für diese thüringischen Namen genannt: während vom Flußnamen keine älteren Formen bezeugt zu sein scheinen , ist der ON. Heldrungen auch außer den von H. Walther genannten beiden Belegen gut bezeugt : 1128 Heldorongon, 1143 Helderingen, 1169 Heldrungen, 1186 Helderungen, 1197 Heldrungin, 1197 Halderunge, 1199/1233 Heldrunch, 1202 Haldrungen, (1203) Heldrugin, 1266 Hildrung, 1310 Helderingen, 1365 Helderunge, 1365 Heldrungen, 1395 Heldunghen, 1399 Helderungen, 1413 Heldrunghen, 1419 dem van Heldrungen. E. Ulbricht  und F. Witt  sehen in dem Namen wie andere oben bei Heldra den Holunder.
Entgegen den Auffassungen von Arnold, Schröder, Ulbricht, Witt und Andrießen können die Namen nicht mit der Holunder-Bezeichnung verbunden werden. Werneburg hatte völlig recht, wenn er auf die Diskrepanz zwischen den Held-Belegen der Namen und der Lautform Holun- in dem Pflanzenwort hingewiesen hat. Letzteres geht wohl auf eine Vorform *Holun-/Hulun- zurück und kann unmöglich mit Namen verbunden werden, die in der Wurzelsilbe ständig ein -e- (Heldra) aufweisen.

Nicht zuletzt deshalb hat H. Walther, zu dessen Auffassung wir jetzt zurückkommen können, in Nachfolge von E. Förstemann, eine ganz andere und durchaus überzeugende Etymologie (die ich nur in einigen Kleinigkeiten korrigieren möchte) vorgeschlagen. Er führt unter der Rubrik -r-Bildungen neben Heldra auch Heldrungen auf und schreibt dort knapp: “germ. *Haldira, *Heldara, zu ahd. halda, helde ‘Bergabhang’” . Weiter verweist er auf den Flußnamen Haller, Nebenfluß der Leine bei Springe (Deister), da 1304/24 als Halder belegt, sowie auf den von dem Fluß abgeleiteten Ortsnamen Hallermunt. Hierzu sind einige Anmerkungen zu machen.
Zum einen muß der Flußname Haller fern bleiben. Zwar steckt dieser durchaus in dem Ortsnamen Hallermunt  wie auch in dem Ortsnamen Springe, vor 1007 (A. 15. Jh.) usque Helereisprig, 1255 Halresprige usw., erst später Springe , aber der von H. Walther für die Deutung herangezogene Beleg von 1304-24 Halder steht völlig isoliert gegenüber den Formen Helere, Halleram, halram usw. Der Name ist anderer Herkunft .

Zum zweiten: die mutmaßliche Grundform für Heldra dürfte *Haldira gelautet haben, kaum *Heldara. Die überzeugende Verknüpfung des Namens mit ahd. halda, mhd. Halde, dt. Halde führt zu dessen Grundform, die am ehesten als germanisch *halþa- anzusetzen ist. Von hieraus kann der Wechsel des Stammvokals (Heldra gegenüber Halde) nur durch ein folgendes -i- erklärt werden (sogenannter Umlaut, vgl. Gast < germ. *gasta-, aber Gäste < germ. *gasti-). Nimmt man Namen wie Haldungen hinzu , wo -ung- ebenfalls an Hald- angetreten ist, so wird es sehr wahrscheinlich, daß Heldra aus *Haldira entstanden ist.
Mit H. Walther enthält dieser Name ein -r-Element (sprachwissenschaftlich: -r-Suffix). Wörter und Namen, die dieses enthalten, gehören zur frühesten Namenschicht germanischer Stämme, da das einfache Element -r- in späteret Zeit nicht mehr in der Sprache lebendig war und damit auch keine Namen mehr gebildet werden konnten.
In einer ausführlichen Studie ist dieser Bildung vor wenigen Jahren nachgegangen worden . Es ließen sich ca. 100 Namen aus Nord- und Mitteldeutschland, den Niederlanden, Belgien und dem Nordosten Frankreichs gewinnen [vgl. Karte 1, hier einfügen], darunter etwa Artern bei Sangerhausen, 9.Jh. (Aratora, Latinisierung), 1136 de Artera; Atter bei Osnabrück; Badra, Blender, Deter, Diever, Dinker, Drüber, Eimer, Engern, Emmer, Groß-, Klein-Fahner bei Langensalza, 876 Uuanari item Uanari, in Nord-uanare; Fehmarn, < *Fimber; Freren (alt Friduren), Gitter (OT. von Salzgitter), Gummer, Halver, Heger, Höxter, 822 Huxori, 823 Huxori, Iber, Ihren, Kelbra, Langern, Lecker, Letter, Levern, Limmer (OT. von Hannover), Lüdern, Mahner, Mehler, Bad Münder, Nebra, Netra, Ölber, Ölper, Örner, Reiser, Rümmer, Salder, Schieder, Schlutter, Schwemmer, Secker, Sinthern, Sitter, Söhre, Steder, Stemmern, Welver, Wetter.

Diese Namen enthalten im ersten Teil, also vor dem -r-, fast immer einen Hinweis auf die Geographie, die Landschaft, Senken und Tiefen des Geländes usw. Der Mensch oder dessen Tätigkeit erscheint bei ihnen noch nicht. Es sind im Grunde genommen alte Flurnamen. So auch bei Heldra. Es liegt ein germanischer Name *Hald-ira vor, der am ehesten als “Abhangstelle, abschüssige Stelle, Kante” verstanden werden kann. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dabei der Heldrastein Anlaß der Namengebung gewesen: er hieß zunächst *Haldira, entwickelte sich sprachlich völlig im Einklang mit der Lautgeschichte zu Heldra und übergab seinen Namen dann dem Ort Heldra, dem Bach (mit dem Zusatz -bach), etlichen Flurnamen, um dann selbst später den Zusatz -stein zu erhalten.

Daß der Ort seinen Namen vom Felsblock erhielt, zeigt auch dessen ältester Beleg Heldron. Darin steckt ein alter Dativ Plural auf ursprünglich -un, also etwa *Haldirun. Der Dativ ist in alten germanischen Ortsnamen der typische Lokalkasus, er kann in unserem Fall ursprünglich bedeutet haben “bei den Siedlern am Hang”. Mit Sicherheit abzulehnen ist der Vorschlag von A. Werneburg , der an ein altes Hirtenwort denkt und daher eine “Hirtenwohnung” vorschlägt.

Lfg. 3:

Die erste Doppellieferung des Werkes wurde in dieser Zeitschrift, Bd.  50(1990), S. 219-221 besprochen. Die vorliegende Lieferung enthält den Schlußteil des 5. Abschnittes „Die ON. als sprachliche Gebilde“ (S. 161-217), Teil 6 „Semantik in der Toponymie“ (S. 218-229) und einen Teil des 7. Abschnittes „Geographische Namen unbesiedelter Gebiete“ (S. 230-240). Über Methoden und Zielsetzung des Kompendiums habe ich in der oben erwähnten Rezension bereits gehandelt. Es fragt sich, ob die nun vorliegende dritte Lieferung des an und für sich zu begrüßenden Werkes ähnlich kritisch zu beurteilen ist.

Teil V (Die ON. als sprachlichen Gebilde) (S. 161-217) enthält in seinen Schlußkapiteln Bemerkungen zur phonetischen Terminologie (S. 167-174), in der Begriffe wie Assimilation, Dispalatalisation, Epenthese, Hyperkorrektur usw. anhand von Beispielen aus der Toponymie erklärt werden.

Teil B hat die Formenlehre der Ortsnamen zum Inhalt (S. 174-188), diskutiert wird die Flexion der Ortsnamen, darunter die umstrittene Beurteilung der altèechischen -as-Formen Dolas, Topolas usw. (S. 176ff.), die  Deklination der Toponyme (S. 184f.) und andere, damit zusammenhängenden Fragen.

Der folgende Abschnitt C mit dem Titel „Zur Wortbildung der slaw. ON.“ (S. 188-208) ist naturgemäß vor allem der in den slavischen Sprachen vorherrschenden Suffigierung gewidmet.

Syntaktisches in den ON. enthält Abschnitt D (S. 206-208). Behandelt wird u.a. die Substantivierung syntaktischer Wendungen, etwa in dem slav. ON. Niemaschkleba, man vergleiche hdt. Siehdichfür, ndt. Südekum.

Teil E hat die Lexikologie der ON. zum Thema(S. 208-217) und enthält Bemerkungen zu dem in den ON. enthaltenen Wortschatz, dem „Asyl der verblassenden Sprachaltertümer“ oder „Friedhof der Wörter“. In diesem für die Frage der Abgrenzung slavischer Namen von vor- und nichtslavischem Wortgut wichtigen Punkt sind etliche schwere Fehler enthalten, u.a. bei der Beurteilung von G³omia, £eba, Radêca, Radunia und *modla. Das liegt vor allem an der Überbetonung des slavischen Elementes und der fehlenden Be-rücksichtigung außerslavischer Vergleichsnamen der ungenügenden Einbindung in indogermanisch-alteuropäische Zusammenhänge.

Teil VI ist der „Semantik in der Toponymie“ gewidmet (S. 218-229), im einzelnen werden Benennungsmotive, Bedeutungsentwicklung und Gedenk-namen sowie ON. als Spiegel der Kulturgeschichte behandelt.

Teil VII (S. 230ff.) befaßt sich mit den geographischen Namen unbesiedelter Gebiete, die vorliegende Lieferung enthält aber nur eine ersten Abschnitt zur Hydronymie, dessen Umfang unklar bleibt. Mit Recht wird auf das hohe Alter der Gewässernamen und die entscheidende Rolle bei der Lösung ethnologischer Probleme hingewiesen (S. 230). Die von Rospond ge-forderte Aufarbeitung der Hydronymie der slavischen Länder hat inzwischen nicht unbeträchtliche Fortschritte gemacht (der Band gibt kaum den Bearbeitungsstand von 1992 oder zwei bis drei Jahre davor wieder). So wird der Gewässernamenbestand Polens durch die von W.P. Schmid herausgegebene Hydronymia Europaea systematisch aufgearbeitet (bisher elf Bände einschließ-lich eines Sonderbandes zu den baltischen Ortsnamen Ostpreußens), wodurch auch Gerullis’ bekannte Arbeit über die baltischen Namen dieses Gebietes (1922) ersetzt werden wird. Die auf den wichtigsten slavischen Wasserwörtern basierenden slavischen Namen sowie vorslavische Hydronyme Polens hat der Rezensent in zwei Monographien (1979, 1990) behandelt, darunter die wichtigsten Namen Polens wie Oder, Neiße, Weichsel, San, Warthe, Bzura, Noteæ u.a.m., deren Einbettung in die alteuropäische Hydronymie besser gelingt als vielfach angenommen. Ihre immer wieder (M. Rudnicki, S. Rospond) vorgeschlagene slavische Herkunft ist ebenso abzulehnen wie der entsprechende Versuch in den Fällen von Brandenburg und Mecklenburg (S. 198).

Nicht nur die Bemerkungen zur Hydronymie müssen durch neuere Arbeiten ergänzt werden. Auch in anderen Punkten kann – was angesichts der sich entwickelnden Onomastik nicht verwunderlich ist – auf neuere Publikationen verwiesen werden. So hat M. Vasmers Studie zu den slavischen Namen in Griechenland wichtige Ergänzungen in der Untersuchung von Ph. Malingoudis, Studien zu den slavischen Ortsnamen Griechenlands. 1. Slavische Flurnamen aus der messenischen Mani, Mainz-Wiesbaden 1981, erfahren. Zu den slavischen (und ungarischen) Dienstsiedlungsnamen (S. 181) ist auf das Buch von Ch. Lübke, Arbeit und Wirtschaft im östlichen Europa. Die Spezialisierung menschlicher Tätigkeit im Spiegel der hochmittelalterlichen Toponymie in den Herrschaftsge¬bieten von Piasten, Pøemysliden und Arpaden, Stuttgart 1991, zu verweisen. Für Fragen der Slavisierung vorslavischer Hydronyme auf dem Balkan ist G. Schramm, Eroberer und Eingesessene, Stuttgart 1981, heranzuziehen.

Rosponds Handbuch ist zweifellos von Nutzen für den eine erste Orientierung Suchenden, wichtig sind vor allem die Literaturhinweise. Mängel sehe ich nach wie vor in den Fragen der Beurteilung dessen, was man als urslavische Toponyme ansehen kann, da hier die proslavische Tendenz unverkennbar ist. Das gilt vor allem für den Bereich zwischen Oder und Weichsel. Nur eine wertfrei arbeitende Onomastik wird den ihr zukommenden Platz auch in der Slavistik einnehmen können.

Lfg. 4-5:

Die ersten Lieferungen des Werkes wurden in dieser Zeitschrift, Bd.  50(1990), S. 219-221 und 54(1994), S. 178-179 besprochen. Mit der vorliegenden 4. und 5. Lieferung wird die Arbeit abgeschlossen (allerdings findet sich auf S. 270 ein Hinweis auf „beigelegte Karten“ im Anhang; dieser scheint noch zu fehlen). Sie enthält den Schlußteil des 7. Abschnittes „Geographische Namen unbesiedelter Gebiete“ (S. 241-254) sowie VIII. Die Ortsnamen als siedlungsgeschichtliche Gebilde (S. 254-273), IX. Die Ortsnamen in ihrer stratigraphischen Staffelung (S. 274-299), X. Die Ortsnamen in ihrer chronologischen Schichtung (S. 300-307), XI. Die slawischen Ortsnamen in ihrer soziologischen Schichtung (S. 308-314), XII. Die Ortsnamen in ihrer landschaftlichen Schichtung (S. 315), XIII. Literarische Onomastik (S. 316-322) und XIV. Die slawische Ortsnamenforschung im Dienste der Sprachwissenschaft und anderer Disziplinen (zusammenfassende Gesichtspunkte) (S. 323-325). Ein Verzeichnis der Abkürzungen (S. 326-329), der behandelten Namen (S. 331-387) und der zitierten Autoren (S. 388[falsch auf der Umschlagseite: S. 338]-404) beschließen die Lieferung und das Gesamtwerk.

Über Methoden und Zielsetzung des Werkes habe ich in den oben erwähnten Rezensionen bereits gehandelt; zahlreiche Druckfehler und stilistische Probleme habe ich stillschweigend übergangen. Wichtiger ist der Gehalt der Arbeit, vor allem für die benachbarten und verwandten Disziplinen.

Vor einer zusammenfassenden Wertung sei noch auf einige wichtige Einzelheiten eingegangen. Mit Recht hat S. Rospond ein Wort von J. Grimm aufgegriffen, der die Kontinuität der Geschichte betont hat: „Niemals, wo europäische Geschichte beginnt, hebt sie ganz von frischem an, sondern setzt immer lange dunkle Zeiten voraus, durch welche ihr eine frühere Welt verknüpft wird“ (S. 257). Für die Frage altslavischer Siedlungsgebiete, der Urheimat und ersten Ausbreitung der Slaven heißt dieses: slavische Gewässernamen müssen auf einem indogermanisch-alteuropäischen Substrat aufbauen und innerhalb der slavischen Namen des ältesten Siedlungsgebietes sind unterschiedlich alte Namentypen zu erwarten. Auch in der mutmaßlichen slavischen Heimat sind somit vorslavische Gewässernamen zu erwarten.

Auch unter diesem Aspekt kann die von T. Lehr-Sp³awiñski ausgearbeitete und von S. Rospond übernommene These von zwei urslavischen Zonen (zumeist A und B genannt; S. 258f., nochmals aufgegriffen S. 295) nicht überzeugen. Das sich dadurch herauskristallisierende Gebiet zwischen Oder und Dnjepr ist viel zu groß, als daß es als slavisches Kerngebiet in Frage käme. Es kommt vielmehr darauf an, die Kontinuität von indogermanischer Namengebung über ur- und frühslavische Hydro- und Toponyme herauszuarbeiten. Dabei sollte man eigentlich auch Beweise für die sogenannte balto-slavische Sprachgemeinschaft finden (S. 259f.), jedoch spricht keiner der dafür genannten Namen, etwa Bug, Wilia, Minia, Upa, Vop’, Luèesa, für die Annahme dieser These. Aber auch mutmaßliche germanische Flußnamen in Polen wie Skrwa, Tanew, Pe³tew (S. 260f.) sind heute anders zu betrachten. Wie so viele alte Namen finden sie in der alteuropäischen Hydronymie ihren Platz und ihre Erklärung. Auch „venetische“ Namen (S. 262f.) und illyrische Relikte (S. 263f.) können dort eingeordnet werden.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die slavische Namenforschung noch wichtige Aufgaben vor sich hat, die sie nur in enger Verbindung mit Untersuchungen aus dem Bereich der Germanistik, Baltistik, Iranistik und Indogermanistik zufriedenstellend lösen wird. Die Einbeziehung der alteuropäischen Hydronymie ist dabei von entscheidender Bedeutung. Auf gewässernamenkundlichem Gebiet wird dabei Grundlegendes in der von W.P. Schmid herausgegebenen Reihe Hydronymia Europaea geleistet. Zu begrüßen ist auch die einsetzende intensive Aufarbeitung der Ortsnamen Polens (Nazwy miejscowe Polski, Bd. 1 (A-B), Red. K. Rymut, Kraków 1996).

Versucht man unter diesem Aspekt (in dem allerdings schon neuere Strömungen eingeflossen sind, die S. Rospond zu seinen Lebzeiten nur in Ansätzen registrieren konnte), den Stellenwert der Slawischen Namenkunde S. Rosponds zu erfassen, so ist in erster Linie die auch schon in den bisherigen Besprechungen angesprochene Überbetonung des slavischen Elementes zu kritisieren. Dadurch fehlt es an ausreichender Berücksichtigung außerslavischer Vergleichsnamen, und die Einbindung in indogermanisch-alteuropäische Zusammenhänge gelingt nur in geringem Maße. Gerade durch die Verkettung und Vernetzung altslavischer Gewässernamen mit dem Substrat der alteuropäischen Hydronymie haben sich aber in jüngerer Zeit immer deutlichere Hinweise auf das Gebiet altslavischer Siedlung und erste Expansionen ergeben.

Abgesehen von diesem für die slavische Frühzeit wichtigsten Punkt und abgesehen von der auch bei Siedlungs- und Flurnamen immer wieder durchscheinenden proslavischen Tendenz liegt mit der Slawischen Namenkunde von S. Rospond aber immerhin ein Hilfsmittel vor, daß trotz stilistischer Mängel seinen Wert hat. Vor allem als Wegweister durch die (ältere) slavische onomastische Literatur wird es zukünftig auch gute Dienste leisten.
 

Erschienen in: Ural-Altaische Jahrbücher, Neue Folge 15(1997/98)[1999], S. 90-106.

Das hohe Alter der Gewässernamen sowie deren Bedeutung für die Untersuchung der Siedlungsgeschichte eines Gebietes ist schon lange bekannt. So heißt es schon bei G.W. Leibniz : „Et je dis en passant que les noms de rivieres, estant ordinairement venus de la plux mieux le vieux langageet les anciens habitans, c’est pourquoy ils meriteroient une recherche particulaire“.

Die wissenschaftliche Diskussion hat aber erst in den letzten Jahrzehnten durch die Untersuchungen von Hans Krahe  und W.P. Schmid  zur alteuropäischen Hydronymie einen Stand erreicht, von dem aus Fragen der Vor- und Frühgeschichte Europas mit Hilfe der Hydronymie erfolgversprechender behandelt werden kann. Der Onomastik wird nach meiner Einschätzung heute alles in allem mehr Vertrauen entgegen gebracht als früher; es ist allerdings auch ein Gebiet, das bedingt durch die Notwendigkeit großer Sammlungen Zeit und intensive Arbeit erfordert, bevor man zu gesicherten Aussagen gelangt.

Für Pannonien lassen sich auch ohne gewässernamenkundliche Studien mehrere Bevölkerungsschichten ansetzen; abgesehen von einem äußerst fraglichen vor¬indogermanischen Substrat werden – um nur bei den relativ sicheren Ethnien zu bleiben –  eine Besiedlung durch indogermanische Stämme, Slaven und Ungarn angenommen.

Während man den Einbruch der Ungarn als selbstverständlich akzeptiert, ist die Frage, ob die slavische Bevölkerung in Pannonien als autochthon ansehen soll, in letzter Zeit angezweifelt worden. Wir werden darauf zurückkommen.

Die Landnahme der Ungarn hat selbstverständlich auch in der Hydronymie Pannoniens ihre Spuren hinterlassen. Dabei verstehe ich Pannonien als das Gebiet zwischen Donau im Norden und Osten, Drau im Süden und den Ausläufern der Ostalpen im Westen. Dabei sind die ungarischen Spuren in der Hydronymie als die der jüngsten Schicht in den Namen Pannoniens im allgemeinen relativ leicht zu erkennen. Ihre Benennungsmotive differieren nicht von denen in anderen Sprachen, etwa in den indogermanischen. Der Fluß, sein Wasser, dessen Farbe und Aussehen oder Geschmack, der Bewuchs am Ufer und die dort lebenden Tiere gaben den Ausschlag für die Namengebung.

Ungarische Namen bieten etymologisch im Vergleich zu allen anderen die geringsten etymologischen Schwierigkeiten, sie sind im allgemeinen recht durchsichtig, wie eine kleine Auswahl zeigen soll . Man vergleiche etwa  Fekete, Fekete-kút, Fekete-patak, Fekete-víz, zu ungarisch fekete „schwarz“ und patak „Bach“ (Lehnwort aus dem Slavischen) beziehungsweise víz „Bach“; Fertõ, deutsch Neusiedlersee, 1074 inter Litaha et Vertowe, 1199 Ferteu, Ferteutuk), zu ungarisch fertõ „See, Sumpf, Morast“;  Almás-patak, zu ungarisch alma „Apfel“; Által-ér, zu ungarisch által „durch“ und ér „Flußarm, kleiner Bach“;  Bozót-patak, zu ungarisch bozót „Gestrüpp, Gesträuch, Dickicht, Buschwerk“; Császár-víz, zu ungarisch császár „Kaiser“ und víz „Fluß“, ein junger Name; Gyöngyös, mehrere Flußnamen bei Szombathely und auch anderswo, zu ungarisch gyöngy „Perle“. Auch in der Lüneburger Heide gibt es einen Perlenbach, der seinen Namen dem Perlenvorkommen verdankt; Kapos, 1009 und öfter Kopus, zu ungarisch kapu „Tor“, man vergleiche Ortsnamen wie Kapuvár, Nagykapos, Rábcakapi; Lánka-patak, 1857 Lánka, zu ungarisch lanka „Wiesenabhang, Halde“, ein Lehnwort aus slavisch loka „Wiese“; Malomcsatorna, zu ungarisch malom „Mühle“ und csatorna „Kanal“; Meleg-víz, zu ungarisch meleg „warm“ und víz „Bach“; Pécsi-víz, westlich von Pécs, Ableitung von dem Ortsnamen Pécs, dt. Fünfkirchen; Sárvíz, 1394 Saarwyze, zu ungarisch sár „Schmutz, Schlamm, Morast“ und víz „Wasser“; Séd, 1749 Séd, zu ungarisch séd, síd „Bach“; Sió, 1600-1614 Siuo(nem), zu ungarisch sió „Schleusengraben neben einer Mühle, der zu Hochwasserzeiten das Wasser ableitet“; Sorok, 1256 Surk, nach Kiss II 491 zu ungarisch sark ~ sarok „Ecke, Winkel“, sicher bezogen auf den Verlauf des Flusses; Szent-László-víz, südöstlich von Tatabánya, junger Name und Ableitung von dem Ortsnamen Szent László; Tekeres, 1542 Thekeres, zu ungarisch tekeres  „gedreht, gewunden“; Váli-víz südlich Tatabánya, wahrscheinlich Ableitung von dem Ortsnamen Vál.

Dieser knappe Überblick enthält keine neuen und überraschenden Deutungen. Sie basieren – wie schon gesagt – im wesentlichen auf dem Standardwerk der ungarischen Namenforschung, dem Buch von Lajos Kiss, Földrajzi nevek etimológiai szótára, Bd. 1-2, Budapest 1988. Sie zeigen, daß Pannonien von einem Netz ungarischer Gewässernamen überzogen ist, die zum größten Teil noch heute verständlich sind und in der Wortbildung wie im appellativischen Bestand fest im Ungarischen verankert werden können. Da die Gewässernamen aber nach allgemeiner Ansicht besonders altertümlich sind, richtet sich der Blick schon bald auf die nicht aus dem Ungarischen zu erklärenden oder zumindestens nicht befriedigend zu deutenden Namen.

Bisherige Untersuchungen  hat man in der Hydronymie Pannoniens slavische, illyrische, keltische und indogermanische Spuren nachzuweisen versucht. Ich möchte dazu im folgenden in aller Kürze Stellung nehmen, wobei vor allem die in letzter Zeit recht intensiv diskutierte Frage der slavischen Flußnamen Pannoniens und und deren Bedeutung für Heimat und Expansion slavischer Stämme behandelt werden soll .

An der Tatsache, daß in dem Gebiet westlich und südlich der Donau den Ungarn slavische Gewässernamen bekannt geworden sind und ihrer Sprache angepaßt wurden, kann nicht gezweifelt werden. Für intensive Kontakte sprechen auch die zahlreichen slavischen Lehnwörter im Ungarischen, die I. Kniezsa  behandelt hat. Bei der Übernahme slavischer Wörter und Namen sind einige Erscheinungen charakteristisch: die Tendenz zum vokalharmonischen Ausgleich führt zu Beszterce für Bistrica, Kemence für Kamenica, die Vermeidung von Doppelkonsonanten im Anlaut zu Izdench für Zdenec, asztal für stolú, király für kralú, kenez für knez, Malaka für Mlaka, Csukanpataka für Šcuka(n)potok, szent für svet?, Batce für Blatce, Pitnice für Plitvica, zum Teil kam es zur Metathese wie in szilva für sliva, Golgova für Glogova. Vokalisches -r-  wurde durch -ur- und später -or- wiedergegeben: Hrvat > Hurvat, Horvat; Smrdeci  > Zumurdechi.

Aus dem Bestand slavischer Namen in Pannonien seien genannt:

Balaton, deutsch Plattensee, 1055 balatin, eine -n-Ableitung zu dem slavischen Sumpfwort *bolto . Dieser Name löste einen älteren, nämlich Pelso, ab, über den noch zu sprechen sein wird.

Slavischen Ursprungs kann auch Barankai-patak bei Marcali sein, vielleicht liegt eine slavische Grundform *bar-in-ka (zu bar(a) „Sumpf, Morast“ vor.

Ein Zusammenhang mit slavischem Material wird auch erwogen im Fall des Csele-Patak östlich von Pécs , jedoch will ein überzeugender Anschluß nicht gelingen.

Das ist anders bei dem Namen Cserta, 1773 Cserta, der gut mit slo¬venisch und kroatisch cret „sumpfige Gegend im Wald, Sumpfwald“ verbunden werden kann, ein Wort, das auch in das Ungarische als cseret entlehnt ist .

Slavischen Ursprungs ist auch der Flußname Gerence, 1180 Gremce, zu granica „Grenze“. Sehr wahrscheinlich gehört in diesen Zusammenhang auch Herpen-yõ, 1217/1412 Hrepyna, im dem eine Grundform *Chrapina vorliegen kann und worin slavisch chrap „Dickicht auf feuchtem Grund, Morast“ vermutet wird .

Der slavische Fischname karas „Karausche“ steckt wohl in Karasica, 1769 Karasicza. Dieser Fluß trug früher einen anderen Namen, nämlich K(a)-rassó, 1287-1291 Krasou, worin aber ebenfalls das Fischwort vorliegt, das als kárász in das Ungarische entlehnt worden ist.

Damit ist die Liste der relativ sicheren slavischen Flußnamen in Pannonien schon erschöpft. Auch von diesem Ergebnis her betrachtet verwundert die von dem russischen Linguisten O.N. Trubaèev vorgetragene These, die slavische Ethnogenese habe in Pannonien ihren Ausgangspunkt gefunden. Auf dem Titelblatt seines neuesten Buches Buch Çtnogenez i kul’tura drevnej¬šnich slav¬jan wird dieses nochmals auch bildlich herausgestellt. In der Monographie selbst trägt ein Kapitel die Überschrift: Centr praslavjanskich fonetièeskich innovacij – v Pannonii (S. 77f.). Eine Verbreitungskarte bisheriger Vorschläge [Karte 1] zeigt die Ausnahmeposition des Vorschlages von Trubaèev sehr deutlich.


Karte 1

Gegen diese These hatte ich Argumente vorzubringen versucht , die von dem russischen Gelehrten in dem erwähnten Buch auch im Resümee energisch zurückgewiesen wurden. Es ist hier nicht der Ort, in allen Einzelheiten über die Frage der Ethnogenese eines Volkes oder einer Sprachgemeinschaft im Lichte der Namenforschung zu sprechen, aber einige Grundbedingungen müssen bei der Bestimmung der ungefähren geographischen Lage des Entfaltungsgebietes einer indogermanischen Sprachgemeinschaft erfüllt sein. Dazu zähle ich:

1. Die alteuropäische Hydronymie (über die ich noch sprechen werde), muß in quantitativ und qualitativ ausreichendem Maße nachweisbar sein.

2. In der Streuung der alteuropäischen Namen müssen besondere Beziehungen zum Baltikum vorliegen.

3. Die Hydronymie sollte Elemente aufweisen, die auf eine baltisch-slavisch-germanische Zwischenschicht zurückgehen (auch dazu noch später mehr).

4. Das Gebiet muß slavische Namen besitzen, die auf Appellativa unterschiedlicher Verbreitung zurückgehen, so auf Wörter, die möglichst in allen slavischen Sprachen belegt werden können, aber auch auf altertümliche Elemente, die nur in Teilen der slavischen Sprachen begegnen.

5. Die vorslavischen Namen dieses Gebietes müssen die anzusetzenden urslavischen Lautveränderungen mitgemacht haben.

Mit Hilfe welcher Methoden eine Eingrenzung des ältesten Siedlungsgebietes erreicht werden kann, hat O.N. Trubaèev selbst untertrichen: „Das wichtigste Material für dazu notwendige Untersuchungen liegt im Namenschatz des entsprechenden Gebietes und in der Deutung der Orts- und Gewässernamen“ [Unterstreichung von mir, J.U.].  Aus diesem Grund ist die Hydronymie Pannoniens und deren Interpretation für die Frage slavischer Siedlung von entscheidender Bedeutung. Für O.N. Trubaèev sind vor allem slavische Hydronyme, die auf altertümlichen Gewässerbezeichnungen beruhen, wichtig. In diesem Zusammenhang nennt er ausdrücklich: *struga „Wasserstrahl, Strom“, rìka „Fluß“, búrzú  „schnell“, *bystrica „schneller Fluß, Strom“, *potokú „Bach“, *sopotú „Quelle, Strudel“, *toplica „warmes Wasser“, *kaliga „Schlamm“, *bolto „Sumpf“, *prìvlak „Landenge, über die man Schiffe zieht“, ponikva „verschwindender Fluß“.

Zu etlichen dieser Grundwörter existieren jedoch bereits Kartierungen der davon abgeleiteten Namen, die der russische Sprachwissenschaftler nicht berücksichtigt hat und die im folgenden vorgestellt werden sollen.

a.) Slav. *struga in russ. struga „Vertiefung, Bucht, alter Flußarm“, wruss. strúha „Haupt¬strö¬mung des Flusses, Bach“, ukrain. strúha „Wasserstrahl, Flüßchen, Bach“ usw. besitzt eine Verbreitung  [Karte 2], die überdurchschnittliches Vorkommen im westslavischen Sprachgebiet zeigt.
 

Karte 2: struga

Deutlich erkennbar besteht über die Mährische Pforte, die als alter Kontaktraum schon lange bekannt ist, zu Slovenien und Teilen Kroatiens. Pannonien hat nur geringen Anteil an der Streuung. Es ist unzulässig, die Verbreitung der von slav. *struga „Flußlauf, Strömung“ abgeleiteten Namen als Argument für ein slavisches Zentrum in Pannonien ins Feld zu führen. Die Streuung widerspricht dieser These nachdrücklich. Dieses ist umso wichtiger, als das slavische Wort eine sichere Etymologie besitzt und ohne Probleme an die indogermanische Wurzel *sreu- „fließen“ angeschlossen werden kann. Daraus folgt: das mutmaßliche Gebiet der slavischen Heimat muß an der Verbreitung beteiligt sein. Pannonien ist davon aber so gut wie unberührt und scheidet schon aus diesen Gründen aus.
b.) Ein in allen slavischen Sprachen bezeugtes Wort für „Fluß“ liegt von in russ. reká, wruss. rjéèka, ukrain. riká, poln. rzeka, èech., slovak. reka, rieka, bulg. reka usw. „Fluß, Strom, Wasserlauf, Flüßchen, Bach“ . Die Verbreitung der davon abgeleiteten Fluß-, Orts- und Flurnamen spricht für sich [Karte 3]: die Konzentration in einem Gebiet nördlich der Karpaten etwas zwischen Weichselquelle und der Bukovina kann nicht einfach übersehen oder überspielt werde.
 

Karte 3: reka

Ebenso wenig ist es statthaft, die von diesem Zentrum der Verbreitung ausgehenden Verbindungen nach Norden (weichselabwärts), Westen (zum Odergebiet), nach Südwesten (durch die Mährische Pforte bzw. in die ungarische Tiefebene hinein) zu übersehen oder bewußt unberücksichtigt zu lassen. Vielmehr lehnen sich die Namen in ihrer Mehrzahl an alte und geographisch günstig verlaufende Hügel- und Bergzüge an; es sei nochmals an die Mährische Pforte erinnert.

Das slavische Wort *rìka ist etymologisch bestens erklärbar: die Grundform *roi-k-a schließt sich an die indogermanische Wurzel *rei-, *roi- „fließen“ an, verwandt sind u.a. altind. ráyas „Strom, Lauf“, lat. rivus „Fluß“ und der alte Flußname Rhein (< *Rei-n-os). Umso wichtiger ist die Existenz des Zentrums im Vorkarpatengebiet.

Wie im Fall von *struga ist eine Verbindung nach Slovenien erkennbar. Pannonien hat zwar Anteil an der Streuung, die wenigen Namen erlauben es aber keineswegs, darin etwa Spuren einer slavischen Konzentration zu sehen. Das Nordkarpatengebiet hebt sich eindeutig heraus.

c.) Ein für die slavische Namengebung wichtiges Wort steckt in Flußnamen wie Bystrica, Bystrzyca, Bystøice, Beszterce, Bistritz, Wistritz, Weißeritz, Feistritz . Zugrunde liegt ein slavische Wort, das sich z.B. nachweisen läßt in russ. dial. bystrica „Stromschnelle, tiefer Teil des Flußbettes, Fahrrinne“, ukrain. (dial.) bystrycja „reißender Gebirgsbach, schneller, rauschender Bach, Wildbach“, poln. bystrzyca „schnelle, reißende Strömung im Fluß oder Bach; Bergbach, Wildbach“ u.a.m. Dem slavischen Wort liegt eine -ica-Ableitung zugrunde. Als Basis ist ein Ansatz *bhûs-ro- anzunehmen, der mit germanischen Wörtern wie bysia „mit großer Gewalt ausströmen“, boysa „hervorstürmen“, busa „bestürzen, hervorstürzen“, bûsen „gewaltsam sein, lärmen, stürmen“ verbunden wird.


Karte 4: bystrica

Eine Kartierung der auf dem slavischen Wort beruhenden Namen, die in erster Linie Gewässenamen sind [Karte 4], zeigt, daß die Namen die ungarische Tiefebene fast vollständig aussparen. Häufungen sind in den Karpaten, im Erzgebirge und in Slovenien zu erkennen. Angesichts des Wortstammes und der Bedeutung der Appellativa findet dieses eine leichte Erklärung: slav. *bystrica bezieht sich in erster Linie auf Gewässer mit rauschendem, lebendigem Wasserlauf, auf Bergbäche mit reißender Strömung. In den Ebenen sind daher Namen kaum zu erwarten.

Für die Heimatfrage erbringt die Untersuchung der Bystrica-Namen hinsichtlich Pannoniens wenig Positives: erneut erweist sich der Nordkarpatenvorraum als ein Gebiet, das an der Streuung überdurchschnittlichen Anteil hat, und erneut hat Pannonien an dem Typus kaum Anteil.

d.) Auf das Geräusch des Wassers nimmt auch unser nächstes Wort Bezug: slav. *sopotú bedeutet in den slavischen Sprachen zumeist „(plätschernde) Quelle, Wasserfall“ . Es gehört zu russ. sopét’ „schnaufen, schnauben“, altruss. sopìti „Flöte spielen“ u.a.m.

Die Streuung der davon abgeleiteten Namen ist der von *bystrica sehr ähnlich [Karte 5]: bevorzugt begegnen die Namen im Bergland (Karpaten, Erzgebirge, Böhmerwald, Slovenien). Die ungarische Tiefebene und Pannonien kennen den Typ nur in wenigen Exemplaren. Für ein slavisches Innovationszentrum spricht sopot keineswegs.


Karte 5: sopot

e.) Das slavische Sumpfwort *kalú in wruss. kal „Schmutz“, ukrain. kal „Sumpf, Schlamm, Schmutz, Bodensatz“, russ. kal „Kot, Unrat“, poln. kaleñ „Tümpel, dünner Schlamm“, ka³ „Kot, Schlamm“, sorb. ka³, kalnica „Kot, Schlamm“ u.a.m.  steckt in hunderten von Gewässer-, Orts- und Flurnamen. Die Kartierung [Karte 6] zeigt den übergroßen Anteil des Westslavischen an der Streuung, eine erneute Häufung im Vorkarpatengebiet und in Slovenien, daneben auch in Nordbulgarien, und einige Belege in Pannonien. Für eine mutmaßliche Heimat des Slavischen südlich der Karpaten spricht die Namenverbreitung keineswegs.


Karte 6: kal-

f.) Ein interessantes slavisches Wort verbirgt sich hinter einem Ansatz *ponikú, *ponik-l-, *poniky, -úve, vgl. ukrain. dial., russ. dial. ponikovec „in der Erde verschwindender Fluß oder Bach“, poln. ponik, ponikwa „Loch, in dem ein Wasserlauf verschwindet, um weiter unten wieder hervorzutreten; unterirdischer Wasserlauf, kleiner Bach“, èech. punkva „in der Erde verschwindener Fluß in Karstgegenden“, serb., kroat. ponikva „trichterförmige Vertiefung im Karst; Ort, wo sich das Wasser im Boden verliert“. Die Sippe gehört zu dem slavischen Verb poniknoti „sich bücken“, russ. vniknut’, proniknut’ „eindringen, durchdringen“ .
 

Karte 7: ponik-

Die Verbreitung der Namen zeigt ein Bild [Karte 7], das uns schon bekannt ist: Häufungen im westslavischen Sprachgebiet und in Slovenien, Lücken bzw. spärliches Auftreten in Ungarn und den Niederungsgebieten. Karstgegenden wie Slovenien besitzen natürlich gute natürliche Voraussetzungen für die Namengebung; ihre Zentrierung in diesen Gebieten ist keine Überraschung.

Für Pannonien als altes slavisches Siedlungsgebiet spricht die Streung der Ponik-Namen aber in keinem Fall. Aber wir können zusammenfassend noch weitergehen: in keinem einzigen Fall zeigt sich Pannonien als ein besonders hervorgehobenes Gebiet; vielmehr ist es der Raum nördlich der Karpaten im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet, der an allen Verteilungen – und zumeist in großer Konzentration – Anteil hat. Es hat viel für sich, dieses Gebiet als das der slavischen Heimat anzunehmen.

Auch abgesehen von den hier auszugsweise angeprochenen Namentypen besitzt Pannonien einige slavische Gewässernamen, darunter den des Balaton, aber es ist nicht die älteste sprachliche Schicht, die sich herausarbeiten läßt. Das zeigt schon der Name des Balaton selbst, denn in der Antike hieß er Pelso. Und damit stoßen wir zeitlich zurückgehend in eine andere sprachliche Schicht vor, die in den letzten Jahren sehr intensiv untersucht worden ist und wodurch sich auch Konsequenzen für die Beurteilung manches ungarischen Flußnamens, darunter auch in Pannonien, ergeben haben. Dabei werde ich mich auf heute noch bestehende Namen beschränken; die antike Nomenklatur Ungarns ist vor allem von E. Höring  behandelt worden. Nur im Fall von Pelso und Pannonien werde ich davon abweichen. Als ein wichtiges Kriterium wird dabei zu prüfen sein, inwieweit die für das Urslavische anzusetzenden Lautveränderungen die alten Namen noch erfaßt haben. Auch von hieraus werden sich Argumente für oder gegen alte slavische Siedlungen ergeben.

Im Süden Pannoniens fließt die Dráva, kroatisch Drava, deutsch Drau. Ihr Name ist schon lange einer allgemein anerkannten Klärung zugeführt worden : gemeinsam mit der Drawa, deutsch Drage in Pommern, dem ostpreußischen Flußnamen Drage, den französischen Flußnamen La Draou und Drac und weiteren Ableitungen wie Durance, Drwêca/Drewentz,  Trave und anderen wird der Name zu der indogermanischen Wurzel *dre?-/*dro?- „fließen, Lauf“ gestellt, die vorliegt in altindisch dravá? „Lauf, rasche Bewegung, Flüssigkeit“, drávati „läuft, zerfließt“.

Der Name gehört zu dem Netz der sogenannten Alteuropäischen Hydronymie. Darunter versteht man Gewässernamen, die mit Hilfe indogermanistischer Untersuchungsmethoden erklärt werden können, die sich aber der Deutung aus einer indogermanischen Einzelsprache widersetzen. Die Untersuchungen von H. Krahe und W.P. Schmid  haben dazu Wesentliches beibringen können: so mußte der Glaube, dahinter verberge sich eine westindogermanische Zwischenschicht, aufgegeben werden, da die Erklärung der Namen (dazu gehört auch die Dráva!) nur mit Hilfe ostindogermanischer Appellativa gelingen kann. Das aber setzt die Gemeinschaft aller indogermanischer Sprachen voraus. Weiterhin ist deutlich geworden, daß es ein Zentrum innerhalb der Hydronymie im Baltikum gibt. Dort finden sich immer wieder Anschlüsse für Flußnamen aus ganz Europa. Hier kann offenbar die Beziehung der Dráva zu Drage und Drawa angeschlossen werden. Weitere Parallelen werden noch zu nennen sein.

Ein bisher kaum zu lösenden Problem ist der Name Ikva bei Sopron, 1246 Icoa. Gern erwägt man slavische Herkunft, da im Flußgebiet des Südlichen Bug eine Ikawa, ukrainisch Ikva, liegt. Es fehlt aber bisher ein überzeugender Anschluß im slavischen Wortschatz. Immerhin kann man wieder Beziehungen nach Norden feststellen.

Neues Licht scheint auf den Namen Jaba südlich des Balaton zu fallen. L. Kiss  bietet für den ON. Jabapuszta Belege wie 1138/39 Luba, 1193 Liba und 1246/74 Liba. Im Allgemeinen nimmt man einen Zusammenhang mit der slavischen Wurzel um lubit’, ljubov’ und so weiter an. Es gibt aber noch eine ganz andere Möglichkeit der Deutung: unter Hinweis auf griechisch ëåßâù „träufeln, gießen“,  ëïéâÞ „Trankopfer, Spende“, lateinisch lîbo½   „mit einer Flüssigkeit benetzt oder bestrichen“, auch „übergossen, triefend“  ist der Ansatz einer indogermanischen Wurzel *leib- „gießen, fließen“ leicht möglich. Diese nun ist in Flußnamen Europas bestens belegt, man vergleiche L’ba bei Smolensk, Libe, Flußnamen in Litauen und Lettland, Libawa, Nebenfluß der Ma³apanew in Schlesien, Libra, Flußname bei Reims in Frankreich und andere mehr . Erneut zeigt diese Sippe, daß man bei der Erklärung ungarischer Flußnamen den Blick nach Norden richten sollte.

Das gilt auch für die Lajta, die unverkennbar aus deutschem Mund in ungarischen gelangt ist. In dieser Variante lebt die deutsche Form Leitha weiter, die mit hochdeutscher Diphthongierung auf einer Grundform *Lita, zum Teil ergänzt durch -aha als Lit-aha, beruht. Auch dieser Name hat Entsprechungen im Norden. So hat O.N. Trubaèev hierzu den ukrainischen Namen Lit gestellt, sah darin ein pannonisches oder illyrisches Relikt und verband beide mit altpreu-ßisch lydis, albanisch leth „feuchte Fäule“ und verwies auf die semantisch ähnliche Bezeichnung des Flusses in ungarisch Sárvíz „schmutziges Wasser“. Als Verbindungsglied kann darüber hinaus der slovakische Name Litava, ungarisch Litva, alt Lyttua, Lytua, angesehen werden, der wie die Leitha (mit deutsch  aha) eine einzelsprachliche Ergänzung mit slavisch -ava enthält. Die Ausstrahlung reicht aber noch weiter nach Norden: anzuschließen ist der Name Litauen/ Litvánia, der auf einem Hydronym *Leitava, einer Ableitung von *Leita, beruht. Die Namen gehören zu der indogermanischen Wurzel *lei- „gießen“ zu lit. líeti, líeja, líejo, dial. l?jo „gießen, schütten“. Erneut zeigt sich die enge Verbindung Pannoniens mit den baltischen Ländern.

In dem Flußnamen Marcal liegt auch aufgrund des ältesten mittelalterlichen Beleges 1086 alveus Murzol, vor allem aber wegen der antiken Überlieferung Mursella, Ìïýñóåëëá unzweifelhaft ein vorslavischer Name vor, der eine -l-Bildung (deminutiv?) zu den pannonischen Flußnamen Mursa darstellt. Die ungarische Lautung könnte auf einer slavischen Form *Múrsela basieren.

Der Name besitzt sichere Entspechungen weit außerhalb Pannoniens, so am Niederrhein im alten Gewässernamen Mörs, 855 in Murse, 1147 Mursa, ferner in dem ON. Morschen bei Melsungen, 1061 Mursina, wahrscheinlich auch in Norwegen mit Moss am Oslofjord (< Mors), auch dies der alte Name eines Flusses, weiter in der Murr, Nebenfluß des Neckar bei Ludwigsburg, 2.Jh. n.Chr. VICANI MVRRENSES, um 800 in pago Murrahgowe, in dem mit großer Wahrscheinlichkeit eine Vorform *Mursa vorliegt. Die Namen sind mit einem  s-Suffix gebildete Ableitungen zu einer -r-Erweiterung der idg. Wurzel *meu-, *me??-, *m?- „feucht, modrig, netzen, unreine Flüssigkeit, beschmutzen“. In dieser Gruppe fehlen die Beziehungen nach Norden, die sonst fast immer zu beobachten sind, so etwa auch im Namen Pannónia selbst.

Die Etymologie des Namens Pannónia, Pannonien ist unumstritten. Die Verbindung mit apreuß. pannean „Moosbruch“, das auch toponymisch erscheint, und aind. pá?ka- ,Schlamm, Kot, Sumpf“ gilt als sicher. Zu wenig berücksichtigt wurde bisher ein in germanischen Sprachen gut belegtes Wort, das bereits im Gotischen als fani „Schlamm“ erscheint, einen germanischen Ansatz *fanja fortsetzt und weiterlebt in altsächsisch  fen(n)i, mittelniederdeutsch venne „mit Gras oder Röhricht bewachsenes Sumpf-, Moorland, sumpfiges (Weide)land“, ostfriesisch fenne, fenn „niedriges Weideland mit moorigem Untergrund“, niederländisch ven, veen, englisch fen, ven, fan, van „Fenn, Moor, Marsch“, altenglisch fenn, fænn, ablautend auch als fyne „Feuchtigkeit, Morast“, norwegisch fen, isländisch fen „Moor“, dänisch fen „Stück Marschland, das von Gräben eingeschlossen ist“, altnordisch fen .

Den Namen Pelso, die antike Bezeichnung des Balaton/Plattensees, hat man immer wieder mit slavisch pleso „Flußkrümmung zwischen zwei Biegungen, große Tiefe im Fluß, tiefe Stelle in einem Sumpf“, auch „Wiese, die bei Hochwasser überschwemmt wird“ verbunden . Dieses ist schon des öfteren und mit guten Gründen zurückgewiesen worden : die notwendigerweise zu erwartende Liquidametathese ist nicht zu erkennen. Zum andern ist völlig unklar, warum ein alter slavischer Name *Pleso von einem anderen, nämlich Blot-n-, abgelöst worden wäre. Dafür gibt es so gut wie keine einzige Parallele.

Der Name gehört als -s-Bildung zu der in den indogermanischen Sprach weit verbreiteten Sippe um *pel-/pol- „gießen, fließen“, deren Reflexe vom Armenischen über das Baltische und Slavische bis zum Keltischen reichen. Dazu gehören etwa Fal bei Falmouth, England; Fala, FlN. in Norwegen; Falbæk in Dänemark; Falen Å in Dänemark; Fils, GN. im Neckargebiet; Filsbæk in Dänemark; Paglia, Zufluß d. Tiber; Palà, GN. in Litauen, auch in Lettland; Palae, ON. in Thrakien; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; Palçja, FlN. in Litauen; Palejas, FlurN. in Lettland; Palma, ON. in Thrakien; Palminys u.a.m., FlNN. im Baltikum; Palo, Fluß zum Mittelmeer bei Nizza; Palõnas, Palona, GNN. in Litauen; Palva, Fluß in Lettland; Palwe, ON. in Ostpreußen; Pelà, Fluß in Litauen; Péla, Pelîte, FlNN. in Lettland; Polendos bei Segovia, Palmazanos und Paociana in Portugal; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; Palangà, ON. nördl. Memel (Klaipçda), evtl. hierzu; *Palantia im GN. Palancia in Altkastilien; Pelega, Peleška, FlNN. im alten Gouv. Novgorod; Pelesà, Pelesõs ëžeras, GNN. in Litauen; Pelva, ON. in Illyrien; Pelyšà, FlN. in Litauen; Pielnica mit ON. Pielnia, im San-Gebiet < *Pela; Pola, Fluß zum Ilmensee; Polova, FlN. bei Gorodok, Weißrußland; Valme, Nfl. d. Ruhr; Velpe bei Tecklenburg; Vielserbach, auch ON. Vielse(rhof), 1015-24 Vilisi, Zufluß z. Heder im Gebiet der Lippe; Vils, Gr. Vils, Kl. Vils, mit ON. Vilshofen, im Donaugebiet, sowie Vils, Zufluß z. Lech; Volme, Zufluß z. Ruhr . Hier findet der lacus Pelso seinen Platz.

Neues Licht ist vor einiger Zeit auf den Namen Rinya, den linken Zufluß der Drau, 1269 Ronna gefallen, der nach L. Kiss  etymologisch identisch mit rinya, rinnya „wasserreicher, morastiger, feuchter Ort“ ist, möglicherweise aber auch slavischer Herkunft sein kann, wie die kroatischen Namen Rujna, Rujno nahelegen könnten.

Eine genauere Untersuchung der alteuropäischen Hydronymie hat jetzt aber gezeigt , daß etliche und darunter sehr bekannte Flußnamen Europas zu einer indogermanischen Wurzel *re?-/*ro?- „aufreißen, wühlen, graben“ gestellt werden können, darunter zum Beispiel Rawa, Ruja, Rhume, Rumia, Ruhr, Roer, Ryla, Rila, Ros’, Rusa, Ruthe, Ryta. Noch bedeutsamer ist die Tatsache, daß auch eine -n-Ableitung bekannt ist, darunter Runa in Spanien und Frankreich, auch Quellfluß der Wolga, Fluß zum Frischen Haff, GN. im Pregel-Gebiet und andere mehr.

Schematisch läßt sich die Sippe wie folgt darstellen:

Ableitungen zu der Wz. *re}-/*ro}-/*r¤

-ia

(-io-)

-ma-

(-mo-)

-na

(-no-)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo-)

-nta

 

-s(i)a,

-s(i)o-

-g(i)a

-ta,

-to-

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

reja(?)

 

runa (medi-terran?)

 

 

 

 

*rugia

(roman.)

 

 

Ruja, Rujas

Rhu-me, Rumia

Runa, Rauna, Rinya

Ruhr, Roer, Rulle, Rurzy-ca u.a.

Rüh-le, Rulle, Ryla, Rila

Reut, Revu-ca (?)

Reuß, Riß, Ros’, Rusa u.a.

Ruga,

Rügen (?)

Rut(h)e, Ryta, Rutú u.a.

 



Dabei zeigt sich erneut eine besonders prägnante Beziehung zum Baltikum und den dort angrenzenden Gebieten. Dieses ist auch der Fall bei dem letzten Namen, den ich behandeln möchte, dem der Zala.

An dem Zusammenhang dieses Namens mit dem zahlreicher Saale-Flüsse in Deutschland und Österreich (Saale, Saalach), in Spanien (Salo), Frankreich (Sal, Solle), im Baltikum (Salà, Sal-ùpis, Sa³a/Zalle) und in Polen (So³a) ist nicht zu zweifeln. Zugrunde liegt die indogermanische Wurzel um altpreußisch salus „Regenbach“, mittelirisch sal „Meer“, lateinisch salum „unruhiger Seegang, Flußströmung, hohe See“ .

Damit komme ich zum Schluß und zu einem Resümee. Die jüngsten Gewässernamen Pannoniens entstammen dem Ungarischen. Eine frühere Schicht kann dem Slavischen zugerechnet werden, jedoch ist die Zahl der Hydronyme nicht ausreichend dafür, in diesem Gebiet die Heimat der Slaven zu suchen. Die älteste Schicht entstammt dem Bestand der alteuropäischen Hydronymie, wobei eine genaue Zuordnung zu einer indogermanischen Einzelsprache nicht möglich ist. Illyrisches, Keltisches oder auch ein sogenanntes pannonisches Substrat ist nur schwer auszumachen, unsere Arbeitsmethoden verlassen uns hier offenbar. Konstatiert werden kann aber eine auffällige Beziehung der pannonischen Namen zum Norden, zum Baltikum. Die These von W.P. Schmid, daß sich dort ein Zentrum der alteuropäischen Hydronymie befindet , wird auch durch die Flußnamen in Pannonien bestätigt.

Einleitung

Die Frage, inwieweit die Unterwerfung sächsischer Stämme durch die Franken auch Folgen für den Namenschatz Norddeutschlands gehabt hat, ist bisher zumeist eingebettet in die um-fassendere Diskussion um die Frankonisierung deutscher Ortsnamen behandelt worden. Nach G. Müller  handelt es sich dabei nach wie vor um „eines der Leitthemen historisch-philologischer Namenforschung“, aber es gibt immer noch erhebliche Differenzen über „Reichweite, Dauer, Intensität und Modalitäten dieses Einflusses“.
Wendet man sich dem norddeutschen Raum zu, so darf der äußere Rahmen der Einbindung in das Frankenreich mit H.-J. Nitz, der sich u.a. auf L. Fiesel und R. Wenskus beruft, etwa wie folgt umschrieben werden: „Im Rahmen der fränkischen Unterwerfung Sachsens in den Jahr-zehnten um 800 wurde eine umfangreiche grundherrliche Binnenkolonisation nach fränki-schem Vorbild in Gang gesetzt, an der sich neben dem Königtum vor allem der einheimische sächsische Adel und offenbar in nicht geringem Maße auch Adelige aus dem fränkischen Raum beteiligten“ . Von hieraus gesehen darf man durchaus annehmen, daß der fränkische Einfluß auch vor den Ortsnamen nicht halt gemacht hat.
Aber die bisherige Bearbeitung der Namen steht vor Schwierigkeiten. In seinem für unser Thema wichtigen Beitrag hat G. Müller deutlich gemacht, daß auf diesem Gebiet noch viel zu tun ist, denn „die Untersuchungen über die toponymischen Reflexe fränkisch-sächischer Be-ziehungen [stehen] erst an einem Anfang“ . Und das Resümee seiner Überlegungen schließt mit dem Satz : „Wohl lassen sich schon grobe Umrisse einiger weniger Stufen der fränkisch-sächsischen Auseinandersetzung an der Verteilung der Namentypen … ablesen. Bis das Bild klar genug ist, wird aber noch viel an karger philologisch-historischer Kleinarbeit vonnöten sein“.
Wir werden somit nicht umhin können, zu einzelnen Namen detailliert Stellung zu nehmen, und dieses umso mehr, als man in weiten Kreisen der Historiker, Geographen und z.T. auch Namenforscher davon überzeugt ist, daß der Einfluß der Franken tief in die norddeutsche Namenlandschaft eingewirkt hat. Ein Blick in die Geschichte des Problems wird das zeigen.

Forschungsgeschichte
Abgesehen von einigen Vorläufern, darunter etwa W. Arnold , K. Rübel , P. Höfer , F. Lan-genbeck und H. Weigel , darf O. Bethge als Initiator der These gelten, wonach Spuren der fränkischen Organisation in den Ortsnamen gefunden werden können. Es ist klar, daß dafür nicht nur die Namen herangezogen werden können, aber sie sind z.B. für H.-J. Nitz  ein wich-tiger Faktor: „Das Problem der fränkischen Staatskolonisation beschäftigt die verfassungsge-schichtliche Forschung seit einigen Jahrzehnten. Die Untersuchungen … stützen sich vorzugsweise auf schriftliche Quellen. Zur Aufhellung hat auch die Ortsnamenforschung We-sent-liches beigetragen“. Und zur Bedeutung von O. Bethge heißt es bei demselben Autor: „Auf die über Zufälligkeiten hinausgehende Massierung von Ortsnamen mit einer ‘schemati-schen’ Bildungsweise nach relativer Lage zu einem Mittelpunkt …, nach Lage im Gelände …, nach sonstigen Naturgegebenheiten …, aber auch nach speziellen Funktionen … hatte erstmals O. Bethge in einem vielbeachteten Aufsatz hingewiesen und ihre Gruppierung um fränkisch-königliche (fiskalische) Zentren als charakteristisch erkannt“ .
 
O. Bethges Aufsatz aus dem Jahre 1914 trägt den Titel Fränkische Siedelungen in Deutsch-land, aufgrund von Ortsnamen festgestellt . Obwohl die Kritik an diesem Versuch durchaus nicht ausblieb , ist seine These doch im wesentlichen akzeptiert worden. Zustimmung fand er unter anderem – wenn auch in unterschiedlichem Maße – bei L. Fiesel, F. Kaufmann, A. Bach, W. Flechsig, H. Kaufmann, R. Wenskus, D. Rosenthal, G. Müller, H.-J. Nitz und W. Meibey-er . Bei W. Kaspers  heißt es expressis verbis: „Daß man tatsächlich fränkische Siedlungen an ihren Namen erkennen kann, hat O. Bethge bewiesen, an ihren Namen oder besser an ei-nem gewissen Namenschema-tismus. Nordheim, Ostheim, Mülheim, Buchheim, Stockhausen u.ä. weisen in Verbindung miteinander auf Franken“. Die breite Zustimmung beruht aber, wie C. Jochum-Godglück erst vor kurzem wieder richtig betont hat , vor allem auf der freundli-chen Aufnahme durch A. Bach.
Angesichts dieser im wesentlichen positiven Aufnahme wird man sich vielleicht fragen, ob damit nicht das endgültige Urteil über ein wichtiges und interessantes Faktum gefällt worden ist. Aber es sei erneut an das oben zitierte Wort von G. Müller erinnert: bevor endgültige Klarheit erreicht worden ist, ist „noch viel an karger philologisch-historischer Kleinarbeit vonnöten“. Und es scheint, als habe man gerade im Bereich der Einzelbeurteilung der heran-gezogenen Namen durchaus nicht mit der notwendigen Kritik gearbeit.
Wenn ich also nochmals auf den mutmaßlichen fränkischen Einfluß in norddeutschen Namen (und hier ausdrücklich beschränkt auf Niedersachsen) zurückkomme, so hat dieses mehrere Gründe: 1.) Basierend auf der weiteren Bearbeitung der Gewässernamen Deutschlands  und Europas sind erste Zweifel an der nordischen Heimat des Germanischen geäußert worden . Dabei hat sich herausgestellt, daß das Germanische vor allem mit den indogermanischen Schwestersprachen im Osten, vor allem dem Baltischen, alte Kontakte besessen haben muß. Durch die Aufarbeitung der Gewässernamen Polens  wird diese Beobachtung immer wieder bestätigt. Aus diesen Beobachtungen heraus haben sich für nicht wenige und gerade die umstrittenen norddeutschen Ortsnamen neue Anknüpfung- und Deutungsmöglichkeiten ergeben. 2.) Der sich auch aus der Beobachtung der Gewässernamen ergebene Befund, daß der keltische Einfluß auf das Germanische zu hoch eingeschätzt worden ist, findet seine Bestätigung in einer Untersuchung, die versuchte, die alten Siedlungsgebiete germanischer Stämme mit Hilfe einer Untersuchung von Orts- und Gewässernamen näher zu bestimmen . 3.) Mit dieser Arbeit wurde wenigstens in Ansätzen versucht, die jahrzehntelang vernachlässigten Ortsnamen Norddeutschlands  (abgesehen von Schleswig-Holstein ) mehr in die Diskussion einzuführen als bisher geschehen. 4.) Die immer wieder auch für die Frage der fränkischen Beeinflussung niedersächsischer Ortsnamen herangezogenen -büttel-Namen wurden einer gründlichen Untersuchung unterzogen . Wir werden darauf noch zurückkom-men. 5.) Weitere Arbeiten zu niedersächsischen Ortsnamen  haben gezeigt, daß Alter, Schichtung und Streuung neu überdacht werden müssen. Sachsen-Frage  und die Beziehun-gen nach England erscheinen dabei ebenso in einem neuen Licht wie die sich in der Rattenfängersage spiegelnde mutmaßliche Auswanderung nach Mähren . 6.) Zu wenig Beachtung fand die berechtigte Kritik an der von A. Bach unterstützten Frankonisierungsthese durch H. Kuhn . 7.) Der die Theorie begründende Aufsatz von O. Bethge ist vor kurzem in der umfassenden und sehr zu begrüßenden Untersuchung von C. Jochum-Godglück  ausführlich behandelt worden („Die Überprüfung der nicht unumstrittenen gebliebenen Theorie Bethges ist das Anliegen dieser Arbeit“ ). Auch dadurch fällt z.T. neues Licht auf alte Fragen.
Es empfiehlt sich, vor Einstieg in die Einzeldiskussion der niedersächsischen Ortsnamen in kurzen Zügen die bisher fast allgemein anerkannten Merkmale fränkischen Einflusses anzu-sprechen. C. Jochum-Godglück hat dazu ausgeführt : „Während SN (Siedlungsnamen) mit patronymischen Erstglied (mit possessivischer Bedeutung) das personale Prinzip der Ortsna-mengebung repräsentieren, lassen sich die mit Appellativen komponierten Bildungen, sofern sie gehäuft auftreten, wodurch sie ja erst eigentlich schematisch werden, sprachlich sinnvoll nur als Ausdruck geplanter Ansiedlungen auf größeren Komplexen einheitlichen Grundbesit-zes erklären. Es war Oskar Bethge, der zu Beginn dieses Jahrhunderts feststellte, daß die schematischen, insbesondere die orientierten SN, auffällig häufig mit fränkischen Reichsbesit-zen korrelieren. Er nahm deshalb den Namentypus als Reflex gelenkter fränkischer Siedlung auf Fiskalland in Anspruch“. Darauf aufbauend wird fränkischer Einfluß von L. Fiesel etwa wie folgt definiert : „Demgegenüber sind die nicht mit PN, sondern nach Himmelsrichtungen, und die mit -holt, stock- und anderen sachlichen Bestimmungsworten gebildeten -husen-Namen vielleicht als fiskalische Gründungen anzusehen, wie Nordheim, Sudheim, West- und Ostheim, Stockheim, Stöcken, Dahlheim, Bergheim, Buchheim, Bekum, Steinheim, Kirchheim, Bokenem, Bokem, Boitzen“.
 
In dieser Äußerung hat sich bereits ein schwerer Fehler eingeschlichen, den O. Bethge selbst schon vorausgeahnt hat. Seine vorsichtige Mahnung ist jedoch immer weniger beachtet wor-den. Er schrieb : „Es soll nun nicht grundsätzlich behauptet werden, daß alle diese Dörfer mit den stereotypen Namen auch grundsätzlich königlich oder fiskalisch waren … Ver-fasser ist der sichern Erwartung, daß man ihm jedes Bergheim, Thalheim, Kirchheim usw. als ‘fränkische Kolonie’ zur Last legen wird, um dies dann zu bestreiten. Demgegenüber sei nochmals scharf betont: nur wo mehrere unserer Typen, also wo sie gesellig auftreten, und wo älteres Königsgut sich nachweisen läßt (8.-10. oder 11. Jahrhundert), da nimmt er sie für die fränkische Kolonisation des 6.-9. Jahrhunderts in Anspruch. Daß diese Namen auch sonst gelegentlich überall auftreten ohne diesen Zusammenhang mit der fränkischen Siedelung, bestreitet er durchaus nicht“.
Der von O. Bethge befürchtete Fehler ist nicht so aufgetreten, wie er vermutet hat: man hat keineswegs einzeln auftretende Namen des genannten Typs als Argument gegen seine These ins Feld geführt, sondern vielmehr das getan, was er für falsch hielt: vereinzelt auftretende Namen sind gerade in jüngster Zeit gern der fränkischen Kolonisation zugeschrieben worden.
Neben den hier genannten orientierten Namentypen hat A. Bach in einer weiteren Namensippe fränkischen Einfluß vermutet. Er nahm an , daß der Typus Personenname + Siedlungsna-mengrundwort, z.B. Sigmars-heim, Sigmaringheim, Sigmarshausen, auf fränkischen Einfluß zurückgehe, während ältere vorfränkisch-gemeingermanische Bildungen aus Personengrup-pennamen auf  ing/ ung (etwas Sigmaringen) und oft aus einstämmig gebildeten, auf Gelände, Fauna und Flora bezogene Stellenbezeichnungen bestünden. A. Bach beruft sich dabei vor allem auf das Fehlen entsprechender Typen in der antiken Überlieferung. Wörtlich heißt es bei ihm : „Daß der Siegeslauf der genannten beiden Namentypen (die wir im Folgenden zusammenfassend als ‘Personenname + Siedlungsnamen-Grundwort’ bezeichnen) der fränk. Epoche angehört, kann kaum bezweifelt werden“.
Anders als im Fall der Theorie von O. Bethge ist diese These aber auf mehr Widerstand ge-stoßen. So hat sich bereits H. Kuhn  dagegen ausgesprochen. G. Müller hat zusätzlich darauf verwiesen , daß in diesem Fall ein Drittel der westfälischen Ortsnamen fränkischen Ursprungs seien. In Niedersachsen läge der Prozentsatz ganz ähnlich. Daß dieses nicht zutreffen kann, liegt auf der Hand. Aber auf einzelnen Typen werden wir dennoch zurückkommen müssen.

Kritik der für fränkisch gehaltenen Ortsnamen Niedersachsens

Aus sprachlicher Sicht müßte es leicht sein, fränkisch beeinfußte oder aus fränkischem Dia-lekten entstandene Ortsnamen in Niedersachsen, in dem fast in seiner Gesamtheit ursprünglich altniederdeutsche (altsächsische) Mundarten gesprochen wurden , zu ermitteln. Die Differen-zen zwischen dem Althochdeutschen des Fränkischen und dem Altniederdeutschen in Nieder-sachsen hatten sich längst herausgebildet. Dazu gehören etwa: vollzogene bzw. unterbliebene hochdeutsche Lautverschiebung (offan : opan; mahho½         n    : mako½        n, ih : ik; ziohan : tiohan; thor(p)f : thorp; sibun : sivun), unterschiedliche Vokalentwicklung (-uo- : -o½                              -; -ei- : -ë-;  ou  :  o½         -, fehlende nordseegermanische Züge im Hochdeutschen, Unterschiede im Wortschatz und anderes mehr.
Wir werden aber bei der Einzeldiskussion der Namen sehen, daß die genannten lautlichen Erscheinungen, die eine einwandfreie Zuordnung zu Altniederdeutsch bzw. Althochdeutsch erlauben, bei der Zuweisung zu mutmaßlichen fränkischen Ortsnamen Niedersachsens fast keine Rolle gespielt haben. Vielmehr geht es – abgesehen von den orientierten Namentypen – vor allem um mutmaßlich fränkische oder altsächsische Personennamen. Als wesentlich und bedeutsam ist in diesem Zusammen-hang die Annahme, daß die Bildung eines stark flektie-renden Personennamens + -husen um 800 produktiv gewesen sei . Wir werden noch sehen, daß der norddeutsche Namenbestand Hinweise darauf enthält, die für wesentlich höheres Alter der in den Ortsnamen begegnenden Personennamen sprechen.
Ein weiterer, sehr bedenklicher Punkt liegt in der vielfach vertretenen – wenn auch nicht im-mer deutlich gesagten – Annahme, wonach die Entstehung der mit Personennamen gebildeten niedersächsischen Ortsnamen nur knapp vor die Zeit der Ersterwähnung gesetzt wird. Dafür etwa ein Zitat zu den -heim-/-hem-Namen: „Die Vorkommen im Regierungsbezirk Stade werden im 10. und 11. Jahrhundert erwähnt; ihre Entstehung ist auch kaum frü-her anzusetzen“ . Nur am Rande sei dazu bemerkt, daß damit die fast generell akzeptierte These einer sächsischen Zuwanderung aus dem südwestlichen Schleswig-Holstein  nicht in Einklang zu bringen wäre. Hinzu kommt, daß der Nachweis verwandter Namentypen in Eng-land ebenfalls gegen eine zu junge Datierung spricht. Wir stehen somit vor der Aufgabe, die bisher für fränkisch gehaltenen niedersächsischen Ortsnamen zu prüfen und die Stichhaltigkeit der Argumentation kritisch zu bewerten. Dabei sollen Namentypen wie -dorf,  stedt, -leben, -borstel usw. zusammenfassend behandelt werden.

1. Bodenburg

Die alten Belege für den Ort im Kr. Hildesheim schwanken kaum: 1142 (A. 13. Jh.) Meinfri-dus comes de Bodenburg, 1143 Heinricus de Bodenburch, 1146 de Bodenburch, comes de Bodeburch . Für D. Rosenthal  liegt ein fränkischer Name vor: „Im ersten Element der frän-kische Personenname Bo½ do. Fränkische Anlage, wahrscheinlich an der Stelle einer älteren sächsischen Siedlung“. Aus sprachlicher Sicht ist die Verbindung mit einem fränkischen Per-sonennamen unbewiesen. W. Schlaug  hat unter den altsächsischen Personennamen zwei Dutzend Namen unter Bôdo aufgelistet. Was soll da für fränkische Herkunft des Personenna-mens sprechen?

2. Ortsnamen mit dem Grundwort -borstel

Am Anfang der Untersuchung der Ortsnamen mit dem Grundwort -bo(r)stel < -burstal steht der Name von L. Fiesel. In dessen erstem kurzen Beitrag  spricht er noch eher allgemein von einem jungen Ortsnamentyp, allerdings schimmert auch schon hier Fränkisches durch: „Diese Namenbildung macht keinen altsächsi-schen, vorkarolingischen Eindruck; weder bûr noch stal, stel sind in altsächsischen Literatur-werken, soweit ich sehe, heimisch. Sie sind in fränkischem und oberdeutschen Sprachgebrauch dagegen heimischer. Das Ergebnis … über die -borstel-Namen möchte ich vorläufig folgendermaßen formulieren: Wir haben es mit Gründungen der Zeit nach der Un-terwerfung der Sachsen auf ‘engrischem’ Gebiet und seinen Ausstrahlungsgebieten zu tun“ . Die vorsichtige Formulierung zeigt, daß sich Fiesel noch keineswegs sicher war. Und so wird in seinem zweiten Beitrag zu den -borstel-Namen  der mögliche Einfluß von Franken mit keiner Silbe erwähnt. In seiner letzten Äußerung zu diesem Namentyp findet sich allerdings eine deutliche Kehrtwendung: „Auch bei den etwa 100 ON mit dem GW -borstel, Bedeutung ‘Hausstelle’ .. finden sich Hinweise auf fränkische Gründung“ . Erwähnt werden in diesem Zusammenhang selbst Ortsnamen aus den Kreisen Celle, Rotenburg/Wümme und Uelzen.
Ausführlich hat sich später H. Franke mit diesem Namentyp befaßt . In der Frage der Entste-hung des Wortes -borstel hat er sich L. Fiesel angeschlossen: „Fest steht, daß -borstel eine eigentliche Zusammensetzung aus mnd. bûr st.n. ‘Wohung, Ansiedlung, Gemeinde’ und stal st.m. ‘Ort, Stelle, Platz’ ist. Diese beiden Wörter, die im Altsächsischen nicht heimisch sind, wurden wohl von den Franken in den niederdeutschen Raum getragen“ . Zuletzt habe ich mich selbst  (allerdings ohne auf die fränkische Frage einzugehen) mit dem Namentyp be-schäftigt.
Einig ist man sich darin, daß es sich bei den -borstel-Orten um relativ junge Siedlungen han-delt. Zu prüfen ist, ob das Fehlen von bûr und stal im Wortbestand des Altsächsischen als Argument für hochdeutsche oder fränkische Bildung in Anspruch genommen werden kann.
Für altsächsisches Vorkommen von bûr sprechen verschiedene Argumente: a.) der häufige Nachweis in norddeutschen Ortsnamen (z.B. als Büren) bei E. Förstemann ; b.) das Auftreten in norddeutschen Flurnamen ; c.) mnd. bûrmâl, bûrsprake „Versammlung der Gemeinde, Bauerschaft, Dorfgericht“ ; d.) der Nachweis in altenglischen Ortsnamen . Auch stal ist zweifellos im Altsächsischen bekannt gewesen. An-gesichts der mittelniederdeutschen Wörter stal „Stall“, stal-broder „Genosse, Kamerad“, stal-hêre „Stallherr, Ratsherr“, stal-junge „Stalljunge“, stal(le)knecht „Stallknecht“, stallen „in den Stall bringen; sich einquartieren“, stallen vor „belagern“, stallinge „Stallung, Stall“, stalman „Stallknecht“, stal-mëster „Stallmeister“ u.a.  sehe ich keine Veranlassung, das Grundwort von bur-stal- als aus dem Fränkischen importiert zu betrachten. Das völlige Fehlen entspre-chender Ortsnamen in Hessen (von südlicheren Gebieten ganz zu schweigen) spricht ebenfalls dagegen. Der burstal-/borstel-Typus ist mit Sicherheit unabhängig von fränkischem Einfluß entstanden.
Nachtrag:  (Derks, Moswidi S. 34, Anm. 382)

3. Brühl
(Nachtrag: beachte Handout von R.M. Kully, Brühl; dem Franken-Artikel beigeheftet)
Die Diskussion um das häufig in Orts- und Flurnamen auftretenden Wort Brühl berührt H.-J. Nitz mit seiner Bemerkung: „Hier muß man bei der fränkischen Herkunft der Institution der Bischofskirche und der fränkischen Herkunft der Institution der Bischofskirche und der von Aachen aus erfolgten Gründung an eine Übertragung des fränkischen Begriffs Brühl denken, wie überhaupt der Brühl in Sachsen und Nordhessen ein solcher ‘Import’ aus dem fränkischen Raum sein muß“ .
Man ist sich ziemlich einig, daß das Wort über das Mittellateinische aus dem Keltischen ent-lehnt worden ist: „Der Brühl < gall.-lat. bro(g)ilus ‘eingehegtes Gehölz’ …, ahd. broil, bruil, mhd. brüel ‘Aue’, frühnhd. bryel u.ä. ‘fette, auch mit Buschwerk bestandene Wiese’. Ndl. breugel, bruil, briel …“ , „Altall. *brogilus ‘eingehegtes Gehölz’ = mlat. bro(g)ilus > ahd. broil, bruil, mhd. brüel“ , „Brühl ‘feuchte Wiese’ … , mhd., ahd. brüel, entlehnt aus ml. bro(g)ilus, das gall. *brogilos voraussetzt. Dieses zu (ig.) *mrog-, das als Erbwort in Brackwasser und Bruch auftritt. Das Wort ist häufiges Element in Ortsna-men“ .
Dabei ist aber ein bedeutsamer Gegensatz zu beachten: nach R. Schützeichel  haben die deut-schen Appellativa Brühl „feuchte Wiese, feuchter Platz“, frühnhd. bryel „fette, auch mit Buschwerk bestandene Wiese“, mhd. brüel „bewässerte, buschige Wiese“, ahd. bruil, broil „Aue“, mnl. prayel „Rasenfläche“ als wichtige Komponente den Bezug zum Wasser, während die romanischen Belege auf „Umzäuntes, Eingehegtes“ weisen: italien. broglio „Küchengar-ten“, rätoroman. brögl „Einfang, Baumgarten“, prov. bruelh, frz. breuil „eingehegtes Ge-büsch“. Den gleichen Bedeutungskern haben keltische Wörter: gall. brogae „Acker“, bret. bro „Bezirk“, air. mruig, bruig „Landstrich“. Die Formen führen auf gall. *brogilo zurück, das im Mittellateinischen seit dem 8. Jh. als bro(g)ilus erscheint . Etwas unklarer heißt es bei H. Dittmaier : „Die Grundbedeutung des Namenwortes ist nicht das Feuchte, Sumpfige, wie in den heutigen Wörterbüchern angegeben, sondern das Umzäunte, Gehegte“.
Vergleicht man mit diesem Befund die weite Verbreitung im mittelniederdeutschen und neu-niederdeutschen Wortschatz, in den norddeutschen Flurnamen  und sogar im Namenbestand der ostdeutschen Kolonisationsgebiete, so muß es sich bei brül, bröil – gleichgültig, ob aus dem Keltischen entlehnt oder nicht – um ein im Altniederdeutschen weit verbreitetes Wort gehandelt haben (wofür auch Ortsnamen mit ihrer älteren Überlieferung sprechen). Man ver-gleiche  mnd. br?l, bröil m. „Brühl, feuchte Niederung, Buschwerk in sumpfiger Gegend“, nnd. Brühl, Bräul, Braul „niedriges, vereinzeltes Gebüsch“ , Flurnamen bei
 
Hannover  Magdeburg , Celle , in der Ueckermünder Heide , bei Rochlitz , im Thürin-gerwald , bei Grimma und Wurzen  und anderswo.
Beachtenswert ist eine Passage bei J. Göschel , der Brühl als Flurname mehrfach belegt und dann notiert: „Ursprünglich ist mit Brühl eine mit Buschwerk bestandene, tiefer gelegene nasse Sumpfwiese bezeichnet worden. Später werden nach V. Ernst … mit Brühl vor allem im dt. Südwesten die Wiesen des grundherrlichen Salhofs bezeichnet. Diese Wiesen lagen dicht beim Hofe oder Dorf im Gegensatz zur Breite, die das grundherrliche Ackerland benannte. Im UG ist das nicht nachzuweisen. – Die Realprobe bestätigte im UG die alte Bedeutung ‘sumpfi-ge, nasse Stelle’ bei allen Belegen.“
Ortsnamen bestätigen die frühe Produktivität des Wortes: R. Möller  verzeichnet den ON. Brauel, Kr. Bremervörde, 1189 in Brovle, ebenso den Wüstungsnamen Broil sö. Lamspringe, 1153 Broil sowie Broil, Name einer Wiese bei Gertrudenberg nahe Osnabrück, 1189 Broil. Aus Westfalen bucht H. Jellinghaus  etliche Orts- und Flurnamen; eine gründliche Auflistung zahlreicher hessischer Flurnamen verdanken wir H. Ramge und seinen Mit-arbeitern . Auch in den Niederlanden und Belgien findet man es in Flurnamen.
Schon W. Arnold  hat auf Entsprechungen in England verwiesen. Neuere Arbeiten sehen darin Reflexe von altfranz. broile „a park, an enclosed park for deer or other game“, so auch in den Ortsnamen Brail (Wiltshire), Broil (Northamptonshire), Broyle (Sussex) . Es muß aber ernsthaft gefragt werden, ob diese südenglischen Belege nicht eher mit den flämischen, niederlän-dischen und norddeutschen Entsprechungen zu verbinden sind . Daraus folgt – ebenso wie aus den zahlreichen Belegen in süddeutschen und westdeutschen Ortsnamen -, daß das Wort frühzeitig zur Namengebung diente und fränkischer Einfluß nicht angenommen werden muß.
Hinzu kommt ein Problem der ursprünglichen Bedeutung von Brühl, das die gesamte Diskus-sion durchzieht und bis heute nicht sicher geklärt werden konnte: „Das Schwierige … ist ihre Mehrdeutigkeit, die so stark auseinanderfällt, daß man meinen könnte, man habe es jeweils der Herkunft nach mit ganz verschiedenen, zufällig gleichlautenden Wörtern zu tun“ . Be-trachtet man sich unter diesem Gesichtspunkt Flurnamen aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen, so wird man immer wieder erkennen können, daß die Namen auf sumpfige, feuchte Wiesen und Niederungen Bezug nehmen. Eine Beziehung zu einem Herrenhof o.ä. ist nicht zu erkennen.

4. -büttel

Die These, daß die ca. 220 Ortsnamen auf -büttel in ihren Personennamen deutliche Hinweise auf fränkische Herkunft enthielten, geht wiederum auf L. Fiesel zurück. Unter Nennung von Personennamen wie Aldag, Bado, Davo, Duda, Egilhard, Eggo, Gripho/Grippo, Hermin, Hager, Meginrich, Odbreht, Radulf, Sini, Volcward, Werimr, Wyric hat er gemeint: „Alle diese PN sind fränkisch. Sie kommen bei den genannten Altsachsen nicht vor und weisen darauf hin, daß die genannten Orte als Gründungen von Franken im nördlichen Teil des Nordwaldes frühestens seit dem späten 8. Jh. anzusehen sind, wahrscheinlich etwas später“ . Die Streuung der angeblichen fränkisch beeinflußten -büttel-Namen reicht nach L. Fiesel bis in die Kreise Verden, Osterholz, Cuxhaven, Winsen/Luhe und Uelzen, also bis kurz vor Ham-burg, hinein. Damit verbunden wird die Etymologie: „Das Grundwort -büttel ist auf german. by-dlo zurückzuführen; als Bedeutung ist ‘Grundbesitz’, ‘Herrenhof’ zu erschließen“ .
Nichts davon läßt sich halten. Im Lichte neuerer Untersuchungen  erscheint -büttel als Orts-namenelement, das in seinen Anfängen weit vor die fränkische Eroberung Sachsens gesetzt werden muß. Das zeigt sich auch daran, daß zur Zeit der deutschen Ostsiedlung (auch in deren frühester Phase) -büttel nicht mehr als Ortsnamengrundwort Verwendung fand. Hinzu kommt der Nachweis durch K. Casemir, die zeigen konnte, daß die mutmaßlichen fränkischen Perso-nennamen der  büttel-Namen samt und sonders auch im Altsächsischen bezeugt sind. Zwi-schen fränkischem Einfluß und Entstehung der -büttel-Namen gibt es keinen Zusammenhang.

5.  dorf/-thorp

Der These von O. Bethge folgend (zu einer zusammenfassenden Wertung s. unten), werden aus Himmelsrichtungsbezeichnungen und dem Grundwort -dorf zusammengesetzte Ortsna-men, vor allem wenn sie in Kombination zueinander und eventuell noch zu Namen wie Mül-heim, Buchheim, Stockhausen u.ä. liegen, als Indikatoren für von fränkischen Organisatoren geplanten Siedlungen betrachtet. Aus Niedersachsen sind mir drei Komplexe bekannt gewor-den.
a.) Astrup/Westrup/Nortrup/Suttrup (u.a.): K. Brandt hat in Untersuchungen zu Orten in den Dammer Bergen  Orte, in denen Vierecke den ältesten Siedlungskern bilden, behandelt. Er fand diesen Ortstyp auch unter den orientierten Ortsnamen und zwar in: Astrup und Westrup (Gem. Neuenkirchen, Kr. Vechta); Astrup und Westrup (Gem. Bersenbrück), nordwestl. da-von noch Stockum; Nortrup und Suttrup (Artland), benachbart Sussum (Gem. Bersenbrück).
K. Brandt schreibt dazu : „Ohne auf diesen Ortsnamentyp näher einzugehen, genügt es, hier festzustellen, daß mehrere Orte, deren ältester Kern von einem Viereck gebildet wird, Orts-namen tragen, die auf Planung bei der Namengebung hindeuten. Dagegen fehlen solche Na-men bei den Siedlungen, in denen sich regelmäßig Vierecke finden. Mit entsprechendem Vorbehalt ist die Annahme erlaubt, daß die orientierten Ortsnamen aus einer Entstehungszeit der Siedlungen stammen und damit für eine Planung bei der Anlage der Siedlung, d.h. der Vierecke, sprechen …“.
 
Im Schlußwort dieses Kapitels heißt es weiter : „Zwar ist es fraglich, ob auch für Nordwest-deutschland die Verbindung ‘orientierter’ Ortsnamen mit Königsgut gilt … Aber jedenfalls besteht bei den Namen Westrup, Astrup und Stockum die Vermutung, daß sie von jemandem gegeben wurden, dessen Macht und Einfluß über den Bereich einer einzelnen Siedlung hi-nausging“.
H.-J. Nitz übernahm die Vermutung : „K. Brandt stieß im Rahmen seiner siedlungsgeneti-schen Analysen auf der südoldenburgischen Geest auf lagemäßig an frühmittelalterlichen Fernstraßen orientierte Einzelhöfe … Die regelhafte Anordnung … und ihre siedlungsformale Regelmäßigkeit … finden ihre Entsprechung in einer häufigen Verwendung orientierter Orts-namen wie Westrup und Ostrup, wobei hier -trup = -dorp sowohl eine kleine Gruppensiedlung als auch einen Einzelhof bezeichnen kann. Dies alles und schließlich die Besitzmassierung der Osnabrücker Bischofskirche in diesem Raum und speziell in diesen Siedlungen führen Brandt zu der vorsichtig formulierten Hypothese, daß hier der Besitzvorgänger des Bischofs, nämlich der fränkische König bzw. dessen Verwaltung, für die strategische straßenorientierte Planung dieser Kette von Einzelhofsiedlungen namhaft zu machen sei“.
Bevor hierzu eine Wertung abgegeben werden soll, sei der nächste Komplex vorgeführt: es geht um die Orte Astrup, Vestrup, Bergstrup und Holtrup bei Vechta. Die für unser Thema bedeutsamen Passagen einer Untersuchung von W. Sieverding  hat H.-J. Nitz wie folgt zu-sammengefaßt: „In der Interpretation Sieverdings … sind diese Hofnamen im Rahmen grund-herrschaftlicher Maßnahmen nach der fränkischen Eroberung entstanden und in Villikationen organisiert worden … Allerdings glaubt er im Anschluß an den Namenforscher William Foerste von einem altsächsischen Ursprung der -dorp-Namen ausgehen zu müssen … So deu-tet Sieverding vorhandene Höfe außerhalb der Reihe bzw.ohne Beteiligung an der Breitstrei-fenflur als altsächsische Einzelhöfe des 5./6. Jahrhunderts, die im Zuge der altsächsischen Westexpansion angelegt worden seien, die er sich als zentral und militärisch gelenkt vorstellt. Da sich unter diesen -trup-Namen aber die gleiche Häufung schematischer Namenbildung wie z.B. Astrup-Westrup, Bergtrup und Holtrup findet, die schon Brandt konstatierte, könnte man ebenso dessen These folgen und die Gründung der Gruppensiedlungen, ohne die Hilfskon-struktion einer vorhergehenden zunächst isolierten Einzelhofsiedlung, samt ihrer Namengebung mit der karo-lingischen Kolonisation in Verbindung bringen, die nun ja nachweislich einen zunächst militä-risch-okkupatorischen Charakter hat“ .
Prüft man die vorgebrachten Argumente kritisch, so kann bei dem letzten Komplex begonnen werden. Unter Bezug auf die sprachwissenschaftliche Argumentation von W. Foerste  heißt es bei W. Sieverding eindeutig: bei dem Wort thorp handelt es sich „um ein ausgesprochen westsächsisches Ortsnamen-Element …, das in der kontinentalen Heimat der Sachsen zur Zeit der Abwanderung nach Britannien im 5. Jahrhundert n. Chr. schon als Ortsnamen-Wort ge-bäuchlich war“ . Eine Namengebung im 8. oder 9. Jahrhundert kommt allein aus diesem Grund (es gibt aus sprachlicher Sicht noch weitere , die auch bei den anderen Namengruppen noch zur Sprache kommen werden) nicht in Betracht.
Zur These, bei der Entstehung der Namen Astrup und Westrup (Gem. Neuenkirchen, Kr. Vechta) bzw. Astrup und Westrup (Gem. Bersenbrück) hätte Fränkisches Einfluß genommen, kann aus sprachhistorischer Sicht nur ablehnend Stellung genommen werden. Viel zu wenig beachtet wird nämlich, daß die beiden Namen in sich Lautveränderungen enthalten, die nur in den niederdeutschen Mundarten des westlichen Niedersachsen bzw. Westfalens begegnen können: zum einen betrifft dieses die Metathese dorp : drop, drup, trup in Verbindung mit der Tatsache, daß die Namen nicht hochdeutsches -pf-, -f-, sondern niederdeutsches p enthalten , zum andern ist bei Astrup zu beachten, daß das zugrunde liegende westgermanische * au- sich vor -s- nicht wie im Alt-hochdeutschen zu -?- entwickelt hat (heute hdt. Ostdorf, Osten), sondern durch das A- (Astrup) auf eindeutig altsächsischen Lautstand weist. Man vergleiche dazu die Belege bei H. Gallée , den Beitrag von D. Freydank  und zur Illustration einige alte Belege des ON. Osnabrück: 8. Jh. Osna-brucg(ensis), 9. Jh. Osnaburgensis, Osnabrukgensi, 1003 Asenbrungensis, 1005 Asanbrunensis, 1025 Asnabrug(g)ensi . Dieses Kriterium ist auch an den ON. Astrup bei Belm nordöstl. Osnabrück anzulegen, 1090 (K. 18. Jh.) et Asthorpa … fuerat Asthorpa, für den planmäßige fränkische Anlage erwogen wurde .

Ein Blick auf die Karte zeigt, wie im Fall von Astrup und Westrup die Namengebung nach „Osten“ und „West“ zu verstehen ist (vgl. Karte 1): der Bezugsort ist Vörden (ein Furt-Name), die nördlich davon liegenden Orte Astrup und Westrup stehen mit Vörden durch eine getrennt verlaufende Wegeführung in Verbindung; zwischen den beiden Orten liegen Erhe-bungen, die trennen und eine Benennung als „westliche“ bzw. „östliche“ Siedlung beeinflußt haben dürften.
Ebenso starke Einwände gegen fränkischen Einfluß müssen aus sprachlicher Sicht im Fall von Nortrup und Suttrup (Artland) erhoben werden. Das in diesem Zusammenhang genannte Sus-sum (Gem. Bersenbrück) liegt fast 10 km entfernt (dazwischen befindet sich der Ort Ketten-kamp) und gehört als Suter-hem in einen anderen Zusammenhang (vgl. Punkt 22). Nortrup, 1169 (A. 14. Jh.) Norttorpe, 1172 Northorpe(n), ca. 1240 Norttorpe , und Suttrup, Ende 12. Jh. (A. 16. Jh.) Suttorpe, 1271 (A. 14. Jh.) Suttorpe, 1330 Suttorpe , sind wohl in ihrer Na-menentstehung aufeinander bezogen, aber gerade dann muß dieses unabhängig von fränki-schem Einfluß geschehen sein. Entscheidend ist dabei Suttrup, denn dieser Name enthält im Vorderglied asä. sud „Süden“. Auf die Einzelheiten dieser sprachlich wichtigen Erscheinung, die das Altsächsische mit dem Altfriesischen und Altenglischen verbindet, werde ich bei der Diskussion der ensprechenden -heim-Namen (Sudheim, Sutterem, Sottrum usw.) zusammen-fassend eingehen (vgl. Punkt 22).
Aber fränkischer Einfluß bei der Entstehung der -dorf-Namen Niedersachsens wurde nicht nur im Osnabrücker Raum vermutet, sondern auch im Leinegebiet. Unter Bezug auf den Typus Oldendorp hat sich dazu vor allem D. Denecke  geäußert. Er baut dabei in hohem Maße auf die Arbeit von I. Burmester , die in durchaus verdienstvoller Weise dieses Grundwort aus sprachlicher Sicht behandelt hat. Ihr sind jedoch bei der Beurteilung des Alters der  dorp/ dorf-Namen etliche Fehler unterlaufen . Eine von ihr angefertigte Karte der „Aus-breitung der christlichen thorp-Siedlung“ (vgl. Karte 2) gibt die Ergebnisse im wesentlichen wieder. Nachdrücklich ist jedoch auf die Kritik von H. Walther an der auch von I. Burmester vertretenen Meinung hinzuweisen, „das Auftreten der  thorp-Namen falle überall mit der Machtausweitung der Merowinger und mit dem Gang der christlichen Mission zusammen“ . Insofern ist die Kartenüberschrift zu korrigieren. Zusammenfassend gesagt: angesichts ver-schiedener sprachlicher Erscheinungen, die zweifelsfrei bis in die altsächsische Zeit und z.T. noch darüber hinaus datiert werden können, haben die -dorp-Namen in Norddeutschland mit Sicherheit bereits vor dem Eindringen der Franken bestanden.

Ein Letztes zu den -dorf-/-dorp-Namen: der Blick nach England bestätigt, daß dieser Namen-typus in Verbindung mit Himmelsrichtungen völlig unabhängig von fränkischem Einfluß immer wieder geschaffen werden konnte: „The loca-tion of a þorp in relation to a larger place is often indicated by the addition of ëast, west, etc., as in Easthorpe YN, Northorpe, Southorpe YE, etc.“ , und an anderer Stelle: „A word deno-ting position relative to another place, as Aisthorpe L, Easthorpe Ess, Nt, YE (ëast) … Northorpe L, YE (norð), Owsthorpe YE (austr), Southorpe L, Nth, YE (sûð), Westhorpe Nt, Sf (west)“ .
b.) Grasdorf: In den Kreisen Hannover und Hildesheim liegen die beiden Orte Grasdorf, die mit dt. Gras nichts zu tun haben, sondern aufgrund ihrer alten Belege 1153/78 Gravestorpe, 1285 in Gravestorpe bzw. 1131 in Gravestorp, (1154) in Gravesthorp, 1157 in Gravestorp  offenbar auf eine Grundform Graves-thorp zurückgehen. Ebenso ist der ON. Grastrup bei Schötmar, 1316 in Gravestorp , zu analysieren.
Was verbirgt sich hinter dem Bestimmungswort Grav(es)-? Bei D. Rosenthal heißt es : „Im ersten Element die fränkische Bezeichnung ‘Graf’“ und weiter: „Lage und Boden weniger günstig, was zusammen mit dem Bestimmungswort auf Entstehung nach 800 deutet“. Die Annahme fränkischen Einflusses scheint berechtigt, denn während dt. Graf im Hochdeutschen vor allem mit -a-Vokalismus belegt ist (mhd. grâve, ahd. grâvo), begegnen im Niederdeut-schen vornehmlich -e-Formen: mnd. greve „Graf, Vorsteher“, dinkgreve, dîkgreve, holtgreve, spelgreve . Aber die Deutung ist verfehlt. Unser Wort flektiert schwach, nicht stark, das gilt sowohl für das Althochdeutsche wie das Mittelniederdeutsche: es müßte *Gravendorp heißen.
Da auch dt. Graben nicht vorliegen kann und ein Grab(es)-dorf (zu dt. Grab?) kaum einen Sinn ergibt, muß man nach einer anderen Lösung suchen. Man findet sie in einem ganz ande-ren Zusammenhang. Zu einer indogermanischen Wurzel *ghr?u- : *ghr?u : *ghr?- gehört kelt. *grava „Kies“, z.B. in kymr. gro, akorn. grou „Sand“. Die Wurzel ist auch im Germani-schen bekannt, hier mit einer -n-Erweiterung *ghr?uno- in aisl. grj?n „Grütze“ (*geschrotetes Korn), mhd. grien „Kiessand, sandiges Ufer“, nd. gr?n „Sandkorn“ (dazu der ON. Greene). Daraus darf gefolgert werden, daß auch den germanischen Sprachen ein Ansatz *ghr?u  bekannt gewesen ist; er müßte entsprechend dem Verhältnis nhd. blau : asä. blâw im Altnieder-deutschen als *graw- erscheinen.
Hier können die Grasdorf-Orte angeschlossen werden, wenn auch letzte Sicherheit noch nicht gewonnen werden kann. Einen Hinweis auf die Richtigkeit der Verbindung scheint der Wüs-tungsname Grafhorn bei Immensen östlich von Hannover mit Scherbenfunden des 9. und 10. Jahrhunderts zu geben. Der 1666 in der Form Graffhorn erwähnte Name bezieht sich nämlich auf ein Gelände, in dem „eine Sandanwehung zungenartig in ein feuchtes Gebiet hinein-ragt“ . Mit fränkischen Grafen haben die Namen jedenfalls nichts zu tun.c. Hattorf: „Hattorf führt mit dem Bestimmungswort in die älteste germanische Rechtsge-schichte. huota, huot, hode, hude ist die ‘Schutzgemeinschaft mit gewissen Rechten und Pflichten’. Hattorf ist also das Dorf einer bestimmten fränkischen Rechtsgenossenschaft“ erwog H. Wesche  für Hattorf bei Wolfsburg. Seine Meinung wurde u.a. von D. Denecke  aufgegriffen.
So schwierig der ON. Hattorf auch sein mag, eine Verbindung mit dem von H. Wesche he-rangezogenen Terminus bleibt mit Sicherheit fern. Das lehren schon die alten Belege für Hat-torf am Harz, 952 (F. 13. Jh.) partem ville Hattorpp, 13. Jh. Hattorph, Hattorp, in Hattorpe . Aber auch Hattorf bei Wolfsburg besitzt ähnliche Zeugnisse: 1196-1197 in Hat-torp , 1294 Hattorpe . Hinzuzusetzen ist wohl auch Hattrop bei Soest trotz der etwas schwankenden Belege 1186 Hattorp, 1276 Hottorpe, 1284 Hettorpe . H. Wesches Deutung überzeugt in keiner Weise, vgl. Förstemann  s.v. hud2: ahd. huota, mhd. huot, mnd. hode, hude „die Aufsicht, Wache, Distrikt eines Waldaufsehers“, bezeugt in Ortsnamen wie Hoden-burg, Mansfelder Gebirgskreis, 937 Hudeburgi; 1083 Hutghest in den Niederlanden; Hitdorf bei Solingen, ca. 1151 Huttorp. Dazu paßt kein Hat-. Eine eigene Deutung der Hattorp-Namen soll hier nicht vorgelegt werden. Es geht hier nur darum, die verfehlte Verbindung mit ahd. huota „Wache“ usw. aufzuzeigen. Die genannten Wörter verlangen  ? , das im Niederdeutschen unverändert geblieben wäre.

6. Drebber.

In den hochdeutschen Ortsnamen Trebur, Tribur, Trebra, alt Triburi, Driburia, Driburi, und den niederdeutschen Drebber bei Diepholz, alt Thriburi, Triburi, Drever bei Salzkotten, Dre-wer bei Rüthen, alt Triburi, sieht O. Bethge  fränkischen Einfluß: „Die Orte wie ihre Namen sind der Niederschlag der fränkischen Kolonisation; die Namengebung ist auf amtlichen oder traditionellen Einfluß oder besser auf beide zurückzuführen“.
Eine Etymologie hat O. Bethge nicht vorgetragen, aber es ist klar, was gemeint und bis heute Allgemeingut ist: seit E. Förstemann  sieht man im ersten Teil der Namen germ. thri „drei“; zum zweiten Teil der Namen äußert sich Förstemann nicht, aber offenbar ist an b?r „Haus“ gedacht. H. Walther  stellt Trebra ähnlich zu ahd. drî „drei“ und b?ri „Behausung“.
Diese so sicher scheinende Etymologie ist äußerst fraglich und bei einigen Namen mit Sicher-heit falsch, so gewiß bei den niederdeutschen Drewer, Drever, Drebber. Wir können das am Fall von Stöckendrebber und Norddrebber (nördl. Hannover) erkenen: die alten Belege zeigen hochdeutschen Einfluß (1029 in Dribura, 1033 in villis Tribur), mit Eintritt der heimischen Überlieferung ändert sich das Bild schlagartig: 1213 in treuere, 1215 in threueren, 1251 in northtreuere et in suttreuera, 1281 in Dreuere . Damit wird auch sofort klar, daß die hoch-deutschen Formen Umdeutungen einer volkstümlichen, niederdeutschen Grundlage sind, und die beiden Wörter tri und b?r in die Namen hineininterpretiert wurden. Auch der spätere Zusatz north und sut hat nichts mit fränkischem Einfluß zu tun, sondern bezieht sich auf die von Süden nach Norden fließende Leine und deren Tal. Und auch die Ortsnamen selbst beziehen sich auf das Leinetal: zugrunde liegt wie bei Drebber an der Hunte (auf beiden Seiten des Flusses als Jacobidrebber bzw. Mariendrebber erwähnt), Trebur am Schwarzbach, Trebra (Kyffhäuserkreis) und Trebra (Kr. Nordhausen) an einem Bach eine altertümliche -r-Ableitung  zu idg. *dher?bh- : dhr?bh : dhr?bh-, zu der aus den germanischen Sprachen gehören: ahd. trebir, nhd. Treber „Rückstand beim Keltern“, mnd. drever, Plural zu mnd., mnl. draf, vgl. anord. draf „Abfall“, norw. drevja „weiche Masse“, geminiert nl. drabbe „Berme, Bodensatz“, ndd. drabbe „Schlamm“, schwed. dr?v „Bodensatz“ (*dhr?bho) Im Ablaut gehört dazu ahd. truobi, dt. „trübe“.
Die Ortsnamen verdanken ihre Benennung ganz offensichtlich ihrer Lage am Rand von Über-schwemmungsgebieten, dort, wo Schlamm und Bodensatz als Rückstand nach höherem Was-serstand zurückbleiben. In gewissem Sinn ist dieses Beispiel sehr lehrreich: es zeigt, wie groß die Diskrepanz sein kann zwischen dem, was man in Ortsnamen sehen möchte, und dem, worauf diese in Wirklichkeit Bezug nehmen: auf ihre geographische Lage.

7. -feld

Der auch heute nicht selten anzutreffende Glaube, Ortsnamen mit dem Grundwort -feld wür-den auf fränkische Plansiedlung, verbunden mit königlichem Besitz, weisen, geht letztlich auf P. Höfer zurück . Erst jüngst hat H.-J. Nitz  bei der Behandlung dieses Themas diesen Beitrag positiv erwähnt. Aus dem Harzer Raum sind in diesem Zusammenhang z.B. Bodfeld, Ilfeld, Siptenfeld, Selkenfeld, Hasselfeld, Ichtenfeld, Saalfeld erwähnt worden. Es handele sich um „königliche Forsthöfe“ hat dezidiert W. Flechsig  bei einer ansonsten guten Zusammen-stellung entsprechenden Namen  geäußert.
Das hohe Alter der -feld-Namen läßt sich gut an dem ON. Ilfeld bei Nordhausen demonstrie-ren: für diesen läßt sich zusammen mit der-ithi-Bildung Ilde bei Bockenem (1065 Illidi) und Ilten bei Hannover (< Il-tun) nur im östlichen Europa ein sicherer Anschluß finden: in ukrain. il „Schlamm, Letten, Ton, Lehm“, weißruss. il „dünner Schmutz organischer Herkunft im Wasser, auf dem Boden eines Wasserloches, sumpfiges, graues oder weißfarbiges Land“, russ. il „Schlamm“, ein alter -u-
 
Stamm, vielleicht verwandt mit lett. ?ls stockfinster“, sicher aber mit griech. këšò „Schlamm, Kot“, åßëš ìåëáí  (Hesych) .
Ähnlich alte Verbindungen lassen sich bei Alfeld, Dransfeld, Scharzfeld  und anderen -feld-Namen herausarbeiten. Fränkisches und die Verbindungen mit den viel zu jungen königlichen Forstorten müssen aber auch aufgrund einer offenbar zu wenig beachteten Bemerkung von P. v. Polenz fern bleiben: „ … als Landschaftsnamengrundwort ist -feld in auffälliger Weise be-sonders im Gebiet des alten Thürinerreiches verbreitet … Auch namengeographisch spricht alles gegen eine fränkische Herrschaft der ostfränkisch-thüringischen -feld-Landschaftsnamen. Sie sind außer in Ostfranken und Thüringen nur im südlichen Niedersachsen und in den Al-penländern verbreitet, nicht dagegen in altfränkischen Gebieten“ .
Die fehlerhafte Interpretation niedersächsischer -feld-Namen kann an einem weiteren Fall aufgezeigt werden: unter Bezug auf den ON. Hilligsfeld aus dem Kreis Kr. Hameln-Pyrmont heißt es bei L. Fiesel : „Die Kirche von Hilligsfeld hat den Stammesheiligen der Merowin-ger und Karolinger, den Martin von Tours, als Schutzpatron … Der PN Hillig, Hilliki und ähnlich ist fränkisch; unter den sächsischen Geiseln kommt er nicht vor. Das GW -feld ist, wie bei Hünfeld, als Bezeichnung einer karolingischen Funktionssiedlung anzusehen. Die meisten -feld-Orte sind als königliche Forstorte erkennbar“.
Diese Deutung steckt voller Fehler. Der ON. Hilligsfeld kann aufgrund seiner alten Belege aus dem 9. Jh. (Abschr. 12. Jh.) in Hillingesfeldo, 856/69 (A. 12. Jh.) Hillingesfelden, 980-982 (Abschr. 15. Jh.) in Hillikesfelle, (1055-1080) in Hildinesfelda, 1188 Hillingelvelt  ver-schieden erklärt werden: entweder auf Hillingesfeld beruhend zu einem PN. Hilling oder aber wegen der Hildingesfeld-Formen zu einem PN. Hilding. Mit einem PN. Hillig oder Hilliki ist nicht zu rechnen.
 
Nur am Rand sei bemerkt, daß der Name Hünfeld zumindestens in altgermanische Zeit zu datieren ist; auch hier bleibt fränkischer Einfluß beiseite.

8. Frankensundern

Für diesen kleinen, weniger als 50 Einwohner zählenden Ort bei Bramsche sind keine älteren Belege bekannt . Dennoch meint K. Rübel : „Als fränkisches Sundern läßt ihn nicht allein der Name erkennen …“, und wenige Seiten später zunächst einschränkend : „Wir sind nun weit davon entfernt, zu behaupten, daß alle Sundern auf fränkische Markenregulierung zu-rückzuführen sind“, aber dann heißt es: „Wo jedoch die Sundern an der Grenze der Marken liegen, wie das Frankensundern bei Rulle und zahlreiche andre …, da werden die Sundern und Sonderhufen allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit als ehemalige königliche Sundern zu erklären sein“.
Die späte Überlieferung des Namens spricht mit aller Entschiedenheit gegen eine Namenge-bung etwa im 8. oder 9. Jh. Hinzu kommt die Lage der winzigen Siedlung inmitten von Wäl-dern, völlig abgeschlossen von der Umwelt und nur durch einen waldfreien Zugang zum nördlich davon liegenden Mühlenort (auch kein Ortsname mit sehr alter Tradition!) mit der Umgebung verbunden. Unter einer fränkischen Grenzposition dürfte man sich etwas anderes vorzustellen haben.

9. Helperde
Unter Heranziehung der alten Belege 850 Helperdun, 1196 Helperthe sieht D. Rosenthal  im Grundwort germ. *d?n? „Dühne, Sandhügel“ und meint weiter: „Im ersten Element der Kurzname Helper zum westgermanischen Vollnamen Hilper?c, Helper?c, der hauptsächlich bei Franken und Westfranken verbreitet war“.
Eine vollständige Liste der alten Belege (826-876 [A. 15. Jh.] Helperdun, 1196 Helperthe, 1230 Helperthe, 1255 Helperthe) zeigt, daß -un im ersten Beleg Reflex eines Dat. Plur., des typischen Lokalkasus in deutschen Ortsnamen, ist . Die übrigen Belege weisen auf ein -ithi-Suffix, das nie mit einem Personennamen kombiniert ist . Eine Erklärung des Namens ist schwierig, aber am allerwenigsten kommt für das Bestimmungswort ein Personenname in Betracht .

10. Holtensen (und Verwandtes)

Im Zusammenhang mit der fränkischen Unterwerfung Sachsens und der grundherrlichen Ko-lonisation sind immer wieder Ortsnamen herangezogen worden, die Hinweise auf Leistungen gegenüber dem Grundherrn geben könnten. Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang der Typus Holzhausen, ndt. Holtensen, genannt. So heißt es bei H.-J. Nitz : „Holzhausen, Holz-heim und Holzdorf sind die Standorte spezieller Holzproduktion für die Villikation“.
Eine Überprüfung der Bedeutungsentwicklung schließt dieses für weite Bereiche Deutsch-lands und ganz sicher für Norddeutschland aus: mnd. holt bedeutete „Baumbestand, Gehölz, Wald, Waldstück, Hochwald“ , der Ortsnamentyp Holthusun, Holzhausen ist nur zu verste-hen als „Häuser im Wald, nicht hölzerne Häuser, wie Förstemann meinte!“ . Noch in den Merseburger Zaubersprüchen heißt es: Phol ende Uuodan uuorun zi holza („ … fuhren in den Wald“). Auch die zahlreichen Ortsnamen wie Bocholt, Bockolt, Buchholz, Hainholz, Nord-holt, Westenholz, Vahrenholz usw. enthalten holt, Holz im Sinne von „Wald, Gehölz“; sie meinen also Siedlungen am Wald und nicht etwa solche, die Holz produzieren.

11. -husen/-hausen

Auch die Bildungen mit -husen, dem im Hochdeutschen -hausen entspricht, sind fränkischer Herkunft verdächtigt worden. An erster Stelle ist hier wieder L. Fiesel zu nenen. Für das süd-liche Niedersachsen, vor allem für das Leinetal und seine Umgebung meinte er aufgrund einer Auflistung von -husen-Namen aus den Corveyer Traditionen folgern zu können : „Sind diese in den T.C. genannten Orte mit dem Grundwort  husen nicht erst Gründungen der Zeit nach der Eingliederung Sachsens in das Frankenreich?“, und weiter: „Im 9. Jh. erscheint in dem unterworfenen und dem Impe-rium eingegliederten Sachsenland eine erhebliche Menge der Orte auf -husen. Verfügungsbe-rechtigte Besitzer waren die Angehörigen einer gehobenen Schicht, die man als nobiles und nobilissimi ansehen muß … Sind nun die Angehörigen dieser ‘Stammes-aristokratie’ originär Sachsen oder originär Franken? Zur Lösung dieser Frage können wieder die PN beitragen“ .
In diesen glaubt Fiesel fränkische Spuren zu entdecken. Genannt werden in diesem Zusam-menhang 1. Adalhard und die gesamte Adal-Sippe; 2. die Personennamen um Hildi. Weiter wird ausgeführt: 3. „Hemric, später Heinrich …, ist ebenfalls des Frankentums verdächtig“; 4. „Der Name Ida (2. Gemahlin des Grafen Esic = Adalric) ist ‘offensichtlich fränkischer Her-kunft’“; 5. Auch die mit -dag-gebildeten Personennamen „sind fränkisch … Die mit -dag- gebildeten ON und PN als ‘cheruskisch’ anzusehen , nur weil sich einige Vorkommen zwi-schen der oberen Weser und Leine finden, entbehrt jeder Berechtigung“. 6. Fränkischer Her-kunft sind nach Fiesel weiter die Personennamen um Odo, Oddo, Oto, Alding, Imming, Erp, Benno, Dodo, Brumman, Ecceric, Heilker, Franko, Luthard, Suitbod, Hrotbert, Adic, Emmid, Mangar, Smidirat, Papo.
Fiesels Folgerung lautet: „Ist unter diesen Umständen der Schluß von der Hand zu weisen, daß die weit überwiegende Zahl der in T.C. genannten Orte mit dem GW -hausen als von Reichsfranken benannt und begründet anzusehen sei?“, und: „Alle diese Beobachtungen und die aus ihnen gezogenen Schlüsse lassen für das Altsachsenland keinen Raum für eine Entste-hung der -husen vor dem 9. Jh. Das Höchstalter ist also für Altsachsen auf das späte 9. Jh. anzusetzen“ .
Gegen diese Meinung hat sich schon früh Widerstand geregt. So meinte W. Flechsig : „Frü-her hat man geglaubt, die -hausen-Orte seien von den Franken gegründet worden. Aber woher hätten die Franken die Menschenmassen nehmen sollen, um nicht nur in Hessen und Ostfalen, sondern auch in Westfalen und anderen deutschen Landschaften die Tausende von -hausen-Orten mit eigenen Leuten besetzen zu können?“. Die These fränkischer Herkunft könne zu-dem nicht stimmen, denn „daß sich die Hauptmasse der  hausen-Orte mit einem PN als BW schon vor dem 9. Jahrhundert entstanden sein muß, ergibt sich aus der relativen Zeitfolge der deutschen ON-Typen …“ .
Auch G. Müller lehnt die fränkische These ab: „Als die Franken ihren Einfluß in Hessen gel-tend machen konnten, muß hausen dort, in Niedersachsen und in Ostwestfalen schon ein be-stimmendes Element der Namenlandschaft gewesen sein“ . Dafür spricht auch die Tatsache, daß zu Beginn der Ostkolonisation im 12. Jahrhundert das Grundwort -husen/-hausen nicht mehr produktiv gewesen ist. Die Blütezeit muß demnach viel früher gewesen sein.
Auch der Untertypus -ing(e)-husen-, für den nun wiederum W. Flechsig fränkischen Einfluß in Betracht gezogen hat , ist ohne diesen produktiv geworden. Aufgrund der eingehenden Untersuchung von U. Scheuermann  kann man heute sagen, daß u.a. die Verbreitung eindeu-tig gegen die Annahme fränkischen Einflusses spricht.
Eine detaillierte Behandlung der von F. Fiesel als fränkisch deklarierten Personennamen in niedersächsischen Ortsnamen (nochmals seien genannt: Odo, Oddo, Oto, Alding, Imming, Erp, Benno, Dodo, Brumman, Ecceric, Heilker, Franko, Luthard, Suitbod, Hrotbert, Adic, Emmid, Mangar, Smidirat, Papo) kann hier nicht geleistet werden. Es kann nur allgemein gesagt werden, daß das von W. Schlaug bereitgestellte Material  die Liste erheblich schrumpfen läßt. Zu einigen  husen-Namen, die auch von anderer Seite als Argumente für fränkischen Einfluß herangezogen wurden, soll aber kurz Stellung genommen werden.
a.) Abbensen: Der nordöstlich von Neustadt/Rbge. liegende Ortsname erscheint seit dem 13. Jh. als Abbenhusen , später mit typischer Abschwächung als Abbensen. Es ist klar, daß im Bestimmungswort ein schwach flektierter Personenname Abbo vorliegt. Der Ortsname ist hier zu behandeln, da er nach einer jüngeren Veröffentlichung  „an die fränkische Zeit erinnert“. Offensichtlich ist gemeint, das er mit einem nur im Fränkischen bezeugten Personennamen gebildet ist. Allein die Verbreitung derjenigen Ortsnamen, die mit Abbo kombiniert sind, widerspricht dieser Möglichkeit, vgl. Abbensen bei Hämelerwald, Abbenhausen bei Twistringen, Abben-dorf bei Scheeßel und Bodenteich, Abbenfleth bei Stade, Abbenrode bei Wernigerode und Cremlingen, Abbenburg nahe Höxter. Der Personenname selbst entstammt unterschiedlichen Grundlagen, seine Kurzform erschwert eine eindeutige Etymologie. Die Annahme, es handele sich um einen Namen aus der fränkischen Zeit, wird durch den Nachweis altsächsischer Per-sonennamen widerlegt .
b.) Alvessen: Der Name dieser Wüstung bei Pattensen (Kr. Hannover) erscheint seit Mitte des 12. Jhs. als Allevessen, um 1225/1230 Alevessen, Allevessen, in Aluesen, Aleussen . Wie stark der mutmaßliche fränkische Einfluß bereits in die Lokalforschung Eingang gefunden hat, macht die Tatsache deutlich, daß nach Ansicht von E. Steigerwald  im Bestimmungswort des Ortsnames „der fränkische Personenname Alvo [steckt], ein Name, der erst nach der frän-kischen Eroberung (im 9. Jahrhundert) hier aufgetaucht sein kann, als viele Königslehen an fränkische Adelige ausgegeben wurden, die dann Gründungen neuer Ansiedlungen initiier-ten“. Wahrscheinlich stecken darin zwei Fehler. Zum einen ist ein Personenname Alfi, Alpho nach E. Förstemann  „besonders dem sächs. und niederfränk. gebiete eigen“ . Zum andern liegt dieser Personenname aber wohl gar nicht zugrunde, denn das -e- zwischen -l- und -v- wird damit nicht erklärt. Auszugehen ist vielmehr von einem Personennamen mit einem zwei-ten Glied -laif-, ndt. -lev- , wahrscheinlich Ala-lev-, wodurch auch die Doppelschreibung des -l- (Allevessen) erklärlich würde. Fränkisches bleibt somit in jedem Fall beiseite.
c.) Güntersen: In der Einleitung hatte ich als unterscheidendes Merkmal zwischen Nieder- bzw. Norddeutschem auf der einen Seite und Hochdeutschem oder Fränkischem auf der ande-ren Seite auf sogenannte nordseegermanische Züge verwiesen, die dem Süden fremd geblie-ben sind. Dazu zählt der Gegensatz zwischen hdt. Gans gegenüber engl. goose, oder fünf gegenüber five. In bestimmten Positionen blieb im Süden das -n- erhalten (Gans, fünf), während es im Norden schwand und zugleich Dehnung des davor stehenden Vokals erfolgte: g?se – goose, fîve – five. Diese Entwicklung trat auch vor germ. -þ- ein.
Es wundert daher nicht, daß bei -n-haltigen Wörtern in niedersächsischen Ortsnamen fränki-scher Einfluß angenommen werden kann, und dieses durchaus mit guten Argumenten. G. Müller  vermutet dieses daher zunächst auch im ON. Güntersen, westlich von Göttingen. Dessen alten Belege scheinen diese Annahme zu stützen: 1059 (K. 13. Jh.) Gunteresu, 1203 Guntherssen, 1204 Guntherssen  usw. Auch in späteren Belegen schwindet das -n- nicht. G. Müller hat jedoch selbst darauf verwiesen, daß es gerade bei der dem ON. zugrundeliegenden Personennamensippe im Niederdeutschen Unstimmigkeiten gibt: „allerdings findet sich Gund- statt as. G?th- schon in Namen von Sachsen in der frühen Werdener und Corveyer Überliefe-rung“ . Man muß noch einen Schritt weiter gehen: in altsächsischen Personennamen ist „die sächische Form gûð … nicht belegt“ , im Altsächsischen „erscheint der PN-Stamm Gunth-, Gund- … niemals in der Form *Gûth- bzw.*-g?th“ . Daraus ergibt sich: der erhaltene Nasal in Güntersen kann nicht als Beweis für fränkischen Einfluß herangezogen werdnen.
d.) Gunthelmshusen/Machelmishusen: Bei diesen Namen handelt es sich um zwei Wüstungen in der Nähe von Göttingen. R. Wenskus bringt sie mit einer Familie vom Mittelrhein in Ver-bindung, zu der auch Machelm und Gunthelm gehören. Er führt weiter aus: „Die Namen die-ser beiden Männer, Machelm und Gunthelm tauchen … in den Namen zweier Wüstungen südlich Göttingen auf: Gunthelmshusen … und Machelmishusen … , 6-7 km voneinander ent-fernt. Ihre frühesten erfaßbaren Besitzverhältnisse weisen auf die Esikonen … Gunthelm und Machelm sind als Personennamen in Sachsen vor 1000 überhaupt nicht belegt, wie die Auf-stellungen Schlaugs zeigen, sie weisen auf den fränkischen Bereich. Ihr gemeinsames Vor-kommen in einer Familie am Mittelrhein und ihre Nachbarschaft in den Ortsnamen des Leinegebiets deuten auf eine Übertragung aus dem Kernland des ostfränkischen Raumes“ .
 
Eine Überprüfung der Ortsnamen läßt diese Schlüsse kaum zu. Gunthelmshusen ist nicht ganz sicher zu lokalisieren , am ehesten lag es südlich von Göttingen. Gelegentlich wird ange-nommen, daß es die Nachfolgesiedlung des ebenfalls wüst gewordenen Wüsthelmeshusen ist; sicher ist das aber nicht . Es ist von Wert, die Überlieferung näher zu betrachten: 997 Uu-osthalmeshusun, 1013 Uuosthalmeshusun, 1022 (F. 1. H. 12. Jh.) Wosthelmeshusen, 1022 (F. 2. H. 12. Jh.) Wosthelmeshusen, (1118-1137) (F. nach echter Vorlage) in Guntelmeshusen, 1207 in Guntelnnhusen, 1229 in Guntilmishusen, 1262 Guntelmeshusen, 1457 to Guntillems-husen .
Wenn diese Beleglage eine Siedlungsnachfolge widerspiegelt, dann hat der PN. Gunt(h)elm des Ortsnamens nichts mit den Franken zu tun; aber selbst bei gegenteiliger Annahme muß der PN. nicht unbedingt fränkisch sein: W.B. Searle weist ihn im Altenglischen in der typisch nordseegermanischen Form Guthhelm nach .
Die Wüstung Mechelmeshusen ist dagegen sicher lokalisierbar . Ihr Name erscheint nach dem UB Reinhausen wie folgt : (1118-37) (F. nach echter Vorlage) in Mechelmeshusen, (1152-1156) in Mechelmishuson, 1168 (verunechtet) in Machelmeshusen, 1207 in Mechelnis-husen, (um 1250) Mechelmeshusen, 1262 Mechelmeshusen usw. Nach Förstemann  ist ein PN. Maghelm, Machelm, Maghalm, Makhelm usw. bestens bezeugt, man vergleiche auch die Ergänzungen von H. Kaufmann , der Vermutungen von J. Schatz anführt, wonach den ge-nannten Personennamen ahd. und asä. m?g „Verwandter“ zugrunde liegt. Angesichts der späten Überlieferung des Wüstungsnamens halte ich es für gewagt, darin unbedingt einen fränkischen Personennamen sehen zu wollen: zwischen Karls des Großen Eindringen in Sach-sen und der Erstüberlieferung liegen 300 Jahre.
 
f.) Harboldessen: „Auch die 2 km nord-nordwestl. Greene liegende Wüstung *Harbol-dessen scheint in ihrem Namen den eines Franken Heribald zu enthalten, der sonst nur im Westen bezeugt ist“, vermutet R. Wenskus . Die angesprochene Wüstung erscheint in den Belegen seit dem 13. Jh.: 1271 in Hereboldessem , 1325 (Druck 17. Jh.) Herboldessen . Der Name ist mit Sicherheit aus niederdeutschem Sprachgut entwickelt worden: zum einen ist ein PN. Heribaldus in typisch altniederdeutscher Gestalt seit altsächsischer Zeit belegt, so als Heri-baldus (mehrfach)   und als Herebold, Heribold, Heriboldus, Herboldus, Hereboldus , zum andern enthalten Orts- wie Personenname einen Wandel -bald- > -bold-, eine typisch niederdeutsche Entwicklung, vgl. Wald > wold. Fränkisches muß fern bleiben.
g.) Huginhusen: Dieser alter Name des Klosters Wienhausen (Kr. Celle) ist nach Förstemann „nach einem eingewanderten Franken [benannt]. Der PN Hugo war den Niedersachsen dieser Gegend wohl fremd“ . H. Kaufmann hat sich dieser Meinung angeschlossen . Man über-sieht, daß entsprechende Personennamen schon im Altsächsischen bestens bezeugt sind. Dar-auf hat H. Wesche nachdrücklich hingewiesen und in der Besprechung des Buches von H. Kaufmann bemerkt: „Das häufige Vorkommen dieses Namens in Niedersachsen, das er be-quem in Schlaugs beiden Büchern hätte nachprüfen können, hat ihn nicht irre gemacht“ . Auf Schlaugs Belege gehe ich hier nicht näher ein; der Nachweis eines entsprechenden Perso-nennamens im Altsächsischen ist völlig unstrittig.
h.) Ohsen: Auch Ohsen im Kr. Hameln-Pyrmont enthält nach L. Fiesel Hinweise auf fränki-schen Einfluß: „Der ON. Ohsen führt in seinem BW auf das germanische (und schon indo-germanische) Wort für Wasser hin, das hier mit dem GW -husen verbunden ist. Die ON in der Form Ahusen (und ähnlich) sind von Bayern, Schwaben über Franken bis Niedersachsen nicht selten. Die verschiedenen Formen des Stammes aha, ohe, o können sowohl Gewässer- wie Ortsnamen sein. Das Kollektivum ist gawi = gau, go. Deshalb könnte man gau, go in der ursprünglichen Bedeutung ‘Talschaft’ fas-sen“ .
Nichts davon läßt sich halten. Hagenohsen und Kirchohsen sind keine  husen-Namen, wie die alten Belege 1004 (F. 12. Jh.) actum in villa Osen, 1159 (A. 17. Jh.) archidiaconus in Osen, 1197 in Nort Osen, 1226 (A. 16. Jh.) Hermannus de Osen usw.  zeigen. Vielmehr ist von einer -n-Ableitung auszugehen, wobei Ohsen auf *Osana oder *Osena zurückgeführt werden kann. Ohne auf weitere Überlegungen zur Deutung des Namens einzugehen, sei nur darauf verwiesen, daß sich hinter O- germ. *Au- verbergen wird und somit Parallelnamen in Oesede bei Osnabrück, 826-876 in Osidi, und Osede, Oese, Wüstung bei Elze, 1022 Asithe, also in zwei -ithi-Bildungen, vorliegen dürften. Ohsen gehört somit in eine Namengebungsperiode, die weit vor die fränkische Eroberungsepoche zu datieren ist.
i.) Seesen: Fränkisch wie Seehausen bei Frankenhausen und Seehausen an der Straße von Schöningen nach Magdeburg ist für P. Höfer auch Seesen im Kr. Goslar. Er sieht in dem alten Seehusa ein „königliches Gut und eine Burg am Westharz“  . Das ist schon aus sprachlichen Gründen abzulehnen. Seesen erscheint in den ältesten Quellen in eindeutig altsächsischer Form: 966 (Trans. 1295) Sehusen, 974 Sehusa/Sehusaburg, um 979 Sehuson, 980 Seburg, z.J. 984 (1012-1018) Seusun . Sämtliche Vergleichsnamen wie Seehausen in der Altmark befin-den sich im altsächsischen Bereich und gehen auf eine altsächsische, wenn nicht germanische Bildungsweise aus seo „See“ und -husun (Dat. Plur.) zurück.  Daß später Seesen auch als königliches Gut bezeugt ist, hat mit der Namengebung nicht das Geringste zu tun.

12. Jerze

Der Name verrät nach Flechsig fränkischen Ursprung, da er „mit dem für Königsgut in Nord-westdeutschland häufig gebrauchten GW -riki ‘Reich’“ gebildet sei .
Das wäre vielleicht richtig, wenn wirklich das genannte Grundwort zugrunde läge. Das ist aber keineswegs der Fall. Jerze erscheint in seinen ältesten Belegen wie folgt: (um 1007) Gerriki, 1143 Conradus de Ierriche, 1178 Widegone de Gerrike usw. . Auszugehen ist wohl von einer Grundform *Geriki, wobei eine Abtrennung als -riki zu einem unverständlichen Bestimmungswort Ge- führt. Daher ist mit Förstemann  im ersten Teil Ger- zu sehen, das noch heute als Gehrung bekannt ist und zu ger, mhd. gêre, m. „langgezogenes dreieckiges Stück“, ahd. gêro, m. „Meerzunge, Seebucht“, gêr m. „Wurf-spieß“, mnd. gêre, gehört, und ferner als gêre überall in Norddeutschland als Flurname be-zeugt ist. Eine Kombination „dreieckig“ + „Reich“ ist unsinnig, so daß in -rik- weit eher (was auch Förstemann erkannt hat) dasjenige Wort zu vermuten ist, das auch in mhd. ric „enger Weg, Engpaß“, ricke „gestreckte Länge, langer Landstrich“, mnl. reke „Linie“, mnd. reke „Dornhecke, Gebüschstreifen“, westf. recke „lebendige Hecke im Felde“ vorliegt. Der Name bedeutete demnach „spitzer, langer Landstrich; spitze Enge“. Die Lage von Jerze bestätigt diese Deutung.

13. Hostert

In der Nähe von Jerze vermutet Flechsig einen weiteren Namen fränkischen Ursprungs: „das wüste Hostert bei Mahlum, dessen Name sich im altfränkischen Gebiet westlich des Rheins in der Nähe alter Königsstraßen mehrfach wiederfindet und nach Hoops auf ahd. hovestat ‘Hof-statt, Hofhaltung’ zurückgeht“ .
Es handelt sich um den ON. Hochstedt, heute OT. von Bockenem, der wie folgt belegt ist: 1303 in minori villa Bokenem sive Hostert, 1333 (A. 17.Jh.) Hasterde, 1458 (K. 16. Jh.) up dem velde Hosterte . Daraus ergibt sich für Fränkisches nichts: zum einen ist äußerst frag-lich, ob sich hinter den Belegen wirklich ein Hovestat verbirgt (Entwicklung zu Hostert, Hastert), und zum andern wäre dieses, wenn es wirklich zuträfe, noch lange kein Argument für fränkischen Einfluß. Förstemann  verzeichnet fast zwei Dutzend Namen dieses Typs, darunter Belege aus Westfalen, den Niederlanden einschließlich Ostflandern und fügt hinzu: „Das Wort … bedeutet die Stelle eines Bauernhofes oder den Ort für einen solchen und läuft gewissermaßen dem … Burgstall [= borstel, J.U.] parallel“. Aber es sei nochmals betont: kein echter Hovestatt-Name kennt eine Entwicklung zu Hostert, Hastert. Der Name gehört sicher in einen ganz anderen Zusammenhang.

14. Brelingen

Der nördlich von Hannover liegende Ort erscheint schon früh in der Überlieferung: um 990 (A. 11. Jh.) Bredanlagu, dann: 1297 Henricus de Bredeleghe, später Bredelege, Bredelge, erst ab dem 15. Jh. als Bredelinge . Wie die Belege deutlich zeigen, ist von einer Verbindung aus ndt. bred „breit“ und lage auszugehen. Später drang das Suffix -ing(en) ein . Für R. Brandt  handelt es sich um einen Namen aus fränkischer Zeit. Dafür spricht nichts: bred ist eindeutig niederdeutsch, die Namen auf  lage hat H. Siebel ausführlich behandelt , sie rei-chen wegen ihrer Etymologie in viel frühere Zeiten zurück und sind in ihrer Verbreitung auf das Niederdeutsche beschränkt .

15. Osterlangen, Westerlangen

Anhand von typischen, auf die Langstreifenfluren bezug nehmende Flurnamen hat H.-J. Nitz fränkischen Einfluß im südlichen Niedersachsen vermutet: „Auf einen Import lassen zumin-dest sehr deutlich zwei typische Flurnamen schließen, die bei den Langstreifenfluren um Hil-desheim und Braunschweig häufig auftreten: Osterlangen und Westerlangen. Sie kennzeichnen die vom Ort aus gesehen nach Osten und Westen ziehenden Langstreifen … Wolfgang Kleiber bestätigte  ganz unabhängig von meinen eigenen Beobachtungen auf-grund seiner profunden Kenntnisse elsässischer und pfälzischer Flurnamen, das dieselben Flurnamen Osterlangen und Westerlangen in diesen Gebieten sehr häufig begegnen. Sie sind, wie er in einer Diskussion bemerkte, in Südwestdeutschland wortgeographisch spezifisch auf diese Landschaften beschränkt und tauchen bereits im 13. Jh. unter den ältesten überhaupt überlieferten Flurnamen auf. Ich vermag diese Übereinstimmung mit dem Hildesheim-Braunschweiger Raum nicht anders als durch Übertragung zu deuten. Diese aber kann nur bei der Anlage der Langstreifenfluren und Platzdörfer geschehen sein nach Beginn der fränkischen Herrschaft in Sachsen“ .
In der Diskussion dieses Beitrages wurde schon zurückhaltend argumentiert: G. Niemeier mahnte zur Vorsicht, „in Lößgebieten die Fluren weit zurückdatieren“ . In seiner Entgeg-nung betonte H.-J. Nitz jedoch, er könne sich nicht vorstellen, „daß die braunschweigischen Flurnamen Langgewann, Lange Äcker und Osterlangen erst im 18.Jh. neu erfunden worden sind“ .
Wahrscheinlich verhält es sich aber gerade so. Zu den Flurnamen des Salzgittergebietes ver-merkt M. Wiswe : „Lange ist mehrfach belegt als GW in FlrN des Salzgittergebietes, so in Holzlange …, Weglange (mehrfach) und in Osterlange … Es ist postadjektivische Gegens-tandsbezeichnung zu ‘lang’ mit der Bedeutung ‘langgestreckte Fläche’. Dementsprechend handelt es sich bei den als Lange bezeichneten Parzellen um Langstreifen. Die Pluralform Langen bezeichnet Langstreifengewanne“. An anderer Stelle heißt es bei den Flurnamen Lan-ge Wanne: „Die … bezeichneten Flurteile waren bis zur VK [Verkoppelung] Langstreifenge-wanne. Sie liegen alle in Ortsnähe auf besten Ackerböden. Wanne hat in diesen Namen die Bedeutung ‘Gewann’ … Dementsprechend wird es sich um junge, vermutlich erst im 18. Jh. entstandene Bez[eichnungen] handeln“ .
Zu dem Flurnamen Osterlangen schreibt M. Wiswe : „Oster kann hier auf die Lage des A[ckerlandes] im Ostteil der Gemarkung O[sterlinde] zurückgehen, aber auch Klammerform sein aus Oster(linder)langen“.
Man sieht, wie differenziert man Flurnamen betrachten muß. Ihr Bekanntheitsgrad reicht in den allerseltensten Fällen über eine Siedlung oder ein Dorf hinaus. Sie sind lokal gegeben und werden zumeist auch nur lokal verstanden. Vergleiche zwischen südniedersächsischen und rheinländischen Flurnamen müssen mit großer Sorgfalt versucht werden; in unserem Fall reicht das Material für die weitreichenden Schlußfolgerungen keineswegs aus.
 
16. -lar

a.) Goslar: Auch der Name Goslars ist als Beweis für fränkischen Einfluß genannt worden: „Seinem Namen nach muß er fränkischen Gründern seinen Ursprung verdanken“ hatte P. Höfer vermutet . Nähere Angaben machte er nicht. Man kann nur vermuten, daß der Grund für diese These das Grundwort -lar gewesen ist, denn der Flußname Gose, der im Bestim-mungswort des Ortsnamens steckt, ist noch nie mit Süddeutschem in Verbindung gebracht worden. So umstritten auch Alter, Herkunft und Etymologie des Ortsnamenelements -lar sein mögen (man denke an Namen wie Fritzlar, Wetzlar, Lindlar, Leer, Lehrte ), klar ist in jedem Fall, daß die damit gebildeten Namen weit vor der Herausbildung westgermanischer Einzel-stämme entstanden sein müssen. Das gilt auch für den Namen Goslar.
b.) Lenglern: Bei der Suche nach Fränkischem hat O. Bethge ausgeführt: „Bei Wintgraba-Langendorf tritt … an die Stelle des lebensvolleren individuelleren Namens ein abgeblaßter, schematischer, wohl weil hier Fiskalleute angesiedelt wurden … Und tatsächlich ist in mindes-tens einem Dutzend Fällen in oder bei Orten wie Langenfeld, Lengenfeld, Langsdorf, Langen-dorf, Lengsfeld, Longcamp, Longlari, Lenglern, Longlier u.ä., wie fast überall mit andern ON. unseres Typus vereint sich finden, fiskalischer Besitz nachzuweisen“ . Ganz abgesehen von der Frage, ob ein Name wie Langenfeld wirklich nur von Franken gebildet sein kann (die Negierung dieser These liegt auf der Hand), müssen die -lar-Typen Longlari, Lenglern, Longlier davon gänzlich getrennt werden. Die Verbreitung dieses Typs ist keineswegs auf das Fränkische beschränkt, sondern besitzt ihren Schwerpunkt im Westen des altsächsischen Ge-bietes . Die Namen haben vielmehr von Norden nach Süden ausgestrahlt ; fränkischer Einfluß kommt nicht in Betracht.
 

17. -leben

Auch unter den immer wieder diskutierten -leben-Namen (Oschersleben, Aschersleben, Alsle-ben, Erxleben usw.) soll nach Ansicht von L. Fiesel  fränkischer Einfluß zu erkennen sein. Ohne hier auf die gesamte Problematik der -leben-Namen einzugehen, die ja auch bis nach Dänemark und Südschweden ausstrahlen , ist festzuhalten, daß bei dieser Namensippe frän-kischer Einfluß mit Sicherheit ausscheidet. Mit Recht hat H. Kuhn diese These als unsinnig bezeichnet , auch nach G. Müller  sind die  leben-Namen auf jeden Fall älter als der frän-kische Einfluß. Er setzt hinzu: „Damit erreicht, ja überschreitet man eigentlich schon an der Randzone jenen kritischen Zeitpunkt, vor dem eine weiträumige sprachliche Ausstrahlung des Frankentums nicht denkbar ist“ .

18. Liudolf

Aus den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, daß der Nachweis fränkischen Ein-flusses in hohem Maße von der Zuweisung der Personennamen abhängig ist. Glaubt man, nachweisen zu können, daß ein Personenname nur im Fränkischen belegt werden kann, sind sofort auch damit gebildete Ortsnamen in Norddeutschland fränkischer Herkunft verdächtig. Schon mehrfach mußte in diesem Beitrag dagegen Position bezogen werden, aber selbst bei der Überprüfung der mutmaßlich fränkischen Personennamen ist mehr Sorgfalt geboten. Nach L. Fiesel  sind die Personennamen Liudolf „reichsfränkisch“: „Bei den Altsachsen der Zeit kommen sie nicht vor“. Eine Prüfung der Behauptung führt diese ad absurdum: W. Schlaug  verzeichnet fast drei Dutzend Personennamen des Typs Liudulfus, Liudulf, Ludolfus usw. aus Freckenhorst, Bremen, Osnabrück, Münster, Gandersheim, Paderborn, Werden, Merseburg und Corvey. An niederdeutscher und nichtfränkischer Bezeugung des in Frage stehenden Personennamen-Typs besteht kein Zweifel.

19. Stapel, Stapelingen

Fränkischer Einfluß ist auch von H. Wesche, der sich sonst recht kritisch dazu geäußert hat (vgl. oben bei der Diskussion um Huginhusen), erwogen worden. Im Fall von Hattorf mußte seine These zurückgewiesen worden (s.o.), aber damit verbunden hat H. Wesche die Namen Stapel und Stapelingen bei Wolfsburg und im Papenteich. Er führte dazu aus: „Die Wüstung Stapelingen, Steplingen liegt etwa 8 km östlich von Hattorf. Es gehört zum staplum der Lex Ripuaria, einem alten fränkischen Gesetzbuch, wo es kurz heißt: staplum ad regis = locus ubi mallus est. staffolum regis ist das Königsgericht. Beide Orte weisen darauf hin, daß zur Zeit der fränkischen Eroberung hier an diesen Orten Gerichtsstätten errichtet worden sind. Im Papenteich ein ähnliches Paar: der Ort Stapel, jetzt Wüstung, und der Flurname Dingbönken [verschrieben für Dingbänken? J.U.]. Beide dicht beieinander im Mittelpunkt des Papentei-ches. Stapel liegt unmittelbar vor Meine, früher Meinum, einem alten -heim-Namen. Auf den Dingbänken bei Rötgesbüttel wurde seit alters das Gogericht des Papenteiches abgehalten, noch bis in die ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Es erscheint mir nicht unmöglich, daß die Franken Stapel anlegten und diesen Ort zur Gerichtsstätte machten. Stapel kam in der Nachbarschaft des zentralen Meine nicht richtig zum Zuge und wurde nach einiger Zeit wüst“ ,
Eine Überprüfung des Materials zeigt, daß die Franken fern bleiben sollten. Die angesproche-ne Wüstung Steplingen lag bei Rümmer (Kr. Helmstedt), noch heute gibt es dort das Steplin-ger Holz, bezeugt ist der Name um 1220 als Stapenlege, dann 1344/65 als Stapelghe . Die Belege zeigen, daß ein Kompositum vorliegen wird, dessen Zweitglied das in norddeutschen Namen zu hunderten bezeugte -lage-/-lege-Grundwort ist . Später ist das Grundwort von dem Suffix -ing(en) verdrängt worden, eine Erscheinung, die im ostniedersächsischen Gebiet recht häufig begegnet . Mit den Franken hat das alles nichts zu tun.
Zu überprüfen ist noch die Bedeutung des Bestimmungswortes Stapel. Zuvor noch eine kurze Bemerkung zu dem von H. Wesche angesprochenen Flurnamen Dingbänke. Seine älteste Bezeugung stammt wohl aus dem Jahr 1416: gherichte to den dinghbencken . Darin enthal-ten ist das altgermanische Wort Thing, Ding. Die Streuung der davon abgeleiteten Orts- und Flurnamen schließt das Fränkische nicht mit ein .
Die von H. Wesche erwogene Verbindung der Stapel-Ortsnamen mit fränkischen Gerichtsstät-ten kann angesichts der Streuung der norddeutschen Namen nicht richtig sein. Man vergleiche Stapel, Wüstung 1,6 km sö. Meine (Kreis Gifhorn), 1360 Stapling, 1439 Staglege, 1452 Sta-pel, 1453 1479 Stapel, 1485 Stapel, dort auch FlurN. Stapel Feld, Stapel Weisen, der Stapel, Stabel Kley, Stapel Kämpe, Stapel Moor u.a. ; Stapel, ON. im Kr. Rotenburg/Wümme; Sta-pel, Stapelermoor, Stapelmoor, Ortsnamen im Kr. Leer und besonders aufschlußreich Stapel, ON. im Amt Neuhaus, Kr. Lüneburg, 1291 Stapele, 1335 Stapel, 1369 Stapel usw.
Der zuletzt genannte Name ist bis auf eine kleine Notiz bei L. Bückmann  aus dem Slavi-schen erklärt worden . Ich halte den Namen für deutsch und schließe ihn wie die oben ge-nannten Namen an mnd., mnl. stapel ‘Stapelplatz’, auch ‘Feld an einer Gerichtssäule, Grenzpfahl, -säule, Pfosten, erhöhter Gerichtssitz, Gerichtsstätte, Niedergericht, Ballentuch, Warenbündel, Warenanhäufung, Zwangshandelsplatz’ an. Für die Frage nach fränkischem Einfluß bedeutsam ist ein weiterer Name im Amt Neuhaus. Es ist Stiepelse an der Elbe, an älteren Belegen habe ich finden können: 1209 in Stapelitz, 1380 to dem Styepelse; to dem stypelse, 1765 Stipelitze usw. . Es scheint in diesem Fall das slavische Suffix -ica oder -ice angetreten zu sein, wozu unter Umständen eine angestrebte Differenzierung zu dem 11 km entfernt liegenden Stapel beigetragen hat. Damit aber kommen wir in die Frühzeit nieder-deutsch-slavischer Beziehungen, bei denen das Fränkische noch keine Rolle gespielt hat.
Nimmt man noch weitere Ortsnamen wie Stapelberg, Stapelheide im Kr. Osnabrück, Stapel-feld im Kr. Cloppenburg und östlich von Hamburg, Stapelshorn im Kr. Diepholz, Stapelstein im Kr. Wittmund und Süderstapel, Norderstapel, Stapelholm in Schleswig hinzu, wird deut-lich, daß diese Namen ihre Benennungen unmöglich erst durch Franken oder unter fränki-schem Einfluß erhalten haben können.
 

20. -stedt

Die freundliche Aufnahme der Frankonisierungsthese norddeutscher Namen durch A. Bach hat dieser auch auf die Bildungen mit -stedt ausgeweitet. Es heißt bei ihm unter anderem: „Es bleiben … die als Siedlungen gewiß alten -stedt-Orte Niedersachsens und Thüringens, die nach Fiesel … im ostfälisch-nordthüring. Gebiet besonders dem Ausbau nach der Zerstörung des Thüringerreichs a. 531 zuzuschreiben sind, also der fränk. Zeit. In Holstein und in Nord-niedersachsen hat Fiesel den -stedt-Orten allerdings ein höheres Alter zugebilligt und sie dem 2./4. nachchristl. Jahrhundert zugesprochen. Das mag, wie gesagt, für die Siedlungen an sich gelten, aber ihre Namen können jünger sein. Sie können durchaus dem Zeitabschnitt angehö-ren, in dem der fränk. Einfluß bereits wirksam war, und alte Insassennamen auf -ing- ersetzt haben“ .
Im weiteren Verlauf weist A. Bach darauf hin, daß der fränkische Einfluß nur den Typ Perso-nenname + Grundwort umfaßt, „während die Wahl des darin verwandten GW jeweils im An-schluß an den Wortschatz der beeinflußten Gebiete und die zu benennende Eigenart der Siedlung erfolgt sein kann“ .
Mit dieser Auffassung steht A. Bach in deutlichem Gegensatz zu anderen Meinungen, speziell zu denen, die an nordische Herkunft dieser Ortsnamensippe glauben. So betont E. Schwarz zunächst : „ … sie liegen meist auf gutem Boden, was für hohes Alter spricht“, um dann hinzuzusetzen: sie „ziehen von Norden nach Thüringen und strahlen gegen den Main aus“ . E. Schwarz hat sich damit älteren Meinungen angeschlossen, z.B. der von A. Werneburg : „[Es] darf geschlossen werden, daß auch die Ortschaften mit Namen auf stedt von einem aus dem Norden gekommenen Volksstamme gegründet sind, beziehungsweise, dass der Gebrauch dieser Benennungen bei einem solchen üblich gewesen und auch nach Thüringen übertragen worden ist“.
In gewissem Sinn widerspricht dieses – jedenfalls was die Bildungen mit einem Appellativum betrifft – nun wiederum der Auffassung von W. Flechsig : „ … sie finden sich überall, wo sie vorkommen, auf besten altoffenen Siedlungsböden, sei es in Skandinavien, in Schleswig-Holstein, Nordniedersachsen, Ostfalen oder Thüringen. Auf ihr hohes Alter weist auch der Umstand hin, daß sie in Ostfalen und Thüringen anscheinend nicht mit einem PN als BW zusammengesetzt sind, sondern mit einem Appellativum, in dem sich wahrscheinlich vielfach ein Gewässername oder eine andere, in seiner Bedeutung oft dunkle Geländebezeichnung verbirgt“.
Eine zusammenfassende Betrachtung der -stedt-Namen im Saale- und Mittelelbegebiet ver-danken wir H. Walther . Aus ihr geht zweifelsfrei hervor, daß die fränkische These abzuleh-nen ist. Einige Passagen zeigen das deutlich: „Der Namentyp scheint … zwischen 500 und 700 in voller Blüte gestanden zu haben …“  und: „Wenn A. Bach die -stedt-Namen auf fränki-schen Kultureinfluß zurückführen wollte, so ist dem mit Recht entgegengehalten worden, daß dieser GW-Typ in den fränkischen Gebieten gerade nur sehr selten oder gar nicht vertreten ist“ .
Und auch aus anderer Richtung kam nachhaltige Kritik. D. Rosenthal äußerte zusammenfas-send : „Gegen W. Foerstes These einer fränkischen Herkunft der angelsächsischen -heim-Namen spricht jedoch, daß zu den ältesten Ortsnamen im Südostteil Englands auch diejenigen auf  stead gehören, an deren sächsischer Herkunft überhaupt nicht zu zweifeln ist; s. K.I. Sandred, English Place-Names in -stead, Acta Universitatis Upsaliensis/Studia Anglistica Upsaliensia 2, Uppsala 1963, S. 174“.
Dieses zeigt sich auch in einer Verbreitungskarte, die D. Rosenthals Auffassung nachhaltig stützt. Sie findet sich in dem Buch von E. Riemann , in dem dieser mit den bei H. Jelling-haus genannten englischen -stead-Namen eine Verbreitungskarte angefertigt hatte, die deut-lich zeigt, daß die Verbindung dieses Namentyps zum Festland nur über den Kanal vonstatten gegangen sein kann. Für fränkischen Einfluß bleibt da keine Möglichkeit. Und so können wir der zusammenfassenden Stellungnahme von G. Müller, wonach die -stedt-Namen Niedersach-sens und Schleswig-Holsteins kaum fränkisch sein können , nur zustimmen.
 
21. Wange

Die Tendenz, fränkischen Einfluß in niedersächsischen Ortsnamen zu postulieren, hat L. Fie-sel auch im Fall des Wüstungsnamens Wange bei Hameln nicht verlassen. Dieser im Jahre 892 als Uuange bezeugte Name  wird von ihm wie folgt gedeutet: „Seine Lage wird angezeigt durch die Flurnamen Wenger Wiese und die Wanne In den freien Höfen und den Ort Wange-list. Dessen Name ist mit list = ‘Leiste’, ‘Rand’, von dem am frühesten in einer Originalur-kunde des Jahres 892 genannten Namen Wange gebildet …“ . Nach Hinweis auf zahlreiche Ortsnamen Süddeutschlands, die Ableitungen von dem Wort Wange „Abhang“ enthalten, folgert Fiesel wenig später: „Der ON. Wengen beruht auf altfränkischer Namengebung; auch wo er, in seltenen Fällen, außerhalb des vorkarolingischen Frankenreiches vorkommt, ist spät-fränkischer Einfluß nicht ausgeschlossen. Altsächsisch ist die Ortsnamensbildung jedenfalls nicht“ .
Wie wir immer wieder feststellen konnten, hat L. Fiesel etwas herausgegriffen, was sich nicht halten läßt. Zunächst ist zu bemerken, daß es weitere Namen in Niedersachsen, Thüringen, den Niederlanden und Sachsen-Anhalt gibt, die hier anzuschließen sind. Es sind: Wan-gelnstedt (Kr. Holzminden), 1251 (K. 13.Jh.) In villa Wanhelist, 1400 (K.) Wanghelist, 1474 (K.) Wangelist usw. ; das Wangerland in Friesland mit der Insel Wangerooge ; Wangen bei Querfurt; Wangen, Wüstung bei Sondershausen; Wengele, alt Wengheloe in Overijssel. Auch das zugrunde liegende Wort ist keineswegs auf das Oberdeutsche beschränkt, wo es als wang „Aue, grasiges Gefild, Schweiz, aufsteigende Krinne an einem Felsen“ bezeugt ist, vgl. altengl. vang, vong, engl. dial. wang, wong „ebene Wiese, Feld“, ndt. (Bremen) wang, wank „waldlose Hügellehne, offenes Weideland“ . Damit erweist sich das Wort als ein gemein-germanisches und keineswegs auf das Oberdeutsche beschränktes Appellativum.
Für hohes Alter des Wortes spricht auch ein Ortsname bei Sarstedt: der Wüstungsname Wen-nerde. Dieser ist in seinen ältesten Belegen wie folgt bezeugt: um 990 (Abschr. 11. Jh.) Won-gerdun , 1038 Wangerda, 1179 Wangerde, um 1080 Wengarde, Wangarde, 1193 Wennerde . D. Rosen¬thal denkt an einen PN. Wanger, womit aber das zweite Element nicht geklärt ist. Förstemann führt den Namen unter Wang an, was mehr überzeugt und die Mög-lichkeit einer -ithi-Bildung eröffnet. Die mutmaßliche Grundform *Wang-r-ithi  ist weder oberdeutscher noch altsächsischer Herkunft, sondern verlangt nach einer Diskussion der mit -r- erweiterten -ithi-Bildungen, die in altgermanische Zeit hineinreicht.
Der grundlegende Fehler Fiesels aber liegt darin, daß er das Phänomen der Ortsnamen in seinen Grundzügen nicht verstanden hat: wenn Namen ein Wort enthalten, das nur in einem Teilbereich einer Sprachgruppe appellativisch bezeugt ist, so heißt dieses noch lange nicht, daß der Name dann später daraus benannt worden ist. Als „Friedhof der Wörter“ enthalten Ortsnamen viel öfter und eher diese Wörter als Fossilien, das heißt, die Sprache, aus der der Name geschaffen wurde, hat das entsprechende Wort zur Zeit der Namengebung noch ge-kannt.
Mit diesem Einzelfall sind wir fast am Ende der Diskussion angelangt. Allerdings steht uns noch ein größerer Komplex bevor, der immer wieder und sehr gern als Kern der Frankonisie-rungsthese gedient hat: die mit dem Grundwort -heim- gebildeten Namen. Ihnen sollen die abschließenden Kapitel dieses Beitrages gewidmet sein.

22. -heim

Die Diskussion um die Herkunft der -heim-Namen dauert nun schon mehr als ein Jahrhundert: „W. Arnold schien vor rund hundert Jahren das Problem gelöst zu haben, indem er die Orts-namen auf -heim vor allem den Franken zuschrieb und ihre Verbreitung mit den Eroberungen und Ansiedlungen dieses Stammes erklärte“ . Einige Jahrzehnte nach Arnolds Versucht trat O. Bethge mit seinem schon mehrfach erwähnten Aufsatz dieser These bei. Bethges Ausfüh-rungen finden heute breite Zustimmung, wie folgende Zitate verdeutlichen: „Ein starkes Ar-gument für den fränkischen Einfluß auf die deutsche Namengebung hatte ferner O. Bethge geliefert, der nachweisen konnte, daß die in der Umgebung von fränkischem Königsgut be-findlichen -heim-Namen sehr häufig eine stereotype Bildungsweise zeigen: Bergheim, Tal-heim, Stockheim, Kirch-
 
heim, Nordheim, Ostheim, Südheim, Westheim“ ; „Eine Sondergrupe von -heim-Namen, deren BW (Bestimmungswort) nicht ein PN (Personenname) ist, sondern eine topographisch unterscheidende Bezeichnung wie Nord, Süd, West, Ost, Berg, Tal, Stein, Stock usw., be-zeichnen wir mit Bethge als ‘fiskalische’ Bildungen und weisen sie der fränkischen Zeit zu“ .
Abgesehen von diesen angeblich stereotypen und fiskalischen Bildungen sind aber auch ande-re  heim-Namen für fränkisch erklärt worden, wobei vielfach schon übersehen wurde, daß im Altsächsischen und Mittelniederdeutschen nicht mit -heim, sondern mit -h?m zu rechnen ist. Die unsaubere Terminologie schlug dabei leicht in unsachliche Argumentation um. Eine ge-nauere Diskussion der einzelnen Ortsnamen wird das zeigen.
a.) Bockenem: Der zentrale Ort des Ambergaus südlich von Hildesheim erscheint seit dem 11. Jh. als Bukenem, bokenum, Bukeneim, Bukenem, Bokenum . Alle bisherigen Vorschläge  sahen in dem Namen ein niederdeutsches Boken-hem „Buchen-heim“. Allein D. Rosenthal  erwog eine andere Deutung: „Den älteren Formen nach dürfte es sich beim ersten Element um den Kurznamen Bugo, as. Buccu, ae. Buga, Bugga handeln“, und: „Andererseits [fällt auf], daß südlich Hildesheim nur wenige -heim-Namen mit einem Personennamen als erstem Ele-ment vorhanden sind. Danach bestünde also die Möglichkeit, daß Bockenem bei der Erobe-rung des Ambergaues von den Franken umbenannt wurde, und in diesem Falle wäre das Kollektivum germ *b?kina- ,Buchen-’ im ersten Element möglich“.
Die Probleme liegen nach D. Rosenthal in den Schreibungen mit -u-, die nicht zu ndt. b?k- „Buche“ passen wollen. Er könnte mit dem Hinweis auf die Unvereinbarkeit des Vokals mit den Belegen für altsächsisch b?k „Buche“ durchaus recht haben, aber es gibt auch andere Lösungen als eine Umbenennung durch Franken. 1.) J.H. Gallée  hat darauf verwiesen, daß bei westgermanisch -?- im Altsächsischen Abweichungen in Richtung zu -uo-, -u-, -ua- häu-fig (gerade auch bei Orts- und Personennamen) begegnen. Er führt u.a. an muder, hudere, B?kheim, Strûdhûson, Bûkhêm, Bûcsele, Dûdo. 2.) Zahlreiche unzweifelhaft mit ndt. b?ke „Buche“ gebilde-te Ortsnamen zeigen in Belegen vor dem Jahr 1200 Formen mit -u-: B?kheim, Bukheri, Buc-holt, B?kholte, B?c-hurst, Buchede (Beuchte), Buclide u.a.m.  3.) Eine tatsächlich erfolgte fränkische Umbenennung hätte sich in erster Linie am Konsonanten  k- zeigen und zu hoch-deutschem -ch- führen müssen. Das ist jedoch bei keinem einzigen Beleg des ON. Bockenem der Fall.
Bevor man unbewiesenen fränkischen Einfluß ansetzt, sollte der einfache Weg gewählt wer-den: für die Schreibungen mit -u- ist neben der Tendenz des Niederdeutschen, für -?- -u- zu setzen, vor allem der auch sonst zu beobachtende hochdeutsche Einfluß auf die Schreibung der Ortsnamenformen verantwortlich zu machen, der gerade in den ältesten Belegen nicht selten begegnet und uns auch noch mehrfach beschäftigen wird. Ich würde nach wie vor einen Ansatz *B?ken-h?m (zu ndt. b?ke „Buche“ + -h?m) ausgehen; allerdings sollte auch – wie D. Rosenthal vorgeschlagen hat – der ndt. PN. Bu(k)ko nicht ganz übersehen werden. Aber auch in diesem Fall ist von fränkischem Einfluß nicht auszugehen.
b.) Cantelsheim: In diesem Wüstungsnamen bei Hildesheim, dessen ältesten Belege 1141 (K.) Arnold de Cantelessem, 1142 Arnoldus de Cantelisheim, 1146 Harnoldus de Cantelesheim, 1150 Arnoldus de Cantelessem, 1211 (K.) nobilis de Cantelsem, 1213 in Cantelsem lauten , liegt nach D. Rosenthal  „im ersten Element der altsächsisch nicht belegte Personenname Gando, Gantalo, langob. Ganderis, alem. Gantalo, wfränk. Ganthar (hier mit Anlautverschär-fung, die auf oberdeutsche Herkunft des Namengebers deutet)“ vor.
Diese These wird entschieden abgelehnt von H. Kaufmann : „Neben dem PN-Stamm Gand- ist … auch mit einem durch An- und Inlautverschärfung entstandene *Kant- zu rechnen. (Ab-wegig ist hier die Auffassung von Jell[inghaus]…, der den betr. ON.-Belegen ein *Kant- als ein oberdt. verschobenes Gand- zugrunde legt.) Die Belege für unsern Nebenstamm *Kant- finden sich, wohlgemerkt, gerade in niederdt. und mitteldt. ON; z.B.: nd. Kantingerod 12.Jh., nd. Cantelis-, Canteresheim …“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
c.) Dahlum: Wie oben schon angeführt wurde, sieht man von Vertretern der Frankonisierungs-theorie überzeugende Argumente gern in den mit
 
Nord, Süd, West, Ost, Berg, Tal, Stein, Stock u.a. gebildeten  heim-Ortsnamen. So heißt es in Bezug auf die niedersächsischen Tal-heim-Namen bei O. Bethge : „Westlich davon an der wichtigen Harz-Talstraße der Nette mehrfach Dahlum (Königs-Dahlum), eins 941 als castel-lum regium Dalahem, ein anderes 1009 als curtis juris nostri Daleheym; in der Nähe ein Stochem und eine † Hachem = Hochheim?“. Die fränkische These findet auch heute noch ihre Anhänger; D. Rosenthal  bemerkt zu diesem Namen: „Im ersten Element germ. *dala- n. ,Tal’, ein Bestimmungswort, das von O. Bethge im Hinblick auf seine Verwendung in  heim-Namen als typisch fränkisch erklärt worden ist. Da sich hier auch ein fränkischer Königshof befunden hat, ist eine Namensänderung zu fränkischer Zeit möglich und jedenfalls nicht aus-zuschließen“.
Eine Prüfung der These ist notwendig. Königsdahlum bei Bockenem erscheint in den ältesten Belegen wie folgt: 826-876 (A. 15. Jh.) Daelhem, 941 (A. 17. Jh.) Dalahem, 945 actum in Talahem, 945 (A. 10. Jh.) actum in Dalahem, 1001 castellum Dalehem nominatum, um 1001 Dalehem , später als curtem Daleheym, Daleheim, in Daleheim, in Dalaheim usw.
Allein diese Belegfolge läßt erhebliche Zweifel an fränkischer Herkunft des Namens entste-hen. Man beachte folgende Punkte: 1.) Die frühe Überlieferung zeigt deutlich die Grundform des Namens an: eine Verbindung aus altsächsisch dal „Tal“ + -hem. Der Zusatz König- er-scheint in den Belegen erst in jüngster Zeit, noch 1525 heißt der Ort Dalem. 2. Der Beleg von 826-876 Daelhem kann mit R. Möller , der eine ganz ähnliche spätere Form diskutiert hat (z.J. 1020 [verfaßt um 1160] Daelheim) als Zeichen der nordseegermanischen Palatalisierung des -a- > -e- aufgefaßt werden. An diesem Lautwandel hat das Fränkische keinen Anteil; es handelt sich vielmehr um eine Erscheinung, die das Englische mit dem Friesischen und teil-weise mit dem Altsächsischen verbindet. 3.) Die historischen Belege des Namens zeigen in der Fuge zwischen den beiden Kombinationselementen dal und hem zunächst den Vokal -a-, später -e-. Dahinter verbirgt sich der Stamm des germanischen Worte dal, der als dala- nur bei den ältesten germanischen Komposita als Wortelement erschien. Mit anderen Worten: zur fränkischen Zeit wäre diese Art der Verbindung kaum noch möglich gewesen, denn dann wurde der Stammvokal zumeist unterdrückt und die ältesten Belege hätten Dal-hem gelautet. Als Ergebnis läßt sich knapp formulieren: der Name hat längst bestanden, bevor Franken Niedersachsen erreichten.
d.) Gandersheim: Nach Diskussion der problematischen Überlieferung des Ortsnamens (Gan-denesheim, Ganda, Gandan-) kommt L. Fiesel zu dem Schluß: „Sachliche Erwägungen führen … zu der Überzeugung, daß der ON Gandersheim von einem PN abgeleitet werden muß … In der Originalurkunde DO II 35 heißt das Kloster Gantheresheim … Die Kurzform Gandi des PN [Gand-heri, Gand-rik, J.U.] bildet den Ort Gandersheim. Dieser PN weist nach Westfran-ken“  .
Diese Etymologie ist völlig verfehlt. Ohne näher auf Einzelheiten einzugehen, verweise ich auf die grundlegende Abhandlung von B.-U. Kettner , in der nicht nur durch die alten Bele-ge für den Flußnamen (vgl. etwa 856 [F. 13.Jh.] iuxtra fluuium Gande, qui alio nomine Ettherna nuncupatur) deutlich gemacht wird, daß das -s- in Gandersheim sekundär ist, son-dern auch herausgearbeitet worden ist, daß der ON. auf einen Flußnamen zurückgeht, dessen Grundform sowohl als Gande < *Ganda anzusetzen ist, daneben auch auch Gander- und vielleicht noch *Gandana. Dieser Gewässername war aber – nicht zuletzt aufgrund der bis heute unsicheren Etymologie – schon längst vorhanden, bevor Franken Niedersachsen erreich-ten.
e.) Hildesheim: Dem Namen des Bischofssitzes ist schon des öfteren altsächsischer Ursprung abgesprochen worden. Dafür sprechen z.B. nach D. Rosenthal folgende Überlegungen: im ersten Element steht „der altsächsisch, altenglisch und langobardisch nicht belegte Kurzname Hild?n, weshalb eine karolingische Entstehung des Ortes möglich erscheint … ich halte … Hildesheim für eine fränkische Neugründung an der Stelle des zerstörten sächsischen Zent-rums für den alten Ostfalengau …“ . H. Goetting stellte – eine These von W. Berges referie-rend – fest: „In der Tat ist wohl der mit dem Stammwort  heim verbundene Personenname fränkisch“ und weiter, der Name gehe „auf den bekannten Abt Hilduin von St. Denis“ zurück.  
Betrachten wir zunächst die ältesten Belege aus dem UB H. Hild.: 864 Altfredus Hildenishei-mensis episcopus, 868 Altfridi Hildiniesheimensis episcopi, 872 (angebl. Or. 11./12. Jh.) Hildenesheymensis ecclesie, 873
 
(K.) sanctae Hildensemensis ecclesiae; in Hildensemensibus campis, 873 Altfridus Hildinis-heimensis ecclesiae episcopus, 873 (877) (F. 2. H. 10. Jh.) Hildineshemensis aecclesiae, 887 (A. 15. Jh.) Hildesheim, 887 (F. 11. Jh.) Hildeneshem; Variante: Hildenesheym.
Auszugehen ist offenbar von einem Ansatz Hildines-hem, aber schon früh erscheint die hoch-deutsche Variante mit -heim, die auch bald siegt. Dieses liegt eindeutig an der überregionalen Funktion als Bischofssitz, in dem schon früh durch den Zuzug von oberdeutsch sprechendem und schreibendem Klerus das Niederdeutsche in Urkunden kaum zum Zuge kommen konnte. Die Struktur des Ortsnamens ist klar: ein stark flektierender PN. Hildin + -hem, häufig als -heim erscheinend. Und wie steht es um den angeblich altsächsisch, altenglisch und langobar-disch nicht belegten Kurznamen Hild?n? D. Rosenthal hat übersehen, daß der Name als Hillin, Hildini und wohl auch Hillinius  zweimal in Corvey  und einmal in Paderborn er-scheint. Das ist zwar noch kein absolut sicheres Zeichen dafür, daß es sich dabei auch wirk-lich um Sachsen gehandelt hat, aber immerhin ein Indiz. Aber es gibt ein viel wichtigeres Zeichen, daß es sich bei dem Träger desjenigen Personennamens, der im Ortsnamen Hildes-heim fortlebt, nur im einen niederdeutsch sprechenden gehandelt haben muß: das -d- in Hildi-nes- kann nur altsächsisch sein, hochdeutsch erscheint an dieser Stelle -t-: Hiltibrant enti Haðubrant (Hildebrands-lied). Somit gibt es gewichtige Argumente für altsächische Herkunft des zugrundeliegenden Personennamens und gegen fränkische Herkunft.
Gegen eine Benennung des Ortes im Zuge der 815 erfolgten Bistumsgründung mit einem fränkischen Personennamen, konkret nach Abt Hilduin von St. Denis, der übringens erst seit 818 Kanzler Ludwigs des Frommen war, sprechen auch außersprachliche
 
Gründe. Zum einen fragt man sich, warum der neu begründete Bischofssitz ausgerechnet nach Hilduin und nicht z. B. nach Ludwig dem Frommen als Gründer oder nach dem ersten Bischof benannt worden sein sollte; die oft ins Feld geführte These, daß eine enge Verbindung Hildes-heims zu St. Denis festzustellen sei, so z.B. im Gedenkbuch des Domkapitels (aus dem 12. Jh.), um damit die Bennenung nach Hilduin zu begründen, muß nicht aus karolingischer Zeit herrühren, sondern könnte ebenso aus der Zeit Bischof Berwards stammen. Denn dieser reiste 1007 nach St. Denis und kehrte von dort mit Reliquien zurück; ein Vorgang der einen Eintrag in das Gedenkbuch des Domkapitels wahrscheinlich macht.  Zum anderen erscheint die Gründung eines Bischofssitzes ohne vorherige Siedlung recht ungewöhnlich für das Vorgehen der Karolinger in Sachsen; nimmt man aber an, daß zuvor eine Siedlung bestanden hat, die einen fränkischen Namen erhielt, so ist relativ erstaunlich, daß keinerlei Nachrichten über den Namen dieses Ortes auf uns gekommen sein sollten. Es muß wohl eher von einer schon beste-henden Siedlung ausgegangen werden, die von Sachsen gegründet und auch benannt wurde, und deren Name von den Franken übernommen wurde.
f.) Höckelheim (Kr. Northeim): Der westlich von Northeim liegende Ort Höckelheim ist des öfteren fränkischer Herkunft verdächtigt worden; fast scheint es sich sogar als gesicherte Er-kenntnis durchgesetzt zu haben. Den Anfang machte H. Kaufmann, der eine Herleitung von einem Appellativum ablehnte und an einen fränkischen Personennamen im Bestimmungswort dachte. Diese Auffassung ist von R. Wenskus übernommen worden: „Der fränkische Charak-ter dieses Namens ist vor allem von H. Kaufmann herausgearbeitet worden. Wir haben in anderen Orten dieses Namens, in Hucklinheim (Ittlingen) bei Eppingen und in Heuchelheim bei Gießen (Erpho) Angehörige dieses Traditionskreises tradieren sehen. Er scheint also die-sen Namen aus fränkischem Bereich in die neue sächsische Heimat übertragen zu haben“ .
Vor einer Wertung ist es unerläßlich, die ältesten Belege des Ortsnamens zusammenzustellen. Es sind: 1016 Hukilhem, (1055-1065) (Vita Meinwerci) Hukelhem, 1097 (F. 12.Jh.) Helmol-dus de Hukilheim, 1103 Huclehem, 1137 Wernerus de Hukilen usw. .
Betrachten wir uns unter diesem Aspekt nochmals den Vorschlag von H. Kaufmann, so ist schon von hieraus klar, daß seine Deutung verfehlt ist. Weder ist ein -n- noch ein -s- für den Genetiv Singular eines schwach oder stark flektierenden Personennamens zu erkennen. Zu-dem ist, wie H. Wesche zurecht festgestellt hat , Kaufmanns „RN *Hugil(o), auf den er sie alle zurückführt …, auch nur, wie er selbst sagt, erschlossen“. Wenige Zeilen später hat H. Wesche den richtigen Weg angezeigt: „Bei Höckelheim halte man sich vor Augen, daß in ON mit -heim schon in ältester Zeit Appellative als BW auftreten“.
H. Wesche spielt damit offensichtlich auf ältere Deutungen an, in denen bereits eine vollstän-dige Klärung des Namens vorgelegt wurde. Man denkt an eine Ableitung von hukil „kleiner Hügel“, eine Deminutivbildung zu huk „Hügel“ . Zum Appellativum Hückel ist nachhaltig auf die ausführliche Darstellung bei T. Valtavuo  47ff., der auch Ortsnamen (darunter auch unseren) heranzieht, zu verweisen. Auch die Realprobe paßt zu der Deutung: der Ort liegt deutlich erhöht am Rand der Leineaue. Die Suche nach einem fränkischen Personennamen im Ortsnamen Höckelheim ist aufzugeben.
g.) Hönnersum: Dieser Ort im Kreis Hildesheim ist seit dem Ende des 13. Jh. wie folgt belegt: 1282 (A. 15. Jh.) in villa Honersheym, Variante: Honersheim; 1319 in Honersem; 1380 a villa Honersem; in Honersem; 1382 in Honersum; 1448 dem Honnersemer velde; 1458 Hon-nersem; 1488 to Honersen; 1502 Genteman van Honnerszen .
Rosenthal, Diskussion 386 sieht darin ndt. -h?m und im ersten Teil den „alten und seltenen germanischen Personennamen *Aunher, nur in aleman., fränk. Honher (mit unorganischem H-) belegt“. Er geht also von einem nicht mit H- anlautendem Personennamen aus, der im Alt-niederdeutschen nicht belegt sei. Rosenthal irrt in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird man angesichts der völlig konstanten Belegreihe mit anlautendem H- doch nicht einen Personen-namen vermuten dürfen, der kein H- besessen hat. Und zum anderen findet sich ein sicherer Anschluß unter dem Ansatz Hun- bei Förstemann : Honher, Hunir, verwandt mit den neu-hochdeutschen Personennamen Honer, Höner, Hühner. Nichts spricht dagegen, in Hönnersum diesen Namen zu vermuten. Fränkisches bleibt erneut fern.
h.) Hockeln: Dieser Ort bei Bad Salzdetfurth erscheint seit der Mitte des 12. Jhs. in den ältes-ten Belegen wie folgt: 1146 in Hukenem, (1175-78) in Hokenem, 1187 Bertolt de Hukenem, 1201 Bertoldus de Hokenem, 1201 Bertoldus de Hukenem, 1201 (K.) Bertoldus de Hokenem.
Auch dieser Name enthält im Bestimmungswort Fränkisches: „Im ersten Element der typisch fränkische Personenname Hugo, hier mit Inlautverschärfung“ . Im Grundwort soll -h?m vorliegen. Abgesehen davon, daß das Grundwort -h?m nicht sicher bezeugt ist (zwar kann man hinter der Schreibung Hukenem eine Form Hukenhem vermuten, aber ganz sicher ist das nicht), dürfen doch ältere Deutungsvorschläge nicht einfach unberücksichtigt bleiben. Völlig richtig stellt nämlich E. Förstemann  den Namen zu hess. huck „hervorragender Hügel, Berg“, mnd. hocke, göttingisch hucke „Haufe von Sachen“, westf. h?ke „Haufen“ u.a.m. Auch H. Wesche hält H. Kaufmanns Vorschlag für „bedenklich“ . Zieht man zu dem Hü-gelwort huck noch die ausführliche Darstellung bei T. Valtavuo  hinzu, so bleibt für eine Herleitung aus einem PN. Hugo – gleich, ob nur fränkisch bezeugt oder nicht – kein Raum.
i.) Hotteln: Der ebenfalls im Kreis Hildesheim liegende ON. Hotteln enthält nach Rosenthal, Diskussion 387 den Personennamen-Stamm H?d-, „hier in der Nebenform H?tt-, die sonst nur in westfränkischen, westfälischen, südniedersächsischen und nordhessischen Ortsnamen fränkischer Provenienz auftritt“. Da der Ort aber auf guter Siedlungslage mit guten Bodenver-hältnissen liegt, setzt er hinzu: „Man kann deshalb die Möglichkeit einer späteren Umbenen-nung in Betracht ziehen“.
Diese Etymologie ist mehr als strittig. Hotteln, 826-876 (A. 15. Jh.) Hottenhem, 1022 (F. 1.H. 12.Jh., 2. H. 12. Jh.) Hottenhem, Hottenem, sonst Hottenhem, Hottenem , kann durchaus auch ein Appellativum im Bestimmungswort enthalten , wenn man an Namen wie Hottepe (ein Fluß- und apa-Name bei Brilon); Hutfleth bei Jork, alt Hotflete; Hotton, ON. in der Prov. Belg. Luxemburg, an der Ourthe („terrain marécageux“), 12.Jh. Hottinne, Hotine und Hoet-mar bei Warendorf, alt Otomar, Hothmere, Hotnon denkt. Von diesen ist sicher keiner mit einem PN. gebildet; einige zeigen klare Beziehungen zu hydronymischen Grundwörtern; eine eingehende Prüfung des Materials unter gesamtgermanischem Blickpunkt ist not-wendig. Vor Abschluß dieser bleibt ein fränkischer Personenname im ON. Hotteln unbewie-sen.
j.) Höxter: Der ON. Höxter an der Weser soll nach H. Kaufmann von einem fränkischen PN. Hugo abgeleitet sein. Es schreibt: „Der Ort *Huges-s?ri wurde von den Franken gegründet zur Sicherung des Flußüberganges als ‘Siedlung eines Hug(i) auf trockenem Gelände’“ . Diese Deutung ist völlig verfehlt.
Die alten Belege zeigen zweifelsfrei eine alte -r-Ableitung: 822 Huxori, 823 Huxori, 826 Huxori, alt aber auch Huxeri , steht wohl in einem Zusammenhang mit Hücker bei Herford, 1151 Hucheri, 12.Jh. Huckere , Huxeli (Wg. bei Höxter), sowie weiteren Name wie auch dem -ithi-ON. Huckarde, OT. v. Dortmund, 947 Hucrithi, 1214 Hukirde. An der Verbindung mit hess. huck „hervorragender Hügel, Berg“ gibt es gewisse Zweifel .
Beachtenswert ist die Tatsache, daß sowohl im Namen von Höxter wie bei den offensichtlich verwandten *Hukeshole, *Hukesowe ein -s- anzusetzen ist. Damit wäre eine lautliche Ent-wicklung wie bei hdt. Axt < *akwesjô  anzunehmen. Es fehlt aber noch ein überzeugender Anschluß; am ehesten wird man eine Verbindung zu der idg. Wz. *keu-g-/*keu-k- „krümmen, Buckel, Höcker“, wozu ja auch dt. Hügel, Höcker, Hocke, hocken gehören, suchen können. Aber die Bildung mit einem  r-haltigen Suffix halte ich für sicher , womit die Ableitung von einem Personennamen sofort ausscheidet.
k.) Northeim, Medenheim, Sudheim/Sottrum, Stöckheim und Konsorten: Der Komplex derje-nigen -heim/-hem-Ortsnamen, der auf die Himmelsrichtungen und auf mutmaßliche Holzablie-ferung Bezug nimmt, gilt allgemein als eines der sichersten Kennzeichen fränkischen Einflusses auf die niedersächsische Toponymie. Ausgehend von O. Bethge hat man zunächst die Meinung vertreten, die nach Himmelsrichtungen benannten Siedlungsnamen müßten in einem bestimmten Verhältnis zueinander gestanden haben und planmäßig benannt sein, „denn die ON. stehen unzweifelhaft im reziproken Verhältnis, keiner ist allein für sich denkbar“ . Daraus ergab sich sehr rasch der Glaube an eine gelenkte Benennung: „Es ist undenk-bar, daß Nieder-, Mittel- und Oberfranken, Sachsen und Bayern, Thüringer und Alemannen und Hessen überall bei der Besetzung und Besiedelung des Landes auf den gleichen Gedan-ken gekommen wären, derartige schablonenhafte Namen zu wählen nur für eine gewisse Klas-se von Orten, also überall so schematisch vorzugehen“ .
Diese These hat bis heute weite Kreise überzeugt, gerade auch hinsichtlich der Namen entlang des Leinegrabens: „Außerdem ist gerade der Komplex Northeim-Medenheim-Sudheim von der Forschung meistens als karolingisches Königsgut längs der alten Heerstraße von Süden nach Norden angesprochen worden“ . Daß auch L. Fiesel diesem zustimmte, verwundert angesichts der frankenfreundlichen Tendenz des Autors nicht . Aber auch für R. Wenskus zeigen „ Northeim, †Medenheim, Sudheim, Stöckheim, † Sultheim u.a. vielerorts fränkisches Königsgut an“ , wobei „diese benachbarten Orte … durch ihre Namen bereits die Annahme eines fränkischen Fiskalkomplexes nahe [legen]“ . Dieser allgemeinen Tendenz hat sich auch C. Jochum-Godglück nicht immer entziehen können, zumal sie auch einen Bearbeiter der südniedersächsischen Ortsnamen ergriffen hat. W. Flechsig schrieb: „ … so entstanden um Northeim als jüngere Nachzügler Stöckeim, Höckelheim, die Wüstung Sultheim bei Northeim, Northeim selbst, Sudheim und das zwischen den beiden gelegene Medenheim. Die jüngsten von ihnen, vor allem die zwei letztgenannten, stammen wohl erst aus der Karolingerzeit und können mit ihren ‘fiskalischen’ Namenbildungen als fränkische Staatsgründungen angesehen werden „.
Sollte man nicht angesichts der breiten Zustimmung die Skepsis aufgeben? Ich möchte mich auf einen Göttinger berufen; in einem Nebensatz hat G.C. Lichtenberg in seinen Philosophi-schen Bemerkungen angemerkt: Was jedermann für ausgemacht hält, verdient am meisten untersucht zu werden.
Die Kritik setzt an einem Ortsnamen ein, den keiner der Befürworter beachtet hat: es ist der 10 km südlich von Northeim liegende kleine Ort Nörten (heute Nörten-Hardenberg). Er geht auf eine germ. Grundform *Nord-tun „Nord-ort, Nord-stadt“ zurück, hat kein *Süd-tun neben sich, im Süden allerdings Bovenden < *Bobbontun als mutmaßlichen Antipoden, und wider-spricht damit völlig den vorgebrachten Argumenten: 1.) Er steht in keinem reziproken Ver-hältnis zu einem anderen orientierenden Ortsnamen, sondern vielleicht zu Bovenden (Bobbantun).  2.) Er entstammt nicht der fränkischen Zeit, sondern einer viel älteren Perio-de, die toponymisch Norddeutschland, die Niederlande, Belgien, England und den Norden umfaßt . 3.) Während das -t- in Nörten aus einer Vorform *Nord-tun > Norttun > Nortun leicht erklärlich ist, gibt das -t- im Namen Northeim heute noch einige Rätsel auf. Eine der Lösungen könnte darin liegen, daß es sein -t- von Nörten erhalten hat.
Der entscheidende und von keinem Befürworter der fränkischen Herkunft für möglich gehal-tene Widerspruch liegt aber in der sprachlichen Analyse der angesprochenen Ortsnamen Nor-theim, Medenheim und Sudheim. Dabei hat O. Bethge diesen Aspekt durchaus berührt und auf ihre große Bedeutung für die Herkunft der Namen hingewiesen. Allerdings zog er falsche Schlüsse.
Die Diskussion dieses Passus ist von grundlegender Bedeutung. Bethge schrieb: „Endlich eine sprachliche und hoffentlich zutreffende Bemerkung: In Westfalen, Hannover, im Lippeschen kommen alte Namen wie Sundhem, Sundhus, Sunderhusun, Suntum, Sundwich, Sundorp (Suntrop, Sundarp) vor, meist mit Nord-, West-, Ost-Orten korrespondierend. Im Altsächsi-schen aber heißt der Süden stets sûd (sûth). Wäre hier völkischer Ursprung der Benennung anzunehmen, so hätten wir frühzeitig ein Sûthem, Sûdhusun u.ä. Sund ist aber oberdeutsch! Es gibt kein Beispiel eines nd. sund! … Jedenfalls sind sie ursprüngliche Fremdkörper, d.h. von süd- oder westdeutschen ‘Franken‘ (= fränkischen Untertanen; das können auch gebore-ne Alemannen usw. sein) gegründete Kolonistenorte …“ .
Niemand hat diesen wichtigen Satz aufgegriffen, obwohl er Elementares enthält. Wenn er stimmen würde, wären in der Tat sprachlich unumstößliche Argumente gewonnen. Nur: dem ist nicht so. Bethge hat nämlich ein entscheidendes Kriterium nicht beachtet (wobei nach-drücklich darauf zu verweisen ist, daß es auch späteren Anhängern der Theorie hätte auffallen müssen): zu trennen ist von einmaligen Schreibungen, die gar nicht die wirkliche Aussprache eines Ortsnamens wiedergeben, und einheimischer Überlieferung, die wesentlich höher zu bewerten ist als eine Aufzeichnung im Vatikan, in Regensburg, Worms, Speyer oder Fulda.
Beginnen wir die Kritik bei Sudheim, 5 km südlich von Northeim gelegen. Der älteste Beleg spricht für süddeutschen Einfluß: 780-802 (A. 12. Jh.) Suntheim . Er stammt aber aus Fulda und ist daher mit R. Möller  als einmalige Abweichung einer sonst nasallosen Überlieferung (in Sutheym, in Sutheimb; Aueze de Sutheim; Suthem) zu verstehen. Sudheim enthält in sei-nem Bestimmungswort Sud- einen eindeutigen Hinweis auf Einbindung in nordseegermani-sche Verbindungen, was dazu führen muß, die Existenz des Ortsnamens für eine Zeit anzusetzen, in der das Frankenreich erst im Entstehen begriffen war. Nach allgemeiner Ein-schätzung  ist der Nasalausfall spätestens in das 3.-8. Jh. zu setzen. Diese Behauptung läßt sich anhand eines Dutzends identischer Ortsnamen stützen. Auch D. Rosenthal, der fränki-schem Einfluß durchaus wohlwollend gegenüber steht, führt unter Sottrum bei Hildesheim, 1149 Sutherem, 1162 Sutherem, aus : „Wie schon … erwähnt, sind Richtungswörter nicht erst in fränkischer Zeit gebraucht worden; man vergleiche Søndrum in Dänemark, Søreim, Sørem, sørum in Norwegen, Southem in England“.
Eine gründliche und in diesem Zusammenhang noch nie berücksichtigte Bearbeitung der Suth-hem-Namen verdanken wir jedoch U. Scheuermann . Er hat unter Bezug auf die fast aus-schließlich auf niedersächsischem Boden liegenden Ortsnamen Sottrum, Sorthum, Sorsum, Sottmar, Soßmar, Sustrum, Sossen und Sutrum, die allesamt auf *Sûther-hem „Süderheim“ zurückgehen, herausgearbeitet, daß wir einen altniederdeutschen Typus vor uns haben. Mit Recht hat er fränkischen Einfluß überhaupt nicht in die Diskussion aufgenommen.
Völlig verfehlt ist fränkischer Einfluß auch bei Medenheim, der Wüstung zwischen Northeim und Sudheim. Man hat sich auch hier zunächst von dem ältesten Beleg, der in die Fuldaer Tradition gehört, täuschen lassen. Neben diesem (780-802 [A. 12. Jh.] Mettenheim) stehen ausschließlich Formen mit altsächsischem und mittelniederdeutschen -d-: 982 Meden-
heim, 1055 (A. 16. Jh.) Medheim, Medeheim, 1141 (verunechtet) Medeheimb, Medehem usw. Schon dadurch wird deutlich, daß die niederdeutsche Variante mit -d- entschieden überwog. Völlig zweifelhaft aber wird die gängige Deutung „Mittelheim“ (zwischen Nort- und Sud-heim) durch die Etymologie: es ist keineswegs ausgemacht, daß im Bestimmungswort wirklich ahd. oder asä. mittil, middel steht. Bei E. Förstemann  findet sich Medenheim unter einer Gruppe von Namen, die mit lat. medo „Wassermet; fetter Tonboden“ verbunden werden. Ob diese Etymologie richtig ist, kann bezweifelt werden; sie ist aber nicht schlechter als der Ver-such, an dt. Mitte, mittlerer anzuknüpfen. Die weit verbreitete Ansicht, der Wüstungsname Medenheim sei als fränkische Siedlung zwischen Northeim und Sudheim entstanden, ist somit in zweifacher Hinsicht verfehlt.
Ein wichtiges Argument fränkischer Siedlung fand man, wie schon mehrfach angedeutet, auch in dem Typ der Stockheim-Namen. Dazu heißt es etwa bei H.-J. Nitz, der natürlich auf älteren Untersuchungen, beginnend bei O. Bethge, aufbaut: „Wir denken dabei vor allem an die sehr häufig vertretenen Stockheim und Stammheim, die bisher ähnlich wie Holzheim und Holzhau-sen als Rodungsnamen gedeutet wurden. Da jedoch, wie schon festgelegt, die Anlage der Rodung der Normalfall jeder Siedlung ist, vermag diese Deutung uns nicht zu überzeugen. O. Bethge gibt zu überlegen, ob Stockheim ‘sich z.B. auf das senkrechten Ständern erbaute Blockhaus beziehen (kann)’. In diese Richtung einer Bauweise zu besonderen Zwecken könn-te die Erklärung gehen, während eine funktionale Parallelität zu Holzheim und Holzhausen ausscheidet, denn mehrfach treten beide benachbart auf. Das Problem sei hier nur angespro-chen, eine Lösung sollte von der Namenforschung zu erwarten sein“ .
Wir hatten schon gesehen, daß Holzheim, Holzhausen, Holtensen nicht dt. Holz enthält, son-dern zu ahd. holz, asä. holt „Wald“ gehört. Stöckheim, Stöcken ist ein häufiger Namentyp, bei dem schon Förstemann verschiedene Grundlagen vermutet hat. So war seiner Ansicht nach „im Bremischen und Holsteinschen … stock auch ein Ständerwerk-Gebäude“ . Weit häufiger aber steckt in den Ortsnamen ahd. stoc(h), asä. stok „der Baumstumpf“, in Namen „Ansamm-lung von Baumstümpfen, früherer Hochwald“, anord. stokkr „dicker Baumstamm“ . Eine neuere Untersuchung germanischer Wörter zeigt, daß an einer alten Bedeutung „Stock, Stamm, Stumpf, Block u.ä.“ nicht zu zweifeln ist .
Selbst der fränkischem Einfluß durchaus nicht abgeneigte L. Fiesel erkannte, daß der Typus Stock-heim unmöglich den Franken zugeschrieben werden kann: „Stocheim ist eine Zusam-mensetzung des GW -heim mit Stuk(en), ‘Baumstumpf’, eine der häufigen Bildungen, die von den Alpen bis zum Niederrhein und bis zur Elbe vorkommen“ .
l.) Ohrum: Dagegen glaubte Fiesel, den Ortsnamen Ohrum bei Wolfenbüttel mit fränkischem Einfluß in Verbindung bringen zu können: „Ohrum südlich Wolfenbüttel an der Oker, wo nach gleichzeitigen Berichten Karl der Große (780) die bekannte Massentaufe von Sachsen vornahm, ist ein gegen das Land der freien Sachsen vorgeschobener Posten“ . In einer An-merkung wird der Name von L. Fiesel als Horoheim „Sumpfheim“ erklärt.
Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen , sei hier nur kurz erwähnt, daß 1.) das Sumpfwort hor hier nicht enthalten ist ; 2.) die alten Belege zwischen Orheim und Arem schwanken, was auf asä. * ?  < germ. * au  weist, und daher 3.) von einer Grundform *Aur-h?m auszugehen ist, dessen Bestimmungswort mit dem germanischen Norden in Verbindung steht: gemeint ist altnord. aurr „sandiger Boden, Kies, mit Stein untermischter Sand“, isl. aur „Lehm, Schmutz; Schlamm, Schlick; Geröll, Schotter“, norw. aur, aurr, ør „Bodensatz, Hefe, sandiger Grund, grober Sand; Boden, Erde, Kieserde, harte Erde; Gemisch aus Kies und Sand; Delta, Sandbank“, schwed. ör „Schotter, Sandbank aus Schotter, Sandbank, Insel“, „Kies, Steingrund“. Hierzu gehören auch der Öresund und Helsingör. Welche Konsequenzen man aus dem Nachweis eines nordgermanischen Wortes in einem niedersächsischen Ortsna-men noch ziehen kann, soll hier nicht erörtert werden. Wichtig ist für unsere Frage nur, daß der ON. Ohrum, der aufgrund eines Beleges aus dem Jahr 747 oder 748 zusammen mit Schö-ningen der älteste bezeugte Siedlungsname Niedersachsens ist, nichts mit fränkischem Einfluß zu tun hat.
m.) Osterem, Östrum: Zu den fränkischen Einflüssen zählt man nicht nur Nordheim, Sudheim und Westendorf, sondern auch Kombinationen mit Ost, Osten. Dazu gehört etwa Osterem, eine Wüstung bei Pattensen südlich von Hannover. Die Belege dieses Namens liegen nun gesammelt vor , genannt seien 1222-1227 Estenhem, nach 1225 Ostrem, um 1260 Ostenem, Ende 13./Anfang 14. Jh. Ostenem.
Nach E. Steigerwald  scheint eine fränkische Namengebung vorzuliegen. Er begründet die-ses mit dem Satz: „Die -em-Endung kann zwar eine -heim-Abschleifung sein und damit auf eine frühere Namengebung hindeuten, das orientierende, eine Himmelsrichtung angebende Bestimmungswort Ost- kommt jedoch nur bei Gründungen auf fränkischem Königsgut vor“. Aus diesem Satz wird deutlich, wie fest verwurzelt bereits der angeblich fränkische Einfluß in niedersächsischen Siedlungsnamen ist. Betrachten wir vor einer Erörterung des Problems einen weiteren Namen dieses Typs. Es ist Östrum bei Bad Salzdetfurt, (um 1226) Osterim, 1274 Osterim usw. . Dazu meint D. Rosenthal, der dem Fränkischem durchaus nicht abge-neigt ist: „Das Bestimmungswort scheint eine typische Richtungsbezeichnung der fränkischen Verwaltung, kann es aber nicht sein, da der Ort nordwestlich von der fränkischen Anlage Bodenburg liegt … Name und Ort müssen also vorfränkisch sein, wie ja auch Richtungswörter bereits aus altgermanischer Zeit in Ortsbezeichnungen überliefert sind …“ .
Dieser Auffassung kann nur beigepflichtet werden. Viel zu wenig wird in diesem Zusammen-hang aber auch der wichtige Beitrag von H. Kuh, Ostenfeld und Westensee  herangezogen, der deutlich gemacht hat, daß Kombinationen wie Ostendorf, Westenhem einer älteren Bil-dungsweise angehören als Ostdorf und Westheim. Das empfinden selbst noch heutige Spre-cher des Deutschen. Nachdrücklich ist in diesem Zusammenhang auch auf P. v. Polenz zu verweisen , der ganz entsprechend im Zusammenhang mit dem Westargouwe ausgeführt hat: „ … die Richtungsbezeichnung ist hier mit dem Richtungssuffix *-þra versehen (ahd. westar).
 
Das widerspricht der Bildungsweise der orientierenden Namen aus staatlich-fränkischer Na-mengebung“. Somit ist fränkischer Einfluß auf die Ortsnamen Osterem und Östrum aus meh-reren Gründen auszuschließen.
n. Meine, Rethen: Die hier zu behandelnden Ortsnamen aus dem Kreis Gifhorn sind von W. Meibeyer im Anschluß an L. Fiesel  in einen Zusammenhang mit fränkischem Einfluß ge-bracht worden. Er hat ausgeführt : „Ein Blick auf die  heim-Namen erweist diese als unter-schiedlich gebildet. Denn die Wüstung Ellardesheim (nördlich Hillerse) enthält einen Personennamennamen. Meine (1007 Meyum) und Rethen (1301 Rethene) sind hingegen ap-pellativisch gebildet. Das Vorkommen den Franken zugeschriebener Ortsgründungen mit -heim-Namen auf sächsischem Boden bereits vor den Sachsenkriegen erfährt seine Erklärung aus der frankenfreundlichen Einstellung verschiedener sächsischer Adelsfamilien, wodurch fränkische Einflüsse und Siedlungsinitiativen in Teilen Sachsens schon frühzeitig an Boden gewinnen konnten“.
Bei allen drei Namen gibt es Zweifel an einer Verbindung mit asä.  h?m (es empfiehlt sich, die niederdeutsche Variante zu verwenden; schon die Angabe „-heim“ erzeugt unzulässiger-weise eine Verbindung mit dem Hochdeutschen).
1. Ellardesheym kann der Wg. Eilerse bei Hillerse zugeordnet werden; die weiteren Belege weisen eher auf -husen: 1318 Eylerdessen, 1330-1352 Eylerdessen usw. .
2. Rethen, 1301 Rethene, 1323 Rethem, 1341 Rethen, 1343 Rethene, 1349 Rethen, 1350 Re-them, 1445 Rethem  ist sprachlich von Rethen südl. Hannover nicht zu trennen, dessen Überlieferung wesentlich früher beginnt: (1100-1200) Reten (2mal), 1244 Vulverus de Rhethen, (1247) de Retene usw. . Etymologisch gehört Rethen zu dem bekannten Ried-Wort, vgl. hdt. Ried, mhd. riet, ahd. (h)riot, asä. hriod, mnd. rêt, reit „Schilfrohr“, nnd. Reet, Reit „Ried, Riedgras, schilfartiges Gras, Schilfrohr“, ae. hr?od, afries. hri?d, hreid. Die Überlieferung Rethen, Rethene ist am ehesten als Reflex des alten Dat. Plur. Retum, Retun zu verstehen. Mit -h?m hat der Name nichts zu tun, obwohl später ein auf  hem deutendes -m- in die Überlieferung eindringt.
3. Zweifel an der Auffassung, daß Meine ein -h?m-Name sei, hat schon H.-H. Kretschmann geäußert . Betrachtet man sich die ältesten Zeugnisse 1007 (A. 14. Jh.) Meynum, 1022 (F. 12. Jh.) Mainum (2mal), (um 1220) (A. 14. Jh.) Meinnem, 1265 Meynum, 1266 Mejnjm, um 1274 Meynem, 1291 (A. 15. Jh.) Meynem, 1297 Meynum, 1316 Meynum, 1318 Meynum, 1334 Meynum , so werden die Zweifel keineswegs geringer. Die Endung -um aus den Bele-gen des 11. Jhs. darf keineswegs bereits als Ergebnis der in der Braunschweiger und Hildes-heimer Gegend typischen Entwicklung alter -h?m-Namen zu -um (Borsum, Harsum, Achtum, Mehrum, Sorsum, Ohlum usw.) interpretiert werden . Hinter Meinum verbirgt sich eher wie bei Rethen ein Dat. Plur., so daß die Ableitungsbasis in Mein- gesucht werden muß.
Eine Deutung ist schwierig, weil -ei- in niederdeutschen Namen und Wörtern im allgemeinen erst sekundär durch Ausfall eines -g- oder -d- einstanden ist, so etwa bei Peine, Leine u.a. Man könnte also von einer Grundform *Magin-um, *Madin-um (oder unter Abtrennung der Dat.Plur.-Endung von *Magin-, *Madin-) ausgehen, wobei aber Sicherheit kaum zu gewinnen ist. Spekulationen über die Etymologie des Namens helfen kaum weiter, jedoch sollte die Ähnlichkeit der lautlichen Entwicklung bei Mayen nahe Koblenz, alt Megina, Megena, 1110 Meina, oder Meyen an der Maas, alt Meginum, Megena, und auch Meinberg bei Detmold, alt Megenberg, nicht übersehen werden. Hinzuweisen ist aber auch auf eine Sippe von westfäli-schen Namen um Mante, Mahnen, Mane, Mahne, Homeynen, alt Honmeynen .
Wenn auch letzte Klarheit nicht gewonnen werden kann, dürfte aber dennoch recht sicher sein, daß Meine zu einer dieser beiden Gruppen gehört, somit aber eine Bildung mit -h?m nicht in Frage kommt.

Auswertung und Schluß

Nach Durchsicht der meisten Ortsnamen, bei denen fränkische Herkunft oder fränkischer Einfluß vermutet worden ist, können wir zu einer Auswertung und zu einem zusammenfassenden Urteil – auch über die -heim-Namen in Nieder-sachsen – kommen.
O. Bethges Versuch vom Anfang dieses Jahrhunderts hat bis heute nachgewirkt. Man erkennt dieses an Äußerungen wie z.B. von H.-J. Nitz, der recht zutreffend die allgemeine Meinung unter Einbeziehung von namenkundlichen Argumenten umrissen hat: „Auch Namensforscher wie A. Bach und Historiker wie Albert Hömberg sind der Auffassung, daß die inselartigen Vorkommen von -heim-ON in Nordwestdeutschland z.B. um Hildesheim und südlich von Braunschweig erst seit der fränkischen Eroberung entstanden sein können. Gerade um Hildes-heim und Braunschweig treten massiert jene schematischen -heim-Namen wie Nord-, Süd-, West- und Ostheim, Bergheim, Mühlheim, Talheim, Buchen- und Eichenheim usw. auf, die vielfach als fiskalische Gründungen gelten.“ . Ganz ähnlich heißt es bei W. Meibeyer: „Schließlich ist aus verschiedenen anderen Gebieten seit längerem bekannt, daß eine Art von amtlicher Kolonisation des fränkischen Staates stattgefunden hat, welche unter einer gewissen Bevorzugung des Grundwortes -heim an bedeutsamen Stellen Siedlungen oft auf königlichem und/oder konfisziertem Grund und Boden etwa in Sachsen errichtet hat. Die Ortsnamen wur-den auffällig schematisch gewählt, und niemals scheinen dabei in den Bestimmungsworten Personennamen, sondern stets Appellativa zur Anwendung gekommen zu sein“ .
Wir hatten gesehen, daß die sprachliche Seite der angesprochenen Namen auch von A. Bach und anderen unzutreffend beurteilt worden ist und die altsächsische und mittelniederdeutsche Sprachentwicklung nicht ausreichend berücksichtigt wurde . Die -h?m-Namen des südli-chen und südöstlichen Niedersachsen gehören in einen ganz anderen Zusammenhang. Daß die fränkische Organisation nicht entscheidend gewesen sein kann, ergibt sich auch aus der Streu-ung der -h?m-Namen in diesem Gebiet, denn dieser Typus fehlt in den Altkreisen Göttingen, Osterode, Duderstadt und Münden gänzlich (vgl. Karte 3). „Das ist sehr merkwürdig“, be-merkt W. Flechsig mit Recht und schreibt weiter: „Denn wenn Namen solcher Art von den fränkischen Beamten geprägt worden sind, wie wir annehmen, so müßten sie eigentlich über-all dort zu finden sein, wo in der Karolingerzeit von Staats wegen neue Wohnplätze angelegt wurden. Es ist aber unwahrscheinlich, daß die Kreise Münden, Göttingen, Duderstadt und Osterode sowie Holzminden und Gandersheim, wo ebenfalls keine ‘fiskalischen’ -heim-Namen vorkommen, frei von Stützpunkten der fränkischen Militär- und Zivilverwaltung gewesen sein sollten“ .

Gegen fränkische Herkunft der -h?m-Namen Niedersachsens spricht auch das Vorkommen dieses Typs in den Niederlanden, Belgien und England, worauf bereits bei der Diskussion der -stedt-Namen (s.o.) hingewiesen wurde .
 
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Datierungsversuche von Kretschmann , der die Zeit vom 3. vorchristlichen bis zum 5. nachchristlichen Jahrhundert favorisiert hat, durchaus zu-treffen können. Namen wie Achim (< Aha-hem) oder Ohrum (*Aur-hem) gehören zur ältesten Schicht germanischer Namen. A. Bachs Ablehnung der Kretschmannschen These  unter Berufung auf Prähistoriker berücksichtigt nicht, daß germ. haims seinen engsten Verwandten in lit. ki?mas „Bauernhof, Dorf“ besitzt und somit davon abgeleitete Ortsnamen schon zum ältesten Bestand germanischer Namengebung gehören müssen. Daß es daneben auch jüngere Bildungen mit -h?m geben muß, bleibt davon unberührt .
Völlig unzutreffend ist L. Fiesels Bemerkung, wonach -h?m den alten Sachsen fremd gewe-sen sei . Zudem ist mit F. Schwarz zu betonen, „daß in Schweden und England dieselben -heim-Namen vorkommen, bei denen fränkischer Einfluß ausgeschlossen ist. Bildungen wie Tal-, Bach-, Bergheim konnten sich überall leicht einstellen“ . Die Eintönigkeit der Namen-gebung beruht nicht auf fränkischer Kolonisationstätigkeit, sondern auf „der volkstümlichen Einfachheit, Nüchternheit, Genügsamkeit und dem engen Horizont der Bewohner eines klei-nen Wirtschaftsraumes“ .
Greift man unter diesen Gesichtspunkten nochmals zur großen Arbeit von C. Jochum-Godglück  und betrachtet sich die dieser Untersuchung beigegebene Verbreitungskarte der orientierten Siedlungsnamen auf -heim, -hausen, -hofen und -dorf (vgl. Karte 4), so zeigt die Streuung der norddeutschen Namen (um diese geht es hier allein) im wesentlichen eine De-ckung mit zahlreichen anderen altertümlichen Ortsnamentypen. Die entscheidenden Punkte sind:
1. Rasches Nachlassen östlich und nördlich der Elbe.
2. Geringes Vorkommen in Schleswig-Holstein.
3. Konzentrationen in den Lößgebieten nördlich der deutschen Mittelgebirge.
4. Ausbreitung der Namen nach Flandern (und weiter über den Kanal).
 
Eine zusammenfassende Karte derjenigen Namen, die die Verbindungen zwischen dem Kon-tinent und England demonstrieren  (vgl. Karte 5), zeigt dieses nachdrücklich. Damit aber erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß sich die orientierenden norddeutschen Ortsnamen zum erheblichen Teil als Spuren einer altsächsisch-germanischen Namengebung interpretieren lassen, erneut um einige Stufen und wir treffen uns in unserem Urteil mit dem von G. Müller, der sagte: „Feststeht aber, daß man die fränkischen Einflüsse weit überschätzt hat. Wenn A. Bach in Nachfolge von F. Kaufmann schreibt, auch Westfalen sei ‘mehr oder weniger franko-nisiert’ worden, so wird der Hauptakzent – nimmt man dabei die Verhältnisse in anderen deut-schen Landschaften zum Vergleich – auf dem ‘weniger’ liegen müssen. Auch beim System der Bezirks- und Landschaftsnamen, das, wie P. v. Polenz zeigte, in vielen Gebieten sehr starke Veränderungen durch die Franken erfahren hat, haben Westfalen und Niedersachsen konser-vativ an Altem festgehalten“.

I. Einleitung
Der Versuch, in etwa denjenigen Bereich abzustecken, in dem sich die slavischen Sprachen aus einem Sprachgebiet indogermanischer Dialekte heraus entfaltet haben, und in dem weiten Bereich zwischen Wolga und Elbe, zwischen der Ostsee und dem Balkan unter den Zehntausenden von slavischen Gewässernamen nach „urslavischen Typen“ zu suchen, kann nicht allein aus slavistischem Blickwinkel heraus gelingen. Zwar bieten Sammlungen und Interpretationen slavischer Flußnamen selbstverständlich dasjenige Material, das in diesem Zusammenhang interessiert, aber ein mutmaßlich sehr alter slavischer Flußname muß notwendigerweise in einem gewissen Zusammenhang mit der voreinzelsprachlichen, also mit der indogermanisch geprägten, oder mit den Worten von Hans Krahe, mit der alteuropäischen, Hydronymie  in Beziehung stehen. Wir müssen daher vor dem Blick in die slavischen Gewässernamen wenigstens grob die wichtigsten Kriterien dieser Theorie umreißen, wobei auf die Arbeiten von W.P. Schmid  nachdrücklich zu verweisen ist. Für einen Teilbereich Osteuropas darf ich auch eigene Arbeiten nennen .

A. Alteuropäische Hydronymie
Bei der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie war Hans Krahe zu der Erkenntnis gekommen, daß die Flußnamen häufig aus einer Wurzel und unterschiedlichen Ableitungselementen zusammengefügt sind. In einem Schema hat er diese Möglichkeiten etwa wie folgt angeordnet :

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ua

(-uo)

-ma-

(-mo)

-na

(-no)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo)

-nta

 

s(i)a,-s(i)o

-sta

(-sto)

-ka

(-ko)

-ta

(-to-)

+**

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*Ala

*Alia

*Alava

*Alma

*Alna

*Alara

 

*Alan-ta

*Alsa

*Alesta

 

 

*Drava

*Druja

 

 

*Druna

 

 

*Druantia

 

 

 

*Druta



Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Entwurf heute zum Teil anders aussehen würde und Korrekturen angebracht sind. Die Grundlagen dieses Vorschlages haben jedoch bis heute ihre Gültigkeit bewahrt, wie nicht zuletzt die Anwendung auf die vorslavischen Gewässernamen Polens deutlich gemacht hat .
Hans Krahe selbst hatte seinerzeit die slavische Hydronymie kaum berücksichtigt. Dieses trug ihm von seiten einiger Slavisten herbe Kritik ein . Inzwischen kann man – nicht zuletzt durch die in der Hydronymia Europaea erschienenen Arbeiten zur Hydronymie Polens  – slavische Gewässernamen sehr viel besser in das System der alteuropäischen Hydronymie einarbeiten. Ich habe dieses vor einigen Jahren in Mogilany zu zeigen versucht  und das Schema des Kraheschen Systems auf die weit verstreuten Flußnamen der indogermanischen Wurzel *reu-, *re??-, *rû? – „aufreißen, graben, aufwühlen“ übertragen.

Ableitungen zur Wz. *reu-/*re??-, rû-/*ru- (osteurop. Namen = fett gesetzt)

Ableitungen zur Wz. *reu-/*ret, rû-/*ru- (osteurop. Namen = fett gesetzt)

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ma-

(-mo-)

-na

(-no-)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo-)

-nta

 

-s(i)a,

-s(i)o-

-g(i)a

-ta,

-to-

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

rovú, rãvas,

riava

 

reja(?)

 

runa (medi-terran?)

 

 

 

 

*rugia

(roman.)

 

Rawa,

Rãvas

 

Ruja, Rujas

Rhume, Rumia

Runa, Rauna,

Ruhr,Roer,Rulle, Rurzyca

Rühle, Rulle, Ryla, Rila

Reut, Revu-

ca (?)

Reuß, Riß, Ros’, Rusa

Ruga,

Rügen (?)

Rut(h)e, Ryta, Rutú u.a.



Diese Tabelle zeigt deutlich, wie stark der Anteil Osteuropas an der Streuung der Namen ist. Die Existenz dieser Parallelen nehmen Namenforscher des westlichen Europa nicht immer zur Kenntnis ; andererseits ist auch darauf zu verweisen, daß osteuropäisches Material ebenfalls nicht für sich allein oder isoliert von mittel- und westeuropäischen Parallelen behandelt werden darf.
B. Alteuropäische Hydronymie und slavische Gewässernamen
Aufbauend auf der alteuropäischen Hydronymie gelingt es viel besser, aus dem Bestand der Gewässernamen der slavischen Länder diejenigen Flußnamen auszusondern, die das Prädikat „urslavisch“ verdienen. Im Vergleich zu rein slavischen Namen fallen derartige Namen etwa durch folgende Punkte auf:
1. Sie enthalten vom Standpunkt des Slavischen aus unproduktive Bildungsmittel (Suffixe, Formantien); dieses sichert ihr relativ hohes Alter.
2. Hinsichtlich des indogermanischen Ablauts und dessen Vorkommen in slavischen Gewässernamen können zwei Erscheinungen von Bedeutung sein:
a.) zum einen Flußnamen, deren Ableitungsgrundlage im Gegensatz zum appellativischen Bestand ein Abweichen im Ablaut aufweist. Oder mit anderen Worten: während die Grundstufe *Kek-  appellativisch im Slavischen bekannt ist, erscheint die Abtönung *Kok- nur im Namenbestand. Derartige Hydronyme dürfen als wichtige Bindeglieder zwischen vorslavischer Namengebung und slavischer Namenschicht angesehen werden.
b.) Da die Ablauterscheinungen sich gegenseitig bedingen, ist für den mutmaßlichen Raum der slavischen Ethnogenese der Nachweis von Gewässenamen, die auf zwei oder mehr Ablautvarianten beruhen, sowie deren benachbart auftretende Streuung von höchstem Interesse. Sie sind wesentliche Zeugen für den Raum, in dem sich die Ausgliederung aus dem indogermanischen Sprachgebiet vollzogen haben dürfte.
3. Das Prädikat „urslavisch“ verdienen weiter Gewässernamen, die mit slavischen Suffixen von voreinzelsprachlichen, d.h. alteuropäischen Basen abgeleitet sind.
4. Während man zu Beginn der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie zunächst undifferenziert alles zusammenstellte, was unter den Begriffen „alteuropäisch, indogermanisch, voreinzelsprachlich“ gesammelt werden konnte, hat sich in den letzten Jahren immer mehr gezeigt, daß

es unter Umständen gelingen wird, innerhalb dieser alten Namenschicht gewisse Schichtungen, Abstufungen oder territoriale Abgrenzungen zu ermitteln, die Hinweise auf eine Untergliederung der Hydronymie geben könnten. Für die Frage nach alten Gewässernamen auf slavischem Gebiet lassen sich vielleicht aus einer schon des öfteren vertretenen Theorie, die von einer näheren Verwandtschaft des Slavischen mit dem Baltischen und Germanischen ausgeht, neue Aspekte für die Bestimmung urslavischer Gewässernamen gewinnen. Hydronyme, die dieses widerspiegeln, zeigen zumeist Wurzelerweiterungen indogermanischer Basen und sind von besonderer Bedeutung für die Frage, in welchen Bereichen sich die drei genannten Sprachgruppen entwickelt haben könnten.
Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die genannten fünf Möglichkeiten mit Material zu füllen.
I. Suffixbildungen
Unproduktive und daher relativ alte Suffixe in slavischen Gewässernamen hat schon M. Vasmer als wichtige Zeugen für die alten Wohnsitze der Slaven herangezogen . Er behandelte Bildungen auf -ostü (Dobrost’, Èernost’, Mokrost’, Sudost’, Snagost’), -ujü (Bobruj, Berezuj), -ajü (Borzaj, Berezaj, Ilovaj), -yni (Goryn’, Medyn’, Vjazyn’, Volyn’), -anü (Lugan’, Chvorostan’, Ptan’), -men- (Vjaz’ma : Vjaz’ men’, Tismenica), -nt-Partizipia ohne die sonst im Slavischen übliche -?i                                o-Erweiterung (Reut, Gremjatka), alte -û-Stämme vom Typus svekry, svekrúve (Bagva, Mokva), Bildungen auf -oè’ (Bìloè’), adjektivische Formen ohne die im Slavischen früh eintretende Weiterbildung mit -ko- (Glubo), alte -l-Partizipia (Piskla, Vorskla), Bildungen wie russ. Bìleja, Ljuteja.
Soweit ich sehe, ist diese Auflistung seit ihrem Erscheinen (1941) nicht zusammenhängend diskutiert worden . Ich meine, daß es an der Zeit ist, dieses zu tun. Neue Sammlungen und neue Theorien können uns helfen, der Frage nachzugehen, inwieweit M. Vasmers Zusammenstellung heute noch Gültigkeit hat. Dabei sollen uns Kartierungen helfen.

1. -ostü
Die von M. Vasmer genannten Bildungen mit -ostü wie Dobrost’, Èernost’, Mokrost’, Sudost’, Snagost’ hat dieser etwas später noch ergänzt durch Kunost’, Molost’ und Smolost’ . H. Krahe hat Vasmers Bemerkungen aufgegriffen  und sie als Ausgangspunkt einer Betrachtung anderer mit -st- gebildeten Namen (vor allem außerhalb des slavischen Bereiches) genommen .
Betrachtet man sich diese Gruppe etwas näher, so spricht manches dafür, daß hier Verschiedenes zusammengeflossen ist.
Der Flußname Èernost’(? Kun’ja im ehem. Kreis Toropec , Gouv. Pskov), auch See bei Re?ica (Gouv. Pskov), liegt weit außerhalb des altslavischen Siedlungsgebietes; im Vergleich zu den folgenden Namen wird sich zeigen, daß der Aussagewert der beiden Namen sehr gering ist.
Dobrost’ ist nach V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  nur eine spätere, offenbar slavisierte Form des älteren Namens Dobrososna.
Mokrost’ findet sich weder im Russischen Geographischen Namenbuch noch im Wörterbuch der russischen Gewässernamen!
Sudost’ als Name eines bedeutenden rechten Nebenflusses der Desna (G. Èernigov u. Orel) kann zwar eine Bildung mit einem slavischen Suffix sein, wahrscheinlicher ist aber eine Slavisierung einer vorslavischen Vorlage .
Das Suffix des Flußnamens Snagost’ (linker Nebenfluß des Sejm) hatte schon J. Rozwadowski  mit außerslavischem Material verbunden und damit den Blickwinkel erweitert. Für V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  ist der Name unklar, M. Vasmer dachte an Zusammenhang mit serbokroat. snaga „Kraft“, auch aruss. snaga, snagota „dass.“. Diese Deutung stieß aber auf Skepsis, vgl. P.Arumaa, Scando-Slavica 6(1960)164 und J. Prinz .
Kunost’ kann als südlicher Zufluß eines Sees im ehem. Kr. Belozersk (Gouv. Novgorod) kaum slavischer Herkunft sein. Eine Verbindung mit russ. kuna „Marder“ ist für Flußnamen äußerst unwahrscheinlich; nimmt man mit germanischer Lautverschiebung Namen wie Haune, Hönne, Hunze (alt Hunesa), Hunte, Honte, Hunne, und auch -apa-Namen wie Honnef, Hunnepe, Honepe hinzu, vergleicht weiter baltisches Material um Kawniten, Kawnyne, Kaunas, Kàunata, Kaunen See, Kunà, Kune, Kunas, Kun-upe u.v.a.m. (zahlreiche Namen) und verbindet dieses mit lit. kune „sumpfige Stelle, morastiger Ort“, so findet sich auch für Kunost’ ein Anschluß, der allerdings wenig Raum für Slavisches läßt.
Molost’ ist in dieser Form im Wörterbuch der russischen Gewässernamen nicht bezeugt, nur im Lokativ als Moloste, woraus Molosta (Fluß im ehem. Kr. Kozel’sk, Gouv. Èernigov) gewonnen wird .
Smolost’ ist nur eine Variante eines sonst als Sloust’, Sloust bezeugten Flusses im ehem. Kr. Ihumen (Gouv. Minsk) und bleibt besser fern .
Die Ausbeute alter slavischer -ost’-Namen ist also sehr gering.
2. -ujü
Für altertümlich hält M. Vasmer auch das Suffix -ujü, das in zwei Namen (Bobruj, Berezuj) nachgewiesen werden kann . Aber auch hier bleiben erhebliche Zweifel. Der Flußname Bobrujka (poln. Bobrujka), ein rechter Nebenfluß der Berezina (samt ON. Bobrujsk) wird einerseits zum slavischen Wort für den „Biber“ (bobr usw.) gestellt , andererseits wird er aber auch dem baltischen Substrat zugerechnet, das einer Slavisierung unterzogen worden ist . Wie dem auch sei, zu den alten, einer urslavischen Schicht angehörenden Namen wird man ihn nicht zählen dürfen, da die -o-Variante des slavischen Biberwortes eine Neuerung darstellt .
Den Namen Berezuj, Berezujka tragen sieben Flüsse in den ehem Gouv. Kaluga und Tver’ . Allein wegen ihrer geographischen Lage (das wird unter näher begründet) scheiden sie als Zeugen urslavischer Namengebung aus.
3. -ajü
Eine altertümliche Bildung sieht M. Vasmer auch in dem -ajü-Suffix, das in den Flußnamen Berezaj, Borzaj, Ilovaj, Zamglaj vorliegen soll . Auch hier führt eine genauere Prüfung zu erheblichen Zweifeln.
Berezaj ist der Name eines Nebenflusses der Msta im ehem. Kr. Valdaj und des Quellsees dieses Gewässers . In der Nähe liegen ein ON. Berezaj und ein GN. Berezajka. Ich habe einen älteren Beleg ermittelt: 1654 na Berezai . Ju. O. Otkupšèikov, Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae 24(1974)282 verbindet diesen Namen gemeinsam mit weiteren ostslavischen Entspechungen keineswegs mit bereza „Birke“, sondern mit bulg. bu¢                                            rzej „Schwelle im Fluß, Stromschnelle, Oberlauf eines Baches“, aksl. bru¢                                                                                   ?aj „Fluß, Fließen“.
Borzaj fehlt im Wörterbuch der russischen Gewässernamen, bezeugt ist nur Borzajka, Nfl. d. Wolga im Kr. Myškin, ehem. Gouv. Jaroslavl’. Der Name enthält sicher kein urslavisches Suffix, sondern basiert auf einem Appellativum, das dieses bereits enthält.
Gleiches gilt für Ilovaj, rechter Nebenfluß d. Vorone? im ehem. Gouv. Tambov ; es liegt eine direkte Ableitung von russ. ilovaj „Niederung, Marschland“ vor , und somit kein urslavischer Typ.
Zamglaj ist zum einen der Name eines Sumpfes im ehem. Kr. Èernigov, zum andern der eines rechten Nebenflusses der Desna im ehem. Gouv. Èernigov . Zugrunde liegt ein Kompositum mit der Präposition za, zum zweiten Element vgl. Ju. S. Vynohrads’kyj : „Nazva maje, oèevydno, tej samyj korin’ -mgl-, šèo i v slovi mgla …“.
Versucht man, M. Vasmers Basis zu erweitern, so gelingt dieses vielleicht mit Stru¿aj, einem Flußnamen im Warthe-Gebiet, allerdings betonen J. Rieger und E. Wolnicz-Paw³owska: „funkcja sufiksu niejasna“ .
Das Suffix ist als Element alter slavischer Gewässernamen nur schwer faßbar. V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  bieten etliche Namen auf  ajka (Jasajka, Mo?ajka, ?ertajka, Èernjajka, Šarajka), betonen aber wenig später (S. 79) mit Recht die baltische Herkunft des Suffixes. Etwas differenzierter werden in der Arbeit von O.N. Trubaèev  die 17 Gewässernamen mit einem Suffix -aj (wobei allerdings einige mehrfach bezeugt sind) betrachtet: sie sind sehr unterschiedlicher Herkunft. Dovgaj, Bakaj und Bugaj sind slavischer Herkunft, jedoch enthalten die zugrunde liegende Appellativa bereits das Suffix , es können also ganz junge Namen vorliegen; Udaj wird dem iranischen Substrat zugerechnet, Šaraj ist unklar, aber kaum slavisch; in Kavraj/Kovraj sieht O.N. Trubaèev Komposita mit Ka-, Ko- (ob zurecht, soll hier nicht entschieden werden), während ?artaj dem Baltischen zugezählt wird. Somit bleiben kaum urslavische Bildungen übrig.
Schon früher hatte J. Prinz -aj vor allem dem Baltischen zugeschrieben, allerdings auch nicht ausgeschlossen, daß es in einzelnen slavischen Ortsnamen (er nennt vor allem Goraj) vorkomme. Auch nach V. Kiparsky  ist -ajka ein vornehmlich baltisches Bildungsmittel.
Am ehesten spricht für die Verwendung als altslavisches Bildungsmittel die Sippe um slavisch dunaj, das sowohl im appellativischen Bestand wie im Namenschatz des Slavischen gut bezeugt ist. Zwar muß eine teilweise Beeinflussung durch Dunaj „Donau“ angenommen werden, aber alle Namen werden damit nicht erklärt, so kaum der des Dunajec. Ausführlich wurde von mir zu dieser Sippe (mit Kartierung) an anderer Stelle gehandelt .
4. -yn’/-ynja
Während die bisherigen Suffixbildungen sehr viel Zweifelhaftes enthielten, ergibt sich bei der Untersuchung des Elements -yni, das M. Vasmer  in den Flußnamen Goryn’ (zu gora „Berg“), Medyn’ (zu medü „Honig, Meth“), Vjazyn’ (zu vêzü „Ulme“) und Volyn’ sieht, ein ganz anderes Bild. Abgesehen davon, daß die Etymologie von Goryn’ und Medyn’ so nicht stimmen kann, ist das Bildungsmittel -yn-/-ynia, das von E. Dickenmann ausführlich behandelt worden ist , deshalb besonders interessant, weil es sowohl in slavischen Namen (Wodynia) wie in Toponymen, die in ihrer Zuordnung umstritten sind (Wolhynien, Goryn’), und schließlich in Gewässernamen, die in der alteuropäischen Hydronymie einen besseren Anschluß finden als im Slavischen, auftritt. Dazu zähle ich u.a. Lutynia, £ydynia und Cetynia .
Wir berühren damit einen Punkt, der in der Vergangenheit häufig falsch interpretiert worden ist. Während man sich früher darum bemühte, bei der Suche nach der Slavenheimat ein Gebiet zu ermitteln, in dem es vorrangig oder ausschließlich Gewässernamen slavischer Herkunft geben sollte, hat die Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie zu einer neuen (gleichzeitig aber auch schon früher herausgearbeiteten) Überlegung geführt: die Entfaltung einer indogermanischen Einzelsprache setzt immer auch eine kontinuierliche Entwicklung aus einem voreinzelsprachlichen Substrat voraus.
Wenn es z.B. bei J. Prinz heißt: „Da das Gebiet zwischen Karpaten und Dnjepr deutliche Zeugnisse eines vorslavischen Substrats aufweist, sollte man die vorangehende Urheimat der Slaven deshalb im baltoslavischen Bereich nördlich des Pripjat’ suchen“ , so liegt hierin eine falsche Schlußfolgerung: die Ethnogenese kann sich nur in einem Gebiet vollzogen haben, das in der Toponymie und Hydronymie Bindeglieder zwischen voreinzelsprachlicher (d.h. alteuropäischer) und einzelsprachlicher Namengebung aufweist. Oder mit anderen Worten: in diesem Gebiet müssen notwendigerweise vorslavische Gewässernamen, die die Verbindung mit der alteuropäischen Hydronymie und mit den indogermanischen Schwestersprachen dokumentieren, vorhanden sein. Und das gilt auch für das Slavische. Aus diesem Grund darf man in Gewässernamen, die -yni/-ynja-Ableitungen von slavischen Grundwörtern enthalten, wichtige Zeugen einer älteren slavischen Sprachstufe sehen.

5. -anü
Weniger überzeugend ist die Annahme eines altertümlichen slavischen Suffixes -anü in den Namen Lugan’, Chvorostan’ und Ptan’ .
Lugan’, ein rechter Nebenfluß d. Sev. Donec im ehem. Gouv. Jekaterinoslav , liegt in einem Gebiet, in dem -an’-Bildungen nicht selten sind . Darunter befinden sich aber Namen wie Kuban’ und andere, die kaum slavisch sind, daneben aber auch sicher slavische Typen wie Rogan’ und Prosjana. Aber es darf des weiteren nicht übersehen werden, daß es auch Anklänge an die alteuropäische Hydronymie geben könnte: Lugan’ erinnert an den deutschen Flußnamen Lahn, der gut auf *Lugana zurückgeführt werden kann . Andererseits ist slavische Herkunft nicht zu bestreiten bei südslavischen Namen wie Lîganj auf der Insel Braè  und Lug`a` na, FlurN. auf Krk .
Ob der linke Nebenfluß des Don Chvorostan’ ein slavisches Suffix enthält, wie M. Vasmer meint , ist kaum anzunehmen. Der Name dürfte nichtslavischer Herkunft sein .
Ptan’ heißen zwei Flüsse in den ehem. Gouv. Orel und Tula . M. Vasmers Verbindung mit slav. ptica „Vogel“ usw.  wird kaum zutreffen. Hier dürften eher volksetymologische Einwirkungen vorliegen. Gewässernamen des Typs „Vogelbach, Vogelfluß“ gehören keineswegs zu einer altertümlichen Gewässernamenschicht.
Und so wundert man sich nicht, daß es nach nach V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  vollständig westlich des Dnjepr, also im alten slavischen Siedlungsgebiet, fehlt. Hinzu kommt, daß Namen wie Vagan, Jeszman, Ivan’, Tran’, Ster?an’ nicht gerade einen slavischen Eindruck machen. Dem entspricht durchaus O.N. Trubaèevs Untersuchung der rechtsufrigen Ukraine: er sieht in Namen wie Skibin’, Ljuban’, Saksagan’, Berezan’, Samotkan’, Savran’
 
 mit Recht türkische, iranische und andere nichtslavische Elemente . Schließlich ist darauf zu verweisen, daß sich hinter einem -an-Suffix auch alteuropäische Bildungen verbergen können, wie man es für den polnischen Flußnamen Orunia, 1338 Orana, 1356 Orana usw. annehmen kann .

6. -men-
Einen alten slavischen Bildungstyp vermutet M. Vasmer  in Flußnamen mit dem Element -men-, so in Vjaz’men’ (: Vjaz’ma), zu russ. vjazkij „schlammig“, und Tismenica, zu tichú „ruhig, still“.
Auch hier sind erhebliche Korrekturen anzubringen. Vjazmenka oder Vjazmen’ ist der Name eines Flusses im Gebiet der Westlichen Düna . Die slavistische Deutung M. Vasmers wurde im allgemeinen akzeptiert, so von V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  und P. Arumaa . Dafür könnte auch eine Entsprechung in Bulgarien sprechen: nach J.I. Ivanov  liegt diese vor in dem ON. Vezme, auch Vezmen, Vezem, Vuzme, Vuzmen, Vuzem.
Aber es gibt erhebliche Zweifel an den Vorschlägen: Vjaz’ma findet sich als Flußname siebenmal im ostslavischen Gebiet in den ehem. Gouv. Kaluga, Moskau, Smolensk, Tver’ und Vladimir. Das ist eine Streuung, die die Ukraine völlig ausschließt und damit nicht gerade als urslavische Bildung anzusprechen ist.
Das wird dann besonders deutlich, wenn man damit eine andere -men-Bildung, nämlich strumen’, strumen, strumieñ „Bach, Strom, Quelle, schnelle Strömung“ vergleicht. Während dieses Wort angesichts der sicheren außerslavischen Parallelen sraumuõ, stràume, ¼å™ìá, straumr, Strom bestens mit den Schwestersprachen verbunden werden kann, steht es um vjazkij sehr viel schlechter. Blickt man in die Namen, erhärtet sich der Befund.
Von slavisch strumen’ liegt eine Untersuchung des Namenmaterials samt Kartierung vor  (Karte 1). Auf Einzelheiten gehe ich hier nicht ein. Die Verbreitung macht aber deutlich, welche Bereiche Anteil an der Streuung haben: es sind nicht die von Vjaz’ma berührten Territorien, sondern genau
 

Karte 1: *strumen

die, die davon ausgespart sind: Ukraine, Polen, Weißrußland. Daß diese Konstellation kein Zufall ist, werden wir anhand weiterer Karten noch sehen.
Von hieraus fällt neues Licht auf die Etymologie der Vjaz’ma-Namen: weit eher als die Verbindung mit russ. vjazkij „schlammig, sumprig“ wird man darin die indogermanische Wurzel *?                                           eng(h)- „gebogen, gekrümmt“, hier wahrscheinlich als Satem-Variante *?en?(h)-, sehen dürfen.
Der Fluß Tismenica oder besser Tys’menycja in Galizien ist ebenfalls sehr strittig. Zusammen mit weiteren Parallelen (Tyœmienica u.a.) hat man ihn im allgemeinen wie M. Vasmer zu slav. tichy usw. gestellt . In einer jüngeren Arbeit  wurde aber auch eine etwas überraschende Verbindung mit altirisch tûaimm „Hügel“ erwogen, ein Wort, das auf *teusmno  – zurückgeführt wird und somit morphologisch durchaus passen könnte.
Die Durchsicht hat gezeigt, daß sowohl Vjaz’men’ wie auch Tys’menycja nicht so sichere Zeugen für urslavische Hydronyme sind, wie bisher angenommen. Ein ganz anderes Ergebnis zeigte der Fall strumen’, vor allem die Verbreitung der Namen hat uns – so denke – ich – einen Schritt vorangebracht .

7. -nt-Bildungen
Auch in bestimmten -nt-Partizipia sieht M. Vasmer altertümliche slavische Bildungen. Es geht dabei um Namen, die ohne die im Slavischen sonst übliche -?i                                o-Erweiterung gebildet sind und das -t- durch die slavische Palatalisierung umgestaltet hätte. Dazu gehört nach seiner Meinung „Reut aus *Revo²                                     tü ‘brüllender’ (Fluß) neben dem späteren Revuèa, Gremjatka als ‘tönend’ neben Gremjaèij, R?atü als ‘wiehernd’ u.a.“ .
Betrachtet man sich die Namen, was bisher noch nicht geschehen ist (der Vorschlag von M. Vasmer ist fast einhellig akzeptiert worden ), etwas genauer, so erheben sich einige Fragen, aus denen bald Zweifel werden. Reut, Reutinka, Reuticha und Reucel (mit rumänischem Suffix), die angeblich mit dem höchst altertümlichen -t-Suffix ohne slavische Palatalisierung gebildet sein sollen, sind Gewässernamen in Bessarabien, im ehem. Gouv. Kursk, Smolensk, Vladimir, Perm’ und Kostroma . Das sind zum Teil Bereiche, die die Ostslaven erst in den letzten Jahrhundert des ersten Jahrtausends n.Chr. erreicht haben. Daß in diesen Namen, die zudem noch mit einem Suffix erweitert worden sind, noch urslavische Lautveränderungen manifestiert sein sollen, ist absolut unwahrscheinlich. Hier ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Ein weiteres: vergleicht man mit diesen, angeblich höchst altertümlichen Namen die mutmaßlich jüngere Form Revuè-, so ergibt sich aus dem im folgenden aufgelisteten Material eine weitere Frage.
Es geht um Reuèij Ovrag, Variante Reuèaja, im ehem. Gouv. Char’kov ; Revuèaja, zwei Flüsse in den ehem. Gouv. Ni?nij Novgorod und Poltava, Revuèee, See (!) im ehem. Kr. Gomel’, Gouv. Mogilev , Revuèij, Nebenfluß d. Apoèka (ehem. Gouv. Kursk) und Arm d. Dnjepr im ehem. Gouv. Poltava .
Diese Namen sind nicht zu trennen von Revun, fünf verschiedene Arme des Dnjepr (ehem. Gouv. Jekaterinoslav) und ein Bach im ehem. Gouv. Vjatka , Revucha, sechs Flußnamen im Don-Gebiet und nahe Kiev  sowie Revuckogo Balka, GN. im ehem. Gouv. Char’kov .
Festzuhalten ist zunächst, daß in der Verbreitung der beiden Typen keine komplementäre Verteilung festzustellen ist (wir werden entsprechende Beispiele noch kennenlernen): es ergibt sich eine bunte Streuung beider Varianten. Und zum zweiten: es handelt sich in hohem Maße um Flüsse, die im Bereich der südrussischen Steppe und Halbsteppe liegen (man beachte z.B. die Kombination mit balka „längere Erosionsschlucht in der südrussischen Lößsteppe“). Die Vasmersche Etymologie knüpft an aksl. revìti „brüllen“ an. Es erheben sich aber nachhaltig Zweifel daran, Gewässer der südrussischen Landschaft als „brüllende, rauschende“ Flüsse zu interpretieren; auch der oben genannte Seename (!) Revuèee spricht eindeutig gegen diese Etymologie.
Viel sinnvoller ist eine Verbindung mit der im Slavischen bestens bekannten Sippe um rvat’, rovú „reißen, Graben, Vertiefung“, worauf ich an anderer Stelle bereits hingewiesen habe , sowie die Annahme, daß verschiedene Suffixe an die slavische Basis angetreten sind. Nur so erklärt sich die gegenseitige Durchmischung beider Varianten. Eine chronologische Differenzierung zwischen den Reut- und Revuè-Namen läßt sich nicht feststellen.
Noch eindeutiger ist die Situation im Fall von Gremjatka: hierin wurde eine morphologisch identische Variante wie bei Reut gesehen und der Name und als „tönendes Gewässer“ zu russ. gremet’ usw. gestellt. Die „echt slavische“ Bildung soll in Gremjaèij vorliegen. Ich habe mich bemüht, einen FlN. Gremjatka oder eine entsprechende Bildung nachzuweisen;  es gelingt nicht. Das Wörterbuch der russischen Gewässernamen enthält neben zahlreichen Belegen wie Gremucha, Gremuèaja, Gremuèee, Gremuèij, Gremuèka (31 Namen)  nur Formen mit normaler slavischer Partizipialbildung wie Gremjaè, Gremjaè, Gremjaèa, Gremjaèaja, Gremjaèev, Gremjaèevka, Gremjaèevskij, Gremjaèij, Gremjaèka, Gremjaè’ (81 Namen), aber keinen einzigen Beleg Gremjat-, Gremjatka o.ä. Man hat sich offenbar auf einen Irrtum gestützt.
Die kommentarlos übernommenen Etymologien M. Vasmers sollten zukünftig wesentlich genauer geprüft werden. Das gilt auch für die hier nicht behandelten Fälle Kipetka gegenüber Kipjaèa, ferner Kièat’ sowie Âåñïýôæç gegenüber Ovrut .
8. -û/-úve-Bildungen
In ganz andere und offenbar belastbare Kombinationen gerät man dagegen bei der Behandlung von alten -û-Stämmen vom Typus svekry, svekrúve und deren Auftreten in der Hydronymie. M. Vasmer selbst hatte darunter genannt: Bagva (zu bagno „Sumpf, Morast“), Mokva (zu mokrú „feucht“) . Inzwischen ist die Materialbasis erheblich erweitert worden und in jüngster Zeit wurden diese Bildungen in zwei Beiträgen ausführlich diskutiert (s.u.) .
Angesichts der zahlreichen Bildungen kann ich hier nur knapp auf die bisherigen Deutungen und eigene Vorstellungen zur Etymologie eingehen.
Der von M. Vasmer mit bagno  verbundene GN. Bagva begegnet mehrfach  in der Ukraine; eine ausführliche Diskussion habe ich an anderer Stelle (vgl. die Anmerkungen) geführt. M. Rudnickis Versuch , eine Verbindung mit slav. baga, bagna, bagr-, bagúr- „Buche“ herzustellen (offenbar, um eine korrekte Entsprechung zu lat. fãgus zu finden) scheitert an den im Ukrainschen bestens bezeugten Appellativen bahvá, bahvyšèe u.a.m. .
Mokva ist ein rechter Nebenfluß des Sejm bei Kursk . M. Vasmers Verbindung mit slav. mokry „feucht, naß“ könnte zutreffen, zumal in Griechenland eine Parallele vorzuliegen scheint . M. Vasmer verweist auch auf den Ort Mokvin in Wolhynien am Fluß Sluè’ (1445 belegt als otú Mokvina ), V.N. Toporov und O.N. Trubaèev, Lingvistièeskij analiz, S. 219 ergänzen dieses durch den Hinweis auf russ. dial. (Don-Gebiet) mokva „Feuchtigkeit, Regen, Schmutz“. Es gibt noch einen weiteren Namen: A.P. Korepanova  verzeichnet einen GN. Mokvyšèe im Raj. Èernigov und stellt ihn zu mokva.
Wie im Fall von Bagva besteht zwischen den Namen und dem Slavischen eine enge Verbindung; umso bedeutsamer ist die Lage der betreffenden Namen. Eine Kartierung, zu der wir noch kommen werden, wird dazu weitere Aufschlüsse geben.
M. Vasmer hatte nur zwei Namen genannt. Inzwischen sind zahlreiche weitere Fälle ermittelt worden, die kurz diskutiert werden sollen. So hat O.N. Trubaèev, Nazvanija rek etliche Namen herangezogen.
Èakva, rechts und links zum Goryn’, wird von ihm  mit ukrainischen Dialektwörtern für „Sumpfpflanze“ verbunden. Man sollte aber nicht die idg. Wurzel *?ek?-  „Mist, Dünger, Schmutz“  übersehen. Gerade der Wurzelauslaut könnte für einen Vergleich mit den Flußnamen sprechen.
Goltwa erscheint mehrfach und auffällig konzentriert im Gebiet des Psël. Die türkische Etymologie von O.S. Stry?ak  wird m.E. mit Recht von O.N. Trubaèev  abgelehnt. Da der FlN. früh als Gúlta, Gúltú in den Quellen erscheint, erwägt er eine Verbindung mit russ. glotat’ „schlucken“. Man sollte die lit. Gewässernamen Gìltinç, Giltin˜e   usw.  nicht außer Acht lassen (ob die vorgeschlagene Etymologie mit Hilfe einer Gottheit des Todes zutrifft, soll hier nicht diskutiert werden).
Der Name Ikva, den vier Gewässer im Gebiet d. Südl. Bug, im Kr. Perejaslavl’ (Gouv. Poltava) und im Gebiet d. Styr’ tragen, ist schon häufiger  besprochen worden. Angesichts der schwierigen Deutung verfiel man z.T. auf den Gedanken, darin germanische Relikte zu sehen . Die dann versuchte Verbindung mit dem Wort für die „Eiche“, ndt. ëk (< *aik-) scheitert aber bereits an dem Vokal. Am ehesten gehören die Namen als -k-Erweiterung zu der auch in Gewässernamen nachweisbaren idg. Wurzel *ei- „gehen“ , man denke an dt. eilen und andere Wörter, deren Auftreten in Flußnamen erwartet werden kann. Mit dieser Annahme ist die Sippe um Ikva der alteuropäischen Hydronymie zuzuordnen und aus dem Slavischen nicht zu erklären. Man erinnere sich aber an die oben gemachten Bemerkungen, wonach auch im Gebiet der mutmaßlichen Heimat des Slavischen alteuropäische, indogermanische, voreinzelsprachliche Relikte notwendigerweise zu erwarten sind.
Den FlN. Ipatva, einen rechten Nebenfluß der Polkva (ebenfalls -û-Stamm) im Gebiet d. Goryn’ stellt O.N. Trubaèev  zu der ON.-Sippe um Patav-ium und einer Wurzel *pat-. Es fällt schwer, den Namen in I-pat- zu trennen, sollte man nicht eher eine Deutung suchen, die die Flußnamen Ipa, Ipel’, Ipf, Ipoly/Ipul, Ipps, Ypern, Iput’ mit umfaßt? Auch hier bietet sich unter Umständen die Wurzel *ei- „gehen“ an; eine umfassende Behandlung dieser Sippe könnte hier weiterhelfen. Bei Heranziehung von Namen auf germanischem Gebiet ist zudem mit wurzelauslautendem Wechsel des Konsonanten zu rechnen.
Lukva, r. Nfl. d. Dnjestr, kann als -û-Stamm betrachtet und zu slav. luk- „Krümmung, Bogen“ gezogen werden . Es kann aber auch das im Südslavischen bestens bezeugte lokva „Tümpel, Pfütze, kleiner See“ zugrunde liegen und eine volksetymologisch verursachte Veränderung zu dem im West- und Ostslavischen bekannten luk- vorliegen . In jedem Fall ein Name, der dem Slavischen zuzurechnen ist. Illyrisches  bleibt fern.
Mostva heißen ein rechter Nebenfluß d. Uš’ (? Pripjat’) und ein linker Zufluß zur Stviga, Pripjat’-Gebiet. Der viel diskutierte Name  könnte zwar als -û-Stamm zu slav. most „Brücke“ gestellt werden, aber alte Flußnamen sind kaum nach menschlichen Einrichungen benannt worden, so daß man wohl mit Recht einen Weg über *Músta < *Múd-sta < *Mu¢                                            d-ta oder besser *Múd-tû- zur gut bezeugten indogermanischen Sippe um griech. ìýäïò „Nässe, Fäulnis“, dt. Moos, bulg. muchul „Schimmel“, ndt. Modder, mnd. mudde „dicker Schlamm“ usw. gesucht hat.
Murakwa, auch Murachva, Murafa, l.z. Dnjestr, sollte erst diskutiert werden, wenn eine saubere Chronologie der Überlieferung vorliegt. Ohne ältere Belege kann der Name nicht richtig beurteilt werden.
Mytva, r. Nebenfluß d. Pripjat’, gehört nach O.N. Trubaèev  zu den baltischen Relikten. Er vergleicht lit. Mìtuva, Mìtva, Mituvà, bei denen jedoch z.T. altes *-in- zugrunde liegt . Vielleicht doch eher als altertümliche *-û-Bildung zu slav. myt- „waschen, spülen“ zu stellen.
Nièva, r. Nebenfluß d. Seret, scheint aufgrund der ukrainischen Lautung Nièva  in der Wurzelsilbe doch wohl *-o- besessen zu haben. Auszugehen wäre damit von *Noèva. Da sich für *Nok?i                                – kaum eine Lösung anbietet, ist vielleicht eher an *Not?i                                – zu denken, womit sich ein Anschluß an Noteæ, Neetze, Natissus usw.  vereinbaren läßt.
Der Name der Polkva, r.z. Goryn’ (? Pripjat’), schwankt in der Überlieferung und ist auch als Poltva bezeugt . Daher hat wohl O.N. Trubaèev recht , wenn er von der zweiten Variante ausgeht und den Namen mit Pe³tew und anderen Parallelen zur Fulda zieht. Zur Beurteilung der Sippe werden wir noch kommen (s.u.).
Tykva, auch Polonka, l.z. Styr’ (Ukraine), stimmt mit ukrain., russ. tykva „Kürbis“ überein, worin aber kaum die Grundlage des Namens liegen wird. Eher besteht eine Beziehung zu dem bulgarischen GN. Tièa < Tyèa, in dem I. Duridanov  slav. tykati „stoßen, stechen“ sieht, aber andere Parallelen verbieten eine slavische Etymologie und sprechen eher für einen auch auf Gewässernamen weitaus besser passenden Zusammenhang mit der indogermanischen Wurzel *tëu-, *tû¢                                            – „schwellen“ .
Mehr Probleme bereiten die Namen Vy?ivka, zweimal in der Ukraine belegt .  Als Ausgangsform bietet sich ein Ansatz *Vig?i                                – – an, der am ehesten zu idg. *u?                                           eig- „biegen, s. krümmen“ gehört.
Soweit das von O.N. Trubaèev herangezogene Material. Wir hatten gesehen, daß es in sich etliche Schichten vereint: neben einer eindeutig slavischen (hierzu zähle ich Bagva, Mokva, Lukva) steht eine zweite, die zwischen dem Slavischen und Alteuropäischen steht, indem die dorthin gehörenden Namen Beziehungen sowohl zum Slavischen wie zum voreinzelsprachlichen Bestand besitzen. Eine dritte Gruppe besitzt keine deutlich sichtbaren Verbindungen zum Slavischen und ist der alteuropäischen Hydronymie zuzurechnen.
Damit ist die Diskussion um die auf einen -û-Stamm weisenden Flußnamen aber noch keineswegs erschöpft. J. Domañski hat in einem längeren Artikel  erst vor kurzem die Sippe erneut behandelt. Er sieht in den Namen hauptsächlich slavische Bildungen und in erster Linie deverbale Ableitungen. Auch auf die von ihm herangezogenen Namen will ich – sofern sie oben nicht behandelt wurden – kurz eingehen.
Den Flußnamen Beèva in Mähren stellt J. Domañski  zu  èech. beèeti „blöken,heulen greinen“, also eine onomatopoetische Basis. Wer sich intensiver mit Gewässernamen befaßt, wird diese Deutung für den Namen eines 120 km langen Flusses von vornherein für fraglich halten. Allerdings hat sich bislang keine andere, bessere Lösung finden lassen (zur Diskussion vgl. auch P. Arumaa, op.cit., S. 7f.).
Die Etymologie von Branew, auch Braniew, Bronew, sowie von Brnew im San-Gebiet mit Hilfe des zum poln. Verbums brn¹æ „durch den Sumpf waten, stapfen“  kann angesichts der sicheren Verbindung mit slav. *brún-/*bryn- „Sumpf, Kot, Schlamm“ usw. (s.u.) nicht überzeugen .
Erneut bemüht J. Domañski im Einklang mit dem gegenwärtigen Stand der Forschung zur Erklärung des Gie³czew, l.z. Wieprz  eine lautnachahmende Sippe um poln. gie³czeæ „lärmen“.
Diesen Weg schlägt er auch im Fall des Hoczew, l.z. San ein : der Name gehört seines Erachtens wie Huczew/Huczwa, l.z. Westl. Bug, zu ukrain. huèaty „klingen, lärmen, schreien“. Man sollte aber nicht beiseite schieben, daß es auch eine ganz andere Möglichkeit gibt: das bekannte lateinische Wasserwort aqua wird nicht nur in der Oka gesucht, sondern auch in Hoczew und Huczew .
Der viel diskutierte Name der Ma³a P¹dew, dt. Malapane macht auch J. Domañski Schwierigkeiten (S. 20ff.). Da im ersten Teil des Namens keineswegs slav. maly „klein“ vorliegt, halte ich an meinem eigenen Vorschlag  fest und sehe darin nach wie vor einen Ansatz *Malu                                            pandû- und wie in dem gegenüber der Malapane einmündenden Osob³oga eine Bildung aus Substantiv + Adjektiv.
Zustimmung verdient die Etymologie von M¹tew, M¹twa, eines Teilabschnittsnamens des Noteæ, mit Hilfe von poln. m¹ciæ „mischen, trüben“ u.a.m. , eine Deutung, die schon seit S. Kozierowski Bestand hat. Zu dieser Sippe gehören auch Odmêt und weitere Namen, darunter das bekannte Admont .
Verfehlt ist dagegen die Verbindung des Flußnamens Meglew, heute Stawek (l.z. Wieprz), auch ON. Me³giew, mit apoln. megliæ, meglowaæ „ausglätten, glätten, schlagen“ . Die alten Belege des ON. Meglewa, Melgwi, Moglwa, Meglew, Melgiew verlangen am ehesten einen Ansatz *Mlo gy, *Mlo gúve . Dieser findet sich in der indogermanischen Wurzel *mel?h- „schwellen“  unter der Voraussetzung, daß hier die nicht satemisierte Variante vorliegt.
Die Verbindung zwischen dem großen Fluß Narew und einem altpolnischen Iterativum narzaæ „zanurzaæ w wodê“   widerspricht nachhaltig der Wahrscheinlichkeit. Damit zerschneidet man die klaren Beziehungen zwischen diesem Namen und Entsprechungen in England, Weißrußland, Litauen, Frankreich und anderswo  und setzt eine einzelsprachliche Iterativbildung ein, die schon an der Wortbildung des Namens scheitern muß. Der Wurzelvokal -a- erscheint hier wie bei Drama, Drawa, Stradunia als Zeichen früher Slavisierung .
Der Erklärung des Namens Omulew, r.z. Narew, durch poln. omuliæ „mulem albo b³otem omazaæ“  widersprechen schon Belege wie 1426 Omelew, 1428 Omolew. Zur Ableitungsbasis vergleiche man die Zusammenstellung von Appellativa und Namen, die ich an anderem Ort vorgelegt habe .
Der Versuch, Pe³ty/Pe³tew, Po³tew/Pe³tew sowie Po³twa mit einem slavischen Verbum (beltaæ) zu verbinden , ist mit dem Anlaut nicht zu vereinen. Die Namen gehören zusammen mit Polkva und der Fulda in einen ganz anderen Zusammenhang (s. dazu unten).
Deutlich einzelsprachlicher, slavischer Herkunft ist der Typus Ponikev, Ponikiew, Ponikva , er gehört zu slav. ponikno²                                       ti. Es gibt aber weit mehr Namen, als J. Domañski genannt hat , wie eine erneute Kartierung zeigt (Karte 2). Zu weiteren Schlußfolgerungen werden wir noch kommen.
Die Etymologie der Namen Skrwa, l.z. Weichsel, und Skrwa, früher Strkwa, r.z. Weichsel, mit Hilfe des polnisches Verbs styrkaæ „stolpern, steckenbleiben, (den Fuß) stoßen, anstoßen“  ist offensichtlich eine Verlegenheitslösung. Skrwa verlangt zunächst eine Vorform *Skúr-y, -úve, die man weiter auf *sku¢                                            r- zurückführen kann. Von hier aus gewinnt man leicht Anschluß an eine mit dem Wasser eng verbundenene Sippe, gemeint ist die in dt. Schauer, got. skûra windis „Sturmwind“ vorliegende, offensichtlich mit s-mobile ausgestattete Wurzel *(s)keur-, vgl. lat. caurus „Nordwestwind“, lit. šiaurç „Norden“, slav. sìverú „Norden“. W.P. Schmid  hat dazu auch griech. óê™ñïò „Steinsplitter“, einen Inselnamen Óê™ñïò sowie den Namen eines Arms des Rheindeltas Scheur gestellt.  


Karte 2

?*-û-, -?ve in der Hydronymie
?    Ponikva, Ponikiev

Mit anderem Suffix gehören dazu dt. Schaum < germ. *skûma- und auch Skawa, FlN. in Südpolen, < *Sko?a.
Strkwa wird man dagegen als *Strúk-y, -úve zunächst auf *Stru¢  k-y zurückführen können, worin am ehesten die bekannte Fließwurzel *sreu- (aind. srávati, griech. ¼Ýù „fließe“, altir. sruth „Fluß“, dt. Strom, lit. srutà „Jauche“, poln. strumieñ „Bach, slav. ostrov „Insel“) vorliegen kann: die Veränderung von *sr- > str- ist regelgerecht, das Problem liegt in der Ableitung, denn eine -k-Bildung ist neben den -t-, -men- und anderen Bildungen noch nicht nachgewiesen. Immerhin sind -k-Formantien gerade im östlichen Europa eine überaus beliebte Ableitungsform, so daß der hier vorgelegte Versuch vielleicht nicht allzu gewagt ist.
S³odew, heute S³udwia, l.z. Bzura, gehört nach J. Domañski, a.a.O., S. 28 zu dem Verbum s³odziæ „Fluß, der süßt“ (wahrscheinlich in übertragenem Sinn). Vergleicht man damit die zahlreichen baltischen Namen wie Sáldus, Salda, Saldç usw. bei A.Vanagas  und dessen Deutungsvorschläge (berührt wird z.B. norw. sylt „Meeresstrand usw.“), so wird man zumindestens Zweifel an einer slavischen, einzelsprachlichen Deutung haben müssen.
Das betrifft ebenfalls S³unew, früher Zufluß d. Styr in der Ukraine, heute ukrain. Slonivka , und dessen Verbindung mit slav. *sloniti „salzen“ . Die Basis *sel-, *sol- mitsamt Saale, Sala, Zala usw. ist zu weit verbreitet, als daß man den Weg zu einer Lösung über eine jeweils einzelsprachliche Etymologie finden könnte.
Strzykiew oder Szczekiew, später und heute Skwa, lautet der Name eines Zuflusses des Narew, dessen Name nach J. Domañski, a.a.O., S. 28f. auf eine Grundform *Szczekiew oder *Strzykiew zurückzuführen ist. Im ersten Fall gehört er seines Erachtens zu poln. szczekaæ „bellen“, im zweiten Fall zu poln. strzykaæ „spritzen, sprudeln, sprühen“. Im ersten Fall dürfte das Ergebnis einer Volksetymologie als Ausgangsform angenommen worden sein; zufriedenstellen kann das nicht. Der zweite Vorschlag überzeugt natürlich mehr.
Den seit J. Rozwadowski und T. Lehr-Sp³awiñski zu einem alten Wort für „Binse“, idg.
*??endhro- „Binse“, vgl. lat. combretum, lit. šveñdrai „typha latifolia“, gezogenen Flußnamen Swêdrnia, älter Swêdra (?Prosna), stellt J. Domañski, a.a.O., S. 30 nun zu poln. swêdraæ (siê) „spähen, umherstreifen, schlendern“ und sieht darin einen Fluß, der mäandriert. Ganz abgesehen von der für alte Gewässernamen äußerst ungewöhnlichen Verbindung mit einem Verbum für „umherstreifen, schlendern“ fragt sich aber, wie man dann das Verhältnis zu Švendra im Gebiet der Venta, zu lit. Švendr-upç und anderen Namen sehen will. Die einzelsprachliche Erklärung löst vielleicht ein Problem, schafft aber etliche andere neue.
Der Name des Tanew, in dem J. Domañski, a.a.O., S. 31 poln. ci¹æ (*tê-ti „spannen“) usw. sieht, gehört zu slav. *tyn, *tynja (nicht *tin, *tinja ) „Sumpf, Schlamm, Schlick“.
Uszew, Uszwa, heute Uszwica, r.z. Weichsel, nach J. Domañski, a.a.O., S. 32 zu einer verbalen Grundlage in uszyæ < *ušiti, Ableitung von szyæ „nähen“ zu stellen, ist sicher anders zu erklären .
Eine weitere Ableitung zu uszyæ „nähen“ sucht J. Domañski, a.a.O., S. 33 in Vý?ivka, zwei Flußnamen in der Ukraine, indem von vy-š?i                         úvü ausgehend ursprüngliches *vy-š?i                                y rekonstruiert und an ukrain. vyšyty, poln. wyszyæ angeschlossen wird. Wir hatten die schon von O.N. Trubaèev herangezogenen Namen bereits behandelt (s.o.) und die gut bezeugte indogermanische Wurzel *?eig-  „biegen, sich krümmen“ herangezogen.
Schließlich bleibt noch ¯ólkiew, heute ¯ólkiewka, l.z. Wieprz, übrig, wobei J. Domañski, a.a.O., S. 33 die gängige Verbindung mit poln. zólkn¹æ „vergilben, gelb werden“(< urslav.
*žlo k‘-n?ti) anführt. Inzwischen sind zu diesem Namen auch andere Überlegungen angestellt worden .
J. Domañskis Beitrag ist geprägt von dem Versuch, die meisten der besprochenen Namen mit Hilfe einer verbalen Grundlage und auf der Basis slavischer, speziell polnischer Ethyma zu erklären. Es ist dieses ein legitimes Verfahren, nur fragt es sich, ob man damit dem hohen Alter der -û-Bildungen gerecht werden kann. In diesem Punkt berühren wir uns mit Gedanken, die J. Rieger in einem jüngst erschienenen weiteren Beitrag zu der hier in Frage stehenden Namengruppe geäußert hat
Unter Bezug auf Narew, Pe³tew, Tanew, Ikva, Lukva, Polkva, Tykva und andere betont J. Rieger zunächst das hohe Alter der *-û-Deklination im Slavischen, dessen Schwund in den älteren slavischen Sprachstufen noch erfaßt werden kann . Schon allein durch diese allseits bekannte Tatsache wird die Erklärung von damit gebildeten Gewässernamen mit Hilfe von einzelsprachlichen und jungen, z.T. präfigierten Verben auf keinen Fall gelingen.
Ebenfalls völlig zurecht betont J. Rieger , daß die Namen mit Bezeichnungen für „Wasser, Sumpf“ usw. verbunden sein müssen: „ … trzeba zaliczyæ nazwy z sufiksem -*û-, wi¹¿¹ siê przede wszystkim z ró¿nymi okreœleniami ‘wody’, ‘b³ota’, ‘mokroœci’ …“. Auch aus diesem wichtigen Punkt ergeben sich erhebliche Diffenerenzen zu dem Beitrag von J. Domañski.
J. Riegers Aufsatz enthält noch einige Einzelheiten, die aufgegriffen werden müssen. So weist er auf zwei noch nicht genannte Flußnamen aus dem ostslavischen Gebiet hin: es sind Èeèva im oberen Dnjestr-Gebiet, alt Czeczew, und Èeèva im Einzugsbereich des Psël. Obwohl die Namen eine Entsprechung in einer Landschaftsbezeichnung Èeèko, auch Èeèka, Èeè in den Rhodopen besitzen, trägt diese Verbindung nach J. Rieger zur Deutung nicht bei. Man darf vielleicht wie oben bei Èakva die idg. Wurzel *?ek?- „Mist, Dünger, Schmutz“ heranziehen. Entsprechende Wörter finden sich gern sowohl in Gewässer- wie in Landschaftsnamen.
Beachtenswert ist J. Riegers Hinweis (S. 151) auf den (inzwischen verschwundenen? ) FlN. P³yæwia im Gebiet d. Bzura, den er mit Recht zu slav. p³yæ „fließen, rinnen, strömen“ gestellt hat.
Damit können wir die Auflistung der behandelten Namen abschließen. Die Diskussion hat gezeigt, daß die oben bereits gezogenen Folgerungen bestätigt worden sind: wir hatten drei Schichten herausgearbeitet: eine eindeutig slavische, eine zweite, die zwischen dem Slavischen und Alteuropäischen steht, und eine dritte Gruppe, die voreinzelsprachlicher Herkunft ist.
Das von J. Domañski und J. Rieger herangezogene Material, das vor allem aus dem polnischen Sprachgebiet stammt, stützt diese Einteilung: Slavisches findet sich zweifelsfrei in den Namen Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia, Hinweise auf eine baltisch-germanisch-slavische „Zwischenstufe“ wohl in Pe³ty/Pe³tew, Po³tew usw. und voreinzelsprachliche Bildungen ohne Verbindung zum slavischen Wortschatz vielleicht in Hoczew, Huczew/Huczwa, sicher aber in Mala P¹dew, Narew, Omulew und Skrwa.
Was bedeutet dieses für die Frage nach dem Bereich, in dem sich das Slavische entfaltet haben könnte? Dazu ist eine Kartierung der genannten Namen sehr hilfreich (vgl. Karte 2). Betrachtet man sich zunächst die Verbreitung der auf *-û- weisenden Typen in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich, daß es ein sich relativ deutlich abzeichnendes Gebiet gibt, in dem sie auftreten: es ist im Westen mehr oder weniger von der Oder begrenzt, besitzt kaum Entsprechungen in den ehemals baltischen Gebieten nördlich des Pripjat’, umfaßt vom ostslavischen Sprachraum nur die Ukraine und unmittelbar daran angrenzende Bereiche Weißrußlands und Rußlands und fehlt auf dem Balkan.
Allein Slovenien hat daran Anteil, aber bezeichnenderweise nur mit dem einwandfrei slavischen Typ Ponikiev, Ponikva, der zudem als „verschwindender Fluß“ in den Karstgebieten dieses Gebietes natürlich zu erwarten ist und eine verhältnismäßig junge Namengebung sein kann. Überhaupt zeigt die Streuung der Ponikva-Namen, daß davon – bis auf wenige Ausnahmen im Dnjestr- und oberen Weichsel-Gebiet – vor allem die Peripherie des -û-Raumes betroffen ist: Mähren, Oder- und Warthe-Raum, Weißrußland, Westrußland. Es zeigt sich hier ein Kern, der Verbindungen zur alteuropäischen Hydronymie besitzt und eine Peripherie, die einzelsprachliche Bildungen aufweist. Besser kann man die verschiedenen Phasen einer Namengebung kaum deutlich werden lassen.
Damit könnte man diesen Namentyp verlassen, aber es hat den Anschein, als habe man bisher einen ganz entscheidenden Punkt übersehen. So lange man der Ansicht war und ist, hinter den oben genannten Namen würden sich Spuren der slavischen *-û-Deklination verbergen, konnte man sich mit einer Erklärung aus dem Slavischen begnügen. Sobald man aber den Horizont erweitert und außerslavische Elemente ins Spiel bringt, wird man sich fragen müssen, ob wirklich bei allen herangezogenen Namen der Bezug auf die slavische Deklinationsklasse korrekt ist, oder ob nicht vielmehr bei einigen oder sogar den meisten Namen (streicht man die eindeutig slavischen Fälle Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia) zwar der Eindruck erweckt wird, es lägen Spuren der slavischen *-û-Klasse vor, in Wirklichkeit sich dahinter aber Bildungen verbergen, die bei der Slavisierung der voreinzelsprachlichen Namen in die *-û-Deklination integriert wurden, sie aber ursprünglich gar nicht besessen hatten.
Dieser Gedanke ist auch deshalb von Bedeutung, weil dadurch Licht auf Namen fällt, die eine an und für sich unerklärliche Erweichung zeigen: Hoczew, Huczwa ist – falls die Verbindung mit lat. aqua stimmen sollte – ein Paradebeispiel  dafür.
Unter diesem Aspekt verwundert es etwas, daß man nicht den Weg zu den wichtigen baltischen Parallelen  gefunden hat. Wir verdanken A. Vanagas die Zusammenstellung einer großen Zahl von Gewässernamen, die sowohl ein Formans -uv-, -iuv- wie auch -(i)uvç, -(i)uvis besitzen . Aus der Fülle der Namen hier nur eine kleine Auswahl: Daug-uva, Lank-uvà, Alg-uvà, Áun-uva, Gárd-uva, Lat-uvà, Mìt-uva (vgl. oben die Diskussion um Mytva), Ring-uvà, Týt-uva, Vad-uvà, Várd-uva, Gil-ùvç, Audr-uvìs, Med-uvìs, Dìt-uva. Was liegt näher, als in diesen z.T. einzelsprachlichen, z.T. alteuropäischen Bildungen dieselben Bildungsmittel wie in den slavischen Typen auf -y, -va aus -úva, *-uva bzw. *-üva, *-?va zu sehen, die im Verlauf der Einbettung in das Slavische mit Angleichung an die altertümliche *-û-Bildungen integriert worden sind? Damit wird das hohe Alter der Namen nicht gemindert, sondern vielmehr unter Einbeziehung der Namenstreuung gezeigt, in welchen Bereichen das Slavische früh alteuropäische Typen übernommen und in eine archaische Klasse überführt hat.
Nichts spricht dagegen, in dem sich durch die Verbreitung der -wa/-va-Hydronyme abzeichnenden Gebiet, also in Südpolen und in der Ukraine dasjenige Territorium zu sehen, in dem sich das Slavische aus einer indogermanischen Grundlage heraus entfaltet hat. Die rein slavischen Gewässernamen stimmen damit – wie ich schon früher ausgeführt habe – nachhaltig überein.
Die Gewässernamen auf -y, -úve verraten aber nicht nur Übernahme aus einem voreinzelsprachlichen Namenbestand, sondern durch ihre andauernde Produktivität bis in das Slavische hinein (erinnert sei erneut an Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia) Kontinuität von alteuropäischer Namengebung bis in die slavische Namenschichten.
Die Verlegung der slavischen Heimat nach Asien, in das obere Oka-Gebiet, in die südöstliche Ukraine oder auf den Balkan muß an diesem Namentyp gemessen, als entschieden verfehlt betrachtet werden.
M. Vasmer hatte, als er vor 60 Jahren die zwei Namen Bagva und Mokva nannte, noch nicht wissen oder ahnen können, welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden. Erst die Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie hat hier die entscheidenden Impulse gegeben.
Nach diesen längeren Ausführungen kommen wir zu den letzten von M. Vasmer für altertümlich gehaltenen Namentypen.

9. -oè’
Nur knapp hat M. Vasmer Namen auf -oè’  mit der Bemerkung „Bildungen auf -oè’: Bìloè’ zu bìlú ‘weiß’“  angesprochen. Inzwischen ist weiteres Material hinzugekommen.
Bei V.N. Toporov und O.N. Trubaèev, Lingvistièeskij analiz, S. 126 findet sich nur Svisloè’, im südlich daran angrenzenden ukrainischen Gebiet bietet O.N. Trubaèev, Nazvanija rek, S. 238 eine Auflistung von Namen ohne weiteren Kommentar. Neben dem schon erwähnten Beloè’ sind danach in der Ukraine noch bezeugt Levoè’, Vidoloè’, Vydoloè’ und Protoè’. Aus Polen sind hinzuzufügen Liwocz und Liwoczka, Flußnamen bei Busko und Tyniec.
Von diesen scheiden wohl aus: Svisloè’ als baltischer Name , Vidoloè’ und Vydoloè’, die den Eindruck von Komposita machen und somit kein Suffix -oè’ enthalten dürften, ferner Protoè’, offenbar eine präfigierte Bildung zu pro + tok „fließen“.
Es bleiben Levoè’, Liwocz und Liwoczka übrig, wobei man sich sofort fragt, ob nicht ein Zusammenhang zwischen diesen Namen und eine Verbindung mit dem slovakischen Fluß- und Ortsnamen Levoèa besteht . Des weiteren wird man nicht an dem Suffix -ok vorbeigehen dürfen, daß uns unten bei der Diskussion im Wis³ok, Wis³oka und Sanok noch beschäftigen wird.

10. Adjektivformen ohne -ko-
Eine weitere alterümliche Erscheinung begegnet nach M. Vasmer in adjektivischen Formen ohne die im Slavischen früh eintretende Weiterbildung mit -ko-, z.B. in dem Seenamen Glubo gegenüber appellativischem glubokij .
Das ist ein durchaus interessanter Gedanke, der aber verkennt, daß es von slavisch *glo²                           b- „tief“ auch Bildungen ohne -ok- gibt. Vasmer selbst hat einige genannt: russ. glub’, glubina „Tiefe“, man vergleiche weiter poln. gl¹b, sloven. glob „dass.“, slav. *glo²                           bina in Ortsnamen . Es ist daher äußerst schwierig zu entscheiden, welche der folgenden ostslavischen Namen zu einer ohne -ok- erweiterten Adjektivform gehören oder aber ganz normale Ableitungen zu der slavischen Basis *glo²                           b-, ostslav. glub-, hlub-: Glubá, auch Glubaja Balka bei Odessa ; Gluben’, See bei Svencjany, liegt zudem im ehemals eindeutig baltischen Gebiet; Glubi, See und Ort im ehem. Gouv. Tver’; Glubinec, ukrain. Glybynéc’, Fluß im Teterev-Gebiet (Ukraine) und Glubinka, Fluß im Gebiet der Desna, dort auch ON. Gluboe, enthält sicher eine Ableitung von dem oben genannten slavischen glubina, *glo²                                   bi¬na ; Glubica, Brunnen im Kr. Drissa, im ehemals baltischen Gebiet; Hlubiczyca, r. Nfl. d. Dnjepr bei Kiev, nur im S³ownik Geograficzny bezeugt , fehlt auch im Slovnyk hidronimiv Ukraïny, Kyïv 1979; Glubo, Quellsee der Drissa in den ehem. Kreisen Polock und Nevel’ ; schließlich Gluboe, eventuell Druckfehler, See im Kr. St.-Bel’sk, ehem. Gouv. Char’kov .
Die Basis ist zu dünn, als daß man darauf bauen kann. Eine saubere Trennung zwischen glub-Namen, die als adjektivische Bildungen kein -ok- besessen haben, und den ganz normalen Ableitungen von einer slavischen Ausgangsform *glo²                                        b- „tief“ kann nicht gezogen werden.
11. Als vorletzten Punkt seiner Zusammenstellung altertümlicher slavischer Gewässernamen nennt M. Vasmer „alte -l-Partizipia wie: Piskla zu russ. pišèat’ ‘piepen, quäken’, Vorskla zu russ. vorèat’ ‘murren’, poln. wrzask ‘Geschrei’“ , Vymkla, Fluß im Kr. Roslavl’ , wobei Vorskla in der Bedeutung mit „russ. Vorèa, Flußname im G. Tver’, und Vorèal, Bachname im Kr. Tor?ok, daselbst“  verglichen wird.
Die Etymologien erwecken durch ihre onomatopoetischen Verbindungen Zweifel. Daher wird man in Pisklja  wahrscheinlich eher eine Beziehung zu den in südslavischen Sprachen bezeugten Wort pîšæak „Quelle“ suchen können, wobei allerdings auch darin eine lautnachahmende Basis *piskati gesucht wird .
Unzutreffend ist auf jeden Fall die Deutung von Vorskla, da historische Belege wie 1105 Vúrúskla, 1545 Vorskla gegen eine Verbindung mit vorèat’ sprechen
Der Gedanke von M. Vasmer ist sicher richtig, aber eine genaue Trennung alter -l-Partizipen von den gerade in Osteuropa so häufigen -l-Bildungen in der Hydronymie (Wis³a, Sula, Orel, Voskol, Psël) wird kaum gelingen.

12. -eja
Es bleibt ein Kommentar zum letzten der von M. Vasmer angeführten altslavischen Namentypen. In Gewässernamen wie russ. Bìleja, Ljuteja sieht M. Vasmer ein altertümliches slavisches Suffix -eja.
Der Flußname Beleja liegt im Kr. Duchovšèina im ehem. Gouv. Smolensk , der Gewässername Ljuteja im Kr. Beloj desselben Gouvernements . Schon allein aufgrund dieser Lage sind erhebliche Zweifel daran angebracht, diese Namen als Beweis für frühe slavische Namengebung heranzuziehen. Im Bereich südlich des Pripjat’, den wir aufgrund der *-û-, -úve-Bildungen weit eher favorisieren müssen, machen die -eja-Bildungen, etwa Man?aleja, Bakšaleja, Sugakleja, Èakikleja einen unslavischen, zumeist turksprachlichen Eindruck . In Weißrußland favorisiert man baltische Herkunft . Auch das Auftreten als slavisches Suffix wird im Zusammenhang mit dem Baltischen gesehen . In diesem Zusammenhang können die beiden im alten baltisch-slavischen Kontaktgebiet liegenden Gewässernamen Beleja und Ljuteja, deren Ableitungsbasen gut slavischen Ursprungs sein können, gesehen werden.
Damit können wir die Durchsicht der von M. Vasmer als altertümlich angesehenen slavischen Namentypen beenden. Wir haben erkennen können, daß etliche der herangezogenen Typen aus diesem Bestand zu streichen sind, andere aber sehr bedeutsame Schlußfolgerungen (es nochmals an die *-û-, -úve-Namen erinnert) erlauben.
Es gibt noch weitere Namentypen, die M. Vasmer gestreift hat. Zu einer muß auf jeden Fall Stellung genommen werden. Es sind -ava-Namen.

13. -ava
Diesen Typ hat auch M. Vasmer als alt angesprochen . Es handelt sich in der Tat um einen morphologisch interessanten und alten Typ, der zudem noch sichere Verbindungen zu den außerslavischen Schwestersprachen und zur alteuropäischen Hydronymie aufweist  und somit auf Kontinuität hindeutet.


Karte 3: *-ava in slav. Gewässernamen
In -(j)ava liegt ein typisches Bildungsmittel slavischer Namen vor, das sich in erster Linie in den Gewässernamen findet, man denke an Grzêzawa, Ka³awa, Týnava, Nak³awa, Virawa, Wirawa, Vodava, Ilava, Gliniawa, Morawa u.a.m. Seine Altertümlichkeit und Streuung ist schon verschiedentlich behandelt worden . Ich lege hier eine Verbreitungskarte vor (Karte 3), die sehr anschaulich zeigt, daß es gewisse Bereiche des slavischen Siedlungsgebietes gibt, die höheren Anteil an der Streuung haben. es sind in groben Zügen die gleichen Räume, die schon bei der Kartierung der *-û, -úve-Namen aufgefallen waren: Südpolen und die Ukraine.


Karte 4: Barycz/Baryc

14. *-yèü
Ein weiteres, von M. Vasmer allerdings nicht genanntes Suffix ist slavisch * yèü. Die Altertümlichkeit dieses Suffixes ist allgemein anerkannt. Es begegnet in Namen wie Drohobycz, Werbycz, Starycz, Radobycz, Radycza, besonders eng ist aber die Verbindung mit slavisch bar- (altruss. bara „Sumpf, stagnum“, ukrain. bar „feuchter Ort zwischen Hügeln“, èech., slovak. bara „Schlamm, Schmutz, Sumpf“ usw.) . Als Barycz begegnet es in einem Dutzend Flußnamen vornehmlich im Süden Polens (zur Streuung vgl. Karte 4).
Die bisher genannten Namen und deren Kartierung haben gezeigt, daß der eindeutige Schwerpunkt altslavischer Bildungen nördlich der Karpaten liegt. Ganz anders ist das Bild bei einem typischen slavischen hydronymischen Suffix, bei -ica (Karte 5, s.u.).


Karte 5: Slavische Gewässernamen mit dem Suff. -ica

Hier zeigt sich eine Streuung über weite Bereiche der slavischen Besiedlung, womit sich die oben behandelten und kartierten Namentypen im Vergleich als wertvolle Zeugen für die Frage nach der Heimat der Slaven erweisen.

ABLAUT
In meinen einleitenden Ausführungen hatte ich als zweiten Punkt angeführt, daß diejenigen Flußnamen besonderes Interesse verdienen, deren Ableitungsgrundlage im Gegensatz zum appellativischen Bestand ein Abweichen im Ablaut aufweist. Da der Ablaut auf indogermanische Grundlagen zurückgeht, sind entsprechende Namen von besonderer Bedeutung.
Allerdings sind Spuren des Ablauts im Slavischen – im Gegensatz etwa zum Germanischen – nur noch in geringem Maße nachzuweisen, so daß auch in der Hydronymie nur mit wenigen Relikten zu rechnen ist. Diese allerdings sind dann von ganz besonderem Wert und ihr Vorkommen und ihre Verbreitung sollten in besonderem Maße beachtet werden.

1. *jüz-vorú
Das unter anderem in altrussisch izvorü „Quelle“, ukrainisch izvir „kleiner Gebirgsbach“, serbisch, kroatisch izvor „Quelle, Born, Strudel“ belegte Wort enthält eine altertümliche Komposition, denn das Slavische kennt zwar das Verbum vürìti „sprudeln“, aber kein selbständiges *vor- . Daher ist die Streuung der Namen (s. Karte 6,) von besonderer Bedeutung. Die Annahme, es könne sich bei dem Vorkommen im Karpaten- und Beskidengebiet um Ausläufer einer jüngeren, südslavischen Namengebung handeln, verbieten sich angesichts des aus der indogermanischen Vorstufe ererbten Ablauts. Die im Dnjestr- und San-Gebiet liegenden Namen entstammen vielmehr einer Sprachstufe, die das zugrunde liegende Appellativum noch kannte. Das kann nur eine Vorstufe der slavischen Einzelsprachen gewesen sein, d.h. mit anderen Worten, eine gemeinslavische oder urslavische Sprachschicht.
2. krynica. Weißrussisch kryniæa „kleiner See; Wasserlauf, der aus der Erde dringt, Quelle“, ukrainisch krynica „Quelle“, polnisch krynica, krenica „Quelle, Brunnen“ usw. verlangen eine


Karte 6: *j?zvor?

*krûn-ica . Es liegt eine Dehnstufe vor, die in ukrainisch (dialektal) kyrnýcja, kernýc’a „Quelle“, altpolnisch krnicza „rivus“, slovenisch krnica „tiefe Stelle im Wasser, Wasserwirbel, Flußtiefe“ ihre kurzvokalische Entsprechung (*kru¢                                            n-) besitzt. Betrachtet man sich das Vorkommen der krynica-Namen, die ein weites Gebiet umfassen, und konfrontiert dieses mit der Streuung der kurzvokalischen Ablautvariante (Karte 7), so wird ein Bereich deutlich, in dem beide Varianten nebeneinander auftreten. Das sich dadurch herauskristallisierende Territorium ist mit Sicherheit als altes slavisches Siedlungsgebiet zu betrachten. Versuche, die Ethnogenese des Slavischen in das Oka-Gebiet , nach Asien   


Karte 7: kryn-/kr?n-

oder auf den Balkan  zu verlegen, müssen an diesen Verbreitungen scheitern. Es wäre nötig, sich intensiver mit diesen Fakten auseinander zu setzen, zumal sich ähnliche Erscheinungen auch für die Frage nach Germanenheimat und -expansion nachweisen lassen. Ganz ähnlich liegt der nächste Fall.

3. *brún-/bryn-
Die lange umstrittene Grundform der slavischen Sippe um altserbisch brna „Kot, Erde“, bulgarisch-kirchenslavisch brünije „Kot, Lehm“, altkirchenslavisch brúna „Kot“, slovenisch brn „Flußschlamm“ usw. löst sich unter Einbeziehung des onomastischen Materials einwandfrei auf : gegen die Annahme, man müsse von einem Ansatz *bürn- ausgehen, sprechen bereits nachhaltig zahlreiche Gewässernamen des Typs Brynica, Brenica, Branica und vor allem ostslavische wie Bronica, Bronnica, Brono (Karte 8). Die zugrunde liegende Wurzel muß als *brún- angesetzt werden, da auch die im Slavischen appellativisch nicht bezeugte dehnstufige Variante *bryn- in geographischen Namen bestens bezeugt ist (Brynica, Brynówka, Brynec). Slavisch *bryn- verlangt einen Ansatz *b(h)rûn- und trifft sich problemlos mit germanisch *bhrûn- in niederdeutsch brûn-, hochdeutsch braun.
Das Nebeneinander beider slavischer Ablautvarianten *brún-/*bryn- zeigt sich in der Namenlandschaft sehr deutlich und besitzt ein eindeutiges Zentrum in Südpolen und der Ukraine. Gleiches läßt sich für unsere letzte Ablautvariante zeigen.

4. *grêz-/*gr?z-
Neben dem bekannten russischen Appellativum grjaz’ „Schmutz, Kot, Schlamm“, das unter anderem in weißrussisch hrjaz’ „aufgeweichte Stelle auf einem Weg, Sumpf, Schmutz“, ukrainisch hrjaz’ „Sumpf, Pfütze, Schlamm“ und slovenisch grêz „Moor, Schlamm“ Entsprechungen besitzt, und einen urslavischen Ansatz *grêz- voraussetzt, kennt das Slavische auch die Abtönung *gro²                                z-, zum Beispiel in ukrainisch hruz’ „Sumpf, Moor, Morast“, weißrussisch hruzála, hruzalo „schmutziger Ort, sumpfige Stelle“, polnisch gr¹z,  êzu „morastiger Sumpf“ . Dabei ist bereits zu beachten, daß das Südslavische die Abtönung *gr?z- nicht kennt, also an der urslavischen Ablautvariante keinen Anteil hat.


Karte 8: bryn-/br?n-


Karte 9: *grez-/*gr?z-
?¦? =  *grez-              = *groz-

Dem entspricht die Verbreitung in den Namen durchaus (Karte 9): die Namen sind weit gestreut, eine besondere Produkivität ist im Ostslavischen zu beobachten, das Südslavische hat nur mit der *grêz-Variante Anteil. Eine Heimat des Slavischen auf dem Balkan schließt sich damit einwandfrei aus (es geht hier um urslavische Ablautvarianten, deren Produktivität und Wirkung lange vor dem Eindringen auf den Balkan anzusetzen ist). Das Slavische kann sich auf Grund dieser Fakten nur nördlich der Karpaten entfaltet haben.
Dafür sprechen – zusammenfassend gesagt – nicht nur das soeben behandelte Wortpaar grjaz’/hruz, sondern nachhaltig auch die zuvor behandelten Gruppen um izvor’/vürìti, krynica und vor allem auch brún-/bryn-, das durch die sichere Verbindung mit einem germanischen Farbwort im urslavischen Wortbestand zusätzlich verankert ist.

ALTEUROPÄISCHE GEWÄSSERNAMEN + SLAVISCHE SUFFIXE
Als drittes Kriterium für die Zuweisung zu einer urslavischen Gewässernamenschicht hatte ich eingangs auf die Erscheinung verwiesen, daß an alteuropäische Gewässernamen altertümliche slavische Suffixe getreten sein können.

1. -ok
Nach dem Urteil des S³ownik Pras³owiañski, Bd. 1, S. 92, stellt das Suffix -ok- einen urslavischen Archaismus dar. Es begegnet appellativisch zum Beispiel in súvìdokú, snubokú, vidokú, edok, igrok, inok u.a., seine Altertümlichkeit zeigt sich aber unter anderem auch darin, daß es an archaische athematische Stämme hinzugefügt wird.
Umso beachtenswerter ist die Tatsache, daß es an Gewässernamen angetreten ist, die mit Sicherheit der vorslavischen Schicht der alteuropäischen Hydronymie angehören. Ich meine die Namen von Sanoczek samt Sanok und Sanoka und Wis³ok beziehungsweise Wis³oka. Mit der Variante -oèü gehören hierzu auch Liwocz und Liwoczka, Flußnamen bei Busko und Tyniec.
Über die Etymologie von Wis³a  und San  soll hier nicht näher gehandelt werden, aber es ist zu betonen, daß an ihrer vorslavischen Herkunft kein Zweifel sein kann. Welche Deutung man für diese alten Namen finden kann, steht hier nicht zur Debatte. Wichtiger für die Bestimmung der alten slavischen Siedlungsgebiete ist die Tatsache, daß die Suffigierung mit Hilfe eines archaischen slavischen Suffixes, eben -ok-/-oèü, erfolgte und das alle genannten Namen sich in einem Bereich befinden, der sich auch aufgrund der schon behandelten Namentypen als altes slavisches Siedlungsgebiet erwiesen hat.
Ich betone nochmals: die Existenz vorslavischer, alteuropäischer Namen in einem mutmaßlich alten Siedlungsgebiet einer indogermanischen Einzelsprache spricht nicht gegen die Annahme, daß dieses sich dort befunden hat, sondern ist die notwendige Konsequenz aus der Tatsache, daß sich die indogermanischen Einzelsprachen nicht aus einem luftleeren Raum entwickelt haben, sondern sich auf einer breiten indogermanischen Basis aus einer Schicht alteuropäischer Namen entfaltet haben, ja man darf sagen, entfaltet haben müssen.

2. -og
Die Altertümlichkeit des slavischen Suffixes -og-, etwa in batog, barloh, rarog, tvarog, ostrog usw. wird allgemein anerkannt. Umso bedeutsamer ist es, daß dieses Bildungsmittel auch an vorslavische Hydronyme angetreten ist. Am auffälligsten vielleicht in dem Flußnamen Mino¿ka, auch Minoga, r. Nfl. d. D³ubnia, mit ON. Minoga, 1257 Mlynoga, 1262 Mlynoga, 1367 Minoga, 1470-80 in flumine Mninoga usw. Er besitzt offenbar Entsprechungen in Minaga, See in Litauen, Mnoha, GN. in der Ukraine und Mnoga, Nfl. d. Velikaja zum Peipus-See .
Die Namen gehören zusammen mit Mieñ, Mienia, dem Main und anderen zu lit. mýnç „Sumpf, Morast“, lett. mi¸a „morastige Stelle“, mai¸a „Sumpf, Morast“ . Es liegt ein alteuropäischer Typus vor, wofür schon seine Streuung von Portugal bis zum Baltikum spricht. Für den Osten Europas ist auffällig, daß sich dort (und sonst kaum) -g-haltige Ableitungen nachweisen lassen; ein Bildungstyp, den H. Krahe noch unberücksichtigt gelassen hatte, der aber gerade in Osteuropa – man denke an den Namen der Wolga  – seine Spuren hinterlassen hat.
Minoga, Minaga, Mnoga zeigen, daß an alteuropäische Basen einzelsprachliche (hier: baltische und slavische Suffixe) antreten können. Da es sich nun bei  og- um ein archaisches Suffix handelt, können die hier genannten Namen einer älteren Stufe zugewiesen werden. Sie sind daher als Bindeglieder zwischen alteuropäischer und slavischer Hydronymie anzusehen.
Ich habe im Fall der altertümlichen slavischen Suffixe nur eine Auswahl getroffen. Es gibt weitere Bildungsmittel, die hier angeführt werden könnten. Ich möchte jedoch zum Abschluß meiner Ausführungen auf eine Erscheinung aufmerksam machen, die erst vor wenigen Jahren in ersten Ansätzen behandelt werden konnte und die für die Frage, wo sich etwa das Slavische aus einem indogermanischen Dialektgebiet entfaltet hat, von einiger Bedeutung ist.

BALTISCH-SLAVISCH-GERMANISCH IN DER HYDRONYMIE
Es geht um die oben schon angesprochene nähere Verwandtschaft des Baltischen, Slavischen und Germanischen innerhalb der indogermanischen Sprachgruppe. Diese ist schon lange bekannt und immer wieder diskutiert worden. Ich will auf diese Tatsache nur mit einigen wenigen Zitaten hinweisen; wichtiger ist für uns heute die Untersuchung der Frage, ob sich im Namenbestand dieser drei indogermanischen Sprachzweige Besonderheiten nachweisen lassen.
Aufgrund der schon aufgefallenden Übereinstimmungen wie den bekannten „-m-Kasus“, den Zahlwörtern für „1000“, „11“ und „12“ u.a.m. hatte schon J. Grimm eine nahe Verwandtschaft des Germanischen mit dem Baltischen und Slavischen angenommen. Jüngere Untersuchungen haben das erhärtet. Ich erwähne hier nur summarisch die Beiträge und Stellungnahmen von W. Porzig , E.C. Polomé  und E. Seebold.  Den Wortschatz hat C.S. Stang aufgearbeitet  und zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den drei Sprachgruppen festgestellt. In seiner Arbeit findet sich auch (S. 5-9) ein Abriß der Geschichte der Forschung, auf die ich hier jetzt nicht mehr eingehe.
In einem eigenen Versuch bin ich von namenkundlicher Seite an diese Dreiheit herangegangen . Dabei sind mir einige Namengruppen aufgefallen, die für eine gewissen Zusammenhang sprechen können.

1. *bhelgh-/*bholgh-
Polnische und ostslavische Gewässernamen wie B³oga, Nebenfluß der Pilica (auch Ortsname B³ogie Stare, Szlacheckie); B³ogie, Sumpf bei Radom; Bolo?ivka, Bolozivka, Flußname in der Ukraine (auch ON. Bolo?ivka, Blozev; Bluj, dt. Bluggen See, bei Miastko in Pommern; Blh, ungar. Balog, 1244/1410 Balogh, Flußname in der Slovakei, besitzen Entsprechungen im ehemaligen und jetzigen baltischen Gebiet, so in Balge, Ortsname und Name eines Teils des Frischen Haffs , in Balga, Flußname in Lettland, dort auch ON. Piebalga; Bologoe, ON. bei Valdaj, dort auch Seename Bologoe, Bologovskoe; Bologoe, auch Balagoj, ON. im ehem. Kr. Cholm; Balagoe, auch Bologovo, ON. im ehem. Kr. Velikie Luki, dort auch SN. Balagoe. Es dürfte Verwandtschaft bestehen zu einem Ansatz *bolg-, der auch in dem Flußnamen Osob³oga/Osoblaha, Nebenfluß der Weichsel, dt. Hotzenplotz, vorliegt.
Ein Ansatz *bholg- darf als Abtönung zu einer Wurzel *bhelg- aufgefaßt werden. Ein sicherer Anschluß hat sich für die genannten Namen noch nicht finden lassen. Hier kann das Germanische helfen: ein norddeutsches Küstenwort, das noch heute lebendig ist, lautet balge, balje. Es bezeichnet neben anderem die mit Wasser gefüllten Vertiefungen, Rinnen und Gruben, die bei Ebbe zurückbleiben, daneben auch einen niedrigen, sumpfiger Ort, den Arm eines größeren Flusses oder eine tiefe Rinne zwischen Sandbänken an der Küste.
In nicht wenigen Namen Norddeutschlands, darunter in Balge, Ortsname bei Nienburg,


sowie alter Name des Hafens in Bremen, ferner mit altertümlicher -r-Bildung in Beller, ON. bei Brakel, ca. 993-996 in Balgeri, ferner in Belgien und in der Niederlanden, aber auch in England, begegnet das Wort auch toponymisch.
Damit erschöpft sich die Verbreitung. Karte 10 zeigt, daß eine Wurzel *bhelgh- im Namenmaterial eines Gebietes vorkommt, aus dem später das Germanische, Baltische und Slavische entstanden sind. Der Balkan spielt keine Rolle.

2. *dhelbh-/*dholbh-/*dhlo bh-
Ein Ansatz *dhelbh- wird fast allgemein in Wörtern des Baltischen, Slavischen und Germanischen vermutet, so etwa in poln. d³ubaæ „höhlen, meißeln“, èech. dlub „Vertiefung“, sloven. dolb „Aushöhlung“, ahd. bi-telban „begraben“, ae. (ge)delf „Steinbruch“, ndl. delf, dilf „Schlucht, Graben, Gracht“, lit. délba, dálba „Brech¬stange“.Die Reflexe dieser Wurzel zeigen


Karte 10: *bholgh-

sich also nur in einem begrenzten Bereich der indogermanischen Sprachen. Ihre Grundbedeutung kann etwa mit „vertiefen, aushöhlen“ beschrieben werden.
Da die Verbreitung appellativisch beschränkt ist, ist der Nachweis im toponymischen Bereich umso bedeutsamer, weil sich aus der daraus ergebenden Verbreitung Schlüsse für das mutmaßliche Entfaltungsgebiet der drei genannten Sprachgruppen ergeben.
Der bekannteste osteuropäische Vertreter der hier genannten Sippe ist der Name des Flusses D³ubnia, der bei Nowa Huta in die Weichsel mündet.
Dieser Name enthält indogermanistisch gesprochen, die Schwundstufe der Wurzel, nämlich *dhlobh-. Diese tritt nun auch in einem ganz andern Land auf, in einem Fluß in der Rhön in Deutschland: Thulba, auch ON. Thulba, Oberthulba, und auch in Dölbau, Ortsname bei Halle, alt Tolben, Tolbe.
Aber auch die Vollstufe *dhelbh- ist bezeugt, u.a. in Dölbe, Nebenfluß der Innerste in Niedersachsen, alt Delve, ferner in Delve, ON. in Schleswig-Holstein, in dem bekannten niederländischen Ortsnamen Delft und in der Delvenau bei Lübeck, die eine Grundform *Dhelbh-anda oder *Dhelbh-unda verlangt.
Schließlich ist auch die Abtönung *dholbh- bezeugt, am ehesten in einem Orts- und Gewässernamen Dolobüskú bei Kiev.
Weitere hierhergehörende Namen übergehe ist. Der Nachweis der drei Ablautstufen *dhelbh-, *dholbh-, *dhlobh- innerhalb eines begrenzten Gebiet zeigt die engen Beziehungen, die diese Wurzel zur indogermanischen Grundlage besitzt. Erneut ist bedeutsam, in welchem Gebiet die Namen begegnen (Karte 11). Es ist der Raum, der uns bisher immer wieder aufgefallen ist: Das Gebiet zwischen Rhein, Dnjepr und Ilmen-See hat Anteil an der Streuung, jüngere germanische Ausläufer mit einzelsprachlichen Bildungen in Flandern und England dürfen nicht überbewertet werden. Ein Zusammenhang mit dem Oka-Gebiet, mit Asien oder dem Balkan existiert nicht. Man kann bei der Suche nach alten slavischen Siedlungsgebieten auf diese Gebiete verzichten.
3. Eine indogermanische Wurzelerweiterung *per-s- mit der Bedeutung „sprühen, spritzen, Staub, Tropfen“ ist in etlichen Sprachen nachweisbar, so etwa schon in hethitisch papparš- „spritzen, sprengen“, altind. pro ?at „Tropfen“, avest. paršuya- „vom Wasser“, lit. purslas, pursla „Schaumspeichel“, lett. pàrsla, pêrsla „Flocke“, slav. *porsa- „Staub“ (vgl. altkirchenslavisch prachú usw.), tocharisch A, B pärs- „besprengen“ und im Nordgermanischen (dän., norw., anord.) foss, fors „Wasserfall“.
Von einer baltisch-slavisch-germanischen Eigentümlichkeit kann vom appellativischen Standpunkt also aus nicht gesprochen werden. Das Bild verändert sich jedoch, wenn man die hiervon abgeleiteten Gewässernamen einbezieht.
Der wahrscheinlich bekannteste Name, der hier zu nennen ist, ist die Parsêta, dt. Persante, Zufluß z. Ostsee; daneben nenne ich aus Osteuropa nur noch Pereseja/Pèrse, Stromschnelle der Westl. Düna; Perscheln, Persem, Perses, Persink, Orts- und Flurnamen im ehem. Ostpreußen, dort auch Proœno, dt. Pörschken See, 1486 Persk, sowie die SN. Persk und Perszk; wichtig noch die Peresuta, GN. in der Ukraine, Prosna, linker Nfl. der Warthe, die Pirsna, abgeg. GN. im Gebiet der Pilica und Pirsna, Landschaft an der unteren Weichsel; weiter nach Osten liegen Porosna, Fluß im Gebiet des Donec; Presnja, linker Nfl. d. Moskva sowie FlN. im Gebiet der Oka.
Das deutsche Sprachgebiet besitzt Entsprechungen in Veerse und Veersebrück, ON. an der Veerse bei Scheeßel, um 1290 in Versene, in Veerßen an der Ilmenau bei Uelzen, 1296 Versene, 1306 Versena usw. und weiteren Namen, die ich hier übergehe.


Karte 11: *dhelbh-


Karte 12: *pers-

Auch hier zeigt die Verbreitung ein nun schon bekanntes Bild (Karte 12, s.o.): die Namen liegen nördlich der europäischen Mittelgebirge in dem Bereich, der auch schon durch andere Verbreitungskarten aufgefallen war. An einem letzten Fall soll diese Streuung nochmals deutlich werden.
4. Die Wurzelerweiterung *pel-t-, *pol-t-, *plot- einer in den indogermanischen Sprachen weit verbreiteten Sippe um *pel-/pol- „gießen, fließen usw.“, deren Reflexe vom Armenischen über das Baltische und Slavische bis zum Keltischen reichen, begegnet appellativisch im Baltischen, vgl. lett. palts, palte „Pfütze, Lache“.
Geht man aber zum Namenbestand über, so scheint darüber hinaus auch das ehemals slavische Gebiet daran Anteil gehabt zu haben. Außerhalb des später slavischen, baltischen und germanischen Gebietes fehlen bisher sichere onymische Entsprechungen, wie die nun folgende Zusammenstellung deutlich machen wird, und es kann daher der Verdacht geäußert werden, daß die Dentalerweiterung auf diesen indogermanischen Dialektbereich beschränkt gewesen ist.
Zunächst biete ich einen Überblick möglichst aller erreichbaren Bildungen zu der unerweiterten Wurzel *pel-/pol-. Daß das Material noch erweitert werden kann, ist unbestritten.
Man vergleiche: Fal bei Falmouth, England; Fala, FlN. in Norwegen; Falbæk in Dänemark; Falen Å in Dänemark; Fils, GN. im Neckargebiet; Filsbæk in Dänemark; Paglia, Zufluß d. Tiber; Palà, GN. in Litauen, auch in Lettland; Palae, ON. in Thrakien; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; *Palantia im ON. Palencia in Altkastilien; Palçja, FlN. in Litauen; Palejas, FlurN. in Lettland; Palma, ON. in Thrakien; Palminys u.a.m., FlNN. im Baltikum; Palo, Fluß zum Mittelmeer bei Nizza; Palõnas, Palona, GNN. in Litauen; Palva, Fluß in Lettland; Palwe, ON. in Ostpreußen; Pelà, Fluß in Litauen; Péla, Pelîte, FlNN. in Lettland; Polendos bei Segovia, Palmazanos und Paociana in Portugal; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; Palangà, ON. nördl. Memel (Klaipçda), evtl. hierzu; *Palantia im GN. Palancia in Altkastilien; Pelega, Peleška, FlNN. im alten Gouv. Novgorod; Pelesà, Pelesõs ë?eras, GNN. in Litauen; Pelso „Plattensee“; Pelva, ON. in Illyrien; Pelyšà, FlN. in Litauen; Pielnica mit ON. Pielnia, im San-Gebiet, < *Pela; Pola, Fluß zum Ilmensee; Polova, FlN. bei Gorodok, Weißrußland; Valme, Nfl. d. Ruhr; Velpe bei Tecklenburg; Vielserbach, auch ON. Vielse(rhof), 1015-24 Vilisi, Zufluß z. Heder im Gebiet der Lippe; Vils, Gr. Vils, Kl. Vils, mit ON. Vilshofen, im Donaugebiet, sowie Vils, Zufluß z. Lech; Volme, Zufluß z. Ruhr. Unsicher ist die Zugehörigkeit des österreichischen FlN. Pielach.
Zur Verbreitung der Namen s. Karte 13. Man sieht deutlich, daß die Streuung weite Gebiete Europas umfaßt und daher eine einzelsprachliche Erklärung nicht mehr möglich ist. Wir haben eine typische alteuropäische Sippe vor uns.
Ganz anders sieht es aus, wenn man sich diejenigen Namen betrachtet, die als -t-Ableitung einer Wurzel *pel-/pol- gelten können . Dabei lassen sich alle drei indogermanischen Ablautstufen belegen.
1) Die Grundstufe *pel-t- liegt vor in: Polota, ON. Polock (< *Pelta); Pe³ty, ON. bei Elbing, 1323 usw. Pelten, Pleten; P³ock, ON. an der Weichsel.
2) Die Abtönung *pol-t- in: Páltis, Pãltys, Palt-upis, Paltç u.a.m., GNN. und FlurN. in Litauen, vielleicht auch in Palten, GNN. in Österreich.

Karte 13: Bildungen mit *pel- und *pelt-

3) Die Schwundstufe in Pilica, l. Nfl. der Weichsel, < *Plo tiâ;Poltva/Pe³tew, FlN. bei Lwów (Lemberg); Pe³ta oder Pe³tew, Nfl. d. Narew; Poltva, Nfl. d. Horyn‘ in der Ukraine sowie im Namen der Fulda < *Plo ta.
Das Ergebnis liegt offen zutage: die Basis *pel-/pol- ist sowohl appellativisch wie hydronmyisch viel weiter gestreut als die Erweiterung *pel-t-/pol-t-. Die -t-haltigen Ableitungen bzw. Bildungen treten im Namenbestand nur in einem begrenzten Gebiet auf, das in einem Dreieck zwischen Hessen, dem Baltikum und der Ukraine liegt.
Erneut zeigt sich damit, daß es einen relativ sicher zu bestimmenden Bereich gegeben hat, auf dem sich das Baltische, das Slavische und das Germanische aus einem indogermanischen Dialektgebiet entfaltet haben dürften.
 

ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
1. Es gab einen vergleichsweise engen Kontakt zwischen dem sich entwickelnden Baltischen, Slavischen und Germanischen.
2. Die darauf hinweisenden Gewässernamen umfassen einen Raum nördlich der mitteleuropäischen Mittelgebirge zwischen dem Rhein im Westen, Nord- und Ostsee im Norden und dem Baltikum und westlichen Rußland im Osten.
3. In Kombination mit den eingangs behandelten altertümlichen slavischen Bildungen der Hydronymie ergibt sich für die mutmaßliche slavische Urheimat aufgrund der Gewässernamen, daß etwa ein Gebiet zwischen der oberen Weichsel, den Pripjat’-Sümpfen, den Karpaten und dem Dnjepr alle Gewässernamentypen aufweist, die Voraussetzung für die Annahme einer alten slavischen Besiedlung sind.
Nach der Pannonien-These O.N. Trubaèevs hat Z. Go³¹b das obere Don-Gebiet als Heimat slavischer Stämme ausmachen wollen. Nimmt man noch die letzten Arbeiten Schelesnikers hinzu, so wäre die südöstliche Ukraine zu favorisieren. H. Kunstmann sucht die slavischen Quellen in Asien. Man fragt sich, warum man nicht dort nach Slavischem sucht, wo es die Hydronymie zwingend vorschreibt: im Raum zwischen Pripjet’ und Karpaten sowie Dnjepr und unterer Weichsel.
Aufgrund der Gewässernamen, den wichtigsten Zeugen alter Sprachschichten, kann die Suche nach einer slavischen Heimat im Oka-Gebiet, in Asien, in der südöstlichen Ukraine und auf dem Balkan aufgegeben werden.

Einleitung

Die Frage, inwieweit die Unterwerfung sächsischer Stämme durch die Franken auch Folgen für den Namenschatz Norddeutschlands gehabt hat, ist bisher zumeist eingebettet in die um-fassendere Diskussion um die Frankonisierung deutscher Ortsnamen behandelt worden. Nach G. Müller  handelt es sich dabei nach wie vor um „eines der Leitthemen historisch-philologischer Namenforschung“, aber es gibt immer noch erhebliche Differenzen über „Reichweite, Dauer, Intensität und Modalitäten dieses Einflusses“.
Wendet man sich dem norddeutschen Raum zu, so darf der äußere Rahmen der Einbindung in das Frankenreich mit H.-J. Nitz, der sich u.a. auf L. Fiesel und R. Wenskus beruft, etwa wie folgt umschrieben werden: „Im Rahmen der fränkischen Unterwerfung Sachsens in den Jahr-zehnten um 800 wurde eine umfangreiche grundherrliche Binnenkolonisation nach fränki-schem Vorbild in Gang gesetzt, an der sich neben dem Königtum vor allem der einheimische sächsische Adel und offenbar in nicht geringem Maße auch Adelige aus dem fränkischen Raum beteiligten“ . Von hieraus gesehen darf man durchaus annehmen, daß der fränkische Einfluß auch vor den Ortsnamen nicht halt gemacht hat.
Aber die bisherige Bearbeitung der Namen steht vor Schwierigkeiten. In seinem für unser Thema wichtigen Beitrag hat G. Müller deutlich gemacht, daß auf diesem Gebiet noch viel zu tun ist, denn „die Untersuchungen über die toponymischen Reflexe fränkisch-sächischer Be-ziehungen [stehen] erst an einem Anfang“ . Und das Resümee seiner Überlegungen schließt mit dem Satz : „Wohl lassen sich schon grobe Umrisse einiger weniger Stufen der fränkisch-sächsischen Auseinandersetzung an der Verteilung der Namentypen … ablesen. Bis das Bild klar genug ist, wird aber noch viel an karger philologisch-historischer Kleinarbeit vonnöten sein“.
Wir werden somit nicht umhin können, zu einzelnen Namen detailliert Stellung zu nehmen, und dieses umso mehr, als man in weiten Kreisen der Historiker, Geographen und z.T. auch Namenforscher davon überzeugt ist, daß der Einfluß der Franken tief in die norddeutsche Namenlandschaft eingewirkt hat. Ein Blick in die Geschichte des Problems wird das zeigen.

Forschungsgeschichte
Abgesehen von einigen Vorläufern, darunter etwa W. Arnold , K. Rübel , P. Höfer , F. Lan-genbeck und H. Weigel , darf O. Bethge als Initiator der These gelten, wonach Spuren der fränkischen Organisation in den Ortsnamen gefunden werden können. Es ist klar, daß dafür nicht nur die Namen herangezogen werden können, aber sie sind z.B. für H.-J. Nitz  ein wich-tiger Faktor: „Das Problem der fränkischen Staatskolonisation beschäftigt die verfassungsge-schichtliche Forschung seit einigen Jahrzehnten. Die Untersuchungen … stützen sich vorzugsweise auf schriftliche Quellen. Zur Aufhellung hat auch die Ortsnamenforschung We-sent-liches beigetragen“. Und zur Bedeutung von O. Bethge heißt es bei demselben Autor: „Auf die über Zufälligkeiten hinausgehende Massierung von Ortsnamen mit einer ‘schemati-schen’ Bildungsweise nach relativer Lage zu einem Mittelpunkt …, nach Lage im Gelände …, nach sonstigen Naturgegebenheiten …, aber auch nach speziellen Funktionen … hatte erstmals O. Bethge in einem vielbeachteten Aufsatz hingewiesen und ihre Gruppierung um fränkisch-königliche (fiskalische) Zentren als charakteristisch erkannt“ .
 
O. Bethges Aufsatz aus dem Jahre 1914 trägt den Titel Fränkische Siedelungen in Deutsch-land, aufgrund von Ortsnamen festgestellt . Obwohl die Kritik an diesem Versuch durchaus nicht ausblieb , ist seine These doch im wesentlichen akzeptiert worden. Zustimmung fand er unter anderem – wenn auch in unterschiedlichem Maße – bei L. Fiesel, F. Kaufmann, A. Bach, W. Flechsig, H. Kaufmann, R. Wenskus, D. Rosenthal, G. Müller, H.-J. Nitz und W. Meibey-er . Bei W. Kaspers  heißt es expressis verbis: „Daß man tatsächlich fränkische Siedlungen an ihren Namen erkennen kann, hat O. Bethge bewiesen, an ihren Namen oder besser an ei-nem gewissen Namenschema-tismus. Nordheim, Ostheim, Mülheim, Buchheim, Stockhausen u.ä. weisen in Verbindung miteinander auf Franken“. Die breite Zustimmung beruht aber, wie C. Jochum-Godglück erst vor kurzem wieder richtig betont hat , vor allem auf der freundli-chen Aufnahme durch A. Bach.
Angesichts dieser im wesentlichen positiven Aufnahme wird man sich vielleicht fragen, ob damit nicht das endgültige Urteil über ein wichtiges und interessantes Faktum gefällt worden ist. Aber es sei erneut an das oben zitierte Wort von G. Müller erinnert: bevor endgültige Klarheit erreicht worden ist, ist „noch viel an karger philologisch-historischer Kleinarbeit vonnöten“. Und es scheint, als habe man gerade im Bereich der Einzelbeurteilung der heran-gezogenen Namen durchaus nicht mit der notwendigen Kritik gearbeit.
Wenn ich also nochmals auf den mutmaßlichen fränkischen Einfluß in norddeutschen Namen (und hier ausdrücklich beschränkt auf Niedersachsen) zurückkomme, so hat dieses mehrere Gründe: 1.) Basierend auf der weiteren Bearbeitung der Gewässernamen Deutschlands  und Europas sind erste Zweifel an der nordischen Heimat des Germanischen geäußert worden . Dabei hat sich herausgestellt, daß das Germanische vor allem mit den indogermanischen Schwestersprachen im Osten, vor allem dem Baltischen, alte Kontakte besessen haben muß. Durch die Aufarbeitung der Gewässernamen Polens  wird diese Beobachtung immer wieder bestätigt. Aus diesen Beobachtungen heraus haben sich für nicht wenige und gerade die umstrittenen norddeutschen Ortsnamen neue Anknüpfung- und Deutungsmöglichkeiten ergeben. 2.) Der sich auch aus der Beobachtung der Gewässernamen ergebene Befund, daß der keltische Einfluß auf das Germanische zu hoch eingeschätzt worden ist, findet seine Bestätigung in einer Untersuchung, die versuchte, die alten Siedlungsgebiete germanischer Stämme mit Hilfe einer Untersuchung von Orts- und Gewässernamen näher zu bestimmen . 3.) Mit dieser Arbeit wurde wenigstens in Ansätzen versucht, die jahrzehntelang vernachlässigten Ortsnamen Norddeutschlands  (abgesehen von Schleswig-Holstein ) mehr in die Diskussion einzuführen als bisher geschehen. 4.) Die immer wieder auch für die Frage der fränkischen Beeinflussung niedersächsischer Ortsnamen herangezogenen -büttel-Namen wurden einer gründlichen Untersuchung unterzogen . Wir werden darauf noch zurückkom-men. 5.) Weitere Arbeiten zu niedersächsischen Ortsnamen  haben gezeigt, daß Alter, Schichtung und Streuung neu überdacht werden müssen. Sachsen-Frage  und die Beziehun-gen nach England erscheinen dabei ebenso in einem neuen Licht wie die sich in der Rattenfängersage spiegelnde mutmaßliche Auswanderung nach Mähren . 6.) Zu wenig Beachtung fand die berechtigte Kritik an der von A. Bach unterstützten Frankonisierungsthese durch H. Kuhn . 7.) Der die Theorie begründende Aufsatz von O. Bethge ist vor kurzem in der umfassenden und sehr zu begrüßenden Untersuchung von C. Jochum-Godglück  ausführlich behandelt worden („Die Überprüfung der nicht unumstrittenen gebliebenen Theorie Bethges ist das Anliegen dieser Arbeit“ ). Auch dadurch fällt z.T. neues Licht auf alte Fragen.
Es empfiehlt sich, vor Einstieg in die Einzeldiskussion der niedersächsischen Ortsnamen in kurzen Zügen die bisher fast allgemein anerkannten Merkmale fränkischen Einflusses anzu-sprechen. C. Jochum-Godglück hat dazu ausgeführt : „Während SN (Siedlungsnamen) mit patronymischen Erstglied (mit possessivischer Bedeutung) das personale Prinzip der Ortsna-mengebung repräsentieren, lassen sich die mit Appellativen komponierten Bildungen, sofern sie gehäuft auftreten, wodurch sie ja erst eigentlich schematisch werden, sprachlich sinnvoll nur als Ausdruck geplanter Ansiedlungen auf größeren Komplexen einheitlichen Grundbesit-zes erklären. Es war Oskar Bethge, der zu Beginn dieses Jahrhunderts feststellte, daß die schematischen, insbesondere die orientierten SN, auffällig häufig mit fränkischen Reichsbesit-zen korrelieren. Er nahm deshalb den Namentypus als Reflex gelenkter fränkischer Siedlung auf Fiskalland in Anspruch“. Darauf aufbauend wird fränkischer Einfluß von L. Fiesel etwa wie folgt definiert : „Demgegenüber sind die nicht mit PN, sondern nach Himmelsrichtungen, und die mit -holt, stock- und anderen sachlichen Bestimmungsworten gebildeten -husen-Namen vielleicht als fiskalische Gründungen anzusehen, wie Nordheim, Sudheim, West- und Ostheim, Stockheim, Stöcken, Dahlheim, Bergheim, Buchheim, Bekum, Steinheim, Kirchheim, Bokenem, Bokem, Boitzen“.
 
In dieser Äußerung hat sich bereits ein schwerer Fehler eingeschlichen, den O. Bethge selbst schon vorausgeahnt hat. Seine vorsichtige Mahnung ist jedoch immer weniger beachtet wor-den. Er schrieb : „Es soll nun nicht grundsätzlich behauptet werden, daß alle diese Dörfer mit den stereotypen Namen auch grundsätzlich königlich oder fiskalisch waren … Ver-fasser ist der sichern Erwartung, daß man ihm jedes Bergheim, Thalheim, Kirchheim usw. als ‘fränkische Kolonie’ zur Last legen wird, um dies dann zu bestreiten. Demgegenüber sei nochmals scharf betont: nur wo mehrere unserer Typen, also wo sie gesellig auftreten, und wo älteres Königsgut sich nachweisen läßt (8.-10. oder 11. Jahrhundert), da nimmt er sie für die fränkische Kolonisation des 6.-9. Jahrhunderts in Anspruch. Daß diese Namen auch sonst gelegentlich überall auftreten ohne diesen Zusammenhang mit der fränkischen Siedelung, bestreitet er durchaus nicht“.
Der von O. Bethge befürchtete Fehler ist nicht so aufgetreten, wie er vermutet hat: man hat keineswegs einzeln auftretende Namen des genannten Typs als Argument gegen seine These ins Feld geführt, sondern vielmehr das getan, was er für falsch hielt: vereinzelt auftretende Namen sind gerade in jüngster Zeit gern der fränkischen Kolonisation zugeschrieben worden.
Neben den hier genannten orientierten Namentypen hat A. Bach in einer weiteren Namensippe fränkischen Einfluß vermutet. Er nahm an , daß der Typus Personenname + Siedlungsna-mengrundwort, z.B. Sigmars-heim, Sigmaringheim, Sigmarshausen, auf fränkischen Einfluß zurückgehe, während ältere vorfränkisch-gemeingermanische Bildungen aus Personengrup-pennamen auf  ing/ ung (etwas Sigmaringen) und oft aus einstämmig gebildeten, auf Gelände, Fauna und Flora bezogene Stellenbezeichnungen bestünden. A. Bach beruft sich dabei vor allem auf das Fehlen entsprechender Typen in der antiken Überlieferung. Wörtlich heißt es bei ihm : „Daß der Siegeslauf der genannten beiden Namentypen (die wir im Folgenden zusammenfassend als ‘Personenname + Siedlungsnamen-Grundwort’ bezeichnen) der fränk. Epoche angehört, kann kaum bezweifelt werden“.
Anders als im Fall der Theorie von O. Bethge ist diese These aber auf mehr Widerstand ge-stoßen. So hat sich bereits H. Kuhn  dagegen ausgesprochen. G. Müller hat zusätzlich darauf verwiesen , daß in diesem Fall ein Drittel der westfälischen Ortsnamen fränkischen Ursprungs seien. In Niedersachsen läge der Prozentsatz ganz ähnlich. Daß dieses nicht zutreffen kann, liegt auf der Hand. Aber auf einzelnen Typen werden wir dennoch zurückkommen müssen.

Kritik der für fränkisch gehaltenen Ortsnamen Niedersachsens

Aus sprachlicher Sicht müßte es leicht sein, fränkisch beeinfußte oder aus fränkischem Dia-lekten entstandene Ortsnamen in Niedersachsen, in dem fast in seiner Gesamtheit ursprünglich altniederdeutsche (altsächsische) Mundarten gesprochen wurden , zu ermitteln. Die Differen-zen zwischen dem Althochdeutschen des Fränkischen und dem Altniederdeutschen in Nieder-sachsen hatten sich längst herausgebildet. Dazu gehören etwa: vollzogene bzw. unterbliebene hochdeutsche Lautverschiebung (offan : opan; mahho½         n    : mako½        n, ih : ik; ziohan : tiohan; thor(p)f : thorp; sibun : sivun), unterschiedliche Vokalentwicklung (-uo- : -o½                              -; -ei- : -ë-;  ou  :  o½         -, fehlende nordseegermanische Züge im Hochdeutschen, Unterschiede im Wortschatz und anderes mehr.
Wir werden aber bei der Einzeldiskussion der Namen sehen, daß die genannten lautlichen Erscheinungen, die eine einwandfreie Zuordnung zu Altniederdeutsch bzw. Althochdeutsch erlauben, bei der Zuweisung zu mutmaßlichen fränkischen Ortsnamen Niedersachsens fast keine Rolle gespielt haben. Vielmehr geht es – abgesehen von den orientierten Namentypen – vor allem um mutmaßlich fränkische oder altsächsische Personennamen. Als wesentlich und bedeutsam ist in diesem Zusammen-hang die Annahme, daß die Bildung eines stark flektie-renden Personennamens + -husen um 800 produktiv gewesen sei . Wir werden noch sehen, daß der norddeutsche Namenbestand Hinweise darauf enthält, die für wesentlich höheres Alter der in den Ortsnamen begegnenden Personennamen sprechen.
Ein weiterer, sehr bedenklicher Punkt liegt in der vielfach vertretenen – wenn auch nicht im-mer deutlich gesagten – Annahme, wonach die Entstehung der mit Personennamen gebildeten niedersächsischen Ortsnamen nur knapp vor die Zeit der Ersterwähnung gesetzt wird. Dafür etwa ein Zitat zu den -heim-/-hem-Namen: „Die Vorkommen im Regierungsbezirk Stade werden im 10. und 11. Jahrhundert erwähnt; ihre Entstehung ist auch kaum frü-her anzusetzen“ . Nur am Rande sei dazu bemerkt, daß damit die fast generell akzeptierte These einer sächsischen Zuwanderung aus dem südwestlichen Schleswig-Holstein  nicht in Einklang zu bringen wäre. Hinzu kommt, daß der Nachweis verwandter Namentypen in Eng-land ebenfalls gegen eine zu junge Datierung spricht. Wir stehen somit vor der Aufgabe, die bisher für fränkisch gehaltenen niedersächsischen Ortsnamen zu prüfen und die Stichhaltigkeit der Argumentation kritisch zu bewerten. Dabei sollen Namentypen wie -dorf,  stedt, -leben, -borstel usw. zusammenfassend behandelt werden.

1. Bodenburg

Die alten Belege für den Ort im Kr. Hildesheim schwanken kaum: 1142 (A. 13. Jh.) Meinfri-dus comes de Bodenburg, 1143 Heinricus de Bodenburch, 1146 de Bodenburch, comes de Bodeburch . Für D. Rosenthal  liegt ein fränkischer Name vor: „Im ersten Element der frän-kische Personenname Bo½ do. Fränkische Anlage, wahrscheinlich an der Stelle einer älteren sächsischen Siedlung“. Aus sprachlicher Sicht ist die Verbindung mit einem fränkischen Per-sonennamen unbewiesen. W. Schlaug  hat unter den altsächsischen Personennamen zwei Dutzend Namen unter Bôdo aufgelistet. Was soll da für fränkische Herkunft des Personenna-mens sprechen?

2. Ortsnamen mit dem Grundwort -borstel

Am Anfang der Untersuchung der Ortsnamen mit dem Grundwort -bo(r)stel < -burstal steht der Name von L. Fiesel. In dessen erstem kurzen Beitrag  spricht er noch eher allgemein von einem jungen Ortsnamentyp, allerdings schimmert auch schon hier Fränkisches durch: „Diese Namenbildung macht keinen altsächsi-schen, vorkarolingischen Eindruck; weder bûr noch stal, stel sind in altsächsischen Literatur-werken, soweit ich sehe, heimisch. Sie sind in fränkischem und oberdeutschen Sprachgebrauch dagegen heimischer. Das Ergebnis … über die -borstel-Namen möchte ich vorläufig folgendermaßen formulieren: Wir haben es mit Gründungen der Zeit nach der Un-terwerfung der Sachsen auf ‘engrischem’ Gebiet und seinen Ausstrahlungsgebieten zu tun“ . Die vorsichtige Formulierung zeigt, daß sich Fiesel noch keineswegs sicher war. Und so wird in seinem zweiten Beitrag zu den -borstel-Namen  der mögliche Einfluß von Franken mit keiner Silbe erwähnt. In seiner letzten Äußerung zu diesem Namentyp findet sich allerdings eine deutliche Kehrtwendung: „Auch bei den etwa 100 ON mit dem GW -borstel, Bedeutung ‘Hausstelle’ .. finden sich Hinweise auf fränkische Gründung“ . Erwähnt werden in diesem Zusammenhang selbst Ortsnamen aus den Kreisen Celle, Rotenburg/Wümme und Uelzen.
Ausführlich hat sich später H. Franke mit diesem Namentyp befaßt . In der Frage der Entste-hung des Wortes -borstel hat er sich L. Fiesel angeschlossen: „Fest steht, daß -borstel eine eigentliche Zusammensetzung aus mnd. bûr st.n. ‘Wohung, Ansiedlung, Gemeinde’ und stal st.m. ‘Ort, Stelle, Platz’ ist. Diese beiden Wörter, die im Altsächsischen nicht heimisch sind, wurden wohl von den Franken in den niederdeutschen Raum getragen“ . Zuletzt habe ich mich selbst  (allerdings ohne auf die fränkische Frage einzugehen) mit dem Namentyp be-schäftigt.
Einig ist man sich darin, daß es sich bei den -borstel-Orten um relativ junge Siedlungen han-delt. Zu prüfen ist, ob das Fehlen von bûr und stal im Wortbestand des Altsächsischen als Argument für hochdeutsche oder fränkische Bildung in Anspruch genommen werden kann.
Für altsächsisches Vorkommen von bûr sprechen verschiedene Argumente: a.) der häufige Nachweis in norddeutschen Ortsnamen (z.B. als Büren) bei E. Förstemann ; b.) das Auftreten in norddeutschen Flurnamen ; c.) mnd. bûrmâl, bûrsprake „Versammlung der Gemeinde, Bauerschaft, Dorfgericht“ ; d.) der Nachweis in altenglischen Ortsnamen . Auch stal ist zweifellos im Altsächsischen bekannt gewesen. An-gesichts der mittelniederdeutschen Wörter stal „Stall“, stal-broder „Genosse, Kamerad“, stal-hêre „Stallherr, Ratsherr“, stal-junge „Stalljunge“, stal(le)knecht „Stallknecht“, stallen „in den Stall bringen; sich einquartieren“, stallen vor „belagern“, stallinge „Stallung, Stall“, stalman „Stallknecht“, stal-mëster „Stallmeister“ u.a.  sehe ich keine Veranlassung, das Grundwort von bur-stal- als aus dem Fränkischen importiert zu betrachten. Das völlige Fehlen entspre-chender Ortsnamen in Hessen (von südlicheren Gebieten ganz zu schweigen) spricht ebenfalls dagegen. Der burstal-/borstel-Typus ist mit Sicherheit unabhängig von fränkischem Einfluß entstanden.
Nachtrag:  (Derks, Moswidi S. 34, Anm. 382)

3. Brühl
(Nachtrag: beachte Handout von R.M. Kully, Brühl; dem Franken-Artikel beigeheftet)
Die Diskussion um das häufig in Orts- und Flurnamen auftretenden Wort Brühl berührt H.-J. Nitz mit seiner Bemerkung: „Hier muß man bei der fränkischen Herkunft der Institution der Bischofskirche und der fränkischen Herkunft der Institution der Bischofskirche und der von Aachen aus erfolgten Gründung an eine Übertragung des fränkischen Begriffs Brühl denken, wie überhaupt der Brühl in Sachsen und Nordhessen ein solcher ‘Import’ aus dem fränkischen Raum sein muß“ .
Man ist sich ziemlich einig, daß das Wort über das Mittellateinische aus dem Keltischen ent-lehnt worden ist: „Der Brühl < gall.-lat. bro(g)ilus ‘eingehegtes Gehölz’ …, ahd. broil, bruil, mhd. brüel ‘Aue’, frühnhd. bryel u.ä. ‘fette, auch mit Buschwerk bestandene Wiese’. Ndl. breugel, bruil, briel …“ , „Altall. *brogilus ‘eingehegtes Gehölz’ = mlat. bro(g)ilus > ahd. broil, bruil, mhd. brüel“ , „Brühl ‘feuchte Wiese’ … , mhd., ahd. brüel, entlehnt aus ml. bro(g)ilus, das gall. *brogilos voraussetzt. Dieses zu (ig.) *mrog-, das als Erbwort in Brackwasser und Bruch auftritt. Das Wort ist häufiges Element in Ortsna-men“ .
Dabei ist aber ein bedeutsamer Gegensatz zu beachten: nach R. Schützeichel  haben die deut-schen Appellativa Brühl „feuchte Wiese, feuchter Platz“, frühnhd. bryel „fette, auch mit Buschwerk bestandene Wiese“, mhd. brüel „bewässerte, buschige Wiese“, ahd. bruil, broil „Aue“, mnl. prayel „Rasenfläche“ als wichtige Komponente den Bezug zum Wasser, während die romanischen Belege auf „Umzäuntes, Eingehegtes“ weisen: italien. broglio „Küchengar-ten“, rätoroman. brögl „Einfang, Baumgarten“, prov. bruelh, frz. breuil „eingehegtes Ge-büsch“. Den gleichen Bedeutungskern haben keltische Wörter: gall. brogae „Acker“, bret. bro „Bezirk“, air. mruig, bruig „Landstrich“. Die Formen führen auf gall. *brogilo zurück, das im Mittellateinischen seit dem 8. Jh. als bro(g)ilus erscheint . Etwas unklarer heißt es bei H. Dittmaier : „Die Grundbedeutung des Namenwortes ist nicht das Feuchte, Sumpfige, wie in den heutigen Wörterbüchern angegeben, sondern das Umzäunte, Gehegte“.
Vergleicht man mit diesem Befund die weite Verbreitung im mittelniederdeutschen und neu-niederdeutschen Wortschatz, in den norddeutschen Flurnamen  und sogar im Namenbestand der ostdeutschen Kolonisationsgebiete, so muß es sich bei brül, bröil – gleichgültig, ob aus dem Keltischen entlehnt oder nicht – um ein im Altniederdeutschen weit verbreitetes Wort gehandelt haben (wofür auch Ortsnamen mit ihrer älteren Überlieferung sprechen). Man ver-gleiche  mnd. br?l, bröil m. „Brühl, feuchte Niederung, Buschwerk in sumpfiger Gegend“, nnd. Brühl, Bräul, Braul „niedriges, vereinzeltes Gebüsch“ , Flurnamen bei
 
Hannover  Magdeburg , Celle , in der Ueckermünder Heide , bei Rochlitz , im Thürin-gerwald , bei Grimma und Wurzen  und anderswo.
Beachtenswert ist eine Passage bei J. Göschel , der Brühl als Flurname mehrfach belegt und dann notiert: „Ursprünglich ist mit Brühl eine mit Buschwerk bestandene, tiefer gelegene nasse Sumpfwiese bezeichnet worden. Später werden nach V. Ernst … mit Brühl vor allem im dt. Südwesten die Wiesen des grundherrlichen Salhofs bezeichnet. Diese Wiesen lagen dicht beim Hofe oder Dorf im Gegensatz zur Breite, die das grundherrliche Ackerland benannte. Im UG ist das nicht nachzuweisen. – Die Realprobe bestätigte im UG die alte Bedeutung ‘sumpfi-ge, nasse Stelle’ bei allen Belegen.“
Ortsnamen bestätigen die frühe Produktivität des Wortes: R. Möller  verzeichnet den ON. Brauel, Kr. Bremervörde, 1189 in Brovle, ebenso den Wüstungsnamen Broil sö. Lamspringe, 1153 Broil sowie Broil, Name einer Wiese bei Gertrudenberg nahe Osnabrück, 1189 Broil. Aus Westfalen bucht H. Jellinghaus  etliche Orts- und Flurnamen; eine gründliche Auflistung zahlreicher hessischer Flurnamen verdanken wir H. Ramge und seinen Mit-arbeitern . Auch in den Niederlanden und Belgien findet man es in Flurnamen.
Schon W. Arnold  hat auf Entsprechungen in England verwiesen. Neuere Arbeiten sehen darin Reflexe von altfranz. broile „a park, an enclosed park for deer or other game“, so auch in den Ortsnamen Brail (Wiltshire), Broil (Northamptonshire), Broyle (Sussex) . Es muß aber ernsthaft gefragt werden, ob diese südenglischen Belege nicht eher mit den flämischen, niederlän-dischen und norddeutschen Entsprechungen zu verbinden sind . Daraus folgt – ebenso wie aus den zahlreichen Belegen in süddeutschen und westdeutschen Ortsnamen -, daß das Wort frühzeitig zur Namengebung diente und fränkischer Einfluß nicht angenommen werden muß.
Hinzu kommt ein Problem der ursprünglichen Bedeutung von Brühl, das die gesamte Diskus-sion durchzieht und bis heute nicht sicher geklärt werden konnte: „Das Schwierige … ist ihre Mehrdeutigkeit, die so stark auseinanderfällt, daß man meinen könnte, man habe es jeweils der Herkunft nach mit ganz verschiedenen, zufällig gleichlautenden Wörtern zu tun“ . Be-trachtet man sich unter diesem Gesichtspunkt Flurnamen aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen, so wird man immer wieder erkennen können, daß die Namen auf sumpfige, feuchte Wiesen und Niederungen Bezug nehmen. Eine Beziehung zu einem Herrenhof o.ä. ist nicht zu erkennen.

4. -büttel

Die These, daß die ca. 220 Ortsnamen auf -büttel in ihren Personennamen deutliche Hinweise auf fränkische Herkunft enthielten, geht wiederum auf L. Fiesel zurück. Unter Nennung von Personennamen wie Aldag, Bado, Davo, Duda, Egilhard, Eggo, Gripho/Grippo, Hermin, Hager, Meginrich, Odbreht, Radulf, Sini, Volcward, Werimr, Wyric hat er gemeint: „Alle diese PN sind fränkisch. Sie kommen bei den genannten Altsachsen nicht vor und weisen darauf hin, daß die genannten Orte als Gründungen von Franken im nördlichen Teil des Nordwaldes frühestens seit dem späten 8. Jh. anzusehen sind, wahrscheinlich etwas später“ . Die Streuung der angeblichen fränkisch beeinflußten -büttel-Namen reicht nach L. Fiesel bis in die Kreise Verden, Osterholz, Cuxhaven, Winsen/Luhe und Uelzen, also bis kurz vor Ham-burg, hinein. Damit verbunden wird die Etymologie: „Das Grundwort -büttel ist auf german. by-dlo zurückzuführen; als Bedeutung ist ‘Grundbesitz’, ‘Herrenhof’ zu erschließen“ .
Nichts davon läßt sich halten. Im Lichte neuerer Untersuchungen  erscheint -büttel als Orts-namenelement, das in seinen Anfängen weit vor die fränkische Eroberung Sachsens gesetzt werden muß. Das zeigt sich auch daran, daß zur Zeit der deutschen Ostsiedlung (auch in deren frühester Phase) -büttel nicht mehr als Ortsnamengrundwort Verwendung fand. Hinzu kommt der Nachweis durch K. Casemir, die zeigen konnte, daß die mutmaßlichen fränkischen Perso-nennamen der  büttel-Namen samt und sonders auch im Altsächsischen bezeugt sind. Zwi-schen fränkischem Einfluß und Entstehung der -büttel-Namen gibt es keinen Zusammenhang.

5.  dorf/-thorp

Der These von O. Bethge folgend (zu einer zusammenfassenden Wertung s. unten), werden aus Himmelsrichtungsbezeichnungen und dem Grundwort -dorf zusammengesetzte Ortsna-men, vor allem wenn sie in Kombination zueinander und eventuell noch zu Namen wie Mül-heim, Buchheim, Stockhausen u.ä. liegen, als Indikatoren für von fränkischen Organisatoren geplanten Siedlungen betrachtet. Aus Niedersachsen sind mir drei Komplexe bekannt gewor-den.
a.) Astrup/Westrup/Nortrup/Suttrup (u.a.): K. Brandt hat in Untersuchungen zu Orten in den Dammer Bergen  Orte, in denen Vierecke den ältesten Siedlungskern bilden, behandelt. Er fand diesen Ortstyp auch unter den orientierten Ortsnamen und zwar in: Astrup und Westrup (Gem. Neuenkirchen, Kr. Vechta); Astrup und Westrup (Gem. Bersenbrück), nordwestl. da-von noch Stockum; Nortrup und Suttrup (Artland), benachbart Sussum (Gem. Bersenbrück).
K. Brandt schreibt dazu : „Ohne auf diesen Ortsnamentyp näher einzugehen, genügt es, hier festzustellen, daß mehrere Orte, deren ältester Kern von einem Viereck gebildet wird, Orts-namen tragen, die auf Planung bei der Namengebung hindeuten. Dagegen fehlen solche Na-men bei den Siedlungen, in denen sich regelmäßig Vierecke finden. Mit entsprechendem Vorbehalt ist die Annahme erlaubt, daß die orientierten Ortsnamen aus einer Entstehungszeit der Siedlungen stammen und damit für eine Planung bei der Anlage der Siedlung, d.h. der Vierecke, sprechen …“.
 
Im Schlußwort dieses Kapitels heißt es weiter : „Zwar ist es fraglich, ob auch für Nordwest-deutschland die Verbindung ‘orientierter’ Ortsnamen mit Königsgut gilt … Aber jedenfalls besteht bei den Namen Westrup, Astrup und Stockum die Vermutung, daß sie von jemandem gegeben wurden, dessen Macht und Einfluß über den Bereich einer einzelnen Siedlung hi-nausging“.
H.-J. Nitz übernahm die Vermutung : „K. Brandt stieß im Rahmen seiner siedlungsgeneti-schen Analysen auf der südoldenburgischen Geest auf lagemäßig an frühmittelalterlichen Fernstraßen orientierte Einzelhöfe … Die regelhafte Anordnung … und ihre siedlungsformale Regelmäßigkeit … finden ihre Entsprechung in einer häufigen Verwendung orientierter Orts-namen wie Westrup und Ostrup, wobei hier -trup = -dorp sowohl eine kleine Gruppensiedlung als auch einen Einzelhof bezeichnen kann. Dies alles und schließlich die Besitzmassierung der Osnabrücker Bischofskirche in diesem Raum und speziell in diesen Siedlungen führen Brandt zu der vorsichtig formulierten Hypothese, daß hier der Besitzvorgänger des Bischofs, nämlich der fränkische König bzw. dessen Verwaltung, für die strategische straßenorientierte Planung dieser Kette von Einzelhofsiedlungen namhaft zu machen sei“.
Bevor hierzu eine Wertung abgegeben werden soll, sei der nächste Komplex vorgeführt: es geht um die Orte Astrup, Vestrup, Bergstrup und Holtrup bei Vechta. Die für unser Thema bedeutsamen Passagen einer Untersuchung von W. Sieverding  hat H.-J. Nitz wie folgt zu-sammengefaßt: „In der Interpretation Sieverdings … sind diese Hofnamen im Rahmen grund-herrschaftlicher Maßnahmen nach der fränkischen Eroberung entstanden und in Villikationen organisiert worden … Allerdings glaubt er im Anschluß an den Namenforscher William Foerste von einem altsächsischen Ursprung der -dorp-Namen ausgehen zu müssen … So deu-tet Sieverding vorhandene Höfe außerhalb der Reihe bzw.ohne Beteiligung an der Breitstrei-fenflur als altsächsische Einzelhöfe des 5./6. Jahrhunderts, die im Zuge der altsächsischen Westexpansion angelegt worden seien, die er sich als zentral und militärisch gelenkt vorstellt. Da sich unter diesen -trup-Namen aber die gleiche Häufung schematischer Namenbildung wie z.B. Astrup-Westrup, Bergtrup und Holtrup findet, die schon Brandt konstatierte, könnte man ebenso dessen These folgen und die Gründung der Gruppensiedlungen, ohne die Hilfskon-struktion einer vorhergehenden zunächst isolierten Einzelhofsiedlung, samt ihrer Namengebung mit der karo-lingischen Kolonisation in Verbindung bringen, die nun ja nachweislich einen zunächst militä-risch-okkupatorischen Charakter hat“ .
Prüft man die vorgebrachten Argumente kritisch, so kann bei dem letzten Komplex begonnen werden. Unter Bezug auf die sprachwissenschaftliche Argumentation von W. Foerste  heißt es bei W. Sieverding eindeutig: bei dem Wort thorp handelt es sich „um ein ausgesprochen westsächsisches Ortsnamen-Element …, das in der kontinentalen Heimat der Sachsen zur Zeit der Abwanderung nach Britannien im 5. Jahrhundert n. Chr. schon als Ortsnamen-Wort ge-bäuchlich war“ . Eine Namengebung im 8. oder 9. Jahrhundert kommt allein aus diesem Grund (es gibt aus sprachlicher Sicht noch weitere , die auch bei den anderen Namengruppen noch zur Sprache kommen werden) nicht in Betracht.
Zur These, bei der Entstehung der Namen Astrup und Westrup (Gem. Neuenkirchen, Kr. Vechta) bzw. Astrup und Westrup (Gem. Bersenbrück) hätte Fränkisches Einfluß genommen, kann aus sprachhistorischer Sicht nur ablehnend Stellung genommen werden. Viel zu wenig beachtet wird nämlich, daß die beiden Namen in sich Lautveränderungen enthalten, die nur in den niederdeutschen Mundarten des westlichen Niedersachsen bzw. Westfalens begegnen können: zum einen betrifft dieses die Metathese dorp : drop, drup, trup in Verbindung mit der Tatsache, daß die Namen nicht hochdeutsches -pf-, -f-, sondern niederdeutsches p enthalten , zum andern ist bei Astrup zu beachten, daß das zugrunde liegende westgermanische * au- sich vor -s- nicht wie im Alt-hochdeutschen zu -?- entwickelt hat (heute hdt. Ostdorf, Osten), sondern durch das A- (Astrup) auf eindeutig altsächsischen Lautstand weist. Man vergleiche dazu die Belege bei H. Gallée , den Beitrag von D. Freydank  und zur Illustration einige alte Belege des ON. Osnabrück: 8. Jh. Osna-brucg(ensis), 9. Jh. Osnaburgensis, Osnabrukgensi, 1003 Asenbrungensis, 1005 Asanbrunensis, 1025 Asnabrug(g)ensi . Dieses Kriterium ist auch an den ON. Astrup bei Belm nordöstl. Osnabrück anzulegen, 1090 (K. 18. Jh.) et Asthorpa … fuerat Asthorpa, für den planmäßige fränkische Anlage erwogen wurde .

Ein Blick auf die Karte zeigt, wie im Fall von Astrup und Westrup die Namengebung nach „Osten“ und „West“ zu verstehen ist (vgl. Karte 1): der Bezugsort ist Vörden (ein Furt-Name), die nördlich davon liegenden Orte Astrup und Westrup stehen mit Vörden durch eine getrennt verlaufende Wegeführung in Verbindung; zwischen den beiden Orten liegen Erhe-bungen, die trennen und eine Benennung als „westliche“ bzw. „östliche“ Siedlung beeinflußt haben dürften.
Ebenso starke Einwände gegen fränkischen Einfluß müssen aus sprachlicher Sicht im Fall von Nortrup und Suttrup (Artland) erhoben werden. Das in diesem Zusammenhang genannte Sus-sum (Gem. Bersenbrück) liegt fast 10 km entfernt (dazwischen befindet sich der Ort Ketten-kamp) und gehört als Suter-hem in einen anderen Zusammenhang (vgl. Punkt 22). Nortrup, 1169 (A. 14. Jh.) Norttorpe, 1172 Northorpe(n), ca. 1240 Norttorpe , und Suttrup, Ende 12. Jh. (A. 16. Jh.) Suttorpe, 1271 (A. 14. Jh.) Suttorpe, 1330 Suttorpe , sind wohl in ihrer Na-menentstehung aufeinander bezogen, aber gerade dann muß dieses unabhängig von fränki-schem Einfluß geschehen sein. Entscheidend ist dabei Suttrup, denn dieser Name enthält im Vorderglied asä. sud „Süden“. Auf die Einzelheiten dieser sprachlich wichtigen Erscheinung, die das Altsächsische mit dem Altfriesischen und Altenglischen verbindet, werde ich bei der Diskussion der ensprechenden -heim-Namen (Sudheim, Sutterem, Sottrum usw.) zusammen-fassend eingehen (vgl. Punkt 22).
Aber fränkischer Einfluß bei der Entstehung der -dorf-Namen Niedersachsens wurde nicht nur im Osnabrücker Raum vermutet, sondern auch im Leinegebiet. Unter Bezug auf den Typus Oldendorp hat sich dazu vor allem D. Denecke  geäußert. Er baut dabei in hohem Maße auf die Arbeit von I. Burmester , die in durchaus verdienstvoller Weise dieses Grundwort aus sprachlicher Sicht behandelt hat. Ihr sind jedoch bei der Beurteilung des Alters der  dorp/ dorf-Namen etliche Fehler unterlaufen . Eine von ihr angefertigte Karte der „Aus-breitung der christlichen thorp-Siedlung“ (vgl. Karte 2) gibt die Ergebnisse im wesentlichen wieder. Nachdrücklich ist jedoch auf die Kritik von H. Walther an der auch von I. Burmester vertretenen Meinung hinzuweisen, „das Auftreten der  thorp-Namen falle überall mit der Machtausweitung der Merowinger und mit dem Gang der christlichen Mission zusammen“ . Insofern ist die Kartenüberschrift zu korrigieren. Zusammenfassend gesagt: angesichts ver-schiedener sprachlicher Erscheinungen, die zweifelsfrei bis in die altsächsische Zeit und z.T. noch darüber hinaus datiert werden können, haben die -dorp-Namen in Norddeutschland mit Sicherheit bereits vor dem Eindringen der Franken bestanden.

Ein Letztes zu den -dorf-/-dorp-Namen: der Blick nach England bestätigt, daß dieser Namen-typus in Verbindung mit Himmelsrichtungen völlig unabhängig von fränkischem Einfluß immer wieder geschaffen werden konnte: „The loca-tion of a þorp in relation to a larger place is often indicated by the addition of ëast, west, etc., as in Easthorpe YN, Northorpe, Southorpe YE, etc.“ , und an anderer Stelle: „A word deno-ting position relative to another place, as Aisthorpe L, Easthorpe Ess, Nt, YE (ëast) … Northorpe L, YE (norð), Owsthorpe YE (austr), Southorpe L, Nth, YE (sûð), Westhorpe Nt, Sf (west)“ .
b.) Grasdorf: In den Kreisen Hannover und Hildesheim liegen die beiden Orte Grasdorf, die mit dt. Gras nichts zu tun haben, sondern aufgrund ihrer alten Belege 1153/78 Gravestorpe, 1285 in Gravestorpe bzw. 1131 in Gravestorp, (1154) in Gravesthorp, 1157 in Gravestorp  offenbar auf eine Grundform Graves-thorp zurückgehen. Ebenso ist der ON. Grastrup bei Schötmar, 1316 in Gravestorp , zu analysieren.
Was verbirgt sich hinter dem Bestimmungswort Grav(es)-? Bei D. Rosenthal heißt es : „Im ersten Element die fränkische Bezeichnung ‘Graf’“ und weiter: „Lage und Boden weniger günstig, was zusammen mit dem Bestimmungswort auf Entstehung nach 800 deutet“. Die Annahme fränkischen Einflusses scheint berechtigt, denn während dt. Graf im Hochdeutschen vor allem mit -a-Vokalismus belegt ist (mhd. grâve, ahd. grâvo), begegnen im Niederdeut-schen vornehmlich -e-Formen: mnd. greve „Graf, Vorsteher“, dinkgreve, dîkgreve, holtgreve, spelgreve . Aber die Deutung ist verfehlt. Unser Wort flektiert schwach, nicht stark, das gilt sowohl für das Althochdeutsche wie das Mittelniederdeutsche: es müßte *Gravendorp heißen.
Da auch dt. Graben nicht vorliegen kann und ein Grab(es)-dorf (zu dt. Grab?) kaum einen Sinn ergibt, muß man nach einer anderen Lösung suchen. Man findet sie in einem ganz ande-ren Zusammenhang. Zu einer indogermanischen Wurzel *ghr?u- : *ghr?u : *ghr?- gehört kelt. *grava „Kies“, z.B. in kymr. gro, akorn. grou „Sand“. Die Wurzel ist auch im Germani-schen bekannt, hier mit einer -n-Erweiterung *ghr?uno- in aisl. grj?n „Grütze“ (*geschrotetes Korn), mhd. grien „Kiessand, sandiges Ufer“, nd. gr?n „Sandkorn“ (dazu der ON. Greene). Daraus darf gefolgert werden, daß auch den germanischen Sprachen ein Ansatz *ghr?u  bekannt gewesen ist; er müßte entsprechend dem Verhältnis nhd. blau : asä. blâw im Altnieder-deutschen als *graw- erscheinen.
Hier können die Grasdorf-Orte angeschlossen werden, wenn auch letzte Sicherheit noch nicht gewonnen werden kann. Einen Hinweis auf die Richtigkeit der Verbindung scheint der Wüs-tungsname Grafhorn bei Immensen östlich von Hannover mit Scherbenfunden des 9. und 10. Jahrhunderts zu geben. Der 1666 in der Form Graffhorn erwähnte Name bezieht sich nämlich auf ein Gelände, in dem „eine Sandanwehung zungenartig in ein feuchtes Gebiet hinein-ragt“ . Mit fränkischen Grafen haben die Namen jedenfalls nichts zu tun.c. Hattorf: „Hattorf führt mit dem Bestimmungswort in die älteste germanische Rechtsge-schichte. huota, huot, hode, hude ist die ‘Schutzgemeinschaft mit gewissen Rechten und Pflichten’. Hattorf ist also das Dorf einer bestimmten fränkischen Rechtsgenossenschaft“ erwog H. Wesche  für Hattorf bei Wolfsburg. Seine Meinung wurde u.a. von D. Denecke  aufgegriffen.
So schwierig der ON. Hattorf auch sein mag, eine Verbindung mit dem von H. Wesche he-rangezogenen Terminus bleibt mit Sicherheit fern. Das lehren schon die alten Belege für Hat-torf am Harz, 952 (F. 13. Jh.) partem ville Hattorpp, 13. Jh. Hattorph, Hattorp, in Hattorpe . Aber auch Hattorf bei Wolfsburg besitzt ähnliche Zeugnisse: 1196-1197 in Hat-torp , 1294 Hattorpe . Hinzuzusetzen ist wohl auch Hattrop bei Soest trotz der etwas schwankenden Belege 1186 Hattorp, 1276 Hottorpe, 1284 Hettorpe . H. Wesches Deutung überzeugt in keiner Weise, vgl. Förstemann  s.v. hud2: ahd. huota, mhd. huot, mnd. hode, hude „die Aufsicht, Wache, Distrikt eines Waldaufsehers“, bezeugt in Ortsnamen wie Hoden-burg, Mansfelder Gebirgskreis, 937 Hudeburgi; 1083 Hutghest in den Niederlanden; Hitdorf bei Solingen, ca. 1151 Huttorp. Dazu paßt kein Hat-. Eine eigene Deutung der Hattorp-Namen soll hier nicht vorgelegt werden. Es geht hier nur darum, die verfehlte Verbindung mit ahd. huota „Wache“ usw. aufzuzeigen. Die genannten Wörter verlangen  ? , das im Niederdeutschen unverändert geblieben wäre.

6. Drebber.

In den hochdeutschen Ortsnamen Trebur, Tribur, Trebra, alt Triburi, Driburia, Driburi, und den niederdeutschen Drebber bei Diepholz, alt Thriburi, Triburi, Drever bei Salzkotten, Dre-wer bei Rüthen, alt Triburi, sieht O. Bethge  fränkischen Einfluß: „Die Orte wie ihre Namen sind der Niederschlag der fränkischen Kolonisation; die Namengebung ist auf amtlichen oder traditionellen Einfluß oder besser auf beide zurückzuführen“.
Eine Etymologie hat O. Bethge nicht vorgetragen, aber es ist klar, was gemeint und bis heute Allgemeingut ist: seit E. Förstemann  sieht man im ersten Teil der Namen germ. thri „drei“; zum zweiten Teil der Namen äußert sich Förstemann nicht, aber offenbar ist an b?r „Haus“ gedacht. H. Walther  stellt Trebra ähnlich zu ahd. drî „drei“ und b?ri „Behausung“.
Diese so sicher scheinende Etymologie ist äußerst fraglich und bei einigen Namen mit Sicher-heit falsch, so gewiß bei den niederdeutschen Drewer, Drever, Drebber. Wir können das am Fall von Stöckendrebber und Norddrebber (nördl. Hannover) erkenen: die alten Belege zeigen hochdeutschen Einfluß (1029 in Dribura, 1033 in villis Tribur), mit Eintritt der heimischen Überlieferung ändert sich das Bild schlagartig: 1213 in treuere, 1215 in threueren, 1251 in northtreuere et in suttreuera, 1281 in Dreuere . Damit wird auch sofort klar, daß die hoch-deutschen Formen Umdeutungen einer volkstümlichen, niederdeutschen Grundlage sind, und die beiden Wörter tri und b?r in die Namen hineininterpretiert wurden. Auch der spätere Zusatz north und sut hat nichts mit fränkischem Einfluß zu tun, sondern bezieht sich auf die von Süden nach Norden fließende Leine und deren Tal. Und auch die Ortsnamen selbst beziehen sich auf das Leinetal: zugrunde liegt wie bei Drebber an der Hunte (auf beiden Seiten des Flusses als Jacobidrebber bzw. Mariendrebber erwähnt), Trebur am Schwarzbach, Trebra (Kyffhäuserkreis) und Trebra (Kr. Nordhausen) an einem Bach eine altertümliche -r-Ableitung  zu idg. *dher?bh- : dhr?bh : dhr?bh-, zu der aus den germanischen Sprachen gehören: ahd. trebir, nhd. Treber „Rückstand beim Keltern“, mnd. drever, Plural zu mnd., mnl. draf, vgl. anord. draf „Abfall“, norw. drevja „weiche Masse“, geminiert nl. drabbe „Berme, Bodensatz“, ndd. drabbe „Schlamm“, schwed. dr?v „Bodensatz“ (*dhr?bho) Im Ablaut gehört dazu ahd. truobi, dt. „trübe“.
Die Ortsnamen verdanken ihre Benennung ganz offensichtlich ihrer Lage am Rand von Über-schwemmungsgebieten, dort, wo Schlamm und Bodensatz als Rückstand nach höherem Was-serstand zurückbleiben. In gewissem Sinn ist dieses Beispiel sehr lehrreich: es zeigt, wie groß die Diskrepanz sein kann zwischen dem, was man in Ortsnamen sehen möchte, und dem, worauf diese in Wirklichkeit Bezug nehmen: auf ihre geographische Lage.

7. -feld

Der auch heute nicht selten anzutreffende Glaube, Ortsnamen mit dem Grundwort -feld wür-den auf fränkische Plansiedlung, verbunden mit königlichem Besitz, weisen, geht letztlich auf P. Höfer zurück . Erst jüngst hat H.-J. Nitz  bei der Behandlung dieses Themas diesen Beitrag positiv erwähnt. Aus dem Harzer Raum sind in diesem Zusammenhang z.B. Bodfeld, Ilfeld, Siptenfeld, Selkenfeld, Hasselfeld, Ichtenfeld, Saalfeld erwähnt worden. Es handele sich um „königliche Forsthöfe“ hat dezidiert W. Flechsig  bei einer ansonsten guten Zusammen-stellung entsprechenden Namen  geäußert.
Das hohe Alter der -feld-Namen läßt sich gut an dem ON. Ilfeld bei Nordhausen demonstrie-ren: für diesen läßt sich zusammen mit der-ithi-Bildung Ilde bei Bockenem (1065 Illidi) und Ilten bei Hannover (< Il-tun) nur im östlichen Europa ein sicherer Anschluß finden: in ukrain. il „Schlamm, Letten, Ton, Lehm“, weißruss. il „dünner Schmutz organischer Herkunft im Wasser, auf dem Boden eines Wasserloches, sumpfiges, graues oder weißfarbiges Land“, russ. il „Schlamm“, ein alter -u-
 
Stamm, vielleicht verwandt mit lett. ?ls stockfinster“, sicher aber mit griech. këšò „Schlamm, Kot“, åßëš ìåëáí  (Hesych) .
Ähnlich alte Verbindungen lassen sich bei Alfeld, Dransfeld, Scharzfeld  und anderen -feld-Namen herausarbeiten. Fränkisches und die Verbindungen mit den viel zu jungen königlichen Forstorten müssen aber auch aufgrund einer offenbar zu wenig beachteten Bemerkung von P. v. Polenz fern bleiben: „ … als Landschaftsnamengrundwort ist -feld in auffälliger Weise be-sonders im Gebiet des alten Thürinerreiches verbreitet … Auch namengeographisch spricht alles gegen eine fränkische Herrschaft der ostfränkisch-thüringischen -feld-Landschaftsnamen. Sie sind außer in Ostfranken und Thüringen nur im südlichen Niedersachsen und in den Al-penländern verbreitet, nicht dagegen in altfränkischen Gebieten“ .
Die fehlerhafte Interpretation niedersächsischer -feld-Namen kann an einem weiteren Fall aufgezeigt werden: unter Bezug auf den ON. Hilligsfeld aus dem Kreis Kr. Hameln-Pyrmont heißt es bei L. Fiesel : „Die Kirche von Hilligsfeld hat den Stammesheiligen der Merowin-ger und Karolinger, den Martin von Tours, als Schutzpatron … Der PN Hillig, Hilliki und ähnlich ist fränkisch; unter den sächsischen Geiseln kommt er nicht vor. Das GW -feld ist, wie bei Hünfeld, als Bezeichnung einer karolingischen Funktionssiedlung anzusehen. Die meisten -feld-Orte sind als königliche Forstorte erkennbar“.
Diese Deutung steckt voller Fehler. Der ON. Hilligsfeld kann aufgrund seiner alten Belege aus dem 9. Jh. (Abschr. 12. Jh.) in Hillingesfeldo, 856/69 (A. 12. Jh.) Hillingesfelden, 980-982 (Abschr. 15. Jh.) in Hillikesfelle, (1055-1080) in Hildinesfelda, 1188 Hillingelvelt  ver-schieden erklärt werden: entweder auf Hillingesfeld beruhend zu einem PN. Hilling oder aber wegen der Hildingesfeld-Formen zu einem PN. Hilding. Mit einem PN. Hillig oder Hilliki ist nicht zu rechnen.
 
Nur am Rand sei bemerkt, daß der Name Hünfeld zumindestens in altgermanische Zeit zu datieren ist; auch hier bleibt fränkischer Einfluß beiseite.

8. Frankensundern

Für diesen kleinen, weniger als 50 Einwohner zählenden Ort bei Bramsche sind keine älteren Belege bekannt . Dennoch meint K. Rübel : „Als fränkisches Sundern läßt ihn nicht allein der Name erkennen …“, und wenige Seiten später zunächst einschränkend : „Wir sind nun weit davon entfernt, zu behaupten, daß alle Sundern auf fränkische Markenregulierung zu-rückzuführen sind“, aber dann heißt es: „Wo jedoch die Sundern an der Grenze der Marken liegen, wie das Frankensundern bei Rulle und zahlreiche andre …, da werden die Sundern und Sonderhufen allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit als ehemalige königliche Sundern zu erklären sein“.
Die späte Überlieferung des Namens spricht mit aller Entschiedenheit gegen eine Namenge-bung etwa im 8. oder 9. Jh. Hinzu kommt die Lage der winzigen Siedlung inmitten von Wäl-dern, völlig abgeschlossen von der Umwelt und nur durch einen waldfreien Zugang zum nördlich davon liegenden Mühlenort (auch kein Ortsname mit sehr alter Tradition!) mit der Umgebung verbunden. Unter einer fränkischen Grenzposition dürfte man sich etwas anderes vorzustellen haben.

9. Helperde
Unter Heranziehung der alten Belege 850 Helperdun, 1196 Helperthe sieht D. Rosenthal  im Grundwort germ. *d?n? „Dühne, Sandhügel“ und meint weiter: „Im ersten Element der Kurzname Helper zum westgermanischen Vollnamen Hilper?c, Helper?c, der hauptsächlich bei Franken und Westfranken verbreitet war“.
Eine vollständige Liste der alten Belege (826-876 [A. 15. Jh.] Helperdun, 1196 Helperthe, 1230 Helperthe, 1255 Helperthe) zeigt, daß -un im ersten Beleg Reflex eines Dat. Plur., des typischen Lokalkasus in deutschen Ortsnamen, ist . Die übrigen Belege weisen auf ein -ithi-Suffix, das nie mit einem Personennamen kombiniert ist . Eine Erklärung des Namens ist schwierig, aber am allerwenigsten kommt für das Bestimmungswort ein Personenname in Betracht .

10. Holtensen (und Verwandtes)

Im Zusammenhang mit der fränkischen Unterwerfung Sachsens und der grundherrlichen Ko-lonisation sind immer wieder Ortsnamen herangezogen worden, die Hinweise auf Leistungen gegenüber dem Grundherrn geben könnten. Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang der Typus Holzhausen, ndt. Holtensen, genannt. So heißt es bei H.-J. Nitz : „Holzhausen, Holz-heim und Holzdorf sind die Standorte spezieller Holzproduktion für die Villikation“.
Eine Überprüfung der Bedeutungsentwicklung schließt dieses für weite Bereiche Deutsch-lands und ganz sicher für Norddeutschland aus: mnd. holt bedeutete „Baumbestand, Gehölz, Wald, Waldstück, Hochwald“ , der Ortsnamentyp Holthusun, Holzhausen ist nur zu verste-hen als „Häuser im Wald, nicht hölzerne Häuser, wie Förstemann meinte!“ . Noch in den Merseburger Zaubersprüchen heißt es: Phol ende Uuodan uuorun zi holza („ … fuhren in den Wald“). Auch die zahlreichen Ortsnamen wie Bocholt, Bockolt, Buchholz, Hainholz, Nord-holt, Westenholz, Vahrenholz usw. enthalten holt, Holz im Sinne von „Wald, Gehölz“; sie meinen also Siedlungen am Wald und nicht etwa solche, die Holz produzieren.

11. -husen/-hausen

Auch die Bildungen mit -husen, dem im Hochdeutschen -hausen entspricht, sind fränkischer Herkunft verdächtigt worden. An erster Stelle ist hier wieder L. Fiesel zu nenen. Für das süd-liche Niedersachsen, vor allem für das Leinetal und seine Umgebung meinte er aufgrund einer Auflistung von -husen-Namen aus den Corveyer Traditionen folgern zu können : „Sind diese in den T.C. genannten Orte mit dem Grundwort  husen nicht erst Gründungen der Zeit nach der Eingliederung Sachsens in das Frankenreich?“, und weiter: „Im 9. Jh. erscheint in dem unterworfenen und dem Impe-rium eingegliederten Sachsenland eine erhebliche Menge der Orte auf -husen. Verfügungsbe-rechtigte Besitzer waren die Angehörigen einer gehobenen Schicht, die man als nobiles und nobilissimi ansehen muß … Sind nun die Angehörigen dieser ‘Stammes-aristokratie’ originär Sachsen oder originär Franken? Zur Lösung dieser Frage können wieder die PN beitragen“ .
In diesen glaubt Fiesel fränkische Spuren zu entdecken. Genannt werden in diesem Zusam-menhang 1. Adalhard und die gesamte Adal-Sippe; 2. die Personennamen um Hildi. Weiter wird ausgeführt: 3. „Hemric, später Heinrich …, ist ebenfalls des Frankentums verdächtig“; 4. „Der Name Ida (2. Gemahlin des Grafen Esic = Adalric) ist ‘offensichtlich fränkischer Her-kunft’“; 5. Auch die mit -dag-gebildeten Personennamen „sind fränkisch … Die mit -dag- gebildeten ON und PN als ‘cheruskisch’ anzusehen , nur weil sich einige Vorkommen zwi-schen der oberen Weser und Leine finden, entbehrt jeder Berechtigung“. 6. Fränkischer Her-kunft sind nach Fiesel weiter die Personennamen um Odo, Oddo, Oto, Alding, Imming, Erp, Benno, Dodo, Brumman, Ecceric, Heilker, Franko, Luthard, Suitbod, Hrotbert, Adic, Emmid, Mangar, Smidirat, Papo.
Fiesels Folgerung lautet: „Ist unter diesen Umständen der Schluß von der Hand zu weisen, daß die weit überwiegende Zahl der in T.C. genannten Orte mit dem GW -hausen als von Reichsfranken benannt und begründet anzusehen sei?“, und: „Alle diese Beobachtungen und die aus ihnen gezogenen Schlüsse lassen für das Altsachsenland keinen Raum für eine Entste-hung der -husen vor dem 9. Jh. Das Höchstalter ist also für Altsachsen auf das späte 9. Jh. anzusetzen“ .
Gegen diese Meinung hat sich schon früh Widerstand geregt. So meinte W. Flechsig : „Frü-her hat man geglaubt, die -hausen-Orte seien von den Franken gegründet worden. Aber woher hätten die Franken die Menschenmassen nehmen sollen, um nicht nur in Hessen und Ostfalen, sondern auch in Westfalen und anderen deutschen Landschaften die Tausende von -hausen-Orten mit eigenen Leuten besetzen zu können?“. Die These fränkischer Herkunft könne zu-dem nicht stimmen, denn „daß sich die Hauptmasse der  hausen-Orte mit einem PN als BW schon vor dem 9. Jahrhundert entstanden sein muß, ergibt sich aus der relativen Zeitfolge der deutschen ON-Typen …“ .
Auch G. Müller lehnt die fränkische These ab: „Als die Franken ihren Einfluß in Hessen gel-tend machen konnten, muß hausen dort, in Niedersachsen und in Ostwestfalen schon ein be-stimmendes Element der Namenlandschaft gewesen sein“ . Dafür spricht auch die Tatsache, daß zu Beginn der Ostkolonisation im 12. Jahrhundert das Grundwort -husen/-hausen nicht mehr produktiv gewesen ist. Die Blütezeit muß demnach viel früher gewesen sein.
Auch der Untertypus -ing(e)-husen-, für den nun wiederum W. Flechsig fränkischen Einfluß in Betracht gezogen hat , ist ohne diesen produktiv geworden. Aufgrund der eingehenden Untersuchung von U. Scheuermann  kann man heute sagen, daß u.a. die Verbreitung eindeu-tig gegen die Annahme fränkischen Einflusses spricht.
Eine detaillierte Behandlung der von F. Fiesel als fränkisch deklarierten Personennamen in niedersächsischen Ortsnamen (nochmals seien genannt: Odo, Oddo, Oto, Alding, Imming, Erp, Benno, Dodo, Brumman, Ecceric, Heilker, Franko, Luthard, Suitbod, Hrotbert, Adic, Emmid, Mangar, Smidirat, Papo) kann hier nicht geleistet werden. Es kann nur allgemein gesagt werden, daß das von W. Schlaug bereitgestellte Material  die Liste erheblich schrumpfen läßt. Zu einigen  husen-Namen, die auch von anderer Seite als Argumente für fränkischen Einfluß herangezogen wurden, soll aber kurz Stellung genommen werden.
a.) Abbensen: Der nordöstlich von Neustadt/Rbge. liegende Ortsname erscheint seit dem 13. Jh. als Abbenhusen , später mit typischer Abschwächung als Abbensen. Es ist klar, daß im Bestimmungswort ein schwach flektierter Personenname Abbo vorliegt. Der Ortsname ist hier zu behandeln, da er nach einer jüngeren Veröffentlichung  „an die fränkische Zeit erinnert“. Offensichtlich ist gemeint, das er mit einem nur im Fränkischen bezeugten Personennamen gebildet ist. Allein die Verbreitung derjenigen Ortsnamen, die mit Abbo kombiniert sind, widerspricht dieser Möglichkeit, vgl. Abbensen bei Hämelerwald, Abbenhausen bei Twistringen, Abben-dorf bei Scheeßel und Bodenteich, Abbenfleth bei Stade, Abbenrode bei Wernigerode und Cremlingen, Abbenburg nahe Höxter. Der Personenname selbst entstammt unterschiedlichen Grundlagen, seine Kurzform erschwert eine eindeutige Etymologie. Die Annahme, es handele sich um einen Namen aus der fränkischen Zeit, wird durch den Nachweis altsächsischer Per-sonennamen widerlegt .
b.) Alvessen: Der Name dieser Wüstung bei Pattensen (Kr. Hannover) erscheint seit Mitte des 12. Jhs. als Allevessen, um 1225/1230 Alevessen, Allevessen, in Aluesen, Aleussen . Wie stark der mutmaßliche fränkische Einfluß bereits in die Lokalforschung Eingang gefunden hat, macht die Tatsache deutlich, daß nach Ansicht von E. Steigerwald  im Bestimmungswort des Ortsnames „der fränkische Personenname Alvo [steckt], ein Name, der erst nach der frän-kischen Eroberung (im 9. Jahrhundert) hier aufgetaucht sein kann, als viele Königslehen an fränkische Adelige ausgegeben wurden, die dann Gründungen neuer Ansiedlungen initiier-ten“. Wahrscheinlich stecken darin zwei Fehler. Zum einen ist ein Personenname Alfi, Alpho nach E. Förstemann  „besonders dem sächs. und niederfränk. gebiete eigen“ . Zum andern liegt dieser Personenname aber wohl gar nicht zugrunde, denn das -e- zwischen -l- und -v- wird damit nicht erklärt. Auszugehen ist vielmehr von einem Personennamen mit einem zwei-ten Glied -laif-, ndt. -lev- , wahrscheinlich Ala-lev-, wodurch auch die Doppelschreibung des -l- (Allevessen) erklärlich würde. Fränkisches bleibt somit in jedem Fall beiseite.
c.) Güntersen: In der Einleitung hatte ich als unterscheidendes Merkmal zwischen Nieder- bzw. Norddeutschem auf der einen Seite und Hochdeutschem oder Fränkischem auf der ande-ren Seite auf sogenannte nordseegermanische Züge verwiesen, die dem Süden fremd geblie-ben sind. Dazu zählt der Gegensatz zwischen hdt. Gans gegenüber engl. goose, oder fünf gegenüber five. In bestimmten Positionen blieb im Süden das -n- erhalten (Gans, fünf), während es im Norden schwand und zugleich Dehnung des davor stehenden Vokals erfolgte: g?se – goose, fîve – five. Diese Entwicklung trat auch vor germ. -þ- ein.
Es wundert daher nicht, daß bei -n-haltigen Wörtern in niedersächsischen Ortsnamen fränki-scher Einfluß angenommen werden kann, und dieses durchaus mit guten Argumenten. G. Müller  vermutet dieses daher zunächst auch im ON. Güntersen, westlich von Göttingen. Dessen alten Belege scheinen diese Annahme zu stützen: 1059 (K. 13. Jh.) Gunteresu, 1203 Guntherssen, 1204 Guntherssen  usw. Auch in späteren Belegen schwindet das -n- nicht. G. Müller hat jedoch selbst darauf verwiesen, daß es gerade bei der dem ON. zugrundeliegenden Personennamensippe im Niederdeutschen Unstimmigkeiten gibt: „allerdings findet sich Gund- statt as. G?th- schon in Namen von Sachsen in der frühen Werdener und Corveyer Überliefe-rung“ . Man muß noch einen Schritt weiter gehen: in altsächsischen Personennamen ist „die sächische Form gûð … nicht belegt“ , im Altsächsischen „erscheint der PN-Stamm Gunth-, Gund- … niemals in der Form *Gûth- bzw.*-g?th“ . Daraus ergibt sich: der erhaltene Nasal in Güntersen kann nicht als Beweis für fränkischen Einfluß herangezogen werdnen.
d.) Gunthelmshusen/Machelmishusen: Bei diesen Namen handelt es sich um zwei Wüstungen in der Nähe von Göttingen. R. Wenskus bringt sie mit einer Familie vom Mittelrhein in Ver-bindung, zu der auch Machelm und Gunthelm gehören. Er führt weiter aus: „Die Namen die-ser beiden Männer, Machelm und Gunthelm tauchen … in den Namen zweier Wüstungen südlich Göttingen auf: Gunthelmshusen … und Machelmishusen … , 6-7 km voneinander ent-fernt. Ihre frühesten erfaßbaren Besitzverhältnisse weisen auf die Esikonen … Gunthelm und Machelm sind als Personennamen in Sachsen vor 1000 überhaupt nicht belegt, wie die Auf-stellungen Schlaugs zeigen, sie weisen auf den fränkischen Bereich. Ihr gemeinsames Vor-kommen in einer Familie am Mittelrhein und ihre Nachbarschaft in den Ortsnamen des Leinegebiets deuten auf eine Übertragung aus dem Kernland des ostfränkischen Raumes“ .
 
Eine Überprüfung der Ortsnamen läßt diese Schlüsse kaum zu. Gunthelmshusen ist nicht ganz sicher zu lokalisieren , am ehesten lag es südlich von Göttingen. Gelegentlich wird ange-nommen, daß es die Nachfolgesiedlung des ebenfalls wüst gewordenen Wüsthelmeshusen ist; sicher ist das aber nicht . Es ist von Wert, die Überlieferung näher zu betrachten: 997 Uu-osthalmeshusun, 1013 Uuosthalmeshusun, 1022 (F. 1. H. 12. Jh.) Wosthelmeshusen, 1022 (F. 2. H. 12. Jh.) Wosthelmeshusen, (1118-1137) (F. nach echter Vorlage) in Guntelmeshusen, 1207 in Guntelnnhusen, 1229 in Guntilmishusen, 1262 Guntelmeshusen, 1457 to Guntillems-husen .
Wenn diese Beleglage eine Siedlungsnachfolge widerspiegelt, dann hat der PN. Gunt(h)elm des Ortsnamens nichts mit den Franken zu tun; aber selbst bei gegenteiliger Annahme muß der PN. nicht unbedingt fränkisch sein: W.B. Searle weist ihn im Altenglischen in der typisch nordseegermanischen Form Guthhelm nach .
Die Wüstung Mechelmeshusen ist dagegen sicher lokalisierbar . Ihr Name erscheint nach dem UB Reinhausen wie folgt : (1118-37) (F. nach echter Vorlage) in Mechelmeshusen, (1152-1156) in Mechelmishuson, 1168 (verunechtet) in Machelmeshusen, 1207 in Mechelnis-husen, (um 1250) Mechelmeshusen, 1262 Mechelmeshusen usw. Nach Förstemann  ist ein PN. Maghelm, Machelm, Maghalm, Makhelm usw. bestens bezeugt, man vergleiche auch die Ergänzungen von H. Kaufmann , der Vermutungen von J. Schatz anführt, wonach den ge-nannten Personennamen ahd. und asä. m?g „Verwandter“ zugrunde liegt. Angesichts der späten Überlieferung des Wüstungsnamens halte ich es für gewagt, darin unbedingt einen fränkischen Personennamen sehen zu wollen: zwischen Karls des Großen Eindringen in Sach-sen und der Erstüberlieferung liegen 300 Jahre.
 
f.) Harboldessen: „Auch die 2 km nord-nordwestl. Greene liegende Wüstung *Harbol-dessen scheint in ihrem Namen den eines Franken Heribald zu enthalten, der sonst nur im Westen bezeugt ist“, vermutet R. Wenskus . Die angesprochene Wüstung erscheint in den Belegen seit dem 13. Jh.: 1271 in Hereboldessem , 1325 (Druck 17. Jh.) Herboldessen . Der Name ist mit Sicherheit aus niederdeutschem Sprachgut entwickelt worden: zum einen ist ein PN. Heribaldus in typisch altniederdeutscher Gestalt seit altsächsischer Zeit belegt, so als Heri-baldus (mehrfach)   und als Herebold, Heribold, Heriboldus, Herboldus, Hereboldus , zum andern enthalten Orts- wie Personenname einen Wandel -bald- > -bold-, eine typisch niederdeutsche Entwicklung, vgl. Wald > wold. Fränkisches muß fern bleiben.
g.) Huginhusen: Dieser alter Name des Klosters Wienhausen (Kr. Celle) ist nach Förstemann „nach einem eingewanderten Franken [benannt]. Der PN Hugo war den Niedersachsen dieser Gegend wohl fremd“ . H. Kaufmann hat sich dieser Meinung angeschlossen . Man über-sieht, daß entsprechende Personennamen schon im Altsächsischen bestens bezeugt sind. Dar-auf hat H. Wesche nachdrücklich hingewiesen und in der Besprechung des Buches von H. Kaufmann bemerkt: „Das häufige Vorkommen dieses Namens in Niedersachsen, das er be-quem in Schlaugs beiden Büchern hätte nachprüfen können, hat ihn nicht irre gemacht“ . Auf Schlaugs Belege gehe ich hier nicht näher ein; der Nachweis eines entsprechenden Perso-nennamens im Altsächsischen ist völlig unstrittig.
h.) Ohsen: Auch Ohsen im Kr. Hameln-Pyrmont enthält nach L. Fiesel Hinweise auf fränki-schen Einfluß: „Der ON. Ohsen führt in seinem BW auf das germanische (und schon indo-germanische) Wort für Wasser hin, das hier mit dem GW -husen verbunden ist. Die ON in der Form Ahusen (und ähnlich) sind von Bayern, Schwaben über Franken bis Niedersachsen nicht selten. Die verschiedenen Formen des Stammes aha, ohe, o können sowohl Gewässer- wie Ortsnamen sein. Das Kollektivum ist gawi = gau, go. Deshalb könnte man gau, go in der ursprünglichen Bedeutung ‘Talschaft’ fas-sen“ .
Nichts davon läßt sich halten. Hagenohsen und Kirchohsen sind keine  husen-Namen, wie die alten Belege 1004 (F. 12. Jh.) actum in villa Osen, 1159 (A. 17. Jh.) archidiaconus in Osen, 1197 in Nort Osen, 1226 (A. 16. Jh.) Hermannus de Osen usw.  zeigen. Vielmehr ist von einer -n-Ableitung auszugehen, wobei Ohsen auf *Osana oder *Osena zurückgeführt werden kann. Ohne auf weitere Überlegungen zur Deutung des Namens einzugehen, sei nur darauf verwiesen, daß sich hinter O- germ. *Au- verbergen wird und somit Parallelnamen in Oesede bei Osnabrück, 826-876 in Osidi, und Osede, Oese, Wüstung bei Elze, 1022 Asithe, also in zwei -ithi-Bildungen, vorliegen dürften. Ohsen gehört somit in eine Namengebungsperiode, die weit vor die fränkische Eroberungsepoche zu datieren ist.
i.) Seesen: Fränkisch wie Seehausen bei Frankenhausen und Seehausen an der Straße von Schöningen nach Magdeburg ist für P. Höfer auch Seesen im Kr. Goslar. Er sieht in dem alten Seehusa ein „königliches Gut und eine Burg am Westharz“  . Das ist schon aus sprachlichen Gründen abzulehnen. Seesen erscheint in den ältesten Quellen in eindeutig altsächsischer Form: 966 (Trans. 1295) Sehusen, 974 Sehusa/Sehusaburg, um 979 Sehuson, 980 Seburg, z.J. 984 (1012-1018) Seusun . Sämtliche Vergleichsnamen wie Seehausen in der Altmark befin-den sich im altsächsischen Bereich und gehen auf eine altsächsische, wenn nicht germanische Bildungsweise aus seo „See“ und -husun (Dat. Plur.) zurück.  Daß später Seesen auch als königliches Gut bezeugt ist, hat mit der Namengebung nicht das Geringste zu tun.

12. Jerze

Der Name verrät nach Flechsig fränkischen Ursprung, da er „mit dem für Königsgut in Nord-westdeutschland häufig gebrauchten GW -riki ‘Reich’“ gebildet sei .
Das wäre vielleicht richtig, wenn wirklich das genannte Grundwort zugrunde läge. Das ist aber keineswegs der Fall. Jerze erscheint in seinen ältesten Belegen wie folgt: (um 1007) Gerriki, 1143 Conradus de Ierriche, 1178 Widegone de Gerrike usw. . Auszugehen ist wohl von einer Grundform *Geriki, wobei eine Abtrennung als -riki zu einem unverständlichen Bestimmungswort Ge- führt. Daher ist mit Förstemann  im ersten Teil Ger- zu sehen, das noch heute als Gehrung bekannt ist und zu ger, mhd. gêre, m. „langgezogenes dreieckiges Stück“, ahd. gêro, m. „Meerzunge, Seebucht“, gêr m. „Wurf-spieß“, mnd. gêre, gehört, und ferner als gêre überall in Norddeutschland als Flurname be-zeugt ist. Eine Kombination „dreieckig“ + „Reich“ ist unsinnig, so daß in -rik- weit eher (was auch Förstemann erkannt hat) dasjenige Wort zu vermuten ist, das auch in mhd. ric „enger Weg, Engpaß“, ricke „gestreckte Länge, langer Landstrich“, mnl. reke „Linie“, mnd. reke „Dornhecke, Gebüschstreifen“, westf. recke „lebendige Hecke im Felde“ vorliegt. Der Name bedeutete demnach „spitzer, langer Landstrich; spitze Enge“. Die Lage von Jerze bestätigt diese Deutung.

13. Hostert

In der Nähe von Jerze vermutet Flechsig einen weiteren Namen fränkischen Ursprungs: „das wüste Hostert bei Mahlum, dessen Name sich im altfränkischen Gebiet westlich des Rheins in der Nähe alter Königsstraßen mehrfach wiederfindet und nach Hoops auf ahd. hovestat ‘Hof-statt, Hofhaltung’ zurückgeht“ .
Es handelt sich um den ON. Hochstedt, heute OT. von Bockenem, der wie folgt belegt ist: 1303 in minori villa Bokenem sive Hostert, 1333 (A. 17.Jh.) Hasterde, 1458 (K. 16. Jh.) up dem velde Hosterte . Daraus ergibt sich für Fränkisches nichts: zum einen ist äußerst frag-lich, ob sich hinter den Belegen wirklich ein Hovestat verbirgt (Entwicklung zu Hostert, Hastert), und zum andern wäre dieses, wenn es wirklich zuträfe, noch lange kein Argument für fränkischen Einfluß. Förstemann  verzeichnet fast zwei Dutzend Namen dieses Typs, darunter Belege aus Westfalen, den Niederlanden einschließlich Ostflandern und fügt hinzu: „Das Wort … bedeutet die Stelle eines Bauernhofes oder den Ort für einen solchen und läuft gewissermaßen dem … Burgstall [= borstel, J.U.] parallel“. Aber es sei nochmals betont: kein echter Hovestatt-Name kennt eine Entwicklung zu Hostert, Hastert. Der Name gehört sicher in einen ganz anderen Zusammenhang.

14. Brelingen

Der nördlich von Hannover liegende Ort erscheint schon früh in der Überlieferung: um 990 (A. 11. Jh.) Bredanlagu, dann: 1297 Henricus de Bredeleghe, später Bredelege, Bredelge, erst ab dem 15. Jh. als Bredelinge . Wie die Belege deutlich zeigen, ist von einer Verbindung aus ndt. bred „breit“ und lage auszugehen. Später drang das Suffix -ing(en) ein . Für R. Brandt  handelt es sich um einen Namen aus fränkischer Zeit. Dafür spricht nichts: bred ist eindeutig niederdeutsch, die Namen auf  lage hat H. Siebel ausführlich behandelt , sie rei-chen wegen ihrer Etymologie in viel frühere Zeiten zurück und sind in ihrer Verbreitung auf das Niederdeutsche beschränkt .

15. Osterlangen, Westerlangen

Anhand von typischen, auf die Langstreifenfluren bezug nehmende Flurnamen hat H.-J. Nitz fränkischen Einfluß im südlichen Niedersachsen vermutet: „Auf einen Import lassen zumin-dest sehr deutlich zwei typische Flurnamen schließen, die bei den Langstreifenfluren um Hil-desheim und Braunschweig häufig auftreten: Osterlangen und Westerlangen. Sie kennzeichnen die vom Ort aus gesehen nach Osten und Westen ziehenden Langstreifen … Wolfgang Kleiber bestätigte  ganz unabhängig von meinen eigenen Beobachtungen auf-grund seiner profunden Kenntnisse elsässischer und pfälzischer Flurnamen, das dieselben Flurnamen Osterlangen und Westerlangen in diesen Gebieten sehr häufig begegnen. Sie sind, wie er in einer Diskussion bemerkte, in Südwestdeutschland wortgeographisch spezifisch auf diese Landschaften beschränkt und tauchen bereits im 13. Jh. unter den ältesten überhaupt überlieferten Flurnamen auf. Ich vermag diese Übereinstimmung mit dem Hildesheim-Braunschweiger Raum nicht anders als durch Übertragung zu deuten. Diese aber kann nur bei der Anlage der Langstreifenfluren und Platzdörfer geschehen sein nach Beginn der fränkischen Herrschaft in Sachsen“ .
In der Diskussion dieses Beitrages wurde schon zurückhaltend argumentiert: G. Niemeier mahnte zur Vorsicht, „in Lößgebieten die Fluren weit zurückdatieren“ . In seiner Entgeg-nung betonte H.-J. Nitz jedoch, er könne sich nicht vorstellen, „daß die braunschweigischen Flurnamen Langgewann, Lange Äcker und Osterlangen erst im 18.Jh. neu erfunden worden sind“ .
Wahrscheinlich verhält es sich aber gerade so. Zu den Flurnamen des Salzgittergebietes ver-merkt M. Wiswe : „Lange ist mehrfach belegt als GW in FlrN des Salzgittergebietes, so in Holzlange …, Weglange (mehrfach) und in Osterlange … Es ist postadjektivische Gegens-tandsbezeichnung zu ‘lang’ mit der Bedeutung ‘langgestreckte Fläche’. Dementsprechend handelt es sich bei den als Lange bezeichneten Parzellen um Langstreifen. Die Pluralform Langen bezeichnet Langstreifengewanne“. An anderer Stelle heißt es bei den Flurnamen Lan-ge Wanne: „Die … bezeichneten Flurteile waren bis zur VK [Verkoppelung] Langstreifenge-wanne. Sie liegen alle in Ortsnähe auf besten Ackerböden. Wanne hat in diesen Namen die Bedeutung ‘Gewann’ … Dementsprechend wird es sich um junge, vermutlich erst im 18. Jh. entstandene Bez[eichnungen] handeln“ .
Zu dem Flurnamen Osterlangen schreibt M. Wiswe : „Oster kann hier auf die Lage des A[ckerlandes] im Ostteil der Gemarkung O[sterlinde] zurückgehen, aber auch Klammerform sein aus Oster(linder)langen“.
Man sieht, wie differenziert man Flurnamen betrachten muß. Ihr Bekanntheitsgrad reicht in den allerseltensten Fällen über eine Siedlung oder ein Dorf hinaus. Sie sind lokal gegeben und werden zumeist auch nur lokal verstanden. Vergleiche zwischen südniedersächsischen und rheinländischen Flurnamen müssen mit großer Sorgfalt versucht werden; in unserem Fall reicht das Material für die weitreichenden Schlußfolgerungen keineswegs aus.
 
16. -lar

a.) Goslar: Auch der Name Goslars ist als Beweis für fränkischen Einfluß genannt worden: „Seinem Namen nach muß er fränkischen Gründern seinen Ursprung verdanken“ hatte P. Höfer vermutet . Nähere Angaben machte er nicht. Man kann nur vermuten, daß der Grund für diese These das Grundwort -lar gewesen ist, denn der Flußname Gose, der im Bestim-mungswort des Ortsnamens steckt, ist noch nie mit Süddeutschem in Verbindung gebracht worden. So umstritten auch Alter, Herkunft und Etymologie des Ortsnamenelements -lar sein mögen (man denke an Namen wie Fritzlar, Wetzlar, Lindlar, Leer, Lehrte ), klar ist in jedem Fall, daß die damit gebildeten Namen weit vor der Herausbildung westgermanischer Einzel-stämme entstanden sein müssen. Das gilt auch für den Namen Goslar.
b.) Lenglern: Bei der Suche nach Fränkischem hat O. Bethge ausgeführt: „Bei Wintgraba-Langendorf tritt … an die Stelle des lebensvolleren individuelleren Namens ein abgeblaßter, schematischer, wohl weil hier Fiskalleute angesiedelt wurden … Und tatsächlich ist in mindes-tens einem Dutzend Fällen in oder bei Orten wie Langenfeld, Lengenfeld, Langsdorf, Langen-dorf, Lengsfeld, Longcamp, Longlari, Lenglern, Longlier u.ä., wie fast überall mit andern ON. unseres Typus vereint sich finden, fiskalischer Besitz nachzuweisen“ . Ganz abgesehen von der Frage, ob ein Name wie Langenfeld wirklich nur von Franken gebildet sein kann (die Negierung dieser These liegt auf der Hand), müssen die -lar-Typen Longlari, Lenglern, Longlier davon gänzlich getrennt werden. Die Verbreitung dieses Typs ist keineswegs auf das Fränkische beschränkt, sondern besitzt ihren Schwerpunkt im Westen des altsächsischen Ge-bietes . Die Namen haben vielmehr von Norden nach Süden ausgestrahlt ; fränkischer Einfluß kommt nicht in Betracht.
 

17. -leben

Auch unter den immer wieder diskutierten -leben-Namen (Oschersleben, Aschersleben, Alsle-ben, Erxleben usw.) soll nach Ansicht von L. Fiesel  fränkischer Einfluß zu erkennen sein. Ohne hier auf die gesamte Problematik der -leben-Namen einzugehen, die ja auch bis nach Dänemark und Südschweden ausstrahlen , ist festzuhalten, daß bei dieser Namensippe frän-kischer Einfluß mit Sicherheit ausscheidet. Mit Recht hat H. Kuhn diese These als unsinnig bezeichnet , auch nach G. Müller  sind die  leben-Namen auf jeden Fall älter als der frän-kische Einfluß. Er setzt hinzu: „Damit erreicht, ja überschreitet man eigentlich schon an der Randzone jenen kritischen Zeitpunkt, vor dem eine weiträumige sprachliche Ausstrahlung des Frankentums nicht denkbar ist“ .

18. Liudolf

Aus den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, daß der Nachweis fränkischen Ein-flusses in hohem Maße von der Zuweisung der Personennamen abhängig ist. Glaubt man, nachweisen zu können, daß ein Personenname nur im Fränkischen belegt werden kann, sind sofort auch damit gebildete Ortsnamen in Norddeutschland fränkischer Herkunft verdächtig. Schon mehrfach mußte in diesem Beitrag dagegen Position bezogen werden, aber selbst bei der Überprüfung der mutmaßlich fränkischen Personennamen ist mehr Sorgfalt geboten. Nach L. Fiesel  sind die Personennamen Liudolf „reichsfränkisch“: „Bei den Altsachsen der Zeit kommen sie nicht vor“. Eine Prüfung der Behauptung führt diese ad absurdum: W. Schlaug  verzeichnet fast drei Dutzend Personennamen des Typs Liudulfus, Liudulf, Ludolfus usw. aus Freckenhorst, Bremen, Osnabrück, Münster, Gandersheim, Paderborn, Werden, Merseburg und Corvey. An niederdeutscher und nichtfränkischer Bezeugung des in Frage stehenden Personennamen-Typs besteht kein Zweifel.

19. Stapel, Stapelingen

Fränkischer Einfluß ist auch von H. Wesche, der sich sonst recht kritisch dazu geäußert hat (vgl. oben bei der Diskussion um Huginhusen), erwogen worden. Im Fall von Hattorf mußte seine These zurückgewiesen worden (s.o.), aber damit verbunden hat H. Wesche die Namen Stapel und Stapelingen bei Wolfsburg und im Papenteich. Er führte dazu aus: „Die Wüstung Stapelingen, Steplingen liegt etwa 8 km östlich von Hattorf. Es gehört zum staplum der Lex Ripuaria, einem alten fränkischen Gesetzbuch, wo es kurz heißt: staplum ad regis = locus ubi mallus est. staffolum regis ist das Königsgericht. Beide Orte weisen darauf hin, daß zur Zeit der fränkischen Eroberung hier an diesen Orten Gerichtsstätten errichtet worden sind. Im Papenteich ein ähnliches Paar: der Ort Stapel, jetzt Wüstung, und der Flurname Dingbönken [verschrieben für Dingbänken? J.U.]. Beide dicht beieinander im Mittelpunkt des Papentei-ches. Stapel liegt unmittelbar vor Meine, früher Meinum, einem alten -heim-Namen. Auf den Dingbänken bei Rötgesbüttel wurde seit alters das Gogericht des Papenteiches abgehalten, noch bis in die ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Es erscheint mir nicht unmöglich, daß die Franken Stapel anlegten und diesen Ort zur Gerichtsstätte machten. Stapel kam in der Nachbarschaft des zentralen Meine nicht richtig zum Zuge und wurde nach einiger Zeit wüst“ ,
Eine Überprüfung des Materials zeigt, daß die Franken fern bleiben sollten. Die angesproche-ne Wüstung Steplingen lag bei Rümmer (Kr. Helmstedt), noch heute gibt es dort das Steplin-ger Holz, bezeugt ist der Name um 1220 als Stapenlege, dann 1344/65 als Stapelghe . Die Belege zeigen, daß ein Kompositum vorliegen wird, dessen Zweitglied das in norddeutschen Namen zu hunderten bezeugte -lage-/-lege-Grundwort ist . Später ist das Grundwort von dem Suffix -ing(en) verdrängt worden, eine Erscheinung, die im ostniedersächsischen Gebiet recht häufig begegnet . Mit den Franken hat das alles nichts zu tun.
Zu überprüfen ist noch die Bedeutung des Bestimmungswortes Stapel. Zuvor noch eine kurze Bemerkung zu dem von H. Wesche angesprochenen Flurnamen Dingbänke. Seine älteste Bezeugung stammt wohl aus dem Jahr 1416: gherichte to den dinghbencken . Darin enthal-ten ist das altgermanische Wort Thing, Ding. Die Streuung der davon abgeleiteten Orts- und Flurnamen schließt das Fränkische nicht mit ein .
Die von H. Wesche erwogene Verbindung der Stapel-Ortsnamen mit fränkischen Gerichtsstät-ten kann angesichts der Streuung der norddeutschen Namen nicht richtig sein. Man vergleiche Stapel, Wüstung 1,6 km sö. Meine (Kreis Gifhorn), 1360 Stapling, 1439 Staglege, 1452 Sta-pel, 1453 1479 Stapel, 1485 Stapel, dort auch FlurN. Stapel Feld, Stapel Weisen, der Stapel, Stabel Kley, Stapel Kämpe, Stapel Moor u.a. ; Stapel, ON. im Kr. Rotenburg/Wümme; Sta-pel, Stapelermoor, Stapelmoor, Ortsnamen im Kr. Leer und besonders aufschlußreich Stapel, ON. im Amt Neuhaus, Kr. Lüneburg, 1291 Stapele, 1335 Stapel, 1369 Stapel usw.
Der zuletzt genannte Name ist bis auf eine kleine Notiz bei L. Bückmann  aus dem Slavi-schen erklärt worden . Ich halte den Namen für deutsch und schließe ihn wie die oben ge-nannten Namen an mnd., mnl. stapel ‘Stapelplatz’, auch ‘Feld an einer Gerichtssäule, Grenzpfahl, -säule, Pfosten, erhöhter Gerichtssitz, Gerichtsstätte, Niedergericht, Ballentuch, Warenbündel, Warenanhäufung, Zwangshandelsplatz’ an. Für die Frage nach fränkischem Einfluß bedeutsam ist ein weiterer Name im Amt Neuhaus. Es ist Stiepelse an der Elbe, an älteren Belegen habe ich finden können: 1209 in Stapelitz, 1380 to dem Styepelse; to dem stypelse, 1765 Stipelitze usw. . Es scheint in diesem Fall das slavische Suffix -ica oder -ice angetreten zu sein, wozu unter Umständen eine angestrebte Differenzierung zu dem 11 km entfernt liegenden Stapel beigetragen hat. Damit aber kommen wir in die Frühzeit nieder-deutsch-slavischer Beziehungen, bei denen das Fränkische noch keine Rolle gespielt hat.
Nimmt man noch weitere Ortsnamen wie Stapelberg, Stapelheide im Kr. Osnabrück, Stapel-feld im Kr. Cloppenburg und östlich von Hamburg, Stapelshorn im Kr. Diepholz, Stapelstein im Kr. Wittmund und Süderstapel, Norderstapel, Stapelholm in Schleswig hinzu, wird deut-lich, daß diese Namen ihre Benennungen unmöglich erst durch Franken oder unter fränki-schem Einfluß erhalten haben können.
 

20. -stedt

Die freundliche Aufnahme der Frankonisierungsthese norddeutscher Namen durch A. Bach hat dieser auch auf die Bildungen mit -stedt ausgeweitet. Es heißt bei ihm unter anderem: „Es bleiben … die als Siedlungen gewiß alten -stedt-Orte Niedersachsens und Thüringens, die nach Fiesel … im ostfälisch-nordthüring. Gebiet besonders dem Ausbau nach der Zerstörung des Thüringerreichs a. 531 zuzuschreiben sind, also der fränk. Zeit. In Holstein und in Nord-niedersachsen hat Fiesel den -stedt-Orten allerdings ein höheres Alter zugebilligt und sie dem 2./4. nachchristl. Jahrhundert zugesprochen. Das mag, wie gesagt, für die Siedlungen an sich gelten, aber ihre Namen können jünger sein. Sie können durchaus dem Zeitabschnitt angehö-ren, in dem der fränk. Einfluß bereits wirksam war, und alte Insassennamen auf -ing- ersetzt haben“ .
Im weiteren Verlauf weist A. Bach darauf hin, daß der fränkische Einfluß nur den Typ Perso-nenname + Grundwort umfaßt, „während die Wahl des darin verwandten GW jeweils im An-schluß an den Wortschatz der beeinflußten Gebiete und die zu benennende Eigenart der Siedlung erfolgt sein kann“ .
Mit dieser Auffassung steht A. Bach in deutlichem Gegensatz zu anderen Meinungen, speziell zu denen, die an nordische Herkunft dieser Ortsnamensippe glauben. So betont E. Schwarz zunächst : „ … sie liegen meist auf gutem Boden, was für hohes Alter spricht“, um dann hinzuzusetzen: sie „ziehen von Norden nach Thüringen und strahlen gegen den Main aus“ . E. Schwarz hat sich damit älteren Meinungen angeschlossen, z.B. der von A. Werneburg : „[Es] darf geschlossen werden, daß auch die Ortschaften mit Namen auf stedt von einem aus dem Norden gekommenen Volksstamme gegründet sind, beziehungsweise, dass der Gebrauch dieser Benennungen bei einem solchen üblich gewesen und auch nach Thüringen übertragen worden ist“.
In gewissem Sinn widerspricht dieses – jedenfalls was die Bildungen mit einem Appellativum betrifft – nun wiederum der Auffassung von W. Flechsig : „ … sie finden sich überall, wo sie vorkommen, auf besten altoffenen Siedlungsböden, sei es in Skandinavien, in Schleswig-Holstein, Nordniedersachsen, Ostfalen oder Thüringen. Auf ihr hohes Alter weist auch der Umstand hin, daß sie in Ostfalen und Thüringen anscheinend nicht mit einem PN als BW zusammengesetzt sind, sondern mit einem Appellativum, in dem sich wahrscheinlich vielfach ein Gewässername oder eine andere, in seiner Bedeutung oft dunkle Geländebezeichnung verbirgt“.
Eine zusammenfassende Betrachtung der -stedt-Namen im Saale- und Mittelelbegebiet ver-danken wir H. Walther . Aus ihr geht zweifelsfrei hervor, daß die fränkische These abzuleh-nen ist. Einige Passagen zeigen das deutlich: „Der Namentyp scheint … zwischen 500 und 700 in voller Blüte gestanden zu haben …“  und: „Wenn A. Bach die -stedt-Namen auf fränki-schen Kultureinfluß zurückführen wollte, so ist dem mit Recht entgegengehalten worden, daß dieser GW-Typ in den fränkischen Gebieten gerade nur sehr selten oder gar nicht vertreten ist“ .
Und auch aus anderer Richtung kam nachhaltige Kritik. D. Rosenthal äußerte zusammenfas-send : „Gegen W. Foerstes These einer fränkischen Herkunft der angelsächsischen -heim-Namen spricht jedoch, daß zu den ältesten Ortsnamen im Südostteil Englands auch diejenigen auf  stead gehören, an deren sächsischer Herkunft überhaupt nicht zu zweifeln ist; s. K.I. Sandred, English Place-Names in -stead, Acta Universitatis Upsaliensis/Studia Anglistica Upsaliensia 2, Uppsala 1963, S. 174“.
Dieses zeigt sich auch in einer Verbreitungskarte, die D. Rosenthals Auffassung nachhaltig stützt. Sie findet sich in dem Buch von E. Riemann , in dem dieser mit den bei H. Jelling-haus genannten englischen -stead-Namen eine Verbreitungskarte angefertigt hatte, die deut-lich zeigt, daß die Verbindung dieses Namentyps zum Festland nur über den Kanal vonstatten gegangen sein kann. Für fränkischen Einfluß bleibt da keine Möglichkeit. Und so können wir der zusammenfassenden Stellungnahme von G. Müller, wonach die -stedt-Namen Niedersach-sens und Schleswig-Holsteins kaum fränkisch sein können , nur zustimmen.
 
21. Wange

Die Tendenz, fränkischen Einfluß in niedersächsischen Ortsnamen zu postulieren, hat L. Fie-sel auch im Fall des Wüstungsnamens Wange bei Hameln nicht verlassen. Dieser im Jahre 892 als Uuange bezeugte Name  wird von ihm wie folgt gedeutet: „Seine Lage wird angezeigt durch die Flurnamen Wenger Wiese und die Wanne In den freien Höfen und den Ort Wange-list. Dessen Name ist mit list = ‘Leiste’, ‘Rand’, von dem am frühesten in einer Originalur-kunde des Jahres 892 genannten Namen Wange gebildet …“ . Nach Hinweis auf zahlreiche Ortsnamen Süddeutschlands, die Ableitungen von dem Wort Wange „Abhang“ enthalten, folgert Fiesel wenig später: „Der ON. Wengen beruht auf altfränkischer Namengebung; auch wo er, in seltenen Fällen, außerhalb des vorkarolingischen Frankenreiches vorkommt, ist spät-fränkischer Einfluß nicht ausgeschlossen. Altsächsisch ist die Ortsnamensbildung jedenfalls nicht“ .
Wie wir immer wieder feststellen konnten, hat L. Fiesel etwas herausgegriffen, was sich nicht halten läßt. Zunächst ist zu bemerken, daß es weitere Namen in Niedersachsen, Thüringen, den Niederlanden und Sachsen-Anhalt gibt, die hier anzuschließen sind. Es sind: Wan-gelnstedt (Kr. Holzminden), 1251 (K. 13.Jh.) In villa Wanhelist, 1400 (K.) Wanghelist, 1474 (K.) Wangelist usw. ; das Wangerland in Friesland mit der Insel Wangerooge ; Wangen bei Querfurt; Wangen, Wüstung bei Sondershausen; Wengele, alt Wengheloe in Overijssel. Auch das zugrunde liegende Wort ist keineswegs auf das Oberdeutsche beschränkt, wo es als wang „Aue, grasiges Gefild, Schweiz, aufsteigende Krinne an einem Felsen“ bezeugt ist, vgl. altengl. vang, vong, engl. dial. wang, wong „ebene Wiese, Feld“, ndt. (Bremen) wang, wank „waldlose Hügellehne, offenes Weideland“ . Damit erweist sich das Wort als ein gemein-germanisches und keineswegs auf das Oberdeutsche beschränktes Appellativum.
Für hohes Alter des Wortes spricht auch ein Ortsname bei Sarstedt: der Wüstungsname Wen-nerde. Dieser ist in seinen ältesten Belegen wie folgt bezeugt: um 990 (Abschr. 11. Jh.) Won-gerdun , 1038 Wangerda, 1179 Wangerde, um 1080 Wengarde, Wangarde, 1193 Wennerde . D. Rosen¬thal denkt an einen PN. Wanger, womit aber das zweite Element nicht geklärt ist. Förstemann führt den Namen unter Wang an, was mehr überzeugt und die Mög-lichkeit einer -ithi-Bildung eröffnet. Die mutmaßliche Grundform *Wang-r-ithi  ist weder oberdeutscher noch altsächsischer Herkunft, sondern verlangt nach einer Diskussion der mit -r- erweiterten -ithi-Bildungen, die in altgermanische Zeit hineinreicht.
Der grundlegende Fehler Fiesels aber liegt darin, daß er das Phänomen der Ortsnamen in seinen Grundzügen nicht verstanden hat: wenn Namen ein Wort enthalten, das nur in einem Teilbereich einer Sprachgruppe appellativisch bezeugt ist, so heißt dieses noch lange nicht, daß der Name dann später daraus benannt worden ist. Als „Friedhof der Wörter“ enthalten Ortsnamen viel öfter und eher diese Wörter als Fossilien, das heißt, die Sprache, aus der der Name geschaffen wurde, hat das entsprechende Wort zur Zeit der Namengebung noch ge-kannt.
Mit diesem Einzelfall sind wir fast am Ende der Diskussion angelangt. Allerdings steht uns noch ein größerer Komplex bevor, der immer wieder und sehr gern als Kern der Frankonisie-rungsthese gedient hat: die mit dem Grundwort -heim- gebildeten Namen. Ihnen sollen die abschließenden Kapitel dieses Beitrages gewidmet sein.

22. -heim

Die Diskussion um die Herkunft der -heim-Namen dauert nun schon mehr als ein Jahrhundert: „W. Arnold schien vor rund hundert Jahren das Problem gelöst zu haben, indem er die Orts-namen auf -heim vor allem den Franken zuschrieb und ihre Verbreitung mit den Eroberungen und Ansiedlungen dieses Stammes erklärte“ . Einige Jahrzehnte nach Arnolds Versucht trat O. Bethge mit seinem schon mehrfach erwähnten Aufsatz dieser These bei. Bethges Ausfüh-rungen finden heute breite Zustimmung, wie folgende Zitate verdeutlichen: „Ein starkes Ar-gument für den fränkischen Einfluß auf die deutsche Namengebung hatte ferner O. Bethge geliefert, der nachweisen konnte, daß die in der Umgebung von fränkischem Königsgut be-findlichen -heim-Namen sehr häufig eine stereotype Bildungsweise zeigen: Bergheim, Tal-heim, Stockheim, Kirch-
 
heim, Nordheim, Ostheim, Südheim, Westheim“ ; „Eine Sondergrupe von -heim-Namen, deren BW (Bestimmungswort) nicht ein PN (Personenname) ist, sondern eine topographisch unterscheidende Bezeichnung wie Nord, Süd, West, Ost, Berg, Tal, Stein, Stock usw., be-zeichnen wir mit Bethge als ‘fiskalische’ Bildungen und weisen sie der fränkischen Zeit zu“ .
Abgesehen von diesen angeblich stereotypen und fiskalischen Bildungen sind aber auch ande-re  heim-Namen für fränkisch erklärt worden, wobei vielfach schon übersehen wurde, daß im Altsächsischen und Mittelniederdeutschen nicht mit -heim, sondern mit -h?m zu rechnen ist. Die unsaubere Terminologie schlug dabei leicht in unsachliche Argumentation um. Eine ge-nauere Diskussion der einzelnen Ortsnamen wird das zeigen.
a.) Bockenem: Der zentrale Ort des Ambergaus südlich von Hildesheim erscheint seit dem 11. Jh. als Bukenem, bokenum, Bukeneim, Bukenem, Bokenum . Alle bisherigen Vorschläge  sahen in dem Namen ein niederdeutsches Boken-hem „Buchen-heim“. Allein D. Rosenthal  erwog eine andere Deutung: „Den älteren Formen nach dürfte es sich beim ersten Element um den Kurznamen Bugo, as. Buccu, ae. Buga, Bugga handeln“, und: „Andererseits [fällt auf], daß südlich Hildesheim nur wenige -heim-Namen mit einem Personennamen als erstem Ele-ment vorhanden sind. Danach bestünde also die Möglichkeit, daß Bockenem bei der Erobe-rung des Ambergaues von den Franken umbenannt wurde, und in diesem Falle wäre das Kollektivum germ *b?kina- ,Buchen-’ im ersten Element möglich“.
Die Probleme liegen nach D. Rosenthal in den Schreibungen mit -u-, die nicht zu ndt. b?k- „Buche“ passen wollen. Er könnte mit dem Hinweis auf die Unvereinbarkeit des Vokals mit den Belegen für altsächsisch b?k „Buche“ durchaus recht haben, aber es gibt auch andere Lösungen als eine Umbenennung durch Franken. 1.) J.H. Gallée  hat darauf verwiesen, daß bei westgermanisch -?- im Altsächsischen Abweichungen in Richtung zu -uo-, -u-, -ua- häu-fig (gerade auch bei Orts- und Personennamen) begegnen. Er führt u.a. an muder, hudere, B?kheim, Strûdhûson, Bûkhêm, Bûcsele, Dûdo. 2.) Zahlreiche unzweifelhaft mit ndt. b?ke „Buche“ gebilde-te Ortsnamen zeigen in Belegen vor dem Jahr 1200 Formen mit -u-: B?kheim, Bukheri, Buc-holt, B?kholte, B?c-hurst, Buchede (Beuchte), Buclide u.a.m.  3.) Eine tatsächlich erfolgte fränkische Umbenennung hätte sich in erster Linie am Konsonanten  k- zeigen und zu hoch-deutschem -ch- führen müssen. Das ist jedoch bei keinem einzigen Beleg des ON. Bockenem der Fall.
Bevor man unbewiesenen fränkischen Einfluß ansetzt, sollte der einfache Weg gewählt wer-den: für die Schreibungen mit -u- ist neben der Tendenz des Niederdeutschen, für -?- -u- zu setzen, vor allem der auch sonst zu beobachtende hochdeutsche Einfluß auf die Schreibung der Ortsnamenformen verantwortlich zu machen, der gerade in den ältesten Belegen nicht selten begegnet und uns auch noch mehrfach beschäftigen wird. Ich würde nach wie vor einen Ansatz *B?ken-h?m (zu ndt. b?ke „Buche“ + -h?m) ausgehen; allerdings sollte auch – wie D. Rosenthal vorgeschlagen hat – der ndt. PN. Bu(k)ko nicht ganz übersehen werden. Aber auch in diesem Fall ist von fränkischem Einfluß nicht auszugehen.
b.) Cantelsheim: In diesem Wüstungsnamen bei Hildesheim, dessen ältesten Belege 1141 (K.) Arnold de Cantelessem, 1142 Arnoldus de Cantelisheim, 1146 Harnoldus de Cantelesheim, 1150 Arnoldus de Cantelessem, 1211 (K.) nobilis de Cantelsem, 1213 in Cantelsem lauten , liegt nach D. Rosenthal  „im ersten Element der altsächsisch nicht belegte Personenname Gando, Gantalo, langob. Ganderis, alem. Gantalo, wfränk. Ganthar (hier mit Anlautverschär-fung, die auf oberdeutsche Herkunft des Namengebers deutet)“ vor.
Diese These wird entschieden abgelehnt von H. Kaufmann : „Neben dem PN-Stamm Gand- ist … auch mit einem durch An- und Inlautverschärfung entstandene *Kant- zu rechnen. (Ab-wegig ist hier die Auffassung von Jell[inghaus]…, der den betr. ON.-Belegen ein *Kant- als ein oberdt. verschobenes Gand- zugrunde legt.) Die Belege für unsern Nebenstamm *Kant- finden sich, wohlgemerkt, gerade in niederdt. und mitteldt. ON; z.B.: nd. Kantingerod 12.Jh., nd. Cantelis-, Canteresheim …“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
c.) Dahlum: Wie oben schon angeführt wurde, sieht man von Vertretern der Frankonisierungs-theorie überzeugende Argumente gern in den mit
 
Nord, Süd, West, Ost, Berg, Tal, Stein, Stock u.a. gebildeten  heim-Ortsnamen. So heißt es in Bezug auf die niedersächsischen Tal-heim-Namen bei O. Bethge : „Westlich davon an der wichtigen Harz-Talstraße der Nette mehrfach Dahlum (Königs-Dahlum), eins 941 als castel-lum regium Dalahem, ein anderes 1009 als curtis juris nostri Daleheym; in der Nähe ein Stochem und eine † Hachem = Hochheim?“. Die fränkische These findet auch heute noch ihre Anhänger; D. Rosenthal  bemerkt zu diesem Namen: „Im ersten Element germ. *dala- n. ,Tal’, ein Bestimmungswort, das von O. Bethge im Hinblick auf seine Verwendung in  heim-Namen als typisch fränkisch erklärt worden ist. Da sich hier auch ein fränkischer Königshof befunden hat, ist eine Namensänderung zu fränkischer Zeit möglich und jedenfalls nicht aus-zuschließen“.
Eine Prüfung der These ist notwendig. Königsdahlum bei Bockenem erscheint in den ältesten Belegen wie folgt: 826-876 (A. 15. Jh.) Daelhem, 941 (A. 17. Jh.) Dalahem, 945 actum in Talahem, 945 (A. 10. Jh.) actum in Dalahem, 1001 castellum Dalehem nominatum, um 1001 Dalehem , später als curtem Daleheym, Daleheim, in Daleheim, in Dalaheim usw.
Allein diese Belegfolge läßt erhebliche Zweifel an fränkischer Herkunft des Namens entste-hen. Man beachte folgende Punkte: 1.) Die frühe Überlieferung zeigt deutlich die Grundform des Namens an: eine Verbindung aus altsächsisch dal „Tal“ + -hem. Der Zusatz König- er-scheint in den Belegen erst in jüngster Zeit, noch 1525 heißt der Ort Dalem. 2. Der Beleg von 826-876 Daelhem kann mit R. Möller , der eine ganz ähnliche spätere Form diskutiert hat (z.J. 1020 [verfaßt um 1160] Daelheim) als Zeichen der nordseegermanischen Palatalisierung des -a- > -e- aufgefaßt werden. An diesem Lautwandel hat das Fränkische keinen Anteil; es handelt sich vielmehr um eine Erscheinung, die das Englische mit dem Friesischen und teil-weise mit dem Altsächsischen verbindet. 3.) Die historischen Belege des Namens zeigen in der Fuge zwischen den beiden Kombinationselementen dal und hem zunächst den Vokal -a-, später -e-. Dahinter verbirgt sich der Stamm des germanischen Worte dal, der als dala- nur bei den ältesten germanischen Komposita als Wortelement erschien. Mit anderen Worten: zur fränkischen Zeit wäre diese Art der Verbindung kaum noch möglich gewesen, denn dann wurde der Stammvokal zumeist unterdrückt und die ältesten Belege hätten Dal-hem gelautet. Als Ergebnis läßt sich knapp formulieren: der Name hat längst bestanden, bevor Franken Niedersachsen erreichten.
d.) Gandersheim: Nach Diskussion der problematischen Überlieferung des Ortsnamens (Gan-denesheim, Ganda, Gandan-) kommt L. Fiesel zu dem Schluß: „Sachliche Erwägungen führen … zu der Überzeugung, daß der ON Gandersheim von einem PN abgeleitet werden muß … In der Originalurkunde DO II 35 heißt das Kloster Gantheresheim … Die Kurzform Gandi des PN [Gand-heri, Gand-rik, J.U.] bildet den Ort Gandersheim. Dieser PN weist nach Westfran-ken“  .
Diese Etymologie ist völlig verfehlt. Ohne näher auf Einzelheiten einzugehen, verweise ich auf die grundlegende Abhandlung von B.-U. Kettner , in der nicht nur durch die alten Bele-ge für den Flußnamen (vgl. etwa 856 [F. 13.Jh.] iuxtra fluuium Gande, qui alio nomine Ettherna nuncupatur) deutlich gemacht wird, daß das -s- in Gandersheim sekundär ist, son-dern auch herausgearbeitet worden ist, daß der ON. auf einen Flußnamen zurückgeht, dessen Grundform sowohl als Gande < *Ganda anzusetzen ist, daneben auch auch Gander- und vielleicht noch *Gandana. Dieser Gewässername war aber – nicht zuletzt aufgrund der bis heute unsicheren Etymologie – schon längst vorhanden, bevor Franken Niedersachsen erreich-ten.
e.) Hildesheim: Dem Namen des Bischofssitzes ist schon des öfteren altsächsischer Ursprung abgesprochen worden. Dafür sprechen z.B. nach D. Rosenthal folgende Überlegungen: im ersten Element steht „der altsächsisch, altenglisch und langobardisch nicht belegte Kurzname Hild?n, weshalb eine karolingische Entstehung des Ortes möglich erscheint … ich halte … Hildesheim für eine fränkische Neugründung an der Stelle des zerstörten sächsischen Zent-rums für den alten Ostfalengau …“ . H. Goetting stellte – eine These von W. Berges referie-rend – fest: „In der Tat ist wohl der mit dem Stammwort  heim verbundene Personenname fränkisch“ und weiter, der Name gehe „auf den bekannten Abt Hilduin von St. Denis“ zurück.  
Betrachten wir zunächst die ältesten Belege aus dem UB H. Hild.: 864 Altfredus Hildenishei-mensis episcopus, 868 Altfridi Hildiniesheimensis episcopi, 872 (angebl. Or. 11./12. Jh.) Hildenesheymensis ecclesie, 873
 
(K.) sanctae Hildensemensis ecclesiae; in Hildensemensibus campis, 873 Altfridus Hildinis-heimensis ecclesiae episcopus, 873 (877) (F. 2. H. 10. Jh.) Hildineshemensis aecclesiae, 887 (A. 15. Jh.) Hildesheim, 887 (F. 11. Jh.) Hildeneshem; Variante: Hildenesheym.
Auszugehen ist offenbar von einem Ansatz Hildines-hem, aber schon früh erscheint die hoch-deutsche Variante mit -heim, die auch bald siegt. Dieses liegt eindeutig an der überregionalen Funktion als Bischofssitz, in dem schon früh durch den Zuzug von oberdeutsch sprechendem und schreibendem Klerus das Niederdeutsche in Urkunden kaum zum Zuge kommen konnte. Die Struktur des Ortsnamens ist klar: ein stark flektierender PN. Hildin + -hem, häufig als -heim erscheinend. Und wie steht es um den angeblich altsächsisch, altenglisch und langobar-disch nicht belegten Kurznamen Hild?n? D. Rosenthal hat übersehen, daß der Name als Hillin, Hildini und wohl auch Hillinius  zweimal in Corvey  und einmal in Paderborn er-scheint. Das ist zwar noch kein absolut sicheres Zeichen dafür, daß es sich dabei auch wirk-lich um Sachsen gehandelt hat, aber immerhin ein Indiz. Aber es gibt ein viel wichtigeres Zeichen, daß es sich bei dem Träger desjenigen Personennamens, der im Ortsnamen Hildes-heim fortlebt, nur im einen niederdeutsch sprechenden gehandelt haben muß: das -d- in Hildi-nes- kann nur altsächsisch sein, hochdeutsch erscheint an dieser Stelle -t-: Hiltibrant enti Haðubrant (Hildebrands-lied). Somit gibt es gewichtige Argumente für altsächische Herkunft des zugrundeliegenden Personennamens und gegen fränkische Herkunft.
Gegen eine Benennung des Ortes im Zuge der 815 erfolgten Bistumsgründung mit einem fränkischen Personennamen, konkret nach Abt Hilduin von St. Denis, der übringens erst seit 818 Kanzler Ludwigs des Frommen war, sprechen auch außersprachliche
 
Gründe. Zum einen fragt man sich, warum der neu begründete Bischofssitz ausgerechnet nach Hilduin und nicht z. B. nach Ludwig dem Frommen als Gründer oder nach dem ersten Bischof benannt worden sein sollte; die oft ins Feld geführte These, daß eine enge Verbindung Hildes-heims zu St. Denis festzustellen sei, so z.B. im Gedenkbuch des Domkapitels (aus dem 12. Jh.), um damit die Bennenung nach Hilduin zu begründen, muß nicht aus karolingischer Zeit herrühren, sondern könnte ebenso aus der Zeit Bischof Berwards stammen. Denn dieser reiste 1007 nach St. Denis und kehrte von dort mit Reliquien zurück; ein Vorgang der einen Eintrag in das Gedenkbuch des Domkapitels wahrscheinlich macht.  Zum anderen erscheint die Gründung eines Bischofssitzes ohne vorherige Siedlung recht ungewöhnlich für das Vorgehen der Karolinger in Sachsen; nimmt man aber an, daß zuvor eine Siedlung bestanden hat, die einen fränkischen Namen erhielt, so ist relativ erstaunlich, daß keinerlei Nachrichten über den Namen dieses Ortes auf uns gekommen sein sollten. Es muß wohl eher von einer schon beste-henden Siedlung ausgegangen werden, die von Sachsen gegründet und auch benannt wurde, und deren Name von den Franken übernommen wurde.
f.) Höckelheim (Kr. Northeim): Der westlich von Northeim liegende Ort Höckelheim ist des öfteren fränkischer Herkunft verdächtigt worden; fast scheint es sich sogar als gesicherte Er-kenntnis durchgesetzt zu haben. Den Anfang machte H. Kaufmann, der eine Herleitung von einem Appellativum ablehnte und an einen fränkischen Personennamen im Bestimmungswort dachte. Diese Auffassung ist von R. Wenskus übernommen worden: „Der fränkische Charak-ter dieses Namens ist vor allem von H. Kaufmann herausgearbeitet worden. Wir haben in anderen Orten dieses Namens, in Hucklinheim (Ittlingen) bei Eppingen und in Heuchelheim bei Gießen (Erpho) Angehörige dieses Traditionskreises tradieren sehen. Er scheint also die-sen Namen aus fränkischem Bereich in die neue sächsische Heimat übertragen zu haben“ .
Vor einer Wertung ist es unerläßlich, die ältesten Belege des Ortsnamens zusammenzustellen. Es sind: 1016 Hukilhem, (1055-1065) (Vita Meinwerci) Hukelhem, 1097 (F. 12.Jh.) Helmol-dus de Hukilheim, 1103 Huclehem, 1137 Wernerus de Hukilen usw. .
Betrachten wir uns unter diesem Aspekt nochmals den Vorschlag von H. Kaufmann, so ist schon von hieraus klar, daß seine Deutung verfehlt ist. Weder ist ein -n- noch ein -s- für den Genetiv Singular eines schwach oder stark flektierenden Personennamens zu erkennen. Zu-dem ist, wie H. Wesche zurecht festgestellt hat , Kaufmanns „RN *Hugil(o), auf den er sie alle zurückführt …, auch nur, wie er selbst sagt, erschlossen“. Wenige Zeilen später hat H. Wesche den richtigen Weg angezeigt: „Bei Höckelheim halte man sich vor Augen, daß in ON mit -heim schon in ältester Zeit Appellative als BW auftreten“.
H. Wesche spielt damit offensichtlich auf ältere Deutungen an, in denen bereits eine vollstän-dige Klärung des Namens vorgelegt wurde. Man denkt an eine Ableitung von hukil „kleiner Hügel“, eine Deminutivbildung zu huk „Hügel“ . Zum Appellativum Hückel ist nachhaltig auf die ausführliche Darstellung bei T. Valtavuo  47ff., der auch Ortsnamen (darunter auch unseren) heranzieht, zu verweisen. Auch die Realprobe paßt zu der Deutung: der Ort liegt deutlich erhöht am Rand der Leineaue. Die Suche nach einem fränkischen Personennamen im Ortsnamen Höckelheim ist aufzugeben.
g.) Hönnersum: Dieser Ort im Kreis Hildesheim ist seit dem Ende des 13. Jh. wie folgt belegt: 1282 (A. 15. Jh.) in villa Honersheym, Variante: Honersheim; 1319 in Honersem; 1380 a villa Honersem; in Honersem; 1382 in Honersum; 1448 dem Honnersemer velde; 1458 Hon-nersem; 1488 to Honersen; 1502 Genteman van Honnerszen .
Rosenthal, Diskussion 386 sieht darin ndt. -h?m und im ersten Teil den „alten und seltenen germanischen Personennamen *Aunher, nur in aleman., fränk. Honher (mit unorganischem H-) belegt“. Er geht also von einem nicht mit H- anlautendem Personennamen aus, der im Alt-niederdeutschen nicht belegt sei. Rosenthal irrt in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird man angesichts der völlig konstanten Belegreihe mit anlautendem H- doch nicht einen Personen-namen vermuten dürfen, der kein H- besessen hat. Und zum anderen findet sich ein sicherer Anschluß unter dem Ansatz Hun- bei Förstemann : Honher, Hunir, verwandt mit den neu-hochdeutschen Personennamen Honer, Höner, Hühner. Nichts spricht dagegen, in Hönnersum diesen Namen zu vermuten. Fränkisches bleibt erneut fern.
h.) Hockeln: Dieser Ort bei Bad Salzdetfurth erscheint seit der Mitte des 12. Jhs. in den ältes-ten Belegen wie folgt: 1146 in Hukenem, (1175-78) in Hokenem, 1187 Bertolt de Hukenem, 1201 Bertoldus de Hokenem, 1201 Bertoldus de Hukenem, 1201 (K.) Bertoldus de Hokenem.
Auch dieser Name enthält im Bestimmungswort Fränkisches: „Im ersten Element der typisch fränkische Personenname Hugo, hier mit Inlautverschärfung“ . Im Grundwort soll -h?m vorliegen. Abgesehen davon, daß das Grundwort -h?m nicht sicher bezeugt ist (zwar kann man hinter der Schreibung Hukenem eine Form Hukenhem vermuten, aber ganz sicher ist das nicht), dürfen doch ältere Deutungsvorschläge nicht einfach unberücksichtigt bleiben. Völlig richtig stellt nämlich E. Förstemann  den Namen zu hess. huck „hervorragender Hügel, Berg“, mnd. hocke, göttingisch hucke „Haufe von Sachen“, westf. h?ke „Haufen“ u.a.m. Auch H. Wesche hält H. Kaufmanns Vorschlag für „bedenklich“ . Zieht man zu dem Hü-gelwort huck noch die ausführliche Darstellung bei T. Valtavuo  hinzu, so bleibt für eine Herleitung aus einem PN. Hugo – gleich, ob nur fränkisch bezeugt oder nicht – kein Raum.
i.) Hotteln: Der ebenfalls im Kreis Hildesheim liegende ON. Hotteln enthält nach Rosenthal, Diskussion 387 den Personennamen-Stamm H?d-, „hier in der Nebenform H?tt-, die sonst nur in westfränkischen, westfälischen, südniedersächsischen und nordhessischen Ortsnamen fränkischer Provenienz auftritt“. Da der Ort aber auf guter Siedlungslage mit guten Bodenver-hältnissen liegt, setzt er hinzu: „Man kann deshalb die Möglichkeit einer späteren Umbenen-nung in Betracht ziehen“.
Diese Etymologie ist mehr als strittig. Hotteln, 826-876 (A. 15. Jh.) Hottenhem, 1022 (F. 1.H. 12.Jh., 2. H. 12. Jh.) Hottenhem, Hottenem, sonst Hottenhem, Hottenem , kann durchaus auch ein Appellativum im Bestimmungswort enthalten , wenn man an Namen wie Hottepe (ein Fluß- und apa-Name bei Brilon); Hutfleth bei Jork, alt Hotflete; Hotton, ON. in der Prov. Belg. Luxemburg, an der Ourthe („terrain marécageux“), 12.Jh. Hottinne, Hotine und Hoet-mar bei Warendorf, alt Otomar, Hothmere, Hotnon denkt. Von diesen ist sicher keiner mit einem PN. gebildet; einige zeigen klare Beziehungen zu hydronymischen Grundwörtern; eine eingehende Prüfung des Materials unter gesamtgermanischem Blickpunkt ist not-wendig. Vor Abschluß dieser bleibt ein fränkischer Personenname im ON. Hotteln unbewie-sen.
j.) Höxter: Der ON. Höxter an der Weser soll nach H. Kaufmann von einem fränkischen PN. Hugo abgeleitet sein. Es schreibt: „Der Ort *Huges-s?ri wurde von den Franken gegründet zur Sicherung des Flußüberganges als ‘Siedlung eines Hug(i) auf trockenem Gelände’“ . Diese Deutung ist völlig verfehlt.
Die alten Belege zeigen zweifelsfrei eine alte -r-Ableitung: 822 Huxori, 823 Huxori, 826 Huxori, alt aber auch Huxeri , steht wohl in einem Zusammenhang mit Hücker bei Herford, 1151 Hucheri, 12.Jh. Huckere , Huxeli (Wg. bei Höxter), sowie weiteren Name wie auch dem -ithi-ON. Huckarde, OT. v. Dortmund, 947 Hucrithi, 1214 Hukirde. An der Verbindung mit hess. huck „hervorragender Hügel, Berg“ gibt es gewisse Zweifel .
Beachtenswert ist die Tatsache, daß sowohl im Namen von Höxter wie bei den offensichtlich verwandten *Hukeshole, *Hukesowe ein -s- anzusetzen ist. Damit wäre eine lautliche Ent-wicklung wie bei hdt. Axt < *akwesjô  anzunehmen. Es fehlt aber noch ein überzeugender Anschluß; am ehesten wird man eine Verbindung zu der idg. Wz. *keu-g-/*keu-k- „krümmen, Buckel, Höcker“, wozu ja auch dt. Hügel, Höcker, Hocke, hocken gehören, suchen können. Aber die Bildung mit einem  r-haltigen Suffix halte ich für sicher , womit die Ableitung von einem Personennamen sofort ausscheidet.
k.) Northeim, Medenheim, Sudheim/Sottrum, Stöckheim und Konsorten: Der Komplex derje-nigen -heim/-hem-Ortsnamen, der auf die Himmelsrichtungen und auf mutmaßliche Holzablie-ferung Bezug nimmt, gilt allgemein als eines der sichersten Kennzeichen fränkischen Einflusses auf die niedersächsische Toponymie. Ausgehend von O. Bethge hat man zunächst die Meinung vertreten, die nach Himmelsrichtungen benannten Siedlungsnamen müßten in einem bestimmten Verhältnis zueinander gestanden haben und planmäßig benannt sein, „denn die ON. stehen unzweifelhaft im reziproken Verhältnis, keiner ist allein für sich denkbar“ . Daraus ergab sich sehr rasch der Glaube an eine gelenkte Benennung: „Es ist undenk-bar, daß Nieder-, Mittel- und Oberfranken, Sachsen und Bayern, Thüringer und Alemannen und Hessen überall bei der Besetzung und Besiedelung des Landes auf den gleichen Gedan-ken gekommen wären, derartige schablonenhafte Namen zu wählen nur für eine gewisse Klas-se von Orten, also überall so schematisch vorzugehen“ .
Diese These hat bis heute weite Kreise überzeugt, gerade auch hinsichtlich der Namen entlang des Leinegrabens: „Außerdem ist gerade der Komplex Northeim-Medenheim-Sudheim von der Forschung meistens als karolingisches Königsgut längs der alten Heerstraße von Süden nach Norden angesprochen worden“ . Daß auch L. Fiesel diesem zustimmte, verwundert angesichts der frankenfreundlichen Tendenz des Autors nicht . Aber auch für R. Wenskus zeigen „ Northeim, †Medenheim, Sudheim, Stöckheim, † Sultheim u.a. vielerorts fränkisches Königsgut an“ , wobei „diese benachbarten Orte … durch ihre Namen bereits die Annahme eines fränkischen Fiskalkomplexes nahe [legen]“ . Dieser allgemeinen Tendenz hat sich auch C. Jochum-Godglück nicht immer entziehen können, zumal sie auch einen Bearbeiter der südniedersächsischen Ortsnamen ergriffen hat. W. Flechsig schrieb: „ … so entstanden um Northeim als jüngere Nachzügler Stöckeim, Höckelheim, die Wüstung Sultheim bei Northeim, Northeim selbst, Sudheim und das zwischen den beiden gelegene Medenheim. Die jüngsten von ihnen, vor allem die zwei letztgenannten, stammen wohl erst aus der Karolingerzeit und können mit ihren ‘fiskalischen’ Namenbildungen als fränkische Staatsgründungen angesehen werden „.
Sollte man nicht angesichts der breiten Zustimmung die Skepsis aufgeben? Ich möchte mich auf einen Göttinger berufen; in einem Nebensatz hat G.C. Lichtenberg in seinen Philosophi-schen Bemerkungen angemerkt: Was jedermann für ausgemacht hält, verdient am meisten untersucht zu werden.
Die Kritik setzt an einem Ortsnamen ein, den keiner der Befürworter beachtet hat: es ist der 10 km südlich von Northeim liegende kleine Ort Nörten (heute Nörten-Hardenberg). Er geht auf eine germ. Grundform *Nord-tun „Nord-ort, Nord-stadt“ zurück, hat kein *Süd-tun neben sich, im Süden allerdings Bovenden < *Bobbontun als mutmaßlichen Antipoden, und wider-spricht damit völlig den vorgebrachten Argumenten: 1.) Er steht in keinem reziproken Ver-hältnis zu einem anderen orientierenden Ortsnamen, sondern vielleicht zu Bovenden (Bobbantun).  2.) Er entstammt nicht der fränkischen Zeit, sondern einer viel älteren Perio-de, die toponymisch Norddeutschland, die Niederlande, Belgien, England und den Norden umfaßt . 3.) Während das -t- in Nörten aus einer Vorform *Nord-tun > Norttun > Nortun leicht erklärlich ist, gibt das -t- im Namen Northeim heute noch einige Rätsel auf. Eine der Lösungen könnte darin liegen, daß es sein -t- von Nörten erhalten hat.
Der entscheidende und von keinem Befürworter der fränkischen Herkunft für möglich gehal-tene Widerspruch liegt aber in der sprachlichen Analyse der angesprochenen Ortsnamen Nor-theim, Medenheim und Sudheim. Dabei hat O. Bethge diesen Aspekt durchaus berührt und auf ihre große Bedeutung für die Herkunft der Namen hingewiesen. Allerdings zog er falsche Schlüsse.
Die Diskussion dieses Passus ist von grundlegender Bedeutung. Bethge schrieb: „Endlich eine sprachliche und hoffentlich zutreffende Bemerkung: In Westfalen, Hannover, im Lippeschen kommen alte Namen wie Sundhem, Sundhus, Sunderhusun, Suntum, Sundwich, Sundorp (Suntrop, Sundarp) vor, meist mit Nord-, West-, Ost-Orten korrespondierend. Im Altsächsi-schen aber heißt der Süden stets sûd (sûth). Wäre hier völkischer Ursprung der Benennung anzunehmen, so hätten wir frühzeitig ein Sûthem, Sûdhusun u.ä. Sund ist aber oberdeutsch! Es gibt kein Beispiel eines nd. sund! … Jedenfalls sind sie ursprüngliche Fremdkörper, d.h. von süd- oder westdeutschen ‘Franken‘ (= fränkischen Untertanen; das können auch gebore-ne Alemannen usw. sein) gegründete Kolonistenorte …“ .
Niemand hat diesen wichtigen Satz aufgegriffen, obwohl er Elementares enthält. Wenn er stimmen würde, wären in der Tat sprachlich unumstößliche Argumente gewonnen. Nur: dem ist nicht so. Bethge hat nämlich ein entscheidendes Kriterium nicht beachtet (wobei nach-drücklich darauf zu verweisen ist, daß es auch späteren Anhängern der Theorie hätte auffallen müssen): zu trennen ist von einmaligen Schreibungen, die gar nicht die wirkliche Aussprache eines Ortsnamens wiedergeben, und einheimischer Überlieferung, die wesentlich höher zu bewerten ist als eine Aufzeichnung im Vatikan, in Regensburg, Worms, Speyer oder Fulda.
Beginnen wir die Kritik bei Sudheim, 5 km südlich von Northeim gelegen. Der älteste Beleg spricht für süddeutschen Einfluß: 780-802 (A. 12. Jh.) Suntheim . Er stammt aber aus Fulda und ist daher mit R. Möller  als einmalige Abweichung einer sonst nasallosen Überlieferung (in Sutheym, in Sutheimb; Aueze de Sutheim; Suthem) zu verstehen. Sudheim enthält in sei-nem Bestimmungswort Sud- einen eindeutigen Hinweis auf Einbindung in nordseegermani-sche Verbindungen, was dazu führen muß, die Existenz des Ortsnamens für eine Zeit anzusetzen, in der das Frankenreich erst im Entstehen begriffen war. Nach allgemeiner Ein-schätzung  ist der Nasalausfall spätestens in das 3.-8. Jh. zu setzen. Diese Behauptung läßt sich anhand eines Dutzends identischer Ortsnamen stützen. Auch D. Rosenthal, der fränki-schem Einfluß durchaus wohlwollend gegenüber steht, führt unter Sottrum bei Hildesheim, 1149 Sutherem, 1162 Sutherem, aus : „Wie schon … erwähnt, sind Richtungswörter nicht erst in fränkischer Zeit gebraucht worden; man vergleiche Søndrum in Dänemark, Søreim, Sørem, sørum in Norwegen, Southem in England“.
Eine gründliche und in diesem Zusammenhang noch nie berücksichtigte Bearbeitung der Suth-hem-Namen verdanken wir jedoch U. Scheuermann . Er hat unter Bezug auf die fast aus-schließlich auf niedersächsischem Boden liegenden Ortsnamen Sottrum, Sorthum, Sorsum, Sottmar, Soßmar, Sustrum, Sossen und Sutrum, die allesamt auf *Sûther-hem „Süderheim“ zurückgehen, herausgearbeitet, daß wir einen altniederdeutschen Typus vor uns haben. Mit Recht hat er fränkischen Einfluß überhaupt nicht in die Diskussion aufgenommen.
Völlig verfehlt ist fränkischer Einfluß auch bei Medenheim, der Wüstung zwischen Northeim und Sudheim. Man hat sich auch hier zunächst von dem ältesten Beleg, der in die Fuldaer Tradition gehört, täuschen lassen. Neben diesem (780-802 [A. 12. Jh.] Mettenheim) stehen ausschließlich Formen mit altsächsischem und mittelniederdeutschen -d-: 982 Meden-
heim, 1055 (A. 16. Jh.) Medheim, Medeheim, 1141 (verunechtet) Medeheimb, Medehem usw. Schon dadurch wird deutlich, daß die niederdeutsche Variante mit -d- entschieden überwog. Völlig zweifelhaft aber wird die gängige Deutung „Mittelheim“ (zwischen Nort- und Sud-heim) durch die Etymologie: es ist keineswegs ausgemacht, daß im Bestimmungswort wirklich ahd. oder asä. mittil, middel steht. Bei E. Förstemann  findet sich Medenheim unter einer Gruppe von Namen, die mit lat. medo „Wassermet; fetter Tonboden“ verbunden werden. Ob diese Etymologie richtig ist, kann bezweifelt werden; sie ist aber nicht schlechter als der Ver-such, an dt. Mitte, mittlerer anzuknüpfen. Die weit verbreitete Ansicht, der Wüstungsname Medenheim sei als fränkische Siedlung zwischen Northeim und Sudheim entstanden, ist somit in zweifacher Hinsicht verfehlt.
Ein wichtiges Argument fränkischer Siedlung fand man, wie schon mehrfach angedeutet, auch in dem Typ der Stockheim-Namen. Dazu heißt es etwa bei H.-J. Nitz, der natürlich auf älteren Untersuchungen, beginnend bei O. Bethge, aufbaut: „Wir denken dabei vor allem an die sehr häufig vertretenen Stockheim und Stammheim, die bisher ähnlich wie Holzheim und Holzhau-sen als Rodungsnamen gedeutet wurden. Da jedoch, wie schon festgelegt, die Anlage der Rodung der Normalfall jeder Siedlung ist, vermag diese Deutung uns nicht zu überzeugen. O. Bethge gibt zu überlegen, ob Stockheim ‘sich z.B. auf das senkrechten Ständern erbaute Blockhaus beziehen (kann)’. In diese Richtung einer Bauweise zu besonderen Zwecken könn-te die Erklärung gehen, während eine funktionale Parallelität zu Holzheim und Holzhausen ausscheidet, denn mehrfach treten beide benachbart auf. Das Problem sei hier nur angespro-chen, eine Lösung sollte von der Namenforschung zu erwarten sein“ .
Wir hatten schon gesehen, daß Holzheim, Holzhausen, Holtensen nicht dt. Holz enthält, son-dern zu ahd. holz, asä. holt „Wald“ gehört. Stöckheim, Stöcken ist ein häufiger Namentyp, bei dem schon Förstemann verschiedene Grundlagen vermutet hat. So war seiner Ansicht nach „im Bremischen und Holsteinschen … stock auch ein Ständerwerk-Gebäude“ . Weit häufiger aber steckt in den Ortsnamen ahd. stoc(h), asä. stok „der Baumstumpf“, in Namen „Ansamm-lung von Baumstümpfen, früherer Hochwald“, anord. stokkr „dicker Baumstamm“ . Eine neuere Untersuchung germanischer Wörter zeigt, daß an einer alten Bedeutung „Stock, Stamm, Stumpf, Block u.ä.“ nicht zu zweifeln ist .
Selbst der fränkischem Einfluß durchaus nicht abgeneigte L. Fiesel erkannte, daß der Typus Stock-heim unmöglich den Franken zugeschrieben werden kann: „Stocheim ist eine Zusam-mensetzung des GW -heim mit Stuk(en), ‘Baumstumpf’, eine der häufigen Bildungen, die von den Alpen bis zum Niederrhein und bis zur Elbe vorkommen“ .
l.) Ohrum: Dagegen glaubte Fiesel, den Ortsnamen Ohrum bei Wolfenbüttel mit fränkischem Einfluß in Verbindung bringen zu können: „Ohrum südlich Wolfenbüttel an der Oker, wo nach gleichzeitigen Berichten Karl der Große (780) die bekannte Massentaufe von Sachsen vornahm, ist ein gegen das Land der freien Sachsen vorgeschobener Posten“ . In einer An-merkung wird der Name von L. Fiesel als Horoheim „Sumpfheim“ erklärt.
Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen , sei hier nur kurz erwähnt, daß 1.) das Sumpfwort hor hier nicht enthalten ist ; 2.) die alten Belege zwischen Orheim und Arem schwanken, was auf asä. * ?  < germ. * au  weist, und daher 3.) von einer Grundform *Aur-h?m auszugehen ist, dessen Bestimmungswort mit dem germanischen Norden in Verbindung steht: gemeint ist altnord. aurr „sandiger Boden, Kies, mit Stein untermischter Sand“, isl. aur „Lehm, Schmutz; Schlamm, Schlick; Geröll, Schotter“, norw. aur, aurr, ør „Bodensatz, Hefe, sandiger Grund, grober Sand; Boden, Erde, Kieserde, harte Erde; Gemisch aus Kies und Sand; Delta, Sandbank“, schwed. ör „Schotter, Sandbank aus Schotter, Sandbank, Insel“, „Kies, Steingrund“. Hierzu gehören auch der Öresund und Helsingör. Welche Konsequenzen man aus dem Nachweis eines nordgermanischen Wortes in einem niedersächsischen Ortsna-men noch ziehen kann, soll hier nicht erörtert werden. Wichtig ist für unsere Frage nur, daß der ON. Ohrum, der aufgrund eines Beleges aus dem Jahr 747 oder 748 zusammen mit Schö-ningen der älteste bezeugte Siedlungsname Niedersachsens ist, nichts mit fränkischem Einfluß zu tun hat.
m.) Osterem, Östrum: Zu den fränkischen Einflüssen zählt man nicht nur Nordheim, Sudheim und Westendorf, sondern auch Kombinationen mit Ost, Osten. Dazu gehört etwa Osterem, eine Wüstung bei Pattensen südlich von Hannover. Die Belege dieses Namens liegen nun gesammelt vor , genannt seien 1222-1227 Estenhem, nach 1225 Ostrem, um 1260 Ostenem, Ende 13./Anfang 14. Jh. Ostenem.
Nach E. Steigerwald  scheint eine fränkische Namengebung vorzuliegen. Er begründet die-ses mit dem Satz: „Die -em-Endung kann zwar eine -heim-Abschleifung sein und damit auf eine frühere Namengebung hindeuten, das orientierende, eine Himmelsrichtung angebende Bestimmungswort Ost- kommt jedoch nur bei Gründungen auf fränkischem Königsgut vor“. Aus diesem Satz wird deutlich, wie fest verwurzelt bereits der angeblich fränkische Einfluß in niedersächsischen Siedlungsnamen ist. Betrachten wir vor einer Erörterung des Problems einen weiteren Namen dieses Typs. Es ist Östrum bei Bad Salzdetfurt, (um 1226) Osterim, 1274 Osterim usw. . Dazu meint D. Rosenthal, der dem Fränkischem durchaus nicht abge-neigt ist: „Das Bestimmungswort scheint eine typische Richtungsbezeichnung der fränkischen Verwaltung, kann es aber nicht sein, da der Ort nordwestlich von der fränkischen Anlage Bodenburg liegt … Name und Ort müssen also vorfränkisch sein, wie ja auch Richtungswörter bereits aus altgermanischer Zeit in Ortsbezeichnungen überliefert sind …“ .
Dieser Auffassung kann nur beigepflichtet werden. Viel zu wenig wird in diesem Zusammen-hang aber auch der wichtige Beitrag von H. Kuh, Ostenfeld und Westensee  herangezogen, der deutlich gemacht hat, daß Kombinationen wie Ostendorf, Westenhem einer älteren Bil-dungsweise angehören als Ostdorf und Westheim. Das empfinden selbst noch heutige Spre-cher des Deutschen. Nachdrücklich ist in diesem Zusammenhang auch auf P. v. Polenz zu verweisen , der ganz entsprechend im Zusammenhang mit dem Westargouwe ausgeführt hat: „ … die Richtungsbezeichnung ist hier mit dem Richtungssuffix *-þra versehen (ahd. westar).
 
Das widerspricht der Bildungsweise der orientierenden Namen aus staatlich-fränkischer Na-mengebung“. Somit ist fränkischer Einfluß auf die Ortsnamen Osterem und Östrum aus meh-reren Gründen auszuschließen.
n. Meine, Rethen: Die hier zu behandelnden Ortsnamen aus dem Kreis Gifhorn sind von W. Meibeyer im Anschluß an L. Fiesel  in einen Zusammenhang mit fränkischem Einfluß ge-bracht worden. Er hat ausgeführt : „Ein Blick auf die  heim-Namen erweist diese als unter-schiedlich gebildet. Denn die Wüstung Ellardesheim (nördlich Hillerse) enthält einen Personennamennamen. Meine (1007 Meyum) und Rethen (1301 Rethene) sind hingegen ap-pellativisch gebildet. Das Vorkommen den Franken zugeschriebener Ortsgründungen mit -heim-Namen auf sächsischem Boden bereits vor den Sachsenkriegen erfährt seine Erklärung aus der frankenfreundlichen Einstellung verschiedener sächsischer Adelsfamilien, wodurch fränkische Einflüsse und Siedlungsinitiativen in Teilen Sachsens schon frühzeitig an Boden gewinnen konnten“.
Bei allen drei Namen gibt es Zweifel an einer Verbindung mit asä.  h?m (es empfiehlt sich, die niederdeutsche Variante zu verwenden; schon die Angabe „-heim“ erzeugt unzulässiger-weise eine Verbindung mit dem Hochdeutschen).
1. Ellardesheym kann der Wg. Eilerse bei Hillerse zugeordnet werden; die weiteren Belege weisen eher auf -husen: 1318 Eylerdessen, 1330-1352 Eylerdessen usw. .
2. Rethen, 1301 Rethene, 1323 Rethem, 1341 Rethen, 1343 Rethene, 1349 Rethen, 1350 Re-them, 1445 Rethem  ist sprachlich von Rethen südl. Hannover nicht zu trennen, dessen Überlieferung wesentlich früher beginnt: (1100-1200) Reten (2mal), 1244 Vulverus de Rhethen, (1247) de Retene usw. . Etymologisch gehört Rethen zu dem bekannten Ried-Wort, vgl. hdt. Ried, mhd. riet, ahd. (h)riot, asä. hriod, mnd. rêt, reit „Schilfrohr“, nnd. Reet, Reit „Ried, Riedgras, schilfartiges Gras, Schilfrohr“, ae. hr?od, afries. hri?d, hreid. Die Überlieferung Rethen, Rethene ist am ehesten als Reflex des alten Dat. Plur. Retum, Retun zu verstehen. Mit -h?m hat der Name nichts zu tun, obwohl später ein auf  hem deutendes -m- in die Überlieferung eindringt.
3. Zweifel an der Auffassung, daß Meine ein -h?m-Name sei, hat schon H.-H. Kretschmann geäußert . Betrachtet man sich die ältesten Zeugnisse 1007 (A. 14. Jh.) Meynum, 1022 (F. 12. Jh.) Mainum (2mal), (um 1220) (A. 14. Jh.) Meinnem, 1265 Meynum, 1266 Mejnjm, um 1274 Meynem, 1291 (A. 15. Jh.) Meynem, 1297 Meynum, 1316 Meynum, 1318 Meynum, 1334 Meynum , so werden die Zweifel keineswegs geringer. Die Endung -um aus den Bele-gen des 11. Jhs. darf keineswegs bereits als Ergebnis der in der Braunschweiger und Hildes-heimer Gegend typischen Entwicklung alter -h?m-Namen zu -um (Borsum, Harsum, Achtum, Mehrum, Sorsum, Ohlum usw.) interpretiert werden . Hinter Meinum verbirgt sich eher wie bei Rethen ein Dat. Plur., so daß die Ableitungsbasis in Mein- gesucht werden muß.
Eine Deutung ist schwierig, weil -ei- in niederdeutschen Namen und Wörtern im allgemeinen erst sekundär durch Ausfall eines -g- oder -d- einstanden ist, so etwa bei Peine, Leine u.a. Man könnte also von einer Grundform *Magin-um, *Madin-um (oder unter Abtrennung der Dat.Plur.-Endung von *Magin-, *Madin-) ausgehen, wobei aber Sicherheit kaum zu gewinnen ist. Spekulationen über die Etymologie des Namens helfen kaum weiter, jedoch sollte die Ähnlichkeit der lautlichen Entwicklung bei Mayen nahe Koblenz, alt Megina, Megena, 1110 Meina, oder Meyen an der Maas, alt Meginum, Megena, und auch Meinberg bei Detmold, alt Megenberg, nicht übersehen werden. Hinzuweisen ist aber auch auf eine Sippe von westfäli-schen Namen um Mante, Mahnen, Mane, Mahne, Homeynen, alt Honmeynen .
Wenn auch letzte Klarheit nicht gewonnen werden kann, dürfte aber dennoch recht sicher sein, daß Meine zu einer dieser beiden Gruppen gehört, somit aber eine Bildung mit -h?m nicht in Frage kommt.

Auswertung und Schluß

Nach Durchsicht der meisten Ortsnamen, bei denen fränkische Herkunft oder fränkischer Einfluß vermutet worden ist, können wir zu einer Auswertung und zu einem zusammenfassenden Urteil – auch über die -heim-Namen in Nieder-sachsen – kommen.
O. Bethges Versuch vom Anfang dieses Jahrhunderts hat bis heute nachgewirkt. Man erkennt dieses an Äußerungen wie z.B. von H.-J. Nitz, der recht zutreffend die allgemeine Meinung unter Einbeziehung von namenkundlichen Argumenten umrissen hat: „Auch Namensforscher wie A. Bach und Historiker wie Albert Hömberg sind der Auffassung, daß die inselartigen Vorkommen von -heim-ON in Nordwestdeutschland z.B. um Hildesheim und südlich von Braunschweig erst seit der fränkischen Eroberung entstanden sein können. Gerade um Hildes-heim und Braunschweig treten massiert jene schematischen -heim-Namen wie Nord-, Süd-, West- und Ostheim, Bergheim, Mühlheim, Talheim, Buchen- und Eichenheim usw. auf, die vielfach als fiskalische Gründungen gelten.“ . Ganz ähnlich heißt es bei W. Meibeyer: „Schließlich ist aus verschiedenen anderen Gebieten seit längerem bekannt, daß eine Art von amtlicher Kolonisation des fränkischen Staates stattgefunden hat, welche unter einer gewissen Bevorzugung des Grundwortes -heim an bedeutsamen Stellen Siedlungen oft auf königlichem und/oder konfisziertem Grund und Boden etwa in Sachsen errichtet hat. Die Ortsnamen wur-den auffällig schematisch gewählt, und niemals scheinen dabei in den Bestimmungsworten Personennamen, sondern stets Appellativa zur Anwendung gekommen zu sein“ .
Wir hatten gesehen, daß die sprachliche Seite der angesprochenen Namen auch von A. Bach und anderen unzutreffend beurteilt worden ist und die altsächsische und mittelniederdeutsche Sprachentwicklung nicht ausreichend berücksichtigt wurde . Die -h?m-Namen des südli-chen und südöstlichen Niedersachsen gehören in einen ganz anderen Zusammenhang. Daß die fränkische Organisation nicht entscheidend gewesen sein kann, ergibt sich auch aus der Streu-ung der -h?m-Namen in diesem Gebiet, denn dieser Typus fehlt in den Altkreisen Göttingen, Osterode, Duderstadt und Münden gänzlich (vgl. Karte 3). „Das ist sehr merkwürdig“, be-merkt W. Flechsig mit Recht und schreibt weiter: „Denn wenn Namen solcher Art von den fränkischen Beamten geprägt worden sind, wie wir annehmen, so müßten sie eigentlich über-all dort zu finden sein, wo in der Karolingerzeit von Staats wegen neue Wohnplätze angelegt wurden. Es ist aber unwahrscheinlich, daß die Kreise Münden, Göttingen, Duderstadt und Osterode sowie Holzminden und Gandersheim, wo ebenfalls keine ‘fiskalischen’ -heim-Namen vorkommen, frei von Stützpunkten der fränkischen Militär- und Zivilverwaltung gewesen sein sollten“ .

Gegen fränkische Herkunft der -h?m-Namen Niedersachsens spricht auch das Vorkommen dieses Typs in den Niederlanden, Belgien und England, worauf bereits bei der Diskussion der -stedt-Namen (s.o.) hingewiesen wurde .
 
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Datierungsversuche von Kretschmann , der die Zeit vom 3. vorchristlichen bis zum 5. nachchristlichen Jahrhundert favorisiert hat, durchaus zu-treffen können. Namen wie Achim (< Aha-hem) oder Ohrum (*Aur-hem) gehören zur ältesten Schicht germanischer Namen. A. Bachs Ablehnung der Kretschmannschen These  unter Berufung auf Prähistoriker berücksichtigt nicht, daß germ. haims seinen engsten Verwandten in lit. ki?mas „Bauernhof, Dorf“ besitzt und somit davon abgeleitete Ortsnamen schon zum ältesten Bestand germanischer Namengebung gehören müssen. Daß es daneben auch jüngere Bildungen mit -h?m geben muß, bleibt davon unberührt .
Völlig unzutreffend ist L. Fiesels Bemerkung, wonach -h?m den alten Sachsen fremd gewe-sen sei . Zudem ist mit F. Schwarz zu betonen, „daß in Schweden und England dieselben -heim-Namen vorkommen, bei denen fränkischer Einfluß ausgeschlossen ist. Bildungen wie Tal-, Bach-, Bergheim konnten sich überall leicht einstellen“ . Die Eintönigkeit der Namen-gebung beruht nicht auf fränkischer Kolonisationstätigkeit, sondern auf „der volkstümlichen Einfachheit, Nüchternheit, Genügsamkeit und dem engen Horizont der Bewohner eines klei-nen Wirtschaftsraumes“ .
Greift man unter diesen Gesichtspunkten nochmals zur großen Arbeit von C. Jochum-Godglück  und betrachtet sich die dieser Untersuchung beigegebene Verbreitungskarte der orientierten Siedlungsnamen auf -heim, -hausen, -hofen und -dorf (vgl. Karte 4), so zeigt die Streuung der norddeutschen Namen (um diese geht es hier allein) im wesentlichen eine De-ckung mit zahlreichen anderen altertümlichen Ortsnamentypen. Die entscheidenden Punkte sind:
1. Rasches Nachlassen östlich und nördlich der Elbe.
2. Geringes Vorkommen in Schleswig-Holstein.
3. Konzentrationen in den Lößgebieten nördlich der deutschen Mittelgebirge.
4. Ausbreitung der Namen nach Flandern (und weiter über den Kanal).
 
Eine zusammenfassende Karte derjenigen Namen, die die Verbindungen zwischen dem Kon-tinent und England demonstrieren  (vgl. Karte 5), zeigt dieses nachdrücklich. Damit aber erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß sich die orientierenden norddeutschen Ortsnamen zum erheblichen Teil als Spuren einer altsächsisch-germanischen Namengebung interpretieren lassen, erneut um einige Stufen und wir treffen uns in unserem Urteil mit dem von G. Müller, der sagte: „Feststeht aber, daß man die fränkischen Einflüsse weit überschätzt hat. Wenn A. Bach in Nachfolge von F. Kaufmann schreibt, auch Westfalen sei ‘mehr oder weniger franko-nisiert’ worden, so wird der Hauptakzent – nimmt man dabei die Verhältnisse in anderen deut-schen Landschaften zum Vergleich – auf dem ‘weniger’ liegen müssen. Auch beim System der Bezirks- und Landschaftsnamen, das, wie P. v. Polenz zeigte, in vielen Gebieten sehr starke Veränderungen durch die Franken erfahren hat, haben Westfalen und Niedersachsen konser-vativ an Altem festgehalten“.

I. Einleitung
Der Versuch, in etwa denjenigen Bereich abzustecken, in dem sich die slavischen Sprachen aus einem Sprachgebiet indogermanischer Dialekte heraus entfaltet haben, und in dem weiten Bereich zwischen Wolga und Elbe, zwischen der Ostsee und dem Balkan unter den Zehntausenden von slavischen Gewässernamen nach „urslavischen Typen“ zu suchen, kann nicht allein aus slavistischem Blickwinkel heraus gelingen. Zwar bieten Sammlungen und Interpretationen slavischer Flußnamen selbstverständlich dasjenige Material, das in diesem Zusammenhang interessiert, aber ein mutmaßlich sehr alter slavischer Flußname muß notwendigerweise in einem gewissen Zusammenhang mit der voreinzelsprachlichen, also mit der indogermanisch geprägten, oder mit den Worten von Hans Krahe, mit der alteuropäischen, Hydronymie  in Beziehung stehen. Wir müssen daher vor dem Blick in die slavischen Gewässernamen wenigstens grob die wichtigsten Kriterien dieser Theorie umreißen, wobei auf die Arbeiten von W.P. Schmid  nachdrücklich zu verweisen ist. Für einen Teilbereich Osteuropas darf ich auch eigene Arbeiten nennen .

A. Alteuropäische Hydronymie
Bei der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie war Hans Krahe zu der Erkenntnis gekommen, daß die Flußnamen häufig aus einer Wurzel und unterschiedlichen Ableitungselementen zusammengefügt sind. In einem Schema hat er diese Möglichkeiten etwa wie folgt angeordnet :

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ua

(-uo)

-ma-

(-mo)

-na

(-no)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo)

-nta

 

s(i)a,-s(i)o

-sta

(-sto)

-ka

(-ko)

-ta

(-to-)

+**

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*Ala

*Alia

*Alava

*Alma

*Alna

*Alara

 

*Alan-ta

*Alsa

*Alesta

 

 

*Drava

*Druja

 

 

*Druna

 

 

*Druantia

 

 

 

*Druta



Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Entwurf heute zum Teil anders aussehen würde und Korrekturen angebracht sind. Die Grundlagen dieses Vorschlages haben jedoch bis heute ihre Gültigkeit bewahrt, wie nicht zuletzt die Anwendung auf die vorslavischen Gewässernamen Polens deutlich gemacht hat .
Hans Krahe selbst hatte seinerzeit die slavische Hydronymie kaum berücksichtigt. Dieses trug ihm von seiten einiger Slavisten herbe Kritik ein . Inzwischen kann man – nicht zuletzt durch die in der Hydronymia Europaea erschienenen Arbeiten zur Hydronymie Polens  – slavische Gewässernamen sehr viel besser in das System der alteuropäischen Hydronymie einarbeiten. Ich habe dieses vor einigen Jahren in Mogilany zu zeigen versucht  und das Schema des Kraheschen Systems auf die weit verstreuten Flußnamen der indogermanischen Wurzel *reu-, *re??-, *rû? – „aufreißen, graben, aufwühlen“ übertragen.

Ableitungen zur Wz. *reu-/*re??-, rû-/*ru- (osteurop. Namen = fett gesetzt)

Ableitungen zur Wz. *reu-/*ret, rû-/*ru- (osteurop. Namen = fett gesetzt)

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ma-

(-mo-)

-na

(-no-)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo-)

-nta

 

-s(i)a,

-s(i)o-

-g(i)a

-ta,

-to-

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

rovú, rãvas,

riava

 

reja(?)

 

runa (medi-terran?)

 

 

 

 

*rugia

(roman.)

 

Rawa,

Rãvas

 

Ruja, Rujas

Rhume, Rumia

Runa, Rauna,

Ruhr,Roer,Rulle, Rurzyca

Rühle, Rulle, Ryla, Rila

Reut, Revu-

ca (?)

Reuß, Riß, Ros’, Rusa

Ruga,

Rügen (?)

Rut(h)e, Ryta, Rutú u.a.



Diese Tabelle zeigt deutlich, wie stark der Anteil Osteuropas an der Streuung der Namen ist. Die Existenz dieser Parallelen nehmen Namenforscher des westlichen Europa nicht immer zur Kenntnis ; andererseits ist auch darauf zu verweisen, daß osteuropäisches Material ebenfalls nicht für sich allein oder isoliert von mittel- und westeuropäischen Parallelen behandelt werden darf.
B. Alteuropäische Hydronymie und slavische Gewässernamen
Aufbauend auf der alteuropäischen Hydronymie gelingt es viel besser, aus dem Bestand der Gewässernamen der slavischen Länder diejenigen Flußnamen auszusondern, die das Prädikat „urslavisch“ verdienen. Im Vergleich zu rein slavischen Namen fallen derartige Namen etwa durch folgende Punkte auf:
1. Sie enthalten vom Standpunkt des Slavischen aus unproduktive Bildungsmittel (Suffixe, Formantien); dieses sichert ihr relativ hohes Alter.
2. Hinsichtlich des indogermanischen Ablauts und dessen Vorkommen in slavischen Gewässernamen können zwei Erscheinungen von Bedeutung sein:
a.) zum einen Flußnamen, deren Ableitungsgrundlage im Gegensatz zum appellativischen Bestand ein Abweichen im Ablaut aufweist. Oder mit anderen Worten: während die Grundstufe *Kek-  appellativisch im Slavischen bekannt ist, erscheint die Abtönung *Kok- nur im Namenbestand. Derartige Hydronyme dürfen als wichtige Bindeglieder zwischen vorslavischer Namengebung und slavischer Namenschicht angesehen werden.
b.) Da die Ablauterscheinungen sich gegenseitig bedingen, ist für den mutmaßlichen Raum der slavischen Ethnogenese der Nachweis von Gewässenamen, die auf zwei oder mehr Ablautvarianten beruhen, sowie deren benachbart auftretende Streuung von höchstem Interesse. Sie sind wesentliche Zeugen für den Raum, in dem sich die Ausgliederung aus dem indogermanischen Sprachgebiet vollzogen haben dürfte.
3. Das Prädikat „urslavisch“ verdienen weiter Gewässernamen, die mit slavischen Suffixen von voreinzelsprachlichen, d.h. alteuropäischen Basen abgeleitet sind.
4. Während man zu Beginn der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie zunächst undifferenziert alles zusammenstellte, was unter den Begriffen „alteuropäisch, indogermanisch, voreinzelsprachlich“ gesammelt werden konnte, hat sich in den letzten Jahren immer mehr gezeigt, daß

es unter Umständen gelingen wird, innerhalb dieser alten Namenschicht gewisse Schichtungen, Abstufungen oder territoriale Abgrenzungen zu ermitteln, die Hinweise auf eine Untergliederung der Hydronymie geben könnten. Für die Frage nach alten Gewässernamen auf slavischem Gebiet lassen sich vielleicht aus einer schon des öfteren vertretenen Theorie, die von einer näheren Verwandtschaft des Slavischen mit dem Baltischen und Germanischen ausgeht, neue Aspekte für die Bestimmung urslavischer Gewässernamen gewinnen. Hydronyme, die dieses widerspiegeln, zeigen zumeist Wurzelerweiterungen indogermanischer Basen und sind von besonderer Bedeutung für die Frage, in welchen Bereichen sich die drei genannten Sprachgruppen entwickelt haben könnten.
Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die genannten fünf Möglichkeiten mit Material zu füllen.
I. Suffixbildungen
Unproduktive und daher relativ alte Suffixe in slavischen Gewässernamen hat schon M. Vasmer als wichtige Zeugen für die alten Wohnsitze der Slaven herangezogen . Er behandelte Bildungen auf -ostü (Dobrost’, Èernost’, Mokrost’, Sudost’, Snagost’), -ujü (Bobruj, Berezuj), -ajü (Borzaj, Berezaj, Ilovaj), -yni (Goryn’, Medyn’, Vjazyn’, Volyn’), -anü (Lugan’, Chvorostan’, Ptan’), -men- (Vjaz’ma : Vjaz’ men’, Tismenica), -nt-Partizipia ohne die sonst im Slavischen übliche -?i                                o-Erweiterung (Reut, Gremjatka), alte -û-Stämme vom Typus svekry, svekrúve (Bagva, Mokva), Bildungen auf -oè’ (Bìloè’), adjektivische Formen ohne die im Slavischen früh eintretende Weiterbildung mit -ko- (Glubo), alte -l-Partizipia (Piskla, Vorskla), Bildungen wie russ. Bìleja, Ljuteja.
Soweit ich sehe, ist diese Auflistung seit ihrem Erscheinen (1941) nicht zusammenhängend diskutiert worden . Ich meine, daß es an der Zeit ist, dieses zu tun. Neue Sammlungen und neue Theorien können uns helfen, der Frage nachzugehen, inwieweit M. Vasmers Zusammenstellung heute noch Gültigkeit hat. Dabei sollen uns Kartierungen helfen.

1. -ostü
Die von M. Vasmer genannten Bildungen mit -ostü wie Dobrost’, Èernost’, Mokrost’, Sudost’, Snagost’ hat dieser etwas später noch ergänzt durch Kunost’, Molost’ und Smolost’ . H. Krahe hat Vasmers Bemerkungen aufgegriffen  und sie als Ausgangspunkt einer Betrachtung anderer mit -st- gebildeten Namen (vor allem außerhalb des slavischen Bereiches) genommen .
Betrachtet man sich diese Gruppe etwas näher, so spricht manches dafür, daß hier Verschiedenes zusammengeflossen ist.
Der Flußname Èernost’(? Kun’ja im ehem. Kreis Toropec , Gouv. Pskov), auch See bei Re?ica (Gouv. Pskov), liegt weit außerhalb des altslavischen Siedlungsgebietes; im Vergleich zu den folgenden Namen wird sich zeigen, daß der Aussagewert der beiden Namen sehr gering ist.
Dobrost’ ist nach V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  nur eine spätere, offenbar slavisierte Form des älteren Namens Dobrososna.
Mokrost’ findet sich weder im Russischen Geographischen Namenbuch noch im Wörterbuch der russischen Gewässernamen!
Sudost’ als Name eines bedeutenden rechten Nebenflusses der Desna (G. Èernigov u. Orel) kann zwar eine Bildung mit einem slavischen Suffix sein, wahrscheinlicher ist aber eine Slavisierung einer vorslavischen Vorlage .
Das Suffix des Flußnamens Snagost’ (linker Nebenfluß des Sejm) hatte schon J. Rozwadowski  mit außerslavischem Material verbunden und damit den Blickwinkel erweitert. Für V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  ist der Name unklar, M. Vasmer dachte an Zusammenhang mit serbokroat. snaga „Kraft“, auch aruss. snaga, snagota „dass.“. Diese Deutung stieß aber auf Skepsis, vgl. P.Arumaa, Scando-Slavica 6(1960)164 und J. Prinz .
Kunost’ kann als südlicher Zufluß eines Sees im ehem. Kr. Belozersk (Gouv. Novgorod) kaum slavischer Herkunft sein. Eine Verbindung mit russ. kuna „Marder“ ist für Flußnamen äußerst unwahrscheinlich; nimmt man mit germanischer Lautverschiebung Namen wie Haune, Hönne, Hunze (alt Hunesa), Hunte, Honte, Hunne, und auch -apa-Namen wie Honnef, Hunnepe, Honepe hinzu, vergleicht weiter baltisches Material um Kawniten, Kawnyne, Kaunas, Kàunata, Kaunen See, Kunà, Kune, Kunas, Kun-upe u.v.a.m. (zahlreiche Namen) und verbindet dieses mit lit. kune „sumpfige Stelle, morastiger Ort“, so findet sich auch für Kunost’ ein Anschluß, der allerdings wenig Raum für Slavisches läßt.
Molost’ ist in dieser Form im Wörterbuch der russischen Gewässernamen nicht bezeugt, nur im Lokativ als Moloste, woraus Molosta (Fluß im ehem. Kr. Kozel’sk, Gouv. Èernigov) gewonnen wird .
Smolost’ ist nur eine Variante eines sonst als Sloust’, Sloust bezeugten Flusses im ehem. Kr. Ihumen (Gouv. Minsk) und bleibt besser fern .
Die Ausbeute alter slavischer -ost’-Namen ist also sehr gering.
2. -ujü
Für altertümlich hält M. Vasmer auch das Suffix -ujü, das in zwei Namen (Bobruj, Berezuj) nachgewiesen werden kann . Aber auch hier bleiben erhebliche Zweifel. Der Flußname Bobrujka (poln. Bobrujka), ein rechter Nebenfluß der Berezina (samt ON. Bobrujsk) wird einerseits zum slavischen Wort für den „Biber“ (bobr usw.) gestellt , andererseits wird er aber auch dem baltischen Substrat zugerechnet, das einer Slavisierung unterzogen worden ist . Wie dem auch sei, zu den alten, einer urslavischen Schicht angehörenden Namen wird man ihn nicht zählen dürfen, da die -o-Variante des slavischen Biberwortes eine Neuerung darstellt .
Den Namen Berezuj, Berezujka tragen sieben Flüsse in den ehem Gouv. Kaluga und Tver’ . Allein wegen ihrer geographischen Lage (das wird unter näher begründet) scheiden sie als Zeugen urslavischer Namengebung aus.
3. -ajü
Eine altertümliche Bildung sieht M. Vasmer auch in dem -ajü-Suffix, das in den Flußnamen Berezaj, Borzaj, Ilovaj, Zamglaj vorliegen soll . Auch hier führt eine genauere Prüfung zu erheblichen Zweifeln.
Berezaj ist der Name eines Nebenflusses der Msta im ehem. Kr. Valdaj und des Quellsees dieses Gewässers . In der Nähe liegen ein ON. Berezaj und ein GN. Berezajka. Ich habe einen älteren Beleg ermittelt: 1654 na Berezai . Ju. O. Otkupšèikov, Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae 24(1974)282 verbindet diesen Namen gemeinsam mit weiteren ostslavischen Entspechungen keineswegs mit bereza „Birke“, sondern mit bulg. bu¢                                            rzej „Schwelle im Fluß, Stromschnelle, Oberlauf eines Baches“, aksl. bru¢                                                                                   ?aj „Fluß, Fließen“.
Borzaj fehlt im Wörterbuch der russischen Gewässernamen, bezeugt ist nur Borzajka, Nfl. d. Wolga im Kr. Myškin, ehem. Gouv. Jaroslavl’. Der Name enthält sicher kein urslavisches Suffix, sondern basiert auf einem Appellativum, das dieses bereits enthält.
Gleiches gilt für Ilovaj, rechter Nebenfluß d. Vorone? im ehem. Gouv. Tambov ; es liegt eine direkte Ableitung von russ. ilovaj „Niederung, Marschland“ vor , und somit kein urslavischer Typ.
Zamglaj ist zum einen der Name eines Sumpfes im ehem. Kr. Èernigov, zum andern der eines rechten Nebenflusses der Desna im ehem. Gouv. Èernigov . Zugrunde liegt ein Kompositum mit der Präposition za, zum zweiten Element vgl. Ju. S. Vynohrads’kyj : „Nazva maje, oèevydno, tej samyj korin’ -mgl-, šèo i v slovi mgla …“.
Versucht man, M. Vasmers Basis zu erweitern, so gelingt dieses vielleicht mit Stru¿aj, einem Flußnamen im Warthe-Gebiet, allerdings betonen J. Rieger und E. Wolnicz-Paw³owska: „funkcja sufiksu niejasna“ .
Das Suffix ist als Element alter slavischer Gewässernamen nur schwer faßbar. V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  bieten etliche Namen auf  ajka (Jasajka, Mo?ajka, ?ertajka, Èernjajka, Šarajka), betonen aber wenig später (S. 79) mit Recht die baltische Herkunft des Suffixes. Etwas differenzierter werden in der Arbeit von O.N. Trubaèev  die 17 Gewässernamen mit einem Suffix -aj (wobei allerdings einige mehrfach bezeugt sind) betrachtet: sie sind sehr unterschiedlicher Herkunft. Dovgaj, Bakaj und Bugaj sind slavischer Herkunft, jedoch enthalten die zugrunde liegende Appellativa bereits das Suffix , es können also ganz junge Namen vorliegen; Udaj wird dem iranischen Substrat zugerechnet, Šaraj ist unklar, aber kaum slavisch; in Kavraj/Kovraj sieht O.N. Trubaèev Komposita mit Ka-, Ko- (ob zurecht, soll hier nicht entschieden werden), während ?artaj dem Baltischen zugezählt wird. Somit bleiben kaum urslavische Bildungen übrig.
Schon früher hatte J. Prinz -aj vor allem dem Baltischen zugeschrieben, allerdings auch nicht ausgeschlossen, daß es in einzelnen slavischen Ortsnamen (er nennt vor allem Goraj) vorkomme. Auch nach V. Kiparsky  ist -ajka ein vornehmlich baltisches Bildungsmittel.
Am ehesten spricht für die Verwendung als altslavisches Bildungsmittel die Sippe um slavisch dunaj, das sowohl im appellativischen Bestand wie im Namenschatz des Slavischen gut bezeugt ist. Zwar muß eine teilweise Beeinflussung durch Dunaj „Donau“ angenommen werden, aber alle Namen werden damit nicht erklärt, so kaum der des Dunajec. Ausführlich wurde von mir zu dieser Sippe (mit Kartierung) an anderer Stelle gehandelt .
4. -yn’/-ynja
Während die bisherigen Suffixbildungen sehr viel Zweifelhaftes enthielten, ergibt sich bei der Untersuchung des Elements -yni, das M. Vasmer  in den Flußnamen Goryn’ (zu gora „Berg“), Medyn’ (zu medü „Honig, Meth“), Vjazyn’ (zu vêzü „Ulme“) und Volyn’ sieht, ein ganz anderes Bild. Abgesehen davon, daß die Etymologie von Goryn’ und Medyn’ so nicht stimmen kann, ist das Bildungsmittel -yn-/-ynia, das von E. Dickenmann ausführlich behandelt worden ist , deshalb besonders interessant, weil es sowohl in slavischen Namen (Wodynia) wie in Toponymen, die in ihrer Zuordnung umstritten sind (Wolhynien, Goryn’), und schließlich in Gewässernamen, die in der alteuropäischen Hydronymie einen besseren Anschluß finden als im Slavischen, auftritt. Dazu zähle ich u.a. Lutynia, £ydynia und Cetynia .
Wir berühren damit einen Punkt, der in der Vergangenheit häufig falsch interpretiert worden ist. Während man sich früher darum bemühte, bei der Suche nach der Slavenheimat ein Gebiet zu ermitteln, in dem es vorrangig oder ausschließlich Gewässernamen slavischer Herkunft geben sollte, hat die Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie zu einer neuen (gleichzeitig aber auch schon früher herausgearbeiteten) Überlegung geführt: die Entfaltung einer indogermanischen Einzelsprache setzt immer auch eine kontinuierliche Entwicklung aus einem voreinzelsprachlichen Substrat voraus.
Wenn es z.B. bei J. Prinz heißt: „Da das Gebiet zwischen Karpaten und Dnjepr deutliche Zeugnisse eines vorslavischen Substrats aufweist, sollte man die vorangehende Urheimat der Slaven deshalb im baltoslavischen Bereich nördlich des Pripjat’ suchen“ , so liegt hierin eine falsche Schlußfolgerung: die Ethnogenese kann sich nur in einem Gebiet vollzogen haben, das in der Toponymie und Hydronymie Bindeglieder zwischen voreinzelsprachlicher (d.h. alteuropäischer) und einzelsprachlicher Namengebung aufweist. Oder mit anderen Worten: in diesem Gebiet müssen notwendigerweise vorslavische Gewässernamen, die die Verbindung mit der alteuropäischen Hydronymie und mit den indogermanischen Schwestersprachen dokumentieren, vorhanden sein. Und das gilt auch für das Slavische. Aus diesem Grund darf man in Gewässernamen, die -yni/-ynja-Ableitungen von slavischen Grundwörtern enthalten, wichtige Zeugen einer älteren slavischen Sprachstufe sehen.

5. -anü
Weniger überzeugend ist die Annahme eines altertümlichen slavischen Suffixes -anü in den Namen Lugan’, Chvorostan’ und Ptan’ .
Lugan’, ein rechter Nebenfluß d. Sev. Donec im ehem. Gouv. Jekaterinoslav , liegt in einem Gebiet, in dem -an’-Bildungen nicht selten sind . Darunter befinden sich aber Namen wie Kuban’ und andere, die kaum slavisch sind, daneben aber auch sicher slavische Typen wie Rogan’ und Prosjana. Aber es darf des weiteren nicht übersehen werden, daß es auch Anklänge an die alteuropäische Hydronymie geben könnte: Lugan’ erinnert an den deutschen Flußnamen Lahn, der gut auf *Lugana zurückgeführt werden kann . Andererseits ist slavische Herkunft nicht zu bestreiten bei südslavischen Namen wie Lîganj auf der Insel Braè  und Lug`a` na, FlurN. auf Krk .
Ob der linke Nebenfluß des Don Chvorostan’ ein slavisches Suffix enthält, wie M. Vasmer meint , ist kaum anzunehmen. Der Name dürfte nichtslavischer Herkunft sein .
Ptan’ heißen zwei Flüsse in den ehem. Gouv. Orel und Tula . M. Vasmers Verbindung mit slav. ptica „Vogel“ usw.  wird kaum zutreffen. Hier dürften eher volksetymologische Einwirkungen vorliegen. Gewässernamen des Typs „Vogelbach, Vogelfluß“ gehören keineswegs zu einer altertümlichen Gewässernamenschicht.
Und so wundert man sich nicht, daß es nach nach V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  vollständig westlich des Dnjepr, also im alten slavischen Siedlungsgebiet, fehlt. Hinzu kommt, daß Namen wie Vagan, Jeszman, Ivan’, Tran’, Ster?an’ nicht gerade einen slavischen Eindruck machen. Dem entspricht durchaus O.N. Trubaèevs Untersuchung der rechtsufrigen Ukraine: er sieht in Namen wie Skibin’, Ljuban’, Saksagan’, Berezan’, Samotkan’, Savran’
 
 mit Recht türkische, iranische und andere nichtslavische Elemente . Schließlich ist darauf zu verweisen, daß sich hinter einem -an-Suffix auch alteuropäische Bildungen verbergen können, wie man es für den polnischen Flußnamen Orunia, 1338 Orana, 1356 Orana usw. annehmen kann .

6. -men-
Einen alten slavischen Bildungstyp vermutet M. Vasmer  in Flußnamen mit dem Element -men-, so in Vjaz’men’ (: Vjaz’ma), zu russ. vjazkij „schlammig“, und Tismenica, zu tichú „ruhig, still“.
Auch hier sind erhebliche Korrekturen anzubringen. Vjazmenka oder Vjazmen’ ist der Name eines Flusses im Gebiet der Westlichen Düna . Die slavistische Deutung M. Vasmers wurde im allgemeinen akzeptiert, so von V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  und P. Arumaa . Dafür könnte auch eine Entsprechung in Bulgarien sprechen: nach J.I. Ivanov  liegt diese vor in dem ON. Vezme, auch Vezmen, Vezem, Vuzme, Vuzmen, Vuzem.
Aber es gibt erhebliche Zweifel an den Vorschlägen: Vjaz’ma findet sich als Flußname siebenmal im ostslavischen Gebiet in den ehem. Gouv. Kaluga, Moskau, Smolensk, Tver’ und Vladimir. Das ist eine Streuung, die die Ukraine völlig ausschließt und damit nicht gerade als urslavische Bildung anzusprechen ist.
Das wird dann besonders deutlich, wenn man damit eine andere -men-Bildung, nämlich strumen’, strumen, strumieñ „Bach, Strom, Quelle, schnelle Strömung“ vergleicht. Während dieses Wort angesichts der sicheren außerslavischen Parallelen sraumuõ, stràume, ¼å™ìá, straumr, Strom bestens mit den Schwestersprachen verbunden werden kann, steht es um vjazkij sehr viel schlechter. Blickt man in die Namen, erhärtet sich der Befund.
Von slavisch strumen’ liegt eine Untersuchung des Namenmaterials samt Kartierung vor  (Karte 1). Auf Einzelheiten gehe ich hier nicht ein. Die Verbreitung macht aber deutlich, welche Bereiche Anteil an der Streuung haben: es sind nicht die von Vjaz’ma berührten Territorien, sondern genau
 

Karte 1: *strumen

die, die davon ausgespart sind: Ukraine, Polen, Weißrußland. Daß diese Konstellation kein Zufall ist, werden wir anhand weiterer Karten noch sehen.
Von hieraus fällt neues Licht auf die Etymologie der Vjaz’ma-Namen: weit eher als die Verbindung mit russ. vjazkij „schlammig, sumprig“ wird man darin die indogermanische Wurzel *?                                           eng(h)- „gebogen, gekrümmt“, hier wahrscheinlich als Satem-Variante *?en?(h)-, sehen dürfen.
Der Fluß Tismenica oder besser Tys’menycja in Galizien ist ebenfalls sehr strittig. Zusammen mit weiteren Parallelen (Tyœmienica u.a.) hat man ihn im allgemeinen wie M. Vasmer zu slav. tichy usw. gestellt . In einer jüngeren Arbeit  wurde aber auch eine etwas überraschende Verbindung mit altirisch tûaimm „Hügel“ erwogen, ein Wort, das auf *teusmno  – zurückgeführt wird und somit morphologisch durchaus passen könnte.
Die Durchsicht hat gezeigt, daß sowohl Vjaz’men’ wie auch Tys’menycja nicht so sichere Zeugen für urslavische Hydronyme sind, wie bisher angenommen. Ein ganz anderes Ergebnis zeigte der Fall strumen’, vor allem die Verbreitung der Namen hat uns – so denke – ich – einen Schritt vorangebracht .

7. -nt-Bildungen
Auch in bestimmten -nt-Partizipia sieht M. Vasmer altertümliche slavische Bildungen. Es geht dabei um Namen, die ohne die im Slavischen sonst übliche -?i                                o-Erweiterung gebildet sind und das -t- durch die slavische Palatalisierung umgestaltet hätte. Dazu gehört nach seiner Meinung „Reut aus *Revo²                                     tü ‘brüllender’ (Fluß) neben dem späteren Revuèa, Gremjatka als ‘tönend’ neben Gremjaèij, R?atü als ‘wiehernd’ u.a.“ .
Betrachtet man sich die Namen, was bisher noch nicht geschehen ist (der Vorschlag von M. Vasmer ist fast einhellig akzeptiert worden ), etwas genauer, so erheben sich einige Fragen, aus denen bald Zweifel werden. Reut, Reutinka, Reuticha und Reucel (mit rumänischem Suffix), die angeblich mit dem höchst altertümlichen -t-Suffix ohne slavische Palatalisierung gebildet sein sollen, sind Gewässernamen in Bessarabien, im ehem. Gouv. Kursk, Smolensk, Vladimir, Perm’ und Kostroma . Das sind zum Teil Bereiche, die die Ostslaven erst in den letzten Jahrhundert des ersten Jahrtausends n.Chr. erreicht haben. Daß in diesen Namen, die zudem noch mit einem Suffix erweitert worden sind, noch urslavische Lautveränderungen manifestiert sein sollen, ist absolut unwahrscheinlich. Hier ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Ein weiteres: vergleicht man mit diesen, angeblich höchst altertümlichen Namen die mutmaßlich jüngere Form Revuè-, so ergibt sich aus dem im folgenden aufgelisteten Material eine weitere Frage.
Es geht um Reuèij Ovrag, Variante Reuèaja, im ehem. Gouv. Char’kov ; Revuèaja, zwei Flüsse in den ehem. Gouv. Ni?nij Novgorod und Poltava, Revuèee, See (!) im ehem. Kr. Gomel’, Gouv. Mogilev , Revuèij, Nebenfluß d. Apoèka (ehem. Gouv. Kursk) und Arm d. Dnjepr im ehem. Gouv. Poltava .
Diese Namen sind nicht zu trennen von Revun, fünf verschiedene Arme des Dnjepr (ehem. Gouv. Jekaterinoslav) und ein Bach im ehem. Gouv. Vjatka , Revucha, sechs Flußnamen im Don-Gebiet und nahe Kiev  sowie Revuckogo Balka, GN. im ehem. Gouv. Char’kov .
Festzuhalten ist zunächst, daß in der Verbreitung der beiden Typen keine komplementäre Verteilung festzustellen ist (wir werden entsprechende Beispiele noch kennenlernen): es ergibt sich eine bunte Streuung beider Varianten. Und zum zweiten: es handelt sich in hohem Maße um Flüsse, die im Bereich der südrussischen Steppe und Halbsteppe liegen (man beachte z.B. die Kombination mit balka „längere Erosionsschlucht in der südrussischen Lößsteppe“). Die Vasmersche Etymologie knüpft an aksl. revìti „brüllen“ an. Es erheben sich aber nachhaltig Zweifel daran, Gewässer der südrussischen Landschaft als „brüllende, rauschende“ Flüsse zu interpretieren; auch der oben genannte Seename (!) Revuèee spricht eindeutig gegen diese Etymologie.
Viel sinnvoller ist eine Verbindung mit der im Slavischen bestens bekannten Sippe um rvat’, rovú „reißen, Graben, Vertiefung“, worauf ich an anderer Stelle bereits hingewiesen habe , sowie die Annahme, daß verschiedene Suffixe an die slavische Basis angetreten sind. Nur so erklärt sich die gegenseitige Durchmischung beider Varianten. Eine chronologische Differenzierung zwischen den Reut- und Revuè-Namen läßt sich nicht feststellen.
Noch eindeutiger ist die Situation im Fall von Gremjatka: hierin wurde eine morphologisch identische Variante wie bei Reut gesehen und der Name und als „tönendes Gewässer“ zu russ. gremet’ usw. gestellt. Die „echt slavische“ Bildung soll in Gremjaèij vorliegen. Ich habe mich bemüht, einen FlN. Gremjatka oder eine entsprechende Bildung nachzuweisen;  es gelingt nicht. Das Wörterbuch der russischen Gewässernamen enthält neben zahlreichen Belegen wie Gremucha, Gremuèaja, Gremuèee, Gremuèij, Gremuèka (31 Namen)  nur Formen mit normaler slavischer Partizipialbildung wie Gremjaè, Gremjaè, Gremjaèa, Gremjaèaja, Gremjaèev, Gremjaèevka, Gremjaèevskij, Gremjaèij, Gremjaèka, Gremjaè’ (81 Namen), aber keinen einzigen Beleg Gremjat-, Gremjatka o.ä. Man hat sich offenbar auf einen Irrtum gestützt.
Die kommentarlos übernommenen Etymologien M. Vasmers sollten zukünftig wesentlich genauer geprüft werden. Das gilt auch für die hier nicht behandelten Fälle Kipetka gegenüber Kipjaèa, ferner Kièat’ sowie Âåñïýôæç gegenüber Ovrut .
8. -û/-úve-Bildungen
In ganz andere und offenbar belastbare Kombinationen gerät man dagegen bei der Behandlung von alten -û-Stämmen vom Typus svekry, svekrúve und deren Auftreten in der Hydronymie. M. Vasmer selbst hatte darunter genannt: Bagva (zu bagno „Sumpf, Morast“), Mokva (zu mokrú „feucht“) . Inzwischen ist die Materialbasis erheblich erweitert worden und in jüngster Zeit wurden diese Bildungen in zwei Beiträgen ausführlich diskutiert (s.u.) .
Angesichts der zahlreichen Bildungen kann ich hier nur knapp auf die bisherigen Deutungen und eigene Vorstellungen zur Etymologie eingehen.
Der von M. Vasmer mit bagno  verbundene GN. Bagva begegnet mehrfach  in der Ukraine; eine ausführliche Diskussion habe ich an anderer Stelle (vgl. die Anmerkungen) geführt. M. Rudnickis Versuch , eine Verbindung mit slav. baga, bagna, bagr-, bagúr- „Buche“ herzustellen (offenbar, um eine korrekte Entsprechung zu lat. fãgus zu finden) scheitert an den im Ukrainschen bestens bezeugten Appellativen bahvá, bahvyšèe u.a.m. .
Mokva ist ein rechter Nebenfluß des Sejm bei Kursk . M. Vasmers Verbindung mit slav. mokry „feucht, naß“ könnte zutreffen, zumal in Griechenland eine Parallele vorzuliegen scheint . M. Vasmer verweist auch auf den Ort Mokvin in Wolhynien am Fluß Sluè’ (1445 belegt als otú Mokvina ), V.N. Toporov und O.N. Trubaèev, Lingvistièeskij analiz, S. 219 ergänzen dieses durch den Hinweis auf russ. dial. (Don-Gebiet) mokva „Feuchtigkeit, Regen, Schmutz“. Es gibt noch einen weiteren Namen: A.P. Korepanova  verzeichnet einen GN. Mokvyšèe im Raj. Èernigov und stellt ihn zu mokva.
Wie im Fall von Bagva besteht zwischen den Namen und dem Slavischen eine enge Verbindung; umso bedeutsamer ist die Lage der betreffenden Namen. Eine Kartierung, zu der wir noch kommen werden, wird dazu weitere Aufschlüsse geben.
M. Vasmer hatte nur zwei Namen genannt. Inzwischen sind zahlreiche weitere Fälle ermittelt worden, die kurz diskutiert werden sollen. So hat O.N. Trubaèev, Nazvanija rek etliche Namen herangezogen.
Èakva, rechts und links zum Goryn’, wird von ihm  mit ukrainischen Dialektwörtern für „Sumpfpflanze“ verbunden. Man sollte aber nicht die idg. Wurzel *?ek?-  „Mist, Dünger, Schmutz“  übersehen. Gerade der Wurzelauslaut könnte für einen Vergleich mit den Flußnamen sprechen.
Goltwa erscheint mehrfach und auffällig konzentriert im Gebiet des Psël. Die türkische Etymologie von O.S. Stry?ak  wird m.E. mit Recht von O.N. Trubaèev  abgelehnt. Da der FlN. früh als Gúlta, Gúltú in den Quellen erscheint, erwägt er eine Verbindung mit russ. glotat’ „schlucken“. Man sollte die lit. Gewässernamen Gìltinç, Giltin˜e   usw.  nicht außer Acht lassen (ob die vorgeschlagene Etymologie mit Hilfe einer Gottheit des Todes zutrifft, soll hier nicht diskutiert werden).
Der Name Ikva, den vier Gewässer im Gebiet d. Südl. Bug, im Kr. Perejaslavl’ (Gouv. Poltava) und im Gebiet d. Styr’ tragen, ist schon häufiger  besprochen worden. Angesichts der schwierigen Deutung verfiel man z.T. auf den Gedanken, darin germanische Relikte zu sehen . Die dann versuchte Verbindung mit dem Wort für die „Eiche“, ndt. ëk (< *aik-) scheitert aber bereits an dem Vokal. Am ehesten gehören die Namen als -k-Erweiterung zu der auch in Gewässernamen nachweisbaren idg. Wurzel *ei- „gehen“ , man denke an dt. eilen und andere Wörter, deren Auftreten in Flußnamen erwartet werden kann. Mit dieser Annahme ist die Sippe um Ikva der alteuropäischen Hydronymie zuzuordnen und aus dem Slavischen nicht zu erklären. Man erinnere sich aber an die oben gemachten Bemerkungen, wonach auch im Gebiet der mutmaßlichen Heimat des Slavischen alteuropäische, indogermanische, voreinzelsprachliche Relikte notwendigerweise zu erwarten sind.
Den FlN. Ipatva, einen rechten Nebenfluß der Polkva (ebenfalls -û-Stamm) im Gebiet d. Goryn’ stellt O.N. Trubaèev  zu der ON.-Sippe um Patav-ium und einer Wurzel *pat-. Es fällt schwer, den Namen in I-pat- zu trennen, sollte man nicht eher eine Deutung suchen, die die Flußnamen Ipa, Ipel’, Ipf, Ipoly/Ipul, Ipps, Ypern, Iput’ mit umfaßt? Auch hier bietet sich unter Umständen die Wurzel *ei- „gehen“ an; eine umfassende Behandlung dieser Sippe könnte hier weiterhelfen. Bei Heranziehung von Namen auf germanischem Gebiet ist zudem mit wurzelauslautendem Wechsel des Konsonanten zu rechnen.
Lukva, r. Nfl. d. Dnjestr, kann als -û-Stamm betrachtet und zu slav. luk- „Krümmung, Bogen“ gezogen werden . Es kann aber auch das im Südslavischen bestens bezeugte lokva „Tümpel, Pfütze, kleiner See“ zugrunde liegen und eine volksetymologisch verursachte Veränderung zu dem im West- und Ostslavischen bekannten luk- vorliegen . In jedem Fall ein Name, der dem Slavischen zuzurechnen ist. Illyrisches  bleibt fern.
Mostva heißen ein rechter Nebenfluß d. Uš’ (? Pripjat’) und ein linker Zufluß zur Stviga, Pripjat’-Gebiet. Der viel diskutierte Name  könnte zwar als -û-Stamm zu slav. most „Brücke“ gestellt werden, aber alte Flußnamen sind kaum nach menschlichen Einrichungen benannt worden, so daß man wohl mit Recht einen Weg über *Músta < *Múd-sta < *Mu¢                                            d-ta oder besser *Múd-tû- zur gut bezeugten indogermanischen Sippe um griech. ìýäïò „Nässe, Fäulnis“, dt. Moos, bulg. muchul „Schimmel“, ndt. Modder, mnd. mudde „dicker Schlamm“ usw. gesucht hat.
Murakwa, auch Murachva, Murafa, l.z. Dnjestr, sollte erst diskutiert werden, wenn eine saubere Chronologie der Überlieferung vorliegt. Ohne ältere Belege kann der Name nicht richtig beurteilt werden.
Mytva, r. Nebenfluß d. Pripjat’, gehört nach O.N. Trubaèev  zu den baltischen Relikten. Er vergleicht lit. Mìtuva, Mìtva, Mituvà, bei denen jedoch z.T. altes *-in- zugrunde liegt . Vielleicht doch eher als altertümliche *-û-Bildung zu slav. myt- „waschen, spülen“ zu stellen.
Nièva, r. Nebenfluß d. Seret, scheint aufgrund der ukrainischen Lautung Nièva  in der Wurzelsilbe doch wohl *-o- besessen zu haben. Auszugehen wäre damit von *Noèva. Da sich für *Nok?i                                – kaum eine Lösung anbietet, ist vielleicht eher an *Not?i                                – zu denken, womit sich ein Anschluß an Noteæ, Neetze, Natissus usw.  vereinbaren läßt.
Der Name der Polkva, r.z. Goryn’ (? Pripjat’), schwankt in der Überlieferung und ist auch als Poltva bezeugt . Daher hat wohl O.N. Trubaèev recht , wenn er von der zweiten Variante ausgeht und den Namen mit Pe³tew und anderen Parallelen zur Fulda zieht. Zur Beurteilung der Sippe werden wir noch kommen (s.u.).
Tykva, auch Polonka, l.z. Styr’ (Ukraine), stimmt mit ukrain., russ. tykva „Kürbis“ überein, worin aber kaum die Grundlage des Namens liegen wird. Eher besteht eine Beziehung zu dem bulgarischen GN. Tièa < Tyèa, in dem I. Duridanov  slav. tykati „stoßen, stechen“ sieht, aber andere Parallelen verbieten eine slavische Etymologie und sprechen eher für einen auch auf Gewässernamen weitaus besser passenden Zusammenhang mit der indogermanischen Wurzel *tëu-, *tû¢                                            – „schwellen“ .
Mehr Probleme bereiten die Namen Vy?ivka, zweimal in der Ukraine belegt .  Als Ausgangsform bietet sich ein Ansatz *Vig?i                                – – an, der am ehesten zu idg. *u?                                           eig- „biegen, s. krümmen“ gehört.
Soweit das von O.N. Trubaèev herangezogene Material. Wir hatten gesehen, daß es in sich etliche Schichten vereint: neben einer eindeutig slavischen (hierzu zähle ich Bagva, Mokva, Lukva) steht eine zweite, die zwischen dem Slavischen und Alteuropäischen steht, indem die dorthin gehörenden Namen Beziehungen sowohl zum Slavischen wie zum voreinzelsprachlichen Bestand besitzen. Eine dritte Gruppe besitzt keine deutlich sichtbaren Verbindungen zum Slavischen und ist der alteuropäischen Hydronymie zuzurechnen.
Damit ist die Diskussion um die auf einen -û-Stamm weisenden Flußnamen aber noch keineswegs erschöpft. J. Domañski hat in einem längeren Artikel  erst vor kurzem die Sippe erneut behandelt. Er sieht in den Namen hauptsächlich slavische Bildungen und in erster Linie deverbale Ableitungen. Auch auf die von ihm herangezogenen Namen will ich – sofern sie oben nicht behandelt wurden – kurz eingehen.
Den Flußnamen Beèva in Mähren stellt J. Domañski  zu  èech. beèeti „blöken,heulen greinen“, also eine onomatopoetische Basis. Wer sich intensiver mit Gewässernamen befaßt, wird diese Deutung für den Namen eines 120 km langen Flusses von vornherein für fraglich halten. Allerdings hat sich bislang keine andere, bessere Lösung finden lassen (zur Diskussion vgl. auch P. Arumaa, op.cit., S. 7f.).
Die Etymologie von Branew, auch Braniew, Bronew, sowie von Brnew im San-Gebiet mit Hilfe des zum poln. Verbums brn¹æ „durch den Sumpf waten, stapfen“  kann angesichts der sicheren Verbindung mit slav. *brún-/*bryn- „Sumpf, Kot, Schlamm“ usw. (s.u.) nicht überzeugen .
Erneut bemüht J. Domañski im Einklang mit dem gegenwärtigen Stand der Forschung zur Erklärung des Gie³czew, l.z. Wieprz  eine lautnachahmende Sippe um poln. gie³czeæ „lärmen“.
Diesen Weg schlägt er auch im Fall des Hoczew, l.z. San ein : der Name gehört seines Erachtens wie Huczew/Huczwa, l.z. Westl. Bug, zu ukrain. huèaty „klingen, lärmen, schreien“. Man sollte aber nicht beiseite schieben, daß es auch eine ganz andere Möglichkeit gibt: das bekannte lateinische Wasserwort aqua wird nicht nur in der Oka gesucht, sondern auch in Hoczew und Huczew .
Der viel diskutierte Name der Ma³a P¹dew, dt. Malapane macht auch J. Domañski Schwierigkeiten (S. 20ff.). Da im ersten Teil des Namens keineswegs slav. maly „klein“ vorliegt, halte ich an meinem eigenen Vorschlag  fest und sehe darin nach wie vor einen Ansatz *Malu                                            pandû- und wie in dem gegenüber der Malapane einmündenden Osob³oga eine Bildung aus Substantiv + Adjektiv.
Zustimmung verdient die Etymologie von M¹tew, M¹twa, eines Teilabschnittsnamens des Noteæ, mit Hilfe von poln. m¹ciæ „mischen, trüben“ u.a.m. , eine Deutung, die schon seit S. Kozierowski Bestand hat. Zu dieser Sippe gehören auch Odmêt und weitere Namen, darunter das bekannte Admont .
Verfehlt ist dagegen die Verbindung des Flußnamens Meglew, heute Stawek (l.z. Wieprz), auch ON. Me³giew, mit apoln. megliæ, meglowaæ „ausglätten, glätten, schlagen“ . Die alten Belege des ON. Meglewa, Melgwi, Moglwa, Meglew, Melgiew verlangen am ehesten einen Ansatz *Mlo gy, *Mlo gúve . Dieser findet sich in der indogermanischen Wurzel *mel?h- „schwellen“  unter der Voraussetzung, daß hier die nicht satemisierte Variante vorliegt.
Die Verbindung zwischen dem großen Fluß Narew und einem altpolnischen Iterativum narzaæ „zanurzaæ w wodê“   widerspricht nachhaltig der Wahrscheinlichkeit. Damit zerschneidet man die klaren Beziehungen zwischen diesem Namen und Entsprechungen in England, Weißrußland, Litauen, Frankreich und anderswo  und setzt eine einzelsprachliche Iterativbildung ein, die schon an der Wortbildung des Namens scheitern muß. Der Wurzelvokal -a- erscheint hier wie bei Drama, Drawa, Stradunia als Zeichen früher Slavisierung .
Der Erklärung des Namens Omulew, r.z. Narew, durch poln. omuliæ „mulem albo b³otem omazaæ“  widersprechen schon Belege wie 1426 Omelew, 1428 Omolew. Zur Ableitungsbasis vergleiche man die Zusammenstellung von Appellativa und Namen, die ich an anderem Ort vorgelegt habe .
Der Versuch, Pe³ty/Pe³tew, Po³tew/Pe³tew sowie Po³twa mit einem slavischen Verbum (beltaæ) zu verbinden , ist mit dem Anlaut nicht zu vereinen. Die Namen gehören zusammen mit Polkva und der Fulda in einen ganz anderen Zusammenhang (s. dazu unten).
Deutlich einzelsprachlicher, slavischer Herkunft ist der Typus Ponikev, Ponikiew, Ponikva , er gehört zu slav. ponikno²                                       ti. Es gibt aber weit mehr Namen, als J. Domañski genannt hat , wie eine erneute Kartierung zeigt (Karte 2). Zu weiteren Schlußfolgerungen werden wir noch kommen.
Die Etymologie der Namen Skrwa, l.z. Weichsel, und Skrwa, früher Strkwa, r.z. Weichsel, mit Hilfe des polnisches Verbs styrkaæ „stolpern, steckenbleiben, (den Fuß) stoßen, anstoßen“  ist offensichtlich eine Verlegenheitslösung. Skrwa verlangt zunächst eine Vorform *Skúr-y, -úve, die man weiter auf *sku¢                                            r- zurückführen kann. Von hier aus gewinnt man leicht Anschluß an eine mit dem Wasser eng verbundenene Sippe, gemeint ist die in dt. Schauer, got. skûra windis „Sturmwind“ vorliegende, offensichtlich mit s-mobile ausgestattete Wurzel *(s)keur-, vgl. lat. caurus „Nordwestwind“, lit. šiaurç „Norden“, slav. sìverú „Norden“. W.P. Schmid  hat dazu auch griech. óê™ñïò „Steinsplitter“, einen Inselnamen Óê™ñïò sowie den Namen eines Arms des Rheindeltas Scheur gestellt.  


Karte 2

?*-û-, -?ve in der Hydronymie
?    Ponikva, Ponikiev

Mit anderem Suffix gehören dazu dt. Schaum < germ. *skûma- und auch Skawa, FlN. in Südpolen, < *Sko?a.
Strkwa wird man dagegen als *Strúk-y, -úve zunächst auf *Stru¢  k-y zurückführen können, worin am ehesten die bekannte Fließwurzel *sreu- (aind. srávati, griech. ¼Ýù „fließe“, altir. sruth „Fluß“, dt. Strom, lit. srutà „Jauche“, poln. strumieñ „Bach, slav. ostrov „Insel“) vorliegen kann: die Veränderung von *sr- > str- ist regelgerecht, das Problem liegt in der Ableitung, denn eine -k-Bildung ist neben den -t-, -men- und anderen Bildungen noch nicht nachgewiesen. Immerhin sind -k-Formantien gerade im östlichen Europa eine überaus beliebte Ableitungsform, so daß der hier vorgelegte Versuch vielleicht nicht allzu gewagt ist.
S³odew, heute S³udwia, l.z. Bzura, gehört nach J. Domañski, a.a.O., S. 28 zu dem Verbum s³odziæ „Fluß, der süßt“ (wahrscheinlich in übertragenem Sinn). Vergleicht man damit die zahlreichen baltischen Namen wie Sáldus, Salda, Saldç usw. bei A.Vanagas  und dessen Deutungsvorschläge (berührt wird z.B. norw. sylt „Meeresstrand usw.“), so wird man zumindestens Zweifel an einer slavischen, einzelsprachlichen Deutung haben müssen.
Das betrifft ebenfalls S³unew, früher Zufluß d. Styr in der Ukraine, heute ukrain. Slonivka , und dessen Verbindung mit slav. *sloniti „salzen“ . Die Basis *sel-, *sol- mitsamt Saale, Sala, Zala usw. ist zu weit verbreitet, als daß man den Weg zu einer Lösung über eine jeweils einzelsprachliche Etymologie finden könnte.
Strzykiew oder Szczekiew, später und heute Skwa, lautet der Name eines Zuflusses des Narew, dessen Name nach J. Domañski, a.a.O., S. 28f. auf eine Grundform *Szczekiew oder *Strzykiew zurückzuführen ist. Im ersten Fall gehört er seines Erachtens zu poln. szczekaæ „bellen“, im zweiten Fall zu poln. strzykaæ „spritzen, sprudeln, sprühen“. Im ersten Fall dürfte das Ergebnis einer Volksetymologie als Ausgangsform angenommen worden sein; zufriedenstellen kann das nicht. Der zweite Vorschlag überzeugt natürlich mehr.
Den seit J. Rozwadowski und T. Lehr-Sp³awiñski zu einem alten Wort für „Binse“, idg.
*??endhro- „Binse“, vgl. lat. combretum, lit. šveñdrai „typha latifolia“, gezogenen Flußnamen Swêdrnia, älter Swêdra (?Prosna), stellt J. Domañski, a.a.O., S. 30 nun zu poln. swêdraæ (siê) „spähen, umherstreifen, schlendern“ und sieht darin einen Fluß, der mäandriert. Ganz abgesehen von der für alte Gewässernamen äußerst ungewöhnlichen Verbindung mit einem Verbum für „umherstreifen, schlendern“ fragt sich aber, wie man dann das Verhältnis zu Švendra im Gebiet der Venta, zu lit. Švendr-upç und anderen Namen sehen will. Die einzelsprachliche Erklärung löst vielleicht ein Problem, schafft aber etliche andere neue.
Der Name des Tanew, in dem J. Domañski, a.a.O., S. 31 poln. ci¹æ (*tê-ti „spannen“) usw. sieht, gehört zu slav. *tyn, *tynja (nicht *tin, *tinja ) „Sumpf, Schlamm, Schlick“.
Uszew, Uszwa, heute Uszwica, r.z. Weichsel, nach J. Domañski, a.a.O., S. 32 zu einer verbalen Grundlage in uszyæ < *ušiti, Ableitung von szyæ „nähen“ zu stellen, ist sicher anders zu erklären .
Eine weitere Ableitung zu uszyæ „nähen“ sucht J. Domañski, a.a.O., S. 33 in Vý?ivka, zwei Flußnamen in der Ukraine, indem von vy-š?i                         úvü ausgehend ursprüngliches *vy-š?i                                y rekonstruiert und an ukrain. vyšyty, poln. wyszyæ angeschlossen wird. Wir hatten die schon von O.N. Trubaèev herangezogenen Namen bereits behandelt (s.o.) und die gut bezeugte indogermanische Wurzel *?eig-  „biegen, sich krümmen“ herangezogen.
Schließlich bleibt noch ¯ólkiew, heute ¯ólkiewka, l.z. Wieprz, übrig, wobei J. Domañski, a.a.O., S. 33 die gängige Verbindung mit poln. zólkn¹æ „vergilben, gelb werden“(< urslav.
*žlo k‘-n?ti) anführt. Inzwischen sind zu diesem Namen auch andere Überlegungen angestellt worden .
J. Domañskis Beitrag ist geprägt von dem Versuch, die meisten der besprochenen Namen mit Hilfe einer verbalen Grundlage und auf der Basis slavischer, speziell polnischer Ethyma zu erklären. Es ist dieses ein legitimes Verfahren, nur fragt es sich, ob man damit dem hohen Alter der -û-Bildungen gerecht werden kann. In diesem Punkt berühren wir uns mit Gedanken, die J. Rieger in einem jüngst erschienenen weiteren Beitrag zu der hier in Frage stehenden Namengruppe geäußert hat
Unter Bezug auf Narew, Pe³tew, Tanew, Ikva, Lukva, Polkva, Tykva und andere betont J. Rieger zunächst das hohe Alter der *-û-Deklination im Slavischen, dessen Schwund in den älteren slavischen Sprachstufen noch erfaßt werden kann . Schon allein durch diese allseits bekannte Tatsache wird die Erklärung von damit gebildeten Gewässernamen mit Hilfe von einzelsprachlichen und jungen, z.T. präfigierten Verben auf keinen Fall gelingen.
Ebenfalls völlig zurecht betont J. Rieger , daß die Namen mit Bezeichnungen für „Wasser, Sumpf“ usw. verbunden sein müssen: „ … trzeba zaliczyæ nazwy z sufiksem -*û-, wi¹¿¹ siê przede wszystkim z ró¿nymi okreœleniami ‘wody’, ‘b³ota’, ‘mokroœci’ …“. Auch aus diesem wichtigen Punkt ergeben sich erhebliche Diffenerenzen zu dem Beitrag von J. Domañski.
J. Riegers Aufsatz enthält noch einige Einzelheiten, die aufgegriffen werden müssen. So weist er auf zwei noch nicht genannte Flußnamen aus dem ostslavischen Gebiet hin: es sind Èeèva im oberen Dnjestr-Gebiet, alt Czeczew, und Èeèva im Einzugsbereich des Psël. Obwohl die Namen eine Entsprechung in einer Landschaftsbezeichnung Èeèko, auch Èeèka, Èeè in den Rhodopen besitzen, trägt diese Verbindung nach J. Rieger zur Deutung nicht bei. Man darf vielleicht wie oben bei Èakva die idg. Wurzel *?ek?- „Mist, Dünger, Schmutz“ heranziehen. Entsprechende Wörter finden sich gern sowohl in Gewässer- wie in Landschaftsnamen.
Beachtenswert ist J. Riegers Hinweis (S. 151) auf den (inzwischen verschwundenen? ) FlN. P³yæwia im Gebiet d. Bzura, den er mit Recht zu slav. p³yæ „fließen, rinnen, strömen“ gestellt hat.
Damit können wir die Auflistung der behandelten Namen abschließen. Die Diskussion hat gezeigt, daß die oben bereits gezogenen Folgerungen bestätigt worden sind: wir hatten drei Schichten herausgearbeitet: eine eindeutig slavische, eine zweite, die zwischen dem Slavischen und Alteuropäischen steht, und eine dritte Gruppe, die voreinzelsprachlicher Herkunft ist.
Das von J. Domañski und J. Rieger herangezogene Material, das vor allem aus dem polnischen Sprachgebiet stammt, stützt diese Einteilung: Slavisches findet sich zweifelsfrei in den Namen Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia, Hinweise auf eine baltisch-germanisch-slavische „Zwischenstufe“ wohl in Pe³ty/Pe³tew, Po³tew usw. und voreinzelsprachliche Bildungen ohne Verbindung zum slavischen Wortschatz vielleicht in Hoczew, Huczew/Huczwa, sicher aber in Mala P¹dew, Narew, Omulew und Skrwa.
Was bedeutet dieses für die Frage nach dem Bereich, in dem sich das Slavische entfaltet haben könnte? Dazu ist eine Kartierung der genannten Namen sehr hilfreich (vgl. Karte 2). Betrachtet man sich zunächst die Verbreitung der auf *-û- weisenden Typen in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich, daß es ein sich relativ deutlich abzeichnendes Gebiet gibt, in dem sie auftreten: es ist im Westen mehr oder weniger von der Oder begrenzt, besitzt kaum Entsprechungen in den ehemals baltischen Gebieten nördlich des Pripjat’, umfaßt vom ostslavischen Sprachraum nur die Ukraine und unmittelbar daran angrenzende Bereiche Weißrußlands und Rußlands und fehlt auf dem Balkan.
Allein Slovenien hat daran Anteil, aber bezeichnenderweise nur mit dem einwandfrei slavischen Typ Ponikiev, Ponikva, der zudem als „verschwindender Fluß“ in den Karstgebieten dieses Gebietes natürlich zu erwarten ist und eine verhältnismäßig junge Namengebung sein kann. Überhaupt zeigt die Streuung der Ponikva-Namen, daß davon – bis auf wenige Ausnahmen im Dnjestr- und oberen Weichsel-Gebiet – vor allem die Peripherie des -û-Raumes betroffen ist: Mähren, Oder- und Warthe-Raum, Weißrußland, Westrußland. Es zeigt sich hier ein Kern, der Verbindungen zur alteuropäischen Hydronymie besitzt und eine Peripherie, die einzelsprachliche Bildungen aufweist. Besser kann man die verschiedenen Phasen einer Namengebung kaum deutlich werden lassen.
Damit könnte man diesen Namentyp verlassen, aber es hat den Anschein, als habe man bisher einen ganz entscheidenden Punkt übersehen. So lange man der Ansicht war und ist, hinter den oben genannten Namen würden sich Spuren der slavischen *-û-Deklination verbergen, konnte man sich mit einer Erklärung aus dem Slavischen begnügen. Sobald man aber den Horizont erweitert und außerslavische Elemente ins Spiel bringt, wird man sich fragen müssen, ob wirklich bei allen herangezogenen Namen der Bezug auf die slavische Deklinationsklasse korrekt ist, oder ob nicht vielmehr bei einigen oder sogar den meisten Namen (streicht man die eindeutig slavischen Fälle Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia) zwar der Eindruck erweckt wird, es lägen Spuren der slavischen *-û-Klasse vor, in Wirklichkeit sich dahinter aber Bildungen verbergen, die bei der Slavisierung der voreinzelsprachlichen Namen in die *-û-Deklination integriert wurden, sie aber ursprünglich gar nicht besessen hatten.
Dieser Gedanke ist auch deshalb von Bedeutung, weil dadurch Licht auf Namen fällt, die eine an und für sich unerklärliche Erweichung zeigen: Hoczew, Huczwa ist – falls die Verbindung mit lat. aqua stimmen sollte – ein Paradebeispiel  dafür.
Unter diesem Aspekt verwundert es etwas, daß man nicht den Weg zu den wichtigen baltischen Parallelen  gefunden hat. Wir verdanken A. Vanagas die Zusammenstellung einer großen Zahl von Gewässernamen, die sowohl ein Formans -uv-, -iuv- wie auch -(i)uvç, -(i)uvis besitzen . Aus der Fülle der Namen hier nur eine kleine Auswahl: Daug-uva, Lank-uvà, Alg-uvà, Áun-uva, Gárd-uva, Lat-uvà, Mìt-uva (vgl. oben die Diskussion um Mytva), Ring-uvà, Týt-uva, Vad-uvà, Várd-uva, Gil-ùvç, Audr-uvìs, Med-uvìs, Dìt-uva. Was liegt näher, als in diesen z.T. einzelsprachlichen, z.T. alteuropäischen Bildungen dieselben Bildungsmittel wie in den slavischen Typen auf -y, -va aus -úva, *-uva bzw. *-üva, *-?va zu sehen, die im Verlauf der Einbettung in das Slavische mit Angleichung an die altertümliche *-û-Bildungen integriert worden sind? Damit wird das hohe Alter der Namen nicht gemindert, sondern vielmehr unter Einbeziehung der Namenstreuung gezeigt, in welchen Bereichen das Slavische früh alteuropäische Typen übernommen und in eine archaische Klasse überführt hat.
Nichts spricht dagegen, in dem sich durch die Verbreitung der -wa/-va-Hydronyme abzeichnenden Gebiet, also in Südpolen und in der Ukraine dasjenige Territorium zu sehen, in dem sich das Slavische aus einer indogermanischen Grundlage heraus entfaltet hat. Die rein slavischen Gewässernamen stimmen damit – wie ich schon früher ausgeführt habe – nachhaltig überein.
Die Gewässernamen auf -y, -úve verraten aber nicht nur Übernahme aus einem voreinzelsprachlichen Namenbestand, sondern durch ihre andauernde Produktivität bis in das Slavische hinein (erinnert sei erneut an Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia) Kontinuität von alteuropäischer Namengebung bis in die slavische Namenschichten.
Die Verlegung der slavischen Heimat nach Asien, in das obere Oka-Gebiet, in die südöstliche Ukraine oder auf den Balkan muß an diesem Namentyp gemessen, als entschieden verfehlt betrachtet werden.
M. Vasmer hatte, als er vor 60 Jahren die zwei Namen Bagva und Mokva nannte, noch nicht wissen oder ahnen können, welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden. Erst die Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie hat hier die entscheidenden Impulse gegeben.
Nach diesen längeren Ausführungen kommen wir zu den letzten von M. Vasmer für altertümlich gehaltenen Namentypen.

9. -oè’
Nur knapp hat M. Vasmer Namen auf -oè’  mit der Bemerkung „Bildungen auf -oè’: Bìloè’ zu bìlú ‘weiß’“  angesprochen. Inzwischen ist weiteres Material hinzugekommen.
Bei V.N. Toporov und O.N. Trubaèev, Lingvistièeskij analiz, S. 126 findet sich nur Svisloè’, im südlich daran angrenzenden ukrainischen Gebiet bietet O.N. Trubaèev, Nazvanija rek, S. 238 eine Auflistung von Namen ohne weiteren Kommentar. Neben dem schon erwähnten Beloè’ sind danach in der Ukraine noch bezeugt Levoè’, Vidoloè’, Vydoloè’ und Protoè’. Aus Polen sind hinzuzufügen Liwocz und Liwoczka, Flußnamen bei Busko und Tyniec.
Von diesen scheiden wohl aus: Svisloè’ als baltischer Name , Vidoloè’ und Vydoloè’, die den Eindruck von Komposita machen und somit kein Suffix -oè’ enthalten dürften, ferner Protoè’, offenbar eine präfigierte Bildung zu pro + tok „fließen“.
Es bleiben Levoè’, Liwocz und Liwoczka übrig, wobei man sich sofort fragt, ob nicht ein Zusammenhang zwischen diesen Namen und eine Verbindung mit dem slovakischen Fluß- und Ortsnamen Levoèa besteht . Des weiteren wird man nicht an dem Suffix -ok vorbeigehen dürfen, daß uns unten bei der Diskussion im Wis³ok, Wis³oka und Sanok noch beschäftigen wird.

10. Adjektivformen ohne -ko-
Eine weitere alterümliche Erscheinung begegnet nach M. Vasmer in adjektivischen Formen ohne die im Slavischen früh eintretende Weiterbildung mit -ko-, z.B. in dem Seenamen Glubo gegenüber appellativischem glubokij .
Das ist ein durchaus interessanter Gedanke, der aber verkennt, daß es von slavisch *glo²                           b- „tief“ auch Bildungen ohne -ok- gibt. Vasmer selbst hat einige genannt: russ. glub’, glubina „Tiefe“, man vergleiche weiter poln. gl¹b, sloven. glob „dass.“, slav. *glo²                           bina in Ortsnamen . Es ist daher äußerst schwierig zu entscheiden, welche der folgenden ostslavischen Namen zu einer ohne -ok- erweiterten Adjektivform gehören oder aber ganz normale Ableitungen zu der slavischen Basis *glo²                           b-, ostslav. glub-, hlub-: Glubá, auch Glubaja Balka bei Odessa ; Gluben’, See bei Svencjany, liegt zudem im ehemals eindeutig baltischen Gebiet; Glubi, See und Ort im ehem. Gouv. Tver’; Glubinec, ukrain. Glybynéc’, Fluß im Teterev-Gebiet (Ukraine) und Glubinka, Fluß im Gebiet der Desna, dort auch ON. Gluboe, enthält sicher eine Ableitung von dem oben genannten slavischen glubina, *glo²                                   bi¬na ; Glubica, Brunnen im Kr. Drissa, im ehemals baltischen Gebiet; Hlubiczyca, r. Nfl. d. Dnjepr bei Kiev, nur im S³ownik Geograficzny bezeugt , fehlt auch im Slovnyk hidronimiv Ukraïny, Kyïv 1979; Glubo, Quellsee der Drissa in den ehem. Kreisen Polock und Nevel’ ; schließlich Gluboe, eventuell Druckfehler, See im Kr. St.-Bel’sk, ehem. Gouv. Char’kov .
Die Basis ist zu dünn, als daß man darauf bauen kann. Eine saubere Trennung zwischen glub-Namen, die als adjektivische Bildungen kein -ok- besessen haben, und den ganz normalen Ableitungen von einer slavischen Ausgangsform *glo²                                        b- „tief“ kann nicht gezogen werden.
11. Als vorletzten Punkt seiner Zusammenstellung altertümlicher slavischer Gewässernamen nennt M. Vasmer „alte -l-Partizipia wie: Piskla zu russ. pišèat’ ‘piepen, quäken’, Vorskla zu russ. vorèat’ ‘murren’, poln. wrzask ‘Geschrei’“ , Vymkla, Fluß im Kr. Roslavl’ , wobei Vorskla in der Bedeutung mit „russ. Vorèa, Flußname im G. Tver’, und Vorèal, Bachname im Kr. Tor?ok, daselbst“  verglichen wird.
Die Etymologien erwecken durch ihre onomatopoetischen Verbindungen Zweifel. Daher wird man in Pisklja  wahrscheinlich eher eine Beziehung zu den in südslavischen Sprachen bezeugten Wort pîšæak „Quelle“ suchen können, wobei allerdings auch darin eine lautnachahmende Basis *piskati gesucht wird .
Unzutreffend ist auf jeden Fall die Deutung von Vorskla, da historische Belege wie 1105 Vúrúskla, 1545 Vorskla gegen eine Verbindung mit vorèat’ sprechen
Der Gedanke von M. Vasmer ist sicher richtig, aber eine genaue Trennung alter -l-Partizipen von den gerade in Osteuropa so häufigen -l-Bildungen in der Hydronymie (Wis³a, Sula, Orel, Voskol, Psël) wird kaum gelingen.

12. -eja
Es bleibt ein Kommentar zum letzten der von M. Vasmer angeführten altslavischen Namentypen. In Gewässernamen wie russ. Bìleja, Ljuteja sieht M. Vasmer ein altertümliches slavisches Suffix -eja.
Der Flußname Beleja liegt im Kr. Duchovšèina im ehem. Gouv. Smolensk , der Gewässername Ljuteja im Kr. Beloj desselben Gouvernements . Schon allein aufgrund dieser Lage sind erhebliche Zweifel daran angebracht, diese Namen als Beweis für frühe slavische Namengebung heranzuziehen. Im Bereich südlich des Pripjat’, den wir aufgrund der *-û-, -úve-Bildungen weit eher favorisieren müssen, machen die -eja-Bildungen, etwa Man?aleja, Bakšaleja, Sugakleja, Èakikleja einen unslavischen, zumeist turksprachlichen Eindruck . In Weißrußland favorisiert man baltische Herkunft . Auch das Auftreten als slavisches Suffix wird im Zusammenhang mit dem Baltischen gesehen . In diesem Zusammenhang können die beiden im alten baltisch-slavischen Kontaktgebiet liegenden Gewässernamen Beleja und Ljuteja, deren Ableitungsbasen gut slavischen Ursprungs sein können, gesehen werden.
Damit können wir die Durchsicht der von M. Vasmer als altertümlich angesehenen slavischen Namentypen beenden. Wir haben erkennen können, daß etliche der herangezogenen Typen aus diesem Bestand zu streichen sind, andere aber sehr bedeutsame Schlußfolgerungen (es nochmals an die *-û-, -úve-Namen erinnert) erlauben.
Es gibt noch weitere Namentypen, die M. Vasmer gestreift hat. Zu einer muß auf jeden Fall Stellung genommen werden. Es sind -ava-Namen.

13. -ava
Diesen Typ hat auch M. Vasmer als alt angesprochen . Es handelt sich in der Tat um einen morphologisch interessanten und alten Typ, der zudem noch sichere Verbindungen zu den außerslavischen Schwestersprachen und zur alteuropäischen Hydronymie aufweist  und somit auf Kontinuität hindeutet.


Karte 3: *-ava in slav. Gewässernamen
In -(j)ava liegt ein typisches Bildungsmittel slavischer Namen vor, das sich in erster Linie in den Gewässernamen findet, man denke an Grzêzawa, Ka³awa, Týnava, Nak³awa, Virawa, Wirawa, Vodava, Ilava, Gliniawa, Morawa u.a.m. Seine Altertümlichkeit und Streuung ist schon verschiedentlich behandelt worden . Ich lege hier eine Verbreitungskarte vor (Karte 3), die sehr anschaulich zeigt, daß es gewisse Bereiche des slavischen Siedlungsgebietes gibt, die höheren Anteil an der Streuung haben. es sind in groben Zügen die gleichen Räume, die schon bei der Kartierung der *-û, -úve-Namen aufgefallen waren: Südpolen und die Ukraine.


Karte 4: Barycz/Baryc

14. *-yèü
Ein weiteres, von M. Vasmer allerdings nicht genanntes Suffix ist slavisch * yèü. Die Altertümlichkeit dieses Suffixes ist allgemein anerkannt. Es begegnet in Namen wie Drohobycz, Werbycz, Starycz, Radobycz, Radycza, besonders eng ist aber die Verbindung mit slavisch bar- (altruss. bara „Sumpf, stagnum“, ukrain. bar „feuchter Ort zwischen Hügeln“, èech., slovak. bara „Schlamm, Schmutz, Sumpf“ usw.) . Als Barycz begegnet es in einem Dutzend Flußnamen vornehmlich im Süden Polens (zur Streuung vgl. Karte 4).
Die bisher genannten Namen und deren Kartierung haben gezeigt, daß der eindeutige Schwerpunkt altslavischer Bildungen nördlich der Karpaten liegt. Ganz anders ist das Bild bei einem typischen slavischen hydronymischen Suffix, bei -ica (Karte 5, s.u.).


Karte 5: Slavische Gewässernamen mit dem Suff. -ica

Hier zeigt sich eine Streuung über weite Bereiche der slavischen Besiedlung, womit sich die oben behandelten und kartierten Namentypen im Vergleich als wertvolle Zeugen für die Frage nach der Heimat der Slaven erweisen.

ABLAUT
In meinen einleitenden Ausführungen hatte ich als zweiten Punkt angeführt, daß diejenigen Flußnamen besonderes Interesse verdienen, deren Ableitungsgrundlage im Gegensatz zum appellativischen Bestand ein Abweichen im Ablaut aufweist. Da der Ablaut auf indogermanische Grundlagen zurückgeht, sind entsprechende Namen von besonderer Bedeutung.
Allerdings sind Spuren des Ablauts im Slavischen – im Gegensatz etwa zum Germanischen – nur noch in geringem Maße nachzuweisen, so daß auch in der Hydronymie nur mit wenigen Relikten zu rechnen ist. Diese allerdings sind dann von ganz besonderem Wert und ihr Vorkommen und ihre Verbreitung sollten in besonderem Maße beachtet werden.

1. *jüz-vorú
Das unter anderem in altrussisch izvorü „Quelle“, ukrainisch izvir „kleiner Gebirgsbach“, serbisch, kroatisch izvor „Quelle, Born, Strudel“ belegte Wort enthält eine altertümliche Komposition, denn das Slavische kennt zwar das Verbum vürìti „sprudeln“, aber kein selbständiges *vor- . Daher ist die Streuung der Namen (s. Karte 6,) von besonderer Bedeutung. Die Annahme, es könne sich bei dem Vorkommen im Karpaten- und Beskidengebiet um Ausläufer einer jüngeren, südslavischen Namengebung handeln, verbieten sich angesichts des aus der indogermanischen Vorstufe ererbten Ablauts. Die im Dnjestr- und San-Gebiet liegenden Namen entstammen vielmehr einer Sprachstufe, die das zugrunde liegende Appellativum noch kannte. Das kann nur eine Vorstufe der slavischen Einzelsprachen gewesen sein, d.h. mit anderen Worten, eine gemeinslavische oder urslavische Sprachschicht.
2. krynica. Weißrussisch kryniæa „kleiner See; Wasserlauf, der aus der Erde dringt, Quelle“, ukrainisch krynica „Quelle“, polnisch krynica, krenica „Quelle, Brunnen“ usw. verlangen eine


Karte 6: *j?zvor?

*krûn-ica . Es liegt eine Dehnstufe vor, die in ukrainisch (dialektal) kyrnýcja, kernýc’a „Quelle“, altpolnisch krnicza „rivus“, slovenisch krnica „tiefe Stelle im Wasser, Wasserwirbel, Flußtiefe“ ihre kurzvokalische Entsprechung (*kru¢                                            n-) besitzt. Betrachtet man sich das Vorkommen der krynica-Namen, die ein weites Gebiet umfassen, und konfrontiert dieses mit der Streuung der kurzvokalischen Ablautvariante (Karte 7), so wird ein Bereich deutlich, in dem beide Varianten nebeneinander auftreten. Das sich dadurch herauskristallisierende Territorium ist mit Sicherheit als altes slavisches Siedlungsgebiet zu betrachten. Versuche, die Ethnogenese des Slavischen in das Oka-Gebiet , nach Asien   


Karte 7: kryn-/kr?n-

oder auf den Balkan  zu verlegen, müssen an diesen Verbreitungen scheitern. Es wäre nötig, sich intensiver mit diesen Fakten auseinander zu setzen, zumal sich ähnliche Erscheinungen auch für die Frage nach Germanenheimat und -expansion nachweisen lassen. Ganz ähnlich liegt der nächste Fall.

3. *brún-/bryn-
Die lange umstrittene Grundform der slavischen Sippe um altserbisch brna „Kot, Erde“, bulgarisch-kirchenslavisch brünije „Kot, Lehm“, altkirchenslavisch brúna „Kot“, slovenisch brn „Flußschlamm“ usw. löst sich unter Einbeziehung des onomastischen Materials einwandfrei auf : gegen die Annahme, man müsse von einem Ansatz *bürn- ausgehen, sprechen bereits nachhaltig zahlreiche Gewässernamen des Typs Brynica, Brenica, Branica und vor allem ostslavische wie Bronica, Bronnica, Brono (Karte 8). Die zugrunde liegende Wurzel muß als *brún- angesetzt werden, da auch die im Slavischen appellativisch nicht bezeugte dehnstufige Variante *bryn- in geographischen Namen bestens bezeugt ist (Brynica, Brynówka, Brynec). Slavisch *bryn- verlangt einen Ansatz *b(h)rûn- und trifft sich problemlos mit germanisch *bhrûn- in niederdeutsch brûn-, hochdeutsch braun.
Das Nebeneinander beider slavischer Ablautvarianten *brún-/*bryn- zeigt sich in der Namenlandschaft sehr deutlich und besitzt ein eindeutiges Zentrum in Südpolen und der Ukraine. Gleiches läßt sich für unsere letzte Ablautvariante zeigen.

4. *grêz-/*gr?z-
Neben dem bekannten russischen Appellativum grjaz’ „Schmutz, Kot, Schlamm“, das unter anderem in weißrussisch hrjaz’ „aufgeweichte Stelle auf einem Weg, Sumpf, Schmutz“, ukrainisch hrjaz’ „Sumpf, Pfütze, Schlamm“ und slovenisch grêz „Moor, Schlamm“ Entsprechungen besitzt, und einen urslavischen Ansatz *grêz- voraussetzt, kennt das Slavische auch die Abtönung *gro²                                z-, zum Beispiel in ukrainisch hruz’ „Sumpf, Moor, Morast“, weißrussisch hruzála, hruzalo „schmutziger Ort, sumpfige Stelle“, polnisch gr¹z,  êzu „morastiger Sumpf“ . Dabei ist bereits zu beachten, daß das Südslavische die Abtönung *gr?z- nicht kennt, also an der urslavischen Ablautvariante keinen Anteil hat.


Karte 8: bryn-/br?n-


Karte 9: *grez-/*gr?z-
?¦? =  *grez-              = *groz-

Dem entspricht die Verbreitung in den Namen durchaus (Karte 9): die Namen sind weit gestreut, eine besondere Produkivität ist im Ostslavischen zu beobachten, das Südslavische hat nur mit der *grêz-Variante Anteil. Eine Heimat des Slavischen auf dem Balkan schließt sich damit einwandfrei aus (es geht hier um urslavische Ablautvarianten, deren Produktivität und Wirkung lange vor dem Eindringen auf den Balkan anzusetzen ist). Das Slavische kann sich auf Grund dieser Fakten nur nördlich der Karpaten entfaltet haben.
Dafür sprechen – zusammenfassend gesagt – nicht nur das soeben behandelte Wortpaar grjaz’/hruz, sondern nachhaltig auch die zuvor behandelten Gruppen um izvor’/vürìti, krynica und vor allem auch brún-/bryn-, das durch die sichere Verbindung mit einem germanischen Farbwort im urslavischen Wortbestand zusätzlich verankert ist.

ALTEUROPÄISCHE GEWÄSSERNAMEN + SLAVISCHE SUFFIXE
Als drittes Kriterium für die Zuweisung zu einer urslavischen Gewässernamenschicht hatte ich eingangs auf die Erscheinung verwiesen, daß an alteuropäische Gewässernamen altertümliche slavische Suffixe getreten sein können.

1. -ok
Nach dem Urteil des S³ownik Pras³owiañski, Bd. 1, S. 92, stellt das Suffix -ok- einen urslavischen Archaismus dar. Es begegnet appellativisch zum Beispiel in súvìdokú, snubokú, vidokú, edok, igrok, inok u.a., seine Altertümlichkeit zeigt sich aber unter anderem auch darin, daß es an archaische athematische Stämme hinzugefügt wird.
Umso beachtenswerter ist die Tatsache, daß es an Gewässernamen angetreten ist, die mit Sicherheit der vorslavischen Schicht der alteuropäischen Hydronymie angehören. Ich meine die Namen von Sanoczek samt Sanok und Sanoka und Wis³ok beziehungsweise Wis³oka. Mit der Variante -oèü gehören hierzu auch Liwocz und Liwoczka, Flußnamen bei Busko und Tyniec.
Über die Etymologie von Wis³a  und San  soll hier nicht näher gehandelt werden, aber es ist zu betonen, daß an ihrer vorslavischen Herkunft kein Zweifel sein kann. Welche Deutung man für diese alten Namen finden kann, steht hier nicht zur Debatte. Wichtiger für die Bestimmung der alten slavischen Siedlungsgebiete ist die Tatsache, daß die Suffigierung mit Hilfe eines archaischen slavischen Suffixes, eben -ok-/-oèü, erfolgte und das alle genannten Namen sich in einem Bereich befinden, der sich auch aufgrund der schon behandelten Namentypen als altes slavisches Siedlungsgebiet erwiesen hat.
Ich betone nochmals: die Existenz vorslavischer, alteuropäischer Namen in einem mutmaßlich alten Siedlungsgebiet einer indogermanischen Einzelsprache spricht nicht gegen die Annahme, daß dieses sich dort befunden hat, sondern ist die notwendige Konsequenz aus der Tatsache, daß sich die indogermanischen Einzelsprachen nicht aus einem luftleeren Raum entwickelt haben, sondern sich auf einer breiten indogermanischen Basis aus einer Schicht alteuropäischer Namen entfaltet haben, ja man darf sagen, entfaltet haben müssen.

2. -og
Die Altertümlichkeit des slavischen Suffixes -og-, etwa in batog, barloh, rarog, tvarog, ostrog usw. wird allgemein anerkannt. Umso bedeutsamer ist es, daß dieses Bildungsmittel auch an vorslavische Hydronyme angetreten ist. Am auffälligsten vielleicht in dem Flußnamen Mino¿ka, auch Minoga, r. Nfl. d. D³ubnia, mit ON. Minoga, 1257 Mlynoga, 1262 Mlynoga, 1367 Minoga, 1470-80 in flumine Mninoga usw. Er besitzt offenbar Entsprechungen in Minaga, See in Litauen, Mnoha, GN. in der Ukraine und Mnoga, Nfl. d. Velikaja zum Peipus-See .
Die Namen gehören zusammen mit Mieñ, Mienia, dem Main und anderen zu lit. mýnç „Sumpf, Morast“, lett. mi¸a „morastige Stelle“, mai¸a „Sumpf, Morast“ . Es liegt ein alteuropäischer Typus vor, wofür schon seine Streuung von Portugal bis zum Baltikum spricht. Für den Osten Europas ist auffällig, daß sich dort (und sonst kaum) -g-haltige Ableitungen nachweisen lassen; ein Bildungstyp, den H. Krahe noch unberücksichtigt gelassen hatte, der aber gerade in Osteuropa – man denke an den Namen der Wolga  – seine Spuren hinterlassen hat.
Minoga, Minaga, Mnoga zeigen, daß an alteuropäische Basen einzelsprachliche (hier: baltische und slavische Suffixe) antreten können. Da es sich nun bei  og- um ein archaisches Suffix handelt, können die hier genannten Namen einer älteren Stufe zugewiesen werden. Sie sind daher als Bindeglieder zwischen alteuropäischer und slavischer Hydronymie anzusehen.
Ich habe im Fall der altertümlichen slavischen Suffixe nur eine Auswahl getroffen. Es gibt weitere Bildungsmittel, die hier angeführt werden könnten. Ich möchte jedoch zum Abschluß meiner Ausführungen auf eine Erscheinung aufmerksam machen, die erst vor wenigen Jahren in ersten Ansätzen behandelt werden konnte und die für die Frage, wo sich etwa das Slavische aus einem indogermanischen Dialektgebiet entfaltet hat, von einiger Bedeutung ist.

BALTISCH-SLAVISCH-GERMANISCH IN DER HYDRONYMIE
Es geht um die oben schon angesprochene nähere Verwandtschaft des Baltischen, Slavischen und Germanischen innerhalb der indogermanischen Sprachgruppe. Diese ist schon lange bekannt und immer wieder diskutiert worden. Ich will auf diese Tatsache nur mit einigen wenigen Zitaten hinweisen; wichtiger ist für uns heute die Untersuchung der Frage, ob sich im Namenbestand dieser drei indogermanischen Sprachzweige Besonderheiten nachweisen lassen.
Aufgrund der schon aufgefallenden Übereinstimmungen wie den bekannten „-m-Kasus“, den Zahlwörtern für „1000“, „11“ und „12“ u.a.m. hatte schon J. Grimm eine nahe Verwandtschaft des Germanischen mit dem Baltischen und Slavischen angenommen. Jüngere Untersuchungen haben das erhärtet. Ich erwähne hier nur summarisch die Beiträge und Stellungnahmen von W. Porzig , E.C. Polomé  und E. Seebold.  Den Wortschatz hat C.S. Stang aufgearbeitet  und zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den drei Sprachgruppen festgestellt. In seiner Arbeit findet sich auch (S. 5-9) ein Abriß der Geschichte der Forschung, auf die ich hier jetzt nicht mehr eingehe.
In einem eigenen Versuch bin ich von namenkundlicher Seite an diese Dreiheit herangegangen . Dabei sind mir einige Namengruppen aufgefallen, die für eine gewissen Zusammenhang sprechen können.

1. *bhelgh-/*bholgh-
Polnische und ostslavische Gewässernamen wie B³oga, Nebenfluß der Pilica (auch Ortsname B³ogie Stare, Szlacheckie); B³ogie, Sumpf bei Radom; Bolo?ivka, Bolozivka, Flußname in der Ukraine (auch ON. Bolo?ivka, Blozev; Bluj, dt. Bluggen See, bei Miastko in Pommern; Blh, ungar. Balog, 1244/1410 Balogh, Flußname in der Slovakei, besitzen Entsprechungen im ehemaligen und jetzigen baltischen Gebiet, so in Balge, Ortsname und Name eines Teils des Frischen Haffs , in Balga, Flußname in Lettland, dort auch ON. Piebalga; Bologoe, ON. bei Valdaj, dort auch Seename Bologoe, Bologovskoe; Bologoe, auch Balagoj, ON. im ehem. Kr. Cholm; Balagoe, auch Bologovo, ON. im ehem. Kr. Velikie Luki, dort auch SN. Balagoe. Es dürfte Verwandtschaft bestehen zu einem Ansatz *bolg-, der auch in dem Flußnamen Osob³oga/Osoblaha, Nebenfluß der Weichsel, dt. Hotzenplotz, vorliegt.
Ein Ansatz *bholg- darf als Abtönung zu einer Wurzel *bhelg- aufgefaßt werden. Ein sicherer Anschluß hat sich für die genannten Namen noch nicht finden lassen. Hier kann das Germanische helfen: ein norddeutsches Küstenwort, das noch heute lebendig ist, lautet balge, balje. Es bezeichnet neben anderem die mit Wasser gefüllten Vertiefungen, Rinnen und Gruben, die bei Ebbe zurückbleiben, daneben auch einen niedrigen, sumpfiger Ort, den Arm eines größeren Flusses oder eine tiefe Rinne zwischen Sandbänken an der Küste.
In nicht wenigen Namen Norddeutschlands, darunter in Balge, Ortsname bei Nienburg,


sowie alter Name des Hafens in Bremen, ferner mit altertümlicher -r-Bildung in Beller, ON. bei Brakel, ca. 993-996 in Balgeri, ferner in Belgien und in der Niederlanden, aber auch in England, begegnet das Wort auch toponymisch.
Damit erschöpft sich die Verbreitung. Karte 10 zeigt, daß eine Wurzel *bhelgh- im Namenmaterial eines Gebietes vorkommt, aus dem später das Germanische, Baltische und Slavische entstanden sind. Der Balkan spielt keine Rolle.

2. *dhelbh-/*dholbh-/*dhlo bh-
Ein Ansatz *dhelbh- wird fast allgemein in Wörtern des Baltischen, Slavischen und Germanischen vermutet, so etwa in poln. d³ubaæ „höhlen, meißeln“, èech. dlub „Vertiefung“, sloven. dolb „Aushöhlung“, ahd. bi-telban „begraben“, ae. (ge)delf „Steinbruch“, ndl. delf, dilf „Schlucht, Graben, Gracht“, lit. délba, dálba „Brech¬stange“.Die Reflexe dieser Wurzel zeigen


Karte 10: *bholgh-

sich also nur in einem begrenzten Bereich der indogermanischen Sprachen. Ihre Grundbedeutung kann etwa mit „vertiefen, aushöhlen“ beschrieben werden.
Da die Verbreitung appellativisch beschränkt ist, ist der Nachweis im toponymischen Bereich umso bedeutsamer, weil sich aus der daraus ergebenden Verbreitung Schlüsse für das mutmaßliche Entfaltungsgebiet der drei genannten Sprachgruppen ergeben.
Der bekannteste osteuropäische Vertreter der hier genannten Sippe ist der Name des Flusses D³ubnia, der bei Nowa Huta in die Weichsel mündet.
Dieser Name enthält indogermanistisch gesprochen, die Schwundstufe der Wurzel, nämlich *dhlobh-. Diese tritt nun auch in einem ganz andern Land auf, in einem Fluß in der Rhön in Deutschland: Thulba, auch ON. Thulba, Oberthulba, und auch in Dölbau, Ortsname bei Halle, alt Tolben, Tolbe.
Aber auch die Vollstufe *dhelbh- ist bezeugt, u.a. in Dölbe, Nebenfluß der Innerste in Niedersachsen, alt Delve, ferner in Delve, ON. in Schleswig-Holstein, in dem bekannten niederländischen Ortsnamen Delft und in der Delvenau bei Lübeck, die eine Grundform *Dhelbh-anda oder *Dhelbh-unda verlangt.
Schließlich ist auch die Abtönung *dholbh- bezeugt, am ehesten in einem Orts- und Gewässernamen Dolobüskú bei Kiev.
Weitere hierhergehörende Namen übergehe ist. Der Nachweis der drei Ablautstufen *dhelbh-, *dholbh-, *dhlobh- innerhalb eines begrenzten Gebiet zeigt die engen Beziehungen, die diese Wurzel zur indogermanischen Grundlage besitzt. Erneut ist bedeutsam, in welchem Gebiet die Namen begegnen (Karte 11). Es ist der Raum, der uns bisher immer wieder aufgefallen ist: Das Gebiet zwischen Rhein, Dnjepr und Ilmen-See hat Anteil an der Streuung, jüngere germanische Ausläufer mit einzelsprachlichen Bildungen in Flandern und England dürfen nicht überbewertet werden. Ein Zusammenhang mit dem Oka-Gebiet, mit Asien oder dem Balkan existiert nicht. Man kann bei der Suche nach alten slavischen Siedlungsgebieten auf diese Gebiete verzichten.
3. Eine indogermanische Wurzelerweiterung *per-s- mit der Bedeutung „sprühen, spritzen, Staub, Tropfen“ ist in etlichen Sprachen nachweisbar, so etwa schon in hethitisch papparš- „spritzen, sprengen“, altind. pro ?at „Tropfen“, avest. paršuya- „vom Wasser“, lit. purslas, pursla „Schaumspeichel“, lett. pàrsla, pêrsla „Flocke“, slav. *porsa- „Staub“ (vgl. altkirchenslavisch prachú usw.), tocharisch A, B pärs- „besprengen“ und im Nordgermanischen (dän., norw., anord.) foss, fors „Wasserfall“.
Von einer baltisch-slavisch-germanischen Eigentümlichkeit kann vom appellativischen Standpunkt also aus nicht gesprochen werden. Das Bild verändert sich jedoch, wenn man die hiervon abgeleiteten Gewässernamen einbezieht.
Der wahrscheinlich bekannteste Name, der hier zu nennen ist, ist die Parsêta, dt. Persante, Zufluß z. Ostsee; daneben nenne ich aus Osteuropa nur noch Pereseja/Pèrse, Stromschnelle der Westl. Düna; Perscheln, Persem, Perses, Persink, Orts- und Flurnamen im ehem. Ostpreußen, dort auch Proœno, dt. Pörschken See, 1486 Persk, sowie die SN. Persk und Perszk; wichtig noch die Peresuta, GN. in der Ukraine, Prosna, linker Nfl. der Warthe, die Pirsna, abgeg. GN. im Gebiet der Pilica und Pirsna, Landschaft an der unteren Weichsel; weiter nach Osten liegen Porosna, Fluß im Gebiet des Donec; Presnja, linker Nfl. d. Moskva sowie FlN. im Gebiet der Oka.
Das deutsche Sprachgebiet besitzt Entsprechungen in Veerse und Veersebrück, ON. an der Veerse bei Scheeßel, um 1290 in Versene, in Veerßen an der Ilmenau bei Uelzen, 1296 Versene, 1306 Versena usw. und weiteren Namen, die ich hier übergehe.


Karte 11: *dhelbh-


Karte 12: *pers-

Auch hier zeigt die Verbreitung ein nun schon bekanntes Bild (Karte 12, s.o.): die Namen liegen nördlich der europäischen Mittelgebirge in dem Bereich, der auch schon durch andere Verbreitungskarten aufgefallen war. An einem letzten Fall soll diese Streuung nochmals deutlich werden.
4. Die Wurzelerweiterung *pel-t-, *pol-t-, *plot- einer in den indogermanischen Sprachen weit verbreiteten Sippe um *pel-/pol- „gießen, fließen usw.“, deren Reflexe vom Armenischen über das Baltische und Slavische bis zum Keltischen reichen, begegnet appellativisch im Baltischen, vgl. lett. palts, palte „Pfütze, Lache“.
Geht man aber zum Namenbestand über, so scheint darüber hinaus auch das ehemals slavische Gebiet daran Anteil gehabt zu haben. Außerhalb des später slavischen, baltischen und germanischen Gebietes fehlen bisher sichere onymische Entsprechungen, wie die nun folgende Zusammenstellung deutlich machen wird, und es kann daher der Verdacht geäußert werden, daß die Dentalerweiterung auf diesen indogermanischen Dialektbereich beschränkt gewesen ist.
Zunächst biete ich einen Überblick möglichst aller erreichbaren Bildungen zu der unerweiterten Wurzel *pel-/pol-. Daß das Material noch erweitert werden kann, ist unbestritten.
Man vergleiche: Fal bei Falmouth, England; Fala, FlN. in Norwegen; Falbæk in Dänemark; Falen Å in Dänemark; Fils, GN. im Neckargebiet; Filsbæk in Dänemark; Paglia, Zufluß d. Tiber; Palà, GN. in Litauen, auch in Lettland; Palae, ON. in Thrakien; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; *Palantia im ON. Palencia in Altkastilien; Palçja, FlN. in Litauen; Palejas, FlurN. in Lettland; Palma, ON. in Thrakien; Palminys u.a.m., FlNN. im Baltikum; Palo, Fluß zum Mittelmeer bei Nizza; Palõnas, Palona, GNN. in Litauen; Palva, Fluß in Lettland; Palwe, ON. in Ostpreußen; Pelà, Fluß in Litauen; Péla, Pelîte, FlNN. in Lettland; Polendos bei Segovia, Palmazanos und Paociana in Portugal; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; Palangà, ON. nördl. Memel (Klaipçda), evtl. hierzu; *Palantia im GN. Palancia in Altkastilien; Pelega, Peleška, FlNN. im alten Gouv. Novgorod; Pelesà, Pelesõs ë?eras, GNN. in Litauen; Pelso „Plattensee“; Pelva, ON. in Illyrien; Pelyšà, FlN. in Litauen; Pielnica mit ON. Pielnia, im San-Gebiet, < *Pela; Pola, Fluß zum Ilmensee; Polova, FlN. bei Gorodok, Weißrußland; Valme, Nfl. d. Ruhr; Velpe bei Tecklenburg; Vielserbach, auch ON. Vielse(rhof), 1015-24 Vilisi, Zufluß z. Heder im Gebiet der Lippe; Vils, Gr. Vils, Kl. Vils, mit ON. Vilshofen, im Donaugebiet, sowie Vils, Zufluß z. Lech; Volme, Zufluß z. Ruhr. Unsicher ist die Zugehörigkeit des österreichischen FlN. Pielach.
Zur Verbreitung der Namen s. Karte 13. Man sieht deutlich, daß die Streuung weite Gebiete Europas umfaßt und daher eine einzelsprachliche Erklärung nicht mehr möglich ist. Wir haben eine typische alteuropäische Sippe vor uns.
Ganz anders sieht es aus, wenn man sich diejenigen Namen betrachtet, die als -t-Ableitung einer Wurzel *pel-/pol- gelten können . Dabei lassen sich alle drei indogermanischen Ablautstufen belegen.
1) Die Grundstufe *pel-t- liegt vor in: Polota, ON. Polock (< *Pelta); Pe³ty, ON. bei Elbing, 1323 usw. Pelten, Pleten; P³ock, ON. an der Weichsel.
2) Die Abtönung *pol-t- in: Páltis, Pãltys, Palt-upis, Paltç u.a.m., GNN. und FlurN. in Litauen, vielleicht auch in Palten, GNN. in Österreich.

Karte 13: Bildungen mit *pel- und *pelt-

3) Die Schwundstufe in Pilica, l. Nfl. der Weichsel, < *Plo tiâ;Poltva/Pe³tew, FlN. bei Lwów (Lemberg); Pe³ta oder Pe³tew, Nfl. d. Narew; Poltva, Nfl. d. Horyn‘ in der Ukraine sowie im Namen der Fulda < *Plo ta.
Das Ergebnis liegt offen zutage: die Basis *pel-/pol- ist sowohl appellativisch wie hydronmyisch viel weiter gestreut als die Erweiterung *pel-t-/pol-t-. Die -t-haltigen Ableitungen bzw. Bildungen treten im Namenbestand nur in einem begrenzten Gebiet auf, das in einem Dreieck zwischen Hessen, dem Baltikum und der Ukraine liegt.
Erneut zeigt sich damit, daß es einen relativ sicher zu bestimmenden Bereich gegeben hat, auf dem sich das Baltische, das Slavische und das Germanische aus einem indogermanischen Dialektgebiet entfaltet haben dürften.
 

ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
1. Es gab einen vergleichsweise engen Kontakt zwischen dem sich entwickelnden Baltischen, Slavischen und Germanischen.
2. Die darauf hinweisenden Gewässernamen umfassen einen Raum nördlich der mitteleuropäischen Mittelgebirge zwischen dem Rhein im Westen, Nord- und Ostsee im Norden und dem Baltikum und westlichen Rußland im Osten.
3. In Kombination mit den eingangs behandelten altertümlichen slavischen Bildungen der Hydronymie ergibt sich für die mutmaßliche slavische Urheimat aufgrund der Gewässernamen, daß etwa ein Gebiet zwischen der oberen Weichsel, den Pripjat’-Sümpfen, den Karpaten und dem Dnjepr alle Gewässernamentypen aufweist, die Voraussetzung für die Annahme einer alten slavischen Besiedlung sind.
Nach der Pannonien-These O.N. Trubaèevs hat Z. Go³¹b das obere Don-Gebiet als Heimat slavischer Stämme ausmachen wollen. Nimmt man noch die letzten Arbeiten Schelesnikers hinzu, so wäre die südöstliche Ukraine zu favorisieren. H. Kunstmann sucht die slavischen Quellen in Asien. Man fragt sich, warum man nicht dort nach Slavischem sucht, wo es die Hydronymie zwingend vorschreibt: im Raum zwischen Pripjet’ und Karpaten sowie Dnjepr und unterer Weichsel.
Aufgrund der Gewässernamen, den wichtigsten Zeugen alter Sprachschichten, kann die Suche nach einer slavischen Heimat im Oka-Gebiet, in Asien, in der südöstlichen Ukraine und auf dem Balkan aufgegeben werden.

Einleitung

Die Frage, inwieweit die Unterwerfung sächsischer Stämme durch die Franken auch Folgen für den Namenschatz Norddeutschlands gehabt hat, ist bisher zumeist eingebettet in die um-fassendere Diskussion um die Frankonisierung deutscher Ortsnamen behandelt worden. Nach G. Müller  handelt es sich dabei nach wie vor um „eines der Leitthemen historisch-philologischer Namenforschung“, aber es gibt immer noch erhebliche Differenzen über „Reichweite, Dauer, Intensität und Modalitäten dieses Einflusses“.
Wendet man sich dem norddeutschen Raum zu, so darf der äußere Rahmen der Einbindung in das Frankenreich mit H.-J. Nitz, der sich u.a. auf L. Fiesel und R. Wenskus beruft, etwa wie folgt umschrieben werden: „Im Rahmen der fränkischen Unterwerfung Sachsens in den Jahr-zehnten um 800 wurde eine umfangreiche grundherrliche Binnenkolonisation nach fränki-schem Vorbild in Gang gesetzt, an der sich neben dem Königtum vor allem der einheimische sächsische Adel und offenbar in nicht geringem Maße auch Adelige aus dem fränkischen Raum beteiligten“ . Von hieraus gesehen darf man durchaus annehmen, daß der fränkische Einfluß auch vor den Ortsnamen nicht halt gemacht hat.
Aber die bisherige Bearbeitung der Namen steht vor Schwierigkeiten. In seinem für unser Thema wichtigen Beitrag hat G. Müller deutlich gemacht, daß auf diesem Gebiet noch viel zu tun ist, denn „die Untersuchungen über die toponymischen Reflexe fränkisch-sächischer Be-ziehungen [stehen] erst an einem Anfang“ . Und das Resümee seiner Überlegungen schließt mit dem Satz : „Wohl lassen sich schon grobe Umrisse einiger weniger Stufen der fränkisch-sächsischen Auseinandersetzung an der Verteilung der Namentypen … ablesen. Bis das Bild klar genug ist, wird aber noch viel an karger philologisch-historischer Kleinarbeit vonnöten sein“.
Wir werden somit nicht umhin können, zu einzelnen Namen detailliert Stellung zu nehmen, und dieses umso mehr, als man in weiten Kreisen der Historiker, Geographen und z.T. auch Namenforscher davon überzeugt ist, daß der Einfluß der Franken tief in die norddeutsche Namenlandschaft eingewirkt hat. Ein Blick in die Geschichte des Problems wird das zeigen.

Forschungsgeschichte
Abgesehen von einigen Vorläufern, darunter etwa W. Arnold , K. Rübel , P. Höfer , F. Lan-genbeck und H. Weigel , darf O. Bethge als Initiator der These gelten, wonach Spuren der fränkischen Organisation in den Ortsnamen gefunden werden können. Es ist klar, daß dafür nicht nur die Namen herangezogen werden können, aber sie sind z.B. für H.-J. Nitz  ein wich-tiger Faktor: „Das Problem der fränkischen Staatskolonisation beschäftigt die verfassungsge-schichtliche Forschung seit einigen Jahrzehnten. Die Untersuchungen … stützen sich vorzugsweise auf schriftliche Quellen. Zur Aufhellung hat auch die Ortsnamenforschung We-sent-liches beigetragen“. Und zur Bedeutung von O. Bethge heißt es bei demselben Autor: „Auf die über Zufälligkeiten hinausgehende Massierung von Ortsnamen mit einer ‘schemati-schen’ Bildungsweise nach relativer Lage zu einem Mittelpunkt …, nach Lage im Gelände …, nach sonstigen Naturgegebenheiten …, aber auch nach speziellen Funktionen … hatte erstmals O. Bethge in einem vielbeachteten Aufsatz hingewiesen und ihre Gruppierung um fränkisch-königliche (fiskalische) Zentren als charakteristisch erkannt“ .
 
O. Bethges Aufsatz aus dem Jahre 1914 trägt den Titel Fränkische Siedelungen in Deutsch-land, aufgrund von Ortsnamen festgestellt . Obwohl die Kritik an diesem Versuch durchaus nicht ausblieb , ist seine These doch im wesentlichen akzeptiert worden. Zustimmung fand er unter anderem – wenn auch in unterschiedlichem Maße – bei L. Fiesel, F. Kaufmann, A. Bach, W. Flechsig, H. Kaufmann, R. Wenskus, D. Rosenthal, G. Müller, H.-J. Nitz und W. Meibey-er . Bei W. Kaspers  heißt es expressis verbis: „Daß man tatsächlich fränkische Siedlungen an ihren Namen erkennen kann, hat O. Bethge bewiesen, an ihren Namen oder besser an ei-nem gewissen Namenschema-tismus. Nordheim, Ostheim, Mülheim, Buchheim, Stockhausen u.ä. weisen in Verbindung miteinander auf Franken“. Die breite Zustimmung beruht aber, wie C. Jochum-Godglück erst vor kurzem wieder richtig betont hat , vor allem auf der freundli-chen Aufnahme durch A. Bach.
Angesichts dieser im wesentlichen positiven Aufnahme wird man sich vielleicht fragen, ob damit nicht das endgültige Urteil über ein wichtiges und interessantes Faktum gefällt worden ist. Aber es sei erneut an das oben zitierte Wort von G. Müller erinnert: bevor endgültige Klarheit erreicht worden ist, ist „noch viel an karger philologisch-historischer Kleinarbeit vonnöten“. Und es scheint, als habe man gerade im Bereich der Einzelbeurteilung der heran-gezogenen Namen durchaus nicht mit der notwendigen Kritik gearbeit.
Wenn ich also nochmals auf den mutmaßlichen fränkischen Einfluß in norddeutschen Namen (und hier ausdrücklich beschränkt auf Niedersachsen) zurückkomme, so hat dieses mehrere Gründe: 1.) Basierend auf der weiteren Bearbeitung der Gewässernamen Deutschlands  und Europas sind erste Zweifel an der nordischen Heimat des Germanischen geäußert worden . Dabei hat sich herausgestellt, daß das Germanische vor allem mit den indogermanischen Schwestersprachen im Osten, vor allem dem Baltischen, alte Kontakte besessen haben muß. Durch die Aufarbeitung der Gewässernamen Polens  wird diese Beobachtung immer wieder bestätigt. Aus diesen Beobachtungen heraus haben sich für nicht wenige und gerade die umstrittenen norddeutschen Ortsnamen neue Anknüpfung- und Deutungsmöglichkeiten ergeben. 2.) Der sich auch aus der Beobachtung der Gewässernamen ergebene Befund, daß der keltische Einfluß auf das Germanische zu hoch eingeschätzt worden ist, findet seine Bestätigung in einer Untersuchung, die versuchte, die alten Siedlungsgebiete germanischer Stämme mit Hilfe einer Untersuchung von Orts- und Gewässernamen näher zu bestimmen . 3.) Mit dieser Arbeit wurde wenigstens in Ansätzen versucht, die jahrzehntelang vernachlässigten Ortsnamen Norddeutschlands  (abgesehen von Schleswig-Holstein ) mehr in die Diskussion einzuführen als bisher geschehen. 4.) Die immer wieder auch für die Frage der fränkischen Beeinflussung niedersächsischer Ortsnamen herangezogenen -büttel-Namen wurden einer gründlichen Untersuchung unterzogen . Wir werden darauf noch zurückkom-men. 5.) Weitere Arbeiten zu niedersächsischen Ortsnamen  haben gezeigt, daß Alter, Schichtung und Streuung neu überdacht werden müssen. Sachsen-Frage  und die Beziehun-gen nach England erscheinen dabei ebenso in einem neuen Licht wie die sich in der Rattenfängersage spiegelnde mutmaßliche Auswanderung nach Mähren . 6.) Zu wenig Beachtung fand die berechtigte Kritik an der von A. Bach unterstützten Frankonisierungsthese durch H. Kuhn . 7.) Der die Theorie begründende Aufsatz von O. Bethge ist vor kurzem in der umfassenden und sehr zu begrüßenden Untersuchung von C. Jochum-Godglück  ausführlich behandelt worden („Die Überprüfung der nicht unumstrittenen gebliebenen Theorie Bethges ist das Anliegen dieser Arbeit“ ). Auch dadurch fällt z.T. neues Licht auf alte Fragen.
Es empfiehlt sich, vor Einstieg in die Einzeldiskussion der niedersächsischen Ortsnamen in kurzen Zügen die bisher fast allgemein anerkannten Merkmale fränkischen Einflusses anzu-sprechen. C. Jochum-Godglück hat dazu ausgeführt : „Während SN (Siedlungsnamen) mit patronymischen Erstglied (mit possessivischer Bedeutung) das personale Prinzip der Ortsna-mengebung repräsentieren, lassen sich die mit Appellativen komponierten Bildungen, sofern sie gehäuft auftreten, wodurch sie ja erst eigentlich schematisch werden, sprachlich sinnvoll nur als Ausdruck geplanter Ansiedlungen auf größeren Komplexen einheitlichen Grundbesit-zes erklären. Es war Oskar Bethge, der zu Beginn dieses Jahrhunderts feststellte, daß die schematischen, insbesondere die orientierten SN, auffällig häufig mit fränkischen Reichsbesit-zen korrelieren. Er nahm deshalb den Namentypus als Reflex gelenkter fränkischer Siedlung auf Fiskalland in Anspruch“. Darauf aufbauend wird fränkischer Einfluß von L. Fiesel etwa wie folgt definiert : „Demgegenüber sind die nicht mit PN, sondern nach Himmelsrichtungen, und die mit -holt, stock- und anderen sachlichen Bestimmungsworten gebildeten -husen-Namen vielleicht als fiskalische Gründungen anzusehen, wie Nordheim, Sudheim, West- und Ostheim, Stockheim, Stöcken, Dahlheim, Bergheim, Buchheim, Bekum, Steinheim, Kirchheim, Bokenem, Bokem, Boitzen“.
 
In dieser Äußerung hat sich bereits ein schwerer Fehler eingeschlichen, den O. Bethge selbst schon vorausgeahnt hat. Seine vorsichtige Mahnung ist jedoch immer weniger beachtet wor-den. Er schrieb : „Es soll nun nicht grundsätzlich behauptet werden, daß alle diese Dörfer mit den stereotypen Namen auch grundsätzlich königlich oder fiskalisch waren … Ver-fasser ist der sichern Erwartung, daß man ihm jedes Bergheim, Thalheim, Kirchheim usw. als ‘fränkische Kolonie’ zur Last legen wird, um dies dann zu bestreiten. Demgegenüber sei nochmals scharf betont: nur wo mehrere unserer Typen, also wo sie gesellig auftreten, und wo älteres Königsgut sich nachweisen läßt (8.-10. oder 11. Jahrhundert), da nimmt er sie für die fränkische Kolonisation des 6.-9. Jahrhunderts in Anspruch. Daß diese Namen auch sonst gelegentlich überall auftreten ohne diesen Zusammenhang mit der fränkischen Siedelung, bestreitet er durchaus nicht“.
Der von O. Bethge befürchtete Fehler ist nicht so aufgetreten, wie er vermutet hat: man hat keineswegs einzeln auftretende Namen des genannten Typs als Argument gegen seine These ins Feld geführt, sondern vielmehr das getan, was er für falsch hielt: vereinzelt auftretende Namen sind gerade in jüngster Zeit gern der fränkischen Kolonisation zugeschrieben worden.
Neben den hier genannten orientierten Namentypen hat A. Bach in einer weiteren Namensippe fränkischen Einfluß vermutet. Er nahm an , daß der Typus Personenname + Siedlungsna-mengrundwort, z.B. Sigmars-heim, Sigmaringheim, Sigmarshausen, auf fränkischen Einfluß zurückgehe, während ältere vorfränkisch-gemeingermanische Bildungen aus Personengrup-pennamen auf  ing/ ung (etwas Sigmaringen) und oft aus einstämmig gebildeten, auf Gelände, Fauna und Flora bezogene Stellenbezeichnungen bestünden. A. Bach beruft sich dabei vor allem auf das Fehlen entsprechender Typen in der antiken Überlieferung. Wörtlich heißt es bei ihm : „Daß der Siegeslauf der genannten beiden Namentypen (die wir im Folgenden zusammenfassend als ‘Personenname + Siedlungsnamen-Grundwort’ bezeichnen) der fränk. Epoche angehört, kann kaum bezweifelt werden“.
Anders als im Fall der Theorie von O. Bethge ist diese These aber auf mehr Widerstand ge-stoßen. So hat sich bereits H. Kuhn  dagegen ausgesprochen. G. Müller hat zusätzlich darauf verwiesen , daß in diesem Fall ein Drittel der westfälischen Ortsnamen fränkischen Ursprungs seien. In Niedersachsen läge der Prozentsatz ganz ähnlich. Daß dieses nicht zutreffen kann, liegt auf der Hand. Aber auf einzelnen Typen werden wir dennoch zurückkommen müssen.

Kritik der für fränkisch gehaltenen Ortsnamen Niedersachsens

Aus sprachlicher Sicht müßte es leicht sein, fränkisch beeinfußte oder aus fränkischem Dia-lekten entstandene Ortsnamen in Niedersachsen, in dem fast in seiner Gesamtheit ursprünglich altniederdeutsche (altsächsische) Mundarten gesprochen wurden , zu ermitteln. Die Differen-zen zwischen dem Althochdeutschen des Fränkischen und dem Altniederdeutschen in Nieder-sachsen hatten sich längst herausgebildet. Dazu gehören etwa: vollzogene bzw. unterbliebene hochdeutsche Lautverschiebung (offan : opan; mahho½         n    : mako½        n, ih : ik; ziohan : tiohan; thor(p)f : thorp; sibun : sivun), unterschiedliche Vokalentwicklung (-uo- : -o½                              -; -ei- : -ë-;  ou  :  o½         -, fehlende nordseegermanische Züge im Hochdeutschen, Unterschiede im Wortschatz und anderes mehr.
Wir werden aber bei der Einzeldiskussion der Namen sehen, daß die genannten lautlichen Erscheinungen, die eine einwandfreie Zuordnung zu Altniederdeutsch bzw. Althochdeutsch erlauben, bei der Zuweisung zu mutmaßlichen fränkischen Ortsnamen Niedersachsens fast keine Rolle gespielt haben. Vielmehr geht es – abgesehen von den orientierten Namentypen – vor allem um mutmaßlich fränkische oder altsächsische Personennamen. Als wesentlich und bedeutsam ist in diesem Zusammen-hang die Annahme, daß die Bildung eines stark flektie-renden Personennamens + -husen um 800 produktiv gewesen sei . Wir werden noch sehen, daß der norddeutsche Namenbestand Hinweise darauf enthält, die für wesentlich höheres Alter der in den Ortsnamen begegnenden Personennamen sprechen.
Ein weiterer, sehr bedenklicher Punkt liegt in der vielfach vertretenen – wenn auch nicht im-mer deutlich gesagten – Annahme, wonach die Entstehung der mit Personennamen gebildeten niedersächsischen Ortsnamen nur knapp vor die Zeit der Ersterwähnung gesetzt wird. Dafür etwa ein Zitat zu den -heim-/-hem-Namen: „Die Vorkommen im Regierungsbezirk Stade werden im 10. und 11. Jahrhundert erwähnt; ihre Entstehung ist auch kaum frü-her anzusetzen“ . Nur am Rande sei dazu bemerkt, daß damit die fast generell akzeptierte These einer sächsischen Zuwanderung aus dem südwestlichen Schleswig-Holstein  nicht in Einklang zu bringen wäre. Hinzu kommt, daß der Nachweis verwandter Namentypen in Eng-land ebenfalls gegen eine zu junge Datierung spricht. Wir stehen somit vor der Aufgabe, die bisher für fränkisch gehaltenen niedersächsischen Ortsnamen zu prüfen und die Stichhaltigkeit der Argumentation kritisch zu bewerten. Dabei sollen Namentypen wie -dorf,  stedt, -leben, -borstel usw. zusammenfassend behandelt werden.

1. Bodenburg

Die alten Belege für den Ort im Kr. Hildesheim schwanken kaum: 1142 (A. 13. Jh.) Meinfri-dus comes de Bodenburg, 1143 Heinricus de Bodenburch, 1146 de Bodenburch, comes de Bodeburch . Für D. Rosenthal  liegt ein fränkischer Name vor: „Im ersten Element der frän-kische Personenname Bo½ do. Fränkische Anlage, wahrscheinlich an der Stelle einer älteren sächsischen Siedlung“. Aus sprachlicher Sicht ist die Verbindung mit einem fränkischen Per-sonennamen unbewiesen. W. Schlaug  hat unter den altsächsischen Personennamen zwei Dutzend Namen unter Bôdo aufgelistet. Was soll da für fränkische Herkunft des Personenna-mens sprechen?

2. Ortsnamen mit dem Grundwort -borstel

Am Anfang der Untersuchung der Ortsnamen mit dem Grundwort -bo(r)stel < -burstal steht der Name von L. Fiesel. In dessen erstem kurzen Beitrag  spricht er noch eher allgemein von einem jungen Ortsnamentyp, allerdings schimmert auch schon hier Fränkisches durch: „Diese Namenbildung macht keinen altsächsi-schen, vorkarolingischen Eindruck; weder bûr noch stal, stel sind in altsächsischen Literatur-werken, soweit ich sehe, heimisch. Sie sind in fränkischem und oberdeutschen Sprachgebrauch dagegen heimischer. Das Ergebnis … über die -borstel-Namen möchte ich vorläufig folgendermaßen formulieren: Wir haben es mit Gründungen der Zeit nach der Un-terwerfung der Sachsen auf ‘engrischem’ Gebiet und seinen Ausstrahlungsgebieten zu tun“ . Die vorsichtige Formulierung zeigt, daß sich Fiesel noch keineswegs sicher war. Und so wird in seinem zweiten Beitrag zu den -borstel-Namen  der mögliche Einfluß von Franken mit keiner Silbe erwähnt. In seiner letzten Äußerung zu diesem Namentyp findet sich allerdings eine deutliche Kehrtwendung: „Auch bei den etwa 100 ON mit dem GW -borstel, Bedeutung ‘Hausstelle’ .. finden sich Hinweise auf fränkische Gründung“ . Erwähnt werden in diesem Zusammenhang selbst Ortsnamen aus den Kreisen Celle, Rotenburg/Wümme und Uelzen.
Ausführlich hat sich später H. Franke mit diesem Namentyp befaßt . In der Frage der Entste-hung des Wortes -borstel hat er sich L. Fiesel angeschlossen: „Fest steht, daß -borstel eine eigentliche Zusammensetzung aus mnd. bûr st.n. ‘Wohung, Ansiedlung, Gemeinde’ und stal st.m. ‘Ort, Stelle, Platz’ ist. Diese beiden Wörter, die im Altsächsischen nicht heimisch sind, wurden wohl von den Franken in den niederdeutschen Raum getragen“ . Zuletzt habe ich mich selbst  (allerdings ohne auf die fränkische Frage einzugehen) mit dem Namentyp be-schäftigt.
Einig ist man sich darin, daß es sich bei den -borstel-Orten um relativ junge Siedlungen han-delt. Zu prüfen ist, ob das Fehlen von bûr und stal im Wortbestand des Altsächsischen als Argument für hochdeutsche oder fränkische Bildung in Anspruch genommen werden kann.
Für altsächsisches Vorkommen von bûr sprechen verschiedene Argumente: a.) der häufige Nachweis in norddeutschen Ortsnamen (z.B. als Büren) bei E. Förstemann ; b.) das Auftreten in norddeutschen Flurnamen ; c.) mnd. bûrmâl, bûrsprake „Versammlung der Gemeinde, Bauerschaft, Dorfgericht“ ; d.) der Nachweis in altenglischen Ortsnamen . Auch stal ist zweifellos im Altsächsischen bekannt gewesen. An-gesichts der mittelniederdeutschen Wörter stal „Stall“, stal-broder „Genosse, Kamerad“, stal-hêre „Stallherr, Ratsherr“, stal-junge „Stalljunge“, stal(le)knecht „Stallknecht“, stallen „in den Stall bringen; sich einquartieren“, stallen vor „belagern“, stallinge „Stallung, Stall“, stalman „Stallknecht“, stal-mëster „Stallmeister“ u.a.  sehe ich keine Veranlassung, das Grundwort von bur-stal- als aus dem Fränkischen importiert zu betrachten. Das völlige Fehlen entspre-chender Ortsnamen in Hessen (von südlicheren Gebieten ganz zu schweigen) spricht ebenfalls dagegen. Der burstal-/borstel-Typus ist mit Sicherheit unabhängig von fränkischem Einfluß entstanden.
Nachtrag:  (Derks, Moswidi S. 34, Anm. 382)

3. Brühl
(Nachtrag: beachte Handout von R.M. Kully, Brühl; dem Franken-Artikel beigeheftet)
Die Diskussion um das häufig in Orts- und Flurnamen auftretenden Wort Brühl berührt H.-J. Nitz mit seiner Bemerkung: „Hier muß man bei der fränkischen Herkunft der Institution der Bischofskirche und der fränkischen Herkunft der Institution der Bischofskirche und der von Aachen aus erfolgten Gründung an eine Übertragung des fränkischen Begriffs Brühl denken, wie überhaupt der Brühl in Sachsen und Nordhessen ein solcher ‘Import’ aus dem fränkischen Raum sein muß“ .
Man ist sich ziemlich einig, daß das Wort über das Mittellateinische aus dem Keltischen ent-lehnt worden ist: „Der Brühl < gall.-lat. bro(g)ilus ‘eingehegtes Gehölz’ …, ahd. broil, bruil, mhd. brüel ‘Aue’, frühnhd. bryel u.ä. ‘fette, auch mit Buschwerk bestandene Wiese’. Ndl. breugel, bruil, briel …“ , „Altall. *brogilus ‘eingehegtes Gehölz’ = mlat. bro(g)ilus > ahd. broil, bruil, mhd. brüel“ , „Brühl ‘feuchte Wiese’ … , mhd., ahd. brüel, entlehnt aus ml. bro(g)ilus, das gall. *brogilos voraussetzt. Dieses zu (ig.) *mrog-, das als Erbwort in Brackwasser und Bruch auftritt. Das Wort ist häufiges Element in Ortsna-men“ .
Dabei ist aber ein bedeutsamer Gegensatz zu beachten: nach R. Schützeichel  haben die deut-schen Appellativa Brühl „feuchte Wiese, feuchter Platz“, frühnhd. bryel „fette, auch mit Buschwerk bestandene Wiese“, mhd. brüel „bewässerte, buschige Wiese“, ahd. bruil, broil „Aue“, mnl. prayel „Rasenfläche“ als wichtige Komponente den Bezug zum Wasser, während die romanischen Belege auf „Umzäuntes, Eingehegtes“ weisen: italien. broglio „Küchengar-ten“, rätoroman. brögl „Einfang, Baumgarten“, prov. bruelh, frz. breuil „eingehegtes Ge-büsch“. Den gleichen Bedeutungskern haben keltische Wörter: gall. brogae „Acker“, bret. bro „Bezirk“, air. mruig, bruig „Landstrich“. Die Formen führen auf gall. *brogilo zurück, das im Mittellateinischen seit dem 8. Jh. als bro(g)ilus erscheint . Etwas unklarer heißt es bei H. Dittmaier : „Die Grundbedeutung des Namenwortes ist nicht das Feuchte, Sumpfige, wie in den heutigen Wörterbüchern angegeben, sondern das Umzäunte, Gehegte“.
Vergleicht man mit diesem Befund die weite Verbreitung im mittelniederdeutschen und neu-niederdeutschen Wortschatz, in den norddeutschen Flurnamen  und sogar im Namenbestand der ostdeutschen Kolonisationsgebiete, so muß es sich bei brül, bröil – gleichgültig, ob aus dem Keltischen entlehnt oder nicht – um ein im Altniederdeutschen weit verbreitetes Wort gehandelt haben (wofür auch Ortsnamen mit ihrer älteren Überlieferung sprechen). Man ver-gleiche  mnd. br?l, bröil m. „Brühl, feuchte Niederung, Buschwerk in sumpfiger Gegend“, nnd. Brühl, Bräul, Braul „niedriges, vereinzeltes Gebüsch“ , Flurnamen bei
 
Hannover  Magdeburg , Celle , in der Ueckermünder Heide , bei Rochlitz , im Thürin-gerwald , bei Grimma und Wurzen  und anderswo.
Beachtenswert ist eine Passage bei J. Göschel , der Brühl als Flurname mehrfach belegt und dann notiert: „Ursprünglich ist mit Brühl eine mit Buschwerk bestandene, tiefer gelegene nasse Sumpfwiese bezeichnet worden. Später werden nach V. Ernst … mit Brühl vor allem im dt. Südwesten die Wiesen des grundherrlichen Salhofs bezeichnet. Diese Wiesen lagen dicht beim Hofe oder Dorf im Gegensatz zur Breite, die das grundherrliche Ackerland benannte. Im UG ist das nicht nachzuweisen. – Die Realprobe bestätigte im UG die alte Bedeutung ‘sumpfi-ge, nasse Stelle’ bei allen Belegen.“
Ortsnamen bestätigen die frühe Produktivität des Wortes: R. Möller  verzeichnet den ON. Brauel, Kr. Bremervörde, 1189 in Brovle, ebenso den Wüstungsnamen Broil sö. Lamspringe, 1153 Broil sowie Broil, Name einer Wiese bei Gertrudenberg nahe Osnabrück, 1189 Broil. Aus Westfalen bucht H. Jellinghaus  etliche Orts- und Flurnamen; eine gründliche Auflistung zahlreicher hessischer Flurnamen verdanken wir H. Ramge und seinen Mit-arbeitern . Auch in den Niederlanden und Belgien findet man es in Flurnamen.
Schon W. Arnold  hat auf Entsprechungen in England verwiesen. Neuere Arbeiten sehen darin Reflexe von altfranz. broile „a park, an enclosed park for deer or other game“, so auch in den Ortsnamen Brail (Wiltshire), Broil (Northamptonshire), Broyle (Sussex) . Es muß aber ernsthaft gefragt werden, ob diese südenglischen Belege nicht eher mit den flämischen, niederlän-dischen und norddeutschen Entsprechungen zu verbinden sind . Daraus folgt – ebenso wie aus den zahlreichen Belegen in süddeutschen und westdeutschen Ortsnamen -, daß das Wort frühzeitig zur Namengebung diente und fränkischer Einfluß nicht angenommen werden muß.
Hinzu kommt ein Problem der ursprünglichen Bedeutung von Brühl, das die gesamte Diskus-sion durchzieht und bis heute nicht sicher geklärt werden konnte: „Das Schwierige … ist ihre Mehrdeutigkeit, die so stark auseinanderfällt, daß man meinen könnte, man habe es jeweils der Herkunft nach mit ganz verschiedenen, zufällig gleichlautenden Wörtern zu tun“ . Be-trachtet man sich unter diesem Gesichtspunkt Flurnamen aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen, so wird man immer wieder erkennen können, daß die Namen auf sumpfige, feuchte Wiesen und Niederungen Bezug nehmen. Eine Beziehung zu einem Herrenhof o.ä. ist nicht zu erkennen.

4. -büttel

Die These, daß die ca. 220 Ortsnamen auf -büttel in ihren Personennamen deutliche Hinweise auf fränkische Herkunft enthielten, geht wiederum auf L. Fiesel zurück. Unter Nennung von Personennamen wie Aldag, Bado, Davo, Duda, Egilhard, Eggo, Gripho/Grippo, Hermin, Hager, Meginrich, Odbreht, Radulf, Sini, Volcward, Werimr, Wyric hat er gemeint: „Alle diese PN sind fränkisch. Sie kommen bei den genannten Altsachsen nicht vor und weisen darauf hin, daß die genannten Orte als Gründungen von Franken im nördlichen Teil des Nordwaldes frühestens seit dem späten 8. Jh. anzusehen sind, wahrscheinlich etwas später“ . Die Streuung der angeblichen fränkisch beeinflußten -büttel-Namen reicht nach L. Fiesel bis in die Kreise Verden, Osterholz, Cuxhaven, Winsen/Luhe und Uelzen, also bis kurz vor Ham-burg, hinein. Damit verbunden wird die Etymologie: „Das Grundwort -büttel ist auf german. by-dlo zurückzuführen; als Bedeutung ist ‘Grundbesitz’, ‘Herrenhof’ zu erschließen“ .
Nichts davon läßt sich halten. Im Lichte neuerer Untersuchungen  erscheint -büttel als Orts-namenelement, das in seinen Anfängen weit vor die fränkische Eroberung Sachsens gesetzt werden muß. Das zeigt sich auch daran, daß zur Zeit der deutschen Ostsiedlung (auch in deren frühester Phase) -büttel nicht mehr als Ortsnamengrundwort Verwendung fand. Hinzu kommt der Nachweis durch K. Casemir, die zeigen konnte, daß die mutmaßlichen fränkischen Perso-nennamen der  büttel-Namen samt und sonders auch im Altsächsischen bezeugt sind. Zwi-schen fränkischem Einfluß und Entstehung der -büttel-Namen gibt es keinen Zusammenhang.

5.  dorf/-thorp

Der These von O. Bethge folgend (zu einer zusammenfassenden Wertung s. unten), werden aus Himmelsrichtungsbezeichnungen und dem Grundwort -dorf zusammengesetzte Ortsna-men, vor allem wenn sie in Kombination zueinander und eventuell noch zu Namen wie Mül-heim, Buchheim, Stockhausen u.ä. liegen, als Indikatoren für von fränkischen Organisatoren geplanten Siedlungen betrachtet. Aus Niedersachsen sind mir drei Komplexe bekannt gewor-den.
a.) Astrup/Westrup/Nortrup/Suttrup (u.a.): K. Brandt hat in Untersuchungen zu Orten in den Dammer Bergen  Orte, in denen Vierecke den ältesten Siedlungskern bilden, behandelt. Er fand diesen Ortstyp auch unter den orientierten Ortsnamen und zwar in: Astrup und Westrup (Gem. Neuenkirchen, Kr. Vechta); Astrup und Westrup (Gem. Bersenbrück), nordwestl. da-von noch Stockum; Nortrup und Suttrup (Artland), benachbart Sussum (Gem. Bersenbrück).
K. Brandt schreibt dazu : „Ohne auf diesen Ortsnamentyp näher einzugehen, genügt es, hier festzustellen, daß mehrere Orte, deren ältester Kern von einem Viereck gebildet wird, Orts-namen tragen, die auf Planung bei der Namengebung hindeuten. Dagegen fehlen solche Na-men bei den Siedlungen, in denen sich regelmäßig Vierecke finden. Mit entsprechendem Vorbehalt ist die Annahme erlaubt, daß die orientierten Ortsnamen aus einer Entstehungszeit der Siedlungen stammen und damit für eine Planung bei der Anlage der Siedlung, d.h. der Vierecke, sprechen …“.
 
Im Schlußwort dieses Kapitels heißt es weiter : „Zwar ist es fraglich, ob auch für Nordwest-deutschland die Verbindung ‘orientierter’ Ortsnamen mit Königsgut gilt … Aber jedenfalls besteht bei den Namen Westrup, Astrup und Stockum die Vermutung, daß sie von jemandem gegeben wurden, dessen Macht und Einfluß über den Bereich einer einzelnen Siedlung hi-nausging“.
H.-J. Nitz übernahm die Vermutung : „K. Brandt stieß im Rahmen seiner siedlungsgeneti-schen Analysen auf der südoldenburgischen Geest auf lagemäßig an frühmittelalterlichen Fernstraßen orientierte Einzelhöfe … Die regelhafte Anordnung … und ihre siedlungsformale Regelmäßigkeit … finden ihre Entsprechung in einer häufigen Verwendung orientierter Orts-namen wie Westrup und Ostrup, wobei hier -trup = -dorp sowohl eine kleine Gruppensiedlung als auch einen Einzelhof bezeichnen kann. Dies alles und schließlich die Besitzmassierung der Osnabrücker Bischofskirche in diesem Raum und speziell in diesen Siedlungen führen Brandt zu der vorsichtig formulierten Hypothese, daß hier der Besitzvorgänger des Bischofs, nämlich der fränkische König bzw. dessen Verwaltung, für die strategische straßenorientierte Planung dieser Kette von Einzelhofsiedlungen namhaft zu machen sei“.
Bevor hierzu eine Wertung abgegeben werden soll, sei der nächste Komplex vorgeführt: es geht um die Orte Astrup, Vestrup, Bergstrup und Holtrup bei Vechta. Die für unser Thema bedeutsamen Passagen einer Untersuchung von W. Sieverding  hat H.-J. Nitz wie folgt zu-sammengefaßt: „In der Interpretation Sieverdings … sind diese Hofnamen im Rahmen grund-herrschaftlicher Maßnahmen nach der fränkischen Eroberung entstanden und in Villikationen organisiert worden … Allerdings glaubt er im Anschluß an den Namenforscher William Foerste von einem altsächsischen Ursprung der -dorp-Namen ausgehen zu müssen … So deu-tet Sieverding vorhandene Höfe außerhalb der Reihe bzw.ohne Beteiligung an der Breitstrei-fenflur als altsächsische Einzelhöfe des 5./6. Jahrhunderts, die im Zuge der altsächsischen Westexpansion angelegt worden seien, die er sich als zentral und militärisch gelenkt vorstellt. Da sich unter diesen -trup-Namen aber die gleiche Häufung schematischer Namenbildung wie z.B. Astrup-Westrup, Bergtrup und Holtrup findet, die schon Brandt konstatierte, könnte man ebenso dessen These folgen und die Gründung der Gruppensiedlungen, ohne die Hilfskon-struktion einer vorhergehenden zunächst isolierten Einzelhofsiedlung, samt ihrer Namengebung mit der karo-lingischen Kolonisation in Verbindung bringen, die nun ja nachweislich einen zunächst militä-risch-okkupatorischen Charakter hat“ .
Prüft man die vorgebrachten Argumente kritisch, so kann bei dem letzten Komplex begonnen werden. Unter Bezug auf die sprachwissenschaftliche Argumentation von W. Foerste  heißt es bei W. Sieverding eindeutig: bei dem Wort thorp handelt es sich „um ein ausgesprochen westsächsisches Ortsnamen-Element …, das in der kontinentalen Heimat der Sachsen zur Zeit der Abwanderung nach Britannien im 5. Jahrhundert n. Chr. schon als Ortsnamen-Wort ge-bäuchlich war“ . Eine Namengebung im 8. oder 9. Jahrhundert kommt allein aus diesem Grund (es gibt aus sprachlicher Sicht noch weitere , die auch bei den anderen Namengruppen noch zur Sprache kommen werden) nicht in Betracht.
Zur These, bei der Entstehung der Namen Astrup und Westrup (Gem. Neuenkirchen, Kr. Vechta) bzw. Astrup und Westrup (Gem. Bersenbrück) hätte Fränkisches Einfluß genommen, kann aus sprachhistorischer Sicht nur ablehnend Stellung genommen werden. Viel zu wenig beachtet wird nämlich, daß die beiden Namen in sich Lautveränderungen enthalten, die nur in den niederdeutschen Mundarten des westlichen Niedersachsen bzw. Westfalens begegnen können: zum einen betrifft dieses die Metathese dorp : drop, drup, trup in Verbindung mit der Tatsache, daß die Namen nicht hochdeutsches -pf-, -f-, sondern niederdeutsches p enthalten , zum andern ist bei Astrup zu beachten, daß das zugrunde liegende westgermanische * au- sich vor -s- nicht wie im Alt-hochdeutschen zu -?- entwickelt hat (heute hdt. Ostdorf, Osten), sondern durch das A- (Astrup) auf eindeutig altsächsischen Lautstand weist. Man vergleiche dazu die Belege bei H. Gallée , den Beitrag von D. Freydank  und zur Illustration einige alte Belege des ON. Osnabrück: 8. Jh. Osna-brucg(ensis), 9. Jh. Osnaburgensis, Osnabrukgensi, 1003 Asenbrungensis, 1005 Asanbrunensis, 1025 Asnabrug(g)ensi . Dieses Kriterium ist auch an den ON. Astrup bei Belm nordöstl. Osnabrück anzulegen, 1090 (K. 18. Jh.) et Asthorpa … fuerat Asthorpa, für den planmäßige fränkische Anlage erwogen wurde .

Ein Blick auf die Karte zeigt, wie im Fall von Astrup und Westrup die Namengebung nach „Osten“ und „West“ zu verstehen ist (vgl. Karte 1): der Bezugsort ist Vörden (ein Furt-Name), die nördlich davon liegenden Orte Astrup und Westrup stehen mit Vörden durch eine getrennt verlaufende Wegeführung in Verbindung; zwischen den beiden Orten liegen Erhe-bungen, die trennen und eine Benennung als „westliche“ bzw. „östliche“ Siedlung beeinflußt haben dürften.
Ebenso starke Einwände gegen fränkischen Einfluß müssen aus sprachlicher Sicht im Fall von Nortrup und Suttrup (Artland) erhoben werden. Das in diesem Zusammenhang genannte Sus-sum (Gem. Bersenbrück) liegt fast 10 km entfernt (dazwischen befindet sich der Ort Ketten-kamp) und gehört als Suter-hem in einen anderen Zusammenhang (vgl. Punkt 22). Nortrup, 1169 (A. 14. Jh.) Norttorpe, 1172 Northorpe(n), ca. 1240 Norttorpe , und Suttrup, Ende 12. Jh. (A. 16. Jh.) Suttorpe, 1271 (A. 14. Jh.) Suttorpe, 1330 Suttorpe , sind wohl in ihrer Na-menentstehung aufeinander bezogen, aber gerade dann muß dieses unabhängig von fränki-schem Einfluß geschehen sein. Entscheidend ist dabei Suttrup, denn dieser Name enthält im Vorderglied asä. sud „Süden“. Auf die Einzelheiten dieser sprachlich wichtigen Erscheinung, die das Altsächsische mit dem Altfriesischen und Altenglischen verbindet, werde ich bei der Diskussion der ensprechenden -heim-Namen (Sudheim, Sutterem, Sottrum usw.) zusammen-fassend eingehen (vgl. Punkt 22).
Aber fränkischer Einfluß bei der Entstehung der -dorf-Namen Niedersachsens wurde nicht nur im Osnabrücker Raum vermutet, sondern auch im Leinegebiet. Unter Bezug auf den Typus Oldendorp hat sich dazu vor allem D. Denecke  geäußert. Er baut dabei in hohem Maße auf die Arbeit von I. Burmester , die in durchaus verdienstvoller Weise dieses Grundwort aus sprachlicher Sicht behandelt hat. Ihr sind jedoch bei der Beurteilung des Alters der  dorp/ dorf-Namen etliche Fehler unterlaufen . Eine von ihr angefertigte Karte der „Aus-breitung der christlichen thorp-Siedlung“ (vgl. Karte 2) gibt die Ergebnisse im wesentlichen wieder. Nachdrücklich ist jedoch auf die Kritik von H. Walther an der auch von I. Burmester vertretenen Meinung hinzuweisen, „das Auftreten der  thorp-Namen falle überall mit der Machtausweitung der Merowinger und mit dem Gang der christlichen Mission zusammen“ . Insofern ist die Kartenüberschrift zu korrigieren. Zusammenfassend gesagt: angesichts ver-schiedener sprachlicher Erscheinungen, die zweifelsfrei bis in die altsächsische Zeit und z.T. noch darüber hinaus datiert werden können, haben die -dorp-Namen in Norddeutschland mit Sicherheit bereits vor dem Eindringen der Franken bestanden.

Ein Letztes zu den -dorf-/-dorp-Namen: der Blick nach England bestätigt, daß dieser Namen-typus in Verbindung mit Himmelsrichtungen völlig unabhängig von fränkischem Einfluß immer wieder geschaffen werden konnte: „The loca-tion of a þorp in relation to a larger place is often indicated by the addition of ëast, west, etc., as in Easthorpe YN, Northorpe, Southorpe YE, etc.“ , und an anderer Stelle: „A word deno-ting position relative to another place, as Aisthorpe L, Easthorpe Ess, Nt, YE (ëast) … Northorpe L, YE (norð), Owsthorpe YE (austr), Southorpe L, Nth, YE (sûð), Westhorpe Nt, Sf (west)“ .
b.) Grasdorf: In den Kreisen Hannover und Hildesheim liegen die beiden Orte Grasdorf, die mit dt. Gras nichts zu tun haben, sondern aufgrund ihrer alten Belege 1153/78 Gravestorpe, 1285 in Gravestorpe bzw. 1131 in Gravestorp, (1154) in Gravesthorp, 1157 in Gravestorp  offenbar auf eine Grundform Graves-thorp zurückgehen. Ebenso ist der ON. Grastrup bei Schötmar, 1316 in Gravestorp , zu analysieren.
Was verbirgt sich hinter dem Bestimmungswort Grav(es)-? Bei D. Rosenthal heißt es : „Im ersten Element die fränkische Bezeichnung ‘Graf’“ und weiter: „Lage und Boden weniger günstig, was zusammen mit dem Bestimmungswort auf Entstehung nach 800 deutet“. Die Annahme fränkischen Einflusses scheint berechtigt, denn während dt. Graf im Hochdeutschen vor allem mit -a-Vokalismus belegt ist (mhd. grâve, ahd. grâvo), begegnen im Niederdeut-schen vornehmlich -e-Formen: mnd. greve „Graf, Vorsteher“, dinkgreve, dîkgreve, holtgreve, spelgreve . Aber die Deutung ist verfehlt. Unser Wort flektiert schwach, nicht stark, das gilt sowohl für das Althochdeutsche wie das Mittelniederdeutsche: es müßte *Gravendorp heißen.
Da auch dt. Graben nicht vorliegen kann und ein Grab(es)-dorf (zu dt. Grab?) kaum einen Sinn ergibt, muß man nach einer anderen Lösung suchen. Man findet sie in einem ganz ande-ren Zusammenhang. Zu einer indogermanischen Wurzel *ghr?u- : *ghr?u : *ghr?- gehört kelt. *grava „Kies“, z.B. in kymr. gro, akorn. grou „Sand“. Die Wurzel ist auch im Germani-schen bekannt, hier mit einer -n-Erweiterung *ghr?uno- in aisl. grj?n „Grütze“ (*geschrotetes Korn), mhd. grien „Kiessand, sandiges Ufer“, nd. gr?n „Sandkorn“ (dazu der ON. Greene). Daraus darf gefolgert werden, daß auch den germanischen Sprachen ein Ansatz *ghr?u  bekannt gewesen ist; er müßte entsprechend dem Verhältnis nhd. blau : asä. blâw im Altnieder-deutschen als *graw- erscheinen.
Hier können die Grasdorf-Orte angeschlossen werden, wenn auch letzte Sicherheit noch nicht gewonnen werden kann. Einen Hinweis auf die Richtigkeit der Verbindung scheint der Wüs-tungsname Grafhorn bei Immensen östlich von Hannover mit Scherbenfunden des 9. und 10. Jahrhunderts zu geben. Der 1666 in der Form Graffhorn erwähnte Name bezieht sich nämlich auf ein Gelände, in dem „eine Sandanwehung zungenartig in ein feuchtes Gebiet hinein-ragt“ . Mit fränkischen Grafen haben die Namen jedenfalls nichts zu tun.c. Hattorf: „Hattorf führt mit dem Bestimmungswort in die älteste germanische Rechtsge-schichte. huota, huot, hode, hude ist die ‘Schutzgemeinschaft mit gewissen Rechten und Pflichten’. Hattorf ist also das Dorf einer bestimmten fränkischen Rechtsgenossenschaft“ erwog H. Wesche  für Hattorf bei Wolfsburg. Seine Meinung wurde u.a. von D. Denecke  aufgegriffen.
So schwierig der ON. Hattorf auch sein mag, eine Verbindung mit dem von H. Wesche he-rangezogenen Terminus bleibt mit Sicherheit fern. Das lehren schon die alten Belege für Hat-torf am Harz, 952 (F. 13. Jh.) partem ville Hattorpp, 13. Jh. Hattorph, Hattorp, in Hattorpe . Aber auch Hattorf bei Wolfsburg besitzt ähnliche Zeugnisse: 1196-1197 in Hat-torp , 1294 Hattorpe . Hinzuzusetzen ist wohl auch Hattrop bei Soest trotz der etwas schwankenden Belege 1186 Hattorp, 1276 Hottorpe, 1284 Hettorpe . H. Wesches Deutung überzeugt in keiner Weise, vgl. Förstemann  s.v. hud2: ahd. huota, mhd. huot, mnd. hode, hude „die Aufsicht, Wache, Distrikt eines Waldaufsehers“, bezeugt in Ortsnamen wie Hoden-burg, Mansfelder Gebirgskreis, 937 Hudeburgi; 1083 Hutghest in den Niederlanden; Hitdorf bei Solingen, ca. 1151 Huttorp. Dazu paßt kein Hat-. Eine eigene Deutung der Hattorp-Namen soll hier nicht vorgelegt werden. Es geht hier nur darum, die verfehlte Verbindung mit ahd. huota „Wache“ usw. aufzuzeigen. Die genannten Wörter verlangen  ? , das im Niederdeutschen unverändert geblieben wäre.

6. Drebber.

In den hochdeutschen Ortsnamen Trebur, Tribur, Trebra, alt Triburi, Driburia, Driburi, und den niederdeutschen Drebber bei Diepholz, alt Thriburi, Triburi, Drever bei Salzkotten, Dre-wer bei Rüthen, alt Triburi, sieht O. Bethge  fränkischen Einfluß: „Die Orte wie ihre Namen sind der Niederschlag der fränkischen Kolonisation; die Namengebung ist auf amtlichen oder traditionellen Einfluß oder besser auf beide zurückzuführen“.
Eine Etymologie hat O. Bethge nicht vorgetragen, aber es ist klar, was gemeint und bis heute Allgemeingut ist: seit E. Förstemann  sieht man im ersten Teil der Namen germ. thri „drei“; zum zweiten Teil der Namen äußert sich Förstemann nicht, aber offenbar ist an b?r „Haus“ gedacht. H. Walther  stellt Trebra ähnlich zu ahd. drî „drei“ und b?ri „Behausung“.
Diese so sicher scheinende Etymologie ist äußerst fraglich und bei einigen Namen mit Sicher-heit falsch, so gewiß bei den niederdeutschen Drewer, Drever, Drebber. Wir können das am Fall von Stöckendrebber und Norddrebber (nördl. Hannover) erkenen: die alten Belege zeigen hochdeutschen Einfluß (1029 in Dribura, 1033 in villis Tribur), mit Eintritt der heimischen Überlieferung ändert sich das Bild schlagartig: 1213 in treuere, 1215 in threueren, 1251 in northtreuere et in suttreuera, 1281 in Dreuere . Damit wird auch sofort klar, daß die hoch-deutschen Formen Umdeutungen einer volkstümlichen, niederdeutschen Grundlage sind, und die beiden Wörter tri und b?r in die Namen hineininterpretiert wurden. Auch der spätere Zusatz north und sut hat nichts mit fränkischem Einfluß zu tun, sondern bezieht sich auf die von Süden nach Norden fließende Leine und deren Tal. Und auch die Ortsnamen selbst beziehen sich auf das Leinetal: zugrunde liegt wie bei Drebber an der Hunte (auf beiden Seiten des Flusses als Jacobidrebber bzw. Mariendrebber erwähnt), Trebur am Schwarzbach, Trebra (Kyffhäuserkreis) und Trebra (Kr. Nordhausen) an einem Bach eine altertümliche -r-Ableitung  zu idg. *dher?bh- : dhr?bh : dhr?bh-, zu der aus den germanischen Sprachen gehören: ahd. trebir, nhd. Treber „Rückstand beim Keltern“, mnd. drever, Plural zu mnd., mnl. draf, vgl. anord. draf „Abfall“, norw. drevja „weiche Masse“, geminiert nl. drabbe „Berme, Bodensatz“, ndd. drabbe „Schlamm“, schwed. dr?v „Bodensatz“ (*dhr?bho) Im Ablaut gehört dazu ahd. truobi, dt. „trübe“.
Die Ortsnamen verdanken ihre Benennung ganz offensichtlich ihrer Lage am Rand von Über-schwemmungsgebieten, dort, wo Schlamm und Bodensatz als Rückstand nach höherem Was-serstand zurückbleiben. In gewissem Sinn ist dieses Beispiel sehr lehrreich: es zeigt, wie groß die Diskrepanz sein kann zwischen dem, was man in Ortsnamen sehen möchte, und dem, worauf diese in Wirklichkeit Bezug nehmen: auf ihre geographische Lage.

7. -feld

Der auch heute nicht selten anzutreffende Glaube, Ortsnamen mit dem Grundwort -feld wür-den auf fränkische Plansiedlung, verbunden mit königlichem Besitz, weisen, geht letztlich auf P. Höfer zurück . Erst jüngst hat H.-J. Nitz  bei der Behandlung dieses Themas diesen Beitrag positiv erwähnt. Aus dem Harzer Raum sind in diesem Zusammenhang z.B. Bodfeld, Ilfeld, Siptenfeld, Selkenfeld, Hasselfeld, Ichtenfeld, Saalfeld erwähnt worden. Es handele sich um „königliche Forsthöfe“ hat dezidiert W. Flechsig  bei einer ansonsten guten Zusammen-stellung entsprechenden Namen  geäußert.
Das hohe Alter der -feld-Namen läßt sich gut an dem ON. Ilfeld bei Nordhausen demonstrie-ren: für diesen läßt sich zusammen mit der-ithi-Bildung Ilde bei Bockenem (1065 Illidi) und Ilten bei Hannover (< Il-tun) nur im östlichen Europa ein sicherer Anschluß finden: in ukrain. il „Schlamm, Letten, Ton, Lehm“, weißruss. il „dünner Schmutz organischer Herkunft im Wasser, auf dem Boden eines Wasserloches, sumpfiges, graues oder weißfarbiges Land“, russ. il „Schlamm“, ein alter -u-
 
Stamm, vielleicht verwandt mit lett. ?ls stockfinster“, sicher aber mit griech. këšò „Schlamm, Kot“, åßëš ìåëáí  (Hesych) .
Ähnlich alte Verbindungen lassen sich bei Alfeld, Dransfeld, Scharzfeld  und anderen -feld-Namen herausarbeiten. Fränkisches und die Verbindungen mit den viel zu jungen königlichen Forstorten müssen aber auch aufgrund einer offenbar zu wenig beachteten Bemerkung von P. v. Polenz fern bleiben: „ … als Landschaftsnamengrundwort ist -feld in auffälliger Weise be-sonders im Gebiet des alten Thürinerreiches verbreitet … Auch namengeographisch spricht alles gegen eine fränkische Herrschaft der ostfränkisch-thüringischen -feld-Landschaftsnamen. Sie sind außer in Ostfranken und Thüringen nur im südlichen Niedersachsen und in den Al-penländern verbreitet, nicht dagegen in altfränkischen Gebieten“ .
Die fehlerhafte Interpretation niedersächsischer -feld-Namen kann an einem weiteren Fall aufgezeigt werden: unter Bezug auf den ON. Hilligsfeld aus dem Kreis Kr. Hameln-Pyrmont heißt es bei L. Fiesel : „Die Kirche von Hilligsfeld hat den Stammesheiligen der Merowin-ger und Karolinger, den Martin von Tours, als Schutzpatron … Der PN Hillig, Hilliki und ähnlich ist fränkisch; unter den sächsischen Geiseln kommt er nicht vor. Das GW -feld ist, wie bei Hünfeld, als Bezeichnung einer karolingischen Funktionssiedlung anzusehen. Die meisten -feld-Orte sind als königliche Forstorte erkennbar“.
Diese Deutung steckt voller Fehler. Der ON. Hilligsfeld kann aufgrund seiner alten Belege aus dem 9. Jh. (Abschr. 12. Jh.) in Hillingesfeldo, 856/69 (A. 12. Jh.) Hillingesfelden, 980-982 (Abschr. 15. Jh.) in Hillikesfelle, (1055-1080) in Hildinesfelda, 1188 Hillingelvelt  ver-schieden erklärt werden: entweder auf Hillingesfeld beruhend zu einem PN. Hilling oder aber wegen der Hildingesfeld-Formen zu einem PN. Hilding. Mit einem PN. Hillig oder Hilliki ist nicht zu rechnen.
 
Nur am Rand sei bemerkt, daß der Name Hünfeld zumindestens in altgermanische Zeit zu datieren ist; auch hier bleibt fränkischer Einfluß beiseite.

8. Frankensundern

Für diesen kleinen, weniger als 50 Einwohner zählenden Ort bei Bramsche sind keine älteren Belege bekannt . Dennoch meint K. Rübel : „Als fränkisches Sundern läßt ihn nicht allein der Name erkennen …“, und wenige Seiten später zunächst einschränkend : „Wir sind nun weit davon entfernt, zu behaupten, daß alle Sundern auf fränkische Markenregulierung zu-rückzuführen sind“, aber dann heißt es: „Wo jedoch die Sundern an der Grenze der Marken liegen, wie das Frankensundern bei Rulle und zahlreiche andre …, da werden die Sundern und Sonderhufen allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit als ehemalige königliche Sundern zu erklären sein“.
Die späte Überlieferung des Namens spricht mit aller Entschiedenheit gegen eine Namenge-bung etwa im 8. oder 9. Jh. Hinzu kommt die Lage der winzigen Siedlung inmitten von Wäl-dern, völlig abgeschlossen von der Umwelt und nur durch einen waldfreien Zugang zum nördlich davon liegenden Mühlenort (auch kein Ortsname mit sehr alter Tradition!) mit der Umgebung verbunden. Unter einer fränkischen Grenzposition dürfte man sich etwas anderes vorzustellen haben.

9. Helperde
Unter Heranziehung der alten Belege 850 Helperdun, 1196 Helperthe sieht D. Rosenthal  im Grundwort germ. *d?n? „Dühne, Sandhügel“ und meint weiter: „Im ersten Element der Kurzname Helper zum westgermanischen Vollnamen Hilper?c, Helper?c, der hauptsächlich bei Franken und Westfranken verbreitet war“.
Eine vollständige Liste der alten Belege (826-876 [A. 15. Jh.] Helperdun, 1196 Helperthe, 1230 Helperthe, 1255 Helperthe) zeigt, daß -un im ersten Beleg Reflex eines Dat. Plur., des typischen Lokalkasus in deutschen Ortsnamen, ist . Die übrigen Belege weisen auf ein -ithi-Suffix, das nie mit einem Personennamen kombiniert ist . Eine Erklärung des Namens ist schwierig, aber am allerwenigsten kommt für das Bestimmungswort ein Personenname in Betracht .

10. Holtensen (und Verwandtes)

Im Zusammenhang mit der fränkischen Unterwerfung Sachsens und der grundherrlichen Ko-lonisation sind immer wieder Ortsnamen herangezogen worden, die Hinweise auf Leistungen gegenüber dem Grundherrn geben könnten. Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang der Typus Holzhausen, ndt. Holtensen, genannt. So heißt es bei H.-J. Nitz : „Holzhausen, Holz-heim und Holzdorf sind die Standorte spezieller Holzproduktion für die Villikation“.
Eine Überprüfung der Bedeutungsentwicklung schließt dieses für weite Bereiche Deutsch-lands und ganz sicher für Norddeutschland aus: mnd. holt bedeutete „Baumbestand, Gehölz, Wald, Waldstück, Hochwald“ , der Ortsnamentyp Holthusun, Holzhausen ist nur zu verste-hen als „Häuser im Wald, nicht hölzerne Häuser, wie Förstemann meinte!“ . Noch in den Merseburger Zaubersprüchen heißt es: Phol ende Uuodan uuorun zi holza („ … fuhren in den Wald“). Auch die zahlreichen Ortsnamen wie Bocholt, Bockolt, Buchholz, Hainholz, Nord-holt, Westenholz, Vahrenholz usw. enthalten holt, Holz im Sinne von „Wald, Gehölz“; sie meinen also Siedlungen am Wald und nicht etwa solche, die Holz produzieren.

11. -husen/-hausen

Auch die Bildungen mit -husen, dem im Hochdeutschen -hausen entspricht, sind fränkischer Herkunft verdächtigt worden. An erster Stelle ist hier wieder L. Fiesel zu nenen. Für das süd-liche Niedersachsen, vor allem für das Leinetal und seine Umgebung meinte er aufgrund einer Auflistung von -husen-Namen aus den Corveyer Traditionen folgern zu können : „Sind diese in den T.C. genannten Orte mit dem Grundwort  husen nicht erst Gründungen der Zeit nach der Eingliederung Sachsens in das Frankenreich?“, und weiter: „Im 9. Jh. erscheint in dem unterworfenen und dem Impe-rium eingegliederten Sachsenland eine erhebliche Menge der Orte auf -husen. Verfügungsbe-rechtigte Besitzer waren die Angehörigen einer gehobenen Schicht, die man als nobiles und nobilissimi ansehen muß … Sind nun die Angehörigen dieser ‘Stammes-aristokratie’ originär Sachsen oder originär Franken? Zur Lösung dieser Frage können wieder die PN beitragen“ .
In diesen glaubt Fiesel fränkische Spuren zu entdecken. Genannt werden in diesem Zusam-menhang 1. Adalhard und die gesamte Adal-Sippe; 2. die Personennamen um Hildi. Weiter wird ausgeführt: 3. „Hemric, später Heinrich …, ist ebenfalls des Frankentums verdächtig“; 4. „Der Name Ida (2. Gemahlin des Grafen Esic = Adalric) ist ‘offensichtlich fränkischer Her-kunft’“; 5. Auch die mit -dag-gebildeten Personennamen „sind fränkisch … Die mit -dag- gebildeten ON und PN als ‘cheruskisch’ anzusehen , nur weil sich einige Vorkommen zwi-schen der oberen Weser und Leine finden, entbehrt jeder Berechtigung“. 6. Fränkischer Her-kunft sind nach Fiesel weiter die Personennamen um Odo, Oddo, Oto, Alding, Imming, Erp, Benno, Dodo, Brumman, Ecceric, Heilker, Franko, Luthard, Suitbod, Hrotbert, Adic, Emmid, Mangar, Smidirat, Papo.
Fiesels Folgerung lautet: „Ist unter diesen Umständen der Schluß von der Hand zu weisen, daß die weit überwiegende Zahl der in T.C. genannten Orte mit dem GW -hausen als von Reichsfranken benannt und begründet anzusehen sei?“, und: „Alle diese Beobachtungen und die aus ihnen gezogenen Schlüsse lassen für das Altsachsenland keinen Raum für eine Entste-hung der -husen vor dem 9. Jh. Das Höchstalter ist also für Altsachsen auf das späte 9. Jh. anzusetzen“ .
Gegen diese Meinung hat sich schon früh Widerstand geregt. So meinte W. Flechsig : „Frü-her hat man geglaubt, die -hausen-Orte seien von den Franken gegründet worden. Aber woher hätten die Franken die Menschenmassen nehmen sollen, um nicht nur in Hessen und Ostfalen, sondern auch in Westfalen und anderen deutschen Landschaften die Tausende von -hausen-Orten mit eigenen Leuten besetzen zu können?“. Die These fränkischer Herkunft könne zu-dem nicht stimmen, denn „daß sich die Hauptmasse der  hausen-Orte mit einem PN als BW schon vor dem 9. Jahrhundert entstanden sein muß, ergibt sich aus der relativen Zeitfolge der deutschen ON-Typen …“ .
Auch G. Müller lehnt die fränkische These ab: „Als die Franken ihren Einfluß in Hessen gel-tend machen konnten, muß hausen dort, in Niedersachsen und in Ostwestfalen schon ein be-stimmendes Element der Namenlandschaft gewesen sein“ . Dafür spricht auch die Tatsache, daß zu Beginn der Ostkolonisation im 12. Jahrhundert das Grundwort -husen/-hausen nicht mehr produktiv gewesen ist. Die Blütezeit muß demnach viel früher gewesen sein.
Auch der Untertypus -ing(e)-husen-, für den nun wiederum W. Flechsig fränkischen Einfluß in Betracht gezogen hat , ist ohne diesen produktiv geworden. Aufgrund der eingehenden Untersuchung von U. Scheuermann  kann man heute sagen, daß u.a. die Verbreitung eindeu-tig gegen die Annahme fränkischen Einflusses spricht.
Eine detaillierte Behandlung der von F. Fiesel als fränkisch deklarierten Personennamen in niedersächsischen Ortsnamen (nochmals seien genannt: Odo, Oddo, Oto, Alding, Imming, Erp, Benno, Dodo, Brumman, Ecceric, Heilker, Franko, Luthard, Suitbod, Hrotbert, Adic, Emmid, Mangar, Smidirat, Papo) kann hier nicht geleistet werden. Es kann nur allgemein gesagt werden, daß das von W. Schlaug bereitgestellte Material  die Liste erheblich schrumpfen läßt. Zu einigen  husen-Namen, die auch von anderer Seite als Argumente für fränkischen Einfluß herangezogen wurden, soll aber kurz Stellung genommen werden.
a.) Abbensen: Der nordöstlich von Neustadt/Rbge. liegende Ortsname erscheint seit dem 13. Jh. als Abbenhusen , später mit typischer Abschwächung als Abbensen. Es ist klar, daß im Bestimmungswort ein schwach flektierter Personenname Abbo vorliegt. Der Ortsname ist hier zu behandeln, da er nach einer jüngeren Veröffentlichung  „an die fränkische Zeit erinnert“. Offensichtlich ist gemeint, das er mit einem nur im Fränkischen bezeugten Personennamen gebildet ist. Allein die Verbreitung derjenigen Ortsnamen, die mit Abbo kombiniert sind, widerspricht dieser Möglichkeit, vgl. Abbensen bei Hämelerwald, Abbenhausen bei Twistringen, Abben-dorf bei Scheeßel und Bodenteich, Abbenfleth bei Stade, Abbenrode bei Wernigerode und Cremlingen, Abbenburg nahe Höxter. Der Personenname selbst entstammt unterschiedlichen Grundlagen, seine Kurzform erschwert eine eindeutige Etymologie. Die Annahme, es handele sich um einen Namen aus der fränkischen Zeit, wird durch den Nachweis altsächsischer Per-sonennamen widerlegt .
b.) Alvessen: Der Name dieser Wüstung bei Pattensen (Kr. Hannover) erscheint seit Mitte des 12. Jhs. als Allevessen, um 1225/1230 Alevessen, Allevessen, in Aluesen, Aleussen . Wie stark der mutmaßliche fränkische Einfluß bereits in die Lokalforschung Eingang gefunden hat, macht die Tatsache deutlich, daß nach Ansicht von E. Steigerwald  im Bestimmungswort des Ortsnames „der fränkische Personenname Alvo [steckt], ein Name, der erst nach der frän-kischen Eroberung (im 9. Jahrhundert) hier aufgetaucht sein kann, als viele Königslehen an fränkische Adelige ausgegeben wurden, die dann Gründungen neuer Ansiedlungen initiier-ten“. Wahrscheinlich stecken darin zwei Fehler. Zum einen ist ein Personenname Alfi, Alpho nach E. Förstemann  „besonders dem sächs. und niederfränk. gebiete eigen“ . Zum andern liegt dieser Personenname aber wohl gar nicht zugrunde, denn das -e- zwischen -l- und -v- wird damit nicht erklärt. Auszugehen ist vielmehr von einem Personennamen mit einem zwei-ten Glied -laif-, ndt. -lev- , wahrscheinlich Ala-lev-, wodurch auch die Doppelschreibung des -l- (Allevessen) erklärlich würde. Fränkisches bleibt somit in jedem Fall beiseite.
c.) Güntersen: In der Einleitung hatte ich als unterscheidendes Merkmal zwischen Nieder- bzw. Norddeutschem auf der einen Seite und Hochdeutschem oder Fränkischem auf der ande-ren Seite auf sogenannte nordseegermanische Züge verwiesen, die dem Süden fremd geblie-ben sind. Dazu zählt der Gegensatz zwischen hdt. Gans gegenüber engl. goose, oder fünf gegenüber five. In bestimmten Positionen blieb im Süden das -n- erhalten (Gans, fünf), während es im Norden schwand und zugleich Dehnung des davor stehenden Vokals erfolgte: g?se – goose, fîve – five. Diese Entwicklung trat auch vor germ. -þ- ein.
Es wundert daher nicht, daß bei -n-haltigen Wörtern in niedersächsischen Ortsnamen fränki-scher Einfluß angenommen werden kann, und dieses durchaus mit guten Argumenten. G. Müller  vermutet dieses daher zunächst auch im ON. Güntersen, westlich von Göttingen. Dessen alten Belege scheinen diese Annahme zu stützen: 1059 (K. 13. Jh.) Gunteresu, 1203 Guntherssen, 1204 Guntherssen  usw. Auch in späteren Belegen schwindet das -n- nicht. G. Müller hat jedoch selbst darauf verwiesen, daß es gerade bei der dem ON. zugrundeliegenden Personennamensippe im Niederdeutschen Unstimmigkeiten gibt: „allerdings findet sich Gund- statt as. G?th- schon in Namen von Sachsen in der frühen Werdener und Corveyer Überliefe-rung“ . Man muß noch einen Schritt weiter gehen: in altsächsischen Personennamen ist „die sächische Form gûð … nicht belegt“ , im Altsächsischen „erscheint der PN-Stamm Gunth-, Gund- … niemals in der Form *Gûth- bzw.*-g?th“ . Daraus ergibt sich: der erhaltene Nasal in Güntersen kann nicht als Beweis für fränkischen Einfluß herangezogen werdnen.
d.) Gunthelmshusen/Machelmishusen: Bei diesen Namen handelt es sich um zwei Wüstungen in der Nähe von Göttingen. R. Wenskus bringt sie mit einer Familie vom Mittelrhein in Ver-bindung, zu der auch Machelm und Gunthelm gehören. Er führt weiter aus: „Die Namen die-ser beiden Männer, Machelm und Gunthelm tauchen … in den Namen zweier Wüstungen südlich Göttingen auf: Gunthelmshusen … und Machelmishusen … , 6-7 km voneinander ent-fernt. Ihre frühesten erfaßbaren Besitzverhältnisse weisen auf die Esikonen … Gunthelm und Machelm sind als Personennamen in Sachsen vor 1000 überhaupt nicht belegt, wie die Auf-stellungen Schlaugs zeigen, sie weisen auf den fränkischen Bereich. Ihr gemeinsames Vor-kommen in einer Familie am Mittelrhein und ihre Nachbarschaft in den Ortsnamen des Leinegebiets deuten auf eine Übertragung aus dem Kernland des ostfränkischen Raumes“ .
 
Eine Überprüfung der Ortsnamen läßt diese Schlüsse kaum zu. Gunthelmshusen ist nicht ganz sicher zu lokalisieren , am ehesten lag es südlich von Göttingen. Gelegentlich wird ange-nommen, daß es die Nachfolgesiedlung des ebenfalls wüst gewordenen Wüsthelmeshusen ist; sicher ist das aber nicht . Es ist von Wert, die Überlieferung näher zu betrachten: 997 Uu-osthalmeshusun, 1013 Uuosthalmeshusun, 1022 (F. 1. H. 12. Jh.) Wosthelmeshusen, 1022 (F. 2. H. 12. Jh.) Wosthelmeshusen, (1118-1137) (F. nach echter Vorlage) in Guntelmeshusen, 1207 in Guntelnnhusen, 1229 in Guntilmishusen, 1262 Guntelmeshusen, 1457 to Guntillems-husen .
Wenn diese Beleglage eine Siedlungsnachfolge widerspiegelt, dann hat der PN. Gunt(h)elm des Ortsnamens nichts mit den Franken zu tun; aber selbst bei gegenteiliger Annahme muß der PN. nicht unbedingt fränkisch sein: W.B. Searle weist ihn im Altenglischen in der typisch nordseegermanischen Form Guthhelm nach .
Die Wüstung Mechelmeshusen ist dagegen sicher lokalisierbar . Ihr Name erscheint nach dem UB Reinhausen wie folgt : (1118-37) (F. nach echter Vorlage) in Mechelmeshusen, (1152-1156) in Mechelmishuson, 1168 (verunechtet) in Machelmeshusen, 1207 in Mechelnis-husen, (um 1250) Mechelmeshusen, 1262 Mechelmeshusen usw. Nach Förstemann  ist ein PN. Maghelm, Machelm, Maghalm, Makhelm usw. bestens bezeugt, man vergleiche auch die Ergänzungen von H. Kaufmann , der Vermutungen von J. Schatz anführt, wonach den ge-nannten Personennamen ahd. und asä. m?g „Verwandter“ zugrunde liegt. Angesichts der späten Überlieferung des Wüstungsnamens halte ich es für gewagt, darin unbedingt einen fränkischen Personennamen sehen zu wollen: zwischen Karls des Großen Eindringen in Sach-sen und der Erstüberlieferung liegen 300 Jahre.
 
f.) Harboldessen: „Auch die 2 km nord-nordwestl. Greene liegende Wüstung *Harbol-dessen scheint in ihrem Namen den eines Franken Heribald zu enthalten, der sonst nur im Westen bezeugt ist“, vermutet R. Wenskus . Die angesprochene Wüstung erscheint in den Belegen seit dem 13. Jh.: 1271 in Hereboldessem , 1325 (Druck 17. Jh.) Herboldessen . Der Name ist mit Sicherheit aus niederdeutschem Sprachgut entwickelt worden: zum einen ist ein PN. Heribaldus in typisch altniederdeutscher Gestalt seit altsächsischer Zeit belegt, so als Heri-baldus (mehrfach)   und als Herebold, Heribold, Heriboldus, Herboldus, Hereboldus , zum andern enthalten Orts- wie Personenname einen Wandel -bald- > -bold-, eine typisch niederdeutsche Entwicklung, vgl. Wald > wold. Fränkisches muß fern bleiben.
g.) Huginhusen: Dieser alter Name des Klosters Wienhausen (Kr. Celle) ist nach Förstemann „nach einem eingewanderten Franken [benannt]. Der PN Hugo war den Niedersachsen dieser Gegend wohl fremd“ . H. Kaufmann hat sich dieser Meinung angeschlossen . Man über-sieht, daß entsprechende Personennamen schon im Altsächsischen bestens bezeugt sind. Dar-auf hat H. Wesche nachdrücklich hingewiesen und in der Besprechung des Buches von H. Kaufmann bemerkt: „Das häufige Vorkommen dieses Namens in Niedersachsen, das er be-quem in Schlaugs beiden Büchern hätte nachprüfen können, hat ihn nicht irre gemacht“ . Auf Schlaugs Belege gehe ich hier nicht näher ein; der Nachweis eines entsprechenden Perso-nennamens im Altsächsischen ist völlig unstrittig.
h.) Ohsen: Auch Ohsen im Kr. Hameln-Pyrmont enthält nach L. Fiesel Hinweise auf fränki-schen Einfluß: „Der ON. Ohsen führt in seinem BW auf das germanische (und schon indo-germanische) Wort für Wasser hin, das hier mit dem GW -husen verbunden ist. Die ON in der Form Ahusen (und ähnlich) sind von Bayern, Schwaben über Franken bis Niedersachsen nicht selten. Die verschiedenen Formen des Stammes aha, ohe, o können sowohl Gewässer- wie Ortsnamen sein. Das Kollektivum ist gawi = gau, go. Deshalb könnte man gau, go in der ursprünglichen Bedeutung ‘Talschaft’ fas-sen“ .
Nichts davon läßt sich halten. Hagenohsen und Kirchohsen sind keine  husen-Namen, wie die alten Belege 1004 (F. 12. Jh.) actum in villa Osen, 1159 (A. 17. Jh.) archidiaconus in Osen, 1197 in Nort Osen, 1226 (A. 16. Jh.) Hermannus de Osen usw.  zeigen. Vielmehr ist von einer -n-Ableitung auszugehen, wobei Ohsen auf *Osana oder *Osena zurückgeführt werden kann. Ohne auf weitere Überlegungen zur Deutung des Namens einzugehen, sei nur darauf verwiesen, daß sich hinter O- germ. *Au- verbergen wird und somit Parallelnamen in Oesede bei Osnabrück, 826-876 in Osidi, und Osede, Oese, Wüstung bei Elze, 1022 Asithe, also in zwei -ithi-Bildungen, vorliegen dürften. Ohsen gehört somit in eine Namengebungsperiode, die weit vor die fränkische Eroberungsepoche zu datieren ist.
i.) Seesen: Fränkisch wie Seehausen bei Frankenhausen und Seehausen an der Straße von Schöningen nach Magdeburg ist für P. Höfer auch Seesen im Kr. Goslar. Er sieht in dem alten Seehusa ein „königliches Gut und eine Burg am Westharz“  . Das ist schon aus sprachlichen Gründen abzulehnen. Seesen erscheint in den ältesten Quellen in eindeutig altsächsischer Form: 966 (Trans. 1295) Sehusen, 974 Sehusa/Sehusaburg, um 979 Sehuson, 980 Seburg, z.J. 984 (1012-1018) Seusun . Sämtliche Vergleichsnamen wie Seehausen in der Altmark befin-den sich im altsächsischen Bereich und gehen auf eine altsächsische, wenn nicht germanische Bildungsweise aus seo „See“ und -husun (Dat. Plur.) zurück.  Daß später Seesen auch als königliches Gut bezeugt ist, hat mit der Namengebung nicht das Geringste zu tun.

12. Jerze

Der Name verrät nach Flechsig fränkischen Ursprung, da er „mit dem für Königsgut in Nord-westdeutschland häufig gebrauchten GW -riki ‘Reich’“ gebildet sei .
Das wäre vielleicht richtig, wenn wirklich das genannte Grundwort zugrunde läge. Das ist aber keineswegs der Fall. Jerze erscheint in seinen ältesten Belegen wie folgt: (um 1007) Gerriki, 1143 Conradus de Ierriche, 1178 Widegone de Gerrike usw. . Auszugehen ist wohl von einer Grundform *Geriki, wobei eine Abtrennung als -riki zu einem unverständlichen Bestimmungswort Ge- führt. Daher ist mit Förstemann  im ersten Teil Ger- zu sehen, das noch heute als Gehrung bekannt ist und zu ger, mhd. gêre, m. „langgezogenes dreieckiges Stück“, ahd. gêro, m. „Meerzunge, Seebucht“, gêr m. „Wurf-spieß“, mnd. gêre, gehört, und ferner als gêre überall in Norddeutschland als Flurname be-zeugt ist. Eine Kombination „dreieckig“ + „Reich“ ist unsinnig, so daß in -rik- weit eher (was auch Förstemann erkannt hat) dasjenige Wort zu vermuten ist, das auch in mhd. ric „enger Weg, Engpaß“, ricke „gestreckte Länge, langer Landstrich“, mnl. reke „Linie“, mnd. reke „Dornhecke, Gebüschstreifen“, westf. recke „lebendige Hecke im Felde“ vorliegt. Der Name bedeutete demnach „spitzer, langer Landstrich; spitze Enge“. Die Lage von Jerze bestätigt diese Deutung.

13. Hostert

In der Nähe von Jerze vermutet Flechsig einen weiteren Namen fränkischen Ursprungs: „das wüste Hostert bei Mahlum, dessen Name sich im altfränkischen Gebiet westlich des Rheins in der Nähe alter Königsstraßen mehrfach wiederfindet und nach Hoops auf ahd. hovestat ‘Hof-statt, Hofhaltung’ zurückgeht“ .
Es handelt sich um den ON. Hochstedt, heute OT. von Bockenem, der wie folgt belegt ist: 1303 in minori villa Bokenem sive Hostert, 1333 (A. 17.Jh.) Hasterde, 1458 (K. 16. Jh.) up dem velde Hosterte . Daraus ergibt sich für Fränkisches nichts: zum einen ist äußerst frag-lich, ob sich hinter den Belegen wirklich ein Hovestat verbirgt (Entwicklung zu Hostert, Hastert), und zum andern wäre dieses, wenn es wirklich zuträfe, noch lange kein Argument für fränkischen Einfluß. Förstemann  verzeichnet fast zwei Dutzend Namen dieses Typs, darunter Belege aus Westfalen, den Niederlanden einschließlich Ostflandern und fügt hinzu: „Das Wort … bedeutet die Stelle eines Bauernhofes oder den Ort für einen solchen und läuft gewissermaßen dem … Burgstall [= borstel, J.U.] parallel“. Aber es sei nochmals betont: kein echter Hovestatt-Name kennt eine Entwicklung zu Hostert, Hastert. Der Name gehört sicher in einen ganz anderen Zusammenhang.

14. Brelingen

Der nördlich von Hannover liegende Ort erscheint schon früh in der Überlieferung: um 990 (A. 11. Jh.) Bredanlagu, dann: 1297 Henricus de Bredeleghe, später Bredelege, Bredelge, erst ab dem 15. Jh. als Bredelinge . Wie die Belege deutlich zeigen, ist von einer Verbindung aus ndt. bred „breit“ und lage auszugehen. Später drang das Suffix -ing(en) ein . Für R. Brandt  handelt es sich um einen Namen aus fränkischer Zeit. Dafür spricht nichts: bred ist eindeutig niederdeutsch, die Namen auf  lage hat H. Siebel ausführlich behandelt , sie rei-chen wegen ihrer Etymologie in viel frühere Zeiten zurück und sind in ihrer Verbreitung auf das Niederdeutsche beschränkt .

15. Osterlangen, Westerlangen

Anhand von typischen, auf die Langstreifenfluren bezug nehmende Flurnamen hat H.-J. Nitz fränkischen Einfluß im südlichen Niedersachsen vermutet: „Auf einen Import lassen zumin-dest sehr deutlich zwei typische Flurnamen schließen, die bei den Langstreifenfluren um Hil-desheim und Braunschweig häufig auftreten: Osterlangen und Westerlangen. Sie kennzeichnen die vom Ort aus gesehen nach Osten und Westen ziehenden Langstreifen … Wolfgang Kleiber bestätigte  ganz unabhängig von meinen eigenen Beobachtungen auf-grund seiner profunden Kenntnisse elsässischer und pfälzischer Flurnamen, das dieselben Flurnamen Osterlangen und Westerlangen in diesen Gebieten sehr häufig begegnen. Sie sind, wie er in einer Diskussion bemerkte, in Südwestdeutschland wortgeographisch spezifisch auf diese Landschaften beschränkt und tauchen bereits im 13. Jh. unter den ältesten überhaupt überlieferten Flurnamen auf. Ich vermag diese Übereinstimmung mit dem Hildesheim-Braunschweiger Raum nicht anders als durch Übertragung zu deuten. Diese aber kann nur bei der Anlage der Langstreifenfluren und Platzdörfer geschehen sein nach Beginn der fränkischen Herrschaft in Sachsen“ .
In der Diskussion dieses Beitrages wurde schon zurückhaltend argumentiert: G. Niemeier mahnte zur Vorsicht, „in Lößgebieten die Fluren weit zurückdatieren“ . In seiner Entgeg-nung betonte H.-J. Nitz jedoch, er könne sich nicht vorstellen, „daß die braunschweigischen Flurnamen Langgewann, Lange Äcker und Osterlangen erst im 18.Jh. neu erfunden worden sind“ .
Wahrscheinlich verhält es sich aber gerade so. Zu den Flurnamen des Salzgittergebietes ver-merkt M. Wiswe : „Lange ist mehrfach belegt als GW in FlrN des Salzgittergebietes, so in Holzlange …, Weglange (mehrfach) und in Osterlange … Es ist postadjektivische Gegens-tandsbezeichnung zu ‘lang’ mit der Bedeutung ‘langgestreckte Fläche’. Dementsprechend handelt es sich bei den als Lange bezeichneten Parzellen um Langstreifen. Die Pluralform Langen bezeichnet Langstreifengewanne“. An anderer Stelle heißt es bei den Flurnamen Lan-ge Wanne: „Die … bezeichneten Flurteile waren bis zur VK [Verkoppelung] Langstreifenge-wanne. Sie liegen alle in Ortsnähe auf besten Ackerböden. Wanne hat in diesen Namen die Bedeutung ‘Gewann’ … Dementsprechend wird es sich um junge, vermutlich erst im 18. Jh. entstandene Bez[eichnungen] handeln“ .
Zu dem Flurnamen Osterlangen schreibt M. Wiswe : „Oster kann hier auf die Lage des A[ckerlandes] im Ostteil der Gemarkung O[sterlinde] zurückgehen, aber auch Klammerform sein aus Oster(linder)langen“.
Man sieht, wie differenziert man Flurnamen betrachten muß. Ihr Bekanntheitsgrad reicht in den allerseltensten Fällen über eine Siedlung oder ein Dorf hinaus. Sie sind lokal gegeben und werden zumeist auch nur lokal verstanden. Vergleiche zwischen südniedersächsischen und rheinländischen Flurnamen müssen mit großer Sorgfalt versucht werden; in unserem Fall reicht das Material für die weitreichenden Schlußfolgerungen keineswegs aus.
 
16. -lar

a.) Goslar: Auch der Name Goslars ist als Beweis für fränkischen Einfluß genannt worden: „Seinem Namen nach muß er fränkischen Gründern seinen Ursprung verdanken“ hatte P. Höfer vermutet . Nähere Angaben machte er nicht. Man kann nur vermuten, daß der Grund für diese These das Grundwort -lar gewesen ist, denn der Flußname Gose, der im Bestim-mungswort des Ortsnamens steckt, ist noch nie mit Süddeutschem in Verbindung gebracht worden. So umstritten auch Alter, Herkunft und Etymologie des Ortsnamenelements -lar sein mögen (man denke an Namen wie Fritzlar, Wetzlar, Lindlar, Leer, Lehrte ), klar ist in jedem Fall, daß die damit gebildeten Namen weit vor der Herausbildung westgermanischer Einzel-stämme entstanden sein müssen. Das gilt auch für den Namen Goslar.
b.) Lenglern: Bei der Suche nach Fränkischem hat O. Bethge ausgeführt: „Bei Wintgraba-Langendorf tritt … an die Stelle des lebensvolleren individuelleren Namens ein abgeblaßter, schematischer, wohl weil hier Fiskalleute angesiedelt wurden … Und tatsächlich ist in mindes-tens einem Dutzend Fällen in oder bei Orten wie Langenfeld, Lengenfeld, Langsdorf, Langen-dorf, Lengsfeld, Longcamp, Longlari, Lenglern, Longlier u.ä., wie fast überall mit andern ON. unseres Typus vereint sich finden, fiskalischer Besitz nachzuweisen“ . Ganz abgesehen von der Frage, ob ein Name wie Langenfeld wirklich nur von Franken gebildet sein kann (die Negierung dieser These liegt auf der Hand), müssen die -lar-Typen Longlari, Lenglern, Longlier davon gänzlich getrennt werden. Die Verbreitung dieses Typs ist keineswegs auf das Fränkische beschränkt, sondern besitzt ihren Schwerpunkt im Westen des altsächsischen Ge-bietes . Die Namen haben vielmehr von Norden nach Süden ausgestrahlt ; fränkischer Einfluß kommt nicht in Betracht.
 

17. -leben

Auch unter den immer wieder diskutierten -leben-Namen (Oschersleben, Aschersleben, Alsle-ben, Erxleben usw.) soll nach Ansicht von L. Fiesel  fränkischer Einfluß zu erkennen sein. Ohne hier auf die gesamte Problematik der -leben-Namen einzugehen, die ja auch bis nach Dänemark und Südschweden ausstrahlen , ist festzuhalten, daß bei dieser Namensippe frän-kischer Einfluß mit Sicherheit ausscheidet. Mit Recht hat H. Kuhn diese These als unsinnig bezeichnet , auch nach G. Müller  sind die  leben-Namen auf jeden Fall älter als der frän-kische Einfluß. Er setzt hinzu: „Damit erreicht, ja überschreitet man eigentlich schon an der Randzone jenen kritischen Zeitpunkt, vor dem eine weiträumige sprachliche Ausstrahlung des Frankentums nicht denkbar ist“ .

18. Liudolf

Aus den bisherigen Ausführungen ist deutlich geworden, daß der Nachweis fränkischen Ein-flusses in hohem Maße von der Zuweisung der Personennamen abhängig ist. Glaubt man, nachweisen zu können, daß ein Personenname nur im Fränkischen belegt werden kann, sind sofort auch damit gebildete Ortsnamen in Norddeutschland fränkischer Herkunft verdächtig. Schon mehrfach mußte in diesem Beitrag dagegen Position bezogen werden, aber selbst bei der Überprüfung der mutmaßlich fränkischen Personennamen ist mehr Sorgfalt geboten. Nach L. Fiesel  sind die Personennamen Liudolf „reichsfränkisch“: „Bei den Altsachsen der Zeit kommen sie nicht vor“. Eine Prüfung der Behauptung führt diese ad absurdum: W. Schlaug  verzeichnet fast drei Dutzend Personennamen des Typs Liudulfus, Liudulf, Ludolfus usw. aus Freckenhorst, Bremen, Osnabrück, Münster, Gandersheim, Paderborn, Werden, Merseburg und Corvey. An niederdeutscher und nichtfränkischer Bezeugung des in Frage stehenden Personennamen-Typs besteht kein Zweifel.

19. Stapel, Stapelingen

Fränkischer Einfluß ist auch von H. Wesche, der sich sonst recht kritisch dazu geäußert hat (vgl. oben bei der Diskussion um Huginhusen), erwogen worden. Im Fall von Hattorf mußte seine These zurückgewiesen worden (s.o.), aber damit verbunden hat H. Wesche die Namen Stapel und Stapelingen bei Wolfsburg und im Papenteich. Er führte dazu aus: „Die Wüstung Stapelingen, Steplingen liegt etwa 8 km östlich von Hattorf. Es gehört zum staplum der Lex Ripuaria, einem alten fränkischen Gesetzbuch, wo es kurz heißt: staplum ad regis = locus ubi mallus est. staffolum regis ist das Königsgericht. Beide Orte weisen darauf hin, daß zur Zeit der fränkischen Eroberung hier an diesen Orten Gerichtsstätten errichtet worden sind. Im Papenteich ein ähnliches Paar: der Ort Stapel, jetzt Wüstung, und der Flurname Dingbönken [verschrieben für Dingbänken? J.U.]. Beide dicht beieinander im Mittelpunkt des Papentei-ches. Stapel liegt unmittelbar vor Meine, früher Meinum, einem alten -heim-Namen. Auf den Dingbänken bei Rötgesbüttel wurde seit alters das Gogericht des Papenteiches abgehalten, noch bis in die ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Es erscheint mir nicht unmöglich, daß die Franken Stapel anlegten und diesen Ort zur Gerichtsstätte machten. Stapel kam in der Nachbarschaft des zentralen Meine nicht richtig zum Zuge und wurde nach einiger Zeit wüst“ ,
Eine Überprüfung des Materials zeigt, daß die Franken fern bleiben sollten. Die angesproche-ne Wüstung Steplingen lag bei Rümmer (Kr. Helmstedt), noch heute gibt es dort das Steplin-ger Holz, bezeugt ist der Name um 1220 als Stapenlege, dann 1344/65 als Stapelghe . Die Belege zeigen, daß ein Kompositum vorliegen wird, dessen Zweitglied das in norddeutschen Namen zu hunderten bezeugte -lage-/-lege-Grundwort ist . Später ist das Grundwort von dem Suffix -ing(en) verdrängt worden, eine Erscheinung, die im ostniedersächsischen Gebiet recht häufig begegnet . Mit den Franken hat das alles nichts zu tun.
Zu überprüfen ist noch die Bedeutung des Bestimmungswortes Stapel. Zuvor noch eine kurze Bemerkung zu dem von H. Wesche angesprochenen Flurnamen Dingbänke. Seine älteste Bezeugung stammt wohl aus dem Jahr 1416: gherichte to den dinghbencken . Darin enthal-ten ist das altgermanische Wort Thing, Ding. Die Streuung der davon abgeleiteten Orts- und Flurnamen schließt das Fränkische nicht mit ein .
Die von H. Wesche erwogene Verbindung der Stapel-Ortsnamen mit fränkischen Gerichtsstät-ten kann angesichts der Streuung der norddeutschen Namen nicht richtig sein. Man vergleiche Stapel, Wüstung 1,6 km sö. Meine (Kreis Gifhorn), 1360 Stapling, 1439 Staglege, 1452 Sta-pel, 1453 1479 Stapel, 1485 Stapel, dort auch FlurN. Stapel Feld, Stapel Weisen, der Stapel, Stabel Kley, Stapel Kämpe, Stapel Moor u.a. ; Stapel, ON. im Kr. Rotenburg/Wümme; Sta-pel, Stapelermoor, Stapelmoor, Ortsnamen im Kr. Leer und besonders aufschlußreich Stapel, ON. im Amt Neuhaus, Kr. Lüneburg, 1291 Stapele, 1335 Stapel, 1369 Stapel usw.
Der zuletzt genannte Name ist bis auf eine kleine Notiz bei L. Bückmann  aus dem Slavi-schen erklärt worden . Ich halte den Namen für deutsch und schließe ihn wie die oben ge-nannten Namen an mnd., mnl. stapel ‘Stapelplatz’, auch ‘Feld an einer Gerichtssäule, Grenzpfahl, -säule, Pfosten, erhöhter Gerichtssitz, Gerichtsstätte, Niedergericht, Ballentuch, Warenbündel, Warenanhäufung, Zwangshandelsplatz’ an. Für die Frage nach fränkischem Einfluß bedeutsam ist ein weiterer Name im Amt Neuhaus. Es ist Stiepelse an der Elbe, an älteren Belegen habe ich finden können: 1209 in Stapelitz, 1380 to dem Styepelse; to dem stypelse, 1765 Stipelitze usw. . Es scheint in diesem Fall das slavische Suffix -ica oder -ice angetreten zu sein, wozu unter Umständen eine angestrebte Differenzierung zu dem 11 km entfernt liegenden Stapel beigetragen hat. Damit aber kommen wir in die Frühzeit nieder-deutsch-slavischer Beziehungen, bei denen das Fränkische noch keine Rolle gespielt hat.
Nimmt man noch weitere Ortsnamen wie Stapelberg, Stapelheide im Kr. Osnabrück, Stapel-feld im Kr. Cloppenburg und östlich von Hamburg, Stapelshorn im Kr. Diepholz, Stapelstein im Kr. Wittmund und Süderstapel, Norderstapel, Stapelholm in Schleswig hinzu, wird deut-lich, daß diese Namen ihre Benennungen unmöglich erst durch Franken oder unter fränki-schem Einfluß erhalten haben können.
 

20. -stedt

Die freundliche Aufnahme der Frankonisierungsthese norddeutscher Namen durch A. Bach hat dieser auch auf die Bildungen mit -stedt ausgeweitet. Es heißt bei ihm unter anderem: „Es bleiben … die als Siedlungen gewiß alten -stedt-Orte Niedersachsens und Thüringens, die nach Fiesel … im ostfälisch-nordthüring. Gebiet besonders dem Ausbau nach der Zerstörung des Thüringerreichs a. 531 zuzuschreiben sind, also der fränk. Zeit. In Holstein und in Nord-niedersachsen hat Fiesel den -stedt-Orten allerdings ein höheres Alter zugebilligt und sie dem 2./4. nachchristl. Jahrhundert zugesprochen. Das mag, wie gesagt, für die Siedlungen an sich gelten, aber ihre Namen können jünger sein. Sie können durchaus dem Zeitabschnitt angehö-ren, in dem der fränk. Einfluß bereits wirksam war, und alte Insassennamen auf -ing- ersetzt haben“ .
Im weiteren Verlauf weist A. Bach darauf hin, daß der fränkische Einfluß nur den Typ Perso-nenname + Grundwort umfaßt, „während die Wahl des darin verwandten GW jeweils im An-schluß an den Wortschatz der beeinflußten Gebiete und die zu benennende Eigenart der Siedlung erfolgt sein kann“ .
Mit dieser Auffassung steht A. Bach in deutlichem Gegensatz zu anderen Meinungen, speziell zu denen, die an nordische Herkunft dieser Ortsnamensippe glauben. So betont E. Schwarz zunächst : „ … sie liegen meist auf gutem Boden, was für hohes Alter spricht“, um dann hinzuzusetzen: sie „ziehen von Norden nach Thüringen und strahlen gegen den Main aus“ . E. Schwarz hat sich damit älteren Meinungen angeschlossen, z.B. der von A. Werneburg : „[Es] darf geschlossen werden, daß auch die Ortschaften mit Namen auf stedt von einem aus dem Norden gekommenen Volksstamme gegründet sind, beziehungsweise, dass der Gebrauch dieser Benennungen bei einem solchen üblich gewesen und auch nach Thüringen übertragen worden ist“.
In gewissem Sinn widerspricht dieses – jedenfalls was die Bildungen mit einem Appellativum betrifft – nun wiederum der Auffassung von W. Flechsig : „ … sie finden sich überall, wo sie vorkommen, auf besten altoffenen Siedlungsböden, sei es in Skandinavien, in Schleswig-Holstein, Nordniedersachsen, Ostfalen oder Thüringen. Auf ihr hohes Alter weist auch der Umstand hin, daß sie in Ostfalen und Thüringen anscheinend nicht mit einem PN als BW zusammengesetzt sind, sondern mit einem Appellativum, in dem sich wahrscheinlich vielfach ein Gewässername oder eine andere, in seiner Bedeutung oft dunkle Geländebezeichnung verbirgt“.
Eine zusammenfassende Betrachtung der -stedt-Namen im Saale- und Mittelelbegebiet ver-danken wir H. Walther . Aus ihr geht zweifelsfrei hervor, daß die fränkische These abzuleh-nen ist. Einige Passagen zeigen das deutlich: „Der Namentyp scheint … zwischen 500 und 700 in voller Blüte gestanden zu haben …“  und: „Wenn A. Bach die -stedt-Namen auf fränki-schen Kultureinfluß zurückführen wollte, so ist dem mit Recht entgegengehalten worden, daß dieser GW-Typ in den fränkischen Gebieten gerade nur sehr selten oder gar nicht vertreten ist“ .
Und auch aus anderer Richtung kam nachhaltige Kritik. D. Rosenthal äußerte zusammenfas-send : „Gegen W. Foerstes These einer fränkischen Herkunft der angelsächsischen -heim-Namen spricht jedoch, daß zu den ältesten Ortsnamen im Südostteil Englands auch diejenigen auf  stead gehören, an deren sächsischer Herkunft überhaupt nicht zu zweifeln ist; s. K.I. Sandred, English Place-Names in -stead, Acta Universitatis Upsaliensis/Studia Anglistica Upsaliensia 2, Uppsala 1963, S. 174“.
Dieses zeigt sich auch in einer Verbreitungskarte, die D. Rosenthals Auffassung nachhaltig stützt. Sie findet sich in dem Buch von E. Riemann , in dem dieser mit den bei H. Jelling-haus genannten englischen -stead-Namen eine Verbreitungskarte angefertigt hatte, die deut-lich zeigt, daß die Verbindung dieses Namentyps zum Festland nur über den Kanal vonstatten gegangen sein kann. Für fränkischen Einfluß bleibt da keine Möglichkeit. Und so können wir der zusammenfassenden Stellungnahme von G. Müller, wonach die -stedt-Namen Niedersach-sens und Schleswig-Holsteins kaum fränkisch sein können , nur zustimmen.
 
21. Wange

Die Tendenz, fränkischen Einfluß in niedersächsischen Ortsnamen zu postulieren, hat L. Fie-sel auch im Fall des Wüstungsnamens Wange bei Hameln nicht verlassen. Dieser im Jahre 892 als Uuange bezeugte Name  wird von ihm wie folgt gedeutet: „Seine Lage wird angezeigt durch die Flurnamen Wenger Wiese und die Wanne In den freien Höfen und den Ort Wange-list. Dessen Name ist mit list = ‘Leiste’, ‘Rand’, von dem am frühesten in einer Originalur-kunde des Jahres 892 genannten Namen Wange gebildet …“ . Nach Hinweis auf zahlreiche Ortsnamen Süddeutschlands, die Ableitungen von dem Wort Wange „Abhang“ enthalten, folgert Fiesel wenig später: „Der ON. Wengen beruht auf altfränkischer Namengebung; auch wo er, in seltenen Fällen, außerhalb des vorkarolingischen Frankenreiches vorkommt, ist spät-fränkischer Einfluß nicht ausgeschlossen. Altsächsisch ist die Ortsnamensbildung jedenfalls nicht“ .
Wie wir immer wieder feststellen konnten, hat L. Fiesel etwas herausgegriffen, was sich nicht halten läßt. Zunächst ist zu bemerken, daß es weitere Namen in Niedersachsen, Thüringen, den Niederlanden und Sachsen-Anhalt gibt, die hier anzuschließen sind. Es sind: Wan-gelnstedt (Kr. Holzminden), 1251 (K. 13.Jh.) In villa Wanhelist, 1400 (K.) Wanghelist, 1474 (K.) Wangelist usw. ; das Wangerland in Friesland mit der Insel Wangerooge ; Wangen bei Querfurt; Wangen, Wüstung bei Sondershausen; Wengele, alt Wengheloe in Overijssel. Auch das zugrunde liegende Wort ist keineswegs auf das Oberdeutsche beschränkt, wo es als wang „Aue, grasiges Gefild, Schweiz, aufsteigende Krinne an einem Felsen“ bezeugt ist, vgl. altengl. vang, vong, engl. dial. wang, wong „ebene Wiese, Feld“, ndt. (Bremen) wang, wank „waldlose Hügellehne, offenes Weideland“ . Damit erweist sich das Wort als ein gemein-germanisches und keineswegs auf das Oberdeutsche beschränktes Appellativum.
Für hohes Alter des Wortes spricht auch ein Ortsname bei Sarstedt: der Wüstungsname Wen-nerde. Dieser ist in seinen ältesten Belegen wie folgt bezeugt: um 990 (Abschr. 11. Jh.) Won-gerdun , 1038 Wangerda, 1179 Wangerde, um 1080 Wengarde, Wangarde, 1193 Wennerde . D. Rosen¬thal denkt an einen PN. Wanger, womit aber das zweite Element nicht geklärt ist. Förstemann führt den Namen unter Wang an, was mehr überzeugt und die Mög-lichkeit einer -ithi-Bildung eröffnet. Die mutmaßliche Grundform *Wang-r-ithi  ist weder oberdeutscher noch altsächsischer Herkunft, sondern verlangt nach einer Diskussion der mit -r- erweiterten -ithi-Bildungen, die in altgermanische Zeit hineinreicht.
Der grundlegende Fehler Fiesels aber liegt darin, daß er das Phänomen der Ortsnamen in seinen Grundzügen nicht verstanden hat: wenn Namen ein Wort enthalten, das nur in einem Teilbereich einer Sprachgruppe appellativisch bezeugt ist, so heißt dieses noch lange nicht, daß der Name dann später daraus benannt worden ist. Als „Friedhof der Wörter“ enthalten Ortsnamen viel öfter und eher diese Wörter als Fossilien, das heißt, die Sprache, aus der der Name geschaffen wurde, hat das entsprechende Wort zur Zeit der Namengebung noch ge-kannt.
Mit diesem Einzelfall sind wir fast am Ende der Diskussion angelangt. Allerdings steht uns noch ein größerer Komplex bevor, der immer wieder und sehr gern als Kern der Frankonisie-rungsthese gedient hat: die mit dem Grundwort -heim- gebildeten Namen. Ihnen sollen die abschließenden Kapitel dieses Beitrages gewidmet sein.

22. -heim

Die Diskussion um die Herkunft der -heim-Namen dauert nun schon mehr als ein Jahrhundert: „W. Arnold schien vor rund hundert Jahren das Problem gelöst zu haben, indem er die Orts-namen auf -heim vor allem den Franken zuschrieb und ihre Verbreitung mit den Eroberungen und Ansiedlungen dieses Stammes erklärte“ . Einige Jahrzehnte nach Arnolds Versucht trat O. Bethge mit seinem schon mehrfach erwähnten Aufsatz dieser These bei. Bethges Ausfüh-rungen finden heute breite Zustimmung, wie folgende Zitate verdeutlichen: „Ein starkes Ar-gument für den fränkischen Einfluß auf die deutsche Namengebung hatte ferner O. Bethge geliefert, der nachweisen konnte, daß die in der Umgebung von fränkischem Königsgut be-findlichen -heim-Namen sehr häufig eine stereotype Bildungsweise zeigen: Bergheim, Tal-heim, Stockheim, Kirch-
 
heim, Nordheim, Ostheim, Südheim, Westheim“ ; „Eine Sondergrupe von -heim-Namen, deren BW (Bestimmungswort) nicht ein PN (Personenname) ist, sondern eine topographisch unterscheidende Bezeichnung wie Nord, Süd, West, Ost, Berg, Tal, Stein, Stock usw., be-zeichnen wir mit Bethge als ‘fiskalische’ Bildungen und weisen sie der fränkischen Zeit zu“ .
Abgesehen von diesen angeblich stereotypen und fiskalischen Bildungen sind aber auch ande-re  heim-Namen für fränkisch erklärt worden, wobei vielfach schon übersehen wurde, daß im Altsächsischen und Mittelniederdeutschen nicht mit -heim, sondern mit -h?m zu rechnen ist. Die unsaubere Terminologie schlug dabei leicht in unsachliche Argumentation um. Eine ge-nauere Diskussion der einzelnen Ortsnamen wird das zeigen.
a.) Bockenem: Der zentrale Ort des Ambergaus südlich von Hildesheim erscheint seit dem 11. Jh. als Bukenem, bokenum, Bukeneim, Bukenem, Bokenum . Alle bisherigen Vorschläge  sahen in dem Namen ein niederdeutsches Boken-hem „Buchen-heim“. Allein D. Rosenthal  erwog eine andere Deutung: „Den älteren Formen nach dürfte es sich beim ersten Element um den Kurznamen Bugo, as. Buccu, ae. Buga, Bugga handeln“, und: „Andererseits [fällt auf], daß südlich Hildesheim nur wenige -heim-Namen mit einem Personennamen als erstem Ele-ment vorhanden sind. Danach bestünde also die Möglichkeit, daß Bockenem bei der Erobe-rung des Ambergaues von den Franken umbenannt wurde, und in diesem Falle wäre das Kollektivum germ *b?kina- ,Buchen-’ im ersten Element möglich“.
Die Probleme liegen nach D. Rosenthal in den Schreibungen mit -u-, die nicht zu ndt. b?k- „Buche“ passen wollen. Er könnte mit dem Hinweis auf die Unvereinbarkeit des Vokals mit den Belegen für altsächsisch b?k „Buche“ durchaus recht haben, aber es gibt auch andere Lösungen als eine Umbenennung durch Franken. 1.) J.H. Gallée  hat darauf verwiesen, daß bei westgermanisch -?- im Altsächsischen Abweichungen in Richtung zu -uo-, -u-, -ua- häu-fig (gerade auch bei Orts- und Personennamen) begegnen. Er führt u.a. an muder, hudere, B?kheim, Strûdhûson, Bûkhêm, Bûcsele, Dûdo. 2.) Zahlreiche unzweifelhaft mit ndt. b?ke „Buche“ gebilde-te Ortsnamen zeigen in Belegen vor dem Jahr 1200 Formen mit -u-: B?kheim, Bukheri, Buc-holt, B?kholte, B?c-hurst, Buchede (Beuchte), Buclide u.a.m.  3.) Eine tatsächlich erfolgte fränkische Umbenennung hätte sich in erster Linie am Konsonanten  k- zeigen und zu hoch-deutschem -ch- führen müssen. Das ist jedoch bei keinem einzigen Beleg des ON. Bockenem der Fall.
Bevor man unbewiesenen fränkischen Einfluß ansetzt, sollte der einfache Weg gewählt wer-den: für die Schreibungen mit -u- ist neben der Tendenz des Niederdeutschen, für -?- -u- zu setzen, vor allem der auch sonst zu beobachtende hochdeutsche Einfluß auf die Schreibung der Ortsnamenformen verantwortlich zu machen, der gerade in den ältesten Belegen nicht selten begegnet und uns auch noch mehrfach beschäftigen wird. Ich würde nach wie vor einen Ansatz *B?ken-h?m (zu ndt. b?ke „Buche“ + -h?m) ausgehen; allerdings sollte auch – wie D. Rosenthal vorgeschlagen hat – der ndt. PN. Bu(k)ko nicht ganz übersehen werden. Aber auch in diesem Fall ist von fränkischem Einfluß nicht auszugehen.
b.) Cantelsheim: In diesem Wüstungsnamen bei Hildesheim, dessen ältesten Belege 1141 (K.) Arnold de Cantelessem, 1142 Arnoldus de Cantelisheim, 1146 Harnoldus de Cantelesheim, 1150 Arnoldus de Cantelessem, 1211 (K.) nobilis de Cantelsem, 1213 in Cantelsem lauten , liegt nach D. Rosenthal  „im ersten Element der altsächsisch nicht belegte Personenname Gando, Gantalo, langob. Ganderis, alem. Gantalo, wfränk. Ganthar (hier mit Anlautverschär-fung, die auf oberdeutsche Herkunft des Namengebers deutet)“ vor.
Diese These wird entschieden abgelehnt von H. Kaufmann : „Neben dem PN-Stamm Gand- ist … auch mit einem durch An- und Inlautverschärfung entstandene *Kant- zu rechnen. (Ab-wegig ist hier die Auffassung von Jell[inghaus]…, der den betr. ON.-Belegen ein *Kant- als ein oberdt. verschobenes Gand- zugrunde legt.) Die Belege für unsern Nebenstamm *Kant- finden sich, wohlgemerkt, gerade in niederdt. und mitteldt. ON; z.B.: nd. Kantingerod 12.Jh., nd. Cantelis-, Canteresheim …“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
c.) Dahlum: Wie oben schon angeführt wurde, sieht man von Vertretern der Frankonisierungs-theorie überzeugende Argumente gern in den mit
 
Nord, Süd, West, Ost, Berg, Tal, Stein, Stock u.a. gebildeten  heim-Ortsnamen. So heißt es in Bezug auf die niedersächsischen Tal-heim-Namen bei O. Bethge : „Westlich davon an der wichtigen Harz-Talstraße der Nette mehrfach Dahlum (Königs-Dahlum), eins 941 als castel-lum regium Dalahem, ein anderes 1009 als curtis juris nostri Daleheym; in der Nähe ein Stochem und eine † Hachem = Hochheim?“. Die fränkische These findet auch heute noch ihre Anhänger; D. Rosenthal  bemerkt zu diesem Namen: „Im ersten Element germ. *dala- n. ,Tal’, ein Bestimmungswort, das von O. Bethge im Hinblick auf seine Verwendung in  heim-Namen als typisch fränkisch erklärt worden ist. Da sich hier auch ein fränkischer Königshof befunden hat, ist eine Namensänderung zu fränkischer Zeit möglich und jedenfalls nicht aus-zuschließen“.
Eine Prüfung der These ist notwendig. Königsdahlum bei Bockenem erscheint in den ältesten Belegen wie folgt: 826-876 (A. 15. Jh.) Daelhem, 941 (A. 17. Jh.) Dalahem, 945 actum in Talahem, 945 (A. 10. Jh.) actum in Dalahem, 1001 castellum Dalehem nominatum, um 1001 Dalehem , später als curtem Daleheym, Daleheim, in Daleheim, in Dalaheim usw.
Allein diese Belegfolge läßt erhebliche Zweifel an fränkischer Herkunft des Namens entste-hen. Man beachte folgende Punkte: 1.) Die frühe Überlieferung zeigt deutlich die Grundform des Namens an: eine Verbindung aus altsächsisch dal „Tal“ + -hem. Der Zusatz König- er-scheint in den Belegen erst in jüngster Zeit, noch 1525 heißt der Ort Dalem. 2. Der Beleg von 826-876 Daelhem kann mit R. Möller , der eine ganz ähnliche spätere Form diskutiert hat (z.J. 1020 [verfaßt um 1160] Daelheim) als Zeichen der nordseegermanischen Palatalisierung des -a- > -e- aufgefaßt werden. An diesem Lautwandel hat das Fränkische keinen Anteil; es handelt sich vielmehr um eine Erscheinung, die das Englische mit dem Friesischen und teil-weise mit dem Altsächsischen verbindet. 3.) Die historischen Belege des Namens zeigen in der Fuge zwischen den beiden Kombinationselementen dal und hem zunächst den Vokal -a-, später -e-. Dahinter verbirgt sich der Stamm des germanischen Worte dal, der als dala- nur bei den ältesten germanischen Komposita als Wortelement erschien. Mit anderen Worten: zur fränkischen Zeit wäre diese Art der Verbindung kaum noch möglich gewesen, denn dann wurde der Stammvokal zumeist unterdrückt und die ältesten Belege hätten Dal-hem gelautet. Als Ergebnis läßt sich knapp formulieren: der Name hat längst bestanden, bevor Franken Niedersachsen erreichten.
d.) Gandersheim: Nach Diskussion der problematischen Überlieferung des Ortsnamens (Gan-denesheim, Ganda, Gandan-) kommt L. Fiesel zu dem Schluß: „Sachliche Erwägungen führen … zu der Überzeugung, daß der ON Gandersheim von einem PN abgeleitet werden muß … In der Originalurkunde DO II 35 heißt das Kloster Gantheresheim … Die Kurzform Gandi des PN [Gand-heri, Gand-rik, J.U.] bildet den Ort Gandersheim. Dieser PN weist nach Westfran-ken“  .
Diese Etymologie ist völlig verfehlt. Ohne näher auf Einzelheiten einzugehen, verweise ich auf die grundlegende Abhandlung von B.-U. Kettner , in der nicht nur durch die alten Bele-ge für den Flußnamen (vgl. etwa 856 [F. 13.Jh.] iuxtra fluuium Gande, qui alio nomine Ettherna nuncupatur) deutlich gemacht wird, daß das -s- in Gandersheim sekundär ist, son-dern auch herausgearbeitet worden ist, daß der ON. auf einen Flußnamen zurückgeht, dessen Grundform sowohl als Gande < *Ganda anzusetzen ist, daneben auch auch Gander- und vielleicht noch *Gandana. Dieser Gewässername war aber – nicht zuletzt aufgrund der bis heute unsicheren Etymologie – schon längst vorhanden, bevor Franken Niedersachsen erreich-ten.
e.) Hildesheim: Dem Namen des Bischofssitzes ist schon des öfteren altsächsischer Ursprung abgesprochen worden. Dafür sprechen z.B. nach D. Rosenthal folgende Überlegungen: im ersten Element steht „der altsächsisch, altenglisch und langobardisch nicht belegte Kurzname Hild?n, weshalb eine karolingische Entstehung des Ortes möglich erscheint … ich halte … Hildesheim für eine fränkische Neugründung an der Stelle des zerstörten sächsischen Zent-rums für den alten Ostfalengau …“ . H. Goetting stellte – eine These von W. Berges referie-rend – fest: „In der Tat ist wohl der mit dem Stammwort  heim verbundene Personenname fränkisch“ und weiter, der Name gehe „auf den bekannten Abt Hilduin von St. Denis“ zurück.  
Betrachten wir zunächst die ältesten Belege aus dem UB H. Hild.: 864 Altfredus Hildenishei-mensis episcopus, 868 Altfridi Hildiniesheimensis episcopi, 872 (angebl. Or. 11./12. Jh.) Hildenesheymensis ecclesie, 873
 
(K.) sanctae Hildensemensis ecclesiae; in Hildensemensibus campis, 873 Altfridus Hildinis-heimensis ecclesiae episcopus, 873 (877) (F. 2. H. 10. Jh.) Hildineshemensis aecclesiae, 887 (A. 15. Jh.) Hildesheim, 887 (F. 11. Jh.) Hildeneshem; Variante: Hildenesheym.
Auszugehen ist offenbar von einem Ansatz Hildines-hem, aber schon früh erscheint die hoch-deutsche Variante mit -heim, die auch bald siegt. Dieses liegt eindeutig an der überregionalen Funktion als Bischofssitz, in dem schon früh durch den Zuzug von oberdeutsch sprechendem und schreibendem Klerus das Niederdeutsche in Urkunden kaum zum Zuge kommen konnte. Die Struktur des Ortsnamens ist klar: ein stark flektierender PN. Hildin + -hem, häufig als -heim erscheinend. Und wie steht es um den angeblich altsächsisch, altenglisch und langobar-disch nicht belegten Kurznamen Hild?n? D. Rosenthal hat übersehen, daß der Name als Hillin, Hildini und wohl auch Hillinius  zweimal in Corvey  und einmal in Paderborn er-scheint. Das ist zwar noch kein absolut sicheres Zeichen dafür, daß es sich dabei auch wirk-lich um Sachsen gehandelt hat, aber immerhin ein Indiz. Aber es gibt ein viel wichtigeres Zeichen, daß es sich bei dem Träger desjenigen Personennamens, der im Ortsnamen Hildes-heim fortlebt, nur im einen niederdeutsch sprechenden gehandelt haben muß: das -d- in Hildi-nes- kann nur altsächsisch sein, hochdeutsch erscheint an dieser Stelle -t-: Hiltibrant enti Haðubrant (Hildebrands-lied). Somit gibt es gewichtige Argumente für altsächische Herkunft des zugrundeliegenden Personennamens und gegen fränkische Herkunft.
Gegen eine Benennung des Ortes im Zuge der 815 erfolgten Bistumsgründung mit einem fränkischen Personennamen, konkret nach Abt Hilduin von St. Denis, der übringens erst seit 818 Kanzler Ludwigs des Frommen war, sprechen auch außersprachliche
 
Gründe. Zum einen fragt man sich, warum der neu begründete Bischofssitz ausgerechnet nach Hilduin und nicht z. B. nach Ludwig dem Frommen als Gründer oder nach dem ersten Bischof benannt worden sein sollte; die oft ins Feld geführte These, daß eine enge Verbindung Hildes-heims zu St. Denis festzustellen sei, so z.B. im Gedenkbuch des Domkapitels (aus dem 12. Jh.), um damit die Bennenung nach Hilduin zu begründen, muß nicht aus karolingischer Zeit herrühren, sondern könnte ebenso aus der Zeit Bischof Berwards stammen. Denn dieser reiste 1007 nach St. Denis und kehrte von dort mit Reliquien zurück; ein Vorgang der einen Eintrag in das Gedenkbuch des Domkapitels wahrscheinlich macht.  Zum anderen erscheint die Gründung eines Bischofssitzes ohne vorherige Siedlung recht ungewöhnlich für das Vorgehen der Karolinger in Sachsen; nimmt man aber an, daß zuvor eine Siedlung bestanden hat, die einen fränkischen Namen erhielt, so ist relativ erstaunlich, daß keinerlei Nachrichten über den Namen dieses Ortes auf uns gekommen sein sollten. Es muß wohl eher von einer schon beste-henden Siedlung ausgegangen werden, die von Sachsen gegründet und auch benannt wurde, und deren Name von den Franken übernommen wurde.
f.) Höckelheim (Kr. Northeim): Der westlich von Northeim liegende Ort Höckelheim ist des öfteren fränkischer Herkunft verdächtigt worden; fast scheint es sich sogar als gesicherte Er-kenntnis durchgesetzt zu haben. Den Anfang machte H. Kaufmann, der eine Herleitung von einem Appellativum ablehnte und an einen fränkischen Personennamen im Bestimmungswort dachte. Diese Auffassung ist von R. Wenskus übernommen worden: „Der fränkische Charak-ter dieses Namens ist vor allem von H. Kaufmann herausgearbeitet worden. Wir haben in anderen Orten dieses Namens, in Hucklinheim (Ittlingen) bei Eppingen und in Heuchelheim bei Gießen (Erpho) Angehörige dieses Traditionskreises tradieren sehen. Er scheint also die-sen Namen aus fränkischem Bereich in die neue sächsische Heimat übertragen zu haben“ .
Vor einer Wertung ist es unerläßlich, die ältesten Belege des Ortsnamens zusammenzustellen. Es sind: 1016 Hukilhem, (1055-1065) (Vita Meinwerci) Hukelhem, 1097 (F. 12.Jh.) Helmol-dus de Hukilheim, 1103 Huclehem, 1137 Wernerus de Hukilen usw. .
Betrachten wir uns unter diesem Aspekt nochmals den Vorschlag von H. Kaufmann, so ist schon von hieraus klar, daß seine Deutung verfehlt ist. Weder ist ein -n- noch ein -s- für den Genetiv Singular eines schwach oder stark flektierenden Personennamens zu erkennen. Zu-dem ist, wie H. Wesche zurecht festgestellt hat , Kaufmanns „RN *Hugil(o), auf den er sie alle zurückführt …, auch nur, wie er selbst sagt, erschlossen“. Wenige Zeilen später hat H. Wesche den richtigen Weg angezeigt: „Bei Höckelheim halte man sich vor Augen, daß in ON mit -heim schon in ältester Zeit Appellative als BW auftreten“.
H. Wesche spielt damit offensichtlich auf ältere Deutungen an, in denen bereits eine vollstän-dige Klärung des Namens vorgelegt wurde. Man denkt an eine Ableitung von hukil „kleiner Hügel“, eine Deminutivbildung zu huk „Hügel“ . Zum Appellativum Hückel ist nachhaltig auf die ausführliche Darstellung bei T. Valtavuo  47ff., der auch Ortsnamen (darunter auch unseren) heranzieht, zu verweisen. Auch die Realprobe paßt zu der Deutung: der Ort liegt deutlich erhöht am Rand der Leineaue. Die Suche nach einem fränkischen Personennamen im Ortsnamen Höckelheim ist aufzugeben.
g.) Hönnersum: Dieser Ort im Kreis Hildesheim ist seit dem Ende des 13. Jh. wie folgt belegt: 1282 (A. 15. Jh.) in villa Honersheym, Variante: Honersheim; 1319 in Honersem; 1380 a villa Honersem; in Honersem; 1382 in Honersum; 1448 dem Honnersemer velde; 1458 Hon-nersem; 1488 to Honersen; 1502 Genteman van Honnerszen .
Rosenthal, Diskussion 386 sieht darin ndt. -h?m und im ersten Teil den „alten und seltenen germanischen Personennamen *Aunher, nur in aleman., fränk. Honher (mit unorganischem H-) belegt“. Er geht also von einem nicht mit H- anlautendem Personennamen aus, der im Alt-niederdeutschen nicht belegt sei. Rosenthal irrt in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird man angesichts der völlig konstanten Belegreihe mit anlautendem H- doch nicht einen Personen-namen vermuten dürfen, der kein H- besessen hat. Und zum anderen findet sich ein sicherer Anschluß unter dem Ansatz Hun- bei Förstemann : Honher, Hunir, verwandt mit den neu-hochdeutschen Personennamen Honer, Höner, Hühner. Nichts spricht dagegen, in Hönnersum diesen Namen zu vermuten. Fränkisches bleibt erneut fern.
h.) Hockeln: Dieser Ort bei Bad Salzdetfurth erscheint seit der Mitte des 12. Jhs. in den ältes-ten Belegen wie folgt: 1146 in Hukenem, (1175-78) in Hokenem, 1187 Bertolt de Hukenem, 1201 Bertoldus de Hokenem, 1201 Bertoldus de Hukenem, 1201 (K.) Bertoldus de Hokenem.
Auch dieser Name enthält im Bestimmungswort Fränkisches: „Im ersten Element der typisch fränkische Personenname Hugo, hier mit Inlautverschärfung“ . Im Grundwort soll -h?m vorliegen. Abgesehen davon, daß das Grundwort -h?m nicht sicher bezeugt ist (zwar kann man hinter der Schreibung Hukenem eine Form Hukenhem vermuten, aber ganz sicher ist das nicht), dürfen doch ältere Deutungsvorschläge nicht einfach unberücksichtigt bleiben. Völlig richtig stellt nämlich E. Förstemann  den Namen zu hess. huck „hervorragender Hügel, Berg“, mnd. hocke, göttingisch hucke „Haufe von Sachen“, westf. h?ke „Haufen“ u.a.m. Auch H. Wesche hält H. Kaufmanns Vorschlag für „bedenklich“ . Zieht man zu dem Hü-gelwort huck noch die ausführliche Darstellung bei T. Valtavuo  hinzu, so bleibt für eine Herleitung aus einem PN. Hugo – gleich, ob nur fränkisch bezeugt oder nicht – kein Raum.
i.) Hotteln: Der ebenfalls im Kreis Hildesheim liegende ON. Hotteln enthält nach Rosenthal, Diskussion 387 den Personennamen-Stamm H?d-, „hier in der Nebenform H?tt-, die sonst nur in westfränkischen, westfälischen, südniedersächsischen und nordhessischen Ortsnamen fränkischer Provenienz auftritt“. Da der Ort aber auf guter Siedlungslage mit guten Bodenver-hältnissen liegt, setzt er hinzu: „Man kann deshalb die Möglichkeit einer späteren Umbenen-nung in Betracht ziehen“.
Diese Etymologie ist mehr als strittig. Hotteln, 826-876 (A. 15. Jh.) Hottenhem, 1022 (F. 1.H. 12.Jh., 2. H. 12. Jh.) Hottenhem, Hottenem, sonst Hottenhem, Hottenem , kann durchaus auch ein Appellativum im Bestimmungswort enthalten , wenn man an Namen wie Hottepe (ein Fluß- und apa-Name bei Brilon); Hutfleth bei Jork, alt Hotflete; Hotton, ON. in der Prov. Belg. Luxemburg, an der Ourthe („terrain marécageux“), 12.Jh. Hottinne, Hotine und Hoet-mar bei Warendorf, alt Otomar, Hothmere, Hotnon denkt. Von diesen ist sicher keiner mit einem PN. gebildet; einige zeigen klare Beziehungen zu hydronymischen Grundwörtern; eine eingehende Prüfung des Materials unter gesamtgermanischem Blickpunkt ist not-wendig. Vor Abschluß dieser bleibt ein fränkischer Personenname im ON. Hotteln unbewie-sen.
j.) Höxter: Der ON. Höxter an der Weser soll nach H. Kaufmann von einem fränkischen PN. Hugo abgeleitet sein. Es schreibt: „Der Ort *Huges-s?ri wurde von den Franken gegründet zur Sicherung des Flußüberganges als ‘Siedlung eines Hug(i) auf trockenem Gelände’“ . Diese Deutung ist völlig verfehlt.
Die alten Belege zeigen zweifelsfrei eine alte -r-Ableitung: 822 Huxori, 823 Huxori, 826 Huxori, alt aber auch Huxeri , steht wohl in einem Zusammenhang mit Hücker bei Herford, 1151 Hucheri, 12.Jh. Huckere , Huxeli (Wg. bei Höxter), sowie weiteren Name wie auch dem -ithi-ON. Huckarde, OT. v. Dortmund, 947 Hucrithi, 1214 Hukirde. An der Verbindung mit hess. huck „hervorragender Hügel, Berg“ gibt es gewisse Zweifel .
Beachtenswert ist die Tatsache, daß sowohl im Namen von Höxter wie bei den offensichtlich verwandten *Hukeshole, *Hukesowe ein -s- anzusetzen ist. Damit wäre eine lautliche Ent-wicklung wie bei hdt. Axt < *akwesjô  anzunehmen. Es fehlt aber noch ein überzeugender Anschluß; am ehesten wird man eine Verbindung zu der idg. Wz. *keu-g-/*keu-k- „krümmen, Buckel, Höcker“, wozu ja auch dt. Hügel, Höcker, Hocke, hocken gehören, suchen können. Aber die Bildung mit einem  r-haltigen Suffix halte ich für sicher , womit die Ableitung von einem Personennamen sofort ausscheidet.
k.) Northeim, Medenheim, Sudheim/Sottrum, Stöckheim und Konsorten: Der Komplex derje-nigen -heim/-hem-Ortsnamen, der auf die Himmelsrichtungen und auf mutmaßliche Holzablie-ferung Bezug nimmt, gilt allgemein als eines der sichersten Kennzeichen fränkischen Einflusses auf die niedersächsische Toponymie. Ausgehend von O. Bethge hat man zunächst die Meinung vertreten, die nach Himmelsrichtungen benannten Siedlungsnamen müßten in einem bestimmten Verhältnis zueinander gestanden haben und planmäßig benannt sein, „denn die ON. stehen unzweifelhaft im reziproken Verhältnis, keiner ist allein für sich denkbar“ . Daraus ergab sich sehr rasch der Glaube an eine gelenkte Benennung: „Es ist undenk-bar, daß Nieder-, Mittel- und Oberfranken, Sachsen und Bayern, Thüringer und Alemannen und Hessen überall bei der Besetzung und Besiedelung des Landes auf den gleichen Gedan-ken gekommen wären, derartige schablonenhafte Namen zu wählen nur für eine gewisse Klas-se von Orten, also überall so schematisch vorzugehen“ .
Diese These hat bis heute weite Kreise überzeugt, gerade auch hinsichtlich der Namen entlang des Leinegrabens: „Außerdem ist gerade der Komplex Northeim-Medenheim-Sudheim von der Forschung meistens als karolingisches Königsgut längs der alten Heerstraße von Süden nach Norden angesprochen worden“ . Daß auch L. Fiesel diesem zustimmte, verwundert angesichts der frankenfreundlichen Tendenz des Autors nicht . Aber auch für R. Wenskus zeigen „ Northeim, †Medenheim, Sudheim, Stöckheim, † Sultheim u.a. vielerorts fränkisches Königsgut an“ , wobei „diese benachbarten Orte … durch ihre Namen bereits die Annahme eines fränkischen Fiskalkomplexes nahe [legen]“ . Dieser allgemeinen Tendenz hat sich auch C. Jochum-Godglück nicht immer entziehen können, zumal sie auch einen Bearbeiter der südniedersächsischen Ortsnamen ergriffen hat. W. Flechsig schrieb: „ … so entstanden um Northeim als jüngere Nachzügler Stöckeim, Höckelheim, die Wüstung Sultheim bei Northeim, Northeim selbst, Sudheim und das zwischen den beiden gelegene Medenheim. Die jüngsten von ihnen, vor allem die zwei letztgenannten, stammen wohl erst aus der Karolingerzeit und können mit ihren ‘fiskalischen’ Namenbildungen als fränkische Staatsgründungen angesehen werden „.
Sollte man nicht angesichts der breiten Zustimmung die Skepsis aufgeben? Ich möchte mich auf einen Göttinger berufen; in einem Nebensatz hat G.C. Lichtenberg in seinen Philosophi-schen Bemerkungen angemerkt: Was jedermann für ausgemacht hält, verdient am meisten untersucht zu werden.
Die Kritik setzt an einem Ortsnamen ein, den keiner der Befürworter beachtet hat: es ist der 10 km südlich von Northeim liegende kleine Ort Nörten (heute Nörten-Hardenberg). Er geht auf eine germ. Grundform *Nord-tun „Nord-ort, Nord-stadt“ zurück, hat kein *Süd-tun neben sich, im Süden allerdings Bovenden < *Bobbontun als mutmaßlichen Antipoden, und wider-spricht damit völlig den vorgebrachten Argumenten: 1.) Er steht in keinem reziproken Ver-hältnis zu einem anderen orientierenden Ortsnamen, sondern vielleicht zu Bovenden (Bobbantun).  2.) Er entstammt nicht der fränkischen Zeit, sondern einer viel älteren Perio-de, die toponymisch Norddeutschland, die Niederlande, Belgien, England und den Norden umfaßt . 3.) Während das -t- in Nörten aus einer Vorform *Nord-tun > Norttun > Nortun leicht erklärlich ist, gibt das -t- im Namen Northeim heute noch einige Rätsel auf. Eine der Lösungen könnte darin liegen, daß es sein -t- von Nörten erhalten hat.
Der entscheidende und von keinem Befürworter der fränkischen Herkunft für möglich gehal-tene Widerspruch liegt aber in der sprachlichen Analyse der angesprochenen Ortsnamen Nor-theim, Medenheim und Sudheim. Dabei hat O. Bethge diesen Aspekt durchaus berührt und auf ihre große Bedeutung für die Herkunft der Namen hingewiesen. Allerdings zog er falsche Schlüsse.
Die Diskussion dieses Passus ist von grundlegender Bedeutung. Bethge schrieb: „Endlich eine sprachliche und hoffentlich zutreffende Bemerkung: In Westfalen, Hannover, im Lippeschen kommen alte Namen wie Sundhem, Sundhus, Sunderhusun, Suntum, Sundwich, Sundorp (Suntrop, Sundarp) vor, meist mit Nord-, West-, Ost-Orten korrespondierend. Im Altsächsi-schen aber heißt der Süden stets sûd (sûth). Wäre hier völkischer Ursprung der Benennung anzunehmen, so hätten wir frühzeitig ein Sûthem, Sûdhusun u.ä. Sund ist aber oberdeutsch! Es gibt kein Beispiel eines nd. sund! … Jedenfalls sind sie ursprüngliche Fremdkörper, d.h. von süd- oder westdeutschen ‘Franken‘ (= fränkischen Untertanen; das können auch gebore-ne Alemannen usw. sein) gegründete Kolonistenorte …“ .
Niemand hat diesen wichtigen Satz aufgegriffen, obwohl er Elementares enthält. Wenn er stimmen würde, wären in der Tat sprachlich unumstößliche Argumente gewonnen. Nur: dem ist nicht so. Bethge hat nämlich ein entscheidendes Kriterium nicht beachtet (wobei nach-drücklich darauf zu verweisen ist, daß es auch späteren Anhängern der Theorie hätte auffallen müssen): zu trennen ist von einmaligen Schreibungen, die gar nicht die wirkliche Aussprache eines Ortsnamens wiedergeben, und einheimischer Überlieferung, die wesentlich höher zu bewerten ist als eine Aufzeichnung im Vatikan, in Regensburg, Worms, Speyer oder Fulda.
Beginnen wir die Kritik bei Sudheim, 5 km südlich von Northeim gelegen. Der älteste Beleg spricht für süddeutschen Einfluß: 780-802 (A. 12. Jh.) Suntheim . Er stammt aber aus Fulda und ist daher mit R. Möller  als einmalige Abweichung einer sonst nasallosen Überlieferung (in Sutheym, in Sutheimb; Aueze de Sutheim; Suthem) zu verstehen. Sudheim enthält in sei-nem Bestimmungswort Sud- einen eindeutigen Hinweis auf Einbindung in nordseegermani-sche Verbindungen, was dazu führen muß, die Existenz des Ortsnamens für eine Zeit anzusetzen, in der das Frankenreich erst im Entstehen begriffen war. Nach allgemeiner Ein-schätzung  ist der Nasalausfall spätestens in das 3.-8. Jh. zu setzen. Diese Behauptung läßt sich anhand eines Dutzends identischer Ortsnamen stützen. Auch D. Rosenthal, der fränki-schem Einfluß durchaus wohlwollend gegenüber steht, führt unter Sottrum bei Hildesheim, 1149 Sutherem, 1162 Sutherem, aus : „Wie schon … erwähnt, sind Richtungswörter nicht erst in fränkischer Zeit gebraucht worden; man vergleiche Søndrum in Dänemark, Søreim, Sørem, sørum in Norwegen, Southem in England“.
Eine gründliche und in diesem Zusammenhang noch nie berücksichtigte Bearbeitung der Suth-hem-Namen verdanken wir jedoch U. Scheuermann . Er hat unter Bezug auf die fast aus-schließlich auf niedersächsischem Boden liegenden Ortsnamen Sottrum, Sorthum, Sorsum, Sottmar, Soßmar, Sustrum, Sossen und Sutrum, die allesamt auf *Sûther-hem „Süderheim“ zurückgehen, herausgearbeitet, daß wir einen altniederdeutschen Typus vor uns haben. Mit Recht hat er fränkischen Einfluß überhaupt nicht in die Diskussion aufgenommen.
Völlig verfehlt ist fränkischer Einfluß auch bei Medenheim, der Wüstung zwischen Northeim und Sudheim. Man hat sich auch hier zunächst von dem ältesten Beleg, der in die Fuldaer Tradition gehört, täuschen lassen. Neben diesem (780-802 [A. 12. Jh.] Mettenheim) stehen ausschließlich Formen mit altsächsischem und mittelniederdeutschen -d-: 982 Meden-
heim, 1055 (A. 16. Jh.) Medheim, Medeheim, 1141 (verunechtet) Medeheimb, Medehem usw. Schon dadurch wird deutlich, daß die niederdeutsche Variante mit -d- entschieden überwog. Völlig zweifelhaft aber wird die gängige Deutung „Mittelheim“ (zwischen Nort- und Sud-heim) durch die Etymologie: es ist keineswegs ausgemacht, daß im Bestimmungswort wirklich ahd. oder asä. mittil, middel steht. Bei E. Förstemann  findet sich Medenheim unter einer Gruppe von Namen, die mit lat. medo „Wassermet; fetter Tonboden“ verbunden werden. Ob diese Etymologie richtig ist, kann bezweifelt werden; sie ist aber nicht schlechter als der Ver-such, an dt. Mitte, mittlerer anzuknüpfen. Die weit verbreitete Ansicht, der Wüstungsname Medenheim sei als fränkische Siedlung zwischen Northeim und Sudheim entstanden, ist somit in zweifacher Hinsicht verfehlt.
Ein wichtiges Argument fränkischer Siedlung fand man, wie schon mehrfach angedeutet, auch in dem Typ der Stockheim-Namen. Dazu heißt es etwa bei H.-J. Nitz, der natürlich auf älteren Untersuchungen, beginnend bei O. Bethge, aufbaut: „Wir denken dabei vor allem an die sehr häufig vertretenen Stockheim und Stammheim, die bisher ähnlich wie Holzheim und Holzhau-sen als Rodungsnamen gedeutet wurden. Da jedoch, wie schon festgelegt, die Anlage der Rodung der Normalfall jeder Siedlung ist, vermag diese Deutung uns nicht zu überzeugen. O. Bethge gibt zu überlegen, ob Stockheim ‘sich z.B. auf das senkrechten Ständern erbaute Blockhaus beziehen (kann)’. In diese Richtung einer Bauweise zu besonderen Zwecken könn-te die Erklärung gehen, während eine funktionale Parallelität zu Holzheim und Holzhausen ausscheidet, denn mehrfach treten beide benachbart auf. Das Problem sei hier nur angespro-chen, eine Lösung sollte von der Namenforschung zu erwarten sein“ .
Wir hatten schon gesehen, daß Holzheim, Holzhausen, Holtensen nicht dt. Holz enthält, son-dern zu ahd. holz, asä. holt „Wald“ gehört. Stöckheim, Stöcken ist ein häufiger Namentyp, bei dem schon Förstemann verschiedene Grundlagen vermutet hat. So war seiner Ansicht nach „im Bremischen und Holsteinschen … stock auch ein Ständerwerk-Gebäude“ . Weit häufiger aber steckt in den Ortsnamen ahd. stoc(h), asä. stok „der Baumstumpf“, in Namen „Ansamm-lung von Baumstümpfen, früherer Hochwald“, anord. stokkr „dicker Baumstamm“ . Eine neuere Untersuchung germanischer Wörter zeigt, daß an einer alten Bedeutung „Stock, Stamm, Stumpf, Block u.ä.“ nicht zu zweifeln ist .
Selbst der fränkischem Einfluß durchaus nicht abgeneigte L. Fiesel erkannte, daß der Typus Stock-heim unmöglich den Franken zugeschrieben werden kann: „Stocheim ist eine Zusam-mensetzung des GW -heim mit Stuk(en), ‘Baumstumpf’, eine der häufigen Bildungen, die von den Alpen bis zum Niederrhein und bis zur Elbe vorkommen“ .
l.) Ohrum: Dagegen glaubte Fiesel, den Ortsnamen Ohrum bei Wolfenbüttel mit fränkischem Einfluß in Verbindung bringen zu können: „Ohrum südlich Wolfenbüttel an der Oker, wo nach gleichzeitigen Berichten Karl der Große (780) die bekannte Massentaufe von Sachsen vornahm, ist ein gegen das Land der freien Sachsen vorgeschobener Posten“ . In einer An-merkung wird der Name von L. Fiesel als Horoheim „Sumpfheim“ erklärt.
Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu wollen , sei hier nur kurz erwähnt, daß 1.) das Sumpfwort hor hier nicht enthalten ist ; 2.) die alten Belege zwischen Orheim und Arem schwanken, was auf asä. * ?  < germ. * au  weist, und daher 3.) von einer Grundform *Aur-h?m auszugehen ist, dessen Bestimmungswort mit dem germanischen Norden in Verbindung steht: gemeint ist altnord. aurr „sandiger Boden, Kies, mit Stein untermischter Sand“, isl. aur „Lehm, Schmutz; Schlamm, Schlick; Geröll, Schotter“, norw. aur, aurr, ør „Bodensatz, Hefe, sandiger Grund, grober Sand; Boden, Erde, Kieserde, harte Erde; Gemisch aus Kies und Sand; Delta, Sandbank“, schwed. ör „Schotter, Sandbank aus Schotter, Sandbank, Insel“, „Kies, Steingrund“. Hierzu gehören auch der Öresund und Helsingör. Welche Konsequenzen man aus dem Nachweis eines nordgermanischen Wortes in einem niedersächsischen Ortsna-men noch ziehen kann, soll hier nicht erörtert werden. Wichtig ist für unsere Frage nur, daß der ON. Ohrum, der aufgrund eines Beleges aus dem Jahr 747 oder 748 zusammen mit Schö-ningen der älteste bezeugte Siedlungsname Niedersachsens ist, nichts mit fränkischem Einfluß zu tun hat.
m.) Osterem, Östrum: Zu den fränkischen Einflüssen zählt man nicht nur Nordheim, Sudheim und Westendorf, sondern auch Kombinationen mit Ost, Osten. Dazu gehört etwa Osterem, eine Wüstung bei Pattensen südlich von Hannover. Die Belege dieses Namens liegen nun gesammelt vor , genannt seien 1222-1227 Estenhem, nach 1225 Ostrem, um 1260 Ostenem, Ende 13./Anfang 14. Jh. Ostenem.
Nach E. Steigerwald  scheint eine fränkische Namengebung vorzuliegen. Er begründet die-ses mit dem Satz: „Die -em-Endung kann zwar eine -heim-Abschleifung sein und damit auf eine frühere Namengebung hindeuten, das orientierende, eine Himmelsrichtung angebende Bestimmungswort Ost- kommt jedoch nur bei Gründungen auf fränkischem Königsgut vor“. Aus diesem Satz wird deutlich, wie fest verwurzelt bereits der angeblich fränkische Einfluß in niedersächsischen Siedlungsnamen ist. Betrachten wir vor einer Erörterung des Problems einen weiteren Namen dieses Typs. Es ist Östrum bei Bad Salzdetfurt, (um 1226) Osterim, 1274 Osterim usw. . Dazu meint D. Rosenthal, der dem Fränkischem durchaus nicht abge-neigt ist: „Das Bestimmungswort scheint eine typische Richtungsbezeichnung der fränkischen Verwaltung, kann es aber nicht sein, da der Ort nordwestlich von der fränkischen Anlage Bodenburg liegt … Name und Ort müssen also vorfränkisch sein, wie ja auch Richtungswörter bereits aus altgermanischer Zeit in Ortsbezeichnungen überliefert sind …“ .
Dieser Auffassung kann nur beigepflichtet werden. Viel zu wenig wird in diesem Zusammen-hang aber auch der wichtige Beitrag von H. Kuh, Ostenfeld und Westensee  herangezogen, der deutlich gemacht hat, daß Kombinationen wie Ostendorf, Westenhem einer älteren Bil-dungsweise angehören als Ostdorf und Westheim. Das empfinden selbst noch heutige Spre-cher des Deutschen. Nachdrücklich ist in diesem Zusammenhang auch auf P. v. Polenz zu verweisen , der ganz entsprechend im Zusammenhang mit dem Westargouwe ausgeführt hat: „ … die Richtungsbezeichnung ist hier mit dem Richtungssuffix *-þra versehen (ahd. westar).
 
Das widerspricht der Bildungsweise der orientierenden Namen aus staatlich-fränkischer Na-mengebung“. Somit ist fränkischer Einfluß auf die Ortsnamen Osterem und Östrum aus meh-reren Gründen auszuschließen.
n. Meine, Rethen: Die hier zu behandelnden Ortsnamen aus dem Kreis Gifhorn sind von W. Meibeyer im Anschluß an L. Fiesel  in einen Zusammenhang mit fränkischem Einfluß ge-bracht worden. Er hat ausgeführt : „Ein Blick auf die  heim-Namen erweist diese als unter-schiedlich gebildet. Denn die Wüstung Ellardesheim (nördlich Hillerse) enthält einen Personennamennamen. Meine (1007 Meyum) und Rethen (1301 Rethene) sind hingegen ap-pellativisch gebildet. Das Vorkommen den Franken zugeschriebener Ortsgründungen mit -heim-Namen auf sächsischem Boden bereits vor den Sachsenkriegen erfährt seine Erklärung aus der frankenfreundlichen Einstellung verschiedener sächsischer Adelsfamilien, wodurch fränkische Einflüsse und Siedlungsinitiativen in Teilen Sachsens schon frühzeitig an Boden gewinnen konnten“.
Bei allen drei Namen gibt es Zweifel an einer Verbindung mit asä.  h?m (es empfiehlt sich, die niederdeutsche Variante zu verwenden; schon die Angabe „-heim“ erzeugt unzulässiger-weise eine Verbindung mit dem Hochdeutschen).
1. Ellardesheym kann der Wg. Eilerse bei Hillerse zugeordnet werden; die weiteren Belege weisen eher auf -husen: 1318 Eylerdessen, 1330-1352 Eylerdessen usw. .
2. Rethen, 1301 Rethene, 1323 Rethem, 1341 Rethen, 1343 Rethene, 1349 Rethen, 1350 Re-them, 1445 Rethem  ist sprachlich von Rethen südl. Hannover nicht zu trennen, dessen Überlieferung wesentlich früher beginnt: (1100-1200) Reten (2mal), 1244 Vulverus de Rhethen, (1247) de Retene usw. . Etymologisch gehört Rethen zu dem bekannten Ried-Wort, vgl. hdt. Ried, mhd. riet, ahd. (h)riot, asä. hriod, mnd. rêt, reit „Schilfrohr“, nnd. Reet, Reit „Ried, Riedgras, schilfartiges Gras, Schilfrohr“, ae. hr?od, afries. hri?d, hreid. Die Überlieferung Rethen, Rethene ist am ehesten als Reflex des alten Dat. Plur. Retum, Retun zu verstehen. Mit -h?m hat der Name nichts zu tun, obwohl später ein auf  hem deutendes -m- in die Überlieferung eindringt.
3. Zweifel an der Auffassung, daß Meine ein -h?m-Name sei, hat schon H.-H. Kretschmann geäußert . Betrachtet man sich die ältesten Zeugnisse 1007 (A. 14. Jh.) Meynum, 1022 (F. 12. Jh.) Mainum (2mal), (um 1220) (A. 14. Jh.) Meinnem, 1265 Meynum, 1266 Mejnjm, um 1274 Meynem, 1291 (A. 15. Jh.) Meynem, 1297 Meynum, 1316 Meynum, 1318 Meynum, 1334 Meynum , so werden die Zweifel keineswegs geringer. Die Endung -um aus den Bele-gen des 11. Jhs. darf keineswegs bereits als Ergebnis der in der Braunschweiger und Hildes-heimer Gegend typischen Entwicklung alter -h?m-Namen zu -um (Borsum, Harsum, Achtum, Mehrum, Sorsum, Ohlum usw.) interpretiert werden . Hinter Meinum verbirgt sich eher wie bei Rethen ein Dat. Plur., so daß die Ableitungsbasis in Mein- gesucht werden muß.
Eine Deutung ist schwierig, weil -ei- in niederdeutschen Namen und Wörtern im allgemeinen erst sekundär durch Ausfall eines -g- oder -d- einstanden ist, so etwa bei Peine, Leine u.a. Man könnte also von einer Grundform *Magin-um, *Madin-um (oder unter Abtrennung der Dat.Plur.-Endung von *Magin-, *Madin-) ausgehen, wobei aber Sicherheit kaum zu gewinnen ist. Spekulationen über die Etymologie des Namens helfen kaum weiter, jedoch sollte die Ähnlichkeit der lautlichen Entwicklung bei Mayen nahe Koblenz, alt Megina, Megena, 1110 Meina, oder Meyen an der Maas, alt Meginum, Megena, und auch Meinberg bei Detmold, alt Megenberg, nicht übersehen werden. Hinzuweisen ist aber auch auf eine Sippe von westfäli-schen Namen um Mante, Mahnen, Mane, Mahne, Homeynen, alt Honmeynen .
Wenn auch letzte Klarheit nicht gewonnen werden kann, dürfte aber dennoch recht sicher sein, daß Meine zu einer dieser beiden Gruppen gehört, somit aber eine Bildung mit -h?m nicht in Frage kommt.

Auswertung und Schluß

Nach Durchsicht der meisten Ortsnamen, bei denen fränkische Herkunft oder fränkischer Einfluß vermutet worden ist, können wir zu einer Auswertung und zu einem zusammenfassenden Urteil – auch über die -heim-Namen in Nieder-sachsen – kommen.
O. Bethges Versuch vom Anfang dieses Jahrhunderts hat bis heute nachgewirkt. Man erkennt dieses an Äußerungen wie z.B. von H.-J. Nitz, der recht zutreffend die allgemeine Meinung unter Einbeziehung von namenkundlichen Argumenten umrissen hat: „Auch Namensforscher wie A. Bach und Historiker wie Albert Hömberg sind der Auffassung, daß die inselartigen Vorkommen von -heim-ON in Nordwestdeutschland z.B. um Hildesheim und südlich von Braunschweig erst seit der fränkischen Eroberung entstanden sein können. Gerade um Hildes-heim und Braunschweig treten massiert jene schematischen -heim-Namen wie Nord-, Süd-, West- und Ostheim, Bergheim, Mühlheim, Talheim, Buchen- und Eichenheim usw. auf, die vielfach als fiskalische Gründungen gelten.“ . Ganz ähnlich heißt es bei W. Meibeyer: „Schließlich ist aus verschiedenen anderen Gebieten seit längerem bekannt, daß eine Art von amtlicher Kolonisation des fränkischen Staates stattgefunden hat, welche unter einer gewissen Bevorzugung des Grundwortes -heim an bedeutsamen Stellen Siedlungen oft auf königlichem und/oder konfisziertem Grund und Boden etwa in Sachsen errichtet hat. Die Ortsnamen wur-den auffällig schematisch gewählt, und niemals scheinen dabei in den Bestimmungsworten Personennamen, sondern stets Appellativa zur Anwendung gekommen zu sein“ .
Wir hatten gesehen, daß die sprachliche Seite der angesprochenen Namen auch von A. Bach und anderen unzutreffend beurteilt worden ist und die altsächsische und mittelniederdeutsche Sprachentwicklung nicht ausreichend berücksichtigt wurde . Die -h?m-Namen des südli-chen und südöstlichen Niedersachsen gehören in einen ganz anderen Zusammenhang. Daß die fränkische Organisation nicht entscheidend gewesen sein kann, ergibt sich auch aus der Streu-ung der -h?m-Namen in diesem Gebiet, denn dieser Typus fehlt in den Altkreisen Göttingen, Osterode, Duderstadt und Münden gänzlich (vgl. Karte 3). „Das ist sehr merkwürdig“, be-merkt W. Flechsig mit Recht und schreibt weiter: „Denn wenn Namen solcher Art von den fränkischen Beamten geprägt worden sind, wie wir annehmen, so müßten sie eigentlich über-all dort zu finden sein, wo in der Karolingerzeit von Staats wegen neue Wohnplätze angelegt wurden. Es ist aber unwahrscheinlich, daß die Kreise Münden, Göttingen, Duderstadt und Osterode sowie Holzminden und Gandersheim, wo ebenfalls keine ‘fiskalischen’ -heim-Namen vorkommen, frei von Stützpunkten der fränkischen Militär- und Zivilverwaltung gewesen sein sollten“ .

Gegen fränkische Herkunft der -h?m-Namen Niedersachsens spricht auch das Vorkommen dieses Typs in den Niederlanden, Belgien und England, worauf bereits bei der Diskussion der -stedt-Namen (s.o.) hingewiesen wurde .
 
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Datierungsversuche von Kretschmann , der die Zeit vom 3. vorchristlichen bis zum 5. nachchristlichen Jahrhundert favorisiert hat, durchaus zu-treffen können. Namen wie Achim (< Aha-hem) oder Ohrum (*Aur-hem) gehören zur ältesten Schicht germanischer Namen. A. Bachs Ablehnung der Kretschmannschen These  unter Berufung auf Prähistoriker berücksichtigt nicht, daß germ. haims seinen engsten Verwandten in lit. ki?mas „Bauernhof, Dorf“ besitzt und somit davon abgeleitete Ortsnamen schon zum ältesten Bestand germanischer Namengebung gehören müssen. Daß es daneben auch jüngere Bildungen mit -h?m geben muß, bleibt davon unberührt .
Völlig unzutreffend ist L. Fiesels Bemerkung, wonach -h?m den alten Sachsen fremd gewe-sen sei . Zudem ist mit F. Schwarz zu betonen, „daß in Schweden und England dieselben -heim-Namen vorkommen, bei denen fränkischer Einfluß ausgeschlossen ist. Bildungen wie Tal-, Bach-, Bergheim konnten sich überall leicht einstellen“ . Die Eintönigkeit der Namen-gebung beruht nicht auf fränkischer Kolonisationstätigkeit, sondern auf „der volkstümlichen Einfachheit, Nüchternheit, Genügsamkeit und dem engen Horizont der Bewohner eines klei-nen Wirtschaftsraumes“ .
Greift man unter diesen Gesichtspunkten nochmals zur großen Arbeit von C. Jochum-Godglück  und betrachtet sich die dieser Untersuchung beigegebene Verbreitungskarte der orientierten Siedlungsnamen auf -heim, -hausen, -hofen und -dorf (vgl. Karte 4), so zeigt die Streuung der norddeutschen Namen (um diese geht es hier allein) im wesentlichen eine De-ckung mit zahlreichen anderen altertümlichen Ortsnamentypen. Die entscheidenden Punkte sind:
1. Rasches Nachlassen östlich und nördlich der Elbe.
2. Geringes Vorkommen in Schleswig-Holstein.
3. Konzentrationen in den Lößgebieten nördlich der deutschen Mittelgebirge.
4. Ausbreitung der Namen nach Flandern (und weiter über den Kanal).
 
Eine zusammenfassende Karte derjenigen Namen, die die Verbindungen zwischen dem Kon-tinent und England demonstrieren  (vgl. Karte 5), zeigt dieses nachdrücklich. Damit aber erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß sich die orientierenden norddeutschen Ortsnamen zum erheblichen Teil als Spuren einer altsächsisch-germanischen Namengebung interpretieren lassen, erneut um einige Stufen und wir treffen uns in unserem Urteil mit dem von G. Müller, der sagte: „Feststeht aber, daß man die fränkischen Einflüsse weit überschätzt hat. Wenn A. Bach in Nachfolge von F. Kaufmann schreibt, auch Westfalen sei ‘mehr oder weniger franko-nisiert’ worden, so wird der Hauptakzent – nimmt man dabei die Verhältnisse in anderen deut-schen Landschaften zum Vergleich – auf dem ‘weniger’ liegen müssen. Auch beim System der Bezirks- und Landschaftsnamen, das, wie P. v. Polenz zeigte, in vielen Gebieten sehr starke Veränderungen durch die Franken erfahren hat, haben Westfalen und Niedersachsen konser-vativ an Altem festgehalten“.

I. Einleitung
Der Versuch, in etwa denjenigen Bereich abzustecken, in dem sich die slavischen Sprachen aus einem Sprachgebiet indogermanischer Dialekte heraus entfaltet haben, und in dem weiten Bereich zwischen Wolga und Elbe, zwischen der Ostsee und dem Balkan unter den Zehntausenden von slavischen Gewässernamen nach „urslavischen Typen“ zu suchen, kann nicht allein aus slavistischem Blickwinkel heraus gelingen. Zwar bieten Sammlungen und Interpretationen slavischer Flußnamen selbstverständlich dasjenige Material, das in diesem Zusammenhang interessiert, aber ein mutmaßlich sehr alter slavischer Flußname muß notwendigerweise in einem gewissen Zusammenhang mit der voreinzelsprachlichen, also mit der indogermanisch geprägten, oder mit den Worten von Hans Krahe, mit der alteuropäischen, Hydronymie  in Beziehung stehen. Wir müssen daher vor dem Blick in die slavischen Gewässernamen wenigstens grob die wichtigsten Kriterien dieser Theorie umreißen, wobei auf die Arbeiten von W.P. Schmid  nachdrücklich zu verweisen ist. Für einen Teilbereich Osteuropas darf ich auch eigene Arbeiten nennen .

A. Alteuropäische Hydronymie
Bei der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie war Hans Krahe zu der Erkenntnis gekommen, daß die Flußnamen häufig aus einer Wurzel und unterschiedlichen Ableitungselementen zusammengefügt sind. In einem Schema hat er diese Möglichkeiten etwa wie folgt angeordnet :

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ua

(-uo)

-ma-

(-mo)

-na

(-no)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo)

-nta

 

s(i)a,-s(i)o

-sta

(-sto)

-ka

(-ko)

-ta

(-to-)

+**

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

*Ala

*Alia

*Alava

*Alma

*Alna

*Alara

 

*Alan-ta

*Alsa

*Alesta

 

 

*Drava

*Druja

 

 

*Druna

 

 

*Druantia

 

 

 

*Druta



Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Entwurf heute zum Teil anders aussehen würde und Korrekturen angebracht sind. Die Grundlagen dieses Vorschlages haben jedoch bis heute ihre Gültigkeit bewahrt, wie nicht zuletzt die Anwendung auf die vorslavischen Gewässernamen Polens deutlich gemacht hat .
Hans Krahe selbst hatte seinerzeit die slavische Hydronymie kaum berücksichtigt. Dieses trug ihm von seiten einiger Slavisten herbe Kritik ein . Inzwischen kann man – nicht zuletzt durch die in der Hydronymia Europaea erschienenen Arbeiten zur Hydronymie Polens  – slavische Gewässernamen sehr viel besser in das System der alteuropäischen Hydronymie einarbeiten. Ich habe dieses vor einigen Jahren in Mogilany zu zeigen versucht  und das Schema des Kraheschen Systems auf die weit verstreuten Flußnamen der indogermanischen Wurzel *reu-, *re??-, *rû? – „aufreißen, graben, aufwühlen“ übertragen.

Ableitungen zur Wz. *reu-/*re??-, rû-/*ru- (osteurop. Namen = fett gesetzt)

Ableitungen zur Wz. *reu-/*ret, rû-/*ru- (osteurop. Namen = fett gesetzt)

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ma-

(-mo-)

-na

(-no-)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo-)

-nta

 

-s(i)a,

-s(i)o-

-g(i)a

-ta,

-to-

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

rovú, rãvas,

riava

 

reja(?)

 

runa (medi-terran?)

 

 

 

 

*rugia

(roman.)

 

Rawa,

Rãvas

 

Ruja, Rujas

Rhume, Rumia

Runa, Rauna,

Ruhr,Roer,Rulle, Rurzyca

Rühle, Rulle, Ryla, Rila

Reut, Revu-

ca (?)

Reuß, Riß, Ros’, Rusa

Ruga,

Rügen (?)

Rut(h)e, Ryta, Rutú u.a.



Diese Tabelle zeigt deutlich, wie stark der Anteil Osteuropas an der Streuung der Namen ist. Die Existenz dieser Parallelen nehmen Namenforscher des westlichen Europa nicht immer zur Kenntnis ; andererseits ist auch darauf zu verweisen, daß osteuropäisches Material ebenfalls nicht für sich allein oder isoliert von mittel- und westeuropäischen Parallelen behandelt werden darf.
B. Alteuropäische Hydronymie und slavische Gewässernamen
Aufbauend auf der alteuropäischen Hydronymie gelingt es viel besser, aus dem Bestand der Gewässernamen der slavischen Länder diejenigen Flußnamen auszusondern, die das Prädikat „urslavisch“ verdienen. Im Vergleich zu rein slavischen Namen fallen derartige Namen etwa durch folgende Punkte auf:
1. Sie enthalten vom Standpunkt des Slavischen aus unproduktive Bildungsmittel (Suffixe, Formantien); dieses sichert ihr relativ hohes Alter.
2. Hinsichtlich des indogermanischen Ablauts und dessen Vorkommen in slavischen Gewässernamen können zwei Erscheinungen von Bedeutung sein:
a.) zum einen Flußnamen, deren Ableitungsgrundlage im Gegensatz zum appellativischen Bestand ein Abweichen im Ablaut aufweist. Oder mit anderen Worten: während die Grundstufe *Kek-  appellativisch im Slavischen bekannt ist, erscheint die Abtönung *Kok- nur im Namenbestand. Derartige Hydronyme dürfen als wichtige Bindeglieder zwischen vorslavischer Namengebung und slavischer Namenschicht angesehen werden.
b.) Da die Ablauterscheinungen sich gegenseitig bedingen, ist für den mutmaßlichen Raum der slavischen Ethnogenese der Nachweis von Gewässenamen, die auf zwei oder mehr Ablautvarianten beruhen, sowie deren benachbart auftretende Streuung von höchstem Interesse. Sie sind wesentliche Zeugen für den Raum, in dem sich die Ausgliederung aus dem indogermanischen Sprachgebiet vollzogen haben dürfte.
3. Das Prädikat „urslavisch“ verdienen weiter Gewässernamen, die mit slavischen Suffixen von voreinzelsprachlichen, d.h. alteuropäischen Basen abgeleitet sind.
4. Während man zu Beginn der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie zunächst undifferenziert alles zusammenstellte, was unter den Begriffen „alteuropäisch, indogermanisch, voreinzelsprachlich“ gesammelt werden konnte, hat sich in den letzten Jahren immer mehr gezeigt, daß

es unter Umständen gelingen wird, innerhalb dieser alten Namenschicht gewisse Schichtungen, Abstufungen oder territoriale Abgrenzungen zu ermitteln, die Hinweise auf eine Untergliederung der Hydronymie geben könnten. Für die Frage nach alten Gewässernamen auf slavischem Gebiet lassen sich vielleicht aus einer schon des öfteren vertretenen Theorie, die von einer näheren Verwandtschaft des Slavischen mit dem Baltischen und Germanischen ausgeht, neue Aspekte für die Bestimmung urslavischer Gewässernamen gewinnen. Hydronyme, die dieses widerspiegeln, zeigen zumeist Wurzelerweiterungen indogermanischer Basen und sind von besonderer Bedeutung für die Frage, in welchen Bereichen sich die drei genannten Sprachgruppen entwickelt haben könnten.
Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die genannten fünf Möglichkeiten mit Material zu füllen.
I. Suffixbildungen
Unproduktive und daher relativ alte Suffixe in slavischen Gewässernamen hat schon M. Vasmer als wichtige Zeugen für die alten Wohnsitze der Slaven herangezogen . Er behandelte Bildungen auf -ostü (Dobrost’, Èernost’, Mokrost’, Sudost’, Snagost’), -ujü (Bobruj, Berezuj), -ajü (Borzaj, Berezaj, Ilovaj), -yni (Goryn’, Medyn’, Vjazyn’, Volyn’), -anü (Lugan’, Chvorostan’, Ptan’), -men- (Vjaz’ma : Vjaz’ men’, Tismenica), -nt-Partizipia ohne die sonst im Slavischen übliche -?i                                o-Erweiterung (Reut, Gremjatka), alte -û-Stämme vom Typus svekry, svekrúve (Bagva, Mokva), Bildungen auf -oè’ (Bìloè’), adjektivische Formen ohne die im Slavischen früh eintretende Weiterbildung mit -ko- (Glubo), alte -l-Partizipia (Piskla, Vorskla), Bildungen wie russ. Bìleja, Ljuteja.
Soweit ich sehe, ist diese Auflistung seit ihrem Erscheinen (1941) nicht zusammenhängend diskutiert worden . Ich meine, daß es an der Zeit ist, dieses zu tun. Neue Sammlungen und neue Theorien können uns helfen, der Frage nachzugehen, inwieweit M. Vasmers Zusammenstellung heute noch Gültigkeit hat. Dabei sollen uns Kartierungen helfen.

1. -ostü
Die von M. Vasmer genannten Bildungen mit -ostü wie Dobrost’, Èernost’, Mokrost’, Sudost’, Snagost’ hat dieser etwas später noch ergänzt durch Kunost’, Molost’ und Smolost’ . H. Krahe hat Vasmers Bemerkungen aufgegriffen  und sie als Ausgangspunkt einer Betrachtung anderer mit -st- gebildeten Namen (vor allem außerhalb des slavischen Bereiches) genommen .
Betrachtet man sich diese Gruppe etwas näher, so spricht manches dafür, daß hier Verschiedenes zusammengeflossen ist.
Der Flußname Èernost’(? Kun’ja im ehem. Kreis Toropec , Gouv. Pskov), auch See bei Re?ica (Gouv. Pskov), liegt weit außerhalb des altslavischen Siedlungsgebietes; im Vergleich zu den folgenden Namen wird sich zeigen, daß der Aussagewert der beiden Namen sehr gering ist.
Dobrost’ ist nach V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  nur eine spätere, offenbar slavisierte Form des älteren Namens Dobrososna.
Mokrost’ findet sich weder im Russischen Geographischen Namenbuch noch im Wörterbuch der russischen Gewässernamen!
Sudost’ als Name eines bedeutenden rechten Nebenflusses der Desna (G. Èernigov u. Orel) kann zwar eine Bildung mit einem slavischen Suffix sein, wahrscheinlicher ist aber eine Slavisierung einer vorslavischen Vorlage .
Das Suffix des Flußnamens Snagost’ (linker Nebenfluß des Sejm) hatte schon J. Rozwadowski  mit außerslavischem Material verbunden und damit den Blickwinkel erweitert. Für V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  ist der Name unklar, M. Vasmer dachte an Zusammenhang mit serbokroat. snaga „Kraft“, auch aruss. snaga, snagota „dass.“. Diese Deutung stieß aber auf Skepsis, vgl. P.Arumaa, Scando-Slavica 6(1960)164 und J. Prinz .
Kunost’ kann als südlicher Zufluß eines Sees im ehem. Kr. Belozersk (Gouv. Novgorod) kaum slavischer Herkunft sein. Eine Verbindung mit russ. kuna „Marder“ ist für Flußnamen äußerst unwahrscheinlich; nimmt man mit germanischer Lautverschiebung Namen wie Haune, Hönne, Hunze (alt Hunesa), Hunte, Honte, Hunne, und auch -apa-Namen wie Honnef, Hunnepe, Honepe hinzu, vergleicht weiter baltisches Material um Kawniten, Kawnyne, Kaunas, Kàunata, Kaunen See, Kunà, Kune, Kunas, Kun-upe u.v.a.m. (zahlreiche Namen) und verbindet dieses mit lit. kune „sumpfige Stelle, morastiger Ort“, so findet sich auch für Kunost’ ein Anschluß, der allerdings wenig Raum für Slavisches läßt.
Molost’ ist in dieser Form im Wörterbuch der russischen Gewässernamen nicht bezeugt, nur im Lokativ als Moloste, woraus Molosta (Fluß im ehem. Kr. Kozel’sk, Gouv. Èernigov) gewonnen wird .
Smolost’ ist nur eine Variante eines sonst als Sloust’, Sloust bezeugten Flusses im ehem. Kr. Ihumen (Gouv. Minsk) und bleibt besser fern .
Die Ausbeute alter slavischer -ost’-Namen ist also sehr gering.
2. -ujü
Für altertümlich hält M. Vasmer auch das Suffix -ujü, das in zwei Namen (Bobruj, Berezuj) nachgewiesen werden kann . Aber auch hier bleiben erhebliche Zweifel. Der Flußname Bobrujka (poln. Bobrujka), ein rechter Nebenfluß der Berezina (samt ON. Bobrujsk) wird einerseits zum slavischen Wort für den „Biber“ (bobr usw.) gestellt , andererseits wird er aber auch dem baltischen Substrat zugerechnet, das einer Slavisierung unterzogen worden ist . Wie dem auch sei, zu den alten, einer urslavischen Schicht angehörenden Namen wird man ihn nicht zählen dürfen, da die -o-Variante des slavischen Biberwortes eine Neuerung darstellt .
Den Namen Berezuj, Berezujka tragen sieben Flüsse in den ehem Gouv. Kaluga und Tver’ . Allein wegen ihrer geographischen Lage (das wird unter näher begründet) scheiden sie als Zeugen urslavischer Namengebung aus.
3. -ajü
Eine altertümliche Bildung sieht M. Vasmer auch in dem -ajü-Suffix, das in den Flußnamen Berezaj, Borzaj, Ilovaj, Zamglaj vorliegen soll . Auch hier führt eine genauere Prüfung zu erheblichen Zweifeln.
Berezaj ist der Name eines Nebenflusses der Msta im ehem. Kr. Valdaj und des Quellsees dieses Gewässers . In der Nähe liegen ein ON. Berezaj und ein GN. Berezajka. Ich habe einen älteren Beleg ermittelt: 1654 na Berezai . Ju. O. Otkupšèikov, Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae 24(1974)282 verbindet diesen Namen gemeinsam mit weiteren ostslavischen Entspechungen keineswegs mit bereza „Birke“, sondern mit bulg. bu¢                                            rzej „Schwelle im Fluß, Stromschnelle, Oberlauf eines Baches“, aksl. bru¢                                                                                   ?aj „Fluß, Fließen“.
Borzaj fehlt im Wörterbuch der russischen Gewässernamen, bezeugt ist nur Borzajka, Nfl. d. Wolga im Kr. Myškin, ehem. Gouv. Jaroslavl’. Der Name enthält sicher kein urslavisches Suffix, sondern basiert auf einem Appellativum, das dieses bereits enthält.
Gleiches gilt für Ilovaj, rechter Nebenfluß d. Vorone? im ehem. Gouv. Tambov ; es liegt eine direkte Ableitung von russ. ilovaj „Niederung, Marschland“ vor , und somit kein urslavischer Typ.
Zamglaj ist zum einen der Name eines Sumpfes im ehem. Kr. Èernigov, zum andern der eines rechten Nebenflusses der Desna im ehem. Gouv. Èernigov . Zugrunde liegt ein Kompositum mit der Präposition za, zum zweiten Element vgl. Ju. S. Vynohrads’kyj : „Nazva maje, oèevydno, tej samyj korin’ -mgl-, šèo i v slovi mgla …“.
Versucht man, M. Vasmers Basis zu erweitern, so gelingt dieses vielleicht mit Stru¿aj, einem Flußnamen im Warthe-Gebiet, allerdings betonen J. Rieger und E. Wolnicz-Paw³owska: „funkcja sufiksu niejasna“ .
Das Suffix ist als Element alter slavischer Gewässernamen nur schwer faßbar. V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  bieten etliche Namen auf  ajka (Jasajka, Mo?ajka, ?ertajka, Èernjajka, Šarajka), betonen aber wenig später (S. 79) mit Recht die baltische Herkunft des Suffixes. Etwas differenzierter werden in der Arbeit von O.N. Trubaèev  die 17 Gewässernamen mit einem Suffix -aj (wobei allerdings einige mehrfach bezeugt sind) betrachtet: sie sind sehr unterschiedlicher Herkunft. Dovgaj, Bakaj und Bugaj sind slavischer Herkunft, jedoch enthalten die zugrunde liegende Appellativa bereits das Suffix , es können also ganz junge Namen vorliegen; Udaj wird dem iranischen Substrat zugerechnet, Šaraj ist unklar, aber kaum slavisch; in Kavraj/Kovraj sieht O.N. Trubaèev Komposita mit Ka-, Ko- (ob zurecht, soll hier nicht entschieden werden), während ?artaj dem Baltischen zugezählt wird. Somit bleiben kaum urslavische Bildungen übrig.
Schon früher hatte J. Prinz -aj vor allem dem Baltischen zugeschrieben, allerdings auch nicht ausgeschlossen, daß es in einzelnen slavischen Ortsnamen (er nennt vor allem Goraj) vorkomme. Auch nach V. Kiparsky  ist -ajka ein vornehmlich baltisches Bildungsmittel.
Am ehesten spricht für die Verwendung als altslavisches Bildungsmittel die Sippe um slavisch dunaj, das sowohl im appellativischen Bestand wie im Namenschatz des Slavischen gut bezeugt ist. Zwar muß eine teilweise Beeinflussung durch Dunaj „Donau“ angenommen werden, aber alle Namen werden damit nicht erklärt, so kaum der des Dunajec. Ausführlich wurde von mir zu dieser Sippe (mit Kartierung) an anderer Stelle gehandelt .
4. -yn’/-ynja
Während die bisherigen Suffixbildungen sehr viel Zweifelhaftes enthielten, ergibt sich bei der Untersuchung des Elements -yni, das M. Vasmer  in den Flußnamen Goryn’ (zu gora „Berg“), Medyn’ (zu medü „Honig, Meth“), Vjazyn’ (zu vêzü „Ulme“) und Volyn’ sieht, ein ganz anderes Bild. Abgesehen davon, daß die Etymologie von Goryn’ und Medyn’ so nicht stimmen kann, ist das Bildungsmittel -yn-/-ynia, das von E. Dickenmann ausführlich behandelt worden ist , deshalb besonders interessant, weil es sowohl in slavischen Namen (Wodynia) wie in Toponymen, die in ihrer Zuordnung umstritten sind (Wolhynien, Goryn’), und schließlich in Gewässernamen, die in der alteuropäischen Hydronymie einen besseren Anschluß finden als im Slavischen, auftritt. Dazu zähle ich u.a. Lutynia, £ydynia und Cetynia .
Wir berühren damit einen Punkt, der in der Vergangenheit häufig falsch interpretiert worden ist. Während man sich früher darum bemühte, bei der Suche nach der Slavenheimat ein Gebiet zu ermitteln, in dem es vorrangig oder ausschließlich Gewässernamen slavischer Herkunft geben sollte, hat die Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie zu einer neuen (gleichzeitig aber auch schon früher herausgearbeiteten) Überlegung geführt: die Entfaltung einer indogermanischen Einzelsprache setzt immer auch eine kontinuierliche Entwicklung aus einem voreinzelsprachlichen Substrat voraus.
Wenn es z.B. bei J. Prinz heißt: „Da das Gebiet zwischen Karpaten und Dnjepr deutliche Zeugnisse eines vorslavischen Substrats aufweist, sollte man die vorangehende Urheimat der Slaven deshalb im baltoslavischen Bereich nördlich des Pripjat’ suchen“ , so liegt hierin eine falsche Schlußfolgerung: die Ethnogenese kann sich nur in einem Gebiet vollzogen haben, das in der Toponymie und Hydronymie Bindeglieder zwischen voreinzelsprachlicher (d.h. alteuropäischer) und einzelsprachlicher Namengebung aufweist. Oder mit anderen Worten: in diesem Gebiet müssen notwendigerweise vorslavische Gewässernamen, die die Verbindung mit der alteuropäischen Hydronymie und mit den indogermanischen Schwestersprachen dokumentieren, vorhanden sein. Und das gilt auch für das Slavische. Aus diesem Grund darf man in Gewässernamen, die -yni/-ynja-Ableitungen von slavischen Grundwörtern enthalten, wichtige Zeugen einer älteren slavischen Sprachstufe sehen.

5. -anü
Weniger überzeugend ist die Annahme eines altertümlichen slavischen Suffixes -anü in den Namen Lugan’, Chvorostan’ und Ptan’ .
Lugan’, ein rechter Nebenfluß d. Sev. Donec im ehem. Gouv. Jekaterinoslav , liegt in einem Gebiet, in dem -an’-Bildungen nicht selten sind . Darunter befinden sich aber Namen wie Kuban’ und andere, die kaum slavisch sind, daneben aber auch sicher slavische Typen wie Rogan’ und Prosjana. Aber es darf des weiteren nicht übersehen werden, daß es auch Anklänge an die alteuropäische Hydronymie geben könnte: Lugan’ erinnert an den deutschen Flußnamen Lahn, der gut auf *Lugana zurückgeführt werden kann . Andererseits ist slavische Herkunft nicht zu bestreiten bei südslavischen Namen wie Lîganj auf der Insel Braè  und Lug`a` na, FlurN. auf Krk .
Ob der linke Nebenfluß des Don Chvorostan’ ein slavisches Suffix enthält, wie M. Vasmer meint , ist kaum anzunehmen. Der Name dürfte nichtslavischer Herkunft sein .
Ptan’ heißen zwei Flüsse in den ehem. Gouv. Orel und Tula . M. Vasmers Verbindung mit slav. ptica „Vogel“ usw.  wird kaum zutreffen. Hier dürften eher volksetymologische Einwirkungen vorliegen. Gewässernamen des Typs „Vogelbach, Vogelfluß“ gehören keineswegs zu einer altertümlichen Gewässernamenschicht.
Und so wundert man sich nicht, daß es nach nach V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  vollständig westlich des Dnjepr, also im alten slavischen Siedlungsgebiet, fehlt. Hinzu kommt, daß Namen wie Vagan, Jeszman, Ivan’, Tran’, Ster?an’ nicht gerade einen slavischen Eindruck machen. Dem entspricht durchaus O.N. Trubaèevs Untersuchung der rechtsufrigen Ukraine: er sieht in Namen wie Skibin’, Ljuban’, Saksagan’, Berezan’, Samotkan’, Savran’
 
 mit Recht türkische, iranische und andere nichtslavische Elemente . Schließlich ist darauf zu verweisen, daß sich hinter einem -an-Suffix auch alteuropäische Bildungen verbergen können, wie man es für den polnischen Flußnamen Orunia, 1338 Orana, 1356 Orana usw. annehmen kann .

6. -men-
Einen alten slavischen Bildungstyp vermutet M. Vasmer  in Flußnamen mit dem Element -men-, so in Vjaz’men’ (: Vjaz’ma), zu russ. vjazkij „schlammig“, und Tismenica, zu tichú „ruhig, still“.
Auch hier sind erhebliche Korrekturen anzubringen. Vjazmenka oder Vjazmen’ ist der Name eines Flusses im Gebiet der Westlichen Düna . Die slavistische Deutung M. Vasmers wurde im allgemeinen akzeptiert, so von V.N. Toporov und O.N. Trubaèev  und P. Arumaa . Dafür könnte auch eine Entsprechung in Bulgarien sprechen: nach J.I. Ivanov  liegt diese vor in dem ON. Vezme, auch Vezmen, Vezem, Vuzme, Vuzmen, Vuzem.
Aber es gibt erhebliche Zweifel an den Vorschlägen: Vjaz’ma findet sich als Flußname siebenmal im ostslavischen Gebiet in den ehem. Gouv. Kaluga, Moskau, Smolensk, Tver’ und Vladimir. Das ist eine Streuung, die die Ukraine völlig ausschließt und damit nicht gerade als urslavische Bildung anzusprechen ist.
Das wird dann besonders deutlich, wenn man damit eine andere -men-Bildung, nämlich strumen’, strumen, strumieñ „Bach, Strom, Quelle, schnelle Strömung“ vergleicht. Während dieses Wort angesichts der sicheren außerslavischen Parallelen sraumuõ, stràume, ¼å™ìá, straumr, Strom bestens mit den Schwestersprachen verbunden werden kann, steht es um vjazkij sehr viel schlechter. Blickt man in die Namen, erhärtet sich der Befund.
Von slavisch strumen’ liegt eine Untersuchung des Namenmaterials samt Kartierung vor  (Karte 1). Auf Einzelheiten gehe ich hier nicht ein. Die Verbreitung macht aber deutlich, welche Bereiche Anteil an der Streuung haben: es sind nicht die von Vjaz’ma berührten Territorien, sondern genau
 

Karte 1: *strumen

die, die davon ausgespart sind: Ukraine, Polen, Weißrußland. Daß diese Konstellation kein Zufall ist, werden wir anhand weiterer Karten noch sehen.
Von hieraus fällt neues Licht auf die Etymologie der Vjaz’ma-Namen: weit eher als die Verbindung mit russ. vjazkij „schlammig, sumprig“ wird man darin die indogermanische Wurzel *?                                           eng(h)- „gebogen, gekrümmt“, hier wahrscheinlich als Satem-Variante *?en?(h)-, sehen dürfen.
Der Fluß Tismenica oder besser Tys’menycja in Galizien ist ebenfalls sehr strittig. Zusammen mit weiteren Parallelen (Tyœmienica u.a.) hat man ihn im allgemeinen wie M. Vasmer zu slav. tichy usw. gestellt . In einer jüngeren Arbeit  wurde aber auch eine etwas überraschende Verbindung mit altirisch tûaimm „Hügel“ erwogen, ein Wort, das auf *teusmno  – zurückgeführt wird und somit morphologisch durchaus passen könnte.
Die Durchsicht hat gezeigt, daß sowohl Vjaz’men’ wie auch Tys’menycja nicht so sichere Zeugen für urslavische Hydronyme sind, wie bisher angenommen. Ein ganz anderes Ergebnis zeigte der Fall strumen’, vor allem die Verbreitung der Namen hat uns – so denke – ich – einen Schritt vorangebracht .

7. -nt-Bildungen
Auch in bestimmten -nt-Partizipia sieht M. Vasmer altertümliche slavische Bildungen. Es geht dabei um Namen, die ohne die im Slavischen sonst übliche -?i                                o-Erweiterung gebildet sind und das -t- durch die slavische Palatalisierung umgestaltet hätte. Dazu gehört nach seiner Meinung „Reut aus *Revo²                                     tü ‘brüllender’ (Fluß) neben dem späteren Revuèa, Gremjatka als ‘tönend’ neben Gremjaèij, R?atü als ‘wiehernd’ u.a.“ .
Betrachtet man sich die Namen, was bisher noch nicht geschehen ist (der Vorschlag von M. Vasmer ist fast einhellig akzeptiert worden ), etwas genauer, so erheben sich einige Fragen, aus denen bald Zweifel werden. Reut, Reutinka, Reuticha und Reucel (mit rumänischem Suffix), die angeblich mit dem höchst altertümlichen -t-Suffix ohne slavische Palatalisierung gebildet sein sollen, sind Gewässernamen in Bessarabien, im ehem. Gouv. Kursk, Smolensk, Vladimir, Perm’ und Kostroma . Das sind zum Teil Bereiche, die die Ostslaven erst in den letzten Jahrhundert des ersten Jahrtausends n.Chr. erreicht haben. Daß in diesen Namen, die zudem noch mit einem Suffix erweitert worden sind, noch urslavische Lautveränderungen manifestiert sein sollen, ist absolut unwahrscheinlich. Hier ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Ein weiteres: vergleicht man mit diesen, angeblich höchst altertümlichen Namen die mutmaßlich jüngere Form Revuè-, so ergibt sich aus dem im folgenden aufgelisteten Material eine weitere Frage.
Es geht um Reuèij Ovrag, Variante Reuèaja, im ehem. Gouv. Char’kov ; Revuèaja, zwei Flüsse in den ehem. Gouv. Ni?nij Novgorod und Poltava, Revuèee, See (!) im ehem. Kr. Gomel’, Gouv. Mogilev , Revuèij, Nebenfluß d. Apoèka (ehem. Gouv. Kursk) und Arm d. Dnjepr im ehem. Gouv. Poltava .
Diese Namen sind nicht zu trennen von Revun, fünf verschiedene Arme des Dnjepr (ehem. Gouv. Jekaterinoslav) und ein Bach im ehem. Gouv. Vjatka , Revucha, sechs Flußnamen im Don-Gebiet und nahe Kiev  sowie Revuckogo Balka, GN. im ehem. Gouv. Char’kov .
Festzuhalten ist zunächst, daß in der Verbreitung der beiden Typen keine komplementäre Verteilung festzustellen ist (wir werden entsprechende Beispiele noch kennenlernen): es ergibt sich eine bunte Streuung beider Varianten. Und zum zweiten: es handelt sich in hohem Maße um Flüsse, die im Bereich der südrussischen Steppe und Halbsteppe liegen (man beachte z.B. die Kombination mit balka „längere Erosionsschlucht in der südrussischen Lößsteppe“). Die Vasmersche Etymologie knüpft an aksl. revìti „brüllen“ an. Es erheben sich aber nachhaltig Zweifel daran, Gewässer der südrussischen Landschaft als „brüllende, rauschende“ Flüsse zu interpretieren; auch der oben genannte Seename (!) Revuèee spricht eindeutig gegen diese Etymologie.
Viel sinnvoller ist eine Verbindung mit der im Slavischen bestens bekannten Sippe um rvat’, rovú „reißen, Graben, Vertiefung“, worauf ich an anderer Stelle bereits hingewiesen habe , sowie die Annahme, daß verschiedene Suffixe an die slavische Basis angetreten sind. Nur so erklärt sich die gegenseitige Durchmischung beider Varianten. Eine chronologische Differenzierung zwischen den Reut- und Revuè-Namen läßt sich nicht feststellen.
Noch eindeutiger ist die Situation im Fall von Gremjatka: hierin wurde eine morphologisch identische Variante wie bei Reut gesehen und der Name und als „tönendes Gewässer“ zu russ. gremet’ usw. gestellt. Die „echt slavische“ Bildung soll in Gremjaèij vorliegen. Ich habe mich bemüht, einen FlN. Gremjatka oder eine entsprechende Bildung nachzuweisen;  es gelingt nicht. Das Wörterbuch der russischen Gewässernamen enthält neben zahlreichen Belegen wie Gremucha, Gremuèaja, Gremuèee, Gremuèij, Gremuèka (31 Namen)  nur Formen mit normaler slavischer Partizipialbildung wie Gremjaè, Gremjaè, Gremjaèa, Gremjaèaja, Gremjaèev, Gremjaèevka, Gremjaèevskij, Gremjaèij, Gremjaèka, Gremjaè’ (81 Namen), aber keinen einzigen Beleg Gremjat-, Gremjatka o.ä. Man hat sich offenbar auf einen Irrtum gestützt.
Die kommentarlos übernommenen Etymologien M. Vasmers sollten zukünftig wesentlich genauer geprüft werden. Das gilt auch für die hier nicht behandelten Fälle Kipetka gegenüber Kipjaèa, ferner Kièat’ sowie Âåñïýôæç gegenüber Ovrut .
8. -û/-úve-Bildungen
In ganz andere und offenbar belastbare Kombinationen gerät man dagegen bei der Behandlung von alten -û-Stämmen vom Typus svekry, svekrúve und deren Auftreten in der Hydronymie. M. Vasmer selbst hatte darunter genannt: Bagva (zu bagno „Sumpf, Morast“), Mokva (zu mokrú „feucht“) . Inzwischen ist die Materialbasis erheblich erweitert worden und in jüngster Zeit wurden diese Bildungen in zwei Beiträgen ausführlich diskutiert (s.u.) .
Angesichts der zahlreichen Bildungen kann ich hier nur knapp auf die bisherigen Deutungen und eigene Vorstellungen zur Etymologie eingehen.
Der von M. Vasmer mit bagno  verbundene GN. Bagva begegnet mehrfach  in der Ukraine; eine ausführliche Diskussion habe ich an anderer Stelle (vgl. die Anmerkungen) geführt. M. Rudnickis Versuch , eine Verbindung mit slav. baga, bagna, bagr-, bagúr- „Buche“ herzustellen (offenbar, um eine korrekte Entsprechung zu lat. fãgus zu finden) scheitert an den im Ukrainschen bestens bezeugten Appellativen bahvá, bahvyšèe u.a.m. .
Mokva ist ein rechter Nebenfluß des Sejm bei Kursk . M. Vasmers Verbindung mit slav. mokry „feucht, naß“ könnte zutreffen, zumal in Griechenland eine Parallele vorzuliegen scheint . M. Vasmer verweist auch auf den Ort Mokvin in Wolhynien am Fluß Sluè’ (1445 belegt als otú Mokvina ), V.N. Toporov und O.N. Trubaèev, Lingvistièeskij analiz, S. 219 ergänzen dieses durch den Hinweis auf russ. dial. (Don-Gebiet) mokva „Feuchtigkeit, Regen, Schmutz“. Es gibt noch einen weiteren Namen: A.P. Korepanova  verzeichnet einen GN. Mokvyšèe im Raj. Èernigov und stellt ihn zu mokva.
Wie im Fall von Bagva besteht zwischen den Namen und dem Slavischen eine enge Verbindung; umso bedeutsamer ist die Lage der betreffenden Namen. Eine Kartierung, zu der wir noch kommen werden, wird dazu weitere Aufschlüsse geben.
M. Vasmer hatte nur zwei Namen genannt. Inzwischen sind zahlreiche weitere Fälle ermittelt worden, die kurz diskutiert werden sollen. So hat O.N. Trubaèev, Nazvanija rek etliche Namen herangezogen.
Èakva, rechts und links zum Goryn’, wird von ihm  mit ukrainischen Dialektwörtern für „Sumpfpflanze“ verbunden. Man sollte aber nicht die idg. Wurzel *?ek?-  „Mist, Dünger, Schmutz“  übersehen. Gerade der Wurzelauslaut könnte für einen Vergleich mit den Flußnamen sprechen.
Goltwa erscheint mehrfach und auffällig konzentriert im Gebiet des Psël. Die türkische Etymologie von O.S. Stry?ak  wird m.E. mit Recht von O.N. Trubaèev  abgelehnt. Da der FlN. früh als Gúlta, Gúltú in den Quellen erscheint, erwägt er eine Verbindung mit russ. glotat’ „schlucken“. Man sollte die lit. Gewässernamen Gìltinç, Giltin˜e   usw.  nicht außer Acht lassen (ob die vorgeschlagene Etymologie mit Hilfe einer Gottheit des Todes zutrifft, soll hier nicht diskutiert werden).
Der Name Ikva, den vier Gewässer im Gebiet d. Südl. Bug, im Kr. Perejaslavl’ (Gouv. Poltava) und im Gebiet d. Styr’ tragen, ist schon häufiger  besprochen worden. Angesichts der schwierigen Deutung verfiel man z.T. auf den Gedanken, darin germanische Relikte zu sehen . Die dann versuchte Verbindung mit dem Wort für die „Eiche“, ndt. ëk (< *aik-) scheitert aber bereits an dem Vokal. Am ehesten gehören die Namen als -k-Erweiterung zu der auch in Gewässernamen nachweisbaren idg. Wurzel *ei- „gehen“ , man denke an dt. eilen und andere Wörter, deren Auftreten in Flußnamen erwartet werden kann. Mit dieser Annahme ist die Sippe um Ikva der alteuropäischen Hydronymie zuzuordnen und aus dem Slavischen nicht zu erklären. Man erinnere sich aber an die oben gemachten Bemerkungen, wonach auch im Gebiet der mutmaßlichen Heimat des Slavischen alteuropäische, indogermanische, voreinzelsprachliche Relikte notwendigerweise zu erwarten sind.
Den FlN. Ipatva, einen rechten Nebenfluß der Polkva (ebenfalls -û-Stamm) im Gebiet d. Goryn’ stellt O.N. Trubaèev  zu der ON.-Sippe um Patav-ium und einer Wurzel *pat-. Es fällt schwer, den Namen in I-pat- zu trennen, sollte man nicht eher eine Deutung suchen, die die Flußnamen Ipa, Ipel’, Ipf, Ipoly/Ipul, Ipps, Ypern, Iput’ mit umfaßt? Auch hier bietet sich unter Umständen die Wurzel *ei- „gehen“ an; eine umfassende Behandlung dieser Sippe könnte hier weiterhelfen. Bei Heranziehung von Namen auf germanischem Gebiet ist zudem mit wurzelauslautendem Wechsel des Konsonanten zu rechnen.
Lukva, r. Nfl. d. Dnjestr, kann als -û-Stamm betrachtet und zu slav. luk- „Krümmung, Bogen“ gezogen werden . Es kann aber auch das im Südslavischen bestens bezeugte lokva „Tümpel, Pfütze, kleiner See“ zugrunde liegen und eine volksetymologisch verursachte Veränderung zu dem im West- und Ostslavischen bekannten luk- vorliegen . In jedem Fall ein Name, der dem Slavischen zuzurechnen ist. Illyrisches  bleibt fern.
Mostva heißen ein rechter Nebenfluß d. Uš’ (? Pripjat’) und ein linker Zufluß zur Stviga, Pripjat’-Gebiet. Der viel diskutierte Name  könnte zwar als -û-Stamm zu slav. most „Brücke“ gestellt werden, aber alte Flußnamen sind kaum nach menschlichen Einrichungen benannt worden, so daß man wohl mit Recht einen Weg über *Músta < *Múd-sta < *Mu¢                                            d-ta oder besser *Múd-tû- zur gut bezeugten indogermanischen Sippe um griech. ìýäïò „Nässe, Fäulnis“, dt. Moos, bulg. muchul „Schimmel“, ndt. Modder, mnd. mudde „dicker Schlamm“ usw. gesucht hat.
Murakwa, auch Murachva, Murafa, l.z. Dnjestr, sollte erst diskutiert werden, wenn eine saubere Chronologie der Überlieferung vorliegt. Ohne ältere Belege kann der Name nicht richtig beurteilt werden.
Mytva, r. Nebenfluß d. Pripjat’, gehört nach O.N. Trubaèev  zu den baltischen Relikten. Er vergleicht lit. Mìtuva, Mìtva, Mituvà, bei denen jedoch z.T. altes *-in- zugrunde liegt . Vielleicht doch eher als altertümliche *-û-Bildung zu slav. myt- „waschen, spülen“ zu stellen.
Nièva, r. Nebenfluß d. Seret, scheint aufgrund der ukrainischen Lautung Nièva  in der Wurzelsilbe doch wohl *-o- besessen zu haben. Auszugehen wäre damit von *Noèva. Da sich für *Nok?i                                – kaum eine Lösung anbietet, ist vielleicht eher an *Not?i                                – zu denken, womit sich ein Anschluß an Noteæ, Neetze, Natissus usw.  vereinbaren läßt.
Der Name der Polkva, r.z. Goryn’ (? Pripjat’), schwankt in der Überlieferung und ist auch als Poltva bezeugt . Daher hat wohl O.N. Trubaèev recht , wenn er von der zweiten Variante ausgeht und den Namen mit Pe³tew und anderen Parallelen zur Fulda zieht. Zur Beurteilung der Sippe werden wir noch kommen (s.u.).
Tykva, auch Polonka, l.z. Styr’ (Ukraine), stimmt mit ukrain., russ. tykva „Kürbis“ überein, worin aber kaum die Grundlage des Namens liegen wird. Eher besteht eine Beziehung zu dem bulgarischen GN. Tièa < Tyèa, in dem I. Duridanov  slav. tykati „stoßen, stechen“ sieht, aber andere Parallelen verbieten eine slavische Etymologie und sprechen eher für einen auch auf Gewässernamen weitaus besser passenden Zusammenhang mit der indogermanischen Wurzel *tëu-, *tû¢                                            – „schwellen“ .
Mehr Probleme bereiten die Namen Vy?ivka, zweimal in der Ukraine belegt .  Als Ausgangsform bietet sich ein Ansatz *Vig?i                                – – an, der am ehesten zu idg. *u?                                           eig- „biegen, s. krümmen“ gehört.
Soweit das von O.N. Trubaèev herangezogene Material. Wir hatten gesehen, daß es in sich etliche Schichten vereint: neben einer eindeutig slavischen (hierzu zähle ich Bagva, Mokva, Lukva) steht eine zweite, die zwischen dem Slavischen und Alteuropäischen steht, indem die dorthin gehörenden Namen Beziehungen sowohl zum Slavischen wie zum voreinzelsprachlichen Bestand besitzen. Eine dritte Gruppe besitzt keine deutlich sichtbaren Verbindungen zum Slavischen und ist der alteuropäischen Hydronymie zuzurechnen.
Damit ist die Diskussion um die auf einen -û-Stamm weisenden Flußnamen aber noch keineswegs erschöpft. J. Domañski hat in einem längeren Artikel  erst vor kurzem die Sippe erneut behandelt. Er sieht in den Namen hauptsächlich slavische Bildungen und in erster Linie deverbale Ableitungen. Auch auf die von ihm herangezogenen Namen will ich – sofern sie oben nicht behandelt wurden – kurz eingehen.
Den Flußnamen Beèva in Mähren stellt J. Domañski  zu  èech. beèeti „blöken,heulen greinen“, also eine onomatopoetische Basis. Wer sich intensiver mit Gewässernamen befaßt, wird diese Deutung für den Namen eines 120 km langen Flusses von vornherein für fraglich halten. Allerdings hat sich bislang keine andere, bessere Lösung finden lassen (zur Diskussion vgl. auch P. Arumaa, op.cit., S. 7f.).
Die Etymologie von Branew, auch Braniew, Bronew, sowie von Brnew im San-Gebiet mit Hilfe des zum poln. Verbums brn¹æ „durch den Sumpf waten, stapfen“  kann angesichts der sicheren Verbindung mit slav. *brún-/*bryn- „Sumpf, Kot, Schlamm“ usw. (s.u.) nicht überzeugen .
Erneut bemüht J. Domañski im Einklang mit dem gegenwärtigen Stand der Forschung zur Erklärung des Gie³czew, l.z. Wieprz  eine lautnachahmende Sippe um poln. gie³czeæ „lärmen“.
Diesen Weg schlägt er auch im Fall des Hoczew, l.z. San ein : der Name gehört seines Erachtens wie Huczew/Huczwa, l.z. Westl. Bug, zu ukrain. huèaty „klingen, lärmen, schreien“. Man sollte aber nicht beiseite schieben, daß es auch eine ganz andere Möglichkeit gibt: das bekannte lateinische Wasserwort aqua wird nicht nur in der Oka gesucht, sondern auch in Hoczew und Huczew .
Der viel diskutierte Name der Ma³a P¹dew, dt. Malapane macht auch J. Domañski Schwierigkeiten (S. 20ff.). Da im ersten Teil des Namens keineswegs slav. maly „klein“ vorliegt, halte ich an meinem eigenen Vorschlag  fest und sehe darin nach wie vor einen Ansatz *Malu                                            pandû- und wie in dem gegenüber der Malapane einmündenden Osob³oga eine Bildung aus Substantiv + Adjektiv.
Zustimmung verdient die Etymologie von M¹tew, M¹twa, eines Teilabschnittsnamens des Noteæ, mit Hilfe von poln. m¹ciæ „mischen, trüben“ u.a.m. , eine Deutung, die schon seit S. Kozierowski Bestand hat. Zu dieser Sippe gehören auch Odmêt und weitere Namen, darunter das bekannte Admont .
Verfehlt ist dagegen die Verbindung des Flußnamens Meglew, heute Stawek (l.z. Wieprz), auch ON. Me³giew, mit apoln. megliæ, meglowaæ „ausglätten, glätten, schlagen“ . Die alten Belege des ON. Meglewa, Melgwi, Moglwa, Meglew, Melgiew verlangen am ehesten einen Ansatz *Mlo gy, *Mlo gúve . Dieser findet sich in der indogermanischen Wurzel *mel?h- „schwellen“  unter der Voraussetzung, daß hier die nicht satemisierte Variante vorliegt.
Die Verbindung zwischen dem großen Fluß Narew und einem altpolnischen Iterativum narzaæ „zanurzaæ w wodê“   widerspricht nachhaltig der Wahrscheinlichkeit. Damit zerschneidet man die klaren Beziehungen zwischen diesem Namen und Entsprechungen in England, Weißrußland, Litauen, Frankreich und anderswo  und setzt eine einzelsprachliche Iterativbildung ein, die schon an der Wortbildung des Namens scheitern muß. Der Wurzelvokal -a- erscheint hier wie bei Drama, Drawa, Stradunia als Zeichen früher Slavisierung .
Der Erklärung des Namens Omulew, r.z. Narew, durch poln. omuliæ „mulem albo b³otem omazaæ“  widersprechen schon Belege wie 1426 Omelew, 1428 Omolew. Zur Ableitungsbasis vergleiche man die Zusammenstellung von Appellativa und Namen, die ich an anderem Ort vorgelegt habe .
Der Versuch, Pe³ty/Pe³tew, Po³tew/Pe³tew sowie Po³twa mit einem slavischen Verbum (beltaæ) zu verbinden , ist mit dem Anlaut nicht zu vereinen. Die Namen gehören zusammen mit Polkva und der Fulda in einen ganz anderen Zusammenhang (s. dazu unten).
Deutlich einzelsprachlicher, slavischer Herkunft ist der Typus Ponikev, Ponikiew, Ponikva , er gehört zu slav. ponikno²                                       ti. Es gibt aber weit mehr Namen, als J. Domañski genannt hat , wie eine erneute Kartierung zeigt (Karte 2). Zu weiteren Schlußfolgerungen werden wir noch kommen.
Die Etymologie der Namen Skrwa, l.z. Weichsel, und Skrwa, früher Strkwa, r.z. Weichsel, mit Hilfe des polnisches Verbs styrkaæ „stolpern, steckenbleiben, (den Fuß) stoßen, anstoßen“  ist offensichtlich eine Verlegenheitslösung. Skrwa verlangt zunächst eine Vorform *Skúr-y, -úve, die man weiter auf *sku¢                                            r- zurückführen kann. Von hier aus gewinnt man leicht Anschluß an eine mit dem Wasser eng verbundenene Sippe, gemeint ist die in dt. Schauer, got. skûra windis „Sturmwind“ vorliegende, offensichtlich mit s-mobile ausgestattete Wurzel *(s)keur-, vgl. lat. caurus „Nordwestwind“, lit. šiaurç „Norden“, slav. sìverú „Norden“. W.P. Schmid  hat dazu auch griech. óê™ñïò „Steinsplitter“, einen Inselnamen Óê™ñïò sowie den Namen eines Arms des Rheindeltas Scheur gestellt.  


Karte 2

?*-û-, -?ve in der Hydronymie
?    Ponikva, Ponikiev

Mit anderem Suffix gehören dazu dt. Schaum < germ. *skûma- und auch Skawa, FlN. in Südpolen, < *Sko?a.
Strkwa wird man dagegen als *Strúk-y, -úve zunächst auf *Stru¢  k-y zurückführen können, worin am ehesten die bekannte Fließwurzel *sreu- (aind. srávati, griech. ¼Ýù „fließe“, altir. sruth „Fluß“, dt. Strom, lit. srutà „Jauche“, poln. strumieñ „Bach, slav. ostrov „Insel“) vorliegen kann: die Veränderung von *sr- > str- ist regelgerecht, das Problem liegt in der Ableitung, denn eine -k-Bildung ist neben den -t-, -men- und anderen Bildungen noch nicht nachgewiesen. Immerhin sind -k-Formantien gerade im östlichen Europa eine überaus beliebte Ableitungsform, so daß der hier vorgelegte Versuch vielleicht nicht allzu gewagt ist.
S³odew, heute S³udwia, l.z. Bzura, gehört nach J. Domañski, a.a.O., S. 28 zu dem Verbum s³odziæ „Fluß, der süßt“ (wahrscheinlich in übertragenem Sinn). Vergleicht man damit die zahlreichen baltischen Namen wie Sáldus, Salda, Saldç usw. bei A.Vanagas  und dessen Deutungsvorschläge (berührt wird z.B. norw. sylt „Meeresstrand usw.“), so wird man zumindestens Zweifel an einer slavischen, einzelsprachlichen Deutung haben müssen.
Das betrifft ebenfalls S³unew, früher Zufluß d. Styr in der Ukraine, heute ukrain. Slonivka , und dessen Verbindung mit slav. *sloniti „salzen“ . Die Basis *sel-, *sol- mitsamt Saale, Sala, Zala usw. ist zu weit verbreitet, als daß man den Weg zu einer Lösung über eine jeweils einzelsprachliche Etymologie finden könnte.
Strzykiew oder Szczekiew, später und heute Skwa, lautet der Name eines Zuflusses des Narew, dessen Name nach J. Domañski, a.a.O., S. 28f. auf eine Grundform *Szczekiew oder *Strzykiew zurückzuführen ist. Im ersten Fall gehört er seines Erachtens zu poln. szczekaæ „bellen“, im zweiten Fall zu poln. strzykaæ „spritzen, sprudeln, sprühen“. Im ersten Fall dürfte das Ergebnis einer Volksetymologie als Ausgangsform angenommen worden sein; zufriedenstellen kann das nicht. Der zweite Vorschlag überzeugt natürlich mehr.
Den seit J. Rozwadowski und T. Lehr-Sp³awiñski zu einem alten Wort für „Binse“, idg.
*??endhro- „Binse“, vgl. lat. combretum, lit. šveñdrai „typha latifolia“, gezogenen Flußnamen Swêdrnia, älter Swêdra (?Prosna), stellt J. Domañski, a.a.O., S. 30 nun zu poln. swêdraæ (siê) „spähen, umherstreifen, schlendern“ und sieht darin einen Fluß, der mäandriert. Ganz abgesehen von der für alte Gewässernamen äußerst ungewöhnlichen Verbindung mit einem Verbum für „umherstreifen, schlendern“ fragt sich aber, wie man dann das Verhältnis zu Švendra im Gebiet der Venta, zu lit. Švendr-upç und anderen Namen sehen will. Die einzelsprachliche Erklärung löst vielleicht ein Problem, schafft aber etliche andere neue.
Der Name des Tanew, in dem J. Domañski, a.a.O., S. 31 poln. ci¹æ (*tê-ti „spannen“) usw. sieht, gehört zu slav. *tyn, *tynja (nicht *tin, *tinja ) „Sumpf, Schlamm, Schlick“.
Uszew, Uszwa, heute Uszwica, r.z. Weichsel, nach J. Domañski, a.a.O., S. 32 zu einer verbalen Grundlage in uszyæ < *ušiti, Ableitung von szyæ „nähen“ zu stellen, ist sicher anders zu erklären .
Eine weitere Ableitung zu uszyæ „nähen“ sucht J. Domañski, a.a.O., S. 33 in Vý?ivka, zwei Flußnamen in der Ukraine, indem von vy-š?i                         úvü ausgehend ursprüngliches *vy-š?i                                y rekonstruiert und an ukrain. vyšyty, poln. wyszyæ angeschlossen wird. Wir hatten die schon von O.N. Trubaèev herangezogenen Namen bereits behandelt (s.o.) und die gut bezeugte indogermanische Wurzel *?eig-  „biegen, sich krümmen“ herangezogen.
Schließlich bleibt noch ¯ólkiew, heute ¯ólkiewka, l.z. Wieprz, übrig, wobei J. Domañski, a.a.O., S. 33 die gängige Verbindung mit poln. zólkn¹æ „vergilben, gelb werden“(< urslav.
*žlo k‘-n?ti) anführt. Inzwischen sind zu diesem Namen auch andere Überlegungen angestellt worden .
J. Domañskis Beitrag ist geprägt von dem Versuch, die meisten der besprochenen Namen mit Hilfe einer verbalen Grundlage und auf der Basis slavischer, speziell polnischer Ethyma zu erklären. Es ist dieses ein legitimes Verfahren, nur fragt es sich, ob man damit dem hohen Alter der -û-Bildungen gerecht werden kann. In diesem Punkt berühren wir uns mit Gedanken, die J. Rieger in einem jüngst erschienenen weiteren Beitrag zu der hier in Frage stehenden Namengruppe geäußert hat
Unter Bezug auf Narew, Pe³tew, Tanew, Ikva, Lukva, Polkva, Tykva und andere betont J. Rieger zunächst das hohe Alter der *-û-Deklination im Slavischen, dessen Schwund in den älteren slavischen Sprachstufen noch erfaßt werden kann . Schon allein durch diese allseits bekannte Tatsache wird die Erklärung von damit gebildeten Gewässernamen mit Hilfe von einzelsprachlichen und jungen, z.T. präfigierten Verben auf keinen Fall gelingen.
Ebenfalls völlig zurecht betont J. Rieger , daß die Namen mit Bezeichnungen für „Wasser, Sumpf“ usw. verbunden sein müssen: „ … trzeba zaliczyæ nazwy z sufiksem -*û-, wi¹¿¹ siê przede wszystkim z ró¿nymi okreœleniami ‘wody’, ‘b³ota’, ‘mokroœci’ …“. Auch aus diesem wichtigen Punkt ergeben sich erhebliche Diffenerenzen zu dem Beitrag von J. Domañski.
J. Riegers Aufsatz enthält noch einige Einzelheiten, die aufgegriffen werden müssen. So weist er auf zwei noch nicht genannte Flußnamen aus dem ostslavischen Gebiet hin: es sind Èeèva im oberen Dnjestr-Gebiet, alt Czeczew, und Èeèva im Einzugsbereich des Psël. Obwohl die Namen eine Entsprechung in einer Landschaftsbezeichnung Èeèko, auch Èeèka, Èeè in den Rhodopen besitzen, trägt diese Verbindung nach J. Rieger zur Deutung nicht bei. Man darf vielleicht wie oben bei Èakva die idg. Wurzel *?ek?- „Mist, Dünger, Schmutz“ heranziehen. Entsprechende Wörter finden sich gern sowohl in Gewässer- wie in Landschaftsnamen.
Beachtenswert ist J. Riegers Hinweis (S. 151) auf den (inzwischen verschwundenen? ) FlN. P³yæwia im Gebiet d. Bzura, den er mit Recht zu slav. p³yæ „fließen, rinnen, strömen“ gestellt hat.
Damit können wir die Auflistung der behandelten Namen abschließen. Die Diskussion hat gezeigt, daß die oben bereits gezogenen Folgerungen bestätigt worden sind: wir hatten drei Schichten herausgearbeitet: eine eindeutig slavische, eine zweite, die zwischen dem Slavischen und Alteuropäischen steht, und eine dritte Gruppe, die voreinzelsprachlicher Herkunft ist.
Das von J. Domañski und J. Rieger herangezogene Material, das vor allem aus dem polnischen Sprachgebiet stammt, stützt diese Einteilung: Slavisches findet sich zweifelsfrei in den Namen Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia, Hinweise auf eine baltisch-germanisch-slavische „Zwischenstufe“ wohl in Pe³ty/Pe³tew, Po³tew usw. und voreinzelsprachliche Bildungen ohne Verbindung zum slavischen Wortschatz vielleicht in Hoczew, Huczew/Huczwa, sicher aber in Mala P¹dew, Narew, Omulew und Skrwa.
Was bedeutet dieses für die Frage nach dem Bereich, in dem sich das Slavische entfaltet haben könnte? Dazu ist eine Kartierung der genannten Namen sehr hilfreich (vgl. Karte 2). Betrachtet man sich zunächst die Verbreitung der auf *-û- weisenden Typen in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich, daß es ein sich relativ deutlich abzeichnendes Gebiet gibt, in dem sie auftreten: es ist im Westen mehr oder weniger von der Oder begrenzt, besitzt kaum Entsprechungen in den ehemals baltischen Gebieten nördlich des Pripjat’, umfaßt vom ostslavischen Sprachraum nur die Ukraine und unmittelbar daran angrenzende Bereiche Weißrußlands und Rußlands und fehlt auf dem Balkan.
Allein Slovenien hat daran Anteil, aber bezeichnenderweise nur mit dem einwandfrei slavischen Typ Ponikiev, Ponikva, der zudem als „verschwindender Fluß“ in den Karstgebieten dieses Gebietes natürlich zu erwarten ist und eine verhältnismäßig junge Namengebung sein kann. Überhaupt zeigt die Streuung der Ponikva-Namen, daß davon – bis auf wenige Ausnahmen im Dnjestr- und oberen Weichsel-Gebiet – vor allem die Peripherie des -û-Raumes betroffen ist: Mähren, Oder- und Warthe-Raum, Weißrußland, Westrußland. Es zeigt sich hier ein Kern, der Verbindungen zur alteuropäischen Hydronymie besitzt und eine Peripherie, die einzelsprachliche Bildungen aufweist. Besser kann man die verschiedenen Phasen einer Namengebung kaum deutlich werden lassen.
Damit könnte man diesen Namentyp verlassen, aber es hat den Anschein, als habe man bisher einen ganz entscheidenden Punkt übersehen. So lange man der Ansicht war und ist, hinter den oben genannten Namen würden sich Spuren der slavischen *-û-Deklination verbergen, konnte man sich mit einer Erklärung aus dem Slavischen begnügen. Sobald man aber den Horizont erweitert und außerslavische Elemente ins Spiel bringt, wird man sich fragen müssen, ob wirklich bei allen herangezogenen Namen der Bezug auf die slavische Deklinationsklasse korrekt ist, oder ob nicht vielmehr bei einigen oder sogar den meisten Namen (streicht man die eindeutig slavischen Fälle Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia) zwar der Eindruck erweckt wird, es lägen Spuren der slavischen *-û-Klasse vor, in Wirklichkeit sich dahinter aber Bildungen verbergen, die bei der Slavisierung der voreinzelsprachlichen Namen in die *-û-Deklination integriert wurden, sie aber ursprünglich gar nicht besessen hatten.
Dieser Gedanke ist auch deshalb von Bedeutung, weil dadurch Licht auf Namen fällt, die eine an und für sich unerklärliche Erweichung zeigen: Hoczew, Huczwa ist – falls die Verbindung mit lat. aqua stimmen sollte – ein Paradebeispiel  dafür.
Unter diesem Aspekt verwundert es etwas, daß man nicht den Weg zu den wichtigen baltischen Parallelen  gefunden hat. Wir verdanken A. Vanagas die Zusammenstellung einer großen Zahl von Gewässernamen, die sowohl ein Formans -uv-, -iuv- wie auch -(i)uvç, -(i)uvis besitzen . Aus der Fülle der Namen hier nur eine kleine Auswahl: Daug-uva, Lank-uvà, Alg-uvà, Áun-uva, Gárd-uva, Lat-uvà, Mìt-uva (vgl. oben die Diskussion um Mytva), Ring-uvà, Týt-uva, Vad-uvà, Várd-uva, Gil-ùvç, Audr-uvìs, Med-uvìs, Dìt-uva. Was liegt näher, als in diesen z.T. einzelsprachlichen, z.T. alteuropäischen Bildungen dieselben Bildungsmittel wie in den slavischen Typen auf -y, -va aus -úva, *-uva bzw. *-üva, *-?va zu sehen, die im Verlauf der Einbettung in das Slavische mit Angleichung an die altertümliche *-û-Bildungen integriert worden sind? Damit wird das hohe Alter der Namen nicht gemindert, sondern vielmehr unter Einbeziehung der Namenstreuung gezeigt, in welchen Bereichen das Slavische früh alteuropäische Typen übernommen und in eine archaische Klasse überführt hat.
Nichts spricht dagegen, in dem sich durch die Verbreitung der -wa/-va-Hydronyme abzeichnenden Gebiet, also in Südpolen und in der Ukraine dasjenige Territorium zu sehen, in dem sich das Slavische aus einer indogermanischen Grundlage heraus entfaltet hat. Die rein slavischen Gewässernamen stimmen damit – wie ich schon früher ausgeführt habe – nachhaltig überein.
Die Gewässernamen auf -y, -úve verraten aber nicht nur Übernahme aus einem voreinzelsprachlichen Namenbestand, sondern durch ihre andauernde Produktivität bis in das Slavische hinein (erinnert sei erneut an Braniew, Bronew, M¹tew/M¹twa, Ponikiew, Tanew und P³yæwia) Kontinuität von alteuropäischer Namengebung bis in die slavische Namenschichten.
Die Verlegung der slavischen Heimat nach Asien, in das obere Oka-Gebiet, in die südöstliche Ukraine oder auf den Balkan muß an diesem Namentyp gemessen, als entschieden verfehlt betrachtet werden.
M. Vasmer hatte, als er vor 60 Jahren die zwei Namen Bagva und Mokva nannte, noch nicht wissen oder ahnen können, welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden. Erst die Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie hat hier die entscheidenden Impulse gegeben.
Nach diesen längeren Ausführungen kommen wir zu den letzten von M. Vasmer für altertümlich gehaltenen Namentypen.

9. -oè’
Nur knapp hat M. Vasmer Namen auf -oè’  mit der Bemerkung „Bildungen auf -oè’: Bìloè’ zu bìlú ‘weiß’“  angesprochen. Inzwischen ist weiteres Material hinzugekommen.
Bei V.N. Toporov und O.N. Trubaèev, Lingvistièeskij analiz, S. 126 findet sich nur Svisloè’, im südlich daran angrenzenden ukrainischen Gebiet bietet O.N. Trubaèev, Nazvanija rek, S. 238 eine Auflistung von Namen ohne weiteren Kommentar. Neben dem schon erwähnten Beloè’ sind danach in der Ukraine noch bezeugt Levoè’, Vidoloè’, Vydoloè’ und Protoè’. Aus Polen sind hinzuzufügen Liwocz und Liwoczka, Flußnamen bei Busko und Tyniec.
Von diesen scheiden wohl aus: Svisloè’ als baltischer Name , Vidoloè’ und Vydoloè’, die den Eindruck von Komposita machen und somit kein Suffix -oè’ enthalten dürften, ferner Protoè’, offenbar eine präfigierte Bildung zu pro + tok „fließen“.
Es bleiben Levoè’, Liwocz und Liwoczka übrig, wobei man sich sofort fragt, ob nicht ein Zusammenhang zwischen diesen Namen und eine Verbindung mit dem slovakischen Fluß- und Ortsnamen Levoèa besteht . Des weiteren wird man nicht an dem Suffix -ok vorbeigehen dürfen, daß uns unten bei der Diskussion im Wis³ok, Wis³oka und Sanok noch beschäftigen wird.

10. Adjektivformen ohne -ko-
Eine weitere alterümliche Erscheinung begegnet nach M. Vasmer in adjektivischen Formen ohne die im Slavischen früh eintretende Weiterbildung mit -ko-, z.B. in dem Seenamen Glubo gegenüber appellativischem glubokij .
Das ist ein durchaus interessanter Gedanke, der aber verkennt, daß es von slavisch *glo²                           b- „tief“ auch Bildungen ohne -ok- gibt. Vasmer selbst hat einige genannt: russ. glub’, glubina „Tiefe“, man vergleiche weiter poln. gl¹b, sloven. glob „dass.“, slav. *glo²                           bina in Ortsnamen . Es ist daher äußerst schwierig zu entscheiden, welche der folgenden ostslavischen Namen zu einer ohne -ok- erweiterten Adjektivform gehören oder aber ganz normale Ableitungen zu der slavischen Basis *glo²                           b-, ostslav. glub-, hlub-: Glubá, auch Glubaja Balka bei Odessa ; Gluben’, See bei Svencjany, liegt zudem im ehemals eindeutig baltischen Gebiet; Glubi, See und Ort im ehem. Gouv. Tver’; Glubinec, ukrain. Glybynéc’, Fluß im Teterev-Gebiet (Ukraine) und Glubinka, Fluß im Gebiet der Desna, dort auch ON. Gluboe, enthält sicher eine Ableitung von dem oben genannten slavischen glubina, *glo²                                   bi¬na ; Glubica, Brunnen im Kr. Drissa, im ehemals baltischen Gebiet; Hlubiczyca, r. Nfl. d. Dnjepr bei Kiev, nur im S³ownik Geograficzny bezeugt , fehlt auch im Slovnyk hidronimiv Ukraïny, Kyïv 1979; Glubo, Quellsee der Drissa in den ehem. Kreisen Polock und Nevel’ ; schließlich Gluboe, eventuell Druckfehler, See im Kr. St.-Bel’sk, ehem. Gouv. Char’kov .
Die Basis ist zu dünn, als daß man darauf bauen kann. Eine saubere Trennung zwischen glub-Namen, die als adjektivische Bildungen kein -ok- besessen haben, und den ganz normalen Ableitungen von einer slavischen Ausgangsform *glo²                                        b- „tief“ kann nicht gezogen werden.
11. Als vorletzten Punkt seiner Zusammenstellung altertümlicher slavischer Gewässernamen nennt M. Vasmer „alte -l-Partizipia wie: Piskla zu russ. pišèat’ ‘piepen, quäken’, Vorskla zu russ. vorèat’ ‘murren’, poln. wrzask ‘Geschrei’“ , Vymkla, Fluß im Kr. Roslavl’ , wobei Vorskla in der Bedeutung mit „russ. Vorèa, Flußname im G. Tver’, und Vorèal, Bachname im Kr. Tor?ok, daselbst“  verglichen wird.
Die Etymologien erwecken durch ihre onomatopoetischen Verbindungen Zweifel. Daher wird man in Pisklja  wahrscheinlich eher eine Beziehung zu den in südslavischen Sprachen bezeugten Wort pîšæak „Quelle“ suchen können, wobei allerdings auch darin eine lautnachahmende Basis *piskati gesucht wird .
Unzutreffend ist auf jeden Fall die Deutung von Vorskla, da historische Belege wie 1105 Vúrúskla, 1545 Vorskla gegen eine Verbindung mit vorèat’ sprechen
Der Gedanke von M. Vasmer ist sicher richtig, aber eine genaue Trennung alter -l-Partizipen von den gerade in Osteuropa so häufigen -l-Bildungen in der Hydronymie (Wis³a, Sula, Orel, Voskol, Psël) wird kaum gelingen.

12. -eja
Es bleibt ein Kommentar zum letzten der von M. Vasmer angeführten altslavischen Namentypen. In Gewässernamen wie russ. Bìleja, Ljuteja sieht M. Vasmer ein altertümliches slavisches Suffix -eja.
Der Flußname Beleja liegt im Kr. Duchovšèina im ehem. Gouv. Smolensk , der Gewässername Ljuteja im Kr. Beloj desselben Gouvernements . Schon allein aufgrund dieser Lage sind erhebliche Zweifel daran angebracht, diese Namen als Beweis für frühe slavische Namengebung heranzuziehen. Im Bereich südlich des Pripjat’, den wir aufgrund der *-û-, -úve-Bildungen weit eher favorisieren müssen, machen die -eja-Bildungen, etwa Man?aleja, Bakšaleja, Sugakleja, Èakikleja einen unslavischen, zumeist turksprachlichen Eindruck . In Weißrußland favorisiert man baltische Herkunft . Auch das Auftreten als slavisches Suffix wird im Zusammenhang mit dem Baltischen gesehen . In diesem Zusammenhang können die beiden im alten baltisch-slavischen Kontaktgebiet liegenden Gewässernamen Beleja und Ljuteja, deren Ableitungsbasen gut slavischen Ursprungs sein können, gesehen werden.
Damit können wir die Durchsicht der von M. Vasmer als altertümlich angesehenen slavischen Namentypen beenden. Wir haben erkennen können, daß etliche der herangezogenen Typen aus diesem Bestand zu streichen sind, andere aber sehr bedeutsame Schlußfolgerungen (es nochmals an die *-û-, -úve-Namen erinnert) erlauben.
Es gibt noch weitere Namentypen, die M. Vasmer gestreift hat. Zu einer muß auf jeden Fall Stellung genommen werden. Es sind -ava-Namen.

13. -ava
Diesen Typ hat auch M. Vasmer als alt angesprochen . Es handelt sich in der Tat um einen morphologisch interessanten und alten Typ, der zudem noch sichere Verbindungen zu den außerslavischen Schwestersprachen und zur alteuropäischen Hydronymie aufweist  und somit auf Kontinuität hindeutet.


Karte 3: *-ava in slav. Gewässernamen
In -(j)ava liegt ein typisches Bildungsmittel slavischer Namen vor, das sich in erster Linie in den Gewässernamen findet, man denke an Grzêzawa, Ka³awa, Týnava, Nak³awa, Virawa, Wirawa, Vodava, Ilava, Gliniawa, Morawa u.a.m. Seine Altertümlichkeit und Streuung ist schon verschiedentlich behandelt worden . Ich lege hier eine Verbreitungskarte vor (Karte 3), die sehr anschaulich zeigt, daß es gewisse Bereiche des slavischen Siedlungsgebietes gibt, die höheren Anteil an der Streuung haben. es sind in groben Zügen die gleichen Räume, die schon bei der Kartierung der *-û, -úve-Namen aufgefallen waren: Südpolen und die Ukraine.


Karte 4: Barycz/Baryc

14. *-yèü
Ein weiteres, von M. Vasmer allerdings nicht genanntes Suffix ist slavisch * yèü. Die Altertümlichkeit dieses Suffixes ist allgemein anerkannt. Es begegnet in Namen wie Drohobycz, Werbycz, Starycz, Radobycz, Radycza, besonders eng ist aber die Verbindung mit slavisch bar- (altruss. bara „Sumpf, stagnum“, ukrain. bar „feuchter Ort zwischen Hügeln“, èech., slovak. bara „Schlamm, Schmutz, Sumpf“ usw.) . Als Barycz begegnet es in einem Dutzend Flußnamen vornehmlich im Süden Polens (zur Streuung vgl. Karte 4).
Die bisher genannten Namen und deren Kartierung haben gezeigt, daß der eindeutige Schwerpunkt altslavischer Bildungen nördlich der Karpaten liegt. Ganz anders ist das Bild bei einem typischen slavischen hydronymischen Suffix, bei -ica (Karte 5, s.u.).


Karte 5: Slavische Gewässernamen mit dem Suff. -ica

Hier zeigt sich eine Streuung über weite Bereiche der slavischen Besiedlung, womit sich die oben behandelten und kartierten Namentypen im Vergleich als wertvolle Zeugen für die Frage nach der Heimat der Slaven erweisen.

ABLAUT
In meinen einleitenden Ausführungen hatte ich als zweiten Punkt angeführt, daß diejenigen Flußnamen besonderes Interesse verdienen, deren Ableitungsgrundlage im Gegensatz zum appellativischen Bestand ein Abweichen im Ablaut aufweist. Da der Ablaut auf indogermanische Grundlagen zurückgeht, sind entsprechende Namen von besonderer Bedeutung.
Allerdings sind Spuren des Ablauts im Slavischen – im Gegensatz etwa zum Germanischen – nur noch in geringem Maße nachzuweisen, so daß auch in der Hydronymie nur mit wenigen Relikten zu rechnen ist. Diese allerdings sind dann von ganz besonderem Wert und ihr Vorkommen und ihre Verbreitung sollten in besonderem Maße beachtet werden.

1. *jüz-vorú
Das unter anderem in altrussisch izvorü „Quelle“, ukrainisch izvir „kleiner Gebirgsbach“, serbisch, kroatisch izvor „Quelle, Born, Strudel“ belegte Wort enthält eine altertümliche Komposition, denn das Slavische kennt zwar das Verbum vürìti „sprudeln“, aber kein selbständiges *vor- . Daher ist die Streuung der Namen (s. Karte 6,) von besonderer Bedeutung. Die Annahme, es könne sich bei dem Vorkommen im Karpaten- und Beskidengebiet um Ausläufer einer jüngeren, südslavischen Namengebung handeln, verbieten sich angesichts des aus der indogermanischen Vorstufe ererbten Ablauts. Die im Dnjestr- und San-Gebiet liegenden Namen entstammen vielmehr einer Sprachstufe, die das zugrunde liegende Appellativum noch kannte. Das kann nur eine Vorstufe der slavischen Einzelsprachen gewesen sein, d.h. mit anderen Worten, eine gemeinslavische oder urslavische Sprachschicht.
2. krynica. Weißrussisch kryniæa „kleiner See; Wasserlauf, der aus der Erde dringt, Quelle“, ukrainisch krynica „Quelle“, polnisch krynica, krenica „Quelle, Brunnen“ usw. verlangen eine


Karte 6: *j?zvor?

*krûn-ica . Es liegt eine Dehnstufe vor, die in ukrainisch (dialektal) kyrnýcja, kernýc’a „Quelle“, altpolnisch krnicza „rivus“, slovenisch krnica „tiefe Stelle im Wasser, Wasserwirbel, Flußtiefe“ ihre kurzvokalische Entsprechung (*kru¢                                            n-) besitzt. Betrachtet man sich das Vorkommen der krynica-Namen, die ein weites Gebiet umfassen, und konfrontiert dieses mit der Streuung der kurzvokalischen Ablautvariante (Karte 7), so wird ein Bereich deutlich, in dem beide Varianten nebeneinander auftreten. Das sich dadurch herauskristallisierende Territorium ist mit Sicherheit als altes slavisches Siedlungsgebiet zu betrachten. Versuche, die Ethnogenese des Slavischen in das Oka-Gebiet , nach Asien   


Karte 7: kryn-/kr?n-

oder auf den Balkan  zu verlegen, müssen an diesen Verbreitungen scheitern. Es wäre nötig, sich intensiver mit diesen Fakten auseinander zu setzen, zumal sich ähnliche Erscheinungen auch für die Frage nach Germanenheimat und -expansion nachweisen lassen. Ganz ähnlich liegt der nächste Fall.

3. *brún-/bryn-
Die lange umstrittene Grundform der slavischen Sippe um altserbisch brna „Kot, Erde“, bulgarisch-kirchenslavisch brünije „Kot, Lehm“, altkirchenslavisch brúna „Kot“, slovenisch brn „Flußschlamm“ usw. löst sich unter Einbeziehung des onomastischen Materials einwandfrei auf : gegen die Annahme, man müsse von einem Ansatz *bürn- ausgehen, sprechen bereits nachhaltig zahlreiche Gewässernamen des Typs Brynica, Brenica, Branica und vor allem ostslavische wie Bronica, Bronnica, Brono (Karte 8). Die zugrunde liegende Wurzel muß als *brún- angesetzt werden, da auch die im Slavischen appellativisch nicht bezeugte dehnstufige Variante *bryn- in geographischen Namen bestens bezeugt ist (Brynica, Brynówka, Brynec). Slavisch *bryn- verlangt einen Ansatz *b(h)rûn- und trifft sich problemlos mit germanisch *bhrûn- in niederdeutsch brûn-, hochdeutsch braun.
Das Nebeneinander beider slavischer Ablautvarianten *brún-/*bryn- zeigt sich in der Namenlandschaft sehr deutlich und besitzt ein eindeutiges Zentrum in Südpolen und der Ukraine. Gleiches läßt sich für unsere letzte Ablautvariante zeigen.

4. *grêz-/*gr?z-
Neben dem bekannten russischen Appellativum grjaz’ „Schmutz, Kot, Schlamm“, das unter anderem in weißrussisch hrjaz’ „aufgeweichte Stelle auf einem Weg, Sumpf, Schmutz“, ukrainisch hrjaz’ „Sumpf, Pfütze, Schlamm“ und slovenisch grêz „Moor, Schlamm“ Entsprechungen besitzt, und einen urslavischen Ansatz *grêz- voraussetzt, kennt das Slavische auch die Abtönung *gro²                                z-, zum Beispiel in ukrainisch hruz’ „Sumpf, Moor, Morast“, weißrussisch hruzála, hruzalo „schmutziger Ort, sumpfige Stelle“, polnisch gr¹z,  êzu „morastiger Sumpf“ . Dabei ist bereits zu beachten, daß das Südslavische die Abtönung *gr?z- nicht kennt, also an der urslavischen Ablautvariante keinen Anteil hat.


Karte 8: bryn-/br?n-


Karte 9: *grez-/*gr?z-
?¦? =  *grez-              = *groz-

Dem entspricht die Verbreitung in den Namen durchaus (Karte 9): die Namen sind weit gestreut, eine besondere Produkivität ist im Ostslavischen zu beobachten, das Südslavische hat nur mit der *grêz-Variante Anteil. Eine Heimat des Slavischen auf dem Balkan schließt sich damit einwandfrei aus (es geht hier um urslavische Ablautvarianten, deren Produktivität und Wirkung lange vor dem Eindringen auf den Balkan anzusetzen ist). Das Slavische kann sich auf Grund dieser Fakten nur nördlich der Karpaten entfaltet haben.
Dafür sprechen – zusammenfassend gesagt – nicht nur das soeben behandelte Wortpaar grjaz’/hruz, sondern nachhaltig auch die zuvor behandelten Gruppen um izvor’/vürìti, krynica und vor allem auch brún-/bryn-, das durch die sichere Verbindung mit einem germanischen Farbwort im urslavischen Wortbestand zusätzlich verankert ist.

ALTEUROPÄISCHE GEWÄSSERNAMEN + SLAVISCHE SUFFIXE
Als drittes Kriterium für die Zuweisung zu einer urslavischen Gewässernamenschicht hatte ich eingangs auf die Erscheinung verwiesen, daß an alteuropäische Gewässernamen altertümliche slavische Suffixe getreten sein können.

1. -ok
Nach dem Urteil des S³ownik Pras³owiañski, Bd. 1, S. 92, stellt das Suffix -ok- einen urslavischen Archaismus dar. Es begegnet appellativisch zum Beispiel in súvìdokú, snubokú, vidokú, edok, igrok, inok u.a., seine Altertümlichkeit zeigt sich aber unter anderem auch darin, daß es an archaische athematische Stämme hinzugefügt wird.
Umso beachtenswerter ist die Tatsache, daß es an Gewässernamen angetreten ist, die mit Sicherheit der vorslavischen Schicht der alteuropäischen Hydronymie angehören. Ich meine die Namen von Sanoczek samt Sanok und Sanoka und Wis³ok beziehungsweise Wis³oka. Mit der Variante -oèü gehören hierzu auch Liwocz und Liwoczka, Flußnamen bei Busko und Tyniec.
Über die Etymologie von Wis³a  und San  soll hier nicht näher gehandelt werden, aber es ist zu betonen, daß an ihrer vorslavischen Herkunft kein Zweifel sein kann. Welche Deutung man für diese alten Namen finden kann, steht hier nicht zur Debatte. Wichtiger für die Bestimmung der alten slavischen Siedlungsgebiete ist die Tatsache, daß die Suffigierung mit Hilfe eines archaischen slavischen Suffixes, eben -ok-/-oèü, erfolgte und das alle genannten Namen sich in einem Bereich befinden, der sich auch aufgrund der schon behandelten Namentypen als altes slavisches Siedlungsgebiet erwiesen hat.
Ich betone nochmals: die Existenz vorslavischer, alteuropäischer Namen in einem mutmaßlich alten Siedlungsgebiet einer indogermanischen Einzelsprache spricht nicht gegen die Annahme, daß dieses sich dort befunden hat, sondern ist die notwendige Konsequenz aus der Tatsache, daß sich die indogermanischen Einzelsprachen nicht aus einem luftleeren Raum entwickelt haben, sondern sich auf einer breiten indogermanischen Basis aus einer Schicht alteuropäischer Namen entfaltet haben, ja man darf sagen, entfaltet haben müssen.

2. -og
Die Altertümlichkeit des slavischen Suffixes -og-, etwa in batog, barloh, rarog, tvarog, ostrog usw. wird allgemein anerkannt. Umso bedeutsamer ist es, daß dieses Bildungsmittel auch an vorslavische Hydronyme angetreten ist. Am auffälligsten vielleicht in dem Flußnamen Mino¿ka, auch Minoga, r. Nfl. d. D³ubnia, mit ON. Minoga, 1257 Mlynoga, 1262 Mlynoga, 1367 Minoga, 1470-80 in flumine Mninoga usw. Er besitzt offenbar Entsprechungen in Minaga, See in Litauen, Mnoha, GN. in der Ukraine und Mnoga, Nfl. d. Velikaja zum Peipus-See .
Die Namen gehören zusammen mit Mieñ, Mienia, dem Main und anderen zu lit. mýnç „Sumpf, Morast“, lett. mi¸a „morastige Stelle“, mai¸a „Sumpf, Morast“ . Es liegt ein alteuropäischer Typus vor, wofür schon seine Streuung von Portugal bis zum Baltikum spricht. Für den Osten Europas ist auffällig, daß sich dort (und sonst kaum) -g-haltige Ableitungen nachweisen lassen; ein Bildungstyp, den H. Krahe noch unberücksichtigt gelassen hatte, der aber gerade in Osteuropa – man denke an den Namen der Wolga  – seine Spuren hinterlassen hat.
Minoga, Minaga, Mnoga zeigen, daß an alteuropäische Basen einzelsprachliche (hier: baltische und slavische Suffixe) antreten können. Da es sich nun bei  og- um ein archaisches Suffix handelt, können die hier genannten Namen einer älteren Stufe zugewiesen werden. Sie sind daher als Bindeglieder zwischen alteuropäischer und slavischer Hydronymie anzusehen.
Ich habe im Fall der altertümlichen slavischen Suffixe nur eine Auswahl getroffen. Es gibt weitere Bildungsmittel, die hier angeführt werden könnten. Ich möchte jedoch zum Abschluß meiner Ausführungen auf eine Erscheinung aufmerksam machen, die erst vor wenigen Jahren in ersten Ansätzen behandelt werden konnte und die für die Frage, wo sich etwa das Slavische aus einem indogermanischen Dialektgebiet entfaltet hat, von einiger Bedeutung ist.

BALTISCH-SLAVISCH-GERMANISCH IN DER HYDRONYMIE
Es geht um die oben schon angesprochene nähere Verwandtschaft des Baltischen, Slavischen und Germanischen innerhalb der indogermanischen Sprachgruppe. Diese ist schon lange bekannt und immer wieder diskutiert worden. Ich will auf diese Tatsache nur mit einigen wenigen Zitaten hinweisen; wichtiger ist für uns heute die Untersuchung der Frage, ob sich im Namenbestand dieser drei indogermanischen Sprachzweige Besonderheiten nachweisen lassen.
Aufgrund der schon aufgefallenden Übereinstimmungen wie den bekannten „-m-Kasus“, den Zahlwörtern für „1000“, „11“ und „12“ u.a.m. hatte schon J. Grimm eine nahe Verwandtschaft des Germanischen mit dem Baltischen und Slavischen angenommen. Jüngere Untersuchungen haben das erhärtet. Ich erwähne hier nur summarisch die Beiträge und Stellungnahmen von W. Porzig , E.C. Polomé  und E. Seebold.  Den Wortschatz hat C.S. Stang aufgearbeitet  und zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den drei Sprachgruppen festgestellt. In seiner Arbeit findet sich auch (S. 5-9) ein Abriß der Geschichte der Forschung, auf die ich hier jetzt nicht mehr eingehe.
In einem eigenen Versuch bin ich von namenkundlicher Seite an diese Dreiheit herangegangen . Dabei sind mir einige Namengruppen aufgefallen, die für eine gewissen Zusammenhang sprechen können.

1. *bhelgh-/*bholgh-
Polnische und ostslavische Gewässernamen wie B³oga, Nebenfluß der Pilica (auch Ortsname B³ogie Stare, Szlacheckie); B³ogie, Sumpf bei Radom; Bolo?ivka, Bolozivka, Flußname in der Ukraine (auch ON. Bolo?ivka, Blozev; Bluj, dt. Bluggen See, bei Miastko in Pommern; Blh, ungar. Balog, 1244/1410 Balogh, Flußname in der Slovakei, besitzen Entsprechungen im ehemaligen und jetzigen baltischen Gebiet, so in Balge, Ortsname und Name eines Teils des Frischen Haffs , in Balga, Flußname in Lettland, dort auch ON. Piebalga; Bologoe, ON. bei Valdaj, dort auch Seename Bologoe, Bologovskoe; Bologoe, auch Balagoj, ON. im ehem. Kr. Cholm; Balagoe, auch Bologovo, ON. im ehem. Kr. Velikie Luki, dort auch SN. Balagoe. Es dürfte Verwandtschaft bestehen zu einem Ansatz *bolg-, der auch in dem Flußnamen Osob³oga/Osoblaha, Nebenfluß der Weichsel, dt. Hotzenplotz, vorliegt.
Ein Ansatz *bholg- darf als Abtönung zu einer Wurzel *bhelg- aufgefaßt werden. Ein sicherer Anschluß hat sich für die genannten Namen noch nicht finden lassen. Hier kann das Germanische helfen: ein norddeutsches Küstenwort, das noch heute lebendig ist, lautet balge, balje. Es bezeichnet neben anderem die mit Wasser gefüllten Vertiefungen, Rinnen und Gruben, die bei Ebbe zurückbleiben, daneben auch einen niedrigen, sumpfiger Ort, den Arm eines größeren Flusses oder eine tiefe Rinne zwischen Sandbänken an der Küste.
In nicht wenigen Namen Norddeutschlands, darunter in Balge, Ortsname bei Nienburg,


sowie alter Name des Hafens in Bremen, ferner mit altertümlicher -r-Bildung in Beller, ON. bei Brakel, ca. 993-996 in Balgeri, ferner in Belgien und in der Niederlanden, aber auch in England, begegnet das Wort auch toponymisch.
Damit erschöpft sich die Verbreitung. Karte 10 zeigt, daß eine Wurzel *bhelgh- im Namenmaterial eines Gebietes vorkommt, aus dem später das Germanische, Baltische und Slavische entstanden sind. Der Balkan spielt keine Rolle.

2. *dhelbh-/*dholbh-/*dhlo bh-
Ein Ansatz *dhelbh- wird fast allgemein in Wörtern des Baltischen, Slavischen und Germanischen vermutet, so etwa in poln. d³ubaæ „höhlen, meißeln“, èech. dlub „Vertiefung“, sloven. dolb „Aushöhlung“, ahd. bi-telban „begraben“, ae. (ge)delf „Steinbruch“, ndl. delf, dilf „Schlucht, Graben, Gracht“, lit. délba, dálba „Brech¬stange“.Die Reflexe dieser Wurzel zeigen


Karte 10: *bholgh-

sich also nur in einem begrenzten Bereich der indogermanischen Sprachen. Ihre Grundbedeutung kann etwa mit „vertiefen, aushöhlen“ beschrieben werden.
Da die Verbreitung appellativisch beschränkt ist, ist der Nachweis im toponymischen Bereich umso bedeutsamer, weil sich aus der daraus ergebenden Verbreitung Schlüsse für das mutmaßliche Entfaltungsgebiet der drei genannten Sprachgruppen ergeben.
Der bekannteste osteuropäische Vertreter der hier genannten Sippe ist der Name des Flusses D³ubnia, der bei Nowa Huta in die Weichsel mündet.
Dieser Name enthält indogermanistisch gesprochen, die Schwundstufe der Wurzel, nämlich *dhlobh-. Diese tritt nun auch in einem ganz andern Land auf, in einem Fluß in der Rhön in Deutschland: Thulba, auch ON. Thulba, Oberthulba, und auch in Dölbau, Ortsname bei Halle, alt Tolben, Tolbe.
Aber auch die Vollstufe *dhelbh- ist bezeugt, u.a. in Dölbe, Nebenfluß der Innerste in Niedersachsen, alt Delve, ferner in Delve, ON. in Schleswig-Holstein, in dem bekannten niederländischen Ortsnamen Delft und in der Delvenau bei Lübeck, die eine Grundform *Dhelbh-anda oder *Dhelbh-unda verlangt.
Schließlich ist auch die Abtönung *dholbh- bezeugt, am ehesten in einem Orts- und Gewässernamen Dolobüskú bei Kiev.
Weitere hierhergehörende Namen übergehe ist. Der Nachweis der drei Ablautstufen *dhelbh-, *dholbh-, *dhlobh- innerhalb eines begrenzten Gebiet zeigt die engen Beziehungen, die diese Wurzel zur indogermanischen Grundlage besitzt. Erneut ist bedeutsam, in welchem Gebiet die Namen begegnen (Karte 11). Es ist der Raum, der uns bisher immer wieder aufgefallen ist: Das Gebiet zwischen Rhein, Dnjepr und Ilmen-See hat Anteil an der Streuung, jüngere germanische Ausläufer mit einzelsprachlichen Bildungen in Flandern und England dürfen nicht überbewertet werden. Ein Zusammenhang mit dem Oka-Gebiet, mit Asien oder dem Balkan existiert nicht. Man kann bei der Suche nach alten slavischen Siedlungsgebieten auf diese Gebiete verzichten.
3. Eine indogermanische Wurzelerweiterung *per-s- mit der Bedeutung „sprühen, spritzen, Staub, Tropfen“ ist in etlichen Sprachen nachweisbar, so etwa schon in hethitisch papparš- „spritzen, sprengen“, altind. pro ?at „Tropfen“, avest. paršuya- „vom Wasser“, lit. purslas, pursla „Schaumspeichel“, lett. pàrsla, pêrsla „Flocke“, slav. *porsa- „Staub“ (vgl. altkirchenslavisch prachú usw.), tocharisch A, B pärs- „besprengen“ und im Nordgermanischen (dän., norw., anord.) foss, fors „Wasserfall“.
Von einer baltisch-slavisch-germanischen Eigentümlichkeit kann vom appellativischen Standpunkt also aus nicht gesprochen werden. Das Bild verändert sich jedoch, wenn man die hiervon abgeleiteten Gewässernamen einbezieht.
Der wahrscheinlich bekannteste Name, der hier zu nennen ist, ist die Parsêta, dt. Persante, Zufluß z. Ostsee; daneben nenne ich aus Osteuropa nur noch Pereseja/Pèrse, Stromschnelle der Westl. Düna; Perscheln, Persem, Perses, Persink, Orts- und Flurnamen im ehem. Ostpreußen, dort auch Proœno, dt. Pörschken See, 1486 Persk, sowie die SN. Persk und Perszk; wichtig noch die Peresuta, GN. in der Ukraine, Prosna, linker Nfl. der Warthe, die Pirsna, abgeg. GN. im Gebiet der Pilica und Pirsna, Landschaft an der unteren Weichsel; weiter nach Osten liegen Porosna, Fluß im Gebiet des Donec; Presnja, linker Nfl. d. Moskva sowie FlN. im Gebiet der Oka.
Das deutsche Sprachgebiet besitzt Entsprechungen in Veerse und Veersebrück, ON. an der Veerse bei Scheeßel, um 1290 in Versene, in Veerßen an der Ilmenau bei Uelzen, 1296 Versene, 1306 Versena usw. und weiteren Namen, die ich hier übergehe.


Karte 11: *dhelbh-


Karte 12: *pers-

Auch hier zeigt die Verbreitung ein nun schon bekanntes Bild (Karte 12, s.o.): die Namen liegen nördlich der europäischen Mittelgebirge in dem Bereich, der auch schon durch andere Verbreitungskarten aufgefallen war. An einem letzten Fall soll diese Streuung nochmals deutlich werden.
4. Die Wurzelerweiterung *pel-t-, *pol-t-, *plot- einer in den indogermanischen Sprachen weit verbreiteten Sippe um *pel-/pol- „gießen, fließen usw.“, deren Reflexe vom Armenischen über das Baltische und Slavische bis zum Keltischen reichen, begegnet appellativisch im Baltischen, vgl. lett. palts, palte „Pfütze, Lache“.
Geht man aber zum Namenbestand über, so scheint darüber hinaus auch das ehemals slavische Gebiet daran Anteil gehabt zu haben. Außerhalb des später slavischen, baltischen und germanischen Gebietes fehlen bisher sichere onymische Entsprechungen, wie die nun folgende Zusammenstellung deutlich machen wird, und es kann daher der Verdacht geäußert werden, daß die Dentalerweiterung auf diesen indogermanischen Dialektbereich beschränkt gewesen ist.
Zunächst biete ich einen Überblick möglichst aller erreichbaren Bildungen zu der unerweiterten Wurzel *pel-/pol-. Daß das Material noch erweitert werden kann, ist unbestritten.
Man vergleiche: Fal bei Falmouth, England; Fala, FlN. in Norwegen; Falbæk in Dänemark; Falen Å in Dänemark; Fils, GN. im Neckargebiet; Filsbæk in Dänemark; Paglia, Zufluß d. Tiber; Palà, GN. in Litauen, auch in Lettland; Palae, ON. in Thrakien; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; *Palantia im ON. Palencia in Altkastilien; Palçja, FlN. in Litauen; Palejas, FlurN. in Lettland; Palma, ON. in Thrakien; Palminys u.a.m., FlNN. im Baltikum; Palo, Fluß zum Mittelmeer bei Nizza; Palõnas, Palona, GNN. in Litauen; Palva, Fluß in Lettland; Palwe, ON. in Ostpreußen; Pelà, Fluß in Litauen; Péla, Pelîte, FlNN. in Lettland; Polendos bei Segovia, Palmazanos und Paociana in Portugal; Palancia, Zufluß z. Mittelmeer bei Murviedro, Prov. Valencia; Palangà, ON. nördl. Memel (Klaipçda), evtl. hierzu; *Palantia im GN. Palancia in Altkastilien; Pelega, Peleška, FlNN. im alten Gouv. Novgorod; Pelesà, Pelesõs ë?eras, GNN. in Litauen; Pelso „Plattensee“; Pelva, ON. in Illyrien; Pelyšà, FlN. in Litauen; Pielnica mit ON. Pielnia, im San-Gebiet, < *Pela; Pola, Fluß zum Ilmensee; Polova, FlN. bei Gorodok, Weißrußland; Valme, Nfl. d. Ruhr; Velpe bei Tecklenburg; Vielserbach, auch ON. Vielse(rhof), 1015-24 Vilisi, Zufluß z. Heder im Gebiet der Lippe; Vils, Gr. Vils, Kl. Vils, mit ON. Vilshofen, im Donaugebiet, sowie Vils, Zufluß z. Lech; Volme, Zufluß z. Ruhr. Unsicher ist die Zugehörigkeit des österreichischen FlN. Pielach.
Zur Verbreitung der Namen s. Karte 13. Man sieht deutlich, daß die Streuung weite Gebiete Europas umfaßt und daher eine einzelsprachliche Erklärung nicht mehr möglich ist. Wir haben eine typische alteuropäische Sippe vor uns.
Ganz anders sieht es aus, wenn man sich diejenigen Namen betrachtet, die als -t-Ableitung einer Wurzel *pel-/pol- gelten können . Dabei lassen sich alle drei indogermanischen Ablautstufen belegen.
1) Die Grundstufe *pel-t- liegt vor in: Polota, ON. Polock (< *Pelta); Pe³ty, ON. bei Elbing, 1323 usw. Pelten, Pleten; P³ock, ON. an der Weichsel.
2) Die Abtönung *pol-t- in: Páltis, Pãltys, Palt-upis, Paltç u.a.m., GNN. und FlurN. in Litauen, vielleicht auch in Palten, GNN. in Österreich.

Karte 13: Bildungen mit *pel- und *pelt-

3) Die Schwundstufe in Pilica, l. Nfl. der Weichsel, < *Plo tiâ;Poltva/Pe³tew, FlN. bei Lwów (Lemberg); Pe³ta oder Pe³tew, Nfl. d. Narew; Poltva, Nfl. d. Horyn‘ in der Ukraine sowie im Namen der Fulda < *Plo ta.
Das Ergebnis liegt offen zutage: die Basis *pel-/pol- ist sowohl appellativisch wie hydronmyisch viel weiter gestreut als die Erweiterung *pel-t-/pol-t-. Die -t-haltigen Ableitungen bzw. Bildungen treten im Namenbestand nur in einem begrenzten Gebiet auf, das in einem Dreieck zwischen Hessen, dem Baltikum und der Ukraine liegt.
Erneut zeigt sich damit, daß es einen relativ sicher zu bestimmenden Bereich gegeben hat, auf dem sich das Baltische, das Slavische und das Germanische aus einem indogermanischen Dialektgebiet entfaltet haben dürften.
 

ZUSAMMENFASSUNG UND ERGEBNISSE
1. Es gab einen vergleichsweise engen Kontakt zwischen dem sich entwickelnden Baltischen, Slavischen und Germanischen.
2. Die darauf hinweisenden Gewässernamen umfassen einen Raum nördlich der mitteleuropäischen Mittelgebirge zwischen dem Rhein im Westen, Nord- und Ostsee im Norden und dem Baltikum und westlichen Rußland im Osten.
3. In Kombination mit den eingangs behandelten altertümlichen slavischen Bildungen der Hydronymie ergibt sich für die mutmaßliche slavische Urheimat aufgrund der Gewässernamen, daß etwa ein Gebiet zwischen der oberen Weichsel, den Pripjat’-Sümpfen, den Karpaten und dem Dnjepr alle Gewässernamentypen aufweist, die Voraussetzung für die Annahme einer alten slavischen Besiedlung sind.
Nach der Pannonien-These O.N. Trubaèevs hat Z. Go³¹b das obere Don-Gebiet als Heimat slavischer Stämme ausmachen wollen. Nimmt man noch die letzten Arbeiten Schelesnikers hinzu, so wäre die südöstliche Ukraine zu favorisieren. H. Kunstmann sucht die slavischen Quellen in Asien. Man fragt sich, warum man nicht dort nach Slavischem sucht, wo es die Hydronymie zwingend vorschreibt: im Raum zwischen Pripjet’ und Karpaten sowie Dnjepr und unterer Weichsel.
Aufgrund der Gewässernamen, den wichtigsten Zeugen alter Sprachschichten, kann die Suche nach einer slavischen Heimat im Oka-Gebiet, in Asien, in der südöstlichen Ukraine und auf dem Balkan aufgegeben werden.

Vor mehr als zwanzig Jahren traf ich Ernst Eichler hier in Leipzig zum ersten Mal. Sein Interesse für meine damaligen Versuche und seine aufmunternden Bemerkungen haben mir damals und auch später nicht selten geholfen. Mein Dank für sein Interesse möchte ich mit einem kleinen Beitrag aus einem auch für mich neuen Arbeitsgebiet verbinden, aus einem Bereich, der auch für Sachsen und die übrigen Länder Mitteldeutschlands wichtig sein könnte: es handelt sich um Niedersachsen, einem der Altsiedelgebiete derjenigen Menschen, die später im Zuge der deutschen Ostkolonisation den Weg in eine neue Heimat östlich der Elbe gefunden haben. An einem der drei Namen, die ich heute behandeln möchte, wird dieses ganz deutlich werden.

Seit einigen Jahren versuchen wir in Göttingen1, auf namenkundlichem Gebiet eine Lücke zwischen Schleswig-Holstein, Brandenburg, Thüringen, Hessen, Westfalen und den Niederlanden zu schließen. Während in den genannten Ländern die Aufarbeitung der Ortsnamen zum Teil schon weit fortgeschritten ist, fehlt es im Bereich zwischen holländischer Grenze und Altmark einerseits, und Elbe und Mittelgebirgsraum andererseits, nämlich in Niedersachsen, an brauchbaren Untersuchungen. Erst vor wenigen Monaten erschien die erste fundierte Untersuchung2 der Siedlungsnamen eines niedersächischen Kreises: es ist ist die Untersuchung von Wolfgang Laur über die Ortsnamen in Schaumburg3.

Daher war es an der Zeit, den Versuch zu unternehmen, diese Lücke zu schließen und die Arbeit an einem Historischen Ortsnamenbuch von Niedersachsen aufzunehmen. Sozusagen aus der Werkstatt heraus möchte ich drei südniedersächsische Ortsnamen vorstellen, die in ganz unterschiedlicher Weise Beziehungen nach Osten und Südosten besitzen und daher auch für andere Namenkundler von Interesse sein könnten.

1.) Echte. Aus den bisher zusammengetragenen Belegen biete ich hier nur eine Auswahl. In späterer Zeit gibt es kaum noch Schwankungen. Man vergleiche: 8./9. Jahrhundert (Abschrift 12. Jahrhundert) Ethi4, a. 973 in loco Ehte5, um a. 979 Ehte6, um a. 1024 in Hechti suum predium7, a. 1191 (Abschrift 14.Jahrhundert) in Echte8, a. 1210 in Echthe9, a. 1218 in Echte10, a. 1240 in Hechte11, a. 1273 in villa Echte12, um a. 1241 (Abschrift a. 1705) Hechte13, a. 1273 in villa ecthe14, a. 1273 (Abschrift a. 1705) in villa

Echte15, a. 1290 Echte, a. 1321 Eichthe, a. 1334 Echte (Familienname)16, a. 1338 Eylbertus de Echte; Johannes de Echte; Bruninghus de Echte; Hernricus Doleator de Echte17, a. 1340 dat Dorp to Echte18, um a. 1348 Detmar de Echte19, a. 1351 in campis Echte situm20, a. 1364 Meyger Henric de Echte; Helwich de Echte21, 1365 Tyle … de Echte22, und so weiter23, mundartlich (a. 1951) echtë(n)24.

Der erste Beleg ist nach allgemeiner Ansicht nicht zu belasten, da die Schreibung eine Metathese aufweist, die sprachlich nicht erklärt werden kann. Auszugehen ist von E(c)hti mit späterer Abschwächung zu auslautendem -e. Die weitere Entwicklung zeigt keine wesentlichen Veränderungen.

Die bisherigen Deutungsversuche sehen einen verwandten Namen in Echt in der Provinz Limburg, a. 950 Ehti, a. 966 Ehti, a. 1087 Ehta 25. Nach W. Flechsig26 liegt  der Ort Echte an der Aue, so daß von einem alten Flußnamen ausgegangen werden könnte. Nach R. Möller27 liegt – wie von anderer Seite gelegentlich vermutet wurde – keine Bildung mit dem Suffix -ithi-vor, sondern das stammauslautende -k- stand direkt vor einem Dentalsuffix, wodurch Spiran­tisierung hervorgerufen wurde. Das auslautende -i könne weiter als -j-Ableitung eines ur­sprünglichen Fußnamens interpretiert werden. Möglich ist nach R. Möller28 ein Flußname zur Wurzel *ag-, wie etwa in der Ake, rechter Nebenfluß der Saale im ehemaligen Kreis Alfeld (Niedersachsen), weiter in Acht, Flußname bei Mayen, a. 931-956 Akeda, Ekeda. Er sieht zusammenfassend in Echte „germ. *akþo½ für den Flußnamen“, das „durch j-Suffix (*akþi) zur Benennung der an diesem Fluß liegenden Siedlung“29 geworden ist.

Eine kritische Durchsicht der bisherigen Vorschläge führt meines Erachtens dahin, daß als als Ausgangspunkt die Form Ehti anzusetzen ist. Der Vergleich mit Echt (Limburg) scheint zuzutreffen. Eine -ithi-Bildung kommt nicht in Betracht, sondern nur ein direkt an -h- angetretenes Dentalsuffix. Der Vergleich mit dem Fußnamen Acht bei Mayen überzeugt meines Erachtens  aber nicht, da dort noch kurz vor a. 1000 -k- (Akeda, Ekeda) belegt ist.

Zur lautlichen Seite ist zu bemerken: offenbar liegt eine Parallele wie in dem indogermanischen Ansatz *reg?- in got. rikan gegenüber *reg?-t- (zum Beispiel in lateinisch rectus gegenüber gotisch raíhts vor. Lautlich wäre also ein Ansatz *Agtjo½ gut möglich. Nach R. Möllers Deutung ist von einem Teilabschnittsnamen der Aue oder aber einem alten, verschwundenen Namen dieses Flusses auszugehen. Das wäre an und für sich möglich, wenn nicht das heutige Dorf samt der Kirche (die sich am Rande des Dorfes befindet) mehr als einen halben Kilometer von der Aue entfernt liegen und Ackerland das Dorf von dem Gewässer trennen würde. Daher möchte ich einen anderen Vorschlag machen.

W.P. Schmid hat in einem Beitrag30 griechisch PêôÞ  „Felsufer, Felsküste“ behandelt und als -t-Ableitung zum idg. Wasserwort um lat. aqua gestellt. Damit sind bildungsmäßig aus dem germanischen Bereich zu vergleichen: Seck-ach – Sech-ta31, Afte bei Paderborn und andere mehr. Hier kann meines Erachtens Echte < *Ah-tjo½ gut angefügt und als „Ort am Wasser“ aufgefaßt werden.

2.) Hamelspringe. Ganz anders gelagert ist der zweite Name, den ich ansprechen möchte. Es handelt sich um den leicht zu deutenden Ortsnamen Hamelspringe westlich Bad Münder im Kreis Hameln-Pyrmont. Die alten Belege wie auch die Tatsache, daß in der Nähe die Hamel ihre Quelle hat, erlauben eine sichere Deutung. Ich biete im folgenden nur eine Auswahl der einschlägigen Belege, es gibt kaum Schwankungen in der historischen Überlieferung: a. 1180 Conradus de Hamelspringe32, a. 1219 Conradus de Hamelspringe33, a. 1223 Conradus de Hamelspringe34, (um a. 1223) Conradus de Hamelspringe35, a. 1238 Conrado de Hamelspringe36, a. 1239 Conradus de Hamelsprynghe37, a. 1241 Conradus de Hamelspringe38, a. 1242 Cunrado de hamespringe (!)39, (a. 1242 – a. 1263) Conradus de hamelspringe40, a. 1244 Conradus nobilis de Hamelspringe; im Original steht: Hamelsprige41, a. 1244 Conrado de Hamelspringe42, a. 1245 Conradus de hamelspringe43, 1252 C. nobilis de Hamelspringe44, um a. 1300 in hamelspringe45, a. 1306 in hamelspringe46, a. 1306 to Hamel-Springh47.

Dieser leicht zu durchschauende Name weckt jedoch in einem ganz anderen Zusammenhang das Interesse des Onomasten wie das des Historikers: er begegnet nämlich leicht abgewandelt als Hammelspring bei Zehdenick in der Uckermark wieder. Als ältester Beleg erscheint zwar 1375 Havelspryng48, aber schon 1438 als Hamelspringe49, zudem liegt die Havel liegt etliche Kilomter entfernt und spielt für den Namen des Ortes keine Rolle50. Auch ist die Quelle der Havel natürlich an einem ganz anderen Ort zu suchen. Die Übertragung des Ortsnamens darf nach L. Enders und anderen51 als gesichert bezeichnet werden.

Diese an und für sich nicht sehr aufregende Erscheinung, deren Ursache der deutschen Ostkolonisation zuzuschreiben ist, läßt sich aber mit einer weltweit bekannten Geschichte in Verbindung bringen: der bekannten Rattenfängersage von Hameln. Ausführlich hat sich damit unter anderem Hans Dobbertin52 beschäftigt und darin einen Hinweis auf den mutmaßlichen Weg der Aussiedler gesehen.

Diese These hat aber nicht nur Anhänger gefunden. Verbreiteter ist die Ansicht53, daß der Auszug nach Mähren erfolgt sei. Als Grundlage dieser Annahme darf eine Würzburger Dissertation von Wolfgang Wann54 angesehen werden. Mir fehlt hier die Zeit, in allen Einzelheiten auf diese Untersuchung einzugehen; eine gute Zusammenfassung bietet aber H. Spanuth55. Für unsere Fragen heißt es bei diesem56: „Ich bin davon überzeugt, daß er [Wann, J.U.] … den Nachweis erbracht hat, daß die mittelalterliche Besiedlung seiner Heimat, des Gebietes des alten Bistums Olmütz, durch Kolonisten aus unserem engeren Heimatgebiet, darunter auch der Stadt Hameln, erfolgt ist. Darüber hinaus hat er es nach meiner Überzeugung bis zu einem an Gewißheit grenzenden Grade wahrscheinlich gemacht, daß der Hamelner Anteil an dieser kolonisatorischen Leistung den Ursprung der alten Ortssage vom ,Exodus Hamelensis’, dem ,Auszug der hämelschen Kinder’, bildet …“. Er hat weiter nach Spanuth „den Nachweis geführt, daß die deutsche Besiedlung seiner mährischen Heimat im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts durch den damaligen Bischof von Olmütz, einen Grafen Bruno von Schaumburg, und seinen Nachfolgern auf Veranlassung des böhmischen Königs Ottokar durchgeführt worden ist, dessen vertrauter Ratgeber Bruno war …“. „Diese Tatsache beweist Wann … vor allem durch den Nachweis der gleichen Geschlechternamen im Heimatgebiet wie im Siedlungslande“57. Den Namenkundler betreffen ferner vor allem folgende Passagen58: „Die stärksten Beweise … gewinnt er … auf rein historischem Wege. In mühsamer Arbeit hat er aus Urkunden seiner alten Heimat eine große Zahl von Bürgernamen gesammelt, die gleichzeitig in Alt-Hamelner Quellen bezeugt sind, darunter so charakteristische und wenig häufige Namen wie Leist, Rike, Fargel, Hake, Ketteler u.a. Diese Reihen wiegen umso schwerer, als bürgerliche Familiennamen damals erst aufkamen und überdies nur ein Bruchteil von ihnen in den stark dezimierten Urkunden der Stadt Hameln überhaupt vorkommt. – Selbst den Namen einer Siedlung, der aus dem der Stadt Hameln abgeleitet ist, hat Wann festgestellt, das inzwischen wüst gewordene Hamelingow (-kow), bei dem das Stammwort Hamel durch die eine Siedlung bezeichnende Silbe -ing und überdies durch das gleichbedeutende slawische -ow erweitert ist. Hamelner Herkunft beweisen auch die Familiennamen Hamlinus, Hämler und Hamel“.

Mit diesen Sätzen wird die Argumentation endgültig in die Hände des Namenforschers, und zwar in die eines Onomasten mit slavistischen Kenntnissen, übergeben. Schon ein erster Blick in das Standardwerk der mährischen Ortsnamenforschung59 zeigt die Unhaltbarkeit des Ortsnamenvergleichs. Hamlíkov, inzwischen wüst, ist überliefert 1385 Hamlicov, 1407  in Hamlyko, 1347 Hamlinkow, 1511 Hamakow (!)60. Ein Suffix -ing- ist nirgends erkennbar, so daß die Herausgeber des mährischen Ortsnamenbuche mit Recht Anschluß an einen Personennamen Hamlík suchen, in dem eine Ableitung von dt. Hammel vorliegen dürfte. W. Wann hat willkürlich eine Form Hamelingow angesetzt, die durch nichts zu beweisen ist.

Ebenso verfehlt ist die Ansicht von W. Wann61, der ON. Bruntál bei Troppau sei „später umbenannt in Freudenthal“ und „nach dem Bischof Bruno benannt“. Aus dem dem erwähnten Band von L. Hosák und R. Šrámek wird klar, daß der alte Name des Ortes nicht Bruntál gesenen ist, sondern Freudental, zum andern heißt es dort knapp: „Rovnež nelze v místní jménì hledat osobní jméno olomouckého biskupa Bruna ze Schauenburku“62.

Ich will und kann hier nicht näher auf die weiteren Argumente von Wolfgang Wann eingehen63. Ich will auch gar nicht bestreiten, daß es Verbindungen zwischen Mähren und dem Weserbergland gibt, aber ohne Frage besteht die sicherste Namengleichung zwischen Hamelspringe bei Hameln und Hammelspring in der Uckermark. Nimmt man dann noch aus H. Dobbertins Quellensammlung64 die aufgestellte Zeittafel zur Geschichte Hamelns bis 1300 zur Hilfe, so finden sich dort zu den Beziehungen zwischen Hameln und Brandenburg und Pommern auf der einen Seite und Mähren auf der anderen Seite folgende Einträge: „1274: Der Hamelner Junggraf Otto von Everstein wird in Pommern mit der Grafschaft Naugard (zwischen Rothenfier, Fanger und Piepenburg gelegen) lehnt … 1281: Bischof Bruno von Olmütz, Bruder des Grafen Adolf IV. von Schaumburg-Holstein, stirbt. Um 1250 wanderten mit ihm Ritter aus dem Weserbergland nach Mähren aus … 1282-1284: Graf Nikolaus von Spiegelberg in Pommern … 1287: Beteko Gruelhut zwischen Magdeburg und Brandenburg begütert (später Bürgermeister in Hameln) … 1288 Graf Ludwig II. von Everstein in Hinterpommern (später wieder bei Hameln) …“.

Es ist unverkennbar, daß die Frage, wohin die Hamelner Kinder gezogen sind (und dahinter verbergen sich nach Auffassung nicht weniger Volkskundler Wanderungsbewegungen im Zuge der deutschen Ostsiedlung), von einer Disziplin zu beantworten ist, die dazu bisher kaum herangezogen worden ist: ich meine die Onomastik, darunter auch die slavische Namenforschung. Von ihr erhoffe ich mir weitere Aufschlüsse über die Ziele der Auswanderer. Die immer wieder vertretene These, daß sich in Sagen ein alter, wahrer Kern verberge, scheint im behandelten Fall durch die Ortsnamen ihre Bestätigung zu erfahren65.

3.) Lühnde. An einem dritten und letzten Namen möchte ich die besonderen Beziehungen Südniedersachsens mit dem Osten und Südosten Europas aufzeigen. Es ist der Name des nördlich von Hildesheim liegenden kleinen Ortes Lühnde. Bei diesem Toponym ist die Auflistung der ältesten Belege von entscheidender Bedeutung. Eine möglichst umfassende Belegsammlung ist daher notwendig. Man vergleiche: a. 1117 (Kopie 16.Jahrhundert) in villa Lulende66, a. 1147 (Transumpt 1573) in Lulene, Variante: Luuele67, Anfang 12.Jahrhundert (Kopie 16.Jahrhundert) in vico … Liuline (korrigiert von derselben Hand aus liuline)68, a. 1157 (Kopie) in Lulene69, a. 1178 (Kopie 16.Jh.) in parochia Liulinde70, a. 1207 (Kopie) in Lulede (zweimal), de Lulede71, a. 1235 Eckehardus de Lunene72, 1239 in Lulene (zweimal)73, a. 1240 in Lulene, in Lulnne 74, (um a. 1240) Lulele75, (a. 1254 – a. 1257) (Abschrift 14. Jh.) in Lulne76, a. 1261 in Lulene77, a. 1274 de Lulene (dreimal), de Lulene78, a. 1277 Lulenen79, a. 1277 – a. 1284 In Luule, de Luule, Luule, Iohannes de Lulne, Luule, Luule, de Lulene80, a. 1280 in Lulene81, a. 1285 in Lulne82, a. 1295 in Lulene83, a. 1306 Lunene (UB. H. Hild. III 753); a. 1309 in Lulen84, a. 1309 Lulen85, a. 1309 (Abschrift 16. Jahrhundert) in Lulne86, (nach a. 1309) (Abschrift 14. Jahrhundert) rector Lunede87, a. 1317 in Luilne88, a. 1320 in districtu Lunedhe89, a. 1320 in districtu Lunedhe90, a. 1320 in campis ville Lulen91, a. 1321 in Lulne92, a. 1325 in Lulene93, a. 1327 (Abschrift 16. Jahrhundert) in Lulne94, a. 1328 in Lulen95, a. 1339 Thidericus de Lulne96, a. 1359 Thidericus de Lune97, a. 1369 Herman van Lunde98, (um a. 1369) (Abschrift 15. Jahrhundert) to Lulne99, a. 1380 in Lulne100, a. 1380 in Lune101, a. 1380 – a. 1381 in Lule, to Lune102, a. 1382 (Abschrift 15. Jahrhundert) in Lende103, (a. 1382) in Lunede (zweimal)104, a. 1386 by Lulne105, a. 1387 by Lulne106, a. 1388 (Abschrift 16.Jahrhundert) Lune (!)107, a. 1388 (gleichzeitige Abschrift) to Lulne108, a. 1395 (Abschrift 15.Jahrhundert) Lulne109, a. 1397 Lùlne110, a. 1401 Hermann von Lulne111, a. 1402 (Hermanns von) Lulne112, a. 1403 Hans van Lulne113, a. 1406 Hanses van Lulne114, a. 1407 Bernd von Lunde115, a. 1451 to Lùnde116, a. 1456 Lunde117, a. 1459-60 to Lunde118, a. 1482 Johanne Lunde119, a. 1482 Johanne Lunde120, a. 1593 Lühnde; Lünde; Lunde121.

Zwar erweckt die moderne Form den Eindruck einer -ithi-Bildung, jedoch entspricht dieses nicht der Überlieferung des Namens. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, daß die zweite Silbe des Namens nach Lul- zwischen -nd-, -n-, -l- und -d- wechselt. Ab dem 14. Jahrhundert beginnt sich -d-, sogar noch in der Schreibung mit -dh-, durchzusetzen. Mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts hat die Form Lunde gesiegt. Auszugehen ist offenbar von einem Ansatz *Lulende, vielleicht auch *Lulene oder *Lulede. In diesem Fall bliebe aber der Quellenbeleg Lulende unklar.

Die bisherigen Deutungsversuche gehen von einem Gewässernamen mit einer onomatopoetischen Grundlage aus. F. Peine122 hat an eine Bildung mit -ithi gedacht und im Grundwort lulen, lullen „leise rauschendes Wasser“123 angenommen. E. Förstemann124 stellte den Namen zu einem Ansatz Lull und bemerkte weiter: „wohl eher zu lullen, leise tönen als zu lull f. Röhre, wie sich auch schon im Mittelalter im Freien zur Ableitung von Wasser existierten“. An verwandten Namen nennt er Lullubach, Wüstung bei Kissingen, a. 822 Lullubach, 8. Jahrhundert Lullifelt125, weiter einen im 10. Jahrhundert erwähnten Gewässernamen Lullanbrunnan, wahrscheinlich Quelle des Pandelbaches126. Auch D. Rosenthal127 hat den Namen behandelt. Er sieht in ihm eine Bildung mit einem wahrscheinlich sekundären Suffix -de (< -ithi) und bemerkt weiter: „Es ist ungeklärt, ob es sich bei dem Stamm germ. *lula- des ersten Elements um eine Naturbezeichnung oder um einen fast nur noch in Ortsnamen belegten Personennamen-Stamm Lul- handelt“.

Alle bisher angesprochenen Deutungen hat R. Möller128 meines Erachtens schlüssig zurückgewiesen, denn die Verbindung mit einer Gewässerbezeichnung überzeugt wegen der Lage nicht. Er schreibt: „Der Ort liegt am Hang des Mühlenberges, der heute zum den Gemeinderand streifenden Zweigkanal abfällt. Auf der Gaußschen Landesaufnahme existiert unmittelbar bei Lühne weder dieser Kanal noch überhaupt ein Wasserlauf … Lühnde liegt hoch und trocken und ist vermutlich nicht an einen Gewässernamen anzuschließen“.

Soweit bisherige Überlegungen zu dem Namen. Ganz abgesehen von dem fehlenden Gewässer überzeugt die Verbindung mit nhd. lullen keineswegs. Das Wort ist erst in neuhochdeutscher Zeit belegt129.

Die Lösung kommt nach meiner Einschätzung aus dem Osten: G. Gerullis130 verzeichnet einen Ortsnamen a. 1331 Lulegarbis, Lulegarbs aus dem Samland, vermerkt, daß die Originalschreibung des Namens unbekannt ist, bietet aber eine Etymologie an, die auch für unseren Namen zu verwenden ist. Er stellt ihn zu litauisch liulýnas „quebbiger Wiesen- und Moorgrund“. Weiteres wichtiges Material bietet Vanagas131: Liùlenèia, Seename in Litauen, zu verbinden mit lit. liulç´ti „schwanken, quabbeln, sich geleeartig bewegen“, z.B. liu˜lama pelkç „ein schwankendes Bruch“; auch „fließen, strömen“132, liulýnas, liûlýnas „der quebbige, schwankende Wiesen- oder Moorgrund“133, liuly˜nç „die quebbige, beim Betreten schwankende Stelle, das Moorgelände“134. Weiter bietet A. Vanagas litauische Gewässernamen wie Liûlys, Liûl-iupys, die mit liûlíuoti „schwanken, wogen, sich schaukeln lassen“135 zu verbinden sind. Im Oka-Gebiet finden sich Entsprechungen, die in einem Beitrag von V.N. Toporov über das baltische Element dieses Flußgebietes136 verzeichnet sind, bei Toporov aber noch mit der Bemerkung „nejasno“, also unklar, belegt sind. Es sind die Flußnamen Ljuleica, Ljulovka, die mit einem Teil der oben angeführten litauischen Gewässernamen verbunden werden, wobei auch lettisches Material wie Âu˜âa, ˜u  lãjas pâ., Âùâãkas, Âùâëkas, Âùâãni u.a.m. genannt wird.

Hier kann der ON. Lühnde mit einer Grundform *Lulindi (nach der altsächsischen Flexion des Partizips Präsens) angeschlossen und auf eine indogermanische Vorlage *Lulint- zurückgeführt werden. Der Name ist als ursprüngliche Partizipialbildung aufzufassen und bezog sich offenbar auf eine sumpfige Stelle in oder bei der Siedlung. Die Ableitungsgrundlage kann als -l-Erweiterung zu der weit gestreuten indogermanischen Wurzel *leu-, *lu- „Schmutz, Dreck, Morast“ aufgefaßt werden.

Der Name Lühnde stellt innerhalb der südniedersächischen Toponymie insofern eine Sonderrolle dar, als -nt-Bildungen dort nach unseren Untersuchungen noch nicht nachgewiesen werden konnten. Die Verbindung zu dem Baltikum ist allerdings keine Überraschung: bei der Durchsicht der Kreise Göttingen, Northeim, Osterode, Goslar, Holzminden, Hildesheim, Wolfenbüttel und Hameln-Pyrmont konnten zahlreiche weitere Fälle ermittelt werden. Ich nenne hier in aller Kürze und ohne auf Einzelheiten einzugehen:

1.) Duderstadt, zu verbinden mit dem lit. GN. Dûdupys, lett. GN. Dûdupe137.

2.) Waake (< *Wakana, genauer *Wak(w)ana) findet Entsprechungen in dem litauischen Flußnamen Vaga, weiter östlich ablautend in dem der Ugra138.

3.) Der Name der Gose, dem auch Goslar seinen Namen verdankt,  kann als *Gausa mit nordgermanischem Material wie aisl. gjósa, gaus „hervorbrechen, sprudeln“, geysa „in heftige Bewegung bringen, aufhetzen“, Geysir „heiße Springquelle in Island“, neuisländisch gusa „sprudeln“ verbunden werden, „trotz des abweichenden Anlautes … vielleicht hierher lit. gausùs, gausìngas ‚reichlich, ergiebig, fruchtbar‘, gausìnga ùpe ‚reichliche Wassermengen führender Fluß’„139, man vergleiche auch den Flußnamen Gausa in Norwegen.

4.) Der bisher unerklärt gebliebene Ortsname Dransfeld, 960 Thrennesfelde, 1022 (Fälschung Anfang 12. Jahrhundert) Dransuelt140 findet zum einen Entsprechungen in dem thrakischen Ortsnamen Tranupara, vor allem aber in den lettischen FlurN. Trani, Tranava und den litauischen Flußnamen Trany˜ s, žemaitisch Tronis, die mit litauisch trenç´ti „modern, faulen“, lettisch trenêt „modern, verwittern“ verknüpft werden141.

5.) Die beste Verbindung für den Ortsnamen Gimte bei Hann. Münden liegt vor in litauisch  gimus „weich, schmierig, glitschig“142.

6.) Die ON. Scharzfeld und Sarstedt verlangen Grundformen mit anlautendem *Skard- bzw. *Skerd- und gehören am ehesten (auch die jeweilige Lage spricht dafür) zu lit. skardùs „steil“143.

7.) Zwischen Cram im Kreis Wolfenbüttel und Grom bei Allenstein läßt sich eine Beziehung herstellen144.

8.) Schließlich sind Groß und Klein-Denkte mit der Grundform *Dang-ithi am sichersten mit altkur. danga „Bucht eines Sees, Stück Land, das von drei Seiten von Morast oder Wasser umgeben ist“ zu verbinden145. Auch von diesem Aspekt aus findet die vorgeschlagene Etymologie des Namens Lühnde mit seiner Verbindung zum Osten eine gute Stütze.

Auf die Bedeutung der auffälligen Verbindungen zwischen Südniedersachsen und dem Baltikum, die wahrscheinlich mit der besonderen Bedeutung des Baltikums für die Vorgeschichte der indogermanischen Sprachen zu verbinden sind146, kann ich hier nicht näher eingehen. Es wird zukünftig zu prüfen sein, ob es nicht Bindeglieder in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gibt, die – wie im Fall des viel jüngeren Hamelspringe – Hammelspring – sozusagen als „Streckenposten“ interpretiert werden können. Wenn in dieser Hinsicht noch nicht viel Material gefunden werden konnte, so liegt dieses keineswegs in der – vor allem dem Engagement E. Eichlers zu verdankenen weit fortgeschrittenen Arbeit in den genannten Bundesländern, sondern in der fehlenden Aufbereitung im Altsiedelland, vor allem in Niedersachsen. Daß dessen Toponymie einige Überraschungen bietet, hoffe ich, gezeigt zu haben.

(Die Ortsnamen des Amtes Neuhaus, Kr. Lüneburg)

Die in den letzen Jahren durchgeführte Arbeit an einem Historischen Ortsnamenbuch für Niedersachsen1 darf natürlich die slavischen Spuren im Osten Niedersachsens nicht unberücksichtigt lassen. Die slavischen Orts- und Wüstungsnamen in den Kreisen Lüchow-Dannenberg, Lüneburg, Uelzen und Gifhorn sind schon verschiedentlich behandelt worden, es überwog dabei allerdings die slavistische Ausrichtung2; deutsche und germanische Ortsnamen fanden nicht die gleiche Aufmerksamkeit.
Hinzu kam eine territoriale Ausweitung Niedersachsens vor drei Jahren: auf Wunsch der Bevölkerung wurde das nördlich der Elbe gelegene Amt Neuhaus am 1.Juli 1993 aus Mecklenburg-Vorpommern aus- und dem Landkreis Lüneburg und damit dem Land Niedersachsen eingegliedert. Rein zufällig durchfuhr ich am 3. Juli 1993 das Land nördlich der Elbe und konnte an zahlreichen Fahnen mit dem Niedersachsenroß die Zugehörigkeitsgefühle der Einwohner sehr deutlich registrieren.
Das Amt Neuhaus ist damit dem „Zuständigkeitsbereich” der Arbeiten an den Ortsnamen Mecklenburg-Vorpommerns entzogen und muß im Rahmen der Behandlung niedersächsischer Toponyme bearbeitet werden. Das Amt hat eine wechselvolle und zum Teil eigenartige Geschichte durchlebt3; immer wieder hat es sich als ein besonderes Fleckchen Erde erwiesen, das sogar unter Napoleons Herrschaft Bestand gehabt hat.
Schon sein Name schwankt; noch bei P. Kühnel4 wird es Amt Neuhaus an der Elbe oder Neuhaus in Lauenburg genannt. Das heutige Amt Neuhaus liegt zwischen der Elbe im Süden und Westen, der Sude im Norden und der Rögnitz im Osten. Seine Grenzen werden fast ausschließlich von Flüssen gebildet und das Wasser ist untrennbarer Teil seiner Geschichte. Es hat auch dazu beigetragen, daß es Zankapfel zwischen Herrschern aus Lauenburg, Mecklenburg und Lüneburg gewesen ist.
Nach Kühnel5 umfaßt es „zwei alte slavische Ländchen, und zwar Wehningen teilweise, den Gau Darzing aber, welcher wiederum einen Teil des ersteren bildete, ganz“. Der Gau Darzing wird zm ersten Mal im Ratzeburger Zehntverzeichnis (um 1230) erwähnt.
Die wechselvolle Geschichte des Landstrichs zeigen landesgeschichtliche Atlanten6 recht deutlich: er gehörte zum Besitz Heinrichs des Löwen7, um 1230 den Grafen von Dannenberg als Lehen der Bischöfe von Ratzeburg, 1258 erhält ihn Herzog Albrecht von Sachsen-Lauenburg in einem Vergleich mit Herzog Albrecht von Braunschweig. In den folgenden 30 Jahren wechselte das Gebiet mehrfach seinen Besitzer. Um 1360 gehört es zum Amt Hitzacker, 1363 wechselt es zum Bestand der Fürsten von Braunschweig und Lüneburg. Im 15. Jh. ist es eine askanische Enklave, nach Aussterben des Mannesstammes der askanischen Herzöge im 1689 geht es an Herzog Georg Wilhelm von Celle und dadurch mit Lüneburg 1705 an Hannover über. Zum Kurfürstentum Hannover gehört es bis 1810, nach Napoleons Neugliederung ist es für drei Jahre erneut Enklave: als Teil des Departements der Elbmündungen zwischen dem Hzgt. Mecklen-urg-Schwerin und dem Departement der Aller. Der Wiener Kongreß schlägt es wieder zu Hannover, von 1859 – 1885 existiert ein eigenes Amt Neuhaus in der Landdrostei Dannenberg. Die Konsequenzen des 2. Weltkrieges führen am 16. Juli 1945 zur Eingliederung in die Sowjetische Besatzungszone, der Atlas Niedersachsen von 1950 deklariert das Amt Neuhaus noch als „niedersächsisches Gebiet in der sowjetischen Zone“. Am 1. Juli 1993 führt der Wunsch der Bevölkerung zur Rückgliederung an den Landkreis Lüneburg und damit zum Land Niedersachsen.
Die gelegentliche Sonderstellung des Gebietes und die wechselvolle Geschichte könnten geographische Gründe haben. Von J. Dittmar8 wird der sich ständig ändernde Lauf der Elbe angesprochen: da dieser ” zunächst nicht ganz feststand, sondern … nördlich [des heutigen Verlaufs, J. U.] in der Linie Gülstorfer See, Sumter See, Sumter Kanal und Krainke-Niederung in weiteren Flußarmen erfolgte, war hier ursprünglich ein umfangreicherer Elbe-Streifen gegeben, der – nach einer Zeit der Überschwemmungen durch die Einrichtung verschiedener Deichanlagen fruchtbar und siedlungsfreundlich gemacht – von lüneburgischer Seite her gern besetzt wurde …“.
Eine Durchsicht der Ortsnamen des heutigen Amtes Neuhaus ist bisher nicht unternommen worden. Vor allem sind die slavischen Namen bearbeitet worden. Es gibt jedoch offenbar auch einige recht alte germanische Relikte, deren Untersuchung interessante Ergebnisse zu bieten vermag.
Die Ortsnamen des Amtes Neuhaus gehören in Übereinstimmung mit denen der benachbarten Landstriche im großen und ganzen vier Schichten an: einer neuhochdeutschen, einer niederdeutschen, einer slavischen und einer vorslavischen9. Hinzu kommen einige übertragene Namen, die am Anfang stehen sollen.

A. Übertragene Namen
1.) Neu Bleckede. Dieser Ort liegt ca. 1½ km von Bleckede entfernt auf dem Nordufer der Elbe, unmittelbar gegenüber Bleckede. Es ist eine junge Siedlung, urkundliche Belege sind mir nicht bekannt geworden.
Der Name ist vom Südufer der Elbe übertragen. Bleckede ist ein alter Name, dessen Bildung mit dem Suffix -ithi unbestritten ist. Man vergleiche an älteren Belegen (Auswahl): 1209 in Bleketsa usque Schalsburg …10, 1224 (A. 15. Jh.) apud Blekethe11, 1224 (A. 16. Jh.) apud Blekede12, 1228 in palud Blekede … de Blekede13, 1258 Bleckethe; Variante: Blekede14, (1271 – 1274) Castrum Blekethe15. Der Name wird übereinstimmend16 mit einer Grundform *Blek-ithi zu asä. blek ‘Bleiche, Fläche, Blachfeld’ gestellt. Er könnte in dem ON Bleckten im Kr. Heinsberg eine Parallele haben17.
2. Neu Garge. Der Ort liegt 2,7 km nordöstlich von Alt Garge auf dem Nordufer der Elbe. Beide Orte sind erst in jüngster Zeit belegt. Die ältesten mir bekannten Belege bietet die Kurhannoversche Landesaufnahme, Blatt 69: 1766 Neu Garge, Alt Garge, um 1800 belegt Manecke18 sie in den alt-, neu Garge. Kühnel 372 vermutet eine kollektive Bildung *Gargüje zu slav. *grúg-, sloven. grgati ‘tönen (girren)’, und auf Grund der Lage an der Elbe einen Bezug zum Wasser des Flusses. Bückmann 165 übernahm diese Deutung als ‘Rauscheort’.
Dieser Vorschlag ist nicht grundsätzlich abzulehnen. Das slovenische Wort gehört zu einer onomatopoetischen Sippe, die u. a.  auch umfaßt: serbokroat. gr` gati ‘Zähne putzen’, makedon. grga, grgne, grgnuva ‘spritzen’, russ. gorgotát’ ‘kreischen’, poln. gorgoliæ siê ‘blasen, wehen’ u. a. m.19. Die Lage an der Elbe könnte als Bestätigung dienen. Auch ist bemerkenswert, daß die
Kurhannoversche Landesaufnahme von 1776 zwischen Alt und Neu Garge in der Elbe einen Gargenwerder kennt.
 Es darf andererseits nicht übersehen werden, daß der Name innerhalb des altsorbischen und altpomoranischen Gebietes isoliert steht. Unter Umständen haben wir einen weiteren Fall aus der Sippe von elbslavischen Namen vor uns, die besondere Beziehungen zum Südslavischen besitzen und die bereits an anderer Stelle20 behandelt wurden.
L. Schneiders Versuch21, den Namen an mnd. querke/quarke „Gurgel” anzuschließen, ist mit dem Konsonantenbestand in Garge nicht zu vereinbaren.
3. Neu Wendischthun. Auch dieser Ort liegt nördlich der Elbe und ca. 3 km von Alt Wendischthun (östlich von Bleckede22) entfernt. Er erhielt den Zusatz Wendisch erst im 15. Jahrhundert, vgl. 1291 in castro Tunis … dicti de Thunis … Acta sunt hec Thunis23, 1299 in castro Tunis (mehrfach)24, 1413 to Wendeschen Tùne, 1443 to Wendeschen Tune, 1444 to Wendeschen Tune25, 1491 van Wendesschen Tüne26, 1776 Wendischthun27.
Es liegt ein germanisch-deutscher Ortsname vor, vgl. die ausführliche Darstellung der tun-Sippe bei J. Udolph28 (zu unserem Namen speziell S. 724) und die Ausführungen bei L. Bückmann 121 und H. Jellinghaus, Anglia 20 (1898) 324. Die ersten Belege (Tunis) zeigen Latinisierungen.
L. Schneiders Bedenken gegen die diese Deutung29 und der Hinweis auf slav. tyn „Zaun” sowie die Vermutung, daß man „die Deutung mit Hilfe des slawischen Wortes … nicht ausschließen” könne, überzeugen nicht. Urslavisches *y würde im Polabischen in einigen Varianten erscheinen, niemals aber als û. Außerdem sind im gesamten westslavischen Sprachgebiet, vor allem aber im Polabo-Pomoranischen Namen, denen das slavische Wort zugrunde liegt, sehr selten.
4. Neu Schutschur. Etwa 1,5 km östlich von dem auf dem südlichen Elbufer liegenden Schutschur befindet sich im Amt Neuhaus – getrennt von der Elbe – der kleine Ort Neu Schutschur, sicher infolge von Übersiedlungen aus Schutschur entstanden. Für die kleine Siedlung sind alte Formen nicht bekannt, etwas besser steht es mit Schutschur bei Hitzacker: 1636 Sutschur, 1640 Schutschur, 1750 Schutschur, 1760 Schütschur, Schütschurer Werder, Schütschurer Weide30, um 1800 Schutschuer31, nach Kühnel „aus Mangel älterer urkundlicher Formen nicht sicher zu erklären“32. Einen Versuch habe ich an anderer Stelle unternommen33 und den Namen an südslavisches Material anzuknüpfen versucht.
Die vier Übertragungen sind unzweifelhaft. Das auch aus der Gegenrichtung Ortsnamen übertragen worden sind, werden wir noch im Fall von Groß Kühren – Klein Kühren sehen.
Die hier behandelten Namen zeigen die engen Verbindungen, die über den Elbstrom hinweg bestanden haben müssen und bestätigen im Grunde die heutige Zugehörigkeit zum Kreis Lüneburg. Selbst das Fehlen einer Brücke zwischen Lauenburg und Dömitz hat sich nicht negativ auswirken können.
B. Neuhochdeutsche Namen
1.) Herrenhof. Die kleine Siedlung auf dem Hitzacker gegenüber liegenden Elbufer erscheint in älteren Belegen wie folgt: ca. 1640 Mersche zum Herrn Vorwerk Über-Elbe, 1764 Herrnhof34, 1776 Herrenhoff35, 1800 Herrnhof, vor Zeiten Überelbe36. Der Ort ist sehr wahrscheinlich von Hitzacker aus benannt worden37 und hieß zunächst Überelbe.  Später erhielt er den Namen Herrn Vorwerk, aus dem sich Herrenhof entwickelte. Es liegt ein junger Name vor, der keiner Erläuterung bedarf.

C. Niederdeutsche Namen
1.) Bohnenburg. Der nordöstlich von Hitzacker am Nordufer der Elbe gelegene Ort ist erst seit dem 16. Jahrhundert bezeugt: 1533 to Bonenborch38, 1776 Bonenburg39, 1822 Bonenburg40. Der älteste Beleg zeigt im Grundwort noch deutlich niederdeutsches -borg. Im Bestimmungswort wird ein Personenname Bon(o) vorliegen, der schwach flektiert bei E. Förstemann41 gut bezeugt ist.
2.) Haar. Trotz der späten Bezeugung ist dieser Ortsname leicht zu deuten. Seine Belege (1764 Haar42, 1776 Haar43, 1776 Haars Koppel44, 1794 Haar45, 1822 Haar46) variieren kaum. Nach Kühnel 281 handelt es sich um einen deutschen Namen. Er gehört zu der weit verbreiteten Sippe um ahd. horo st.N. ‘Schlamm, Brei, Schmutz, Kot, Erde’, asä. horu ‘Kot, Schmutz’, mnd. hôr ‘Dreck, Unrat; Schlamm, Moorerde, Lehm’, nnd. hâr ‘Schmutz, Kot’, die ich an anderem Ort unter Einbeziehung des Namenmaterials ausführlich behandelt habe47.
3.) Heidkrug. Nordwestlich von Laave am Laaver Moor liegt diese kleine Siedlung, für die ältere Belege kaum bekannt sind. Allein die Kurhannoversche Landesaufnahme, Blatt 70 verzeichnet 1776 den Ort als Heidkrug; auch Manecke II 410 nennt ihn (1822) Heidkrug. Der Name ist ein Kompositum aus Heide und Krug, hier sicher in der Bedeutung „Wirtshaus“. Eine Auflistung zahlreicher Krug-Namen bietet F. Haeger48.
4.) Krusendorf. Westlich von Neuhaus liegt dieser Ort, der durch seine älteren Belege die niederdeutsche Herkunft recht deutlich zeigt: (1330 – 1352) to Krusendorpe49, 1360 to Cruzendorpe, 1764 Crusendorp50, 1776 Krusendorf51,  1822 Krüsendorf, Krusendorf52. Neben dem Grundwort ndt. dorp, das erst spät zum hdt. dorf wechselt, liegt der ndt. FamN. Kruse vor53, vgl. ndt. krus „kraus”  hier wahrscheinlich ursprünglich bezogen auf „Krauskopf, Kraushaar“.
5. Laake. Die älteren Belege zeigen, daß von einer Lagebezeichnung auszugehen ist: 1399 Dat ghantze dorp. to der lake54, 1776 Laacke55, 1822 Lake56. Die Zweifel von Kühnel 283 an eventueller deutscher Herkunft sind unbegründet. Der Name gehört zu mndt. lãke ‘kleineres sichtes, stehendes Gewässer, mit Wasser gefüllte Vertiefung usw.’, ndt. lake ‘Lache, seichte Stelle, Pfuhl, Pfütze usw.’ 57. Es gibt zahlreiche Vergleichsnamen aus dem Orts-, Fluß- und Flurnamenbestand Norddeutschlands.
6. Neuhaus (Elbe). Der Sitz der Gemeinde hat einen relativ jungen, niederdeutschen Namen. An  alten Belegen sind mir bekannt geworden: 1328 vnde solen en buwen ein hus to des Hertogen Vorde… dat Nyehus58, 1369  de Dertzinge vn½   dat Nyehus59, 1371 Volrad van Zule van deme Nyenhus60, 1372 dat hus to dem nyen huv   s61, 1375 dat hws to dem Nyenhws in dem Dertzinghe; den Dertzingh mit deme Nyenhuse62, 1429 dat Nygehus in dem Derzinge63, 1457 tome Nigenhuse64, 1467 to deme Nyen huse65, 1473 van den husen Lovenborch und Nyenhuse66, 1477 van Lowenborch und Nyenhuse67, 1524 Datum Nigehus68, 1822 Vorburg Neuhaus69. Der Name geht auf eine Wasserburg zurück, die die Grafen (später Herzöge) von Lauenburg in den Niederungen an der Krainke erbaut hatten und vornehmlich als Wohnung für jüngere Prinzen und als Witwensitz benutzten70.
Der Name ist einfach komponiert und enthält ndt. ni(j)e, ni(g)e ‘neu’ und hûs ‘Haus’, hier vielleicht zu verstehen als ‘Schloß’. Zahlreiche Vergleichsnamen – zumeist zusammengesetzt mit plur. -husen/-hausen – bietet E. Förstemann71.
Zu der Lagebezeichnung in dem Dertzinghe vgl. unten am Ende des Beitrages.
7.) Niendorf. Für diesen Ort nordwestlich von Neuhaus habe ich keine sicheren Belege ermitteln können. Auch Kühnel erwähnt ihn nicht. Man wird ihn aber dennoch wohl zu den zahlreichen mit mnd. nige, nije ‘neu’ und dorp ‘Dorf’ gebildeten Toponymen zurechnen dürfen.
8.) Stixe. Der am Stixer See gelegene Ort ist erst sehr spät bezeugt: 1776 Stixe72, ca. 1800 Stiexer Bauer Feld73, 1822 Stichssee, Vorwerk Stichserhof74. Während Rost, Muka und Trautmann den Namen nicht behandeln und somit offenbar dem Slavischen nicht zurechnen, hat Kühnel 292f. erwogen: „vielleicht zu altsl. sútoka, sútok-, poln. stok, stek ‘Zusammenfluß, ON tschech. Stoky, polab. Steknitz …, 1202 flumen Cikinize … Zusammenfluß zweier Arme der Krainke’”, allerdings auch hinzugefügt: „Sicherheit der Deutung ist beim Fehlen älterer urkundlicher Formen nicht möglich”.
Dem ist zu entgegnen, daß der Ort am Rand des das Amt Neuhaus durchziehenden großen Waldgebietes und von der Krainke und deren Zuflüssen entfernt liegt. Eine Rolle könnte aber der Stixer See gespielt haben. Vielleicht war dieser sogar namengebend, so daß man von einem Kompositum mit dem Grundwort -see ausgehen kann. Im Bestimmungswort liegt dann vielleicht mnd. stîch ‘Fußweg, Steig, schmaler Weg zwischen Flurstücken oder im Gelände usw.’75 vor. Aber auch dieses bleibt angesichts der späten Überlieferung eine Spekulation.
Wie man sieht, ist die Ausbeute an niederdeutschen Namen, die nach Eindringen der Slaven entstanden sein dürften, ist nicht sehr groß. Dem gegenüber gibt es zahlreiche slavische Relikte im Namenschatz des Amtes Neuhaus, wie die folgende Aufstellung zeigen wird.

D. Slavische Namen
1.) Banke. Der heutige OT. von Privelack liegt am Banker See und ist wie folgt belegt:
1306 in terra Dertzinghe … in terra Derzinghe … in villa Banke76, 1450 Bangken77, 1531 Bancke78, 1715 Banke, 1736 Dorff Bancke, 1764 Bancket (!)79, um 1800 Banke80. Eine deutsche Erklärung – etwa zu Bank, Sandbank – überzeugt kaum. Man hat daher bisher aus dem Slavischen gedeutet81 und den Namen zu polab.-pomor. *b¹k gestellt, das mit kasch. bo²k ‘Bremse’, poln. b¹k ‘Rohrdommel, Bremse’ und polab. bunkar ‘Rohrdommel’82 verwandt sein dürfte.
Fehlerhaft ist allerdings die Ansicht von P. Kühnel83, es sei von einer Bildung *B¹kov, also mit dem Suff. -ov- gebildet, auszugehen. Eher ist wohl eine plur. Bildung *Bo²ki zu vermuten, woran auch R. Trautmann zu denken schien, wenn er an polnischen Vergleichsnamen B¹k und B¹ki heranzieht84. Speziell wären hier zu nennen: B¹ki, ON im Kr. Janów85, B¹ki bei Sieradz, 1519 Banky86, sowie weitere B¹ki-ON aus Polen87. Die Lage am Banker See als einem für Vögel willkommenen Ort kann die angenommene Deutung m.E. durchaus stützen.
2.) Groß, Klein Banratz. Die unmittelbar benachbart liegenden Orte haben ihre differenzierenden Zusätze Groß, Klein bzw. älter grot – wie die historischen Belege zeigen – erst sekundär erhalten, man vergleiche: 1371 einen hof to Bandrase88, 1397 twe houe to Groten Banderatze89, 1397 to groten Banderatze90, 1397 to groten Banderatze91, 1764 Banneratz92, 1776 großen Banratz93, Klein Banratz94, 1822 Banraz95.
Daß hier ein slavischer Name vorliegt, ist schon bald erkannt worden. Bereits K. Muka sah darin ‘stpo³. B¹doradici t.j. spólnota rodzinna B¹dorada …’96, für P. Rost97 gehörte der Name als ‘*Banderadice zu b¹d- und radú’. Mit anderem Fugenvokal stellte Kühnel 277 den Namen zu altslavisch b¹d- ‘sein, das Wesen’ und sah in ihm einen PN B¹dimìrú. Sein Vergleich mit dem kaschub. ON Bêdzmjerovcje, und polab. Bandelstorf, 1347 Bandemerstorpe in Mecklenburg sowie poln. Bêdzimirowice, Bêdargowo u. a. m. führte ihn für unseren ON zu einem Ansatz *B¹diradüci, *B¹diradce ,die B¹dirad’, einer patronymischen Bildung. Ihm folgte Bückmann98.
R. Trautmann99 erklärte den Namen ‘aus altem *B¹doradŸ so wie nso. Budoraz (-a) Kr. Guben … von einem PN *B¹dorad’, sein Vergleich wurde ein wenig von E. Eichler revidiert100, da Buderose, nso. Budoraz, jetzt poln. Budoradz, 1764 Buderose in seinem ersten Teil urslavisch *bo²d-, aber auch urslav. *bud- reflektieren kann. Dennoch heißt es auch bei ihm zu dem sorbischen Namen: „Aus aso. *BudoraŸ ,Ort des Budorad’ …  vgl. auch Banratz … aus *B¹doradŸ”. E. Kaiser101 stellte unseren Namen zu der Sippe um den Typus Radogošè, der mit Hilfe des possessivischen Suffixes -jü von Vollnamen gebildet sei, als Grundform sei *Bo²dorad-jü anzunehmen.
Eine wichtige Korrektur an einigen Vorschlägen haben R.E. Fischer und T. Witkowski102 angebracht: als Grundform sei „*B¹diradŸ- zu einem nicht belegten VN *B¹dirad [anzusetzen]. Die polnischen Parallelen (Bêdzieciech, *Bêdziemys³) machen einen Ansatz *B¹doradŸ unwahrscheinlich”.
Bemerkenswert an diesem Namen ist seine Zugehörigkeit zu einem Typus, für den „vielleicht ein Zusammenhang mit dem Siedlungsprozeß entlang der Elbe gesehen werden muß”103. Damit wird die schon bei Schutschur angesprochene Vermutung eines Zuzugs aus dem Süden durch einen weiteren Namen erhärtet.
3. Carrenzien. Dieser OT. von Neuhaus ist vor allem durch das Waldgebiet der Carrenziener Heide, 1776 Carrenziener Heide104, bekannt. Leider ist er nicht sehr früh überliefert: 1764 Carentzin, 1770 Carntzien105, 1776 Carnzien106, 1822 Karrenzien107, so daß eine sichere Deutung kaum möglich ist. Es bleiben Vermutungen: P. Rost 224 denkt an eine Entsprechung zu poln. chory ‘krank’, etwa chyr-, chere und an Herkunft von einem PN Er stützt sich vor allem auf Karenzin (Carntzin) in Mecklenburg und auf einen polnischen ON Chorzêcin. Unsicher geworden, erwägt er auch einen Zusammenhang mit hraniti und den Personennamen Hranota, Hranislav. K. Muka 384 geht von einem Ansatz Gorêtin aus und stellt ihn zu einem Personennamen Gorêty, wobei er kaschubisch Gorêcin vergleicht. Vielleicht hat Kühnels Verbindung108 mit „altsl. krúnú ‘mit abgeschnittenen Ohren’, tschech. krniti verschneiden, polab. *karn, PN tschech. Krn, Krnìj, poln. Kornala, ON tschech. Krnín, Krnìjovice, poln. Kornalowice, polab. Karenzin in Meckl. 1334 Carntzin, hier ebenso Karnèino ‘Ort des Krnka, Karnka’” das meiste für sich. J. Dittmar109 erwog diese Etymologie ebenfalls.
4. Darchau. Die historische Überlieferung dieses Namens beginnt nicht – wie gelegentlich fälschlich angenommen wurde110 – mit dem Beleg 1277 Dargowe111, denn dieser bezieht sich auf Dargow am Schaal-See112, sondern einige Jahrzehnte später: 1360 to Darchowe, to Dargow, to Dargouwe113, 1368 darchowe114, 1715 Darchau115, 1822 Darchau116. Aus Darchau stammten Siedler, die Neu Darchau bei Hitzacker, 1,5 km südlich von Darchau, auf dem Südufer der Elbe gründeten, ca. 1760 Neu-Darchau117. Manecke beschreibt den Ort wie folgt: „Neu-Darchau an der Elbe und am Kateminerbach besteht aus 3 Häuerlingshäusern, die von den Eingesessenen des Dorfes Darchau jenseits der Elbe im Amte Neuhaus … erbauet sind, um von solchen aus ihre Ländereien besser nutzen zu können”118.
Wir haben somit eine Ortsnamenübertragung aus der Gegenrichtung vor uns, die zudem heute etwas seltsam wirkt, denn das Ausgangsdorf Darchau besteht nur noch aus wenigen Häusern, während Neu-Darchau fast 1500 Einwohner hat.
Dennoch muß die Deutung von Darchau ausgehen. Bisher hat man fast immer zwei Vorschläge für die Etymologie unterbreitet: entweder sah man in dem Stamm des zugrundeliegenden PN slav. dragú und somit ein „Besitzdorf des Drag, Drago, Kf. von PN wie Drahoslav, Drahomír (tschech.), Drogomi³ (pol.). Vgl. ON tschech. Drahov, Drahovice”119, ähnlich Muka 386, favorisiert auch von Kühnel 237: altslav. dragú, polab. drag lieb, teuer, PN Dragomir, Drag, Draga, ON serb. Dragovac, tschech. Drahov, hier ebenso Dargov, Ort des Darg. Oder man zog altes *Darchov heran wie in tschech. Drachov und nso. Drochow zu einem KN. *Darch120. J. Dittmar 79 schwankt zwischen *Darg(o) und dem tschech. ON Drahov auf der einen Seite und *Darchú und dem nso. ON Drochow auf der anderen Seite. Angesichts der fast übereinstimmenden Überlieferung mit -ch- halte ich den zweiten Vorschlag für überzeugender.
5. Dellien. Der Name des nördlich von Neuhaus liegenden Ortes ist erst seit dem 18. H. belegt: 1762 by Dellin121, 1764 Dallin122, 1776 Dellien123,  um 1800 Dellin, Delliner Feldt, Delliner Wiesen124, 1822 Dellien125. Übereinstimmend hat man ihn dem Slavischen zugewiesen. Während P. Rost 195 einen mecklenburgischen ON Dellin und poln. Dolina vergleicht und ihm Muka 386 mit der Annahme einer altpolabischen Grundform Dolina, neupolab. Dülaina ‘Talgegend, Ort im Tal’ sehr nahe kommt, hatte Bückmann 164 dagegen an einen ‘Ort des Dal’ gedacht und sich auf Kühnel 279 gestützt, der altslavisch dalú ‘gegeben’ und PN wie Dalimil, Dalata, Dalica, Dal, sowie die ON Daleboøice, Dalevice, Daletice, herangezogen hatte und für Dellien eine Grundform Dalino mit der Bedeutung ‘Ort des Dal’ vorgeschlagen hat. J. Dittmar 136 referiert beide Vorschläge, ohne eine Entscheidung zu fällen.
Beide Vorschläge überzeugen aber nicht. Offensichtlich ist von einem -e-haltigen Wurzelvokal auszugehen, der weder zu dal noch zu dol passen will. Viel näher liegt slavisch *dìl ‘Berg, Hügel’, worüber unter Einbeziehung reichhaltiger Belege aus dem appellativischen und onymischen Bereich E. Eichler anläßlich des ON Delitzsch ausführlich gehandelt hat126. Wirft man unter diesem Aspekt einen Blick auf die geographische Lage des Ortes127, so liegt Neuhaus unmittelbar unterhalb einer Erhebung, deren Höhe 14,6 m sich deutlich von den umliegenden Messungen (9,5 m, 7,6 m, 9,3 m, 11,0 m) abhebt. Die Realprobe bestätigt somit – im Einklang mit den lautlichen Problemen bei einer anderen Deutung – die Deutung als slav. *Del-in- ‘höher gelegener Ort’.
6. Gülstorf. Der Name dieses Dorfes ist seit Beginn des 15. Jahrhunderts überliefert: 1401 Dat ghanse dorp to ghùlstorpe128, 1764 Gülsdorp129, ca. 1770 Gulstorff130, 1776 Gülstorff131,  1822 Gülsdorf132. Die Etymologie ist umstritten. Muka 388 denkt an altpolab. Golica, neupolab. Gülaiæa ‘Heidebach, Kahlenbach’, Kühnel 280f. schreibt: „Dorf des Gol oder Gul, entweder zu altsl. golú nackt, PN serb. Golüklas, Gola, Fem., russ. Golo, russ. Golo, poln. Golisza, ON russ. Golino, tschech. Holín, Holešov, oder zu altslav. *guljati schwelgen, tschech. hulák Schlemmer, PN tschech. Hul, Hula, Hulyš, ON in Meckl. Gülzow, 1333 Gultzowe, tschech. Hulín, Hulice”.

In jedem Fall handelt es sich um einen sogenannten „Mischnamen”, wobei niederdeutsch dorp an eine slavische Grundlage angetreten ist. Beide Vorschläge haben etwas für sich: aus einem *golica wäre der erste Bestandteil auch zu erklären, allerdings erweckt die Verbindung mit niederdeutsch dorp doch einige Zweifel und aus -o- wäre weniger -ü- als vielmehr -ö- (und gerade im Niederdeutschen, vgl. Müller – Möller, Küster – Köster) zu erwarten. So hat wahrscheinlich die Erklärung aus einem PN zur slavischen Sippe um gul-, erweitert mit einem -s-/-š-haltigen Suffix, die meisten Argumente für sich.
7.) Gülze. Dieser Ortsteil von Neuhaus ist leider nicht gut überliefert, bekannt sind nur zwei ältere Belege, von denen nur einer höheres Alter besitzt: 1360 van ghùltzow133, 1776 Gültze134,  1822 Gülze135. Eine sichere Deutung kann nicht geboten werden. Während P. Rost 214, K. Muka 388 und R. Trautmann136 an slavisch golú ‘kahl’ anschließen und eine Grundform *golica, etwa ‘Heidebach, Dorf am Heidebach, Kahlenbach’ oder auch ‘Heide, kahler Platz’, annehmen, gehört der Name für P. Kühnel 285 zu einem Personennamen, der zwar auch zu slav. golú ‘nackt’ angeschlossen werden könne (er vergleicht serbisch Golüklas, tschechisch Holec, Holeš, polnisch Goliszcza und andere), und sieht in ihm „Golišovo, oder Golcovo ‘Ort des Goliš, Golec’”. Er erwägt aber auch die Möglichkeit, an altslavisch guljati schwelgen, tschech. hulák Schlemmer, die tschech. Personennamen Hulek, Hulyš, und Ortsnamen wie Hulice, Hulcze, anzuschließen. Dann wäre Gülze altes Gulèovo ‘Ort des Guleè’. L. Bückmann 164 folgt Kühnel.
Verwandte und mutmaßlich identische Namen wie Gülzow, Golzow hat A. Schmitz137 behandelt und drei Grundformen *Gol-šov-, *Gol-èev-, *Gol’cov- diskutiert. Eine eindeutige Zuordnung ist nicht möglich.
8.) Gutiz. Der ON ist wie folgt belegt: 1450 Goutzittze138, ca. 1760 Gütjitz139, 1764 Gutjetz (!)140, 1776 Gulitz (!)141,  1776 (FlurN.) Gutitzer Wiesen142, 1822 Gutitz143. Auch hier schwanken die Deutungen. P. Rost 213 stellte ihn zur slavischen Sippe um chot, vergleicht in Mecklenburg Gottin, urkundlich Chutun, Gottin und Göthen, urkundlich Chùten u. a. , K. Muka 388 dachte an eine altpolab. Grundform *Chudici und eine Verbindung mit slavisch chudy ‘arm, mager’. P. Kühnel 281 findet keine rechte Erklärung, geht nur von einer Wz. gut- aus, aber weiß dafür keine Bedeutung. Er vergleicht die polnischen Ortsnamen Guty, Gutowo, Gutowiec, Gutków, und polabisch Gutow in Mecklenburg und sieht in unserem Namen altes „Gutice ‘Ort, Leute des Gut-, Guta’”.
Aufgrund verschiedener Parallelen, darunter auch einen Wüstungsnamen auf Rügen,1232 Gutitz, 1314 Gutiza, stellt R. Trautmann144 den Namen wie Rost zu der Sippe um chot-. Ihm ist M. Je¿owa145 gefolgt. Angesichts des nicht zu sicherenden Ansatzes *gut- ist dieses wahrscheinlich immer noch die beste Lösung.
9.) Kaarßen. Obwohl die Kirche des Ortes kurz vor der Reformation entstanden ist146, lassen sich alte Belege nicht beibringen. Bekannt sind nur ca. 1700 Karsen, ca. 1720 Kaarsen, 1764 Carsen, 1770 Carssen147, 1776 Caarsen148, 1822 Kaarsen149. In diesem Fall sind sich die Gelehrten einig; alle150 stellen den Namen zu der slavischen Rodungswurzel *kroè- und vergleichen poln. karcz, zu slovenisch, serbisch krè Rodeland, tschech. krè ‘Strunk, Baumstrunk’ usw., woraus im Polabischen *karè zu erwarten wäre. Für Muka liegt eine Grundform Kårcina ‘Rodung, Gereut’ vor.
Es handelt sich um ein im Slavischen weit verbreitetes Wort, das innerhalb der Rodungsterminologie zu den älteren Appellativen gehört151 und auch im Ostslavischen seine Entsprechungen besitzt.
10. Konau. Dieser Ortsname bereitet wenig Probleme. Die Überlieferung zeigt ein relativ klares Bild: 1360 dat dorp Konowe (Zuordnung nicht ganz sicher)152, 1385 tho Konow153, 1396 tho Konowe154, 1764 Conau155, ca. 1770 Conow156, 1776 Konau157, 1822 Konau158, auch ein FlurN. ist belegt: ca. 1770 im Conower Parensk159. Man stellt den Namen mit einer Grundform *Koñov-  zu dem bekannten slavischen Pferdewort konü160 und sieht darin ein ‘Pferdedorf’ oder eine Ableitung von einem Personennamen, der auf diesem Wort aufbaut. Allein T. Witkowski161 hat gewisse Zweifel angemeldet und einen Zusammenhang mit *kon ‘Grenze, Ende’ oder *kuna ‘Marder’ für möglich gehalten.
11. Groß Kühren. Dieser Ort liegt auf dem rechten Ufer der Elbe gegenüber Klein Kühren (Kreis Lüchow-Dannenberg). Bei der Zuordnung der Belege gibt es Probleme. Kühnel hat sie irrtümlich162 beiden zugeordnet. Wahrscheinlich kann man wie folgt sortieren: für Groß Kühren 1388 ghereke to kùrem163, 1450 Kurem164, 1608 Kühren165, ca. 1640 Großen Kühren166, 1764 Kuren167, um 1800 Großen-Küren168, für Klein Kühren 1450 Dravensche Kurem169, um 1800 Kleinen-Küren170. Groß Kühren ist heute ein bedeutend kleinerer Ort als Klein Kühren, das offenbar durch Siedler aus (Groß) Kühren angelegt worden ist.
Die Deutung ist umstritten. Während Muka 390 eine altpolabische Grundform Chorin ansetzt und eine Verbindung zu slavisch chor- oder zu korenü ‘Wurzel’ unter Berücksichtigung der tschechischen Ortsnamen Choøín, Koøen, niedersorbisch Kór´eñ erwogen hat, zog Trautmann, MH. 87 den slovakischen Ortsnamen Kurima heran und stellte den Namen zu polnisch kurzyæ „rauchen, räuchern”  kurz „Staub” und russ. kurnája izbá „Rauchhütte“. Bei Trautmann werden zugleich genannt: Kühren bei Plön, Kühren bei Calbe, Keuern bei Döbeln.
E. Kaiser171 denkt an eine (allerdings unsichere) Ableitung von kura „Henne”  wofür sich für andere Kühren-Namen auch E. Eichler verschiedentlich ausgesprochen hat. Kühnel schließlich hatte (S. 245) die slavische Wurzel kor-, koriti ‘demütigen’, hier in einer Grundform *Korim-jü, Korim ‘Ort des Korim’, favorisiert.
Vielleicht gehört der Name zu der von K. Hengst172 behandelten Sippe um Kohren bei Geithain, Choren bei Meißen, Köhra bei Grimma und Kühren bei Wurzen, in denen seiner Ansicht nach ein alter Typus *Choryñ, strukturell aufzufassen als Kurzname + -yñ, vorliegt.
Eine Entscheidung ist wegen der späten Überlieferung kaum möglich. Groß und Klein Kühren geben aber durch Namen und Lage zu erkennen, daß es enge Beziehungen über die Elbe hinweg gegeben hat.
12. Laave. Der am Laaver Moor liegende Ort ist trotz seiner jungen Überlieferung173 (1762 im Laver Scheideholz174, 1776 Lave175, 1822 Lave176) gut zu erklären177. R. Trautmann hat unter Nennung zahlreicher Vergleichsnamen wie Lave, Laage, Lawke, Laffcken, £awy, Lava dazu ausgeführt: „Auf Lage am Wasser bezieht sich zweifellos die Ortsnamengruppe, die von slav. *lava ‘Bank’ kommt, wenn auch der ursprüngliche Sinn der ON bei uns nicht genau erfaßbar zu sein scheint (po. ³awa ‘Bank, Brettersteg über Bach, Sumpf; Ackergrundstück inmitten des Waldes in einer Schlucht’ und ³awica ‘Sandbank, Schotterbank, Untiefe’, nso. ³awa und ³awka ‘Steg über Wassergräben’)”.
13. Pinnau. Auch dieser Ortsname ist nur jung überliefert (um 1720 Pinnow, 1764 Pinnau178, 1776 Pinnah (!)179, 1822 Pinnau180), wird aber einhellig und überzeugend zu slavisch *pünü ‘Baumstumpf, Stubben’ gestellt181. Zahlreiche Vergleichsnamen bestätigen diese Deutung.
14. Popelau. Der zwischen Konau und Darchau gelegene kleine Ort besitzt eine gute Überlieferung: 1360 dat dorp Popelow, 1391 twe houe to Povpelow, 1411 in dem dorpe to Popelow, ca. 1760 Poplau, 1764 Peplau (!)182, 1776 Poppelau183, 1822 Popelau184. Seine Herkunft ist unstrittig. Übereinstimmend185 setzt man eine Grundform *Popelov- an, stellt ihn zu einem slavischen Personennamen und sieht in slavisch popelú, pepelú „Asche” die Grundlage der Ableitung. Zahlreiche Personen- und Ortsnamen wie Pepelow, Popelov, Popielow bestätigen diese Deutung.
15. Pommau. Der am rechten Ufer der Elbe liegende Ort ist wie folgt überliefert: 1399 to poyemoyge186, 1450 Poygemoyg187, 1640 Pomau, 1715 Pommau, ca. 1750 Pommo, 1764 Pomau188, 1776 Pommau189, um 1800 Pommau190, 1822 Pommau191. Ein davon abgeleiteter Inselname erscheint um 1750 als Pommoer Werder192. Wie wichtig die Berücksichtigung der historischen Belege ist, zeigt die Deutung von Muka 395, der – ohne ältere Belege zu nennen – eine Grundform *Pomnovo ansetzt. Diese Deutung ist natürlich verfehlt. Überzeugender sieht Kühnels These (S. 287) aus, wonach der Ortsname „ganz und gar dem poln. ON Pomyje Pommey Wpr. [entspricht], altsl. pomyje, poln. tschech. pomyje Spülicht, von altsl. myj¹, myti waschen, drav. måje er wäscht, hier also polab. drav. Pomoyje ‘das Spülicht, das Abspülen, der Spülplatz’ usw.; der Ort liegt direkt an der Elbe”. Von Kühnel übernahm Bückmann 164 die Deutung als ‘Spülplatz’.
Aber auch Kühnel hat sich geirrt. Die Überlieferung des Ortsnamens Pomyje bei Pelplin spricht gegen Kühnels Deutung: 1278 Pomyn, Pomini, 1281 Pomie, 1324 Pomim, 1394 czu Pomen usw., erst ab 1682 erscheint Pomyje, 1749 Pomey193. Diese Formen gehen wie die heutige polnische auf den zwischenzeitlichen deutschen Einfluß durch die deutsche Form Pommey(n) zurück. Der Name ist unklar, H. Bugalska194nimmt baltische Herkunft an. Von hier fällt demnach kein Licht auf Pommau.
Dennoch wird Kühnels Deutung zutreffen, denn die Ukraine bietet wenigstens zwei Namen, die für Pommau herangezogen werden können: zum einen den Ortsnamen Pomyjniki195, zum andern den Flußnamen Pomyjnyca, Nebenfluß der Theiß in der Karpato-Ukraine196. Beide enthalten – wenn auch suffixal unterschiedlich erweitert – doch wohl die beiden Elemente po und myj-, die auch in Pommau vorliegen werden. Ich denke, daß Pommau in den beiden ukrainischen Namen eine Stütze besitzt.
16. Preten. Dieser, ganz im Norden an der Grenze zu Mecklenburg liegende Ort, wird wie folgt erwähnt: (um 1322) prethen197, 1459 tome Prethen198, 1764 Preten, Preter Fehr199, 1776 Preten200. Er „liegt am Rande eines größeren Holzes in der Nähe der Rögnitz”201 und wird nicht nur deshalb von P. Rost zu  slavisch *prìtonü ‘Durchhau’ gestellt und mit tschechisch zaton¡ ‘Verhau’, niedersorbisch ton ‘Aushau im Walde’ verglichen. Etwas anders sieht Muka 395 die Etymologie: „‘Platz vor der Tiefe des Wassers, Ort vor der Untiefe’ (p. tonia i tonie) albo ‘Durchhau resp. Aushau im Walde, Lichtung’, sts³. *prìtonú …’”. Kühnel 288 schließlich erwägt: „entweder zu altsl. prìtú Drohung, prìtiti drohen … oder zu zu altsl. *prìtonú, *pritonú Aushau, vgl. zatonú, Insel, Bucht, … hier Prìton ,Aushau, Lichtung’”.
Nicht ganz ohne Bedeutung ist die Tatsache, daß Manecke202 für das Jahr 1415 eine Wüstung Preten „an der Landschnede von Kaarßen und Pinnau” belegt.
Sieht man sich im Vergleichsmaterial des Westslavischen um, so findet man für die angenommene Bedeutung „Aushau” keinen Beleg, dagegen aber zahlreiche, die mit slav. tonü „Untiefe, tiefe Stelle im See, Stelle, an der man gut fischen kann” verbunden werden können. Ich nenne hier nur Pritten, ON in der Neumark, < *Pritoñ „Dorf an der Tiefe, am tiefen Wasser, bez. an dem mit Netzen umstellten tiefen Strich Wasser, aus pri und toñ bzw. tonja”203, Przetonek, Vertiefung, Untiefe im See Bytyñ, 1542 przethonek204; Przytonek, mehrere tiefe Stellen in verschiedenen Seen, darunter die fischreichste im See bei Cichów, belegt z.B. 1571 zgon z przithonkiem, 1515 – 20 Przythonek205; etliche Fischerflurnamen Przytonek kennt auch E. Breza206.
Es kann kaum einen Zweifel geben, daß Pritten hier seine Erklärung findet. Zudem liegt der Ort nur wenig von dem Zusammenfluß von Krainke und Sude entfernt in einem überaus feuchten, sumpfigen und nassen Gebiet, in dem das Wasser die entscheidende Rolle gespielt hat.
17. Privelack. Der auf dem rechten Elbufer gelegene Ort liegt nach P. Rost207 „zwischen zwei einander nahen Flußarmen, der Elbe und einem Zufluß der Krainke; östlich davon die Krainke, der Zeetzer See, der Stixer See u. a.” und erscheint in älteren Form wie folgt: 1345 hebbet vorkoft … den Priuelok …208, 1373 mid deme dorpe to deme Pryueloke209, 1776 Privelack210, 1822 Privelake211. Der Name weist auf eine aus dem Ostslavischen bekannte Transportstelle hin, nämlich auf die Strecke zwischen zwei Flüssen, über die Fahrzeuge geschleppt oder waren gefahren werden, vgl. russ. perevoloka „Landenge zwischen zwei schiffbaren Flüssen”, pomoranisch 1283 portus, qui Prewloca vulgariter dicitur, sowie polnische Ortsnamen Przew³oka, tschechisch Pøívlaky, südslavisch Prevlaka, Privlaka, hierher auch der Priwall bei Travemünde, 1306 Priwalc212. Eine ausführliche Zusammenstellung des slavischen Materials hat J. Udolph (mit Kartierung) vorgelegt213. Vielleicht ist auch der von mir damals noch nicht angeführte griechische Name Ðñüâëáêáò, schmale Landzunge, die die Athosinsel mit dem Festland verbindet214 hinzuzufügen215. K. Mukas Verbindung (S. 396) mit poln. Przywa³ek „Brustwehr am Walle, Umwallung, Verhau, Schanze, Damm” überzeugt nicht.
18. Raffatz. Der östlich von Hitzacker auf dem Nordufer der Elbe unmittelbar am Deich liegende Ort ist erst spät bezeugt: ca. 1640 Raffatz, 1715 Raffatz, 1727 Raffatz, 1764 Raffholtz (!)216, 1776 Raffatz217, 1822 Raffatz218, die Deutung ist dadurch nicht unerheblich erschwert. Man favorisiert219 – wahrscheinlich mit Recht – Herkunft von slavisch rovú „Graben, Grube”  tschechisch rovec, das in zahlreichen Ortsnamen wie Rov, Rovišæe u.v.a.m. nachweisbar ist.
19. Rassau. Dieser Ort (gelegentlich auch als Groß Rassau bezeichnet) liegt nordwestlich von Hitzacker auf dem rechten Ufer der Elbe. Die Überlieferung zeigt ein recht einheitliches Bild:
1450 Raszauw220, 1715 Rassau221, 1776 Rassau222, 1822 Rassau223. Der Name wird ebenso einheitlich zu einem slavischen Personennamen gestellt, wobei eine Kurzform Raš(o) bevorzugt angesetzt wird224. Etwas anders dachte Rost 291 an einen Personennamen Ros(o), Kurzform von Rodislav, tschech. Rodislav.
Kühnel 311 kennt auch eine vermutliche Namenparallele: Klein Rassau südöstlich von Neuhaus, 1715 Raßau, die ich sonst nicht belegen kann. An Herkunft von einem slavischen Personennamen wird auch in diesem Fall kaum zu zweifeln sein.
20. Rosien. Nordwestlich von Neuhaus liegt dieser kleine Ort, dessen Überlieferung nicht sehr weit zurückreicht: 1726 nach Rosien, 1764 Rossin225, 1776 Rosin, FlurN. 1776 Rosiner Theil Holtz, Rosier Pferde Coppel, Rosiner Wiesen226, 1822 Rosien227. Dennoch ist man sich über Deutung einig: während Rost 294 noch etwas zweifelnd Herkunft von slav. rúžú ‘Roggen’ als *rúž ina annahm, haben Muka 398, Kühnel 291 und J. Dittmar 137 keine Bedenken, den Namen in diesem Sinn zu erklären. Eine andere Lösung ist – soweit ich sehe – auch nicht in Sicht.
21. Strachau. Der östlich von Hitzacker auf dem Nordufer der Elbe gelegene Ort ist wie folgt belegt: 1450 Strachauw228, ca. 1640 Strachu, 1715 Strachau229, 1776 Strachau, FlurN. 1776 Strauchauer Weide, Strachauer Marsch 230, um 1800 Strachau, FlurN. Strachauerrade231. Man erklärt ihn übereinstimmend als -ov-Ableitung von einem slavischen Personennamen, der als Kurzform *Strach (zu Strachomir usw.) zu strach ‘Furcht, Schrecken’ gestellt wird232. Ortsnamenparallelen bestätigen diese Etymologie.
22. Sückau. Der spät bezeugte Ort in dem von Sude und Rögnitz bei ihrer Vereinigung gebildeten Winkel (1690 Suckau233, 1762 Sückau234, 1776 Sückau, FlurN. Sückauer Feld235, ca. 1800 bey Sückau236, 1822 Sückau237) wird ganz unterschiedlich erklärt. Für Rost 322 ist die Lage entscheidend: „es handelt sich um ein ausgeprägtes Flachland”  daher sei von slavisch sucho scil. polje ‘trockenes Feld’ auszugehen. Dem entspricht Mukas Annahme (S. 401) sucha (scil. niva) ‘trockener Ackerboden, dürres, wasserarmes Land’. Auch J. Dittmar, S. 26 hält Herkunft von suchy für möglich, vermag aber nicht zu entscheiden, ob nicht ein Personenname Žukú oder Sukú die Grundlage des Namens abgegeben hat.
Kühnel 293 ging einen ganz anderen Weg: für ihn liegt entweder slavisch žukú ‘Binse, Ginster’ oder suka ‘Hündin’  jeweils erweitert mit einem -ov-Suffix zugrunde.
Folgt man Trautmann, der Ortsnamen wie Suckau mehrfach behandelt hat, so dürfen diese nicht zu slavisch suchy gestellt werden (daß ergäbe eher Formen wie Zowka, Zuchow, Zuch, Zuchen, Zauche). Er stellt diese Sippe daher zu dem Käferwort žukú. Wahrscheinlich wird man diesem Vorschlag folgen müssen.
23. Sumte. Der Ort liegt an einem langgestreckten See westlich von Neuhaus. Der Ort begegnet in folgenden älteren Belegen: 1330 – 1352 to … zommete238, 1399 ene houe to Sumpte239, 1563 tho Sumpte240, 1776 Sumte241, 1822 Sumbte, Sumpte242. Man wird mit Rost 323 annehmen dürfen, daß das -p- sekundär entstanden ist und von einer Grundform *Som-t- oder *Sum-t- ausgegangen werden muß.
In der Diskussion um diesen Namen verglich man:
a.) Summt, Dorf und See bei Oranienburg, der Ort: 1375 villa Czùmit, Czuemit, 1416 Summolt, 1475 Czumholt usw. 243, der See: 1475 dy Czumholt usw.244.
b.) Einen früher erwähnten See im Kr. Waren, so 1291 stagnum Szumit245.
c.) Einen weiteren früher erwähnten See im Westhavelland, 1179 lacus Zumit246.
d.) Den ein wenig unbeachtet gebliebenen Schumke-See bei Zossen, 1583 Der Sommotkow, 1655 Der Sammetkow, Sammit, 1788 Schaumkesee, den G. Schlimpert247 wohl mit Recht hierher stellt und eine Grundform *Somit-, *Somit-k- angenommen hat.
e.) Einen recht früh belegten Seenamen bei Arnswalde in der Neumark, 1237 ad parvum locum Somite248, auf den Trautmann, MH. 147 aufmerksam gemacht hat.
f.) Somitoe, See im Kr. Mozyr’249, allerdings auch belegt in der Variante Sominoje250.
Fast übereinstimmend setzt man für diese Namen eine Grundform *Somit- an und sieht in dem Grundwort slavisch som ‘Wels’251, wobei G. Schlimpert auf das hohe Alter der Wortbildung hinwies und Gewässernamen aus dem ostslavischen Bereich wie Chmelita, Kolpita, Chochlita,
Salita, sowie den bulgarischen Gewässernamen Rosita und den Bergnamen Gabrit unter Hinweis auf Arbeiten von M. Vasmer und I. Duridanov herangezogen hat252. S. Kozierowski253 erbrachte eine weitere morphologische Parallele mit dem Verweis auf die Bildung Ostrowite zu ostrov ‘Insel’. Ergänzend zu der Bildung *Somit- wurde verschiedentlich254 auf -in-Ableitungen *Somin-, z.B. in Summin bei Karthaus und Pr. Stargard255 verwiesen.
Auf Grund dieser Vorschläge kann weder die Etymologie von Kühnel 293 zu slavisch so²bot- ‘Sonnabend’256 noch dessen Verbindung mit so²pú ‘Geier’ oder *z?b? ‘Zahn’ überzeugen.
Auch der Gedanke von Rost 323, eine Verbindung zu slavisch šumú „Geräusch, Rauschen” herzustellen, muß sowohl aus semantischen Gründen (es handelt sich um flache, in Niederungsgebieten gelegene Gewässer) wie lautlich abgelehnt werden.
Eine gewisse Beachtung verdient aber eine andere Bemerkung von Rost: „Ein sächsischer Name auf ithi, -idi … liegt bei Sumte schwerlich vor; eine auch nur einigermaßen befriedigende Erklärung des ersten Bestandteiles ließe sich wenigstens nicht beibringen“.
Obwohl in letzter Zeit den Bildungen auf -ithi wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist257, hat Rosts Bemerkung dennoch weiterhin Bestand: eine sichere germanische oder deutsche Ableitung *Som-ithi oder *Sum-ithi läßt sich nicht beibringen. Theoretisch wäre eine derartige Bildung angesichts von Bleckede, Geesthacht und Drage möglich. Die sicheren slavischen Parallelen und das im Fall einer germanisch-deutschen Erklärung unklare Grundwort sprechen aber wohl doch eindeutig dafür, von einem slavischen Namen auszugehen.
Zur altertümlichen Bildung mit -it- vergleiche man auch J. Udolph258.
24. Tripkau. Der Ort im Amt Neuhaus besitzt eine genaue Parallele in Tripkau bei Dannenberg. Unser Name ist wie folgt bezeugt: 1450 Trippkouw259, ca. 1640 Tripkau260, 1715 Tripkau261, 1764 Tribbekau, ca. 1770 Tripekow262, 1822 Tribbekau263.
Dieser Name macht in der Deutung keine Probleme. Man ist sich einig264, von einer Grundform *Trìbkov- auszugehen und als Grundlage einen Kurznamen *Trebek anzunehmen, der zu slavisch trìbú ‘geeignete Zeit’ gehört.
25.) Viehle. Der am rechten Elbufer gelegene kleine Ort ist erst spät belegt: 1503 de Vyler Fere, 1563 von Vile265, um 1800 Viele266. Die späte Überlieferung erschwert die Deutung. Rost 337 schlug unter Bezug auf E. Förstemann267 deutsche Herkunft vor, wofür aber nur wenig spricht. Ein sicherer Anschluß im Niederdeutschen fehlt. Daher vielleicht doch eher slavisch, kaum aber mit Muka 403 zu slav. velij als ‘großes Dorf’  eher vielleicht mit Kühnel 388 zu slavisch vila ‘Nymphe’,  tschech. vila ‘Narr’,  poln. wi³a ‘bei dem es rappelt’,  „hier Pl. ‘die Vila’”.
26. Vockfey am Vockfeyer See erscheint in früheren Belegen wie folgt: 1386268 in deme dorpe to vokeue269, in einer Dorsalnotiz dieser Urkunde aus dem15. Jahrhundert to der Bokenen (!)270, 1395 bestand [es] aus zwei Dörfern, Vooksei und Savekau, auch Satkau271, 1749 Vockefey272, 1776 Vockfey273, 1822 große und kleine Vocksei (sic!)274.
Die Auffassung, es handele sich bei dem Beleg von 1386 vokeue um eine Verschreibung, basiert auf der in der Schleswig-Holsteinischen Regesten- und Urkundensammlung wiedergegebenen Dorsalnotiz des 15. Jahrhunderts. Die im schleswig-holsteinischen Regesten- und Urkundenbuch enthaltene Originalurkunde zeigt deutlich vokeue. Man darf daher dem Beleg meiner Meinung nach vertrauen.
Man hat für den Namen zwei Etymologien vorgeschlagen. Muka 404 geht auf eine Grundform *Vokovy zurück und verbindet diese mit okovy ‘Fesseln, Bande’. Bückmann 164 folgt Kühnel 294, der an einen Zusammenhang mit slavisch oko, woko ‘Auge’,  auch ‘Brunnen’, gedacht hat  und hier eine Form „Vokovo oder ähnlich” angenommen hat.
Die Verbindung mit der zweiten Gruppe ist sehr verlockend. Zwar hatte ich bei meiner Zusammenstellung der von slavisch oko ‘Auge, Brunnen, Quelle wie ein Fenster u. a. m.’ abgeleiteten Namen keine -ov-Bildung notiert275, aber den nordakadischen Namen IÁêïâá angesprochen, den J. Schröpfer276 mit dem oben genannten slavischen Wort für die ‘Fessel’ verbunden hatte. Immerhin hatte M. Vasmer277 diesen und andere griechische Namen als eventuelle slavische -ovo-Bildung angesprochen und hinzugefügt: „… deren erster Teil schwierig ist. Man könnte an skr. `o`ko ‘Quelle’ (Vuk) denken, aber ein *Okovo kann ich im Slavischen nirgends nachweisen. Vgl. jedoch Okovüskyj Lìsú (Laur.Chr.) aber auch S. 126: IÁêïâá. Wegen der Form IÁêïâÞ, oben, muß wohl mit türkischer Herkunft aus ak + ova gerechnet werden”.
Vielleicht fällt von dem Elbufernamen neues Licht auf dieses Problem. Daß es spezielle Beziehungen zwischen dem dravänopolabischen Namenbestand und dem Südslavischen gibt, ist schon mehrfach angesprochen worden278. Slavische Herkunft wäre dann sowohl für unseren Namen wie für die griechischen Toponyme nicht ausgeschlossen.
27.) Zeetze. Der am Zeetzer See und am Rande eines ausgedehnten Waldgebietes gelegene Ort besitzt einen Namensvetter in Zeetze bei Clenze. Die Überlieferung setzt im 14. Jahrhundert ein279: 1328 Zcezce280, 1451 Czetze281, 1776 Zeetze282, FlurN. Seetzer Wiesen283, 1822 Zeesee284. Die Etymologie scheint klar: übereinstimmend285 sieht man in dem Namen die slavische Sippe um sìkú ‘Aushau, schneiden’  zumeist mit einer Grundform *Sìèje, zu aksl. sìèije ‘Aushau, Holzhau, Hag’.

Zusammenfassung. Der Anteil der slavischen Namen im Amt Neuhaus ist hoch, etwa 2/3 der Namen dürfen hierzu gezählt werden. Neben ganz gewöhnlichen Ortsnamen aus westslavischen Appellativen und slavischen Personennamen fallen einige Toponyme durch einige Besonderhei­ten auf. Dazu möchte ich zählen: Dellien, Kaarßen (kro                         è), Pommau, Privelack, Sumte (Wortbil­dung mit -it-), Vockfey.
Während die ersten vier sämtlich in der Ukraine, in dem Bereich, der aufgrund der Hydronymie und Toponymie an allen alten slavischen Namengruppen Anteil hat286, Entsprechungen besitzen (im Fall von Pommau sogar ausschließlich), ist Privelack zusätzlich (vgl. Ðñüâëáêáò) und Vock­fey unter Umständen (vgl. IÁêïâá, EÁêïâÞ),  mit einem anderen periphären Bereich des Slavia, mit Griechenland, verbunden.
Das Dravänopolabische erweist sich nicht zuletzt durch diese Besonderheiten als ein toponymisch interessantes Untersuchungsgebiet, das allerdings auch nicht geringe Anforderungen an den Slavisten stellt. Doch nicht nur dieser, sondern auch an der Germanist findet im Amt Neuhaus wichtiges Material. Mit der Durchsicht der slavischen Namen ist das Untersuchungsgebiet noch nicht erschöpfend behandelt; es gibt einige Toponyme, die offenbar einer älteren Schicht und damit der Zeit vor der slavischen Einwanderung angehören.
E. Älteres deutsches und germanisches Namengut
Es sei vorweg bemerkt, daß nicht bei jedem der nun zu behandelnden Namen eine zweifelsfreie Zuweisung zu einer vorslavischen Schicht (verstanden als dasjenige Namenstratum, das vor der slavischen Einwanderung bereits bestanden hat) möglich ist. Durch die Grenzlage des Amtes Neuhaus begünstigt sind sicher auch deutsche Neubildungen innerhalb eines sonst slavischen Gebietes zu einer Zeit, als die slavische Einwanderung schon abgeschlossen war, möglich gewesen. Eine relativ sichere Zuweisung zu einem vorslavischen Substrat ist eigentlich nur dann möglich, wenn der betreffende Name Grundwörter oder morphologische Elemente enthält, die dem Mittelniederdeutschen nicht mehr bekannt gewesen sind oder schon unproduktiv geworden waren. Angesichts der Überlieferungslage in Norddeutschland ist selbst diese Überlegung nicht ohne Schwächen. Dennoch sei versucht, eine Auflistung mutmaßlicher alter germanisch-deutscher Namen zu geben.
1. Bitter. Der so durchsichtig aussehende Name ist nur sehr schwer zu erklären. Seine Überlieferung seit dem 15. Jahrhundert (1450 Bithter287, 1531 Bitter288, ca. 1640 Bitter, 1736 Hofe zum Bitter289, um 1800 Bitter290) trägt nicht dazu bei, Licht in das Dunkel zu bringen. Er liegt unmittelbar gegenüber Hitzacker inmitten eines Gebietes, das nur deutsche Namen kennt: Herrenhof, Brandstade, Laake, Gosewerder, Vergünne. Der Ortsname Bitter ist meines Wissens innerhalb der deutschen Nomenklatur isoliert; komponiert begegnet Bitter noch in Bitterfeld, 1136 oppidum Bittirfelt usw. (ebenfalls nicht sicher geklärt) 291.
Kühnel 297 vermutete mit Recht deutsche Herkunft. In einem ersten Versuch habe ich die Vermutung geäußert, daß eine -r-haltige Bildung wie in den hochaltertümlichen Parallelen Letter, Limmer, (Salz)gitter vorliegen könne292, über die Ableitungsgrundlage aber noch keine Aussagen machen können. Die Aufarbeitung der niedersächsischen Toponymie führte inzwischen zu einigen sehr altertümlichen Namen, die zur Lösung beitragen könnten. Ich nenne in aller Kürze Betheln (HI), 1013 Betunun293, 1019 in Betanun294, 1022 in Betenun295; b.) Bettrum (HI), 1285 in Betenum296, 1311 Bettenem297, 1317 Betkenum298; Bettmar bei Hildesheim, 1146 in Bethmere299, (1100 – 1200) In Bethmere300, 1181 (K.) in Bethmere301; Bettmar bei Braunschweig, 1146 in Bethmare, 1226 u. ö. in Bethmere302.
Eine Lösung steht noch aus. Ob hier das von P. Hessmann behandelte303 niederdeutsche Wort beete ‘sumpfige Weide’ herangezogen werden kann, bleibt fraglich. Unter der Voraussetzung, daß Bitter hohes Alter zugeschrieben werden kann, ist eine Herleitung aus einer Grundform *Betira nicht umöglich.
2.) Derzing. Obwohl es sich hierbei nicht um einen ehemaligen oder heute noch existierenden Ortsnamen handelt, meine ich, daß der Name hier nicht übergangen werden sollte. Als Derzing bezeichnete man früher einen Teil des heutigen Amtes Neuhaus zwischen Elbe und Rögnitz. Mir sind an Belegen bekannt geworden:
1230 In terra Dirtzinke304, 1258 super Dertsingen305, 1261 in terra vero Dertsinge; de terra vero Dertsinge; De terra vero Dertsigge306, 1271 De terra vero Dertsinge307, 1306 in terra Dertzinghe; cum totali terra Derzinghe308, 1314 de terra Derzingorum309, 1328 met den Dertscinghen310, 1334 vor de Dertzy? nge311, 1335 terre Dartzinge312, 1355 in dem dertzy? ngh313, 1357 in dem Dertzyinghe; in dem Dertzinge314, 1357 (A.) in dem Dertzinge315, 1363 de Dertzinghe316, 1369 De Dertzinge vn½   dat Nyehus317, 1372 in dem Dertzinghe mit dem Dertzinge318, 1372 in dem Derczynge met dem Derczynge319, 1377 in terra Dertzingh; in terra Dertzynghe; in terra Dertzinch; in terra Dertzinghe320, 1429 in dem Derzinge321, 1434 in den Derzing322,1531 wilckenßdorp … Bitter … Bancke … im Darssing belegen323,  1608 der Sieger Land (!)324.
Zunächst ist zu diskutieren, von welcher Grundform man auszugehen hat. Für J. Bilek, der den Namen bisher fast als einziger behandelt hat325, war die Sache klar: aufgrund eines angeblichen Beleges von 1158 terra Dartzinke ging er von einem slavischen Suffix aus und hielt den Namen für slavisch. Die zahlreichen Belege mit -ing- hatte er überhaupt nicht im Blick.
Diese Ansicht ist völlig verfehlt. Zunächst ist zu bemerken, daß in der von J. Bilek genannten Quelle (Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 1, Nr. 65, einer verfälschten Urkunde!) ein Beleg Dartzinke nicht enthalten ist. Dieser fehlt auch in der Neuausgabe der Quelle, den Urkunden Heinrichs des Löwen326, Nr. 41.  Vielleicht liegt eine Verwechslung mit dem Beleg in Dartsowe Bischopestorp vor, der sich aber nicht auf den Dertzing, sondern auf Dassow bei Grevesmühlen bezieht. Somit bleibt als einzige, von den zahlreichen -ing-haltigen Belegen abweichende Form nur 1230 In terra Dirtzinke übrig.
Gerade die -ing-Bildungen aber weisen natürlich nicht auf einen slavischen, sondern auf einen germanisch-deutschen Namen. Die umliegenden Gebiete (Kreise Lüchow-Dannenberg, Lüneburg usw.) kennen nicht wenige Bildungen mit -ing-327. Es wäre ein Novum im Bereich des Hannoverschen Wendlandes, wenn ein slavischer Name mit -ing- substituiert worden wäre. Daß dieses im Bereich der Ostalpen gang und gebe war,  liegt darin, daß dort das Suffix -ing- noch produktiv war, als die slavischen Namen eingedeutscht wurden. Dieses aber war im Wendland nicht der Fall, wie F. Debus unterstrichen hat328.
Man wird daher eher den anderen Weg gehen dürfen und anzunehmen haben, daß der Name ursprünglich ein -ing-Suffix besessen hat und dieses durch slavisch -ink- substituiert worden ist.
Bezeichnenderweise hat R. Trautmann329, der etliche ganz ähnliche Namen behandelt hat, etwa Daarz, den Namen des Darß, weiter Darze u. a. m. und zur Etymologie ausführte: „Man wird altes *Darè und *Darèe Pl., sowie *Darèov ansetzen müssen, belegt nur in unserem Sprachraum; neben ihnen liegen die ON skr. Draèa und Draèevo zu skr. draèa ‘Dornstrauch’, slov. draèje N. ‘Dornengestrüpp’ (zur Sippe von poln. drzeæ – dar³ Brückner, S³. 100)”  den Dertzing nicht erwähnt!
Über Trautmann hinausgehend hat dann – wie schon angesprochen – J. Bilek den Namen dem Slavischen zugewiesen und ausgeführt: „Ich möchte annehmen, daß Dartzinke früh im deutschen Munde umgebildet wurde aus nwsl. *Darènik m., mit dem Suffix slav. -ünikú gebildet zum Pflanzennamen *darè” 330. Das nun kann so nicht stimmen. Von einer Form *Darènik ist nichts zu sehen und die Belege mit -ing- kann man nicht einfach unberücksichtigt lassen.
Kühnel 276 erwog ebenfalls eine slavische Deutung: „ … zu altsl. drúk-, drúè-, Bedeutung? oder zu altsl. der¹, drati ‘reißen’  draèí Dornstrauch, ON serb. Draèevo, klr. Dereèanka …”  folgert aber zum Schluß: „die Ableitung bleibt … ungewiß”.
Ich denke, daß man das Suffix -ing- ernster nehmen muß und annehmen darf, daß der Name in deutschem Mund bewahrt worden ist. Dann aber kann die Affrikata -(t)z- nicht nur aus dem Slavischen erklärt werden, sondern auch aus dem Deutschen. Gemeint ist der als Zetazismus bezeichnete Vorgang, der altes -k- vor zumeist vorderen Vokalen zu -(t)z- werden ließ, also eine dem Slavischen ganz ähnliche Entwicklung. Gerade in Ortsnamen ist diese Erscheinung über den gesamten niederdeutschen Bereich verbreitet. Ich nenne hier nur beispielhaft Zeven, Celle, Wietze, Söder, Etzenborn, Etzem, Zellerfeld, Sikthe, Sarstedt und verweise auf die einschlägigen Untersuchungen331.
Zieht man weiter in Betracht, daß der Wurzelvokal altes -a- gewesen sein kann und durch das -i- des Suffixes umgelautet werden konnte, so kommen wir zu einer mutmaßlichen Grundform *Darking-. Ist von hieraus eine Lösung für den schwierigen Namen möglich?
Angesichts des von zahllosen Wasserläufen noch heute durchzogenen Landes halte ich es für möglich, über englisch engl. dark ‘dunkel’ die Brücke zu schlagen zu der bei J. Pokorny332 in diesem Zusammenhang angeführten Wurzel *dher-, *dher? – „in kons. Erweiterungen ‘trüber Bodensatz einer Flüssigkeit, auch allgemeiner von Schmutz, Widerlichkeit, von quatschigem Wetter, von trüben Farbentönen usw.’”  wobei es sich sowohl um einen germanischen Namen handeln kann (Grundform *Dark-ing-) wie um einen vorgermanischen (*Dherg-ing-). Wortbildungsmäßig gehört der Name natürlich dem Germanischen an.
Vielleicht fällt von hieraus auch Licht auf einen auch sonst schwierigen Namen, den Darß, für den ich an älteren Formen finden konnte: 1302 mam Darz333, 1323 de Dacia vsque Dartze334, 1326 terram et siluam Dartz335, 1326 van des Darzes weghene336, 1326 cum Dartze337, 1328 Dartz338. Allerdings möchte man diesen natürlich nicht so gern von den oben schon genannten Daarz und Darze trennen mögen. Aber ganz vorbeigehen kann man an einer Möglichkeit der Verbindung zwischen Dertzing und Darß vielleicht doch nicht.
Ausgestattet mit dem Suffix -ing- darf der Dertzing immerhin dahingehend interpretiert werden, daß sein Name schon vorhanden war, bevor Slaven ihn betraten.
3. Gosewerder. Die Nennung dieses Namens in diesem Zusammenhang mag verwundern. Handelt es sich nicht einfach um einen Gosewerder, eine niederdeutsche Gänseinsel? Ohne es explizit zu sagen, hatte ich dieses selbst stillschweigend – L. Bückmann folgend – angenommen339. Eine Durchsicht der älteren Belege läßt erhebliche Zweifel aufkommen, man vergleiche: 1450 Ghuße340, 1450 Ghusze341, 1640 Gosewarder, 1715 Gosewerder, 1764 Gosenwerder342, 1776 Gosewerder343, 1822 Gosewerder344.
Der Ort liegt am Südende des Elbebogens östlich von Hitzacker, ca. 700 m von der Elbe durch ein Überflutungsgebiet getrennt, das die Elbe immer wieder zu überschwemmen scheint, da auch der Deich erst mehrere hundert Meter von dem Fluß entfernt errichtet worden ist. Das der Elbe bei Gosewerder freigegebene Territorium umfaßt mehr als 3 km².
Diese Lage hat meines Erachtens mit der Deutung unmittelbar zu tun. Es gibt drei Möglichkeiten der Etymologie: 1.) ein Zusammenhang mit dem deutschen (niederdeutschen) Wort für die Gans, mndt. gos, gãs; 2.) die Verbindung mit ndt. gose ‘trocken’ wie z.B. im Namen der Gose Elbe, und 3.) eine Etymologie, die den Namen von Goslar und der dortigen Gose einbezieht.
Zunächst ist festzuhalten, daß das heutige Grundwort -werder ‘Insel’345 offenbar erst sekundär angetreten ist. Der Name hat sich ursprünglich also nicht auf die Erhöhung bezogen, sondern auf ein anderes Objekt: das kann aber keine Gans gewesen sein. Ebenso problematisch ist die Verbindung mit mnd. goes, gose346 ‘trocken’,  das sich vorzugsweise in Verbindung mit Gewässernamen findet: Gose Elbe, Gosebach, Goseborn, Gosegraben, Gospohl347. Dazu passen auch nicht die beiden ersten Belege mit -u- (Ghuße, Ghusze).
Die Probleme lösen sich auf, wenn man einen ganz anderen Weg einschlägt. Ausgehend von dem Jues-See in Herzberg am Harz, 1569 dem Geuß, den Geuß, 1785 Jües Teich, den man an ahd. gusu ‘Überschwemmung’, mhd. die gusse, anschließen kann, gelangt man zu hdt. Güsse ‘Wo­gen, große Wassermassen in starker Bewegung’,  das als -ja- und -jo-Stamm zu *geus in altnordisch gjósa, gaus ‘hervorbrechen, sprudeln’,  geysa ‘in heftige Bewegung bringen, aufhet-
zen’,  zu den Geysiren, zu neuisländisch gusa ‘sprudeln’,  altisländisch gustr ‘Windstoß’,  englisch gush, mittelniederländisch guysen ‘Hervorströ­men’ gehört.
Schon E. Förstemann348 hat unter einem Lemma GUS angeführt: „Ahd. gusi, stn., plur. gusu, plötzlich hervorbrechendes Gewässer. Zu an. giosa, hervorbrechen” und folgende Namen hinzugezogen: Guissen bei Beckum; Goes auf Südbeveland (Zeeland); Geusa, Fluß im Kr. Merseburg, alt Gusuua, Gusau, Gusue; Am Gusen, Nfl. d. Donau bei St. Georgen, alt Gusine, Gwsin; Gossel bei Ohrdruf, alt Guslo.
Bezeichnenderweise fehlt ein Name, der gar nicht weit von dem Jues entfernt liegt: Goslar an der Gose. Es kann kaum einen Zweifel daran geben, daß der Name der Gose (auf dem der Ortsname Goslar aufbaut), auf *Gusã zurückgeführt und zu der oben genannten Wurzel *gheus- verbunden werden kann. Er besitzt zudem – bis heute offenbar übersehen – eine genaue Entsprechung in der Gausa, einem Fluß in Norwegen nordwestlich von Lillehammer.
Hier möchte ich den Namen Gosewerder, alt Ghuße, Ghusze, anschließen: er bezeichnete offenbar ursprünglich das heute noch vorhandene und der Elbe bei Hochwasser überlassene Gebiet, wurde später an mnd. gos ‘Gans’ oder gose ‘trocken’ angeglichen und bezeichnete dann mit dem Zusatz Werder eine Erhebung am Rande des Überschwemmungsgebietes. Fast könnte man diesen Namen als Bindeglied zwischen Goslar/Gose und Gausa in Norwegen auffassen.
4.) Stapel. Dieser Ort im Herzen des Amtes Neuhaus ist Pfarrdorf und besitzt auch die älteste Kirche des Amtes Neuhaus349. Bei der Beurteilung dieses Namens ist auf die historischen Belege zu achten. Mir sind bekannt geworden: 1291 Stapele350 (Muka 401 fälschlich : Stipele!), 1335 Stapel351, 1369 Stapel352, 1504 bannus Stapele, 1764 Stapel353,  1776 Stapel; FlurN. Stapeler Masch, Stapeler See, Stapeler große Wiesen354, 1822 Stapel355.
Dieser Name ist bisher – bis auf eine kleine Notiz bei Bückmann 164356 aus dem Slavischen erklärt worden. Schon bei Muka 401 finden sich die Ansätze altpolabisch Ståple und Ståplište ‘Schweineherde, Schweinehürde’ sowie eine Grundform *stüplije, *stüplište, zu stüplü ‘Schwein’. Ihm ist Kühnel 292 gefolgt und auch die jüngste Äußerung zu dem Namen von I. Bily357 hält an einer slavischen Deutung fest. Allerdings stellt sie Stapel nicht zu dem nur im Mittelserbischen belegten und dunklen Wort stüplü „sus”  sondern schwankt zwischen einer Grundform *stúp-l-/*stüp-l- zu obersorb. stpica ‘Speiche’ und einem Ansatz *Šèap-l-, der zu slovenisch šèap ‘Knüttel, Prügel, Stecken’,  russisch šèap ‘Abhieb eines Baumes’,  polnisch szczcapa, szczepa ‘Holzscheit‘ u. a. m. gehören soll.
Ich muß gestehen, daß mich die slavische Deutung in keiner Weise überzeugt. Nachdem das unklare ‘Schweine’-Wort schon ausgeschieden wurde, zeigt auch ein Blick in die slavische Nomenklatur, daß eine -l-Bildung zu den beiden anderen slavischen Sippen nicht belegt werden kann.
Ich halte den Namen für deutsch und möchte ihn in erster Linie mit mittelniederdeutsch, mittelniederländisch stapel ‘Stapelplatz’,  auch ‘Feld an einer Gerichtssäule, Grenzpfahl, -säule, Pfosten, erhöhter Gerichtssitz, Gerichtsstätte, Niedergericht, Ballentuch, Warenbündel, Warenanhäufung, Zwangshandelsplatz’358 verbinden. Aus den mutmaßlichen Bedeutungen ‘Gerichtsstätte, Warenanhäufung, (Zwangs)Handelsplatz’ erklärt sich leicht die überregionale Bedeutung des Ortes und die Existenz der ältesten Kirche des Amtes Neuhaus in diesem Ort wird verständlich.
5. Stiepelse. Der früher als Stapel belegte Ortsname liegt an der Elbe, an Belegen habe ich finden können: 1209 in Stapelitz359, 1380360 to dem Styepelse; to dem stypelse361, 1765 Stipelitze362, 1776 Stiepelsen, Stiepelser Holtz363, um 1800 Stiepelse364. Wie im Fall von Stapel haben Muka und Kühnel eine Verbindung zu dem oben zitierten stüplü ‘Schwein’ gesucht.

Man wird besser davon ausgehen, den Namen wie Stapel aus dem Niederdeutschen zu erklären. Es wäre dann das slavische Suffix -ica oder -ice angetreten, wozu unter Umständen eine angestrebte Differenzierung zu dem 11 km entfernt liegenden Stapel beigetragen hat. Nachbarte von Stiepelse sind Neu Wendischthun, Neu Bleckede und Neu Garge, die durch ihre Namen eine Beziehung zu einem anderen, dem älteren Mutterort verraten.
6.) Vergünne. Der spät bezeugte, kleine Ort (1776 Vargünne, Vargünner Weide365, 1822 Vergünne366) ist nach Manecke II 410 „1590 als Vorwerk aus dem Acker Laubitz anzulegen vergönnet …” und habe daher seinen Namen erhalten.
Diese Interpretation erinnert an die nicht wenigen Orte, die eine Bezeichnung Ovelgönne, Övelgünne u.ä. tragen, so etwa im Kreis Hameln-Pyrmont, in der Prignitz, bei Brandenburg, in Mecklenburg und anderswo. Zuletzt hat S. Wauer367 die Sippe behandelt.
Im Gegensatz zu diesen nicht wenigen Orts- und auch Flurnamen steht Vergünne aber isoliert. Es ist meines Erachtens daher nicht ausgeschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen. An anderer Stelle368 hatte ich bei der Diskussion um den Landschaftsnamen der Prignitz den Ortsnamen Vergünne bereits behandelt und mit folgenden germanischen Appellativen und Namen verbunden:
got. faírguni ‘Berg’,  altenglisch fiergen, firgen ‘Berg’,  altnordisch fjo²rgyn ‘Land, Erde’ (hierher?); Hercynia silva (Bezeichnung der deutschen Mittelgebirge?), Fergunna (noch im 9.Jh. ‘Erzgebirge’), Färgegöl, Seename in Småland, Färgaren in Kalmarlän, Färgelanda in Västergötland, Ferryhill in Durham (10.Jh. [æt] Feregenne), Fern Down in Dorset369.
Fast könnte man meinen, unser Vergünne stelle das Bindeglied zwischen den deutschen Mittelgebirgen und den skandinavischen Entsprechungen dar.
Wir stehen vor der Frage, ob es sich bei Vergünne um einen ganz jungen oder einer sehr alten Namen handelt. Die Lage des Ortes könnte für die zweite Möglichkeit sprechen: er liegt neben dem oben bei der Behandlung von Gosewerder erwähnten umfangreichen Überschwemmungsgebiet an dem Rand einer von dem Elbdeich eingefaßten Erhöhung, die als Vorposten des besiedelbaren Landes am Prallhang des Flusses dem Wasser besonders ausgesetzt ist, aber durch die erhöhte Lage offenbar nicht unmittelbar gefährdet ist. Es wäre gut möglich, daß sich hier ein alter Name (erinnert sei an das auf der anderen Elbseite liegende Höhbeck).
7.) Wehningen. Der östlichste Ort des Amtes Neuhaus (und einer seiner größten) trägt einen alten Namen und setzt offenbar die Bezeichnung eines Gaues fort. Dieser Gauname, das Land zwischen Rögnitz, Elde und Elbe, erscheint auch fast 200 Jahre eher als der Ortsname in den Quellen, man vergleiche:
a.) Gauname: 1158 (Fälschung, hier aber echtes Teilstück) in Wanigge370, 1171 in Wanige; in Waninge371, 1174 (F.) in Waninge372373, zwischen 1190 – 1195 in terra … Waninge374, 1230 in terra Waninke … In terra uero waninke que est inter walrerowe. et Albiam. et Eldenam375, 1236 in terra Waninge376. Dieses ist die letzte Erwähnung des Landes; an seine Existenz erinnern aber noch die Orte Wendisch-Wehningen in Mecklenburg und unser Wehningen, auch Deutsch- oder Junker-Wehningen genannt, im Amt Neuhaus. Dieses ist wie folgt bezeugt:
b.) Ort: 1315 Weningen377, 1334 vor Wenynge (vor weny· nge)378, 1334 tu weninghe379, 1335 küniken von wenningen380, 1336 to Wenighe381, 1351 Heyno de Weninghe382, 1353 Hinricus de Weninghe383, 1353 Hinrici de Dannenbergh, alias de Weninghe384, 1361 to weninghe; weyninghe385, 1371 dictus de Weninghen; Variante: Weninge386, 1372 dat hws to Weninghen; to Weninghen; tho wenyge387, 1375 Henneke Schacke van Weninghen388, 1378 Henneke Schacke
van Wenningen; Henneken Schacken tho Weninghe389, 1381 tho Weyninghe390, 1384 dat dorp by Weninge391, 1385 by Wenynghe392, 1389 Ludolf von Wanige393, 1391 vse halue slot Wenynghen394, 1396 tho Wenynghen395, (vor 1397) vnsem slote Weninge; vmme Weninghe; Van Weninghe396, 1466 to Weneghen397, 1476 von Bulow zcu weninge398, 1776 Wehningen399.
c.) Ort Wendisch Wehningen (Ksp. Dömitz): 1370 to Wendesschen Wenynghen400, 1776 Wendisch Wehningen401.
d.) Hügelname (Höhenzug zwischen Elde und Rögnitz402): 1166 Wanzeburch403, 1232 Wanowe mogili404, 1309 terra Wanzeberg405, 1506 der Wanzenberg406.
Bei der Deutung muß man allem Anschein nach von dem Landschaftsnamen, einer Bildung mit dem Suffix -ing-, ausgehen. Die von Kühnel (S. 276) vorgebrachte Etymologie mit Hilfe eines slavischen Personennamens Van ist von E. Förstemann407 mit Recht ungläubig zur Kenntnis genommen worden. Bückmanns Erklärung (S. 131) zu einem Personennamen Wâno scheitert mit E. Förstemann408 an der Länge des Vokals. Dieser denkt an einen Personennamenstamm Wan, „der sich [aber] nicht recht erklären läßt”. Völlig verfehlt ist die These von H. Schall409
Das alles überzeugt nicht. Sucht man nach mutmaßlich verwandten Namen, so stößt man häufig auf Flußnamen, so z.B. auf den heutigen Ortsnamen Wahmbeck im Kreis Northeim, dessen -m- sekundär vor -bek entstanden ist, wie die historischen Belege zeigen: (1015/36) Wanbiche410, Wanbeche411, 1105 curiam nostram Wanbeke412 usw. Förstemann II, 2 ,1217 stellt diesen Namen zusammen mit mehr als einem Dutzend Wanabach, Wembach, Wannebecq, Wahmbeck zusammen, die deutlich auf das germanische Gebiet beschränkt sind, aber von Calais bis zur Elbe reichen und daher aus einer germanischen Einzelsprache heraus kaum erklärt werden können. Förstemann verbindet sie mit ahd.-asä. wan ‘mangelnd, leer’,  ndd. auch ‘schräg’; wanî ‘Verkleine­rung’, ags. wanian ‘abnehmen (vom Mond)’,  ndd. wanen. Der Unzulänglichkeit dieser Deutung war sich Förstemann selbst bewußt. Ich denke, daß man nach einer besseren Möglichkeit suchen muß.
W. P. Schmid hat den Namen der Veneti, Veneter usw. zusammen mit got. winja ‘Weide’ zu der indogermanischen Wurzel *u?en- ‘biegen, krümmen’ gestellt413. Die Abtönung dazu ergäbe idg. u?on- und germ. *wan-. Hier finden unklare Wan-bäche ihre sicher bessere Erklärung.
Überträgt man diese Erklärung auf Wehningen und Wendisch-Wehningen, so hilft uns dieses weiter. Die Orte liegen nicht nur an einer 90-Grad-Biegung der Elbe, sondern zusätzlich an dem gewundenen Lauf der Löcknitz und eines Altarms der Elbe kurz vor deren Einmündung in die Elbe. Da gerade in diesen Ortsnamen der alte Landesname weiterlebt, ist anzunehmen, daß mit dem altsächsischen oder germanischen Namen Wan-ing- das an den Biegungen der Flüsse liegende Land bezeichnet wurde. Im slavischen Mund erfolgte für den Höhenzug zwischen Elde und Rögnitz ein Suffixersatz: für -ing- wurde offenbar -üsk- eingesetzt und so eine Form *Wan-sk- geschaffen, die in 1166 Wanzeburch usw. fortleben wird.
Zur Slavisierung ist noch bedeutsam zu vermerken, daß wie für Derzing (1230 In terra Dirtzinke, sonst nur Dertsingen usw.) so auch für Wehningen in dem Ratzeburger Zehntregister eine offenbar slavisierte Form terra Waninke begegnet, während sonst – wie bei Dertzing – nur die -ing-haltigen Formen belegt sind. Auch dieses spricht dafür, die Form Dirtzinke nicht überzubewerten.
8.) Wilkenstorf. Unser letzter Name ist ein unstrittiges Kompositum mit niederdeutsch dorp: 1274 in villa Willekinesdorp414, 1306 in terra Dertzinghe … totali terra Derzinghe … villam Willekensdorp415, 1395 to wilkenstorpe416, 1531 wilckenßdorp417, ca. 1700 Willikendorp, ca. 1720 Willikinsdorp418, 1822 Wilkensdorf419.
Trotz dieser Belege meint Muka 404, von einer slavischen Grundform Welkowo ausgehen zu müssen und darin eine Ableitung von einem Welka oder einem ähnlichen Personennamen sehen zu können.
Diese Konstruktion ist unnötig. Neben niederdeutsch dorp liegt der stark flektierte deutsche Personenname Willikin (man vergleiche Förstemann I 1593) vor. Slavisches bleibt beiseite.

Ergebnisse und Zusammenfassung
1.) Unverkennbar bestand für die Bewohner des Amtes Neuhaus schon in frühen Zeiten eine enge Bindung zum anderen Elbufer in den heutigen Kreisen Lüchow-Dannenberg und Lüneburg. Obwohl es auch noch heute keine direkte Brückenverbindung vom Amt Neuhaus nach Süden gibt und zwischen den beiden nächsten Übergängen in Lauenburg und Dömitz mehr als 50 km liegen, hat sich auch nach Ausweis der Namen die Elbe keineswegs als trennendes Element erwiesen. Wechselseitige Übertragungen  wie Neu Bleckede – Bleckede, Alt Garge – Neu Garge, Neu Wendischthun – Alt Wendischthun, Darchau – Neu Darchau (mit einer Fährverbindung), Groß Kühren – Klein Kühren zeugen von einem regen Austausch über den Strom hinweg. Das dadurch offenbar entstandene Zusammengehörigkeitsgefühl führte vor drei Jahren zur Rückgliederung nach Niedersachsen; die Namen bestätigen die engen Verbindungen.

2.) Innerhalb der slavischen Namen sind einige recht altertümliche Spuren zu erkennen, ich denke vor allem an Dellien, Kaarßen, Pommau, Privelack, Sumte und Vockfey. In dieser Hinsicht gibt sich das Amt Neuhaus als Teil des Dravänischen zu erkennen, in dem generell archaische Züge aufgedeckt werden können.
Teil dieser Archaismen sind auch spezielle Beziehungen zu Böhmen, Mähren und dem Südslavischen, hier seien nur Schutschur und Banratz genannt. Auch in diesem Punkt bilden die Namen des Amtes Neuhaus nur einen Ausschnitt aus dem dravänischen Namenschatz. Hinzu kommt, daß in letzter Zeit immer wahrscheinlicher geworden ist, daß auch von archäologischer Seite ein Zuzug aus Süden entlang der Elbe angenommen werden kann.

3.) Nicht nur die slavischen Namen des Amtes verraten Altertümliches, auch die germanisch-deutschen Namen weisen – neben jüngeren und jüngsten Bildungen – auf ältere Spuren hin. Dazu möchte ich zählen: das Grundwort -tun in Wendischthun (wobei allerdings die Muttersiedlung auf der anderen Seite der Elbe liegt), ferner die mutmaßliche -r-Bildung in Bitter, die -ingen-Namen Dertzing und Wehningen, das erst später zum Werder-Namen umgestaltete Gosewerder und vielleicht doch den so schwer einzuordnenden Fall Vergünne.
Die Vergleichsbildungen der Germania finden sind im wesentlichen zum einen im Norden, in Skandinavien wieder, so die Bildungen auf -tun, -tuna, -ingen- und die nordischen Entsprechungen zu Vergünne, zum andern im östlichen und südlichen Niedersachsen, so die -r-Bildungen in Letter, Limmer, Salzgitter, -tun in Thune bei Braunschweig und in Anderten, Nörthen, Bovenden, in zahlreichen -ingen-Namen dieses Gebietes Bönnien (alt Buninge), Gleidingen, Gödringen, Listringen u. a. m.
Die Nord-Süd-Streuung oder (vielleicht besser) Süd-Nord-Streuung entspricht völlig bisherigen Beobachtungen, sei es im Fall der vieldiskutierten -leben-Namen oder seien es die Typen um brink, haugaz, *hlaiw, klint, malm oder wedel420.

4. Die in einem Grenzgebiet zu erwartende Vermischung ist ebenfalls zu beobachten: ich nenne nur Wendisch-thun, Gülstorf, alt ghùlstorpe, und Stiepelse (aus Stapel-itz). Damit schließt sich der Kreis unserer Beobachtungen der deutschen, germanischen und slavischen Ortsnamen des Amtes Neuhaus. Die wechselvolle Geschichte des Ländchens hat auch in ihnen ihre Spuren hinterlassen. Unter ihnen kann man durchaus reizvolle, schwierige und einige in mancher Hinsicht überraschende Toponyme entdecken, die offenbar in dem von der Außenwelt nicht allzu sehr beachteten Landstrich von der Bevölkerung bewahrt worden sind. Gerade deren Bearbeitung ist – so meine ich – von nicht geringem Interesse für Sprach-, Namen- und Siedlungsgeschichte.

In die Liste der „sicher vorslavischen Gewässernamen zwischen Ostsee und Erzgebirge“ hatte E. Eichler  den Namen der Peene nicht aufgenommen. Zurecht hatte er aber betont, daß seine Aufstellung vorläufigen Charakter besitze und ergänzungsfähig sei.

Die folgenden Ausführungen versuchen, das Etikett „vorslavisch“ (in unserem Fall vielleicht besser: „voreinzelsprachlich“) auf die Peene auszudehnen. Daß die Gewässernamen im deutsch-slavischen oder – historisch betrachtet – im germanisch-slavischen Kontaktgebiet (und somit auch im Einzugsbereich der Peene) verschiedenen Schichten angehören, ist eine heute wohl allgemein anerkannte These und wir verdanken unser Wissen nicht zuletzt auch den Untersuchungen von Ernst Eichler. Dabei stehen wir zwischen Elbe und Oder aber vor einem beson¬deren Problem: bevor ein Flußname in die Liste der voreinzelsprachlichen oder alteuropäischen Bildungen aufgenommen werden kann, ist eine doppelte Prüfung notwendig: erst wenn einigermaßen gesichert werden kann, daß er weder aus dem Slavischen noch aus dem Germanischen oder Deutschen erklärt werden kann, ist die Aufnahme gerechtfertigt. Die Diskussion eines Flußnamens in diesem Gebiet schließt somit die Frage ein, ob es in die¬sem Relikte gibt, die auf eine germanische Besiedlung vor der slavischen Einwanderung schließen lassen.

Die hier angeschnittene Problematikspielt auch und gerade im Fall des Flußnamens Peene keine kleine Rolle.

Um den Namen dieses über 100 km langen Flusses hat sich vor allem G. Schlimpert bemüht. Ich werde darauf noch näher eingehen. Zuvor ist es jedoch nötig, eine möglichst umfassende Zusammenstellung der historischen Überlieferung des Namens vorzulegen. Bei der Durch¬sicht der bisherigen Deutungsvorschläge habe ich nämlich feststellen müssen, daß manche Etymologen nicht die notwendige Materialbasis besaßen oder aber einzelne Belege willkür¬lich für ihre Deutungen ausgewählt haben.

Die Basis meiner Überlegungen bietet die nun folgende Auflistung der historischen Belege. Mir sind bekannt geworden:

786 (Fälschung 12.Jh.) ubi Pene fluvius ; zum Jahr 789 usque ad Pana fluvium ; (912-13) (Fälschung 12.Jh.) a flumine Pene ; 920 (Fälschung 12.Jh.) a flumine Pene ; 946 (Fälschung 12.Jh.) qui dicitur Pene ; 989 a flumine Pene ; 1047 ad fluvium Pene ; 1053 a flumine Pene ; 1055 (Fälschung?) a flumine Pene ; 1059 (Fälschung 11./12.Jh.) a flumine pene ; um 1075 (Adam v. Bremen) usque Penem fluvium; flumen Panis, Variante: paruus; ad Panem fluvium; In ostio Peanis; ad Panim fluvium ; 1136 (Fälschung 12.Jh.) ad flumen Penum; 1150 qui dici¬tur Pene ; um 1150 ab oriente Pene fluvio; in hostio Peanis fluvii ; 1153 (Abschrift) in ripa Pene ; 1158 ad fluvium Pene ; 1159  
(Abschrift) ad fluvium Pene ; um 1170 flumen Panis; ad flumen Panim; ad Penem fluvium; ad Penem fluvium; Penis fluvius; citra Panim; ad Penem fluvium; ad flumen Penem ; 1171 (Fälschung 12.Jh.) ad Penum; 1173 ab ipsa Pena; 1174 in Pena ; 1178 (Abschrift 14.Jh.) et Penem fluvium; ab hostium Pene; 1179 (Abschrift 15.Jh.) qui dicitur Pene ; 1186 ad Penum fluvium ; 1189 (Abschrift 16.Jh.) ad Penum flu¬vium; 1197 (Fälschung 12.Jh.) ad Penum fluvium; Penum fluvium ; um 1200 ad Penum flu¬vium; soliti Peni fluminis; et pyratis Peni fluminis ostia; Penensi vicelicet et Zwynensi; per Penum amnem; Penus amnis; profundiora Peni amnis loca; in proximum Peno amni ; 1215 que vocatur Pena; 1219 in Pena ; 1226 in ipsam Penam; 1228 que Pena dicitur ; 1229 in Pana ; 12(2)9 (Abschrift 13.Jh.) que Pena vocatur ; 1236 per descensum Pene fluuii; 1236 per descensum Pene; 1242 qui Pena dicitur ; 1243 (Fälschung) a capite Pene … fluvii Pene; 1244 (Fälschung 14.Jh.) que vulga¬riter Pene dicitur ; (1245) in capite Pene ; 1247 in P[e]na (Variante: Pyna) dicitur ; 1248 in Pena ;  

1255 in stagno Penitz … in Pena; 1256 in der Pene ; 1257 an der Pene; 1266 in prima parte Pene fluuii ; 1267 super Penam; que wlgariter dicitur Pene; totam Penam ; 1277 in Penam ; 1281 extra Penam, 1285 per Penam ; 1286 (Abschrift 16.Jh.) per Penam, 1287 fluvii Pene ; (um 1290) que Pena dicitur ; 1292 in prima parte Pene, 1292 (Abschrift 16.Jh.) per Penam, 1294 supra Penam, 1295 qui vocatur Pena ; 1296 fluuium Penam, 1296 suluen vlete Pena, 1298 des vlethes der Pene ; 1300 in flumine qui dicta Pena, 1307 ouer de Pene, 1310 iuxta fluuium Pena, 1312 qui dicitur Pena ; 1312 Pena; ultra Penam; 1313 super Zwinam et Penam ; 1314 que Pena vocatur, 1315 in prima parte Pene ; 1317 per Penam ; 1318 inden Pene [sic!] ; 1319 infra Penam ; 1320 in de Pene unde de Pene up; et Penam ; 1321 infra Penam ; 1321 binnen der Pene unde der Zwine; 1325 infra Swinam et Penam ; 1328 infra Swinam et Penam, 1333 in Pena, 1334 in prima parte fluuii Pene, 1340 fluminis dicti Pena ; 1404 versus Penam,  

1411 to der Pene, 1412 uppe de Pene, upp der Pene, by der Pene ; um 1450 Pene, Pene ; 1517 flumen Panis, quam Penam nunc appellant; Circipani cis Panim, id est intra Panim, quasi circiter Panim; ultra Panim; Transmisso Pani fluvio; ad Penam fluvium … est autem Pena sive Penis fluvius; inter Oderam et Panim habitantes; ultra Panim sunt; ad Penem fluvium; circa Panim; ad Panim fluvium; prope Penam; in ripa Pene .

Die Belege für den Stammesnamen der Zirzipanen, einer Ableitung von dem Namen des Flusses, habe ich beiseite gelassen. Sie finden sich z.B. bei Schlimpert 1990:314 und Schall 1962:57f.

Der Flußname steht schon lange im Zentrum der Diskussion. Dabei hat man immer wieder an einen Zusammenhang mit slavisch pena „Schaum“ gedacht. Schon bei F. Kohls 1930:53f. heißt es: „Die Peene ist ein in slavischen Gebieten häufig wiederkehrender Flußname. Bei Pinsk fließt die Pina, bei Saratow die Piana; die Wolga kommt aus einem See namens Pena. Der Borgwallsee im Nachbarkreise Franzburg wird auch als stagnum Penin bezeichnet“. Für R. Olesch 1938:275 war diese Deutung „eindeutig und bekannt“.

Dieser Meinung schloß sich auch Witkowski 1970:566 an. Unter Ablehnung der These von H. Schall (die uns noch beschäfigen wird) schrieb er: „seit 786 ist dieser Name in zahlreichen Belegen als Peanis, Panis, Penis (so meist) u.ä. belegt. Es besteht keine Schwierigkeit, diesen Namen zu einem altpolabischen Appellativum *pìna (so auch urslavisch) ‚Schaum‘ zu stellen. In diesem Sinne hat auch Trautmann den Namen gedeutet“. In die gleiche Richtung geht eine Bemerkung von W. Kaestner, der in  

meiner Untersuchung über die slavischen Gewässerna¬men  das „gemeinslavische Appellativ pena ‚Schaum; schäu¬mendes Wasser’„ vermißte, „das vielen Namen zugrunde liege, so etwa dem GN Peene“ .

Diese auf den ersten Blick so überzeugende Deutung wurde jedoch gerade in letzter Zeit ei¬ner Prüfung unterzogen: „Die Etymologie des Namens der Peene aus slawisch pena ‚Schaum‘ zweifelte Z. Stieber an, indem er darauf hinwies, ‚daß dieser Fluß … ungewöhnlich langsam fließt und … von Schaum … nicht die Rede sein kann“, hat G. Schlimpert  referiert.

Es ist dieses ein Einwand, der nicht so einfach zur Seite geschoben werden kann. In der Tat zeigen Beschreibungen des Flusses, daß es sich bei der Peene um ein typisches Flachlandge¬wässer handelt, dessen Strömung alles andere als schnell oder reißend – auch nicht nach star¬ken Niederschlägen – bezeichnet werden kann.

Auch H. Schall hatte gewisse Zweifel an der Verbindung mit dem slavischen Wort. Allerdings beruhten seine auf einer recht willkürlichen Auswahl an historischen Belegen. Es heißt bei ihm: „Der Name des Flusses selbst lautet – in ältesten Chroniken -, nicht genau datierbar: Peanis fluvius; Leutici cis Panim flumen; Circipani usque ad Panem fluvium (bei Adam von Bremen); Panis, Penis (bei Helmold, der Adam benutzt hat). In Urkunden heißt es: 1053 Pene flumen, 1281 Pena usw.“ . Schall glaubte, daß diese Belege noch eine baltische Lautung wi¬derspiegeln würden. Seine Belegauswahl ist aber willkürlich und entspricht nicht der tatsäch¬lichen Überlieferung.

Wie die Zusammenstellung des Materials zeigt, findet sich die Variante mit -ea- nur bei Adam von Bremen und bei Annalista Saxo (der natürlich auf Adam fußt).


Die -a-Formen Pa¬nis usw. erscheinen in den Annales Laureshamenses, bei Adam von Bremen, bei Helmold von Bosau und in Bugenhagens Pomerania. Es ist ganz offensichtlich, daß alle auf Adam von Bremen basieren, dessen Aufzeichnungen zwar eine wichtige Quelle darstellen, die aber an¬gesichts der zahlreichen Belege des Pommerschen und Mecklenburgischen Urkundenbuchs, die den Namen ausschließlich mit -e- überliefern (einzige Ausnahme: 1229 in Pana, Mecklen¬burgisches Urkundenbuch, Bd. I, S. 358), dennoch nicht als alleiniges Zeugnis betrachtet wer¬den dürfen. Die Schreibungen mit -e- überwiegen, baltischer Einfluß ist – zumindestens in der Lautung – nicht zu sehen und die Verbindung mit slavisch pena bleibt vorerst als Möglichkeit bestehen. Die Belege mit  a- sind auch von S. Urbanczyk  zu Unrecht bevorzugt worden.

Was die Verbindung mit dem slavischen Schaumwort angeht, so kann mit G. Schlimpert „kein Zweifel bestehen, daß slaw. *pena in GewN und ON enthalten ist“ . Er erwähnt in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf F. Bezlaj 1960, S. 80f. slovenische FlußN wie Penca, den slovakischen GewN Pena und russische Verwandte wie Penna, Penka, Pena. Ich habe selbst auch keine Bedenken, in diesem Sinne anzuschließen: 1. Pennin bei Stralsund, 1242 Pennin usw. (am Ufer brechende Wellen) ; 2. Pen(j)a, Pen(j)avica, Penjušica, FlußN im Vardarge¬biet ; 3. Pinyn, FlußN in der Karpato-Ukraine ; 4. Pynjanka, Nebenfluß des Dnjepr . Zweifel hatte aber schon O.N. Trubaèev 1968:201 an dieser einfachen Deutung und zog für den ostslavischen FlußN Penejka eine Verbindung mit baltischem Material um altpreußisch Pene, Penen, Penithen vor.

Die slavische Deutung der slovenischen und karpato-ukraischen Namen ist angesichts ihrer Lage in gebirgigen Gebieten allerdings kaum strittig. Es fällt dabei aber auf, daß es sich  

dabei fast ausschießlich um abgeleitete Namen handelt; die einfache Bildung zu slavisch pìna „Schaum“ scheint zu fehlen. Nimmt man alles zusammen, so sind beträchtliche Zweifel an der lange Zeit für sicher gehaltenen slavischen Herkunft des Namens der Peene aufgetaucht.

Gegen einen anderen Versuch von M. Rudnicki, eine Verbindung mit slavisch pienka (zu pol¬nisch pieð „Baumstamm“) herzustellen, wandte sich M. Vasmer 1971:II, S. 662, „da die Über¬lieferung dem widerspreche, ohne sich allerdings selbst näher zu äußern“ .

Die hier in Kürze geschilderte Forschungsgeschichte führte G. Schlimpert zu einem neuen Versuch der Deutung. Ausgehend von einer Namenvariante für das Havelländische Luch, die im 17.Jh. zweimal als Langer Peen moor bzw.


Langer Peen Moer erscheint und die nach seiner Ansicht an den Namen der Peene erinnert, sowie unter Bezug auf die -a-Varianten des Peene-Namens stellte er eine Verbindung zu dem im Germanischen weit verbreiteten Appellativum fenn her, das auf *panja zurückgeführt werden kann und eine alte Bezeichung für „Sumpf, Moor“, aber auch für „tiefliegendes Grasland“ ist. Schon im Gotischen liegt es als fani „Schlamm“ vor . Da im Namen der Peene langes -e- vorliege, stellte G. Schlimpert ihn zu ei¬nem Ansatz *pen-, *pen-ko-; dann hätten Slaven eine germische Form *Fana oder *Fena o.ä. vorgefunden, die slavisiert *Pan- oder *Pen- ergeben hätte, „wobei mit Eindeutung von slav. pìna durchaus gerechnet werden könnte“ .

Aus semantischer Sicht ist gegen diese Etymologie nichts einzuwenden. Das germanische Ap¬pellativum ist bestens bekannt und diente in weiten Teilen Norddeutschlands, der Nieder¬lande, Belgiens, Nordfrankreichs und Englands (kaum dagegen in Skandinavien) zur Benen¬nung von Sümpfen, Mooren, Gewässern, Kanälen u.a.m. . So kann hier auch das von G. Schlimpert herangezogene Lange Peen Moor angeschlossen werden. In diesem Zusammen¬hang ist auf eine Auseinandersetzung zwischen H. Kuhn und H. Wesche zu verweisen, die G. Schlimpert nicht aufgegriffen hatte.

In der Besprechung des Beitrages von H. Kuhn über die Aussagekraft der Sprachwissenschaft zur Frage von Völkern und Sprachen zwischen Germanen und Kelten  hat H. Wesche  den Versuch unternommen, zahlreiche Flurnamen aus dem Gebiet zwischen Ems und Elbe auf idg. *pan- „Sumpf, Moor“ zurückzuführen, obwohl sie im Anlaut keine Spur der germanischen Lautverschiebung zeigen. Darunter befinden sich Beispiele wie Pennberg, Penbusch, Penkuhle, Penn(en)moor, Pensiek, Pinkenborn, Panstedt, Punnewiese, die zweifellos in Verbindung zu dem von G. Schlimpert herangezogenen Material gesetzt werden können. Ich möchte in die¬sem Punkt jedoch H. Kuhns Antwort  folgen, der mit Recht darauf verwiesen hat, daß „die meisten der Flurnamen … mit voller Sicherheit von keiner vorgermanischen Herkunft“ zeu¬gen und einer viel jüngeren Sprachschicht angehören. Diese mit P- anlautenden Namen in Nie¬dersachsen bleiben bei der Frage nach unverschobenen Relikten, worauf auch G. Schlim¬pert reflektiert hatte, besser fern. So hatte er auf den früh bezeugten flandrischen FlußN Pena verwiesen, weiter unter Bezug auf H. Kuhn auf Pente bei Osnabrück und Pannerden bei Arn¬hem. Es handelt sich um verwickelte Fragen und Probleme, die aber für den Namen der Peene nicht relevant sind und hier nur am Rand behandelt werden sollen.

Die semantisch durchaus überzeugende Verbindung mit germanisch fenn < *pania überzeugt nämlich lautlich nicht.
 
Der Stammvokal ist eindeutig als -a- anzusetzen (dafür sprechen auch die verwandten Appellativa und Namen wie altpreußisch pannean „Moosbruch“ und Panno¬nien) und müßte bei Übernahme in das Slavische als -o-, unter Umständen auch als -a- (wofür es Beispiele gibt), erscheinen. Der Name der Peene weist jedoch mit seiner Überlieferung wie der heutigen Lautung auf altes -ì-. Hinzu kommt der umstrittene Anlaut, der nach G. Schlim¬pert im Namen der ebenfalls hierher zu stellenden Finow (zu der ich an anderem Ort Stellung nehmen werde) verschoben sein soll, bei der Peene jedoch nicht.

Da man auch H. Kunstmanns Vorschlag einer Verbindung mit einem nordgriechisch-make¬donischen Stammesnamen mit G. Schlimpert mit Recht als „abenteuerlich“ bezeichnen muß , blieb der Name der Peene meines Erachtens bis heute ungeklärt.

Es gibt aber eine Lösungsmöglichkeit, die verschiedentlich schon erwogen wurde, jedoch nicht bis zur letzten Konsequenz durchdacht worden ist. Ein Ansatz mit slavisch *-ì- führt zu einer Vorform *Poina. Wenn man mit dem Namen der Peene immer wieder den des Pripjet‘-Zuflusses Pina und den davon abgeleiteten Ortsnamen Pinsk verglichen hat , deren alten Belege eindeutig auf einen Ansatz *Pîna weisen (und nicht aus slavisch pìna „Schaum“ erklärt werden können), so ist dieser Vergleich nur zu halten, wenn man eine aus voreinzelsprachli¬cher Zeit stammende Ablautvariante *poin-, *pîn- wahrscheinlich macht. Dieser Weg wurde von verschiedenen Forschern bereits beschritten (so von M. Vasmer, K. Moszyñski 1957:179 , S. Rospond 1972:23 , V.N. Toporov, O.N. Trubaèev und anderen), jedoch ist er nicht konsequent genug verfolgt worden. Zudem hat man sich zu sehr von slavischem und baltischen Material leiten lassen. Es kann  

aber gar keinen Zweifel daran geben, daß es au¬ßerhalb dieser beiden Sprachgruppen wichtige Parallelen im Namenbereich gibt.

Hier ist weniger der schon erwähnte, aber in seiner Zuordnung unsichere Flußname Pene in Westflandern zu nennen, als vielmehr Material vom Balkan und aus Osteuropa. So deutet Detschew 1957:369 den bereits bei Ptolemäus erwähnten Siedlungsnamen Pínon in Dakien als „feuchten Ort“ und stellt ihn zur Wurzel *poi-, pî- „von Feuchtigkeit strotzen“ in altindisch pá yas „Saft, Wasser, Milch“.

Ganz ähnlich verbindet A. Mayer 1959:85 den bei Herodot erwähnten Stammesnamen der Paiones mit griechisch póa, poía „Gras, Wiese“, litauisch píeva „Wiese“, altindisch pîv-an- „fett“, deutsch fett, feist, stellt diese zu der indogermanischen Wurzel *poi-, *pî- „von Saft strotzen“ und setzt mit Recht verschiedene, mit Konsonanten erweiterte Stämme an. Darunter nennt er auch als n-Bildung aind. pîná- „fett, feist, dick“, wozu illyrische Personennamen gehören wer¬den. In diesen Zusammenhang dürfte auch griechisch pínos „Schmutz“ zu stellen sein, das bislang nicht sicher erklärt werden konnte , womit z.B. ein in Illyrien genannter Flußname Pinus, Anf. 11.Jh. (Landolfus Sagax) venisset Ylliricum, omnia subvertebat et transiens Thessa¬liam ha¬bita congressione circa fluvium Pinum apud Nicopolim Epyri …  mühelos verglichen werden kann.

Wertvolles Material vor allem aus Osteuropa (aber auch aus Frankreich und Italien) hat I. Željeznjak 110ff. – allerdings unter der fälschlich von O.N. Trubaèev übernommenen Über¬schrift „Illyrische Namen“ – zusammengestellt, wobei allerdings vom indogermanistischem Standpunkt teilweise eine unzulässige Vermischung der pan- und pei-n-/pi-n-Varianten erfolgt ist.

Wir können nun zum Namen der Peene zurückkehren. Die hier vorgeschlagene Deutung be¬sitzt meines Erachtens eine Reihe von Vorzügen:
 
1. Der Vergleich mit den weißrussischen und balkanischen Flußnamen reißt die Peene aus ih¬rer Isolierung und erlaubt ihre Einreihung in die alteuropäische Hydronymie.
2. Es liegt eine Ableitung von einer Wurzel – nicht von einem Wort – vor und damit fällt der Vergleich mit slavisch pìna „Schaum“.
3. Eine -n-Ableitung zur indogermanischen Wurzel *poi-/*pi- ist appellativisch im Griechi¬schen und Altindischen bezeugt. Auch die dazu gehörenden Hydronymie sind bevorzugt (aber nicht ausschließlich) im osteuropäischen Raum zu belegen.
4. Illyrische Herkunft für die Pina samt Pinsk und für andere osteuropäische Gewässernamen ist abzulehnen.
5. Es darf nicht übersehen werden, daß auch noch andere Erweiterungen der Wurzel *poi-, *pi-, so zum Beispiel die -u-Bildungen des Griechischen, Altindischen und Baltischen und vor allem die -d-Ableitungen in griech. pidax „Quelle“ und in altisländisch fit „niedrige Wiese am Wasser, Wiesenland“ toponymisch und hydronymisch ihre Spuren (z.B. in dem polnischen Flußnamen Pisa ) hinterlassen haben.
6. Die Peene ist somit weder germanischen noch slavischen Ursprungs, sondern trägt einen voreinzelsprachlichen, alteuropäischen Namen .


Literatur

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Sophie Wauer: Die Ortsnamen der Prignitz. Mit einem siedlungsgeschichtlichen Beitrag von Christa Plate (Brandenburgisches Namenbuch, Teil 6) Hermann Böhlaus Nach-folger Weimar 1989. 487 S. 3 Ktn.

Gerhard Schlimpert: Die Ortsnamen des Kreises Jüterbog-Luckenwalde. Mit einem siedlungsgeschichtlichen Beitrag von Günter Mangelsdorf (Brandenburgisches Namenbuch, Teil 7.) Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 1991. 251 S. 3 Ktn., 2 Abb.

Historisches Ortslexikon für Brandenburg. Teil X
: Jüterbog-Luckenwalde. Bearbeitet von Peter P. Rohrlach (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshaupt-archivs Potsdam. Herausgegeben von Friedrich Beck, Band 26.) Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 1992. XXIV, 634 S. Kte. im Anhang, 1 Beilage.
 
Die Bearbeitung der Siedlungsgeschichte Brandenburgs erfährt mit der Herausgabe der zu besprechenden Monographien weitere wichtige Impulse. Nur wenige Monate nach Erscheinen des zehnten Bandes des Historischen Ortslexikons für Brandenburg ist die Geschichte seines namengebenden Hauptortes von anderer Seite gründlich bearbeitet worden: Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter, hrsg. v. Winfried S c h i c h  (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 84), Berlin – New York 1993. Innerhalb weniger Jahre erschienen somit bedeutsame Untersuchungen, von denen die zu besprechenden Arbeiten des Brandenburgischen Namenbuches noch vor der Wende als Ergebnis der rührigen (Ost-)Berliner Arbeitsgruppe für Namenforschung und Siedlungsgeschichte entstanden sind, während der von W. Schich herausgegebene Band auf den Vorträgen einer Tagung in Brandenburg und Netzen vom September 1991 basiert.

Die von S. W a u e r  und  G. S c h l i m p e r t  bearbeiteten Bände des Branden-burgischen Namenbuches richten sich nach den Prinzipien der bisher herausgegebenen Teile. Mit den Kreisen Ost- und Westprignitz und Jüterbog-Luckenwalde (Kreise der Provinz Brandenburg nach dem Stand von 1900, die auch dem Historischen Ortslexi-kon für Brandenburg zugrunde liegen) sind wesentliche Teile des Landes namenkund-lich erfaßt und bearbeitet.

Beide Bände sind ähnlich aufgebaut: einem Abriß der Besiedlungsgeschichte schlie-ßen sich die Erklärungen der Namen, gegliedert nach Landschafts- und Stammesbe-zeichnungen, Namen der bestehenden Siedlungen, sowie der Wüstungen und Flur- und Gewässernamen, an. Es folgt die linguistische Auswertung, in der Fragen der Lautge-schichte der slavischen und deutschen Namen, der Übernahme slavischer Laute in das Deutsche, der Morphologie und lexikalischen Auswertung im Vordergrund stehen. Ein gesondertes Kapitel ist „besonderen Problemen“ gewidmet, worunter vorslavische und übertragene Namen, die schriftliche Überlieferung der Toponyme und ihre Auswertung für die Siedlungsgeschichte fallen. Quellen- und Literaturverzeichnisse, ein Verzeichnis der Abkürzungen, Namenregister und Übersichtskarten vervollständigen die beiden Bände.

Der von G.  S c h l i m p e r t   bearbeitete Band ist eine der letzten Arbeiten des viel zu früh verstorbenen Berliner Namenforschers. In den letzten Jahren hatte er sich besonders intensiv einer Frage gewidmet, die jahrzehntelang in der ehemaligen DDR eher am Rande behandelt wurde: während man sich in besonderem Maße den slavi-schen Resten im Raum zwischen Elbe und Oder – darunter natürlich auch den Orts-, Fluß- und Flurnamen – zugewandt hatte, stand man der Möglichkeit, ein noch älteres Substrat aufzufinden (das dann am ehesten germanischen Ursprungs sein könnte), eher reserviert gegenüber. Etliche Aufsätze des Berliner Wissenschaftlters hatten dieses zum Thema; einiges davon ist auch in seine oben genannte Monographie eingeflossen.

Sowohl der von G.  S c h l i m p e r t  wie der von S.  W a u e r  bearbeitete Band legen Zeugnis von dem hohen Stand der Berliner Namenforschung ab. Die Deutungen sind wohldurchdacht; die weitaus meisten Namen der beiden Brandenburger Altkreise sind durch die Untersuchungen einer eindgültigen Klärung zugeführt worden. Manches wird immer strittig bleiben.

Die wenigsten Probleme bereiten die – im allgemeinen – jungen deutschen Namen. Etwas schwieriger wird es schon bei den zahlreichen slavischen Resten; erhebliche Fragen wirft die Bearbeitung der wenigen vorslavischen Relikte auf.

Die geographische Lage der beiden Brandenburger Altkreise läßt die Frage auf-kommen, ob sich dieses auch im Namenbestand selbst niederschlägt, oder, mit anderen Worten, ob die westlichere Lage der Prignitz mit einer geringeren Anzahl slavischer Elemente und einem höheren Bestand vorslavischer oder nicht slavisierter Relikte ver-bunden ist.

Vergleicht man die beiden Monographien unter diesem Aspekt, so zeigt sich, daß der Namenbestand im Kreis Jüterbog-Luckenwalde im allgemeinen leichter zu etymo-logisieren ist. Zahlreiche slavische Namen können einer sicheren Deutung zugeführt werden, Vorslavisches, Germanisches und alteuropäische Reste zeigt sich bei den Ortsnamen in Dümde (S. 58f.), der jedoch als altertümliche germanische -ithi-Bildung höchstwahrscheinlich aus dem Westen übertragen worden ist, und somit zur Sied-lungsgeschichte nur bedingt beitragen kann. Daß der Raum aber durch Abzug germa-nischer Stämme und späteren Zuzug slavischer Sprecher nicht siedlungsleer gewesen sein kann, erweisen wieder einmal die Gewässernamen, so im Fall der Dahme (S. 52f.) wie auch Nuthe (S. 151). Ihre Existenz kann nur auf der Tradierung von einer Bevöl-kerungsschicht in die nächste erklärt werden. Dennoch ist der Bestand vorslavischer Reste im Kreis Jüterbog-Luckenwalde recht gering.

Anders sieht es in der Prignitz aus. Da diese Landschaft zum „engeren Siedlungs-gebiet der Jastorf-Kultur des Elberaumes“ gehört (S. 14), ist von hieraus eine andere Zusammensetzung des Namenschatzes zu erwarten. Allerdings hat die teilweise weni-ger siedlungsgünstige Lage der Landschaft (sehr arme Sanderböden; hochwasserge-fährdete Niederungen an Elbe und Havel, vgl. S. 9ff.) zu einer verhältnismäßig hohen Zahl von Wüstungen geführt, so daß die ursprünglichen Siedlungsverhältnisse anhand der Ortsnamen vielleicht nicht so sicher wie in anderen Gebieten bearbeitet werden könnten. Dennoch zeigen sich im Vergleich zum Kreis Jüterbog-Luckenwalde bedeut-same Unterschiede. Es sind dieses:

1. Die slavischen Namen zeigen eine Besonderheit, indem „verschiedene Namen-gleichungen mit dem südlichen Gebiet, die sonst keine weiteren Parallelen in anderen Gebieten haben“, auffallen (S. 438). Diese Beobachtung deckt sich mit Erkenntnissen, die aus der Beobachtung slavischer Namen des Wendlandes und der Altmark gemacht werden konnten (vgl. Wendland und Altmark in histo¬rischer und sprachwissenschaft-licher Sicht, Lüneburg 1992, speziell S. S. 107-126).

2. Germanisches zeigt sich offenbar in den Gewässernamen der Prignitz. Das gilt sowohl für die Dosse (S. 42f.; noch nicht berücksichtigt: W. P.  S c h m i d, Namen-kundliche Informationen 58, 1990, S. 1-6), wie wahrscheinlich auch für die Jeetze (vgl.  d e r s., in: Deutsch-slawischer Sprachkontakt im Lichte der Ortsnamen. Mit besonderer Berücksichtigung des Wendlandes, hrsg. von F.  D e b u s, Neumünster 1993, S. 40-42).

3. Wesentlich höher als im Raum südlich von Berlin ist der Anteil der indoger-manisch-alteuropäischen Reste in den Gewässernamen. Für die Prignitz lassen sich anführen Elde, Havel, Meyn, Nebelin, Nitzow, Reimer und andere (S. 426ff.).

Mit diesen Erscheinungen erweist sich die Prignitz als ein Gebiet, das an den Na-menforscher besondere Anforderungen stellt. Auch diese sind von  S. W a u e r  im wesentlichen gemeistert worden.

Als ein in Niedersachsen tätiger Namenforscher schaut man etwas neidisch auf das Gebiet östlich der Elbe und erkennt, daß es im Altsiedelland, das in nicht geringem Maße die Ausgangsbasis der deutschen Ostsiedlung abgegeben hat, an vergleichbaren Arbeiten außerhalb der Flurnamen fast vollkommen fehlt. Vielleicht wird von hier ein-mal Licht auf Namen fallen, die in den beiden Bänden des Brandenburgischen Namen-buchs keiner endgültigen Klärung zugeführt werden konnten oder meiner Mei-       nung nach eines weiteren Kommentars bedürfen. Ich denke etwa an die Smeldinger, das Problem der nichtdurchgeführten Metathese im Fall der Elde (gegenüber Elbe, tschechisch Labì), an Jackel, Jüterbog, Karthane und Schlenzer (und dessen Ver-bindung zu Schlesien). Zum Namen der Prignitz selbst vergleiche man Namenkundli-che Informationen, Beiheft 15/16, Leipzig 1991, S. 69-78.

Die bessere Ausgangsposition Brandenburgs gegenüber der Niedersachsens zeigt sich nicht nur in den hier ausführlicher besprochenen Bänden des Brandenburgischen Namenbuches, sondern auch in der sorgfältigen Edition des Historischen Ortslexikons für Brandenburg, dessen 10. Band (bearbeitet von P.P. Rohrlach) nach den Worten von G. Schlimpert für die Deutung der Ortsnamen dieses Kreises von großem Nutzen war. Mit „der Bearbeitung dieses Teilbandes“, heißt es in dem Vorwort bei P.P. Rohrlach (S. V) „hat nunmehr das Restgebiet des alten Regierungsbezirkes Potsdam seine Repräsentation im Historischen Ortslexikon gefunden“. Mit diesem Unternehmen wurde der Ortsnamenforschung wertvollstes Material zur Verfügung gestellt, das in anderen Gebieten Deutschlands noch fehlt und auch in nächster Zeit nicht zur Verfügung stehen wird. Der Wert dieser Publikation wird noch durch das bereits in Aussicht gestellte Register, das sich laut Vorwort bereits in abschließender Bearbeitung durch die Autoren befindet und das sicher dankbare Aufnahme erfahren wird, weiter erhöht werden. Den an der Untersuchung der Toponymie im deutsch-slawischen Grenzgebiet interessierten Namenforscher hat in diesem Zusammenhang eine knappe Bemerkung von Friedrich Beck besonders neugierig gemacht. Es ist der Hinweis darauf, daß P.P. Rohrlach ein weiteres wissenschaftliches Vorhaben in Angriff genommen hat – das Historische Ortslexikon für die Altmark (S. VI).

Bei der Erforschung der Hydro- und Toponyme, der Siedlungsgeschichte des Gebietes zwischen Elbe und Oder und der weiteren Bearbeitung der Ortsnamen Mitteleuropas, aber auch der slavischen Länder des Ostens und Südens, werden die vorgestellten Bände mit Gewinn benutzt werden. Es bleibt nur der Wunsch zurück, daß die Bearbeitung der Ortsnamen im Rahmen von Ortslexika und Ortsnamenbücher nicht an den Grenzen Brandenburgs haltmachen möge.

Fast zeitgleich mit der anzuzeigenden Studie ist in Amerika eine ganz ähnliche Untersuchung erschienen: Z. G O £ ¥ B: The Origins of the Slavs. A Linguistic’s View, Columbus (Ohio) 1992. Das Problem der Frühgeschichte der Slawen scheint nach wie vor zu neuen Versuchen zu reizen, was nicht zuletzt daran liegen mag, daß die Materialbasis in letzter Zeit verbreitert werden konnte.

Das Buch der polnischen Sprachwissenschaftlerin enthält eine kurze Einleitung (S. 5), in der sie auf ihre grundsätzlich skeptische Haltung hinweist und betont, daß es sich in erster Linie um eine sich an sprachlichen Fakten orientierende Untersuchung handelt. In einem ersten Teil wird dann die „innere Geschichte“ sprachlicher Untersuchungen zur Frage der Ethnogenese der Slawen vorgestellt (S. 6-21). In einem zweiten Teil (S. 22-35) werden Vorstellungen der Sprachwissenschaft in Konfrontation mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen anhand der Untersuchungen von T. Lehr-Sp³awiñski, K. Jad¿d¿ewski, J. Czekanowski, W. Hensel, G. Labuda, K. God³owski, H. £owmiañski, W. Mañczak und anderen  umrissen.

Der dritte Teil des Bandes ist der Problematik hydronymischer Untersuchungen gewidmet. Ausgehend von der bekannten Erscheinung, daß gerade die Namen der Gewässer besonders zäh sind und die alten Besiedlungsverhältnisse auch bei Einsickern einer neuen Bevölkerung im wesentlichen bewahren, wird der Wert dieser Aussagen von der Autorin aber schon bald relativiert, ja bedeutend abgeschwächt: Es gebe so viele verschiedene Etymologien für einen Namen, daß es kaum möglich sei, gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Auch die an und für sich zu begrüßende Untersuchung der suffixalen Bestandteile der Gewässernamen (V.N. Toporov, O.N. Trubaèev, M. Vasmer) habe zu keinem wesentlichen Erkenntniszuwachs und zu einer durchgreifenden Neuorientierung geführt. Dies ist ein Punkt, der so nicht akzeptiert werden kann: es ist von elementarer Bedeutung, ob ein Gewässername in Polen als Ableitungsbasis ein im Slavischen noch bewahrtes Element enthält und mit einem noch im (Ur-)slawischen bekannten Suffix gebildet ist oder ob dieses im Slavischen nie produktiv war. Dadurch können vorslawische von slawischen Namen getrennt werden.

Ähnliches gilt für die alteuropäische Hydronymie H. Krahes und W.P. Schmids, zu der die Autorin auf den S. 43ff. Stellung nimmt. Dabei wird fälschlich angenommen, daß das Gebiet der slawischen Heimat nur dort gefunden werden könne, wo es keine vorslawischen Namen gebe. Dieser Denkfehler ist dahingehend zu korrigieren, daß auch das Slawische (wie auch das Germanische und andere indogermanische Sprachen) notwendigerweise eine Entwicklung aus einem indogermanisch-alteuropäischen Substrat hin zu einer Einzelsprache durchgemacht haben muß.

Das 4. Kapitel der Untersuchung ist slawischen Ethnonymen und Anthroponymen gewidmet (S. 49-72), darunter den Namen der Neuren, Silingi, Budinoi, Weneter/Wenden, natürlich auch der Slawen, der Serben und Sorben, Kroaten, Dregovièen, Krivièen und anderer. Wer sich länger mit Problemen von Gewässer-, Siedlungs-, Personen- und Flurnamen befaßt hat, weiß, wie schwierig gerade die Ethnonyme zu erklären sind und daß davon unabhängig Aussagen für die Frühgeschichte der Völker heiß umstritten sind.

Im 5. Abschnitt werden phonetische Differenzen der Slawia auf ihre Aussagemöglichkeit für die Frühgeschichte diskutiert, der 6. Abschnitt diskutiert Aussagemöglichkeiten der Lexik (S. 92-120). Die Autorin weist mit Recht auf Differenzen innerhalb der Slawia hin (z.B. auf die Besonderheit, daß Teile der südlawischen Sprachen in sich unterschiedliche Appellativa aufweisen). Aber auch in diesem Abschnitt ist die Toponymie vernachlässigt worden. Die Verbindung Lexik – Onomastik ist nicht nur für die Erklärung der Ortsnamen von Bedeutung, sondern auch für die Geschichte der Wörter.
Das 7. und letzte Kapitel müßte der Chronologie entsprechend eigentlich am Anfang des Buches stehen: Es geht um die vorhistorischen Etappen der Geschichte der Slawen (S. 121-144), um die Einteilung in „Centum-“ und „Satem-“Sprachen, die ursprüngliche Lage einer baltisch-slawisch-germanischen Sprachgemeinschaft, die slawisch-iranischen Beziehungen, die Kontakte mit dem Germanischen.

In der Zusammenfassung (S. 145f.) erläutert die Popowska-Taborska ihre skeptische Haltung: Keine der bisher vorgebrachten Theorien habe sie letztlich überzeugt und aufgrund sprachlicher Kriterien könne ihrer Meinung nach nicht auf vorhistorische nichtsprachliche Fakten rückgeschlossen werden. Wir sind nach Meinung der Autorin nicht in der Lage, die alten Wohnsitze der Slawen zu lokalisieren, weder mit hydronymischen Untersuchungen, noch mit Hilfe der slawischen Ethnonyme oder der botanischen oder zoologischen Terminologie. Auch lexikalische Fakten helfen nicht weiter. Wir wüßten, daß Slawen seit dem 6. Jh. die Bühne der Weltgeschichte betreten, daß phonetische und morphologische Eigentümlichkeiten für ein außergewöhnlich einheitliches Urslawisch sprechen (andererseits gab es bereits damals  auch bedeutsame Differenzen in der Lexik); das plötzliche Auftreten der Slawen spreche ferner für eine „demographische Explosion“, die letztlich zur Besiedlung großer Räume führte.

Die thesenartig formulierten Schlußfolgerungen zeigen die Gründe für das viel zu negativ gefärbte Schlußplädoyer auf. Sie liegen nach meiner Meinung in einer eindeutigen Unterschätzung der Onomastik und der mit Hilfe der Untersuchung der Namen bereits abgeklärten Punkte. Im einzelnen sind es:

a) Die mutmaßliche Lage der alten slawischen Siedlungsgebiete kann auch mit Hilfe von botanischen, zoologischen und lexikalischen Fakten eingeengt werden, sofern diese im Namenschatz nachweisbar sind: Eine slawische Urheimat muß möglichst alle der alten Bezeichnungen enthalten.

b) Aus der bekannten Tatsache, daß sich die slawischen Sprachen sogar heute noch recht nahe stehen, darf mit Recht gefolgert werden, daß die Keimzelle des Slawischen relativ klein gewesen sein muß. Die aus der Untersuchung slawischer Gewässerbezeichnungen und davon abgeleiteter Namen festgestellte Konzentration in einem relativ kleinen Gebiet am Nordhang der Karpaten und die daraus vom Rezensenten gezogene Folgerung, daß die Keimzelle des Slawischen eben dort gelegen haben müsse, ist von P. (und anderen) deshalb abgelehnt worden, weil es zu klein sei; ein Widerspruch in sich.

c) Weiterhin wurde gegen das sich aus namenkundlichen Erwägungen herauskristallisierende Gebiet auch von der Autorin des vorliegenden Buches argumentiert, aus so einer kleinen Keimzelle hätte sich unmöglich die Besiedlung riesiger Räume ergeben können. Allerdings spricht P. an anderer Stelle (S. 146) selbst von einer demographischen Explosion slavischer Stämme!

d) Die Annahme einer gemeinsamen balto-slawischen Entwicklung läßt sich hydronymisch in keiner Weise rechtfertigen. Damit erledigen sich die Punkte 3) und 4).

e) Die Gemeinsamkeiten zwischen Slawen, Germanen und Italikern können auch auf Grund der bisherigen Untersuchung der geographischen Namen nur als ererbt betrachtet werden, als Folge von Nachbarschaftsbeziehungen scheiden sie aus.

Nach der Pannonien-These Trubaèevs hat Go³¹b das obere Don-Gebiet als Heimat slawischer Stämme ausmachen wollen. Nimmt man noch die letzten Arbeiten Schelesnikers hinzu, so wäre die südöstliche Ukraine zu favorisieren. P. sieht überhaupt keine Lösungsmöglichkeit. Man fragt sich, warum man nicht dort nach Slawischem sucht, wo es die Toponymie anbietet: im Raum zwischen Pripjet’ und Karpaten sowie Dnjepr und unterer Weichsel. Hier finden sich alle slawischen Namen, die man sich nur wünschen kann. Ich sehe keinen Grund, dieses Gebiet gegen andere Territorien auszutauschen oder, wie P. meint, anzunehmen, es sei mit Hilfe hydronymischer Untersuchungen unmöglich, ein entsprechendes Gebiet überhaupt ermitteln zu können.

„Der vorliegende Band versammelt Vorträge, die auf einer Aleksander-Brückner-Tagung gehalten wurden. Diese … Begegnung fand vom 22. bis 24. Mai 1989 am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin statt“ (Witold Koœny,Vorwort, S. I). Das Buch besteht aus zwei Abschnitten: zuerst werden Leben und Werk des in Berlin tätigen polnischen Slawisten gewürdigt; den Abschluß bilden Texte, „die einen anderen Brückner zeigen …: ein auf moderne Literatur reagierender Kritiker und sich auf politisch brisante Fragen einlassender Publizist, der sich allerdings immer der wissenschaftlichen Objektivität verpflichtet weiß“ (ebenda).

Dietrich Scholze leitet den Band mit einem Beitrag „Alexander Brückner: Leben – Werk – Vermächtnis“ (S. 1-10) ein. Der von 1856-1939 lebende Slawist verbrachte 58 Jahre seines Lebens in Berlin. Nach Sch. hat es „die deutsche Slavistik … zu einem guten Teil Aleksander Bückner zu verdanken, daß sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Indogermanistik emanzipieren und zur selbständigen Disziplin mausern konnte …“ (S. 1). Trotz des deutsch klingenden Namens war die Familie des in Tarnopol geborenen Slawisten seit mindestens drei Generationen polonisiert. Bereits mit 25 Jahren erreichte ihn der Ruf nach Berlin. Die Berufung war auch von politischen Überlegungen bestimmt, denn man wollte der Unzufriedenheit in den polnischen Landesteilen Preußens begegnen. – Die Intention des Beitrages von Witold Koœny wird in dessen Titel deutlich: Slaven und Deutsche – „Zur Unzertrennlichkeit verurteilte siamesische Zwillinge“. Aleksander Brückners Polentum zwischen Wissenschaft und Politik (S. 11-28). Dem Titel zugrunde liegt ein Zitat Brückners aus dem Jahre 1900: Slaven und Deutsche seien „wahre siamesische Zwillinge, zur Unzertrennlichkeit verurteilt, und trotzdem meistens der eine des anderen schlimmster Feind“. In seiner Funktion als polnischer Slawist in Berlin hat er versucht, dieser schwierigen Position Rechnung zu tragen und auszugleichen, soweit das nur irgend möglich war. Aber noch nach seinem Tode sorgte er für Probleme. – Tadeusz Ulewicz weist in seinem Aufsatz „Über Aleksander Brückner und allerlei Humanistisch-Verlegeri¬sches. Philologische Plaudereien eines Polonisten“ (S. 29-42) darauf hin, daß es „beschämende Bedenken – man könnte fast von Hetze sprechen – gegen den Namen Brückner in der stalinistischen Ära [gab und] daß man in der DDR den Namen eine Zeitlang nicht erwähnen durfte“ (S. 30). Umso dringlicher ist es nach U.,  eine Neuauflage der Arbeiten Brückners vorzubereiten und zu edieren. Zu vieles, was auch für die nachwachsende Generation von Slawisten bedeutsam sein könnte, gerate in Vergessenheit.

Den Arbeiten über die slawische Mythologie ist der Beitrag von Norbert Reiter über Aleksander Brückner und die Götter der Slawen (S. 43-65) gewidmet. Darin wird betont, wie überaus kritisch der Berliner Slawist den mutmaßlichen slawischen Göttern gegenüberstand: Er „hat unter den slavischen Göttern gewütet“ (S. 45). Einige jedoch überstanden Brückners Skepsis, darunter der von ihm „als slavischer Hauptgott inthronisierte Svaro?iè“ (S. 53). Dieser Frage wendet sich R. dann intensiver zu (S. 53-61) und glaubt, nachweisen zu können, daß auch Svarogú nicht als slawischer Gott akzeptiert werden kann. Zunächst beklagt er die Seltenheit des Suffixes -og- (S. 53), das jedoch sowohl in der slawischen Toponmyie wie auch in vorslawischen Namen Polens seine Spuren hinterlassen hat. Einen völlig falschen Weg schlägt R. dann mit Verbindung zwischen slavisch svar, svariti „streiten, zanken“ und deutsch schwören, gotisch swaran ein. Die Irrtümer setzen sich fort: der von R. herangezogene Ortsname Swaro¿in bleibt aufgrund seiner historischen Überlieferung 1282 Swarisevo, 1282 Swariseuo, 1283 Suarisseuo (B. Kreja: Nazwy miejscowe Kociewia i okolicy, Gdañsk 1988, S. 127f.) fern.

Die Analyse von Ortsnamen gehörte ebenfalls zu den Interessen von  Brückner. Diesem Teilbereich ist der Beitrag von Stanislaw Urbañczyk gewidmet: Aleksander Brückner als Namenforscher (S. 67-82). Herausragendes Zeugnis dieser Tätigkeit ist die Habilitationsschrift „Die slavischen Ansiedelungen in der Altmark und im Magdeburgischen“ (1879), deren Qualität durch den mehr als 100 Jahre später erfolgten Nachdruck (Köln, Wien 1984) unterstrichen worden ist (zu Einzelheiten vergleiche man meine Besprechung in Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 56,1989, S. 268f.) und die bis heute nicht ersetzt wurde. Die Arbeit des Philologen verglich Brückner mit der einer „Art Reinemachefrau“: „Seine Arbeit endigt mit dem sauberen Herausschälen des slavischen Materials“ (S. 72). Dabei hatte er die besonderen Probleme erkannt, die mit der Deutung der Flußnamen verbunden sind: „Das Kreuz der Toponomastik sind bekanntlich die Flußnamen, die ältesten und rätselhaftesten Namen“ (S. 79). Diese sind aber nach U. für die „Feststellung der Ursitze der Slaven und die Richtung ihrer Wanderungen“ (S. 79) von entscheidender Bedeutung. Aus der Beobachtung, daß „die größeren Flüsse in Mitteleuropa … keine slavischen Namen tragen“, zog  Brückner den Schluß, daß die Urheimat der Slaven nicht an Elbe, Oder und Weichsel gelegen haben könne, sondern weiter im Osten (S. 79). Das zog ihm heftige Kritik von polnischen Kollegen zu. Daß dessen Auffassung der Wahrheit näher kommt, als seine Kritiker gedacht hatten, meine ich 1979 gezeigt zu haben. Aber Brückner hatte noch auf ein weiteres Problem verwiesen, das heute in einem anderen Licht erscheint. Er hatte bemängelt, daß man „auf die deutsche Gelehrsamkeit [schimpft], welche den Slaven allen Boden abgraben, sie als späte Eindringlinge, als Avarenschmarotzer, überall ausmerzen wollte und verfällt in denselben Fehler allzugroßer Begehrlichkeit, möchte gar zu gern die Germanen samt und sonders in den skandinavischen Winkel allein hineinzaubern …“ (S. 79). Die Untersuchung der geographischen Namen Mittel- und Nordeuropas scheint zu zeigen, daß diese Skepsis völlig berechtigt gewesen ist. – Andrzej Borowski stellt  Brückner als Komparatisten vor (S. 83-95) und beurteilt seine Forschungsleistung auf diesem Gebiet mit den Worten: „Der Reichtum an genauen und eingehenden Informationen, Textauszügen und Textabschriften aus den entdeckten und heute vielfach unzugänglichen Quellen, seine immer wieder überraschenden Hypothesen und Einfälle – all das ist immer noch wertvoll und lehrreich für einen modernen Komparatisten“ (S. 94). – Dem Wirken Brückners als Historiker der russischen Literatur geht Klaus-Dieter Seemann (S. 97-112) nach und macht deutlich, daß es diesem in Verbindung mit der Literatur B. oft um kulturgeschichtliche Aspekte ging. Seine Objektivität überdauerte auch in diesem Punkt seinen Tod: „Brückner zeigt sich als ein unbestechlicher Freund der sozialen Freiheiten in Rußland, zu denen die Literatur beigetragen hat. Hierzu gehört, daß er die Sowjetliteratur nicht lieben konnte …, nur damit verdient er, wie jetzt auch in der Sowjetunion wohl eingesehen werden muß, nicht die Verurteilung als ein aus Feindschaft zur UdSSR rückständiger Russist, als den ihn I. K. Gorskij noch 1971 glaubte bezeichnen zu müssen“ (S. 110). – Den Abschluß des ersten Teils des Sammelbandes bildet Fred Ottens Bemerkungen über „Marcin Bielski als Mittler zwischen West und Ost“ (S. 113-121). Es geht dabei um die Weltchronik Bielskis aus dem 16. Jh., durch die er zu einem Mittler zwischen lateinisch-katholischem Westen und russisch-orthodoxem Osten zu gelten hat. – Ganz ähnlich kann man das gesamte Wirken  Brückners umschreiben: „Brückner hatte in Deutschland … für Polen [gewirkt]“ (Scholze, S. 8).

Den Abschluß des Bandes bildet ein Textanhang, der Brückner als einen auch zu Tagesthemen Stellung nehmenden Publizisten und Kritiker zeigt; eine gelungene Ergänzung des insgesamt interessanten und anregenden Bandes, der dem Leser einen bedeutenden Slawisten näher bringt, einen Wissenschaftler, der nach dem Urteil von D. Scholze „die Kultur des wissenschaftlichen Rezensierens qualitativ und quantitativ auf eine Höhe führte, wie sie in der deutschen Slavistik, jedenfalls aber der Polonistik, nicht wieder erreicht worden ist“ (S. 7).

Der neue Band der in Leipzig herausgegebenen Reihe ONOMASTICA SLAVOGERMANICA ist nicht nur wie bisher um Fragen „des deutsch-slawischen Sprachkontaktes, so anhand der Toponymie bestimmter Landschaften und auch einiger anderer Namen …, sondern vor allem um die Typologie geographischer Namen (vor allemder Orts- und Flurnamen) slawischer Herkunft bzw. noch erhaltener sorbischer Lautung, vor allem als Beiträge zum Slawischen Onomastischen Atlas“ bemüht (Vorwort der Herausgeber, S. 5).

Die Beiträge werden eröffnet von ERNST EICHLER und DIETLIND KRÜGER, Slawische Ortsnamen in der östlichen Oberlausitz (S. 7-13). Die Verf. behan¬deln acht Ortsnamen aus dem östlich der Neiße liegenden, nun zu Polen gehö¬renden Teil der Oberlausitz, darunter Bunzlau/Boles³awiec und Lähn/Wleñ. Letzterer kann z.Zt. noch nicht sicher gedeutet werden. – Rudolf ŠRÁMEK be¬faßt sich mit dem Namensystem in seinem Abbild auf onymischen Karten (S. 15-19). Unter anderem bemängelt er, daß „das Kartieren … sich in der Namen¬forschung in einer Situation [befindet], die [seines Erachtens] von Mangel an theoretisch-methodologischer Ausrüstung gekennzeichnet ist“ (S. 19). – Olga RIPEÆKAs Aufsatz trägt den Titel: Begriffsinhalt und Formativstruktur der to¬ponymischen Wortzeichen (Am Material der deutsch-slawischen Oikonymie) (S. 21-38). Die gute Aufarbeitung der slavischen und deutschen Toponyme auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bietet vorteilhafte Bedingungen für diese Art der Untersuchung von Ortsnamen. – Einen Beitrag zum Slavischen Onomasti¬schen Atlas legt INGE BILY mit Gedanken zu den altsorbischen Ortsnamen mit den Suffixen -išèe-, -nik und -ik vor (S. 39-66). Es handelt sich bei dieser – im Gegensatz zu anderen Typen – kleineren Gruppe „um ursprüngliche Stellenbe¬zeichnungen mit ausschließlich deappellativischen Ableitungsbasen“ (S. 39), die vor allem in den Flurnamen begegnen. Kartierungen ergänzen den material¬reichen Beitrag. – EL¿BIETA FOSTER steuert in einigen Bemerkungen über die Zuordnung altpolabischer Ortsnamen zu den westslavischen Strukturtypen ebenfalls einen Beitrag zum Slavischen Onomastischen Altas bei (S. 67-73). Es geht ihr dabei anhand des Materials aus Brandenburg und Mecklenburg-Vor-pommern vor allem um mit dem Suffix -k- gebildete Namen und um die Unter¬scheidung zwischen den possessivischen Namen vom Subtyp Vollname + -j und der Namenbildung Vollname im Plural (poln. nazwy rodowe). – Zur Er¬schließung des in brandenburgischen Namen enthaltenen Wortschatzes nimmt SOPHIE WAUER Stellung (S. 75-78). Diese Aufgabe ist für die untergegangen slavischen Dialekte westlich der Oder und Neiße von besonderer Bedeutung, da „der Zugang zu diesen Sprachen fast ausschließlich durch die Untersuchung des Namengutes“ erfolgen muß (S. 75). – Dem Ortsnamen Leisnig bei Döbeln ist der Beitrag von MANFRED KOBUCH und HANS WALTHER gewidmet (S. 79-91).  Die Deutungsversuche dieses schwierigen Namen Sachsens konnten noch kein „abschließendes, voll befriedigendes Ergebnis … erzielen“ (S. 79). Nach sorgfältiger, quellenkritischer Analyse der Überlieferung (vor allem hinsicht¬lich der unklaren Lesung Licendice) setzen die Verf. als älteste Belege (1046) (Kopie 12./13. Jh., ?) Lisnich, (1074) (Fälschung 13.Jh.) Lisenic, 1143, 1147 Liznik an, verwerfen die Herleitungen aus *Liœnik zu *lis „Fuchs“ (da nach dem Material der Deutsch-Slawischen Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte ein Suffix -(ü)nik(ú) nicht an eine Tierbezeichnung als Namengrundwort antrete) sowie auch aus *lysünikú (zu lysy „kahl“), da von diesem Adjektiv strukturell kaum eine -n-Ableitung annehmbar sei, und bieten eine „andere, sachlich … zutreffende und sprachlich kaum zu beanstandende Erklärung an“ (S. 87). Sie besteht in einem Ansatz *Liœnik oder *LiŸnik, der mit slaw. lizati „lecken“ bzw. *lizeñ o.ä. „Zunge“ zu verbinden ist, und topo¬nymisch als „Ort an einer Land-, Fluß- oder Seezunge“ zu interpretieren ist. Die geographische Lage der Burg Leisnig bestätigt nach Ansicht der Verf. diese Deutung. Dieser Vorschlag hat viel für sich. Wähend ich in meiner Kartei sla¬vischer Namen weder für einen Ansatz *Lisünik (zu lis „Fuchs“) noch für Lysü¬nik (zu lysy „kahl“) einen sicheren Beleg finden konnte, kennt M. £ESIÓW, Terenowe nazwy w³asne Lubelszczyzny, Lublin 1972, S. 173 einen Flurnamen LiŸniak, der er zu poln. lizaæ stellt. Des weiteren bucht V. MIHAJLOVIÈ für sein Wörterbuch der serbokroatischen geographischen Termini (Prilozi prouèavanju jezika 6,1970, S. 163) in Hercegovina ein Appellativum lizalo „Stelle, an der unter einer Wand Wasser austritt“, stellt es lizati „lecken (vom Wasser)“ und weist auf einen Flurnamen ebendort hin. Die vorgeschlagene Etymologie findet so ihre Bestätigung und wirft vielleicht noch neues Licht auf zwei Ortsnamen Liœnik bei Nowy S¹cz, die für E. PAW³OWSKI, Nazwy miejscowoœci S¹decczyz-ny, Bd. II, Wroc³aw usw. 1975, S. 53 unklar sind. – Auch in dem Beitrag von KARLHEINZ HENGST, Urkunde und Ortsname. Zum Typ der Ortsnamen auf  itzsch, steht ein Name im Zentrum: der Ortsname Culitzsch (S. 93-96). Dabei geht es in erster Linie um die Forderung, die Belege aus mittelalterlichen Originalen gewissenhaft und verläßlich (S. 93) aufzunehmen. Eine falsche Wiedergabe führt nicht selten zu einer falschen Etymologie. – Die Bemerkungen von CORNELIA WILLICH zu Ortsnamen des Landes Lebus (S. 97-104) enthalten Auszüge ihrer inzwischen publizierten Arbeit Die Ortsnamen des Landes Lebus, Weimar 1994 (= Brandenburgisches Namenbuch, Teil 8). Eine ausführlichere Besprechung dieses Bandes erscheint in der Zeitschrift für slavische Philologie. – Einem wichtigen Thema ist der Beitrag von REINHARD E. FISCHER, Vorslawische Namen in Brandenburg, übertragen von slawischen Siedlern (S. 105-108) gewidmet. Man hat bei der Beurteilung vorslavischer Namen zu wenig beachtet, daß die neu in das Land kommenden slavischen Siedler auch Namen aus ihrer alten Heimat mitgebracht haben können, ein Vorgang, der sich überall auf der Welt nachweisen läßt. R.E. FISCHER diskutiert dieses Phänomen anhand von Dosse, Nietze, Schlenzer, Küdow-Küdden und Gapel. Es gelingt ihm, Zweifel daran aufkommen zu lassen, alle nicht aus dem Slavischen zu erklärenden Namen einer germanischen Zwischenschicht oder derm alteuropäischen Substrat zuzuweisen. Zum Namen Schlesien vgl. jetzt J. UDOLPH in: Studia Indogermanica et Onomastica (Festschrift f. F. Lochner v. Hüttenbach), Graz 1995, S. 370-393. – Dem weiten Bereich der „Mischnamen“ zuzuordnen sind die Ausführungen von HEINZ DIETER POHL zu Ortsnamen deutscher Herkunft mit slowenischer (alpenslawischer) Wortbildung in Kärnten und Osttirol (S. 109-114). – Ein durch Kriegs- und Nachkriegszeit lange brach liegendes Arbeitsgebiet berührt Jana MATÚŠOVA mit ihren Bemerkungen zu unklaren Flurnamen deutschen Ursprungs in Böhmen (S. 115-121). Die Interpretationen zu auf den ersten Blick schwer verständlichen Formen wie Socakry, Kmuiokr, Hertrpíhle, Vujskrub, Cígdokr, Hoprich überzeugen und sind kombiniert mit Bemerkungen, die auch für den Dialektologien von Bedeutung sein können. – In die ähnliche Richtung geht der Beitrag von JITKA MALENÍNSKÁ zur Übernahme tschechischer Bergnamen ins Deutsche (am Material der Oronymie des Böhmischen Mittelgebirges) (S. 123-131). – Bemerkungen zur Personennamengeographie und Personennamenstratigraphie steuert WALTER WENZEL, dessen Studien zu sorbischen Personennamen äußerst wertvolles Material enthalten, dargestellt an sorbischem Material, bei (S. 133-140). – Jüdische Personennamen in den Übersetzungen der Werke von Isaac Bashevis Singer (1904-1991) erörtert MARIA KARPLUK (S. 141-151) in einem von K.-H. Beschorner aus dem Polnischen übersetzten Beitrag. – Ein bisher unbekanntes Manuskript von PAUL KÜHNEL über die slawischen Orts- und Flurnamen der Insel Rügen stellt EDGAR HOFFMANN vor (S. 153-160). Es besteht „aus 183 teilweise beidseitig engbeschriebenen Oktavblättern mit zahlreichen späteren Einfügungen“ (S. 157). Den späteren Bearbeitern der slavischenToponymie Rügens R. Trautmann und H. Ewe blieb das Manuskript unbekannt. Aus E. HOFFMANNs Ausführungen geht nicht hervor, ob eine Publikation des Manuskripts lohnt oder geplant ist.

Ein Abkürzungsverzeichnis (S. 161-168) beschließt den Band, der – wie ich hoffe, deutlich gemacht zu haben – dem Onomasten, aber auch dem Dialektologien viel zu geben vermag.

Sophie Wauer: Die Ortsnamen der Prignitz. Mit einem siedlungsgeschichtlichen Beitrag von Christa Plate (Brandenburgisches Namenbuch, Teil 6) Hermann Böhlaus Nach-folger Weimar 1989. 487 S. 3 Ktn.

Gerhard Schlimpert: Die Ortsnamen des Kreises Jüterbog-Luckenwalde. Mit einem siedlungsgeschichtlichen Beitrag von Günter Mangelsdorf (Brandenburgisches Namenbuch, Teil 7.) Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 1991. 251 S. 3 Ktn., 2 Abb.

Historisches Ortslexikon für Brandenburg. Teil X
: Jüterbog-Luckenwalde. Bearbeitet von Peter P. Rohrlach (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshaupt-archivs Potsdam. Herausgegeben von Friedrich Beck, Band 26.) Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 1992. XXIV, 634 S. Kte. im Anhang, 1 Beilage.
 
Die Bearbeitung der Siedlungsgeschichte Brandenburgs erfährt mit der Herausgabe der zu besprechenden Monographien weitere wichtige Impulse. Nur wenige Monate nach Erscheinen des zehnten Bandes des Historischen Ortslexikons für Brandenburg ist die Geschichte seines namengebenden Hauptortes von anderer Seite gründlich bearbeitet worden: Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter, hrsg. v. Winfried S c h i c h  (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 84), Berlin – New York 1993. Innerhalb weniger Jahre erschienen somit bedeutsame Untersuchungen, von denen die zu besprechenden Arbeiten des Brandenburgischen Namenbuches noch vor der Wende als Ergebnis der rührigen (Ost-)Berliner Arbeitsgruppe für Namenforschung und Siedlungsgeschichte entstanden sind, während der von W. Schich herausgegebene Band auf den Vorträgen einer Tagung in Brandenburg und Netzen vom September 1991 basiert.

Die von S. W a u e r  und  G. S c h l i m p e r t  bearbeiteten Bände des Branden-burgischen Namenbuches richten sich nach den Prinzipien der bisher herausgegebenen Teile. Mit den Kreisen Ost- und Westprignitz und Jüterbog-Luckenwalde (Kreise der Provinz Brandenburg nach dem Stand von 1900, die auch dem Historischen Ortslexi-kon für Brandenburg zugrunde liegen) sind wesentliche Teile des Landes namenkund-lich erfaßt und bearbeitet.

Beide Bände sind ähnlich aufgebaut: einem Abriß der Besiedlungsgeschichte schlie-ßen sich die Erklärungen der Namen, gegliedert nach Landschafts- und Stammesbe-zeichnungen, Namen der bestehenden Siedlungen, sowie der Wüstungen und Flur- und Gewässernamen, an. Es folgt die linguistische Auswertung, in der Fragen der Lautge-schichte der slavischen und deutschen Namen, der Übernahme slavischer Laute in das Deutsche, der Morphologie und lexikalischen Auswertung im Vordergrund stehen. Ein gesondertes Kapitel ist „besonderen Problemen“ gewidmet, worunter vorslavische und übertragene Namen, die schriftliche Überlieferung der Toponyme und ihre Auswertung für die Siedlungsgeschichte fallen. Quellen- und Literaturverzeichnisse, ein Verzeichnis der Abkürzungen, Namenregister und Übersichtskarten vervollständigen die beiden Bände.

Der von G.  S c h l i m p e r t   bearbeitete Band ist eine der letzten Arbeiten des viel zu früh verstorbenen Berliner Namenforschers. In den letzten Jahren hatte er sich besonders intensiv einer Frage gewidmet, die jahrzehntelang in der ehemaligen DDR eher am Rande behandelt wurde: während man sich in besonderem Maße den slavi-schen Resten im Raum zwischen Elbe und Oder – darunter natürlich auch den Orts-, Fluß- und Flurnamen – zugewandt hatte, stand man der Möglichkeit, ein noch älteres Substrat aufzufinden (das dann am ehesten germanischen Ursprungs sein könnte), eher reserviert gegenüber. Etliche Aufsätze des Berliner Wissenschaftlters hatten dieses zum Thema; einiges davon ist auch in seine oben genannte Monographie eingeflossen.

Sowohl der von G.  S c h l i m p e r t  wie der von S.  W a u e r  bearbeitete Band legen Zeugnis von dem hohen Stand der Berliner Namenforschung ab. Die Deutungen sind wohldurchdacht; die weitaus meisten Namen der beiden Brandenburger Altkreise sind durch die Untersuchungen einer eindgültigen Klärung zugeführt worden. Manches wird immer strittig bleiben.

Die wenigsten Probleme bereiten die – im allgemeinen – jungen deutschen Namen. Etwas schwieriger wird es schon bei den zahlreichen slavischen Resten; erhebliche Fragen wirft die Bearbeitung der wenigen vorslavischen Relikte auf.

Die geographische Lage der beiden Brandenburger Altkreise läßt die Frage auf-kommen, ob sich dieses auch im Namenbestand selbst niederschlägt, oder, mit anderen Worten, ob die westlichere Lage der Prignitz mit einer geringeren Anzahl slavischer Elemente und einem höheren Bestand vorslavischer oder nicht slavisierter Relikte ver-bunden ist.

Vergleicht man die beiden Monographien unter diesem Aspekt, so zeigt sich, daß der Namenbestand im Kreis Jüterbog-Luckenwalde im allgemeinen leichter zu etymo-logisieren ist. Zahlreiche slavische Namen können einer sicheren Deutung zugeführt werden, Vorslavisches, Germanisches und alteuropäische Reste zeigt sich bei den Ortsnamen in Dümde (S. 58f.), der jedoch als altertümliche germanische -ithi-Bildung höchstwahrscheinlich aus dem Westen übertragen worden ist, und somit zur Sied-lungsgeschichte nur bedingt beitragen kann. Daß der Raum aber durch Abzug germa-nischer Stämme und späteren Zuzug slavischer Sprecher nicht siedlungsleer gewesen sein kann, erweisen wieder einmal die Gewässernamen, so im Fall der Dahme (S. 52f.) wie auch Nuthe (S. 151). Ihre Existenz kann nur auf der Tradierung von einer Bevöl-kerungsschicht in die nächste erklärt werden. Dennoch ist der Bestand vorslavischer Reste im Kreis Jüterbog-Luckenwalde recht gering.

Anders sieht es in der Prignitz aus. Da diese Landschaft zum „engeren Siedlungs-gebiet der Jastorf-Kultur des Elberaumes“ gehört (S. 14), ist von hieraus eine andere Zusammensetzung des Namenschatzes zu erwarten. Allerdings hat die teilweise weni-ger siedlungsgünstige Lage der Landschaft (sehr arme Sanderböden; hochwasserge-fährdete Niederungen an Elbe und Havel, vgl. S. 9ff.) zu einer verhältnismäßig hohen Zahl von Wüstungen geführt, so daß die ursprünglichen Siedlungsverhältnisse anhand der Ortsnamen vielleicht nicht so sicher wie in anderen Gebieten bearbeitet werden könnten. Dennoch zeigen sich im Vergleich zum Kreis Jüterbog-Luckenwalde bedeut-same Unterschiede. Es sind dieses:

1. Die slavischen Namen zeigen eine Besonderheit, indem „verschiedene Namen-gleichungen mit dem südlichen Gebiet, die sonst keine weiteren Parallelen in anderen Gebieten haben“, auffallen (S. 438). Diese Beobachtung deckt sich mit Erkenntnissen, die aus der Beobachtung slavischer Namen des Wendlandes und der Altmark gemacht werden konnten (vgl. Wendland und Altmark in histo¬rischer und sprachwissenschaft-licher Sicht, Lüneburg 1992, speziell S. S. 107-126).

2. Germanisches zeigt sich offenbar in den Gewässernamen der Prignitz. Das gilt sowohl für die Dosse (S. 42f.; noch nicht berücksichtigt: W. P.  S c h m i d, Namen-kundliche Informationen 58, 1990, S. 1-6), wie wahrscheinlich auch für die Jeetze (vgl.  d e r s., in: Deutsch-slawischer Sprachkontakt im Lichte der Ortsnamen. Mit besonderer Berücksichtigung des Wendlandes, hrsg. von F.  D e b u s, Neumünster 1993, S. 40-42).

3. Wesentlich höher als im Raum südlich von Berlin ist der Anteil der indoger-manisch-alteuropäischen Reste in den Gewässernamen. Für die Prignitz lassen sich anführen Elde, Havel, Meyn, Nebelin, Nitzow, Reimer und andere (S. 426ff.).

Mit diesen Erscheinungen erweist sich die Prignitz als ein Gebiet, das an den Na-menforscher besondere Anforderungen stellt. Auch diese sind von  S. W a u e r  im wesentlichen gemeistert worden.

Als ein in Niedersachsen tätiger Namenforscher schaut man etwas neidisch auf das Gebiet östlich der Elbe und erkennt, daß es im Altsiedelland, das in nicht geringem Maße die Ausgangsbasis der deutschen Ostsiedlung abgegeben hat, an vergleichbaren Arbeiten außerhalb der Flurnamen fast vollkommen fehlt. Vielleicht wird von hier ein-mal Licht auf Namen fallen, die in den beiden Bänden des Brandenburgischen Namen-buchs keiner endgültigen Klärung zugeführt werden konnten oder meiner Mei-       nung nach eines weiteren Kommentars bedürfen. Ich denke etwa an die Smeldinger, das Problem der nichtdurchgeführten Metathese im Fall der Elde (gegenüber Elbe, tschechisch Labì), an Jackel, Jüterbog, Karthane und Schlenzer (und dessen Ver-bindung zu Schlesien). Zum Namen der Prignitz selbst vergleiche man Namenkundli-che Informationen, Beiheft 15/16, Leipzig 1991, S. 69-78.

Die bessere Ausgangsposition Brandenburgs gegenüber der Niedersachsens zeigt sich nicht nur in den hier ausführlicher besprochenen Bänden des Brandenburgischen Namenbuches, sondern auch in der sorgfältigen Edition des Historischen Ortslexikons für Brandenburg, dessen 10. Band (bearbeitet von P.P. Rohrlach) nach den Worten von G. Schlimpert für die Deutung der Ortsnamen dieses Kreises von großem Nutzen war. Mit „der Bearbeitung dieses Teilbandes“, heißt es in dem Vorwort bei P.P. Rohrlach (S. V) „hat nunmehr das Restgebiet des alten Regierungsbezirkes Potsdam seine Repräsentation im Historischen Ortslexikon gefunden“. Mit diesem Unternehmen wurde der Ortsnamenforschung wertvollstes Material zur Verfügung gestellt, das in anderen Gebieten Deutschlands noch fehlt und auch in nächster Zeit nicht zur Verfügung stehen wird. Der Wert dieser Publikation wird noch durch das bereits in Aussicht gestellte Register, das sich laut Vorwort bereits in abschließender Bearbeitung durch die Autoren befindet und das sicher dankbare Aufnahme erfahren wird, weiter erhöht werden. Den an der Untersuchung der Toponymie im deutsch-slawischen Grenzgebiet interessierten Namenforscher hat in diesem Zusammenhang eine knappe Bemerkung von Friedrich Beck besonders neugierig gemacht. Es ist der Hinweis darauf, daß P.P. Rohrlach ein weiteres wissenschaftliches Vorhaben in Angriff genommen hat – das Historische Ortslexikon für die Altmark (S. VI).

Bei der Erforschung der Hydro- und Toponyme, der Siedlungsgeschichte des Gebietes zwischen Elbe und Oder und der weiteren Bearbeitung der Ortsnamen Mitteleuropas, aber auch der slavischen Länder des Ostens und Südens, werden die vorgestellten Bände mit Gewinn benutzt werden. Es bleibt nur der Wunsch zurück, daß die Bearbeitung der Ortsnamen im Rahmen von Ortslexika und Ortsnamenbücher nicht an den Grenzen Brandenburgs haltmachen möge.

Die sehr breit angelegte Untersuchung der Toponymie der in Ostflandern südlich von Gent gelegenen Ortschaften entspricht dem Stil niederländischer und belgischer namenkund¬licher Arbeiten. In drei Bänden werden auf fast 1100 Seiten Orts- und Flurnamen einer gründlichen Prüfung unterzogen. Wie bei allen sorgfältig gestalteten onomastischen Ab¬handlungen ergeben sich auch aus dieser Arbeit heraus Korrekturen und neue Anregungen für außerhalb des Untersuchungsgebietes liegende Namen. Ebenso aber müssen sich die vor¬geschlagenen Deutungen an bisherigen Arbeiten messen lassen. Darauf wird noch zurückzu¬kommen zu sein.

Der erste Band der umfangreichen Abhandlung, einer Genter Dissertation, enthält ein Vorwort (S. 9-11) und eine ausführliche Einleitung (S. 13-68). In ihr wird der Stand der to¬ponymischen Bearbeitung Ostflanderns skizziert, genannt werden u.a. Namen, die auch au¬ßerhalb Flanderns einen guten Klang haben, wie z.B. H.J. v.d. Wijer, E. Förstemann (der auch flämisches Material einbezogen hatte), G. Kurth, J. Cuvelier, C. Huysmans, K. de Flou (der in 18 Bänden ein monumentales Werk über die Toponymie von Westflandern und daran angrenzende Gebiete geschaffen hat [Gent-Brugge 1914-1938]), M. Gysseling, J. Mansion und C. Tavernier-Vereecken. Vermißt habe ich den Namen von Hans Kuhn und seinen zwar zu kritisierenden, aber niederländische und belgische Namen einbeziehenden „Nordwest-Block“. Daß dieses kein Versehen sein kann, zeigt sich bei der Behandlung der mit dem Suffix -ndr- gebildeten Namen (s. unten).

Die Einleitung enthält weiter ein ausführliches Verzeichnis der Quellen (S. 18-38) und Literatur (S. 38-65), darunter zahlreiche Ortsnamenarbeiten einzelner Dörfer, Kreise und Landschaften, sowie nicht wenige ungedruckte Arbeiten (Zulassungs , Examens- und Doktor¬arbeiten), die belegen, wie intensiv in Belgien und den Niederlanden an onomastischen Pro¬blemen gearbeitet wird. Es schließen sich Abkürzungen und Anmerkungen zum Dialekt des Untersuchungsgebietes an.

In einem zweiten Abschnitt (S. 69-212) wird das Untersuchungsgebiet sehr ausführlich vorgestellt. Die gegenwärtige Gestalt, die geographische Struktur, Entwicklung der Grenzen, Erklärungen zu den Karten, Physiographie, Geomorphologie, Hydrographie, Bodengestalt, historische Entwicklung, Geschichte, die Entwicklung des Grundbesitzes und dessen Eigen¬tümer sowie Veränderungen der Natur- und Kulturlandschaft werden behandelt.

Das dritte Kapitel (S. 213-254) wendet sich den Etymologien der Ortsnamen (im fol¬genden: ON.) Velzeke/Faus(e)que, Wormen/Wormin(es), Ruddershove/Rogiercourt und Bochoute/Bochout zu. Schon der erste Name (Velzeke, S. 214-245) führt zu interessanten onomastischen Problemen. Die älteren Belege (1015 (Kopie 12.Jh.) apud felsecum, apud fel secundum, apud feilsecum, 1110/32 (Kopie um 1177) u.ö. de velseka, 1144 (Kopie ca. 1177) de felsca) weisen auf einen  (i)acum-Namen, in dessen Grundwort ein Personenname vermutet wird, in dem nach M. Gysseling aber auch der Stammesname Falisci vorliegen könnte. Die Diskussion dieses ON.-Typus ist durch die umfangreiche, von L. van Durme natürlich noch nicht zu berücksichtigende Arbeit von M. Buchmüller-Pfaff, Siedlungsnamen zwischen Spätantike und frühem Mittelalter. Die -(i)acum-Namen der römischen Provinz Belgica Prima, Tübingen 1990, in entscheidender Weise gefördert worden. Zur mutmaßlichen Über¬tragung des flämischen ON. auf Welsigke bei Belzig und Welsickendorf bei Jüterborg verglei¬che man jetzt G. Schlimpert, Die ON. des Kreises Jüterbog-Luckenwalde, Weimar 1991, S. 127f. – Der ON. Wormen (S. 245-250) kann dank seiner Belege ca. 800 uilla Uermini (?), 830 (Kopie 10.Jh.) de villa Werminio usw. mit H. Krahe in das System der alteuropäischen Hy¬dronymie (*uor-mina) eingeordnet werden. – Ruddershove (S. 250-253), 1040/50 (Kopie 12.Jh.) jn rogeri curtem, 1166 de rodgershoven, ist aus einem stark flektierenden Personenna¬men und dem Grundwort hof zusammengesetzt. – Bochoute (S. 253-254), 1187 u.ö. curie de bochout, gehört zu germ. *boko „Buche“ + hulta „Wald, Holz“.

Das nun eigentlich folgende „Verklaerend Glossarium“, in dem die Orts- und Flurna¬men des Untersuchungsgebiets behandelt und gedeutet werden, ist als selbständiger Teil in den Bänden 2, 1-2, abgedruckt (dazu s.u.). Band 1 schließt daher mit dem 5. Kapitel (S. 255-304), in dem die geographische Terminologie des Untersuchungsgebietes behandelt und mit Fragen der Siedlungsgeschichte konfrontiert wird. Diskutiert werden Termini wie kouter, ak¬ker, heide, veld, land, loke, tuun, hoek, winkel u.a.

Band II zerfällt in zwei Teile, dessen erster neben einer Einleitung (S. 7-15) das Glos¬sarium A-K (S. 16-411) enthält. Der zweite Teilband besteht aus dem Glossarium L-Z (S. 419-771) und den Corrigenda und Addenda (S. 773-775), in die wichtige Anmerkungen zum Terminus opstal aufgenommen worden sind.

Der mehr als 700 Seiten starke Band ist reich an leicht zu deutenden Flurnamen, die keines besonderen Kommentars bedürfen. Daneben begegnen aber einige Toponyme, die den Namenforscher zum weiteren Nachdenken anregen. So fallen etwa altertümliche Bildun¬gen wie Dellet < *daljo- + -itja (S. 116), Hulse, 1218 Hulsta, < *hulisopu- (Kollektivum zu *hulisa- „Stechpalme“) (S. 292), und Varent < *farnopu-, Kollektivum zu *farna- „Farn“, auf. Sie sind nicht identisch mit den hochaltertümlichen -ithi-Bildungen, stehen ihnen aber bil¬dungsmäßig sehr nahe und sind auch jenseits des Kanals, in England, nachweisbar.

Von besonderem Wert ist der Name Vollander (S. 715-718), alt up den valandere, de valandre, zu vergleichen mit Vallendar, alt Ualendre, in dem H. Kaufmann (brieflich an den Autor) *fal- „Sumpf“ + vorgerm. Flußnamensuffix -andra sieht. L. van Durme bietet noch weitere Parallelen, die sehr zu begrüßen sind, da sie auch Vallendar aus der bisherigen Iso¬liertheit reißen, so drei Flurnamen aus Westflandern (1200 Volandere; 1600 Vollandere; 20.Jh. heet volandere), weiter Valender bei Ambleve (Lüttich), Valendre bei Montreuil, 1256-1270 Valandroe bei Châlons. Der Versuch von H. Kuhn, die auffällige Bildung mit dem Formans  ndr- in Balandre, Camandre, Medenderbach, Mallendar, 864 Isandra, 929 Cinsindria u.a. mit an¬geblich verwandten Bildungen in Kleinasien zu vergleichen und in ihnen vorgermanische und vorindogermanische Relikte zu sehen, wird von L. van Durme nicht erwähnt. Immerhin liegt auch der ON. Merendree (966 Merendra, um 1025 Merendra) in der Nähe des Untersuchungs¬gebietes bei Gent. Die große Zahl der von L. van Durme beigebrachten Namen (darunter Flurnamen für Ackerstücke) macht aber wohl mehr als deutlich, daß hier vorgermanische oder vorindogermanische Siedler nicht verantwortlich gemacht werden können. Die Lösung kann wohl nur in einer Suffixkombination gesehen werden.

Einige Namen geben zu Überlegungen aus niedersächsischer Sicht Anlaß. So gehört das häufige Lochting nach allgemeiner Ansicht zu niederländisch look „Lauch“ und tuin „Garten“ (Namenmaterial: S. 455, s. auch Bd. I, S. 290f.). Der Vergleich mit Lochtum bei Goslar, Adam v. Bremen apud Loctunam, aber sonst Lochtenem, Lochtene, liegt auf der Hand, wobei der niedersächsische Name allerdings auch auf *loh-tun zurückgehen kann (wogegen jedoch Adams Beleg spricht). – Bei der Diskussion um die auch in Westnieder¬sachsen häufigen Lage-Namen (S. 420f.), die zum Teil auch zu germ. *lauha- (dt. loh) gehö¬ren, wäre ein Blick in die Münsteraner Magisterarbeit von H. Siebel, Die norddeutschen Flur- und Siedlungsnamen auf  lage/-loge (1970), hilfreich gewesen. – Schließlich kann eine Anmerkung zu den „Wolf“-Namen Wolfkens Hekken, Wolfpoort, Wolfsput und auch Wolput, in dem ebenfalls der Tiername gesucht wird (S. 749-752), gemacht werden. Mit Recht bezweifelt der Autor, daß in allen Fällen die Tierbezeichnung zugrunde liegen soll. Daß mit volksety¬mologischer Umdeutung gerechnet werden kann, wird man annehmen dürfen. Daher ist vielleicht ein Blick auf den Versuch von R. Möller, Wulf- in Siedlungs- und Gewässernamen, Naamkunde 17(1985)264-269, hilfreich, in dem die niedersächsischen ON. Wulften, Wülfte, Wulften u.a. mit dt. wölben, ae. hwealf „Wölbung, Bogen“, dt. Walm( dach) verbunden werden. – Eine letzte Bemerkung sei der Hydronymie gewidmet: an der Einordnung des Flußnamens Zwalm(beek), 1040 (Kopie um 1060) Sualma, usw., in die alteuropäische Hydronymie (S. 768f.) kann nicht gezweifelt werden.

Dem Autor ist für seine sorgfältige, gut dokumentierte Untersuchung und den belgi¬schen Germanisten für ihr großes Interesse an onomastischen Fragestellungen zu danken. Auch die deutsche Namenforschung profitiert von den Ergebnissen der vorgestellten Arbeit.

Die 1958 initiierte Arbeit an dem Gesamtslavischen Sprachatlas (russ. Obšèesla-vjanskij lingvistièeskij atlas; im folgenden: OLA) wird durch den anzuzei¬genden Band fortgeführt. Er enthält eine Reihe von wichtigen Beiträgen, die im folgenden zumeist nur genannt und nur zum geringsten Teil kommentiert werden können. – L.E. Kalnyn‘ und T.I. Vendina berichten in ihrem Beitrag „Opyt obobšèajušèich fonetièeskich kart v OLA“ (S. 3-22) aus der Arbeit an phonetischen Karten des Atlasses. Es geht dabei unter anderem um die Weiterentwicklung der slavischen Pho-neme  *` und *Ä in den slavischen Dialekten. Zwei instruktive Kar¬ten (im Anhang) geben einen guten Überblick über die entstandenen Reflexe. – Mit den Wendun-gen idet doºd‘, idet sneg „es regnet, es schneit“ und anderen ostsla¬vischen Eigentümlichkeiten beschäftigt sich I.B. Kuz’mina, O nekotorych sin¬takti_eskich javlenijach vosto_noslavjanskich jazykov (po materialam OLA) (S. 23-29). Auch in diesem Fall unterstützen vier Verbreitungskarten die Ausführungen. – Slavische Bezeichnungen für den Ziegenbock untersucht A. GabovÓtjak [HabovÓtiak], Leksemy cap i kozol v slavjanskich jazykach (S. 29-40). – Mit -k- ge¬bildete ostslavische Suffixe wie -k(a), -ik, -nik, ak(a), -ec, -(i)c(a) und andere stellt T.I. Bendina in dem Beitrag „Slovoobrazovatel’nye osobennosti vosto_no-slavjanskich jazykov (v sravnenii s drugimi slavjanskimi jazykami)“ (S. 41-67) west- und südslavischem Material gegenüber. – Die sprachlichen Besonder¬heiten und Übereinstimmungen zwischen slavischen Dialekten der Karpaten und des Balkans sind das besondere Anliegen von G.P. Klepikova, dem sie sich auch in ihrem Beitrag des Sammelbandes widmet: K probleme vzaimootnoÓenij jazykov central’noj i periferijnoj zon balkano-karpatskogo areala (S. 68-99).

Nur am Rand sei erwähnt, daß entsprechende Beobachtungen auch aus dem Namenschatz des betreffenden Gebiets beigebracht werden können (vgl. Rezensent, Udolph, Stu¬dien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen, Heidelberg 1979, S. 396-429 mit Auswertung S. 628-631). – Die hydronymische Ergänzung vermisse ich auch in den Bemerkungen von S. UteÓeny [UtÄÓen_], Semanti_eskie arealy dvuch iskonnych gidronimi_eskich nazvanija strouha i stoka v ¼echii (S. 99-108), wo es um Bezeichnungen für „Wasserlauf, Bach, Zusammenfluß“ geht (vgl. Rezensent, op.cit., S. 268ff.). – Fragen der Bedeutungsvarianten in slavischen Dia¬lekten werden anhand von ljada „Rodeland“, ljadina „Wald“, auch „Sumpf, Sumpf¬wald“, verwandt mit dt. Land, sowie russ. ºito „Getreide jeder Art“ (mit Karte im Anhang) bei O.N. Morachovskaja, K voprosu o semanti_eskich dialektnych razli_ijach (S. 109-118) behandelt. – Altrussische Gefäßbezeichnungen wie bljudo, kad‘, opany stehen im Zentrum des gut dokumentierten Beitrages von G.N. Lu¬kina, O nazvanijach sosudov v jazyke pamjatnikov drevnerusskoj pis’mennosti XI-XIV vv. (S. 118-135). – Eine besondere Variante des Akanje liegt in einigen Dia¬lekten des Gebietes von Kostroma vor, der sich V.N. Teplova, O zaudarnom voka¬lizme posle tverdych soglasnych v akajuÓ_ich govorach kostromskoj oblasti (S. 136-151) zuwendet. – Die Dispalatalisierung der Sibilanten im Süosten der Ukraine behandelt A.N. Zalesskij, Specifika dispalatalizacii ÓipjaÓ_ich v jugo-vosto_nom nare_ii ukrainskogo jazyka (S. 152-176). – Vor allem Fragen der mit unterschiedli¬chen Suffixen gebildeten Substantiva untersucht Ju.S. Azarch, Morphologi_eskie varianty proizvodnych suÓ_estvitel’nych v russkich govorach (S. 177-198) vornehm¬lich in russischen Dialekten. – Eine knappe Bemerkung zur Geschichte der mit den Suffixen -u_-, a_- gebildeten Adjektive im Russischen steuert N.P. Zverkovskaja, K istorii prilagatel’nych s suf. -u_-, a_- v russkom jazyke (na materiale pis’mennych pamjatnikov XI-XVII vv.) (S. 198-201) unter Berücksichtigung historischen Mate¬rials bei. – Komposita mit der Bedeutung „Lügner“ stellt O.V. Vidova, O nekoto¬rych modeljach slov so sloºnoj osnovoj v russkich govorach (na materiale obrazo¬vanija slov s obÓ_im zna_eniem ‚lgun‘) (S. 202-217) aus russischen Dialekten zu¬sammen. – Einen Beitrag zur Geschichte des Duals im Russischen liefert M.V. µul’ga, K istorii grammati_eskogo vyraºenija zna_enija parnosti v russkom jazyke (S. 218-247), ähnlich strukturiert ist die Untersuchung von S.I. Iordanidi zu den Pluralformen einiger Substantive im Russischen (Formy imenitel’nogo mnoºestvennogo suÓ_estvitel’nach tipa goroºaninin  , roditel‘, mytar‘ v istorii russkogo jazyka, S. 247-265). – Etymologisch ausgerichtet sind die folgenden Bei¬träge. R.M. Kozlova, Praslav. *(s)korak  , *(s)koraka i ich refleksy v slavjanskich jazykach (S. 265-272) untersucht slavische Reflexe der idg. Wurzel *(s)ker- „drehen, wenden, biegen“, wozu unter anderem altrussisch karjaka, korjaka „auf allen vieren gehender Mann“, ukrainisch (dial.) karaky „Stelle, an der sich ein Baumstamm teilt“ gehören.

In diesem Zusammenhang werden auch Personen- und Ortsnamen, die von den entsprechenden Appellativa abgeleitet sind, herangezo¬gen. – Westslavische Wörter stehen im Mittelpunkt der etymologischen Bemühun¬gen von ª.ª. Varbot, ¼eÓskie etimologii (mlovina, povlovn_, pasáry, papuºiti) (S. 272-281). Es geht um _echisch mlovina „Stab, Stange“ (die bisher angenommene Verbindung mit *mel(v)- wird abgelehnt und zusammen mit _ech. vlov „Stab, Stange“ an Herkunft von *uel(  )- gedacht), povlovn_ „leicht abfallend, sanft, weich“ (das ebenfalls zu dieser Wurzel gestellt wird), pasáry „Geschrei, Lärm“ (zu russisch ssora „Verfeindung, Verstimmung“) und papuºiti „mit Pflanzen überziehen, bedec¬ken“ (zu russisch dial. puºina „im Wuchs begriffender Hanf“). – Die etymologischen Bemerkungen (Etimologi_eskie zametki, S. 281-285) von L.V. Kurkina betreffen südslavisch *kruliti „verstümmeln“, das als urslavischer Reflex angesehen wird, und *tuskati/*tyskati „trauern, beunruhigt sein“, das zu russisch toÓ_ij „hager, mager, leer“ gestellt wird. – Russisches mundartliches Material ist der Ausgangspunkt für die etymologischen Anmerkungen von V.E. Orel (Etimologi_eskie zametki po russkoj leksike, S. 286-292).

Es geht um kaslo „Kugel, mit Kugeln oder einem Ball spielen“ (herzuleiten aus *kat-slo), votra „leeres Stroh nach dem Dreschen, leere Ähre, Späne“ (Ablautvariante zu russisch-kirchenslavisch v tr , votr  „Schmied“) und verlioka „sagenhaftes einäugiges Wesen“ (zu einer anmzusetzenden slavischen Wendung *v rliti oko). – Den Schluß der Beiträge bildet die Untersuchung von S.M. Tolstaja, O novych napravlenijach v belorusskoj dialektnoj leksikografii (S. 292-314), in dem ein wichtiger Abriß über die Entwicklung der weißrussischen Dialektlexikographie samt Bibliographie (einschließlich eines geographischen Re¬gisters) geboten wird. (S. 310-314). – Zwei Rezensionen über den Fragenkatalog des Gesamtslavischen Sprachatlasse (ObÓ_ekarpatskij dialektologi_eskij atlas. Vo¬prosnik, Moskva 1981) durch L. Kalnyn‘ (S. 315-317) und die ersten beiden Bände des Wörterbuchs der Smolensker Dialekte (Slovar‘ smolenskich govorov, Bd. 1-2, Smolensk 1974-1980) von V.A. Merkulova (S. 317-318) beschließen den interes¬santen Band, der vor allem dem Slavisten wichtiges Material zur Dialektologie, Sprachgeschichte und auch Onomastik bietet.

Die für Leser der IF. relevanten Beiträge des Sammelbandes sollen im folgenden kurz vorgestellt und gegebenenfalls kommentiert werden. – H. Jachnow stellt Überlegungen „zur Universalität der Sprachmittelverwendung in gesprochener Sprache“ an (S. 165-173). Er glaubt, daß „erst mit dem Aufkommen der Soziolinguistik, der Pragmatik und der Psycholin¬guistik deutlich [wurde], daß die Beschäftigung mit gesprochener Sprache eine ausgezeich¬nete Möglichkeit eröffnet, wichtige Züge von Sprachen und deren Gebrauchsmodalitäten zu entdecken“ (S. 165). Dabei orientieren sich heute die „Untersuchungen zur Erforschung der deutschen Umgangssprache … methodisch an der empirischen Soziologie und dem linguisti¬schen Strukturalismus“ (S. 165). Es fragt sich zum einen, ob man mit der eingangs zitierten Meinung Sprachwissenschaftlern des 19. und 20. Jh.s gerecht wird, auf deren entsagungsvoller Sammelarbeit und Aufbereitung des mundartlichen Materials heute leicht aufgebaut werden kann, und ob zum andern der „linguistische Strukturalismus“ sprachliche Gegebenheiten sinn¬voll erklären kann, wenn es wenig später (S. 166) heißt: „Prinzipiell kann davon ausgegangen werden, daß im mündlichen Gebrauch der Sprache ein erheblich breiteres Variationsspek¬trum sprachlicher Interaktionen gegeben ist als in dem stärker stereotypisierten schriftlichen Sprachgebrauch“. Hilfreich ist dagegen Jachnows Versuch durchaus, wenn er zur Herausar¬beitung von Typen der Reduktion in der Umgangssprache etwa russische und deutsche Wen¬dungen miteinander vergleicht, z.B. russ. [un’irs’it’et] „universitet“ gegenüber dt. [t  ] „du“ (wie in [vilst  ] „willst du?“). Ob das allerdings ausreicht, um daraus zu schließen, daß die „spezifischen Merkmale der gesprochenen Sprache … sie von der geschriebenen Sprache in einem Maße ab[grenzen], daß es erlaubt, von eigenständigen sprachlichen Systemen zu spre¬chen“ (S. 172), darf bezweifelt werden. Auch dürfte die Einführung neuer Termini wie z.B. „Ethnosystem“ kaum weiterhelfen. – Mit „Reduktions- und Redundanzformen in der altrussi¬schen Wortbildung“ (S. 175-189) befaßt sich H. Jelitte. Er versucht darin zu zeigen, daß Re¬duktion und Redundanz auf der Wortbildungsebene Erscheinungen sind, „die ihre unmittel¬baren Parallelen in den verschiedenartigen Reduktions- und Redundanzformen auf der Tex¬tebene besitzen“. Bei der Bearbeitung des Materials ist dabei ständig der bekannte Einfluß des Griechischen auf die altrussische Wortbildung (Typus blagobojazn  „Frömmigkeit, Got¬tesfurcht“) zu beachten. – E. Kaiser unternimmt in ihrem Beitrag den Versuch einer „Konfrontative[n] Analyse der Semantik und Funktion slavischer Präpositionen“ (S. 191-209). Der einleitende Satz zeigt das Dilemma bisheriger Bemühungen auf: „Trotz zahlreicher und hinsichtlich ihrer methodisch-theoretischen Grundlage vielfältiger Versuche ist es noch nicht gelungen, eine befriedigende und allgemeingültige Definition des semantisch-funktionellen Status der Wortart Präposition zu erarbeiten“ (S. 191). Dabei ist ihr allerdings der Versuch von W.P. Schmid (rediviert in: P. Swiggers et.al., Mot et parties du discours, Paris 1986, S. 85-99) entgangen. Dennoch enthält ihr Beitrag nicht zuletzt wegen der Einbeziehung der histori¬schen Komponente wichtige Gedanken. So ist es ihr im Hinblick auf das Polnische, Russische und Bulgarische zweifellos gelungen, „an einigen Beispielen auf Kontraste in Präpositionalge¬brauch und -bedeutung  [hinzuweisen], wie sich sich im Vergleich zum Urslavischen und in der Konfrontation der drei Sprachen miteinander beobachten lassen“ (S. 209), aufmerksam zu machen. – In W. Lehfeldts Untersuchung zum „System der Präsensformenbildung in der modernen ukrainischen Literatursprache (im Vergleich mit anderen slavischen Sprachen) (S. 317-328) wird versucht, unter Einführung eines sogenannten „Maßes der Verbundenheit“ (Definition: S. 326) die Besonderheiten des Ukrainischen für den Bereich der Präsensfor¬menbildung innerhalb der slavischen Sprachen herauszuarbeiten. Dabei zeigt sich, daß die ostslavische Sprache offenbar eine besondere Stellung einnimmt, da in ihr „die Verbunden¬heit des Systems der Präsensformen am niedrigsten ist“. – Fragen der Phraseologie stehen im Mittelpunkt von J. MateÓiås Aufsatz „Phrasembildung als Folge einer Wortumdeutung“ (S. 329-337). In Ergänzung zu den inzwischen etablierten Termini „Morphem“ und „Lexem“ ope¬riert er mit dem Begriff „Phrasem“, ist sich allerdings bewußt, daß es „unter den Phraseologen keine einheitliche Meinung darüber gibt, was ein Phrasem ist“ und bietet im Anschluß daran eine eigene Definition an (S. 329, Anm. 1). Diese Unsicherheit und die darüberhinaus zu be¬obachtenden starken und schnellen Veränderungen im Bereich der Phraseologie erschweren die wissenschaftliche Behandlung der damit verbundenen Phänomene erheblich. Daß auch die Ethymologie (sic!) dann nicht weiter hilft (S. 337), darf nicht verwundern. – Mit dem Le¬benswert von R. Olesch ist dessen Beitrag „Mittelniederdeutsch-dravänische interlinguale Kontakte. Zur Frage naturaler und translatorischer Interferenz“ (S. 347-359) verbunden. Es geht dabei vor allem um Fragen des sprachlichen Transfers aus dem Niederdeutschen in das Dravänische. Die Kontakte zwischen beiden Sprachen werden anhand von Fremdwörtern, Entlehnungen, Lehnübernahmen und Lehnübersetzungen diskutiert. Die Forschungen R. Oleschs zum Dravänopolabischen wirkten auch ein auf zwei unlängst erschienene Sammel¬bände, die zeigen, daß das Interesse an der untergegangenen westslavischen Sprache unge¬brochen ist: man vergleiche Wendland und Altmark in historischer und sprachwissenschaftlicher Sicht, hrsg. v. R. Schmidt, Lüneburg 1992, und Deutsch-slawischer Sprachkontakt im Lichte der Ortsnamen. Mit besonderer Berücksichtigung des Wendlandes. Hrsg. v. F. Debus, Neumünster 1993. – Dem „Nominativus Pluralis der Nomina in der polnischen und russischen Gegenwarts¬sprache“ wendet sich A. Pohl in seinem „Beitrag zur Morphonologie der Flexion in den slavi¬schen Sprachen“ (S. 361-386) zu. – Modus und Modalität diskutiert G. Ressel in dem Aufsatz „Die partikelbedingte modale Satzstruktur im Slavischen“ (S. 405-415). Im Zentrum stehen dabei die Verwendungsweisen von Partikeln, wie z.B. russ. ved‘, i und andere. – Aus verglei¬chender Sicht erörtert C. Sappok „Die syntagmatische Gliederung der Äußerung im Russi¬schen und im Polnischen“ (S. 435-452). Nach einer Begriffsbestimmung des Terminus „Syntagma“ (im Lichte der strukturellen Sprachwissenschaft) wendet er sich dem Roman Dol¬gie proÓ_anie des russischen Schriftstellers Ju. Trifonov zu und vergleicht damit eine polnische Übersetzung des Werkes. – Ähnlich strukturiert ist der Beitrag von H.W. Schaller „Vergleichende Aspekte der Textlinguistik des Russischen und anderer slavischer Sprachen“ (S. 453-464). Er kommt zu dem Ergebnis, daß „im Russischen, Polnischen und Bulgarischen durchaus ähnliche Prinzipien der Textbildung vorliegen“. Dabei lassen sich die Unterschiede „innerhalb der behandelten slavischen Sprachen … durchwegs auf die morphologisch-syntakti¬schen Besonderheiten im verbalen Bereich des Polnischen und im nominalen Bereich des Bulgarischen zurückführen“ (S. 464). – Einen wichtigen Beitrag zum Verhältnis des Sprachge¬brauchs im mittelalterlichen Rußland hat K.-D. Seemann geliefert. Unter dem Titel „Die ‚Diglossie‘ und die Systeme der sprachlichen Kommunikation im alten Rußland“ (S. 553-561). Der häufig angestellte Vergleich mit den Verhältnissen in Mitteleuropa, wo in bestimmten Lebensbereichen das Latein gegenüber den Volkssprachen dominierte, wird mit Recht relati¬viert: „In Rußland sind die ostslavischen Umgangssprachen und die südslavische Kultsprache sich zunächst noch so nah, daß das Kirchenslavische auch im nichtkirchlichen Bereich ange¬wendet wird“ (S. 560). – Dem dornigen Gebiet der Zahlwörter widmet K. Steinke seine Un¬tersuchung „Zur Syntax der Kardinalia im Russischen, Polnischen und Bulgarischen“ (S. 563-577). Ihre „Einordnung in das System der Wortarten [bereitet] der Sprachwissenschaft be¬trächtliche Schwierigkeiten“ (S. 563). Ohne auf Einzelheiten der Diskussion einzugehen, ver¬weise ich zusammenfassend auf die die Auseinandersetzungen zusammenfassende neuere Untersuchung von W.P. Schmid, Wort und Zahl. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen der Kardinalzahlwörter, Mainz-Wiesbaden 1989. Vermißt habe ich in K. Steinkes Beitrag aller¬dings die Berliner Dissertation von H. Liste, Das russische Grund- und Ordnungszahlwort in kontrastiver Darstellung zum Deutschen (1985). – In seiner Untersuchung zu den „Gewässernamen der Ukraine und ihre Bedeutung für die Urheimat der Slaven“ (S. 579-595) versucht J. Udolph in etwa das Gebiet zu umreißen, in dem vorslavische Hydronyme Slaven frühzeitig bekannt geworden sind und die für das Urslavische anzusetzenden Lautverände¬rungen noch wirksam waren. – Die slavischen Präpositionen stehen im Mittelpunkt der Aus¬führungen von C. Vasilev zu dem „ansatzhaften Analytismus im Slavischen. Die inneren Ver¬schiebungen“ (S. 597-616). – Schließlich ist noch der Beitrag von E. Wedel „Zur Entwicklung der konjunktionalen Hypotaxe im Russischen“ (S. 617-633) zu nennen, der der Habilitations¬schrift des Autors (Die konjunktionale Hypotaxe im Russischen des 16. Jhs., München 1967) aufbaut.

 

Das dem Andenken des polnischen Sprachwissenschaftlers Tadeusz Lehr-Sp³awiñski gewidmete Buch hat die Frage nach der Herkunft der Slaven, der zahlenmäßig reichsten Völkergruppe Europas, aus linguistischer Sicht zum Thema. Schon in der Einleitung (S. 7) wird die Annahme einer ras-sischen oder kulturellen Einheit der heutigen Slaven negiert. In der Konse-quenz bleibt letztlich die Sprache als bindendes Glied.

Die Arbeit besteht aus sieben Kapiteln, einem Anmerkungsteil (S. 420-438) und einer Bibliographie (S. 439-454).

In einer Einleitung (S. 7-34) geht es um zunächst um Fragen wie Ethnos (einschließlich der Etymologie des griechischen Wortes ièíïò) und Ethnizi-tät. Als wichtigste Komponenten werden dabei die Sprache und geistige Kul-tur angesehen. Die auch heute noch spürbare enge Verwandtschaft der slavi-schen Sprachen wird mit einigen Beispielen demonstriert. Es schließt sich ein knapper Überblick über die heutigen slavischen Sprachen und Staaten an. Der letzte Teil des ersten Kapitels ist Grundfragen und den Arbeitsweisen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft als der wichtigsten Disziplin für die anzugehenden Fragen gewidmet.

Der zweite Teil des Buches behandelt das Slavische (Proto-Slavische) innerhalb der idg. Sprachfamilie (S. 35-75). Bekannte Modelle wie das des Stammbaums und der Welle, Milewskis Vorschlag und Kury³owiczs Gedan-ken werden angesprochen. Mehr Aufmerksamkeit wird den baltisch-sla-visch-germanischen Gemeinsamkeiten und der heftig umstrittenen Frage einer balto-slavischen Zwischenstufe gewidmet. Vermißt habe ich dabei die Berücksichtigung der kritischen Stellungnahme von W.P. Schmid im Real-lexikon der Germanischen Altertumskunde s.v. Baltoslawische Sprachein-heit. Der Autor hält die Übereinstimmungen zwischen beiden Sprachgrup-pen für belastbar. Er steht damit im Widerspruch zu den Aussagen der Hy-dronymie: wenn es wirklich eine länger andauernde Phase gemeinsamer Entwicklung gegeben hätte, müßte diese dort ihren Niederschlag gefunden haben. Doch weder die Aufarbeitung der einzelsprachlichen slavischen und baltischen Gewässernamen, noch die Untersuchung der vorslavischen Schicht in Polen hat bisher einen sicheren Hinweis auf eine balto-slavische Zwischenstufe erbracht. Kann man darüber kommentarlos hinweg gehen?

Unberücksichtigt bleibt die Onomastik auch im Fall des Germanischen (S. 58ff.). An das bekannte Zitat von S. Feist, wonach ein Drittel des ger-manischen Wortschatzes nicht etymologisierbar und mit einem Substrat zu rechnen sei, schließt Go³¹b die Bemerkung an: „In my opinion the non- or pre-IE substratum in Germanic could be the megalithic culture of the North Sea (i.e., its people!)“ (S. 60). Neuere onomastische Untersuchungen zei-gen, daß der Nachweis eines voridg. Substrates im Altsiedelgebiet des Ger-manischen bisher aussteht. Ebenso wird vom Autor der finno-ugrische Ein-fluß auf das Baltische überschätzt. Auch hier zeigt die Toponymie ein ganz anderes Bild.

Das zweite Kapitel beschließt eine Zusammenstellung slavischer und iranischer (vor allem nordiranischer) Gemeinsamkeiten, die ausreichen sollen, das Slavische zwischen Baltisch und Iranisch zu legen, „probably not only linguistically, but also geographically“ (S. 75).

Kapitel III hat die Schichtung (stratification) des „proto-slavischen“ Wortschatzes zum Inhalt (S. 76-186). Zunächst werden die mutmaßlichen „Kentum-Elemente“ im Slavischen (S. 79-86) aufgelistet. Sie werden zum Anlaß genommen, bei der Herausbildung des Slavischen mit zwei ethni-schen Gruppen zu rechnen, wobei der Satem-Einfluß („moving from the east?“) als Superstrat einem Kentum-Substrat gegenüber gestellt wird. Des weiteren wird versucht, die Kentum-Elemente in chronologisch differie-rende Schichten einzuteilen. Geht man hingegen von einer wellenartig aus dem Osten vordringenden Satemisierung aus, die ja auch das Baltische um-faßt hat, so lösen sich die Probleme ganz anders  und – wie ich meine – ein-facher auf. Auch Annahmen wie die, daß die späte Tripolje-Kultur der west-lichen Ukraine „was a kentum substratum absorbed by the satem ancestors of the Slavs“ sind dann unnötig.

Einen weiteren Abschnitt bildet die Frage der Beziehungen zwischen dem „Balto-Slavischen“ und Arischen. Listen von Wortentsprechungen (S. 93-107) werden als Beweis für enge Nachbarschaft zwischen diesen Sprach-gruppen herangezogen. Es schließt sich die Diskussion der Kontakte zum Italischen und Keltischen, vor allem mit Martynovs Arbeiten, an (S. 110ff.). Von Bedeutung ist m.E. vor allem die Diskussion der Gemeinsamkeiten zwischen dem Baltischen, Slavischen und Germanischen (S. 127-140), an die sich germanisch-slavische (S. 140ff.) und slavisch-baltische (S. 157ff.) anschließen.

Das Ergebnis der Wortschatzuntersuchungen für die Schichtung des sla-vischen Wortschatzes bietet Go³¹b in einem Diagramm (S. 173). Ein altes Satem-Gebiet wurde von älteren und jüngeren Kentum-Elementen überla-gert, balto-slavisch-iranische Spuren sind vor slavisch-iranischen zu erken-nen, etwas jünger sind wohl „nordwestidg.“ [(balto)-slav.-germ.-kelt.-ital.] Spuren, die überlagert wurden von balt.-slav.-germ. Elementen. Die letzten Schichten entstammen einer slav.-germ. Periode (auf „venetischem“ Sub-strat?), bevor ein großer Anteil balt.-slav. Neuerungen erkennbar wird. Den Abschluß bilden urslav. Innovationen.

Eine Verbreitungskarte (S. 186) veranschaulicht die Diskussion. Die Lo-kalisierungen verschiedener idg. Dialekte sind äußerst strittig, wenn nicht völlig unannehmbar: „Pre-Germanic“ am oberen Dnjepr, „Pre-Italo-Celtic“ am Südlichen Bug, „Pre-Slavic“ im Gebiet des oberen Don u.a.m.

Das vierte Kapitel ist dem Problem der idg. Urheimat gewidmet (S. 188). Das mutmaßliche Aussehen des in Frage kommenden Gebietes, seine geogra-phischen Verhältnisse, Klima, Flora, Fauna werden anhand des Wortschatzes umrissen. Daneben werden Wörter aus der landwirtschaftlichen Terminologie herangezogen. Buche und Lachs fehlen natürlich nicht.

Da Go³¹b sich aber dessen wohl bewußt ist, daß die Auflistung des Wortschatzes nicht ausreicht, um zu einer Lokalisierung zu gelangen, be-zieht er die Toponymie in seine Überlegungen ein. Die wichtigsten Zeugen sieht er mit H. Krahe und W.P. Schmid in den Gewässernamen. Von beson-derer Bedeutung ist für Go³¹b die Beobachtung von Schmid, daß sich die alteuropäische Hydronymie südlich des Pripjet’ nicht nachweisen lasse. Dort aber habe man die slavische Urheimat immer gesucht. Zur weiteren Diskus-sion wird auf das nächste Kapitel (s.u.) verwiesen. Zuvor werden die Namen der größten Flüsse zwischen Rhein und Wolga angesprochen. Die dabei vor-geschlagene Etymologie der Oder aus *O-dür-a ist unannehmbar.

Die für den Namenforscher vielleicht wichtigsten Passagen stehen im An-schluß daran (S. 225f.): hier wird der alteuropäischen Hydronymie attestiert, daß die Namen im allgemeinen keiner idg. Einzelsprache oder einer Sprach-gemeinschaft zugeordnet werden können. Ihr hohes Alter sei außer jedem Zweifel. Am idg. Charakter der Namengebung zwischen – grob gesprochen – Wolga und Rhein bzw. den Gebieten am Mittelmeer und Skandinavien sei nicht zu zweifeln. Neu ist dagegen Go³¹bs Versuch, mit Hilfe der Hydrony-mie die Richtung der idg. Expansion zu ermitteln. Er sucht dabei Hilfe in der Schichtung der alteuropäischen Hydronymie, die in verschiedenen Ge-bieten Europas differiere. So sei die Dichte (density) im Osten höher als im Westen, denn im Dnjepr-Gebiet könne man konstatieren: indogermanische (= alteuropäische), baltische, slavische und indo-iranische Namen hätten einander abgelöst, während im Westen nur zwei Schichten auszumachen seien, nämlich eine idg.-alteuropäische und eine keltische. Im slavischen Gebiet könne die dichteste Schichtung ermittelt werden, „namely: ‘old-European’ or general Indo-European, Baltic, ‘Illyrian’ or Thracian, Slavic, Iranian“ (S. 226). Daraus sei der Schluß zu ziehen: „Such a stratification of IE hydronyms can be interpreted only as evidence for gradual migrations of different IE ethno-linguistic groups from the east westward, …“ (ebda.). Als weiterer Beweis werden mutmaßliche idg.-finno-ugrische Kontakte (zu-meist basierend auf dem Material von A.J. Joki) vorgeführt (S. 226-234).

Vergleicht man damit die Beziehungen idg. Sprachen mit dem Baskischen (S. 235), die nur auf bereits einzelsprachlicher Basis erklärt werden können, so kann die idg. Heimat nicht in Zentraleuropa sondern nur im Osten, in der Ukraine und Südrußland gesucht werden. Gerade hier aber vermutet man auch die Heimat des Slavischen  (Kapitel 5, S. 236-309). Go³¹b versucht eine Eingrenzung des ehemals slavischen Gebietes mit Hilfe der Hydrony-mie, der Baumbezeichnungen und der Ethnonymie zu erreichen. In dem breit angelegten Versuch werden u.a. Namen wie Wolhynien, Dunaj, Dnjepr, Dnjestr untersucht, die von Toporov und Trubaèev als baltisch er-klärten Gewässernamen südlich des Pripjet’ werden ebenso diskutiert wie die Namen der Beskiden, von Wis³a/Weichsel, Warta/Warthe, Bug, San, das Problem der Namen der Veneter wie auch Íåõñïß und Âïõäsíïé, das der slavischen Bezeichung der Buche, der Slavennamen selbst und vieles andere mehr (Zusammenfassung: S. 297ff.).

Eine detaillierte Kritik ist im Rahmen dieser Besprechung leider nicht möglich. Ich kann nur ganz allgemein darauf verweisen, daß die Bearbeitung der osteuropäischen Hydronymie in den letzten Jahren zu zahlreichen der von Go³¹b behandelten Namen neue Erkenntnisse erbracht hat (so etwa durch die genauere Prüfung der polnischen Gewässernamen), die nicht wenige Schlußfolgerungen des Autors nicht stützen. So läßt sich auch die These, das Slavische habe sich im Flußgebiet des oberen Don entwickelt (S. 300ff.) in keiner Weise durch die Hydronymie stützen. Die Aufarbeitung der Hy-dronymie nicht nur Osteuropas hat in den letzten Jahren so große Fort-schritte gemacht (erinnert sei nur an die Hydronymia Europaea mit jetzt schon zehn Bänden), daß die Arbeitsbasis Go³¹bs als nicht mehr aktuell bezeichnet werden muß.

Das 6. Kapitel ist den Beziehungen der Slaven mit ihren Nachbarn ge-widmet (S. 310-414). Es geht dabei um vorhistorische slavisch-iranische Kontakte (u.a. um das Problem des anlautenden ch- im Slavischen, um den Namen der Kroaten, den Götternamen Svarogú), um alte slavisch-germa-nische Berührungen (diskutiert werden z.B. der Name der Beskiden/ Bieszczady, der des Pe³tew/Poltva sowie die germanischen Lehnwörter im Slavischen [S. 362ff.]) und um slavisch-altaische Kontakte.

Das Schlußkapitel (S. 415-419) faßt die Ergebnisse der Untersuchung, die ich im wesentlichen schon skizziert habe, nochmals zusammen. Sie finden sich zum größten Teil auch in einer neueren Zusammenfassung des Autors wieder: Lehr-Sp³awiñski  redivivus versusque. Pochodzenie i praojczyzna S³owiañ w slawistyce ostatnich lat czterdziestu, Rocznik Slawistyczny 47(1991)3-40.

Das zweifellos wichtige Buch besitzt leider eine Reihe von Schwächen, die den Wert doch nicht unwesentlich mindern. Das ist umso bedauerlicher, als man Go³¹b nachhaltig zustimmen muß, daß die größte Bedeutung für die hier angeschnittenen Fragen den Ergebnissen der Sprachwissenschaft zu-kommt.

Entscheidene Fehler sehe ich u.a. in folgenden, z.T. schon angesproche-nen Punkten: 1. Die heute noch spürbare enge Verwandtschaft der slavischen Sprachen spricht gegen eine frühe Aufsplitterung, demnach ist für die Früh-zeit von einem relativ geschlossenen Sprachgebiet auszugehen. Eine „Urhei-mat“ darf eigentlich kein sehr großes Territorium umfassen. 2. Die postulier-te balto-slavische Zwischenstufe ist onomastisch nicht zu fassen; sie hat dem-nach nie existiert. 3. Ein angeblich nachweisbarer voridg. Anteil innerhalb des Germanischen ist abzulehnen. Die Hydronymie und Toponymie spricht da-gegen. 4. Die Lokalisierung der Proto-Germanen und anderer idg. Teilstäm-me im Oka-Dnjepr-Gebiet ist durch nichts gerechtfertigt. 5. Die von Go³¹b versuchte Schichtung innerhalb der alteuropäischen Hydronymie überzeugt nicht. So wertvoll dieser Versuch an und für sich ist, muß er – wenn er Erfolg haben will – an der Streuung der Namen, ihrer Ableitungsgrundlagen und der Bildungsmittel ansetzen. 6. Die Annahme alter idg.-finnougrischer Beziehun-gen ist überholt. 7. Die Diskussion vieler Gewässernamen geht von veralteten Grundlagen aus.

Die Arbeit Go³¹bs leidet noch unter einem anderen, benutzerunfreund-lichen Punkt: es fehlt ein Register der behandelten Wörter und Namen. Das Buch würde zukünftig weit mehr in die Diskussion einbezogen werden, wenn man rasch zu den entsprechenden Stellen geführt würde. So bleibt es jedem Benutzer selbst überlassen, eine Verzettelung oder Datenaufnahme durchzu-führen.

Nach der Pannonien-These Trubaèevs hat Z. Go³¹b nun das obere Don-Gebiet als Heimat slavischer Stämme ausmachen wollen. Nimmt man noch die letzten Arbeiten Schelesnikers hinzu, so wäre die südöstliche Ukraine zu favorisieren. Man fragt sich, warum man nicht dort nach Slavischem sucht, wo es die Toponymie anbietet: im Raum zwischen Pripjet’ und Karpaten sowie Dnjepr und unterer Weichsel. Hier finden sich alle slavischen Namen, die man sich nur wünschen kann. Ich sehe keinen Grund, dieses Gebiet ge-gen andere Territorien auszutauschen.

Der Nachdruck einer vor mehr als 100 Jahren erschienenen Arbeit wird im allgemeinen damit begründet, daß entscheidende Fortschritte in der Bearbeitung des Forschungsgebietes nicht erfolgt sind. Eine Begründung für die Neuauflage wird in dem Nachdruck jedoch nicht gegeben; ein Vor- oder Begleitwort fehlt. Gern hätte man erfahren, worin der Herausgeber die wesentlichen Mängel sieht, die ihn zu dem Vorhaben veranlaßt haben.

Eine Besprechung des Werkes wird sich daher weniger mit Einzelheiten befassen als vielmehr der Frage nachgehen, warum die Bearbeitung der Topony¬mie Thüringens nicht ähnliche Fortschritte aufzuweisen hat wie etwa die Sachsens, Brandenburgs und anderer Länder. Dennoch sei zunächst der Inhalt des Buches kurz umrissen.

Die Arbeit wurde angeregt von der bekannten (und später oft – vielleicht etwas zu Unrecht – kritisierten) Untersuchung von W. Arnold über Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme. Sie enthält neben einem Vorwort (S. 1), ei¬nem Verzeichnis der Abkürzungen (S. 2) und einer Einleitung (S. 3-5) eine halb¬seitige Darstellung mutmaßlich keltischer Namen (S. 5) sowie in dem Hauptteil (S. 5-144) „Ortsnamen aus germanischer Zeit“. Dieser zerfällt in Namen einer „ersten Periode“ (S. 5-37), die Suffixbildungen mit  aha,  mar,  loh,  tar,  lar,  en,  el,  er,  a,  ern,  ari und  ede/ idi behandelt. Der „zweiten Periode“ (S. 37-114) werden zuge¬rechnet Bildungen mit  leben,  stedt,  ingen/ ungen,  ig/ ich,  au,  bach,  born/ brunn,  berg/ burg,  feld,  wiese,  süß,  furt,  brücke,  see,  münde,  wald,  strut,  holz,  forst,  bur,  hofen,  hof,  dorf,  heim,  hausen, Genitivische Personennamen und Namen auf is. Die „dritte Periode“ enthält das Material zu  thal,  rode,  ried,  hagen/ hain,  ses/ sis,  stein, kirchen,  zelle,  wenden/ winden,  itz,  iz/ izze,  winkel,  hard,  wurf/ werfen,  grube und  garten. Die „Schlußbemerkungen“ (S. 144-156) widmen sich vor allem der unterschiedlichen Streuung der Grundwörter und Suffixe und enthalten (in der Nachfolge von W. Arnold) den Versuch einer siedlungsge¬schichtlichen Interpretation. Den Abschluß bilden Anhang I (S. 157-165), in dem die auffälligen Ortsnamen Kalten-, Kreuz-, Hohen- und Tahlebra, Ober-, Niedergebra und Nebra, Brüchter, Holz-, Feld-, Wester- und Kirchengel, Heilingen, Gebesee und Königsee einer gesonderten Prüfung unterzogen werden, Anhang II (S. 166-177), der einen knappen Abriß der geographischen Terminologie Thüringens bietet, und Anhang III (S. 178-198), der den alten Grenzen Thüringens gewidmet ist. „Zusätze und Berichtigungen“ (S. 198), „Weitere Zusätze und Berichtigungen“ (S. 199), eine Inhaltsübersicht und ein Ortsnamenregister (mit falscher Paginierung 199-213 statt 201-215) sowie eine wichtige Wüstungskarte Thüringens (im Anhang) beschließen den Band.

Allein dieser Überblick zeigt die Bedeutung der Toponymie Thüringens nicht nur für die gesamtdeutsche Namenforschung, sondern darüber hinaus für die Germania überhaupt. Namenelemente wie  aha,  mar,  loh,  lar,  el,  er,  ede/ idi,  leben,  ingen/ ungen,  strut können nur aus einem gemeingermanischen Blickwinkel heraus zufriedenstellend bearbeitet werden. Zu jedem dieser Bestandteile könnte aus namenkundlicher Sicht ein langer Kommentar unter Einbeziehung neuer Er¬gebnisse geboten werden, der hier natürlich unterbleiben muß. Aber der Blick sollte sogar über das Germanische hinaus gerichtet werden: so verfehlt auch Wer¬neburgs „keltomanischer“ Zug sein mag (S. 5), an der Berücksichtigung außerger¬manischer Schwesterdialekte (vor allem des Ostens) wird man bei der Untersu¬chung der thüringischen Ortsnamen nicht umhin können. Namen wie Kösen, Tru¬sen, Körner, Mehler, Reiser, Gebra, Monra, Nebra können allein aus dem Germani¬schen heraus nicht gelöst werden.

Diese knappen Bemerkungen mögen bereits zeigen, welch außerordentlich bedeutsames Untersuchungsgebiet die Ortsnamen Thüringens darstellen. Der Nachdruck ist vor allem deshalb zu begrüßen, weil eine zusammenfassende Dar¬stellung des thüringischen Ortsnamenschatzes bis heute fehlt. Dafür prädestiniert wäre H. Walther (Leipzig), der dieses Gebiet sowohl in seiner Habilitationsschrift Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsgeschichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9. Jahrhunderts (Berlin 1971) wie in zahlreichen Aufsätzen und Be¬sprechungen (jetzt bequem zugänglich in dem Sammelband Zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte Sachsen und Thüringens, Leipzig 1993) kompetent behandelt hat. Sein Urteil über den hier besprochenen Nachdruck sei daher auch an dieser Stelle angeführt: „… vor und nach W[erneburg] hat kein Gelehrter eine so umfas¬sende Darstellung des thüringischen Siedlungsnamengutes wieder unternommen“ (Namenkundliche Informationen 46,1984,68). Leider gilt dieses auch heute noch, zehn Jahre nach Veröffentlichung dieser Besprechung.

Die eingangs gestellte Frage, warum die Bearbeitung der Toponymie Thü¬ringens nicht ähnliche Fortschritte aufzuweisen hat wie etwa die Sachsens, Bran¬denburgs und anderer Länder, ist wohl forschungsgeschichtlich begründet. Die Arbeiten der Leipziger Schule und des Berliner Arbeitskreises hatten zunächst den Auftrag, das slavisch-deutsche Kontaktgebiet toponymisch zu bearbeiten. Teile Thüringens und Sachsen-Anhalts wurden von den Slaven nicht mehr er¬reicht. Hier dominiert die germanisch-deutsche Namengebung, die zunächst nicht im Zentrum des Interesses stand. Nun aber, nach der fortgeschrittenen Aufarbei¬tung des slavischen Siedlungsgebietes, wird man sich auch den westlich angrenzen¬den Landstrichen zuwenden können und müssen.

Der Rezensent schließt daher mit dem Wunsch, daß ein weiterer Abdruck von Werneburgs thüringischem Ortsnamenbuch durch eine gründliche Neubear¬beitung des Gebietes überflüssig gemacht werden möge. Die großen Fortschritte der Namenforschung (alteuropäische Hydronymie, gesamtgermanischer Blickwin¬kel) sollten darin dann einfließen. Bis dahin aber wird man bei der Suche nach der Deutung eines thüringischen Ortsnamens noch immer zu Werneburg greifen (müssen).

Der 19. Band der Onomastica Slavogermanica, der dem bekannten Leipziger Namenforscher HANS WALTHER zum 70. Geburtstag gewidmet ist, vereint gewichtige und für die Namen- und Siedlungsgeschichte des deutsch-slavischen Kontaktgebietes bedeutsame Abhandlungen in sich. Er enthält neben einem Vorwort und einer Lautatio auf den Jubilar von ERNST EICHLER (S. 5-8) die folgenden Untersuchungen: JOACHIM HERMANN, Wilte – Haefeldan/Aefeldan und Osti. Zu Namen und Wohnsitzen slawischer Stämme in der angelsächsischen Völkerliste König Alfreds aus dem Ende des 9. Jahrhunderts (S. 9-15); HANSJÜRGEN BRACHMANN, Als aber die Austrasier das castrum Wogastisburc belagerten … (Fredegar IV 68) (S. 17-33); THORSTEN ANDERSSON, Gräber, Siedlungsnamen und Namenwechsel. Vorgeschichtliche Gräber als Namenspender (S. 35-37); WALTER SAGE, Zur Bedeutung des Bamberger Domberges für die Geschichte des Obermaingebietes im frühen Mittelalter (S. 39-50); HANS JAKOB, Eine deutsch-slawische Symbiose in der Ellernbach-Talschaft nordöstlich von Bamberg (S. 51-66); FRIEDHELM DEBUS und ANTJE SCHMITZ, Die slawisch-deutschen Mischnamen im ost- und südholsteinischen Siedlungsgebiet (S. 67-76); EIKE GRINGMUTH-DALLMER, Deutsch und Wendisch – Groß und Klein. Zur siedlungsgeschichtlichen Aussage von Ortsnamen mit unterscheidenden Zusätzen in der Mark Brandenburg (S. 77-89); GERHARD SCHLIMPERT, Zu den sogenannten Mischnamen in Brandenburg (S. 91-97); SOPHIE WAUER, Die Wiedergabe slawischer Stammes- und Landschaftsnamen im Deutschen (S. 99-103); KARLHEINZ HENGST, Namenforschung, slawisch-deutscher Sprachkontakt und frühe slawische Sprachstudien im Elbe-Saale-Grenzraum (S. 105-115); VOLKMAR HELLFRITZSCH, Zum Verhältnis von Name und Bild in den Städtewappen der DDR (S. 117-127); ERNST-MICHAEL CHRISTOPH, Beobachtungen zum aktuellen Flurnamengebrauch (auf Karten) (S. 129-135); FRITZ-PETER SCHERF, Varianten der Identifizierung agrartoponymischer Einheiten in schriftlichen Kommunikationsformen (S. 137-146); WOLF-ARMIN FRHR. VON REITZENSTEIN, Ortsnamen mit Sachs(en) in Bayern (S. 147-160); RUDOLF _RÂMEK, Der Name Walter in den tschechischen Personen- und Ortsnamen (S. 161-175); WILFRIED SEIBICKE, Schichten slawischer Vornamen im Deutschen (S. 177-189); WALTER WENZEL, Interessante sorbische Personennamen (S. 191-196); ERNST EICHLER, Probleme namenkundlicher Etymologie in slawischen Ortsnamen, Teil VI: Wissepuig bei Thietmar (S. 197-199); INGE BILY, Zum altsorbischen appellativischen Wortschatz in Toponymen. III: Zu einigen aus den Kulturnamen des Mittelelbegebietes erschlossenen Appellativa (S. 201-208); ELKE SASS, Schriftsprachliche und mundartliche Ortsnamenformen mit -we (-weh) im Raum um Zeitz/Weißenfels (S. 209-211); JOHANNES SCHULTHEIS, (Mönche-)Nienburg – Osternienburg – Walternienburg (S. 213-217); FRIEDHELM HINZE, Zur Etymologie des Flur- und Siedlungsnamens dt. Rixhöft/pom. Rozéft/poln. Rózewie (S. 219-223); HEINZ ROSENKRANZ, Das thüringische Sumpfwort Pfrusch (S. 225-230); HORST NAUMANN, Eigennamen, Sprachgeschichte und Geschichtsbewußtsein (S. 231-242). Eine Zusammenstellung der namenkundlichen und regionalgeschichtlichen Arbeiten von HANS WALTHER für die Jahre 1971-1988 (S. 243-248; zusammengestellt von LUTZ JACOB) und ein Allgemeines Abkürzungsverzeichnis von JOHANNES SCHULTHEIS (S. 249-257) beschließen den Band.

Im Rahmen dieser Besprechung ist es nicht möglich, auf alle Beiträge näher einzugehen. Ich habe eine Auswahl getroffen und will die meines Erachtens für den Leser der ZDL. wichtigsten Abhandlungen kurz vorstellen und gegebenenfalls kommentieren.

Wie JOACHIM HERMANNs Beitrag (S. 9-15) zeigt, reizt die Orosius-Liste König Alfreds immer wieder zu neuen Versuchen. Dem Autor geht es dabei unter anderem um die Auseinandersetzung mit Thesen von LOTHAR DRALLE, Slaven an Havel und Spree (1981) und die Frage nach der Bedeutung der Hevellerfürsten sowie die Gleichsetzung von Wilzen und Hevellern. Dieses lehnt er ab und sieht statt dessen in den Wilti/Weletaben die Aefeldan/Haefeldan der angelsächsischen Quelle. In diesem Zusammenhang wird als éin Argument angeführt: „Schließlich leiteten sich die Angelsachsen aus dem Gebiet an der unteren Elbe her, und diese Verbindungen blieben über Jahrhunderte bestehen“ (S. 10). Wie falsch diese – allerdings weit verbreitete – Ansicht ist, wird eine namenkundliche Untersuchung zeigen, die Namen des Kontinents mit denen Englands vergleicht. Man hat viel zu sehr den schon immer umstrittenen Passagen Bedas vertraut und die vergleichende Analyse von Orts- und Gewässernamen vernachlässigt. Daher ist auch den weiteren Folgerungen HERMANNs, so etwa der Interpretation der Osti als *Ostrov’ane „Insel-, Küstenleute“ mit großer Vorsicht zu begegnen, eher wird man diesen Versuch ablehnen müssen. Da auch die Herleitung der Osti aus slavisch *Ust’jane „Leute an der Mündung (der Peene oder Dievenow) auch nach HERMANN strittig ist, schlägt der Autor die Gleichung Osti = „Bewohner von Rügen“ vor. Das halte ich angesichts der Tatsache, daß der auf dem bis heute bewahrten Inselnamen aufbauende antike Name der Bewohner ganz anders lautete, für höchst bedenklich.

Ein „Dauerbrenner“ ist natürlich auch Fredegars Bericht über das Reich des Samo und das sich daraus ergebende Problem der Lokalisierung der Wogastisburc, dem sich H. BRACHMANN zuwendet (S. 17-33). Nach Darlegung der Forschungssituation (vornehmlich aus archäologischer Sicht) unternimmt er keinen neuen Versuch, sondern glaubt an eine Lösung nur mit Hilfe interdisziplinärer Bemühungen, wobei „der Namenkunde offensichtlich eine bedeutende Rolle zukommt“ (S. 28). Von Seiten der Archäologie geht darauf auch W. Sage in seinem Beitrag über die Bedeutung des Bamberger Domberges für die Geschichte des Obermaingebietes im frühen Mittelalter (S. 39-50) ein. Nordostbayern (und am Rand auch die Frage nach der Wogastisburg) steht auch im Zentrum des Beitrages von H. JAKOB (S. 51-66). Bei der Frage, auf welchen Wegen die Slaven dieses Gebiet erreicht haben, wird die Meinung vertreten, daß mit einem Vorstoß vom Donaugebiet kommend durch die Mährische Pforte in das Odertal zu rechnen sei und es eine verhältnismäßig rasche Migration von Slaven vom Balkan aus gegeben habe. Diese, vor allem auf H. Kunstmann aufbauende These, ist im Lichte der Namenforschung entschieden abzulehnen. Auch die in diesem Zusammenhang vertretene These, der ON. Naisa verdanke seine Benennung Umsiedlern aus Naissus (NiÓ), ist aus der Luft gegriffen.

Mehr Vertrauen verdient die namenkundliche Analyse der Ortsnamen der Ellernbach-Talschaft nordöstlich von Bamberg, in der slavische und deutsche Ortsnamen nebeneinander auftreten und die es erlauben, daraus siedlungsgeschichtliche Ergebnisse zu ziehen. Als kleine Ergänzung sei vermerkt, daß der noch ungeklärte ON. Ludwag, a. 1237 Luodebach, 1290 Ludebach, eine Entsprechung in dem Harzbach und -ort Lonau finden kann, dessen alte Belege a. 1260 silvam nostram Lodenowe et Stenowe, nominibus fluminum sic vocatam; que de Lodenowe et Stenowe separata noscitur et divisa die Verbindung mit mnd. lôde „Jahres-Schößling, Sproß, Zweig“ + au, ouwe nahe legen.

Slavisch-deutsche Symbiose lassen die sogenannten Mischnamen erkennen, denen sich auch H. WALTHER gewidmet hat. F. DEBUS und A. SCHMITZ legen eine Auflistung dieses Typus aus dem ost- und südholsteinischen Siedlungsgebiet vor (S. 67-76), der viel zu früh verstorbene Berliner Namenforscher G. SCHLIMPERT hat sich in einer seiner letzten Arbeiten den brandenburgischen Entsprechungen zugewandt. (S. 91-97). Auch die mit den unterscheidenden Zusätzen Deutsch, Wendisch, Groß und Klein versehenen Siedlungsnamen in der Mark Brandenburg (E. GRINGMUTH-DALLMER, S. 77-89) weisen auf enge Kontakte zwischen Deutschen und Slaven. Dabei ist von Bedeutung, daß die „sprachliche Herkunft der Namen und [die] Gesamtverbreitung … einen starken slawischen Anteil an der Entstehung der Dörfer“ belegen (S. 83).

In seinem Beitrag beschäftigt sich K. HENGST mit der Frage, inwieweit die deutschen Schreiber des 9.-13. Jahrhunderts Kenntnisse des Slavischen besaßen und wie ihre Niederschrift slavischer Namen aufzufassen ist (S. 105-115). In Corvey dürfte es eine Unterweisung in slavischer Sprache und Kultur gegeben haben; für Braunschweig, Lüneburg und Hamburg bedarf die Frage noch weiterer Untersuchung.

Die „Ortsnamen mit Sachs(en) in Bayern“ hat W.-A. FRHR. V. REITZENSTEIN zusammengestellt (S. 147-160). Das durch sorgfältige Urkundenstudien gestützte Material enthält nur wenige strittige Fälle. Einer davon ist der ON. Sachsbach bei Ansbach, dessen ältere Belege (a. 1152 Sahspach usw.) keine Verbindung mit dem Sachsen-Namen erlauben. V. REITZENSTEINs Zweifel an E. FÖRSTEMANNs Vorschlag, darin germ. sahs „Stein, Fels“ zu sehen, da diese Bedeutung nicht belegt sei, wird vielleicht etwas gemildet durch den Hinweis auf Bad Sachsa am Südrand des Harzes, a. 1219 Henricus de Saxa, a. 1232 Henricus de Sassa usw., das in der Nähe der (ehemaligen) Sachsenburg liegt, die ihrerseits auf dem Sachsenstein zwischen Bad Sachsa und Walkenried stand und a. 1132 als Sassinburc erwähnt wurde, sowie auf Ober- und Niedersachswerfen östlich von Bad Sachsa, von denen der zweite Ort in unmittelbarer Nähe des Kohnsteins liegt, der 1127 als Saswerpe erscheint. – In einer ganz ähnlich gelagerten Studie hat v. REITZENSTEIN inzwischen eine Art Ergänzung vorgelegt und in einem ausführlichen Beitrag die Ortsnamen mit Windisch/Winden in Bayern behandelt (Blätter für oberdeutsche Namenforschung 28/29,1991/92, S. 3-76).

Interessante sorbische Personennamen behandelt W. WENZEL (S. 191-196), während E. EICHLER eine Deutung für den bei Thietmar von Merseburg erwähnten Ortsnamen Wissepuig versucht (S. 197-199). I. BILY stellt in ihrem Beitrag altsorbische Appellativa aus den Kulturnamen des Mittelelbegebietes vor (S. 201-208). Zu dem in diesem Zusammenhang genannten slavischen Wort *pre-volk- „Schleppstelle; Landenge zwischen zwei Flüssen, über die Boote geschleppt werden müssen“, das u.a. im Priwall bei Travemünde vorliegt, vgl. die Zusammenstellung (mit Kartierung) des Rezensenten in: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit, Teil IV, Göttingen 1987, S. 599-606.

Interessante Beobachtungen für das Wechselspiel zwischen mundartlicher Lautung und amtlicher Namensform hat E. SASS in ihrem kleinen Beitrag über Ortsnamenformen mit -we (-weh) im Raum um Zeitz/Weißenfels (S. 209-211) gemacht. Ausgangspunkt der Erscheinung dürfte der altsorbische Lokativ auf -ovÄ gewesen sein; erst später trat deutscher Einfluß hinzu.

F. HINZE hat sich in seiner Abhandlung einem Namen zugewandt, der kurz zuvor schon von verschiedenen Seiten behandelt worden ist. Es geht um den Flur- und Siedlungsnamen dt. Rixhöft/pom. Rozéft/poln. Rózewie nordwestlich der Halbinsel Hela (S. 219-223), in dem W. BRAUER (Prußische Siedlungen westlich der Weichsel, Siegen 1983) und andere einen Rest germanischer Siedlung sehen wollen. Ich habe diese Auffassung (auf die F. HINZE nicht eingeht) an anderer Stelle zurückgewiesen und den Namen zu dt. Haupt, ndt. höved „stark vorspringende Landspitze, Vorgebirge“ und (zweifelnd) ZU mndt. râs „heftige Strömung“ gestellt. Auch F. HINZE zieht deutsche Herkunft vor und sieht im zweiten Teil wohl zutreffend mnd. rose, ruse = kalkrose „Kalkröste, ein Stoß von Kalksteinen und Holz, schichtweise aufeinandergesetzt zum Behuf des Kalkbrennens“, wobei entrundete Formen wie -rese in Ortsnamen Pommerns schon seit dem 13. Jahrhundert begegnen. Hier anzuschließen ist auch der neuerdings weithin bekannt gewordene Ortsname Kalkriese bei Bramsche, bei dem mit guten Gründen der Ort der Varusschlacht gesucht wird. Ein germanisches Relikt darf in Rixhöft jedenfalls nicht mehr vermutet werden.

Ein scheinbar nicht sehr inhaltsreiches Wort greift H. ROSENKRANZ mit seinen Gedanken zum thüringischen Sumpfwort Pfrusch auf (S. 225-230). Seit den Überlegungen H. KRAHEs hat man jedoch zu beachten, daß den sogenannten „Wasserwörtern“ – gleich welcher Sprache – erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Das thüringische Wort steht in Komposita häufig in Verbindung mit Bezeichnungen für „schwanken, zittern“ und weist daher auf eine Grundbedeutung „Boden, der beim Betreten ins Schwanken gerät“, meist „ein mit schwacher Grasnarbe überwachsenes Moorloch“. H. ROSENKRANZ hat auch davon abgeleitete Flurnamen herangezogen und es mit dem allgemein verbreiteten „Frosch“-Wort verbunden. Im Gegensatz zu diesem bereitet jedoch „die Herleitung von mhd. pfruosch aus einer vorgerm. Wurzel *prôsk- … Schwierigkeiten, weil in der germanischen Lautverschiebung anlautendes p- durch f- ersetzt werden muß“ (S. 230). Der Autor glaubt, dieses Problem durch Einfluß anderer mit pf- anlautenden thüringischen Dialektwörtern klären zu können. Es gibt jedoch noch eine ganz andere Möglichkeit, die z.B. anhand der immer wieder diskutierten Fälle Pfad – altind. panthâh, pathah, sowie Pflug und Pfote und anderen Wörtern erwogen worden ist: eine Art Distanzbeeinflussung, die ähnlich wie das Hauchdissimilationsgesetz im Griechischen zu einer Differenzierung von benachbarten Tenues geführt haben könnte. In diesem Fall lägen im Germanischen mit dt. Frosch und thüringisch Pfrusch beide Fälle vor – und das ist gerade im Bereich des Konsonantismus durchaus keine isolierte Erscheinung: man vergleiche ahd. spehôn „spähen“ : aisl. spakr „klug, vorsichtig, vorsehend“; aisl. suig, suige, sueigr „Kurve, Bogen, Rute“ : ahd. swîhhôn „scheifen“; ahd. ringan „drehen, winden“ : ahd. renki „Drehung“; ahd. slango „Schlange“ : mhd. schlank; ahd. swingan : swenken „schlagen“ u.a.m. Man sieht, welch weitreichende Konsequenzen die eingehende Diskussion eines Wasserwortes mit sich bringen kann.

Den Abschluß des Bandes bildet der Beitrag von H. NAUMANN, Eigennamen, Sprachgeschichte und Geschichtsbewußtsein (S. 231-242). Er enthält wichtige Bemerkungen zur Bedeutung der Onomastik für die Geschichts- und Sprachwissenschaft. Meines Erachtens zu zurückhaltend sind die beiden letzten Sätze formuliert: „Wenn die Namenforschung … wieder … als Hilfswissenschaft oder als Dienstleistungsbereich fungiert, hat das nichts Diskriminierendes an sich. Im Gegenteil. Heute ist jede Wissenschaft so viel wert, wie sie zur Erkenntnisgewinnung und zum Nutzen der Allgemeinheit beiträgt oder wie sie mit konkreten Erkenntnissen andere Wissenschaftsdisziplinen bereichert und anregt“. Ich möchte dagegen setzen: es gibt Problemkreise, die vor allem und gelegentlich nur mit Hilfe der Namenforschung erfolgreich angegangen werden können. Ein Beispiel: könnte man die Westgrenze slavischer Besiedlung in Deutschland ohne Kenntnis der Orts-, Gewässer- und Flurnamen wirklich so exakt bestimmen, wie auf allen Karten ersichtlich? Oder: woher nimmt man die Gewißheit zu behaupten, daß Slaven z.B. in Südwestdeutschland siedelten oder angesiedelt wurden, wenn nicht Orts-, Flur- und Personennamen davon Zeugnis ablegten? Daß auch die Frühgeschichte des Germanischen durch eine intensive Untersuchung der Hydro- und Toponyme aus einer gesamtgermanischen Sicht neue Konturen erhält, wird an anderer Stelle ausführlicher darzulegen sein. Wenn wir über die slavisch-deutsche Symbiose aus onomastischem Blickwinkel schon viel wissen, so ist dieses auch HANS WALTHER zu verdanken, dem dieser interessante Band gewidmet ist.

Bei der Untersuchung vorslavischer Gewässernamen in Polen  hatte ich auch den Namen des ca. 80 km langen rechten Zuflusses der Oder, den der Olše, poln. Olza, behandelt . Urkundli-che Belege des Flußnamens  (1290 Olzam, 1450 Olzam usw.), des an der Einmündung in die Oder liegenden polnischen Ortsnamens Olza, dt. Olsau (1435 Olse, Olsa usw.) sowie der Na-me der Olecka, eines rechten Nebenflusses der Olza, einschließlich dem des daran liegenden Ortes Olecki, sind am ehesten unter einer slavischen Grundform *Oliga zu vereinen . Die Entwicklung wird am ehesten wie folgt anzusetzen sein: *Oligã > *Olüga > *Olüdza > Ol-za. Dafür spricht unter anderem auch die für den Teschener Dialekt anzusetzende mundartli-che Entwicklung des Namens.

Ein Ansatz *Oligã widerspricht verschiedenen bisher vorgeschlagenen Etymologien, so etwa der Verbindung mit dem slavischen Erlenwort olše, olsza wie auch mit litauisch lìzas „Nest“ . Schon bald wurde aber von verschiedenen Namenforschern (T. Milewski, T. Lehr-Sp³awiñski, J. Stanislav, M. Rudnicki ) ein suffixales Element -g- angenommen und eine Verknüpfung mit einem im Hethitischen vermuteten Ansatz *ali- „weiß“ erwogen. Aber auch dieser Vorschlag muß als gescheitert betrachtet werden .
Der meines Erachtens überzeugendste Vorschlag zur Etymologie des Namens stammt von J. Rozwadowski . Unter Annahme eines vorslavischen Ansatzes *Aligã stellt der polnische Lin-guist den Namen der Olše/Olza in Verbindung mit mutmaßlichen verwandten Namen wie Alge in Kurland, Alg-upis im Memel-Gebiet und anderen zu der in europäischen Gewässer-namen weit verbreiteten Wurzel *el-/*ol- „gießen, fließen“.

J. Rozwadowski hatte damit einen Weg eingeschlagen, der in ganz ähnlicher Weise später H. Krahe – von den Untersuchungen des polnischen Sprachwissenschaftlers unbeeinflußt – dazu geführt hat, aufgrund eines fast ganz Europa umspannenden Netzes von voreinzelsprachlichen Gewässernamen die Konzeption der von ihm so genannten Alteuropäischen Hydronymie zu entwickeln und durch zahlreiche Untersuchungen  zu untermauern.
Bei der Auflistung der Bildungsmöglichkeiten der dieser voreinzelsprachlichen Schicht zuzu-rechnenden Flußnamen nannte aber H. Krahe an verschiedenen Stellen unter anderem nur die Suffixe  m-, -n-, -r-, -l-, -nt-, -s-, -st-, -k- und -t- (um nur die einfachsten Formantien zu er-wähnen). Ein -g-haltiges Suffix hat er an keiner Stelle seiner Untersuchungen näher behandelt. Da dieses Element auch im appellativen Wortschatz des Slavischen kaum nachzuweisen ist, hatte sich T. Milewski gegen den Vorschlag von J. Rozwadowski gewandt, ein Suffix -ig- ansetzen zu können .
Dagegen können jedoch verschiedene Argumente vorgebracht werden.
Gerade eine Verbindung der Wurzel *el-/*ol- mit -g-haltigem Suffix (und auch schon als Er-weiterung der Wurzel, s. unten) ist gut bezeugt. Man vergleiche: Olga, Seename im Gebiet der Drwêca/Drewentz; Ol’ga, Gewässername im Gebiet des Vop’ (Weißrußland); Olega, Oleha, Gewässername im Gebiet des Sev. Donec; Lega, Legen Fluß, Oletzkofluß, Oberlaufname der Jegrznia/Jegrzna bei E³k/Lyck (Ostpreußen); Oloža, Nebenfluß der Protva im Gebiet der  Oka, Variante Aloža (wahrscheinlich unter Einfluß des Akanje entstandent), auf eine Grund-form *Ologiã zurückführbar .
Bei einigen dieser Namen ist nicht ganz sicher, ob man wirklich von einem suffixalen Ele-ment -g- ausgehen soll oder eher von einer Ableitungsbasis Alg- oder Olg-. Man beachte näm-lich die aus den indogermanischen Sprachen zu gewinnende Variante *el-g-/*ol-g- „modrig sein, faulen“ , wozu man u.a. stellen kann Algà, Alge, Algupys, Algupìs, Alguvà, Algasis, Algetos, Algaw in Ostpreußen, Litauen, Lettland, Kurland und Weißrußland . Darunter kön-nen sich auch einzelsprachlich aus dem Baltischen zu erklärende Namen befinden, denn im Lit. ist ein Appell. algç „Sumpfpflanze, Teucrim, Gamander“ bekannt.
Weiterhin sind zu nennen Algunštica, Gewässername im Vardargebiet, auf einen Ortsnamen Algunja zurückgehend, der seinerseits auf einem Flußnamen basiert , und Algae, im Itin. An-ton. erwähnter Ortsname in Etrurien , um nur die wichtigsten zu nennen .
Der bedeutendste wichtigste Name, in dem ein Ansatz *Al-g-a oder *Al-iga vermutet werden kann, ist aber der des größten Flusses in Europa, der der Wolga . Dieser alte Oberlaufname wurde Ostslaven erst bekannt, nachdem wichtige urslavische Lautveränderung bereits abge-schlossen waren; hinzu kommt wie im Namen des Volchov eine V-Prothese, die es wahr-scheinlich macht, daß der Name an Slaven tradiert worden ist, aber nicht von ihnen gegeben wurde.
Somit zeigt sich, daß die für den Flußnamen Olsze/Olza zweifelsfrei anzusetzende Grundform *Olüga < *Oligã < *Aliga im Namenbestand Osteuropas ihre Parallelen hat. Dabei steht au-ßer Frage, daß es sich um voreinzelsprachliche Bildungen handelt; es ist daher nicht zwingend notwendig, eine Bildung mit einem Sufix *-üg- im Slavischen (T. Milewski, vgl. oben) nach-zuweisen.
Hinzu kommt, daß gerade -g-haltige Suffixe sowohl im appellativischen Bestand wie im Na-menbestand Osteuropas gar nicht so selten sind. In aller Kürze verweise ich auf die Ausfüh-rungen im S³ownik Pras³owiañski, Bd. I, Warszawa 1974, S. 65ff. und von T.I. Vendina, Obšèeslavjanskij lingvistièeskij atlas 1978, S. 236ff. (für den Wortschatz) und auf das recht reichhaltige Namenmaterial aus der Ukraine und Weißrußland mit Namen wie Sinjuga, Lapu-ga, Ljaduga, Vadaga/Vedega, Vojmiga u.a.m. , auf Namen aus Litauen  und Lettland . Vereinzeltes (z.B. zu £om¿a, Romže und anderm) habe ich selbst an verschiedenen Stellen behandelt.

Von hieraus erhebt sich die Frage, ob nicht auch -g-haltige Suffixe im Bestand der mittel- und westeuropäischen Namen zu erwarten sind. Daß ihre Zahl geringer ist als in Osteuropa, darf angesichts des relativ spärlichen Nachweises z.B. im germanischen appellativischen Bestand  erwartet werden. Es nimmt daher auch nicht Wunder, daß man bei Namen aus dem germani-schen Raum, die ein -k-Element oder -Suffix enthalten und auf „normales“ idg. *-g- zurück-gehen könnten, zum Heilmittel eines unverschobenen gebliebenen Reliktes gegriffen hat. So geschehen etwa im Fall des Harzflusses Selke, in dem sowohl H. Kuhn  wie H. Krahe  ein unverschobenes -k- gesehen haben. H. Walther selbst  nimmt an, daß es sich eher um eine erst zu germanischer Zeit entstandene Bildung handeln wird. Ich denke, daß man sich damit nur unnötigen Schwierigkeiten aussetzt und ziehe vor, von einem normal verschobenen -g-haltigen Suffix auszugehen .
Sieht man sich in Nord- und Westdeutschland nach weiteren Namen um, die ein -k-haltiges Suffix enthalten und hier angeschlossen werden könnten, so findet man bei E. Förstemann  eine Gruppe von Ortsnamen, die ein -iki (o.ä.) enthalten könnten. Einige von ihnen haben auch Krahe-Meid  genannt. Hierunter befinden sich Bilk bei Düsseldorf, alt Bilici; Lierich bei Essen, alt Lieriki; Ermke bei Cloppenburg, alt Armika. Unbedingt hinzuzustellen ist auch der Ortsname Emmerke bei Hildesheim, Vita Meinwerci Embriki, zum Jahre 1079 Eymbri-ke , zwischen 1100 und 1200 In Embrike (2mal) , der nach E. Förstemann  zusammen mit Emmerke bei Marburg und anderen zu einem Ansatz *ambr-ik- gehört und ohne -ik-Element in etlichen Flußnamen wiederbegegnet (Amper, Emmer, Amern, Ammern, Ambergau), so daß an eine -r-Erweiterung zu altindisch ambhas, lateinisch imber „Regen“, griech. –ìâñïò usw. gedacht werden kann .
Auch von hieraus wird fraglich, ob in dem -k-Element ein vorgermanisches und unverschobe-nes Relikt vorliegen soll. Man war teilweise ja sogar soweit gegangen, in dem im Friesischen und Niederdeutschen nicht seltenen Diminutivsuffix -k- eine „nach der germanischen Lautver-schiebung erfolgte Entlehnung aus einer anderen indogermanischen Sprache“  zu sehen.
Die hier knapp skizzierten Meinungen gehören einer Richtung an, die – vielleicht unbewußt und ohne es immer deutlich zu sagen – die späte Germanisierung Norddeutschlands als gege-ben und bewiesen betrachtet. In dieselbe Kerbe schlug vor kurzem N. Wagner , wenn er – ohne das entscheidende osteuropäische Vergleichsmaterial auch nur mit einer Silbe zu erwäh-nen  – Lippe und Lupnitz für unverschobene Relikte hält.
Wenn man sich davon freimacht und einen seit den Anfängen historisch-vergleichenden Sprachstudiums bekannten Konsonantenwechsel berücksichtigt , ergeben sich ganz neue Vergleichsmöglichkeiten und der hohe Anteil mutmaßlich unverschobener Namen in Nord-deutschland schrumpft zusehends zusammen. Notwendig ist jedoch der Blick nach und von Osten.
Folgt man diesem auch im Fall von Olše/Olza sowie der Wolga aus *Oligã und überprüft die-sen Ansatz z.B. anhand des norddeutschen Materials, so kann man eben denselben Ansatz in dem Namen eines Ortes wiederfinden, der nur knapp die sicher nicht unbedeutende Rolle der Bischofsstadt Hildesheim verfehlte : gemeint ist der Name des Ortes Elze, wenig mehr als 10 km westlich von Hildesheim am Zusammenfluß von Saale und Leine gelegen.
Bei der Entschlüsselung dieses bis heute unbefriedigend gedeuteten Namens (es sei denn, man gehe von lateinischer Namengebung aus) ist es unerläßlich, möglichst die gesamte Überliefe-rung des Namens zu präsentieren. In ihr zeigt sich, daß zwei Benennungen miteinander kon-kurriert haben, von denen eine den Sieg davongetragen hat. Sie ist es auch, die bei der Deu-tung zu belasten ist.

Der Ortsname Elze (Kreis Hildesheim) ist wie folgt belegt:
1068 Alicga ;
letztes Viertel des 11.Jhs Aulicam villam ;
Ende 11.Jh. Aulica ;
(um 1135) Aulica ;
1142 Bernhardus de Aulica ;
1151 in Alitse ;
Mitte 12. Jh. Aulicensis ecclesia ;
1160 Conradus de Eleze ;
1161 (1159?) in Aulica ;
1175 Eletse ;
Meines Erachtens fraglich: 1181 Eilhardus de Elsethe ;
1190 Aulica ;
1191 Eilardus de Elsede ;
1200-1210 fratres de Eleche ;
1201 Heinricus de Aulica ;
1204 Sifridus de Elze ;
1209 (Kopie) fratres de Ellesem ;
1210 sacerdos Aulicensis ;
1210 sacerdos de Aulica ;
1213 Ernestus de Eleze ;
1214 Iohannes de Aulica ;
1217 Cono de Ellessem ;
1217 Conradus de Aulica ;
1221 milite de Aulica ;
zum Jahre 1221 in Aulica ;
1227 Siffridus de Aulica ;
1230 in Aulica ;
1239 Aulica ;
1240 Sifridus de Aulica ;
1240 (Kopie) Sifridus de Aulica ;
um 1242 (Abschrift 17.Jh.) Gerhardus de Aulica ;
1244 Iohannes de Aulica ;
1246 in Aulica ;
1250 Hartungus de Aulica ;
1251 Bode de Aulica ;
1251 Harttungus de Aulica ;
1251 Olrico de Aulica ;
1253 Bodone de Ellece ;
1260 in Aulica ;
1260 Harthungum de Aulica ;
1266 Bodo de Aulika ;
1276 Aulika ;
1277 aulica ;
1277 plebanus de Aulika ;
1282 in Aulica ;
1284 in Elze ;
1284 Heinricus de Aulica ;
1289 Bodo de Aulica ;
1290 Gotfridi de Aulica ;
1295 dicti de Aulica ;
1295 Gerhardo de Eltze ;
1302 dictorum de Elece ;
1302 Thidericus de Eltze ;
1302 in Elece ;
1306 Tiderico de Eletze ;
1314 in Eltze ;
1316 in Eletze ;
1321 (Abschrift 15. Jh.) Elhardi de Elze; Variante: Eelze ;
1321 circa Aulicam ;
1327 diaconatus de Elze ;
1328 in Eltzen ;
1333 (Abschrift 16. Jh.) In Aulica; prope Elkze ;
um 1333 Gherhardus van Eltze ;
1343 Eltze ;
1344 de villa nostra Elze ;
1346 Eltze ;
1352 in Eltze ;
1352 Hartung van Elcse ;
1356 Elese ;
1357 Hermanno de Aulica ;
1358 gheheten van Else ;
1361 domino de Eltze ;
1364 in Eltze ;
z.J. 1366 Eltze ;
1375 Ghert van Elze ;
1384 Syverd van Eltze, Siverd van Eltze, Siverd van Else ;
1389 to Eltze ;
1389 to Eiltze ;
1412 Else ;
1415 Jan van Else; Johan van Elze ;
1418 Johannis de Eltze ;
1431 (Abschrift 16.Jh.) to Eltze ;
1440 to Eltze ;
1447 Lampe van Elsze ;
1450 (Kopie) in Eltze ;
1452 in Eltze ;
1453 Elcze ;
1459-60 to Eltze ;
1464 Lampen van Elszen ;
1473 vor Elsze ;
1474 to Eltze ;
1474 to Else ;
1475 to Else ;
1476 (Abschrift 16.Jh.) ampt to Eltze ;
1512 Eltze ;
1594 Elße ;
1720 zu Eltze.

Die Überlieferung des Namens zeigt zwei Überlieferungsstränge: auf der einen Seite steht  Aulica/Aulika, beginnend mit den Belegen des 11. Jahrhunderts und relativ unverändert bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts erscheinend, wobei im 13. Jahrhundert besonders viele Belege nachzuweisen sind. Die Form Aulika oder Aulica durchläuft offenbar keine Entwick-lung: ihre Form hat sich faktisch zwischen dem Ende des 11. Jahrhunderts und Mitte des 14. Jahrhunderts nicht verändert.
Ganz anders ist das Bild bei dem zweiten Überlieferungsstrang, der wesentlich bunter und vielfältiger ist: man darf ihn mit dem ältesten Beleg 1068 Alicga beginnen lassen (zur Erklä-rung s. unten), ferner gehören hierher 1151 in Alitse, 1160 Eleze, 1175 Eletse, 1200-1210 de Eleche, 1204 Sifridus de Elze, 1209 (Kopie) Ellesem, 1213 Eleze, 1217 Ellessem, 1253 Ellece, 1284 Elze, 1295 Eltze, 1302 Elece, 1302 Eltze, 1302 Elece, 1306 Eletze, 1314 Eltze, 1316 Eletze, 1321 (Abschrift 15. Jh.) Elze, Variante Eelze, 1327 Elze, 1328 in Eltzen, 1333 Elkze, um 1333 Eltze, 1343 Eltze, 1344 Elze, 1346 Eltze, 1352 in Eltze, 1352 Elcse, 1356 Elese, 1358 Else, 1361 Eltze, 1364 Eltze, zum Jahre 1366 Eltze, 1375 Elze, 1384 Eltze, Else, 1389 Eltze, 1389 Eiltze, 1412 Else, 1415 Else, Elze, 1418 Eltze, 1431 (Abschrift 16.Jh.) Eltze, 1440 Eltze, 1447 Elsze, 1450 (Kopie) Eltze, 1452 Eltze, 1453 Elcze, 1459-60 Eltze, 1464 Elszen, 1473 Elsze, 1474 Eltze, 1474 Else, 1475 Else, 1476 (Abschrift 16.Jh.) Eltze, 1512 Eltze, 1594 Elße, 1720 Eltze.

Diese Variante setzt sich gegenüber Aulica seit der Wende 13./14. Jahrhundert immer mehr durch und ist seit spätestens Mitte des 14. Jahrhunderts (abgesehen von einigen Resten in Per-sonennamen u.a.) in Belegen wie Elze, Eltze, Else, Elcze, Elsze, Elße die vorherrschende Form .
Die erste Frage, die eine Antwort erfordert, muß lauten, ob man die beiden Überlieferungs-formen unter einem Ansatz vereinigen kann. Während der zweite Bestandteil der Variante Aulica bei Aussprache als Aulika durchaus in Beziehung zum zweiten Teil der Eleze-, Eletze-Formen gesetzt werden kann (dazu s. auch unten), scheitert der Versuch am Anlaut. Von Au- führt kaum ein Weg zu A-, das später umgelautet worden sein muß. Man mag es drehen und wenden, wie man will, eine Vereinigung wird kaum gelingen.
Das führt zu der Überlegung, daß wahrscheinlich eine der beiden Überlieferungsstränge als Ergebnis einer Umdeutung aufzufassen ist. Es liegt von vornherein nahe, diese in der offenbar lateinischen und im Laufe der Jahrzehnte unverändert gebliebenen Form Aulica zu sehen, denn das Lateinische kannte nicht nur das aus griechisch PõëÞ „Hof, Wohnung“ entlehnte Wort aula „Hof, Halle, Atrium“, auch „Königshof, Königsschloß“, das im Deutschen als Aula fortlebt, sondern daneben auch eine Adjektivform aulicus „zum Hof gehörig“ und das daraus gebildete substantivierte aulicus „Höfling“ . Das Mittellateinische kannte zudem ein Sub-stantiv aulica domus „Schloß“ .
Hinzu kommt, daß der Ort Elze selbst als aula regis , also als „Königshof“ oder „Königs-saal“ bezeichnet wurde , vgl. MGH. SS. XXX, S. 941 unter Bezug auf Elze: eundem locum regis aula appellatam. Berücksichtigt man ferner, daß in derselben Quelle, der Fundatio ecc-lesiae Hildensemensis, in einem Atemzug damit Elze und dessen Kirche ein halbes Dutzend mal in ähnlichen Formen begegnet (Aulicensis ecclesia; Aulicensem ecclesiam , Aulicam; apud Aulicensem ecclesiam; Aulicensis ecclesia; Aulicensis ecclesiae ),  so nimmt es nicht wunder, daß man auch den Namen selbst damit in Verbindung brachte bzw. ihn aus dem La-teinischen herleitete.

So meinte W. Hartmann zu dem schwierigen Namen, man habe ihn abgeleitet „von lat. aulica und stehe in Beziehung mit den einstigen kaiserlichen Bistumsgründungen an diesem Ort. Wo in mittelalterlichen Urkunden der Ort Elze als ,aulica’ erscheint, ist dieser Name nicht als eine lateinische, sondern als eine alte deutsche, vielleicht latinisierte Namensform für Alice, Eli-sithe, Elece anzusprechen. Erst später hat die zufällige Ähnlichkeite dieser Form mit dem lat. aulica zu der abwegigen Meinung Anlaß gegeben …“ . Eine Seite zuvor faßt er Elze aller-dings als eine -ithi-Bildung auf, sicherlich zu Unrecht .
Einen ganz andern Weg schlug E. Förstemann ein, indem er – allerdings zweifelnd – an eine Bildung „Au-like, Augleiche an der Saale“ dachte.
Wenn man der Ansicht ist, daß dem Lateinischen der entscheidende Anteil zukommt, so hilft auch in diesem Fall der Blick nach Osten. Der südlich von Prag liegende Ort Zbraslav trug auch den deutschen Namen Königsaal. Die historische Überlieferung zeigt aber ganz deutlich, daß von einem slavischen Namen auszugehen ist, das Lateinische erst später einwirkte und die  deutsche Variante auf letzterem beruht: 1115 (Fälschug 13.Jh.) dedi … Zebrezlauo …; dedi Izbrazlau, 1186 (Fälschung 13. Jh.) Zbrazlav …, 1222 (K. 13.Jh.) Gerhardus de Zbrazlav, 1268 Zbraslaw, 1292 in bonis … regalibus nuncupatis uulgariter Zbraslaw monasterium cui nomen Aula Regia imposuimus, 1292 (Kopie um 1313) de fundatione monii in Aula Regia, quod dicitur Zbraslaus, – in Zbreslaus …, 1300 Abt Otto v. Kunigeszal, 1311 (abbas) Aulae Regiae, quod et Zbrasslaw vulgariter dicitur, 1322 in Aula Regia sive in Sbraslauia monste-rio, 1352-1399 Aulae Regiae abbas, 1356 conventu(s) de Kunigssal, 1456 u Zbraslavi … k Sbraslavi … u Zbraslavì, 1476 opat kláštera Zbraslavského, 1516 na Zbraslavi, 1653 mìstys Zbraslaw, 1788 Königsaal, Zbraslaw, Aula Regia, 1648 Zbraslav .
Vergleicht man diese Entwicklung mit dem Namen Elze, so fällt auf, daß hier keinerlei Ver-deutlichung der nichtlateinischen Formen Alicga, Alitse usw., etwa in der Form quod … vulga-riter dicitur erscheint. Dieses ist ungewöhnlich, läßt sich aber dadurch erklären, daß die Grundform des deutschen und germanischen Namens der lateinischen so nahe gestanden ha-ben muß, daß die Schreiber keine Differenz empfunden haben und kein Bedürfnis bestand, darauf hinzuweisen.

Die hier geäußerte Vermutung läßt sich aus sprachwissenschaftlicher Sicht erhärten. Die Auf-lösung des rätselhaften Namens findet man nicht in den Aulica-Formen, sondern in der ande-ren Überlieferungskette: von 1068 Alicga und 1151 Alitse aus läßt sich lautlich ohne Proble-me ein Bogen über 1160 Eleze, 1175 Eletse, später Eleche, Ellessem, Ellece bis hin zu moder-neren Formen wie Eltze, Else, Elcze, und schließlich Elze schlagen.
Zu berücksichtigen sind dabei zwei Lautveränderungen: zum einen der bekannte und von J. Grimm so benannte Umlaut, der aus Alika ein Eleke entwickelt (entsprechend etwa Albis – Elbe) und zum anderen ein außerhalb von Norddeutschland nur wenig beachteter Wandel ei-nes -k- > -(t)z- (zumeist vor vorderen Vokalen). Für letzteren hat sich die Bezeichnung „Zeta-zismus“ eingebürgert. Wichtige Beiträge zu dieser Erscheinung haben unter anderem W. Seel-mann , A. Lasch  und H. Wesche  vorgelegt, man vergleiche auch A. Bach .

In norddeutschen Orts- und Flußnamen ist dieser Lautwandel häufiger anzutreffen als gele-gentlich angenommen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, nenne ich hier in aller Kürze Celle, 985 Kiellu; Zeven, 986 Kiuinana; Itzehoe, Eitzum (Kreis Wolfenbüttel), < *Ek-hëm; Jerze (Kr. Hildesheim), um 1007 Gerriki; Wietze, Zufluß d. Örtze, 786 (Fälschung) in Wizenam; Wietze(nbruch) an der Wietze, Nfl. d. Aller, um 990 in Wikanbroke; Etzenborn bei Duderstadt, < *Eken-born; Sickte bei Wolfenbüttel, 888 Kikthi, 1060 Xicthi; Broistedt bei Wolfenbüttel, 1151 Broscethe, 12./13.Jh. Brozithe, am ehesten < *Brok-ithi.
Graphisch erscheint eine Vielzahl von Schreibvarianten für den aus -k- entwickelten Laut, etwa -sc-, -x-, -sz-, -ts-, -tz-, -z-, -s- und andere mehr.
Unter Einbeziehung dieses Lautwandels läßt sich die heutige Lautform Elze mit Umlaut und Zetazismus auf einen Ansatz *Alika (der in den Belegen von 1068 Alicga und 1151 Alitse fast noch greifbar ist) lautgerecht über die Entwicklungsstufen *Elitse, *Eletse, *Eleze, deren Spu-ren in den mittelalterlichen Belegen mehr als deutlich zu erkennen sind, zurückführen.
Bei der Deutung des Namens Elze müssen wir somit von einer Grundform *Alika ausgehen. Dabei steht man vor der Wahl, ein dem Germanischen erst spät bekanntes und somit unver-schobenes -k- anzunehmen oder aber den „normalen“ Weg einer Verschiebung von idg. *-g- > germ. -k- zu beschreiten.
Nach einer ersten Durchsicht ausgewählter germanischer Namentypen  kann es meines Er-achtens keinen Zweifel daran geben, daß auch der Raum um Hildesheim und Hannover und das Gebiet des alten Flenithi-Gaues Anteil an demjenigen Territorium hat, in dem die Orts-namen durchgängig die urgermanischen Lautentwicklungen aufweisen. Man darf daran erin-nern, daß nur wenige Kilometer östlich von Elze der Ort Emmerke liegt, dessen Grundform *Ambriki uns schon beschäftigte und der kaum ein unverschobenes Suffix an einer Ablei-tungsgrundlage enthält, die auch im Ambergau begegnet, der von dem einen gut germanischen Namen tragenden Fluß Nette in ganzer Länge durchflossen wird.

Es gibt daher meines Erachtens nur die Möglichkeit, die Grundform *Alika als normal ver-schoben zu betrachten und auf eine indogermanische Vorlage *Aliga zurückzuführen. Damit schließt sich der Kreis: auf eben dieselbe Grundlage kann ohne Probleme der Name Olše/Olza zurückgehen und ebenso kann hier der Name der Wolga angeschlossen werden. Allen drei Namen zugrunde liegt die indogermanische Wurzel *el-*ol- „fließen, gießen“, die als eine der am weitesten verbreiteten Grundlagen innerhalb der alteuropäischen Hydronymie gelten kann: man denke an Flußnamen wie Ala, Ahle, Ola, Al(l)ia, Alowe, Alwent, Lom (< Almos), Alm, Alme, Almana, Elm, Ilm, Ilmenau, Alme, Alle (< Alna), Alona, Alantia (z.T. > Elz), Aller, Iller, Als, Alsa, Ilse, Alisa, Elze, Alsenz, Alst.
Das Spezifische an Olše/Olza, Elze und Wolga ist das Bildungselement -g-, das besonders häufig im Osten ist, aber auch (man denke an Selke und nun wohl auch Elze selbst) im heuti-gen deutschen Sprachraum ermittelt werden kann. Mit diesem Vergleich erweist sich erneut, daß eine Aufhellung schwieriger und alter Name auf deutschem Sprachgebiet nur dann einer Lösung zugeführt werden kann, wenn der Osten berücksichtigt wird .
Fassen wir zusammen: der Ortsname Elze geht lautgerecht auf eine germanische Form *Alika zurück. Es macht keine Probleme, darin den Reflex eines aus indogermanischer Zeit ererbten Landschaftsnamens *Oligã zu sehen, der eine -g-Ableitung zu der indogermanischen Wurzel *el-/ol- „gießen, fließen“ enthält. Wahrscheinlich bezog sich die Namengebung auf die ver-sumpften und heute noch zumTeil gut zu erkennenden Überflutungsflächen am Zusam-menfluß von Saale und Leine. Der nächste Verwandte des Namens Elze liegt in dem Namen des Oderzuflusses Olše/Olza < *Oligã vor. Keineswegs ausgeschlossen ist auch die Verknüpfung mit dem Namen des größten europäischen Flusses, der Wolga.

Die folgenden Bemerkungen zu Ortsnamen des Wendlandes und der Alt¬mark entstanden im wesentlichen im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit R. OLESCHs großem Werk, dem Thesaurus linguae dravaenopolabicae . In der Einleitung zu diesem Kompendium heißt es nämlich: „In den The¬saurus nicht aufgenommen wurden die Ortsnamen slavischer Provenienz des Wendlandes. Dieses in seiner historischen Entwicklung durch deutsche Spracheinflüsse umgeformte onomastische Material bedarf einer gesonderten Erfassung wie Behandlung und gehört eigentlich nicht in das Wörterver¬zeichnis eines Thesaurus“ . Dieser Auffassung kann man ein Wort von E. EICHLER gegenüber stellen. Er hat die Unberücksichtigung des onymischen Materials mit den Worten kritisiert: „Für viele Etymologen ist das aus To¬ponymen gewonnene Wortmaterial gleichsam zweitrangig und mit Makeln behaftet“ . Dabei bieten die Namen gegenüber dem Wortschatz einer Spra¬che neben anderem vor allem zwei Vorteile: 1. In ihnen ist gelegentlich äl¬teres Wortgut nachweisbar als in den Appellativa, 2. dank ihrer Lokalisie¬rung bieten sie wichtige Hinweise auf die ursprüngliche Verbreitung eines Wortes und können daher zur Siedlungsgeschichte beitragen. Beide Aspekte möchte ich anhand ausgewählter dravänopolabischer und altmärkischer Ortsnamen näher beleuchten.

1. Clenze. R. OLESCH hat diesen Ortsnamen auf eine Grundform *Kles.ka zurückgeführt und K. POLANSKIs Deutung als „Niederung“ zu polnisch wklesnac „einsinken“, cechisch klesati „sinken“, aufgegriffen . Dagegen sprechen aber schon die ältesten Belege dieses früh überlieferten Toponyms: 1004 Claniki in Dreuani, 1017 (Kopie 15. Jh.) Claniki, 1039 (Kopie 15. Jh.) Claniki , 1289 bona sclavicalia … in Poklentze, 1330/52 Clentze, 1360 en hof to Clentze, 1394 Clentze6. R. MÖLLER erwägt7 folgende Deutung: „Ob, mit Suffix -ika, -ica, zu pola¬bisch-pomoranisch *klen „Ahorn“, wie bei a. 1340 Klenouwe = Kleinau, Kreis Osterburg?“. K. POLANSKI hielt diese Deu¬tung für phonetisch unmög¬lich, jedoch sind ihm die wichtigen alten Belege des Ortsnamens offenbar unbekannt geblieben. Schon K. MUKA8 und P. ROST9 hatten an eine Ver¬bindung zu dem slavischen Ahorn-Wort gedacht. Eine Entwicklung *Klenici oder *Klen.c. > Clenze ist unproblematisch. Es fragt sich aber, ob damit die älteren Belege mit -a- im Wurzelvokal (Claniki) vereinbart werden können. Näher liegt wahrscheinlich eine Grundform *Klan.c., die zwanglos mit ser¬bokroat. klánac, Gen. klánca „Engpaß, Hohlweg, Talenge“, kajkav. klánjec „Tal, schmaler Weg“ usw.10 verbunden werden kann. Zur Frage, wie die Verbindung eines draväno¬polabischen Ortsnamens mit südslavischen Appel¬lativen zu verstehen und zu erklären ist, werde ich noch ausführlich einge¬hen und dabei auf den Orts¬namen Clenze zurückkommen (s.u.).

2. Auch im Fall des nach R. OLESCH „nicht sicher deutbar(en)“ Ortsnamens Weidars „Dannenberg“ kann die Toponymie weiterhelfen. So findet sich in Edward BREZAs Untersuchung der Toponymie des Kreises Berent  in ei¬nem Beleg vom Jahre 1631 die Bemerkung: „Dafür erhält [er] 1,5 Hufen Land, davon 1 Stück, Widarnia genannt“ und 1774 [in einer Übersetzung aus dem Lateinischen von 1886] „mit allen Gründen, Klocen (d.h. Neuland), Austheilungen (wydarznia), Gärten und Wiesen“. Daran schließt E. BREZA je zwei Flurnamen Wydarnia, Wydarznia sowie Wydzieradlo an, die zu dem nicht mehr belegten Appellativum wydarnia, wydarznia „nach der Rodung neu zu beackerndes Land“ zu stellen sind“. Aus denselben Elementen, näm¬lich dem Präfix vy- und dem Verbalelement *d.rat- zusammengesetzt sind zahlreiche Flurnamen Polens wie Wydarta (mehrfach)  und Wydartowo. S. Kozierowski hat darüber hinaus auch auf poln. wydarty, polabisch wådårty „abgerissenes Stück Land“ aufmerksam gemacht.

Ein besonders schwieriges Problem stellen Toponyme dar, die älteren Schichten angehören; nicht selten handelt es sich dabei bekanntermaßen um Gewässernamen. Diese machen oft den Eindruck, als ließen sie sich aus der entsprechenden Einzelsprache erklären, aber bei genauerer Prüfung stellen sich dann Zweifel an dieser Zuordnung ein. Mir scheint, daß auch bei ei¬nem Namen des von R. OLESCH behandelten Materials eine vorslavische Deutung in Frage kommt. Es handelt sich um den Flußnamen Garte, der offenbar dem Ort Gartow seinen Namen gegeben hat.

3. Gartow und die Garte. Die historischen Belege für diesen Orts- und Ge¬wässernamen, heute Unterlaufname der Seege, liegen jetzt in der Hy¬dronymia Germaniae, Lieferung 1614, vor. Die von R. TRAUTMANN vertre¬tene und von R. OLESCH übernommene  Deutung des Ortsnamens Gartow zu slavisch chart. „Windhund“ ist vor allem deshalb nicht sehr überzeugend, weil die von R. TRAUTMANN verglichenen mutmaßlich slavischen Namen vor allem Gewässernamen, darunter den Görtow-See bei Neustrelitz, um¬fassen. Gerade bei einem Seenamen sehe ich aber semantische Probleme, an eine Verbindung zum Windhund zu denken. Vielleicht liegt eher volksety¬mologischer Einfluß vor. Entsprechendes läßt sich bei nicht wenigen Hy¬dronymen im Norden Polens beobachten: die dort anzutreffenden Namen wie Gardiene, Gardaun, Gardena und so weiter werden immer wieder mit dem slavischen Stadt- und Burgwort um polnisch gród verbunden. Auch diese Deutung überzeugt meines Erachtens nicht. Löst man aber den Blick vom Slavischen, so stößt man bald auf eine ganze Reihe von Gewässerna¬men, deren endgültige Deutung noch nicht gelungen ist, die aber durch ihre Verbreitung einzelsprachliche Herkunft ausschließen. Ich führe hier ohne nähere Angaben über historische Belege und bisherige Deutungen nur an: Garte, Nebenfluß der Leine bei Göttingen; Gartach, Fluß im Neckargebiet; *Gard-apa, verschwundener Flußname bei Köln; Horodzieja, Ge¬wässer in Weißrußland; Gardine, Gardaun, Gard-upel, Gard-upel’ka, Gardena, Gardi¬nas, Garduva, Gardenga, Fluß- und Seenamen im Baltikum, Ostpreußen und nördlichen Polen. Diese Streuung mit dem sich deutlich abzeichnenden Zentrum im Baltikum ist typisch für einen alteuropäischen, indogermani¬schen Namen, in den ich auch die Garte und Gartow einbeziehen möchte. Ein sicherer Anschluß an ein belegtes Appellativum steht allerdings noch aus.

Mit dem Namen der Garte bin ich zeitlich vor die slavische Namengebung des Wendlandes zurück¬gegangen. Unter der slavischen Schicht liegt offen¬bar Älteres verborgen. Ich möchte diesen Bereich aber wieder verlassen und auf die slavischen Namen zurückkommen. Das Wendland, die Altmark und die angrenzenden slavischen Siedlungsgebiete weisen nämlich in ihrer No¬menklatur eine Besonderheit auf, die bisher – soweit ich sehe – noch nicht erkannt worden ist  und die für die Siedlungsgeschichte von einiger Be¬deutung zu sein scheint. Da diese Erscheinung auch den appellativischen Wortschatz des Dravänopolabischen betrifft, habe ich diesen im folgenden mit einbezogen.

Es steht außer Frage, daß das Polabische dem Westslavischen zuzuordnen ist. Auf Schritt und Tritt zeigt sich, daß die Beziehungen zum Polnischen, Sorbischen, Cechischen und Slovakischen besonders eng sind. Es gibt aber auch Fälle, in denen auch die übrigen slavischen Sprachen herangezogen werden müssen. R. OLESCH hat diese Erscheinung im Vorwort seines The¬saurus wie folgt ausgedrückt: „Als Vergleichsmaterial werden im Regelfall nur Belegungen aus dem Lechischen und Sorbischen herangezogen. Wenn in diesen Sprachen entsprechende Vergleiche fehlen, und auch sonst in Ein¬zelfällen, greift der Thesaurus nach Belegmöglichkeiten aus anderen slavi¬schen Spra¬chen“.

Es hat nun den Anschein, als ließen sich bei einigen Appellativen und vor allem bei einigen Namenparallelen besondere Beziehungen zum Cechischen und Slovakischen, aber auch zum Südslavischen, herausarbeiten, die einer Kommentierung bedürfen. Anhand einiger Beispiele möchte ich an dieses Phänomen mit Kartierungen und dem Versuch einer Deutung herangehen.

4. Das dravänische Appellativum Waten „Zaun“ führt R. OLESCH überzeu¬gend auf slavisch *otyn  zurück . Er vergleicht es mit altkirchenslavisch tyn  „        , murus“. Wesentlich näher liegen aber russisch dialektal otyn’e (Pskov, Tver‘) „am Zaun gelegene Fläche, schmaler Fußweg am Zaun“  sowie cechisch dialektal oten „Zaun“, worüber F. BEZLAJ mehrfach ausführ¬lich gehandelt hat . In Andeutungen ist auch schon R. TRAUTMANN  darauf eingegangen. Die Ausführungen von F. BEZLAJ sind vor allem des¬halb von Bedeutung, weil er in Anlehnung an R. TRAUTMANN unter Einbe¬ziehung der Toponymie zwei Ablautvarianten im Slavischen herausarbeiten konnte. Zum einen *ot n- in dem cechischen Appellativum, aber auch in den jugoslavischen Ortsnamen Otanj und Hotan, sowie nach R. TRAUTMANN in den Namen Wotenitz, Woeten und anderen, zum anderen ist die Variante *otyn- anzusetzen in polabisch waten und russisch dialektal otyn’e. Zur letzteren Ablautvariante hat F. BEZLAJ kein onomastisches Material stellen können, aber diese Lücke kann geschlossen werden; man vergleiche: Otynja, Otynevyci, Ortsnamen in der Ukraine , die die Autoren des Sammelbandes Istorija mist i sil Ukraïns’koï RSR  meines Erachtens zurecht zu otyn „nevelikij zamok, otocenij valami“ gestellt haben, weiterhin Otín, mehrere Ortsnamen in Mähren , Otyn = Deutsch-Wartenberg (in Schlesien), 1491 Otin alio nomine Warttenberg , hier anzuschließen sind sicher auch drei Ortsnamen Otín in Böhmen . Im allgemeinen werden diese Toponyme mit slavischen Personennamen verbunden, es ist aber sehr genau zu prüfen, ob nicht das oben genannte slavische Appellativum zugrunde liegt. Der von R. OLESCH (nach M. VASMER) herangezogene polnische Ortsname Tyniec  ist meines Erachtens weniger belastbar, da auch slavisch *tyn‘, tynja „Sumpf“ zugrunde liegen kann.  Die Kartierung der hier zusammengestellten Na¬men (s. Karte 1, S. ý; [hier einfügen]) zeigt, daß das nordwestslavische Ge¬biet vor allem mit Böhmen, aber auch mit dem Balkan verbunden ist.

5. Ganz ähnlich gelagert ist die Verbreitung bei den mit polabisch wûmbâl „Brunnen“ verwandten Namen. Bei der Etymologie des dravänischen Wortes mußte R. OLESCH notgedrungen auf südslavisches Material zurückgreifen , nämlich auf serbokroatisch ubao (Genitiv ûbla), bulgarisch vubel „Brunnen“. Ein altrussischer Beleg bei Sreznevskij wird wohl als Kirchenslavismus aufzufassen sein.  Von besonderer Bedeutung ist nun die Verbreitung der davon abgeleiteten Ortsnamen (s. Karte 2, S. ý[hier einfügen]). Das Polabi¬sche ist mit drei Flurnamen beteiligt: Vamleitz, Fammels und Fummels. Die Verbindungen zu Mähren und zur Slovakei sowie zu den südslavischen Entsprechungen im Namenbestand sind deutlich erkennbar.

6. Die engen Verbindungen zwischen dem Hannoverschen Wendland und der Altmark sind bekannt. Die hier an zwei Beispielen skizzierte Erschei¬nung findet auch in der Altmark Parallelen. Allerdings gibt es dabei noch eine Besonderheit. Das einzige slavische Wort, das zur Deutung der Namen herangezogen werden kann, ist nur aus einem slovenischen Dialekt bekannt. Es handelt sich um slovenisch mozirje „Moor“, das außer in südslavischen Ortsnamen wie Mozirje auch in Oberösterreich begegnet (Moserling), in der Ukraine (Mozyr‘), in Böhmen (Mojzír, dt. Mosern) und nicht selten in der Altmark und östlich davon: Möser bei Burg, auch ein Wüstungsname im ehemaligen Kreis Jerichow II, weiterhin Kirchmöser, Ortsteil von Branden¬burg an der Havel und andere mehr.  Die Verbreitung der Namen (Karte 3, S. ý[hier einfügen]) zeigt deutlich die Verbindung mit Böhmen und dem südslavischen Sprachgebiet. Nur am Rand sei erwähnt, daß unser Wort mit den weit bekannteren Namen Masuren und Masowien verwandt sein dürfte.

7. Die nur aus dem Südslavischen bekannte Sippe um serbokroatisch, bul¬garisch und slovenisch lokva „Pfütze, Teich, See“ muß wegen der sicheren außerslavischen Verwandten wie lateinisch lacus und irisch loch „See“ (Loch Ness) auch dem Gemeinslavischen zugerechnet werden. Es ist daher nicht verwunderlich, daß vor allem das Südslavische davon abgeleitete Namen kennt (Karte 4, Seite ý[hier einfügen]). Die Häufungen auf dem Balkan sind unverkennbar. Umso auffälliger ist der Nachweis eines Namens in Westungarn sowie in Thüringen und Mecklenburg. Das Wendland und die Altmark scheinen nach den bisherigen Untersuchungen keinen Anteil an der Verbreitung zu haben, jedoch umschließen die Belege im südlichen Thüringen und der Ortsname Lockwisch östlich von Lübeck unseren Raum. Ich habe diesen Fall daher hier aufgenommen, denn eine Verbindung zwi¬schen den westslavischen Namen und der Verbreitung auf dem Balkan scheint zu bestehen. Die Lücken in der Tschechoslovakei und in Polen mö¬gen auch dadurch erklärt werden können, daß ein Ansatz *lokva bzw. *lokvica schon sehr früh unter den Einfluß der Sippe um slavisch luka, lu¬kavica geriet. So könnte dieses bei dem mährischen Ortsnamen Lukovany der Fall sein, denn dessen älteste Belege lauten 1269 de Lochwan, 1410 von Lokowan, 1674 Lochkowan. Allerdings bleiben Unklarheiten (s. L. HOSÁK und R. SRÁMEK ) bestehen. In die Karte wurde er daher nicht aufgenom¬men, obwohl er durch seine geographische Lage das gesuchte Bindeglied zwischen südslavischen und nordwestslavischen Namen sein könnte.

8. Nicht ganz so eindeutig ist die Streuung der Namen bei unserem näch¬sten Beispiel (Karte 5, ý[hier einfügen]). Die hier kartierten Topo- und Hydronyme enthalten slavisch br n-, ablautend bryn-, eine Wurzel, die ap¬pellativisch vor allem im Südslavischen belegt werden kann, so zum Beispiel in slovenisch brn „Flußschlamm“, serbokroatisch (veraltet) brna „Kot, Erde“ und so weiter.  Die slavischen Namen in der Altmark und in Mecklen¬burg, 1247 Brence terra, 1230 Land Brenitz, ON. Brenz, Kr. Parchim und Ludwigslust, Brenneiz, Flurname bei Darnebeck, und andere mehr, sind aber vielleicht doch eher mit den südlich davon an der Elbe liegenden To¬ponymen in Sachsen und Nordböhmen als mit den nordwestpolnischen zu verbinden. Gewisse Unsicherheiten gestehe ich aber gerne ein.

9. Umstritten ist die Deutung für den Flurnamen Zopeneitz bei Neritz nahe Wustrow. ROST, KÜHNEL und MUKA erwägen wie E. KAISER  eine Her¬leitung aus slavisch *sopot nic-, zu sopot „Wasserfall“. Da diese Deutung zwar möglich, aber nicht sicher ist, habe ich diesen Flurnamen bei der Kartierung übergangen. Daß das Polabische dieses Wort aber noch gekannt und zur Namengebung verwendet haben muß, erhellt der Flurname Seeput¬zenwiese an der Schwentine, Kreis Plön. Mit ihm ist der abgegangene Orts¬name Zuppute, der zwischen 1222 und 1232 in den Quellen erscheint , verwandt. Von slavisch sopot „Quelle, Wasserfall“ abgeleitete Namen finden sich in weiten Bereichen der ehemals und jetzt von Slaven besiedelten Ge¬biete (Karte 6, ¯[hier einfügen]). Man sieht, daß der schleswig-holsteini¬sche Name recht isoliert steht. Wo sind seine nächsten Verwandten zu su¬chen? Wenn unser Flurname aus der Nähe von Wustrow belastet werden kann, würde bereits er allein schon den Ausschlag dafür geben, den Na¬menkonzentrationen in Nordostbayern und den angrenzenden Gebieten be¬sondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Verbindung zum nordböhmi¬schen und mährischen Raum wäre dann kein großes Problem mehr.

10. Die Verbindung mit dem Balkan läßt sich noch an weiteren Beispielen zeigen. Die Ortsnamen Schutschur und Neu-Schutschur an der Elbe konnte P. KÜHNEL „aus Mangel älterer urkundlicher Formen nicht sicher … erklä¬ren“.  Wahrscheinlich liegt das Problem vor allem darin, daß Namenparal¬lelen im Westslavischen so gut wie unbekannt sind. Allein ein Flurname Czoczora in Galizien  und der Seename Czuczarz, dt. Zützer See, bei Zützer, poln. Szczuczarz, im Gebiet der Drage/Drawa  wären hier zu nennen. Umso ertragreicher ist der Blick zum Balkan: dort finden sich sowohl Appellativa, so im Bulgarischen und Makedonischen als cucur „röhrenförmige Quelle, Wasserstelle, kleine Quelle, die durch eine Holzröhre fließt“  wie auch zahlreiche Orts- und Flurnamen. Es begegnet im bulga¬rischen Ortsnamenbestand sehr häufig, ein Dutzend Namen nennt G. Chri¬STOV , vgl. weiterhin die Angaben bei K. POPOV , I. DURIDANOV  und A. SALAMBASEV . Fast jede bulgarische Kreisarbeit bietet weitere Belege. Man vergleiche weiter den Bergnamen Cecurska bei Z. CANKOV , den Flurnamen Cocura in Bulgarien , evtl. auch den Flußnamen Cucerje bei E. DICKENMANN , schließlich die rumänischen Ortsnamen Ciuciurile, Ciucure¬sti, Ciucurova . Von Bedeutung ist dabei allerdings, daß rumänische Ort¬namen wie Ciuciurile von dem rumänischen Appellativum ciuciur, ciciúr „fontaine, sipot“, also „Wasserfall“, aromunisch cucurari „dasselbe“, abgeleitet werden.  Eine Entlehung aus dem Slavischen in das Rumänische (oder etwa umgekehrt?) scheint möglich. Das slavische Wort wird im allgemeinen als onomatopoetische Bildung aufgefaßt. Gerade die Ortsnamen an der Elbe zeigen aber doch wohl, daß das Slavische schon früh ein entsprechendes Appellativum gekannt haben muß, und daß eine Entlehnung aus dem Ru¬mänischen als Grundlage für die Namengebung im Wendland nicht in Frage kommt. Die Verbreitungskarte (Karte 7, S. ý[hier einfügen]) gibt einen Überblick über die Verbreitung der Namen.

11. Oben wurde bereits der Ortsname Clenze erwähnt und zur Etymologie Stellung genommen. Da auf Grund der konsequenten Überlieferung mit -a- in der Stammsilbe (Claniki) eine Herleitung aus slav. *klen- „Ahorn“ nicht überzeugt, ist ein Anschluß an serbokroat. klánac, Gen. klánca „Engpaß, Hohlweg, Talenge“, kajkav. klánjec „Tal, schmaler Weg“, sloven. klánec „Hohlweg, Gebirgsweg, Dorfgasse, Rinnsal eines Baches“ vorzuziehen. Dazu neu gebildet sind serbokroat. kláncic, kláncina . Dieses Appellativum ist offenbar nur im Südslavischen und Cechischen (klanec „Abgrund, Tal, Bergsenkung, Sattel eines Berges“)  belegt, besitzt aber etymologisch mit einer im gesamten Slavischen belegten Sippe um altkirchenslavisch kloniti „neigen, senken“ Verwandte im Baltischen, sowohl mit entsprechender Ab¬lautstufe in lit. klanas, lett. klans „Pfütze, Lache“, ursprünglich „Neigung, Senkung“, wie auch mit Abtönung in lit. klonis „niedrige Stelle im Acker“, klonys „Tal“, klone „Niederung“ . In einem ersten Versuch möchte ich im folgenden eine Zusammenstellung der zu den slavischen Appellativen ge¬hörenden geographischen Namen geben, wobei sich das südslavische Mate¬rial wohl noch ergänzen ließe. Für unsere Frage nach der Beziehung des dravänischen Ortsnamens Clenze mit den südslavischen Wörtern um serbo¬kroatisch klanac reicht die folgende Zusammenstellung aber mit Sicherheit aus.

a.) Südslavische Namen: Klance, FlurN. auf Krk ; Klanac, 1426 Clanaz, FlurN. auf der Insel Premuda ; Klanac, FlurN. auf der Insel Pag ; Kla¬nac, Klanci, Flurnamen bei Niksic ; Klanác, FlurN. bei Nevesinje ; Klá¬nac, FlurN. in der Boka Kotorska ; Klanci, FlurN. bei Rijeka ; Klanci, FlurN. bei Burmazi (Hercegovina) ; Klanjecko, ON. bei Krapina in Kroa¬tien, dort auch Klanjecko Jezero ; slovenische Namen finden sich bei F. BEZLAJ : Klancnica, Klanska Jezera, Zaklanec, Klancici, Na Klancu, Klancji Graben, Klancji Potok, Klanec (1333 Klanz, 1351 Chlanz), Klance, Klanci (1269 Glanncz), Podklanec bei Maribor, 1191 Potglanz; Zaklanec, 1344 Zachantz, sehr häufig sind Flurnamen. Auch Österreich kennt ent¬sprechende Namen, so in Kärnten Glantschach, 10. Jh. in loco Globzach < *klancane , in Tirol 3 Ortsnamen Glanz , in der Steiermark mehrfach Glantz , fast 10 Namen, die auf eine Grundform *Klanec zurückgehen, listet O. KRONSTEINER  auf. In Ungarn lassen sich nachweisen: Klánci, FlurN. nördlich von Budapest , Klanác, FlurN. bei Csobánc ; Klanac, Bergname bei Pilisszentlászló . Aus Rumänien dürfte der Ortsname Cla¬nita, südwestl. von Bukarest , heranzuziehen sein, in Griechenland hat M. VASMER  eine Entsprechung in dem Ortsnamen Glanitziá vermutet .

b.) Von besonderem Interesse ist nun der Nachweis im west- und ostslavi¬schen Gebiet. Man vergleiche: Klanecná, Ortname bei Havl. Brod in Böh¬men und Klanecnice, Zufluß d. Váh, die nach A. PROFOUS  zu cech. klanec „risculus, zábronozec, Pflanze aus der Gattung der Lupinen“ gehören sollen, was in Anbetracht des Nachweises des cechischen Appellativums klanec „Tal, Abhang usw.“ (vgl. oben) mehr als fraglich ist. In Südpolen sind zu vergleichen Klanina, 789 m hoher Berg (!) bei Limanowa, nach E. PAWLOWSKI  „z gwarowym przejsciem eN > aN“ zu poln. klenina „Ahornwäldchen“. Der vermutete dialektale Übergang fehlt aber in den beanchbarten Flurnamen Kleniowa , und so hat E. PAWLOWSKI selbst Zweifel bei dem Namen Klan‘ (bezieht sich auf einen Wald, einen Berghang (!) und einen kleinen Ort) bei Lososina Dolna, mua. Klåj, der mit dem oben angesprochenen mundartlichen Wechsel aus *Klenie gedeutet wird , denn er fügt als Ergänzung hinzu: „Ale mogloby tez byc z rum. clana, cla¬nia ‚Haufe Garben im Felde’„ . Alle Schwierigkeiten kann man umgehen, wenn man eine Beziehung zu den oben genannten cechischen und südslavi¬schen Wörtern und Namen herstellt und noch den von J.B. RUDNYC’KYJ  ungedeutet gelassenen Ortsnamen Klan bei Tworylne nahe Sanok heranzieht. Die im Norden Polens liegenden Ortsnamen Klanino und Klaniny, deren Deutung bisher Schwierigkeiten machte, bleiben hier wohl fern, da der Stammsilbenvokalismus durch kaschubischen Lautwandel < *-e- erklärt werden kann .

Schließlich sind hier einige Flurnamen aus dem Hannoverschen Wend¬land zu nennen, wobei allerdings schon P. Rost mit Recht bemerkt hat :“ viel¬leicht teilweise zu klan c , teilweise zu klen, Ahorn; eine sichere Scheidung ist nicht möglich“. Mit einiger Wahrscheinlichkeit gehören hierher: Klanatz Stücke, FlurN. bei Langenbrügge ; Klanzei, FlurN. bei Ganse ; Noth-Klanzen, Klans¬wiesen, hinter dem Klans ; die Klanze, FlurN. bei Weyhau¬sen nahe Fallersleben , Clans-See bei Mechow, 1578 Der Klans ; schließlich auf dem Klenzerfelde (bei Sellien) mit der interessanten Bemer¬kung von P. KÜHNEL: „scheint mit dem meilenweit entfernten Klenze … nichts zu thun zu haben, ist aber zu erklären wie jenes, zu altsl. klanici ‚Biegung‘, nsl. klanec ‚Hohlweg‘, serb. klanac ‚Engpaß‘; ‚das Wort fehlt poln. u.s.w.“ . Hierher gehört auf jeden Fall der oben schon behandelte Ortsname Clenze, vielleicht auch noch der Flurname Klansch im Kreis Meißen, bei dem nach E. EICHLER und K. RÖSEL  fraglich ist, ob er zu slav. klen „Ahorn“ gestellt werden kann. Damit können wir die Zusammen¬stellung der Ortsnamen beenden.

Zur Etymologie des slavischen Wortes ist noch zu bemerken, daß nach R. OLESCH  die von P. ROST, E. BERNEKER u.a. vorgeschlagene Verbindung von dravänopolab. clangsey, clangzey „Hinterhof“ mit unserem Wort ver¬fehlt ist. Ebenso wenig überzeugt der von O.N. Trubacev  vorgeschlagene Weg über urslav. *koln.c. sowie die dort von V. Machek übernommene An¬sicht, das cechische Appellativum sei eine Buchentlehnung aus dem Serbo¬kroatischen. Dagegen sprechen die böhmischen, mährischen, südpolnischen und polabischen Namen.

Betrachten wir uns nun die Verbreitung der mit dem Ortsnamen Clenze verwandten slavischen Toponyme (Karte 8, S. ¯, [hier einfü¬gen], so läßt sich leicht erkennen, daß erneut eine besondere Ver¬bindung zwischen dem Balkan und dem Hannoverschen Wendland be¬steht. Auch die Brücke, die von Sachsen, Böhmen und Mähren gebil¬det wird, hebt sich deutlich heraus. Ich meine daher, daß die Ety¬mologie des Ortsnamens Clenze < *Klan.c. durch diese Kartierung bestätigt wird. Nur am Rande sei vermerkt, daß die sich auf dem Balkan abzeichnende besondere Konzentrierung der Namen im westlichen Südslavischen (Österreich, Slovenien, Kroatien) und das gleichzeitige Fehlen im östlichen Bereich (Rumänien, Bulgarien ) kein Einzelfall ist .

12. Während dem Dravänopolabischen die slavische Variante *ascer- „Eidechse“, auch „Salamander“ appellativisch noch bekannt war  (vgl. dazu unten), ist die nur in bestimmten slavischen Sprachen anzutreffende Form *guscer- „Eidechse“ nur im toponymischen Material des Dravänischen belegt und fehlt daher in R. OLESCHs Kompendium. Sie ist für unsere Frage aber deshalb so interessant, weil die zugrundeliegenden dravänopolabischen Ap¬pellativa „nur Parallelen im Südslawischen aufweisen“ . Eine Kartierung der entsprechenden Namen und der von slav. *ascer- abgeleiteten To¬ponyme ist daher von großem Interesse für die ursprüngliche Verbreitung der beiden Tierbezeichnungen.

a. *guscer-. Nach dem Etimologiceskij slovar‘ slavjanskich jazykov , E. BERNEKER u.a. gehören hierzu folgende Wörter: bulg. gúster, gustera, gúste¬rica „Eidechse“, maked. guster, gusterica „Eidechse“, serbokroat. güsterica, güstêr, alt auch güstar „Eidechse, Muskel“, sloven. gúscer, gúscar „Eidechse“, auch kúscer, kúscar „dass.“.  Immer wieder findet sich bei der Zusammenstellung der appellativischen Verbindungen die Bemerkung „polab. gäustar ‚Eidechse‘ (so z.B. bei ROST 383, im Etimologiceskij slovar‘ slavjanskich jazykov u.a.m.), aber es ist – wie oben schon bemerkt wurde – appellativisch nicht belegt, sondern kann nur aus Toponymen gewonnen werden . Das Wort ist in das Griechische entlehnt worden . Auf die strittige Etymologie gehe ich hier jetzt nicht ein; wir wollen uns vielmehr den davon abgeleiteten Namen zuwenden.

Man vergleiche: Im Gusternitz oder Güsternitz , FlurN. bei Gansau, < *Gusternica ; In den Gusterneitzen, FlurN. bei Dallahn , < *Gusternica ; Güsterens, FlurN. bei Kahlstorf , < *Gusternec ; Güstritz, ON. bei Wustrow, 1388 Gusterisse, 1450 Gusteritze, < *Guscerica ; Nach dem Güsterneitz, FlurN. (1764/86) bei Nestau ; Güstritz, FlurN. bei Kollendorf ; Güstrow, ON. in Mecklenburg, 1226 Locus qui Guztrowe nominatur, 1227 Guztrowe, 1228 de Guzstrowe, 1258 Guzstrow, 1381 Antiqua Gustrowe, < *Guscerov , verfehlt ist die Deutung von A. BRÜCKNER, M. RUDNICKI u.a. zu slav. ostrov „Insel“ ; Gustruv, FlurN. bei Gr. Gusborn, < *Gusterove ); Güsternitzbaum, FlurN. bei Te¬storf ; der ON. Gaustritz in Sachsen, 1378 Gustertitz, 1445 Gusterticz, 1498 Gausteritz, 1547 Gauesteritz , ist umstritten, P. ROST, op.cit.,S. 215 stellt ihn zum Eidechsenwort, nach G. HEY  gehört er zu einem Perso¬nennamen, W. FLEISCHER schwankt in der Etymologie; ebenso umstritten ist der ON. Hustírany bei Jaromer/Böhmen, 1355 de Hustierzan. A. PRO¬FOUS  sieht darin eine Grundform *Hustierany und verbindet ihn mit slovak. hustier, slovinz. góscera „Dickicht“, da bei einer Herleitung aus dem slavischen Eidechsenwort ein Wandel *-u- > -ou- zu erwarten wäre, daher mit Fragezeichen kartiert; die südslavischen Gebiete weisen zahlreiche Na¬men auf, in Jugoslavien: Gusteranska, FlurN. an der Adriaküste ; Gu¬steranski, Gusterne, Flurnamen auf der Insel Zirje ; Gusteri, ON. bei Zvornik ; *Gusteric, schwer zu lokalisierender ON. im mittelalterlichen Serbien, 1331 ot  Gusteryca , nicht kartiert; Gusterica, FlurN. bei Ohrid ; Gornja und Donja Gusterica, ON. im Kosovo ; Guscerovci, auch Guscerovac, ON. bei Bjelovar, 1370 In Kwscherowcz ; in Bulgarien: Gusterci, ON. bei Kjustendil ; Gusterovci, ON. bei Svoge ; Gusteri, ON. bei Elena ; Gusterski-dol, ON. bei Pleven ; Gusterica, FlurN. im Ge¬biet von Trojan ; Gusterov lom, Gusterova rutlina, Flurnamen bei Panag¬juriste ; in Rumänien liegt der Ort Gusterita, dt. Hammersdorf, den G. KISCH  aus sloven., serb. gustara „Dickicht“ erklären will; die Namen reichen bis Griechenland: Guster, Gusterak, Gusterica, Flur- und Ortsnamen bei Drama , Gústerovo, FlurN. bei Valkanova ; Gkoystarítsa, Gkoústera, Ortsnamen bei Konitsa , Gústera und Gusterina, Orts- bzw. Flurname auf der Peloponnes, die nach Ph. MALINGOUDIS  eher aus dem griechi¬schen Lehnappellativ (s.o.) zu erklären sind. Vergleichsnamen aus Polen (ON. Gu¬storzyn bei Wlocwlawek ) und dem ostslavischen Sprachgebiet (Guscer, Nfl. d. Visera im Perm‘-Gebiet ) bleiben besser fern.

Bevor wir zu einem Kommentar der Verbreitung der Namen kommen, empfiehlt sich eine kontrastive Betrachtung des zweiten slavischen Eidech¬senwortes *ascer- und dessen Vorkommen in der Toponymie.

b. *ascer-. Das appellativische Vorkommen in den slavischen Sprachen streife ich nur kurz. Nach M. VASMER , dem Etimologiceskij slovar‘ sla¬vjanskich jazykov  und anderen Wörterbüchern gehen auf *ascer- „Eidechse“, auch „Salamander“, zahlreiche slavische Wörter zurück, vgl. alt¬kirchenslav. aster , russ. jascerica, schon altruss. jascer , jascera, ukrain. jascirka, weißruss. jascerka, serbokroat. jäster, dial. jaster, sloven. jasce¬rica, jascarica, ascerica, askerica, cech. jester, jesterka, jesterice, dial. jascerica, slovak. jaster, jasterica, altpoln. jaszczerzyca, jeszczerzyca, jaszczorka, poln. jaszczurka, jaszczur, kaschub. vjescereca, osorb. jescer, nsorb. jescerca, jascer. Zum polabischen wiestarreitz „Eidechs“, s. R. OLESCH, Thesaurus III 1426f.

Von besonderem Interesse ist der Blick in die davon abgeleiteten Namen und die Konfrontation der Verbreitung mit dem oben behandelten *guscer . Die folgenden Toponyme sind hier zu nennen: aus dem ostslavi¬schen Sprachgebiet (zum Teil außerhalb der Karte liegend) Jascaryc, FlurN. Ho¬mel ; Jascera, Ortsname bei Staraja Russa ; Jascera, Orts- und Ge¬wässername bei Luga ; Jascerina, Flußname bei Tichvin ; Jascerka, Gewässername bei Ihumen ; Jascerka, Orts- und Gewässername bei Luga ; Jascerka, Orts- und Flußname im Kr. Tambov ; Jascerka, Ortsname bei Kozlov, Gouv. Tambov ; Jascerovo, Ortsname bei Ser¬puchov, Gouv. Moskau ; Jascerovo, Ortsname bei Valdaj ; Jascery, Ortsname bei Bezeck, Gouv. Tver und bei Orlov, Gouv. Vjatka ; Jasci¬rino, Gewässername im Kr. Cholm ; Jascjerna und Jascyr, FlurN. bei Brest . Häufig sind Toponyme im Westslavischen: Jaster, Wald bei Greifswald ; Jastrackwiesen, FlurN. bei Langenhorst ; Jastrein, FlurN. bei Karwitz ; Jesterscher Horst, FlurN. bei Rosien ; Johster Wiesen, FlurN. bei Emern ; Jostreben, FlurN. bei Schmarsau, Josterfach, FlurN. bei Müggenberg ; Jaszczerzyca, Flußname im Gebiet des Poprad ; Jaszczerz, Jaszczerek, Ortsnamen bei Starogard Gdanski ; Jaszczer¬zynski, Jaszczorowski, Flurnamen bei Posen ; Jaszczorki, ON. bei Kolno ; Jaszczurka, See bei Radzewo ; Jaszczurowa, drei Ortsnamen in Polen ; Jaszczorów, ON. bei Ropczyce ; Jaszczurów, ON. bei Ko¬nin ; Jaszczurówka, Orts- und Flußnamen bei Limanowa, Zakopane und im Gebiet der Skawa ; Jaszczury, FlurN. bei Kalisz und bei Stropies¬zyno ; Jast’ericuo, FlurN. in der Orawa ; Jasterno, ON. in der südli¬chen Slovakei ; *Jeszczerno, See bei Skarszewy, 1305 Gesterim . Aus dem südslavischen Gebiet läßt sich nach meinen Unterlagen trotz der si¬cheren Bezeugung im appellativischen Bereich nur belegen: Jáscerica, Bergname in den italienischen Alpen , Esterica, Esterec, Gewässername im Gebiet der Bregalnica .

Damit können wir die Namensammlung abschließen. Werfen wir nun einen Blick auf Karte 9, S. ¯[hier einfügen]. Die Verbreitung beider Varianten ist im wesentlichen komplementär. Allein im Wendland kommt es zu einer starken Vermischung beider Typen, wobei aber deutlich wird, daß die *ascer-Namen Beziehungen zum Osten (Polen) besitzen, während die *guscer-Variante offenbar mit den südslavischen Namen in Verbindung steht. Was sich bei dieser Verbreitung (im Gegensatz zu allen anderen Kar¬ten) nicht eindeutig zeigen läßt, ist die sonst erkennbare Verbindung in Böhmen und Mähren. Im übrigen aber deckt sich die Streuung der Namen im wesentlichen mit derjenigen aller übrigen Karten.

Damit bin ich am Ende meiner Beispiele angekommen und möchte ein Zwischenergebnis festhalten. Es kann meines Erachtens keinen Zweifel daran geben, daß das Hannoversche Wendland und die angrenzenden, ehe¬mals slavisch besiedelten Gebiete auffällige Namenentsprechungen in erster Linie in Böhmen und daran anschließend einerseits Mähren, in der Slovakei und in Südpolen, andererseits in Österreich und in den von Südslaven be¬siedelten Ländern besitzen. Man wird wohl nicht fehlgehen in der An¬nahme, daß es eine slavische Siedlungsbewegung aus Böhmen heraus elbe¬aufwärts gegeben hat. Diese aus dem Namenmaterial gewonnene Erkenntnis läßt sich nach meinem Wissen auch mit archäologischen Ergebnissen in Deckung bringen (Karte 10, S. ý[hier einfügen]). Sie entstammt einem Bei¬trag von H. WALTHER in den Namenkundlichen Informationen, Beiheft 11, und sie zeigt, daß man von Seiten der Archäologie – grob gesprochen – mit zwei Einwanderungswegen rechnet. Ich meine, daß die Toponymie diese Auffassung bestätigt. Besonders deutlich wird dieses in Karte 8 und in der Streuung der von slav. *ascer- und *guscer- abgeleiteten Toponyme. Bei den von mir herangezogenen Beispielen ist weiterhin auffällig, daß es sich offenbar um recht altertümliche Typen handelt, denn die zugrundeliegen¬den Appellativa sind zum Teil dem Westslavischen unbekannt. Mit anderen Worten: es scheint sich bei der elbeaufwärts gerichteten slavischen Einwan¬derung um eine sehr frühe Besiedlung zu handeln. Sehr wahrscheinlich kam es dann zu intensiven Kontakten mit den aus Osten vordringenden Slaven. Diese These wird zumindestens von Karte 8 gestützt. Ich treffe mich hier im wesentlichen mit Auffassungen von G. SCHLIMPERT, die dieser in seinem Beitrag „Altpolabisch-südslawische Entsprechungen im Namenmaterial zwi¬schen Elbe und Oder“  vertreten hat. Auch er rechnet nach Vorstellung verschiedener Namengruppen, darunter auch *guscer-, mit einer Einwan¬derung von Süden: „Daher ist m.E. die Frage legitim, ob die in Rede ste¬henden Namen nicht mit der slawischen Einwanderung in Verbindung ge¬bracht werden können“ , und weiter: „Dabei ist der Einwanderungsweg der sorbischen Stämme relativ klar, der über Böhmen und Mähren mit ho¬her Wahrscheinlichkeit aus dem Donauraum erfolgte“ . Ich denke, daß das oben zusammengetragene Material diese Auffassung weiter stützen kann. Zweifel habe ich allerdings an der auch von J. HERRMANN vertrete¬nen These , der Ausgangsraum sei der das Donaugebiet gewesen. Dafür geben die Namenverbreitungen und unsere Karten keinerlei Hinweise.

Mit diesen Bemerkungen könnte ich eigentlich diese Untersuchung ab¬schließen. Es gilt jedoch noch, eine Klarstellung vorzunehmen. Meine Be¬obachtungen erinnern – und ich bin mir dessen wohl bewußt – in gewissem Sinn an die von einigen Archäologen und vor allem von dem Münchener Slavisten Heinrich KUNSTMANN aufgestellen Thesen , wonach „die mit den süd- und ostslawischen Sprachen übereinstimmenden Merkmale des Polabo-Pomoranischen durch die Migrationen südslawischer Stammesteile direkt vom Balkan … zu erklären (sind)“ . An anderer Stelle heißt es bei H. KUNSTMANN selbst: es läßt sich „eindeutig eine Süd-Nord-Ost-Bewegung erkennen, die in der Regel vom Balkan über Böhmen nach Nord- und Mitteldeutschland und von hier nach Polen, in mehreren Fällen sogar bis Nordwest- und Mittelwestrußland gerichtet ist“.

Um meine Differenzen mit den Auffassungen von H. KUNSTMANN deutlich zu machen, sei auf einige wenige seiner Etymologien eingegangen. Ich be¬schränke mich dabei auf Deutungen von Ethno- und Toponymen, die in gewisser Nähe zum Wendland und der Altmark stehen. Ich will auch gar nicht näher auf die Unhaltbarkeit der Etymologien KUNSTMANNs eingehen. Allein die knappe Schilderung seiner Vorschläge spricht meines Erachtens für sich.

1. Wagrien. Bei der Behandlung dieses Landschaftsnamens läßt sich eine Passage entdecken, die für die Art und Weise der Diskussion KUNSTMANNs bezeichnend ist. Wichtig ist für ihn folgendes: da „die Wagrier als Subethni¬kon der von der mittleren Donau zugewanderten Abodriten sehr wahr¬scheinlich ebenfalls vom Balkan stammen und genauso wenig wie diese einen Grund hatten, ihren mitgebrachten Namen zugunsten einer germani¬schen Bezeichnung zu ändern“ , wird ihr Name mit dem des thrakisch-paionischen Stammes der Agrianer verbunden: „Offenbar geht auf sie der Name der holsteinischen Wagrier zurück“.

2. Mecklenburg: „Die Mecklenburg war Stammsitz der slavischen Abodriten … Da der Stammesname der Abodriten selbst griechisch ist, hat möglicher¬weise auch ihr Vorort eine griechische Benennung gehabt“.  Die bei ADAM VON BREMEN und HELMOLD VON BOSAU belegten Namenvarianten Ma¬gnopolis werden von KUNSTMANN wie folgt interpretiert: es spricht manches dafür, „daß slavisches *Veligord  zum Vorbild für asä. Mikilinburg usf. wurde, daß der Name Mecklenburg also eine zweifache Lehnüberset¬zung darstellt. ADAMs Version Magnopolis wäre dann eine gewiß unbe¬wußte ‚Revitalisierung‘ des griechisch-lateinischen Prototyps“.

3. Wismar. „Wismar ist der von Slaven an die Ostsee übertragene Name der homerischen Stadt der thrakischen Kikonen – `’Ismaros“ . H. KUNSTMANN übergeht damit völlig die germanische Namengebung, vgl. Wisemare marca in Logenahe aus den Traditiones Laureshamenses, 1294 Wisimar ; Wis¬merbach bei Giessen ; Wissmar, Kr. Wetzlar, in den Traditiones Fuldensis Wisumara, Wisomaren  u.a.m.

4. Drevani. Dieser slavische Stammesname, der heute in den Bezeichnungen Drawähn usw. erhalten ist, kann als verwandt mit der Bezeichnung der ost¬slavischen Derevljane betrachtet werden. Die Deutung als „Waldbewohner“ (*Derv-jane o.ä.) war bisher unbestritten. Nach KUNST¬MANN aber „spricht einiges dafür, daß Dereva eben nicht slavischer Prove¬nienz ist, sondern auf den illyrischen ON Derva bzw. Derba zurückgeht, …“.  Weitere Einzel¬heiten erspare ich mir.

5. OTTOs DES GROßEN einmal erwähnte marca Lipâni wird im allgemeinen mit dem slavischen Wort für die Linde, lipa, verbunden. Nach KUNSTMANN wäre es aber „denkbar, daß die marca Lipâni ihren Namen gar nicht dem slavischen Baumnamen lipa verdankt, sondern auf Ulpiana …, den Namen einer berühmten alten Stadt im Dardanerland zurückgeht. Antikes Ulpiana wurde im Serbischen zu Lipljan …“.

Diese Beispiele mögen genügen. Sie erhellen meines Erachtens deutlich ge¬nug, daß den Untersuchungen von H. KUNSTMANN die notwendige kritische Berücksichtigung der lautlichen Entwicklung der slavischen und teilweise auch der germanischen Sprachen abgeht. Ohne auf Einzelheiten näher ein¬zugehen, möchte ich mich dem Urteil des tschechischen Linguisten J. SPAL  anschließen. Eine Wiederholung erübrigt sich.

Wenn ich nun ein Resümee des Vorgetragenen versuche, so möchte ich zunächst deutlich unterstreichen, daß zwischen dem Versuch von H. KUNSTMANN und den von mir vorgelegten Kartierungen vor allem ein wichtiger Unterschied besteht: die elbslavischen Namen in Schleswig-Hol¬stein, Mecklenburg, dem Wendland und der Altmark sind zunächst einmal mit Böhmen (und Mähren) verbunden, daran anschließend mit der Slovakei und Südpolen beziehungsweise mit Österreich und Slovenien. Direkte Bezie¬hungen zwischen dem Polabo-Pomoranischen und dem Balkan, das heißt ohne die Vermittlerfunktion Böhmens, lassen sich nur im Fall von slav. *guscer- nicht nachweisen. Die slavischen Namen Böhmens aber sind – und darin liegt der entscheidende Punkt – unmittelbar mit denen Mährens, Süd¬polens und der Slovakei verbun¬den. Eine slavische Einwanderung aus dem Balkan ist in Böhmen, Mähren und der Slovakei nicht nachzuweisen.

Mit diesen, aus onomastischen Überlegungen heraus gewonnenen Erkennt¬nissen trifft sich die Sprachwissenschaft offenbar mit Ergebnissen der Ar¬chäologie (Karte 10). Darin liegt meines Erachtens das wichtigste Ergebnis der hier vorgetragenen Versuchs.

Korrekturnachtrag [vom 4.1.93]: Die These, daß die Dravänopolaben aus dem Süden gekommen seien, hat vor allem B. KOPITAR vertreten, wie man dem mir jetzt bekannt gewordenen wichtigen Beitrag von DIETRICH GERHARDT, KOPITARs Hypothese vom südslavischen Ursprung der Polaben, in: Festschrift für JOHANNES SCHRÖPFER zum 80. Geburtstag, München 1991, S. 165-176, entnehmen kann. KOPITAR hat seine Gedanken in Briefen an JACOB GRIMM und FRIEDRICH AUGUST POTT geäußert und sich vor allem auf phonologische Kriterien gestützt. GERHARDT weist selbst darauf hin, daß „im Falle des Dravänischen … die ältere Überlieferung, die wir allenfalls für dies Gebiet in Anspruch nehmen können, vorwiegend aus Eigennamen [besteht]“ (S. 168), schränkt aber sogleich ein, daß die z.B. von GERHARD SCHLIMPERT herangezogenen Personennamen „eher genealogische als ethnogenetische Schlüsse zu[lassen]“ (S. 169). GERHARDT hält auch die von SCHLIMPERT 1988 beigebrachten Ortsnamen und ihre Streuung für wenig beweiskräftig, zumal das Material bei UDOLPH „keine Auskunft darüber [gebe], auf welchen Wegen die späteren Polaben und Ostseeslaven in ihre Wohnsitze gelangt sind“ (UDOLPH 1979, S. 626). Dazu ist in aller Kürze zu bemerken, daß es in dieser Arbeit darum ging, die ältesten slavischen Appellativa und Wasserwörter zu untersuchen. Fragen der späteren Expansion der Slaven (wozu selbstverständlich auch der äußerste Westen des slavischen Siedlungsgebietes im Hannoverschen Wendland gehört) lassen sich damit natürlich nicht fassen. Dazu müssen andere Namentypen herangezogen werden, und in dieser Hinsicht halte ich GERHARD SCHLIMPERTs Versuch unter Berücksichtigung des hier neu vorgelegten Materials durchaus für überzeugend. Der Tod des Namenforschers, mit dem ich wenige Wochen zuvor noch ein Zimmer bei einer Tagung in Brandenburg geteilt habe, hat leider die weitere Diskussion in dieser wichtigen Frage mit GERHARD SCHLIMPERT für immer unterbrochen. Nur in zwei Punkten möchte ich eine Einschränkung machen: es handelt sich nicht um Südslaven, die das Wendland erreichten, sondern um eine Zuwanderung aus Böhmen, und nur um einen Einwanderungsweg. Der andere Zuzug erfolgte vom Osten aus.

Jürgen Udolph: Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg

Zu den schwierigsten und heikelsten Aufgaben der Namenforschung gehören Versuche, unter einer einzelsprachlichen Schicht eines geographischen Bereichs nach noch älteren Relikten zu suchen. Erst die Forschungen von Hans Krahe1 und Wolfgang P. Schmid2 haben uns auf diesem Gebiet mehr Sicherheit gegeben. Sie haben wahrscheinlich machen können, daß sich in weiten Teilen Europas Namen auffinden lassen, die nicht der dort jetzt gesprochenen jeweiligen Einzelsprache oder einer ihrer Vorstufen zugerechnet werden können, sondern aus morphologi-schen, semasiologischen und anderern Gründen einer älteren, aber indogermanischen, Sprachschicht entstammen müssen. Es ist daher nicht von vorneherein auszuschließen, daß sich auch in Brandenburg und seiner Umgebung entsprechende Namen nachweisen lassen. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß es sich bei der von H. Krahe aufgedeckten sogenannten „alteuropäischen Hydrony-mie“ in erster Linie um Gewässernamen handelt. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein alter Flußname in einem Orts- oder Siedlungsnamen weiterlebt. Entspre-chendes
1Man vergleiche dessen zahlreichen Aufsätze in den Beiträgen zur Namenforschung sowie das Büchlein Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964.
2Vgl. z.B. Alteuropäisch und Indogermanisch. Nachdruck in: Probleme der Namenforschung im deutschsprachigen Raum, Darmstadt 1977, S. 98-116; Baltische Gewässernamen und das vorgeschichtliche Europa, in: Indogermanische Forschungen 77(1972), S. 1-18; Die alteuropäische Hydronymie. Stand und Aufgaben ihrer Erforschung, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 1-12.

werden wir wahrscheinlich auch im Fall des Namens Brandenburg annehmen müssen.
Aus der näheren Umgebung Brandenburgs kommen dafür vor allem die Namen Havel, Emster und Brandenburg in Frage. Es sind nur drei Beispiele, und man mag meinen, daß sich daraus nur wenig gewinnen ließe. Um eine annähernd richtige Einordnung der entsprechenden Namen vornehmen zu können, müssen wir aber zum Teil sehr weit ausholen, um erkennen zu können, welch wichtige Hinweise für die Siedlungsgeschichte in diesen Hydro- und Toponymen verborgen sind. Es handelt sich bei diesen Namen insofern um besondere Fälle, als sie zwar in der voreinzelsprachlichen Schicht der alteuropäischen Namen verankert sind, aber zugleich durch bestimmte Erscheinungen auf eine Verbindung zu einer indogermanischen Einzelsprache, dem Germanischen, weisen.
Aus diesen einleitenden Bemerkungen wird nochmals deutlich, welch schwieriges und heikles Gebiet man mit der Untersuchung dieser altertümlichen geographischen Namen betritt. Hinzu kommt, daß die Aufarbeitung der Gewäs-sernamen in den neuen Bundesländern trotz der intensiven Bearbeitung der geo-graphischen Nomenklatur durch die Leipziger und Berliner Arbeitsgruppen um Ernst Eichler, Hans Walther und Gerhard Schlimpert noch Lücken aufweist. Immerhin besitzen wir für die Umgebung von Brandenburg mit den Untersuchungen von Reinhard E. Fischer über die Ortsnamen des Havellandes3und die Ortsnamen der Zauche4 gute und wichtige Werke, die ich für meine Überlegungen immer wieder dankbar benutzt habe.
Wie in allen Teilen Europas sind auch die geographischen Namen in Bran-denburg und seiner Umgebung historisch geschichtet. Aus Reinhard E. Fischers Untersuchungen geht das zweifelsfrei hervor. Auch ein Laie erkennt ohne Mühe, daß Namen wie Schönwalde, Mittelfeld, Neuhof einer hochdeutschen Sprachschicht entstammen. Problematischer ist für einen hochdeutsch Sprechenden aber bereits die Deutung niederdeutscher Namen wie Rohrbeck, Ribbeck (alt Ritbeke)
3Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (= Brandenburgisches Namenbuch, Teil 4), Weimar 1976. Vgl. dazu die Rezension von Ernst Eichler, Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 32(1979), S. 87-88.
4Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche (= Brandenburgisches Namenbuch, Teil 1), Weimar 1967.

und Butenfelde. Allerdings ist auch bei hochdeutschen Namen schon Vorsicht dahingehend geboten, daß gelegentlich ältere Relikte eingedeutscht worden sind. Die älteren Belege eines Namens sind daher immer mit heranzuziehen. Dennoch gibt es kaum Probleme, hoch- und niederdeutsche Flur-, Orts- und Gewässernamen in Brandenburg und seiner Umgebung nachzuweisen.
Ebenso sicher ist die Existenz slavischer Orts- und Gewässernamen, über die Gerhard Schlimpert (in diesem Band, s. S. ¯) handelt.
Nach Abhebung der slavischen Schicht bleiben aber offenbar in Brandenburg und seiner Umgebung einige Namen übrig, die sich einer deutschen und slavischen Deutung entziehen. Die Durchsicht der einschlägigen Literatur (es handelt sich dabei im wesentlichen um Arbeiten von Gerhard Schlimpert und Reinhard E. Fischer)5 zeigt, daß hierunter wahrscheinlich fallen: Havel, Dosse, Finow, Elde, Spree, Nuthe, Fuhne, Saar, Reglitzgraben und andere mehr.
Die entscheidende Frage dabei ist die, ob es sich bei den genannten Hy-dronymen um germanische Relikte handelt, oder ob sich darunter auch noch äl-tere, indogermanische (in der Terminologie von Hans Krahe und Wolfgang P. Schmid: alteuropäische) Namen verbergen. Wie schon oben angemerkt wurde, werde ich die damit zusammenhängenden Probleme an drei Beispielen diskutieren. Beginnen möchte ich mit dem Namen der Havel.
Dieser Flußname ist schon oft behandelt worden. Ich fasse die bisherige Diskussion kurz zusammen. Ausführlich haben sich Reinhard E. Fischer und Gerhard Schlimpert in ihrem grundlegenden Beitrag Vorslawische Namen in Brandenburg6 und später nochmals Reinhard E. Fischer7 mit diesem Hydronym befaßt. Die frühe Über-
5Reinhard E. Fischer, Gerhard Schlimpert, Vorslawische Namen in Brandenburg, Zeitschrift für Slawistik 16(1971), S. 661-697; Gerhard Schlimpert, Germanisch-slawische Kontakte im Lichte der Namen Brandenburgs, in: Berichte über den II. Internationalen Kongreß für Slawische Archäologie, Bd. 2, Berlin 1973, S. 471-478; Gerhard Schlimpert, Zur Überlieferung vorslawischer Namen in der DDR, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 20(1986), S. 25-28; Gerhard Schlimpert, Die Gewässernamen Brandenburgs, in: Namenkundliche Informationen, Beiheft 11(1987), S. 40-47; Gerhard Schlimpert, Germanische Gewässernamen in Brandenburg, in: Studia Onomastica. Festskrift till Th. Andersson, Stockholm 1989, S. 349-356.
6Wie Anm. 5, S. 667ff.
7Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (wie Anm. 3), S. 61ff.

lieferung des Namens (789 Habola, 981 Hauela, um 1075 iuxta Habolam usw.) zeigt die Bedeutung dieses Gewässers, das auch namengebend geworden ist für den Stammesnamen der Heveller (um 845 Hehfeldi, um 900 Wilte, pe mon Haefeldan haet, 937 Heueldun), für die Landschaft an der Havel (1188 terre de Havela, 1216 terre de Havelant) und für den Ortsnamen Havelberg (946 (Kopie 18. Jh.) Havelberg, 968 ultra … Haualbergensem).
Der Name wird heute im allgemeinen für germanisch gehalten und auf eine Grundform *Hab(u)la zurückgeführt. In dieser wird eine Bildung mit dem Suffix -(u)la zu einer Wurzel *hab- gesehen, die auch in nhd. Haff und Hafen vorliegt. So argumentierten z.B. Kaspar Zeuss, Karl Müllenhoff, Johann Koblischke, Ernst Schwarz, Max Vasmer, Ernst Eichler u.a.8. Von den Slaven wurde der Name in der Form *Ob la übernommen, davon abgeleitet sind mit dem Suffix -ica die Nebenflüsse Woblitz, Wublitz (polab. *Voblica)9. Die verschiedentlich vorgetragene Etymologie aus dem Slavischen (so z.B. von Jerzy Nalepa10) ist verfehlt11. Zur Frage der Übernahme in das Slavische heißt es bei Reinhard E. Fischer: „Im Unterschied zu allen anderen germ. Namen in der Mark Brandenburg, die erst durch slaw. Vermittlung wieder ins Deutsche gelangten, setzt der heutige Name Havel direkt die germanische Form fort“.12
Nur am Rande erwähne ich den verfehlten Beitrag von Michael Fraenkel, Spree und Havel.
8Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 62. Vgl. auch Anneliese Bretschneider, Die Havel und ihr Name in alter und neuer Zeit, in: Brandenburger Blätter 3(1981), S. 71-80.
9Ernst Eichler, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 48; Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 62.
10Jerzy Nalepa, Obla, Oblica, Oblisko. Pierwotna nazwa rzeki Havel i jej derywatów, in: Språkliga Bidrag, vol. 2, Nr. 9, Lund 1959, S. 12-27 (Dazu die Rezension von Marian Radlowski, in: Onomastica 6,1960, S. 290-294). Ähnlich auch Mikolaj Rudnicki, Praslowianszczyzna-Lechia-Polska I, Poznan 1959, S. 196f. und Stanislaw Urbanczyk, in: Slownik Starozytnosci Slowianskich, Bd. 2, Wroclaw usw. 1964, S. 197.
11Vgl. schon Herbert Ludat, Beiträge zur brandenburgischen Namenkunde, in: Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 48(1936), S. 333, wieder abgedruckt: Herbert Ludat, Deutsch-slawische Frühzeit und modernes polnisches Geschichtsbewußtsein. Ausgewählte Aufsätze, Köln-Wien 1969, S. 16ff., 331.
12Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 64.

Eine sprachwissenschaftliche Betrachtung13, der Vergleichsmaterial aus den semitischen Sprachen beizubringen versuchte.
Wie schon erwähnt wurde, ist die Annahme germanischer Herkunft weit verbreitet. Das gilt auch für Flußnamen, die offenbar mit dem der Havel verwandt sind. So gehören hierher: Hever, Wattströme auf Nordstrand und Pellworm, mit ON. Westerhever, 1196 Henere (lies: *Heuere), wahrscheinlich eine „-r-Erwei-terung zu afries. hef ‚Haff, Meer‘, an. haf, ndh. Haff, Hafen, woraus man einen germ. Stamm *hab- (hier auf fliessendes Wasser bezogen) vermuten kann“14, und Heve (–> Möhnesee), 1523 vp geensyt … der Heuen, < *Hab-ina15.
Mit der Einbeziehung dieser Namen beginnen jedoch die Probleme, auf die auch Wolfgang P. Schmid in einer gerade erschienenen Untersuchung16 aufmerk-sam macht und bemerkt: „Wenn man … Hever und … Heve mit germ. Haff ver-bindet, ergibt sich eine aus dem Germanischen nicht erklärbare Suffixvariation“17. Zwar kann im Fall der Havel an der Existenz einer germanischen Form *Habula sowie an dem Anschluß an deutsch Haff und Hafen kaum gerüttelt werden, die verwandten Namen Heve und Hever enthalten jedoch die Suffixe -r- und -n-, die in der alteuropäischen Hydronymie fest verankert sind, und es fragt sich, wie man das Wortbildungselement -ula im Namen der Havel beurteilen soll. Ist darin wirklich noch eine germanische Bildung zu sehen? Alteuropäische Namen wie *Adula, *Amula, *Apula, Orla < *Orula könnten dagegen sprechen.
Nach Wolfgang P. Schmid18 gibt es in der alteuropäischen Hydronymie wenig primäre -l-Ableitungen, aber häufiger ila- und -ula-Ableitungen. Hier könnte die Havel gut eingefügt werden.
13In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 199(1963), S. 178-181.
14Gudrun Kvaran, Untersuchungen zu den den Gewässernamen in Jütland und Schleswig-Holstein, Phil.Diss. Göttingen 1981, S. 55. Vgl. auch Dagmar Schmidt, Die Namen der rechtsrheinischen Zuflüsse zwischen Wupper und Lippe, unter besonderer Berücksichtigung der älteren Bildung, Phil.Diss. Göttingen 1970, S. 49.
15Dagmar Schmidt (wie Anm. 14), S. 49.
16Der Name der Havel – ein methodologisches Problem? In: Studia Onomastica VII. Festschrift für Gerhard Schlimpert (= Namenkundliche Informationen, Beiheft 15), Leipzig 1991 [1992], S. 53-58.
17A.a.O., S. 54.
18In: Zeitschrift für Ostforschung 28(1979), S. 413.

Andererseits kennt auch das Germanische suffixale Bildungen mit -ula, allerdings vor allem als „reguläre Beziehung zu u-Stämmen …; so … in got. magu-la ‚Knäblein‘ (zu magu-s) und ahd. angul, an. ogull ‚Angelhaken‘ … (vgl. awest. anku-, ai. anku-sá- ‚Haken‘)“19. Hier kann auch norweg. dial. sikla „kleiner Bach“ angeschlossen werden, sofern die Verbindung mit slavisch sigla20 und dem in den Corveyer Traditionen um das Jahr 1000 belegten Ortsnamen Siculithi akzeptiert werden kann. Weder deutsch Haff und Hafen noch die verwandten germanischen Wörter zeigen aber Spuren eines u-Stammes. Es scheint daher, als weise das Suffix eher auf einen Zusammenhang mit voreinzelsprachlichen Namen, darunter auch und vor allem mit entsprechenden Bildungen in Osteuropa. Das wird vor allem bei ei-nem Vergleich mit litauischen Namen wie Tat-ula, Dárb-ule, Bab-ùlis, Dub-ùlis, Vart-ulys und vielen anderen mehr21 deutlich.
In seinem bereits erwähnten Beitrag zum Namen der Havel ist Wolfgang P. Schmid auch auf dieses Problem eingegangen und hat unter Hinweis auf den bal-tischen Namen Cabula und dessen wahrscheinlichen thrakischen Verwandten ………… wahrscheinlich gemacht, daß der Name der Havel „nicht direkt aus Haff, Hafen [zu] erklären [ist]“, sondern „morphologisch und semantisch ältere vorgermanische Verhältnisse voraus[setzt]“22.
Aus diesen und weiteren Überlegungen darf zusammenfassend gefolgert werden, daß man den Namen der Havel zwar an germanisches Material anknüpfen kann, jedoch nicht auszuschließen ist, daß der Name auf einer älteren alteu-ropäischen Grundlage basiert. Wir werden bei dem Namen Emster, zu dem wir gleich übergehen werden, den etwas ähnliches Fall beobachten können und dabei zu dem Schluß kommen müssen, daß es sich um Bindeglieder zwischen den voreinzelsprachlichen, indogermanischen, alteuropäischen Namen und einzel-sprachlichen, germanischen Bildungen handelt. Ich möchte daher zu-sammenfassend sagen, daß man nach dem heutigen
19Hans Krahe, Wolfgang Meid, Germanische Sprachwissenschaft III, Berlin 1967, S. 85.
20Dazu Jürgen Udolph, Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewäs-serbezeichnungen, Heidelberg 1979, S. 388-393; vgl. auch Wolfgang P. Schmid, in: Zeitschrift für Ostforschung 28(1979), S. 413.
21S. Aleksandras Vanagas, Lietuvos TSR hidronimu daryba, Vilnius 1970, S. 199-201.
22Wolfgang P. Schmid (wie Anm. 16), S. 56.

Stand unseres Wissens den Namen der Havel nicht kommentarlos der germanischen Schicht brandenburgischer Gewässernamen zurechnen darf23.
Der Havelzufluß Emster, um 1442 von der deinster24, ist schon mehrfach namenkundlich untersucht worden. Er hat noch in jüngster Zeit einem Ort seinen Namen gegeben: erst 1937 wurde Schwina in Emstal umbenannt25. Die Diskussion wurde lange von einem Aufsatz von Max Bathe bestimmt. In seinem Beitrag Die Emster und die Amstel26, hat er – getreu der von ihm immer wieder nachhaltig vertretenen Auffassung einer Übertragung aus dem Westen (vor allem aus dem Niederländischen)27 – wahrscheinlich zu machen versucht, daß der Name der Emster aus dem alten deutschen Sprachgebiet entstammen muß, „weil ihre Form an Alster oder Ulster erinnert“28. Weiter heißt es bei Bathe: „Da aber zur Zeit der Namengebung, im 12.Jh., weder Stamm ‚Em-‚ noch Suffix ‚-ster‘ im Gebrauch waren, kann der Name nur übertragen sein“29. Darauf wird noch genauer einzugehen sein.
Mit Recht weist Max Bathe allerdings Hefftners Auffassung im Namenver-zeichnis zu Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis, Berlin 1867, zurück, der alte Name habe Demster gelautet30. Von Bedeutung ist auch sein Hinweis auf das „Flußnamensuffix -ster, das in Alster, Ulster, Gelster, Niester, Wilster begeg-net und in Beemster, 989,1083 Bamestra, sich auch in Nordholland findet“31.
23Zu weiteren Einzelheiten vgl. den in Anmerkung 16 genannten Beitrag von Wolfgang P. Schmid.
24Adolph Friedrich Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, Reihe III, Bd. 1, S. 248.
25S. Reinhard E. Fischer (wie Anm. 4), S. 56.
26In: Niederdeutsches Jahrbuch 79(1956), S. 85-95.
27Z.B. in seinem Aufsatz Lichtervelde – Lichterfelde, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 4(1954/55), S. 95-121.
28Max Bathe (wie Anm. 26), S. 85.
29Ebda.
30Ebda., S. 93.
31Ebda.

Wäre Max Bathe dieser Bemerkung weiter nachgegangen, hätte er sicher erkannt, daß diese Flußnamen nur zum geringen Teil aus dem Germanischen erklärt werden können und ein hohes Alter besitzen müssen, so daß an eine erst in einzelsprachlicher Zeit erfolgte Übertragung nur schwerlich zu denken ist.
Auf den wahrscheinlich verwandten Namen Amstel, der auch in dem Ortsnamen Amsterdam fortlebt, gehe ich hier nur kurz ein. Zur Diskussion verweise ich auf den schon von Max Bathe herangezogenen Beitrag von J. W. Muller, Amsterdam en Amstel32, auf Moritz Schönfeld33, die Ablehnung von Max Bathes These durch Dirk P. Blok34, und das jüngst erschienene Lexicon van nederlandse toponiemen tot 1200, Amsterdam 1989, in dem Amstel als „gebied rondom Ouderamstel (Noordholland)“ aufgefaßt wird (S. 66), und in dem nach Auffassung der Autoren des neuen niederländischen Ortsnamenbuches „waarschijnlijk een archaïsche wa-ternaam“ vorliegt (S. 67).
In dem Schlußwort seines schon mehrfach zitierten Beitrags hat Max Bathe geäußert: „Die brandenburgische Emster bezeugt durch ihren Namen die Ansied-lung von Holländern …“35. Seine These einer Übertragung aus dem Westen ist von Reinhard E. Fischer36 akzeptiert worden.
Gegen diese Auffassung hat Gerhard Schlimpert völlig berechtigt Einspruch eingelegt37 und unter Bezug auf Hans Krahe38 knapp dargelegt: „Der Name der Emster läßt sich ohne Schwierigkeiten auf eine germanische Form *Amistra, zu ide. *am- ‚Flußbett, Graben‘, zurückführen“.
Ich möchte an dieser Stelle ausführlicher auf den Namen der Emster eingehen, da wir es offenbar mit einem Hydronym zu tun haben, das zwar zu den voreinzelsprachlichen Bildungen der alteuropäischen Hydronymie gerechnet wer-den kann, aber in seiner Bildung auch germanischen Einfluß zu erkennen gibt.
32In: Nomina Geographica Neerlandica 9(1934), S. 133ff.
33Nederlandse waternamen, Amsterdam 1955, S. 43ff.
34In: Beiträge zur Namenforschung 10(1959), S. 283 (mit Anm. 4).
35M. Bathe (wie Anm. 26), S. 95.
36Die Ortsnamen der Zauche (wie Anm. 4), S. 56.
37In: Zeitschrift für Slawistik 28(1973), S. 76; ders., in: Geografia Nazewnicza, Red. K. Rymut, Wroclaw usw. 1983, S. 94.
38Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964, S. 42, wo aber nur zur Wurzel, nicht zum Flußnamen Emster selbst Stellung genommen wird.

Zudem fehlt bisher eine Zusammenstellung der hiermit verwandten Gewässer- und Ortsnamen39.
Eine Wurzel *am-/om- dürfte in den folgenden Appellativen vorliegen: alban. amë „Flußbett“, griech. PìÜñá „Graben, Kanal“, ion. áìÜñç, hethit. amiiar(a)- „Kanal“40.
Geht man von dem Wortmaterial zu den davon abgeleiteten Namen über, so fällt schon bald auf, daß die „klassischen“ alteuropäischen Bildungen, also etwa diejenigen mit -n-, -nt-, -r-, -s- und -t-, gut vertreten sind. Auch die Ablei-tungsgrundlage, also einfaches *Ama bzw. *Amia, läßt sich nachweisen. Im ein-zelnen vergleiche man:
*Ama evtl. in dem schwed. GN. Åmme < *Ama41; *Amia in Große, Kleine Emme (Nordschweiz)42, auch in Emme(bach), mua. auch Emsbach43, bei Ems, auch Hohenems, ON. im Vorarlberger Rheintal, 766 amede, 9. Jh. Amates44, dort auch Ortsname Emmebach45;
39Die Sammlung von A. Brand, Die Ems und ihre Namensverwandten. Ein grundsätzlicher Beitrag zur vergleichenden Fluß-, Berg- und Ortsnamenkunde, Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 76(1918), S. 1-55 befriedigt heute nicht mehr.
40S. Wilhelm Nicolaisen, in: Beiträge zur Namenforschung 8(1957), S. 228; Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 4(1953), S. 51-53; ders., Unsere äl-testen Flußnamen (wie Anm. 1), S. 42; Julius Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Bern-München 1959, S. 502.
41Elof Hellquist, in: Svenska Landsmål 20, Nr. 1, S. 766ff.; zitiert nach Max Vasmer, Schriften zur slavischen Altertumskunde und Namenkunde, Bd. 2, Berlin 1971, S. 941.
42Belege und Etymologie s. Albrecht Greule, Vor- und frühgermanische Flußna-men am Oberrhein, Heidelberg 1973, S. 113ff.; Erika Waser, Die Entlebucher Namenlandschaft, Luzern-Stuttgart 1988; Wolfgang Kleiber, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 24(1989), S. 432.
43Bruno Boesch, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 19.
44Albrecht Greule (wie Anm. 42), S. 115 und Theodora Geiger, in: Beiträge zur Namenforschung 16(1965)126f., weitere Belege bei Erika Boedecker, Studien über das Weiterleben und die Neuverwendung antiker Orts- und Provinznamen im österreichischen Mittelalter bis um 1250, Phil.Diss. Wien 1970, S. 84f.
45Bruno Boesch, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 19.
46Albert Dauzat, Gaston Deslandes, Christian Rostaing, Dictionnaire étymologique des noms de rivières et de montagne en France, Paris 1978, S. 20.

*Amia auch wohl in Amiette –> Aisne, 1141 Amia46; weiterhin gehört hierzu der in der Flexion an die germanischen jô-Stämme (Nominativ *Amî bzw. in den obliquen Kasus *Amiâ-47) angelehnte FlN. Eem –> Ijsselmeer bei Amersfort, 777 (K. 10. u. 11. Jh.) super alueum Hemi, … partes Hemi, um 1000 ab aqua Ema nominata, 1012-18 (Kopie 14.Jh.; Thietmar) ab aqua Ema, um 1160 (Vita Meinwerci) ad aquam Emme48, dazu auch die Ortsnamen Eembrugge, Eemdijk, Eemnes und der FlurN. Eemland. Der am Fluß liegende Ort Amersfort geht mit seinem Namen auf dieselbe Wurzel wie der Flußname zurück, enthält aber nach Dirk P. Blok49 ein -r-Suffix (dazu s. unten), dessen Bildung mit einem Mittelvokal (Typus *Amer-/Amar-) im Germanischen unbekannt und als altertümlich zu betrachten ist.
Bildungen mit einem Formans -n- sind sicher nachweisbar, man vergleiche Ohm –> Lahn, (um 750-779) (Kopie um 1160) Amana usw., mit den ON. Ober-, Nieder-Ohmen, Amöneburg (754-68, K. um 800 Amanaburg), < *Amana50; weiterhin *Amana, erschlossener Name für ein Teilstück der Maas (Hans Krahe, Struktur [wie Anm. 50], S. 312), auch *Amana in *Aman-êa, jetzt Ampney Brook, FlN. in Gloucestershire, ca. 1540 Amney Water, Amneybroke usw.51, ein -n-Ele-ment enthält auch der mittelrussische Flußname Amon‘, Varianten Omonja, Amon’ka52; vielleicht ist hier auch , Flußname bei Catania53, anzuschließen.
47S. Albrecht Greule (wie Anm. 42), S. 115, ähnlich Dirk P. Blok, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 2(1968), S. 18; R.E. Künzel u.a., Lexicon van nederlandse toponiemen tot 1200, Amsterdam 1989, S. 123 nehmen eine Grundform *Ami an.
48Hydronymia Germaniae, Lieferung A 11, Wiesbaden-Stuttgart 1977, S. 9; R.E. Künzel (wie Anm. 47), S. 123.
49In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 2(1968), S. 18.
50Belege nach Lutz Reichardt, Die Siedlungsnamen der Kreise Gießen, Alsfeld und Lauterbach in Hessen, Göppingen 1973, S. 232; Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 4(1953), S. 53; ders., Die Struktur der alteuropäischen Hydronymie, Mainz-Wiesbaden 1963, S. 312; ders., Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42.
51Hans Krahe, Struktur (wie Anm. 50), S. 312.
52S. Wolfgang P. Schmid, Alteuropa und der Osten im Spiegel der Sprachge-schichte, Innsbruck 1965, S. 6.
53Weitere Belege bei Helmut Rix, Bausteine zu einer Hydronymie Alt-Italiens, Phil. Diss. Heidelberg 1950, S. 146.

Bildungen mit -r- wie Amer, Am(m)er < *Amara sind vor allem im deutschen und niederländischen Sprachgebiet bezeugt, etliche Namen begegnen als Seegatten in Brabant und Zeeland54. Nach Dirk P. Blok55 sind es eher junge Bil-dungen, deren Grundlage in den Niederlanden offenbar länger bekannt und pro-duktiv gewesen ist. Vgl. weiterhin Emmersloot, 1490 aenden aemere … onder twater geheeten den Emer … aenden eemer“56 und den ON. Amersfort, 1028 de Amersfoirde usw.57, dazu s.o. s.v. Eem. Aus Deutschland wären zu nennen: Am-mersbek, FlußN. in Schleswig-Holstein58, hierzu evtl. auch Hamerbek, 1290 in amerbeke, et ab amerbeke usw.59. Vgl. weiterhin die Ammerswurther Au in Schleswig-Holstein mit dem ON. Ammerswurt, 1496 to Ammersword, „am wahr-scheinlichsten … *Amara“60 sowie 1692 Amer Wisch, Gewässername im Bereich der oberen Wümme61. Auch der Name Großer Hamerloh, 1721 up dat grote Amerlohe usw. geht nach Pierre Hessmann (ebda.) auf einen FlN. *Amer zurück, bei weiteren norddeutschen Hammer-Namen kann ähnliches vermutet werden62. Die Amorbäche Süddeutschlands bleiben wohl eher fern, aber gilt das z.B. auch für den Amorbach im Maingebiet, 1464 in der Amerbach63?
54S. Moritz Schönfeld (wie Anm. 33), S. 44f.; Gudrun Kvaran (wie Anm. 14), S. 5; Hans Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42; J.V. v. Loon, Water en wa-ternamen in Noord-Brabants zuidwesthoek, Leuven-Brussel 1965, S. 19f.
55In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 2(1968), S. 19.
56J.V. v. Loon (wie Anm. 54), S. 19.
57Hydronymia Germaniae A 11 (wie Anm. 48), S. 54.
58Hydronymia Germaniae A 16, S. 11; mit -r-Suffix gebildet nach Wolfgang Laur, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 120.
59Hydronymia Germaniae A 16, S. 145; anders (< *ambhr-): Antje Schmitz, Die Ortsnamen des Kreises Herzogtum Lauenburg und der Stadt Lübeck, Neu-münster 1990, S. 395.
60Gudrun Kvaran (wie Anm. 14), S. 5; ähnlich Wolfgang Laur, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 120.
61Pierre Hessmann, in: Name und Geschichte, H. Kaufmann z. 80. Geburtstag, München 1978, S. 198.
62Ders. in: Gießener Flurnamen-Kolloquium, Heidelberg 1985, S. 196.
63Hydronymia Germaniae A 7, S. 4.

Die für die alteuropäische Hydronymie typischen -nt-Bildungen sind ebenfalls gut bezeugt. Es lassen sich anführen: Amance –> Saône, mit ON. Amance, < *Amantia; Amance –> Aube, mit ON. Amance, < *Amantia64; *Amantia in einem Flußnamen in Pannonien, zu erschließen aus dem bei Plinius und Ptolemaeus erwähnten VN. Amantini65; wahrscheinlich sind auch die Ortsnamen Amantea in Bruttium, alt Amantia66 und Amantia in Südillyrien, auch Ethnikon Amantini67 anzuschließen.
Häufig sind -s-Bildungen68, die schon lange durch den Namen der Ems aufgefallen sind. Man vergleiche: Ems –> Nordsee, Tacitus, Annalen ad flumen Amisiam, Mela Amissis, Adam v. Bremen Emisa, < *Amisia69; weiterhin Emsbach –> Lahn, 795 fluvium Hemisa, 805 fluminis … Emisa70, < *Amisa71; Emse –> Hörsel –> Werra, 1003 Emisa, < *Amisa72; Emse(nbach) –> Ilm bei Bad Sulza, mit abgegangenem ON. Emsen, 9. Jh. Umisa, 1063 Imese, 1271 Emesa, < *Amisa73; Ems –> Eder, 1404 Eymese, dazu 1325 Emseberg usw.74, *Amisa75.
64Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 2(1951), S. 123; ders., Struktur (wie Anm. 50), S. 312; G. Kvaran (wie Anm. 14), S. 5.
65Hans Krahe, Struktur (wie Anm. 50), S. 312.
66Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 4(1953)52; Julius Pokorny, Zur Urgeschichte der Kelten und Illyrier, Sonderdruck Halle 1938, S. 127.
67Hans Krahe, Beiträge zur Namenforschung 4(1953)52.
68Dazu zusammenfassend: Wolfgang P. Schmid, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 7, Lfg. 3/4, Berlin-New York 1989, S. 274.
69Hans Krahe, Struktur (wie Anm. 50), S. 313; jetzt ausführlich Wolfgang P. Schmid (wie Anm. 68).
70Hydronymia Germaniae, Lieferung A 4, Wiesbaden 1966, S. 22f.
71Hans Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42; ders., Struktur (wie Anm. 50), S. 312.
72Hans Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42; ders., Struktur (wie Anm. 50), S. 313; Hans Walther, Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsgeschichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9. Jahrhunderts, Berlin 1971, S. 235.
73Hans Walther (wie Anm. 72), S. 235.
74Hydronymia Germaniae A 5, S. 23.
75Hans Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42; ders., Struktur (wie Anm. 50), S. 313.

-t-Formantien sind vor allem in Osteuropa nachweisbar: Amatà, FlN. in Litauen76; Amata –> Gauja in Lettland77; Amitâs, FlN. in Apulien, < *Amitâ78; (griech.), FlN. in Makedonien79; Amota, Seename bei Vecuni, 1554 podle bolota Amotja80; Omet –> Alle/Lyna, 1370-74 Omeyte, 1398 Amet usw., < preuß. *Amêtê81. J. Pokorny82 schließt hier auch den Flußnamen Amatissa, heute Amasse, Touraine, an.
Ein besonderes Problem sind -l-Ableitungen. In Westeuropa sind sie weniger häufig. Der Osten bietet da jedoch ein anderes Bild83, und das zeigt sich auch bei den den hier diskutierten Namen. Allerdings gibt es im baltischen Bereich durch die Kreuzung mit dem baltischen Wort für die „Mistel“ (s.u.) besondere Probleme. Sicheres Material bietet daher vor allem Westeuropa: *Amalâ, heute Amalburna, nach 991 to, from Amalburnan, alter Name d. Box in Suffolk84; *Amalâ in Amble, Ortsname in Cornwall, sehr wahrscheinlich alter Name eines Flusses, 1086 Amal, 1306 Amaleglos85; Amel, Ortsname im Département Meuse, 982 Amella; Amel, Bach bei Eltville86; Malone, linker Nebenfluß des Po, Geogr.Rav. Amalune, 11. Jh. Amalone, dort auch unbekannter Nebenfluß Amalona87.
76Hans Krahe, Struktur (wie Anm. 50), S. 312; Jan Otrebski, in: Lingua Posna-niensis 1(1949), S. 228; Hans Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42; Alek-sandras Vanagas, Lietuviu hidronimu etimologinis zodynas, Vilnius 1981, S. 41.
77Hans Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42.
78Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 4(1953), S. 53; Wilhelm Nicolai-sen, in: Beiträge zur Namenforschung 8(1957), S. 228; allerdings erwägt Hel-mut Rix (wie Anm. 53), S. 118 auch die Lesung Aritas (!).
79Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 4(1953), S. 53; Wilhelm Nicolai-sen, in: Beiträge zur Namenforschung 8(1957), S. 228.
80Opisanie zmudckoj zemli v 1554 f., in: Archeograficeskij slovnik dokumentov, otnosjascichsja k istorii severozapadnoj Rusi, Bd. 8, Vil’na 1870, S. 109.
81Maria Biolik, Hydronimia dorzecza Pregoly z terenu Polski, Olsztyn 1987, S. 160.
82Urgeschichte (wie Anm. 66), S. 127.
83S. etwa Jürgen Udolph, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie, Heidelberg 1990, S. 319f.
84Wilhelm Nicolaisen, in: Beiträge zur Namenforschung 8(1957), S. 228; Max Förster, Der Flußname Themse und seine Sippe, München 1941, S. 117.
85Wilhelm Nicolaisen, in: Beiträge zur Namenforschung 8(1957), S. 228; Eilert Ekwall, English River Names, Reprint Oxford 1968, S. 11.
86Ernst Förstemann (wie Anm. 86),S. 122.

Fraglich ist die Zugehörigkeit von Ammelbach –> Röllbach –> Main und Ammels-Bach –> Schondra88. Schwer ist auch der Flußname Emmelke, 1185 Amlake usw.89, einzuorden.
Altpreußisch emelno, litauisch amalas, lettisch amuls, amuls, amuols „Mistel“ ist sicher die Grundlage für einige oder mehrere der folgenden Namen: Amalvas, Amale, Amalis, Amalka, Amule, Amulle, Amelung, Ammeling, Amalve, Omoli, Omoly, Amoli, Amoly, Omulle, Amuole, Amalka, *Amalvas in Omelovka, Omolva u.a.m.90. Gelegentlich wird aber auch Zugehörigkeit zu unserer Sippe um idg. *am-/om-erwogen, so von Gudrun Kvaran91 für den FlN. Amalis, auch Maria Biolik92 schwankt bei der Deutung des Seenamens Klebarskie Jezioro, 1352 in lacu amelung, 1357 circa lacum Amelung usw. zwischen der Verbindung mit balt. *amel- „Mistel“ und unserer Wurzel *am-, ähnlich hat Ivan Duridanov bei der Diskussion von *Amala oder *Amela (-as), der mutmaßlichen Grundlage des verschwundenen balkanischen Ortsnamens Amlaidina argumentiert93, indem er an zahlreiche baltische Namen und an das baltische Mistelwort anknüpfte.
87Helmut Rix (wie Anm. 53), S. 5; Monumenta Germaniae Historica, Scriptores (in folio) XXX 1455.
88Hydronymia Germaniae A 7, S. 4.
89Hydronymia Germaniae A 16, S. 101.
90Peeter Arumaa, in: Aus dem Namengut Mitteleuropas, Festgabe für E. Kranz-mayer, Klagenfurt 1972, S. 6; Aleksandras Vanagas, Zodynas (wie Anm. 76), S. 41; Vladimir N. Toporov, Prusskij jazyk, Bd. 1, Moskva 1975, S. 81; Ka-zimieras Buga, Rinktiniai rastai, Bd. 3, Vilnius 1961; Georg Gerullis, Die alt-preußischen Ortsnamen, Berlin-Leipzig 1922, S. 9; Max Vasmer, Schriften (wie Anm. 41), Bd. II, S. 941; Janis Endzelins, Latvijas PSR vietvârdi, Bd. 1, Riga 1956, S. 25; F. Daubaras, Baltistica 17(1981), S. 84; Knut O. Falk, Wody wigierskie i hucianskie, Phil. Diss. Uppsala 1941, S. 199f.; Anna Pospiszylowa, Toponima poludniowej Warmii. Nazwy terenowe, Olsztyn 1990, S. 102f.; Valentin Kiparsky, Die Kurenfrage, Helsinki 1932, S. 78.
91Wie Anm. 14, S. 5.
92Wie Anm. 81, S. 105.
93Thrakisch-dakische Studien, 1. Teil: Die thrakisch- und dakisch-baltischen Sprachbeziehungen, Sofia 1969, S. 28.

Für Hans. Krahe, Ält. FlußN. (wie Anm. 1), S. 42, ist der Name Amule < *Amula, Nebenfluß der Abava in Lettland, in die voreinzelsprachlichen Bildungen einzureihen94. Schließlich habe ich Bedenken, den bedeutenden Zufluß des Narew in Polen Omulew, dessen Grundform auf einen alten û-Stamm weist (*Omoly, *Omol ve), als einzelsprachliche Bildung mit dem baltischen Mistelwort zu verbinden.
Wir können nur eine Zwischenbilanz ziehen: an der Existenz einer indo-germanischen, alteuropäischen Sippe um eine Wurzel *am-/om- ist meines Er-achtens nicht zu zweifeln. Allerdings kann ich Anton Scherers Meinung95, den Flußnamen Ohm, Ems, Amance usw. liege die Wurzel „*om – (in) ai. áma- ‚Andrang, Ungestüm‘; an. ama ‚plagen, belästigen’„ und „kaum … alb. amë ‚Flussbett’„ zugrunde, nicht zustimmen. Die von Anton Scherer herangezogene Wurzel liegt zweifellos in Personennamen vor (so vor allem im Germanischen, man vergleiche den Namen des ostgotischen Königshauses), kaum jedoch in Flußnamen. Wenn andererseits Hjalmar Frisk in seinem Griechischen etymolo-gischen Wörterbuch96 für griech. Herkunft aus dem Orient annimmt, so ist diese Auffassung angesichts der europäischen Flußnamen ebenso abzulehnen wie die von westeuropäischen Forschern vertretene Meinung, diese Wurzel könne nicht mit der alteuropäischen Hydronymie in Verbindung gebracht werden, „puisqu’aujourd’hui cette théorie est manifestement dépassée“97. Man wird allen Anforderungen am ehesten gerecht, wenn man Hans Krahes Vorschlag folgend eine voreinzelsprachliche Sippe annimmt (dafür sprechen semasiologische und morphologische Gründe, aber auch die Streuung der Namen), und die oben zusammengestellten Namen in ihrer überwiegenden Mehrheit (in einzelnen Fällen werden immer offene Fragen bestehen bleiben) der alteuropäischen Hydronymie zuordnet. Von hieraus können wir uns nun dem Flußnamen Emster zuwenden.
94H. Krahe, Ält.Flußnamen 42.
95Der Ursprung der „alteuropäischen“ Hydronymie, in: Atti e Memorie VII Congresso Internazionale di Scienze Onomastiche, Bd. 2, Firenze 1961, S. 415.
96Bd. 1, Heidelberg 1960, S. 87.
97Albert J. van Windekens, in: Studies in Diachronic, Synchronic, and Typological Linguistics, Festschrift für O. Szemerényi, Amsterdam 1979, Bd. 2, S. 924.

Wie oben schon ausgeführt wurde, hat Gerhard Schlimpert den Namen der Emster auf eine Vorform *Amistra zurückgeführt und mit der Wurzel *am-/om- verbunden. Unsere Zusammenstellung der davon abge-leiteten Hydro- und Toponyme zeigt nun, daß eine Bildung mit dem Suffix *-istra sonst nicht belegt werden kann. Die Emster steht somit, was die Ableitung von der Wurzel betrifft, isoliert. Diese Isolation kann aber durchbrochen werden, wenn man nach entsprechenden Bildungen von anderen Ableitungsgrundlagen Ausschau hält. Im folgenden seien die mir bekannt gewordenen Bildungen mit dem Element *-str-, meistens als *-istra oder *-astra belegt, aufgelistet.
Am bekanntesten dürfte die Sippe um die deutschen Flußnamen Alster und Elster sein. Zu ihr gehören zahlreiche Namen in Deutschland und Skandinavien, zu denen ich vor kurzem an anderer Stelle98 ausführlicher Stellung genommen habe. Die Namen gehören mit den Grundformen *Al-astra und *Al-istra (> Elster, bildungsgleich mit Emster!), zu idg. *el-/ol- „fließen usw.“; weiterhin sind mir bekannt geworden: Ballestre, 940 (Kopie 12. Jh.) Ballestran, Flußname in Eng-land99; Beemster bei Alkmaar in den Niederlanden, 1083 (Fälschung 12. Jh.) flu-men Bamestra100 (die Etymologie ist noch unklar101); Beuster –> Innerste bei Hil-desheim, 1305 Bostere, 1308 Botestere usw.102; evtl. Deister, Bergname bei Han-nover; Falster, dänische Insel103; Falsterbach, Flußname im Gebiet des Oberrh-eins104; Flóstr, Inselname in Skandinavien105; Gelster –> Werra, 1246 (Abschrift 1623) inter Gelstram, 1292 (Abschrift 16. Jh.) obir di Gelstra, 1358 obir di Gel-stra106, nach Hans Walther (wie Anm. 72), S. 236 „germ. *Galistra, *Gelistra; zu ahd. gellan ‚gellen‘,
98Jürgen Udolph, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 24(1989), S. 271-274.
99Eilert Ekwall (wie Anm. 85), Oxford 1968, S. 26; vgl. Thorsten Andersson, Namn i Norden och det forna Europa, Uppsala 1989, S. 93.
100Maurits Gysseling, Toponymisch woordenboek van België, Nederland, Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland, Bd. 1, Brussels 1960, S. 114.
101Moritz Schönfeld (wie Anm. 33), S. 38.
102Zu weiteren Belegen und der Deutung s. Bernd-Ulrich Kettner, Flußnamen im Stromgebiet der oberen und mittleren Leine, Rinteln 1972, S. 25f.
103Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 92 und 98f.
104Theodora Geiger, in: Beiträge zur Namenforschung 15(1964), S. 51.
105Ebda.
106Thorsten Andersson, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 5(1970), S. 122.

mhd. gelster ‚lauterklingend’107; Kelsterbach, ON. und Flußname bei Groß Gerau, 830-850 (A. Ende 12. Jh.) De Gelsterbach, In Gelsterbach usw.108 und ON Gelsenkirchen (12. Jh. Geilistirinkirkin)“; aus Norwegen bringt Per Hovda109 die Gewässernamen J·lstra, Imstra und *J·stra/*Jostra (in Jostedalen) bei; Lästern in Schweden110; Koster, schwed. Inselname111; aus Deutschland vergleiche weiter Lister, Flußname im Westerwald, 1532 in der Lyster usw., ON. Listernohl, 1256 Listernole112; hierzu wohl Lister, Inselname in Scheden113; weiter Lustr, Fjordname in Skandinavien114; Medestre, Flußname in England115, Mostr, Inselname in Skandinavien116; Nister, Flußname im Westerwald, 1064 ad … Nistram usw.117; Ørstr, Fjordname in Skandinavien118; Öster, Flußname im Westerwald, 1607 Ooster flu. usw.119; Rekstr, Inselname in Schweden120; Salstern, Stora, Lilla, Seenamen in Schweden121; Seester(au), alter Name der Krückau –> Elbe, 1141 (F. um 1180, Kopie nach 1200) iuxta fluuium Ciestere usw., mit ON. Seester, Seesterau, Seestermühe u.a.122; Susteren, ON. in den Niederlanden,
107Zu diesem Wort ausführlich: Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 17ff.
108Thorsten Andersson, in: Beiträge zur Namenforschung 5(1970), S. 122.
109Norske elvenamn, Oslo-Bergen 1966, S. 15.
110Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 92.
111Ebda.
112Nach Erhard Barth, Die Gewässernamen im Flußgebiet von Sieg und Ruhr, Giessen 1968, S. 156 und Dagmar Schmidt (wie Anm. 14), S. 67f. sehr wahrscheinlich -str-Bildung < *Legistra.
113Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 92.
114Ebda.
115Ebda., S. 93; Eilert Ekwall (wie Anm. 85), S. 285.
116Thorsten Andersson (wie Anm. 85), S. 93.
117Nach Adolf Bach, Deutsche Namenkunde, Teil 2, Bd. 1, Heidelberg 1953, S. 207 Zuordnung zu den Bildungen mit -str- fraglich, keine Zweifel hat dagegen Erhard Barth (wie Anm. 112), S. 101f.
118Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 92.
119Nach Erhard Barth (wie Anm. 112), S. 163 -str-Bildung wahrscheinlich.
120Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 92.
121S. Elöf Hellquist, Studier öfver de svenska sjönamnen, Teil 1, Stockholm 1903-06, S. 520.
122Zu Belegen und Literatur s. Hydronymia Germaniae A 16, S. 199ff.; Deutung noch unsicher, s. Wolfgang Laur, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 16(1981), S. 116.

 1277 Rususteren, beruht auf einem Flußnamen Suster, 714 (Kopie 1191), 718 (Kopie 1191) Svestra, 891 (Kopie um 1100) Suestra usw.123; Ulster –> Werra, 819, 836 Ulstra, sehr wahrscheinlich schwundstufige Bildung zu Alster, Elster124; auch der Name der Unstrut könnte hier angeschlossen werden, sofern eine Grundform *Un-str- angesetzt werden darf und der unverkennbar vorhandene Einfluß von Strut125 sekundär ist; weiterhin vielleicht in Vänstern, Seename in Schweden126; sicher in Wilster –> Medem (–> Elbe) und Wilster Au (Wilsterau) –> Stör (–> Elbe)127, schließlich Zester, abgegangener Flußname im Alten Land, 1197 iuxta Szasteram, mit verschwundenem ON. Zesterfleth, 1221 Sestersvlete usw.128. Fraglich ist die Zugehörigkeit von Asdorf(bach) im Westerwald129.
Damit können wir die Zusammenstellung der mit dem Flußnamen Emster in Lexem und Suffix verwandten Namen beenden. Es wird dabei deutlich, daß gegenüber anderen Bildungen der alteuropäischen Hydronymie Namen mit einem -str-Element auf einen bestimmten Raum beschränkt: der Schwerpunkt liegt mei-nes Erachtens in Deutschland, vor allem auf Grund der Tatsache, daß sich darunter bedeutende Flüsse befinden, während Skandinavien vor allem mit Fjord- und Inselnamen Anteil hat. Man vergleiche aus Deutschland Alster, Beuster, dazu evtl. der Bergname Deister, weiter Elster, Emster, Gelsenkirchen, Gelster, Kelsterbach, Lister, Nister, Öster, Seester(au), Ulster, Wilster, Wilsterau, Zester. Daneben sind nur die Niederlande (Beemster, Susteren), England (Ballestre, Medestre) und Skandinavien (Alster, Flóstr, Jolstra, Imstra, Jostedalen,
123Maurits Gysseling (wie Anm. 100), Bd. II, S. 948. Der Gewässername enthält nach Adolf Bach (wie Anm. 117), S. 207 das Suffix -str-, Zweifel hat Moritz Schönfeld (wie Anm. 33), S. 80, zustimmend jedoch P.L.M. Tummers, D.P. Blok, Waternamen in Limburg en Drente, Amsterdam 1978, S. 28f.
124Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 10(1959), S. 11; Hans Walther (wie Anm. 72), S. 236.
125Dazu Jürgen Udolph, in: Gießener Flurnamen-Kolloquium, Heidelberg 1985, S. 272-298, speziell: S. 290.
126S. Elof Hellquist, Studier (wie Anm. 121), Teil 1, S. 741.
127Zu beiden Namen s. Hydronymia Germaniae A 16, S. 364ff. (mit Hinweis auf weitere Literatur).
128S. Hydronymia Germaniae A 16, S. 371ff.
129Nach Erhard Barth (wie Anm. 112), S. 66 -str-Bildung.

Koster, Lästern, Lister, Lustr, Mostr, Ørstr, Rekstr) von der Streuung betroffen. So hatte schon Erhard Barth (wie Anm. 121), S. 102 formuliert: „Da sich GN mit dem -str-Suffix … nur in einem beschränkten Gebiet Mitteleuropas finden …, so ist es zu erwägen, ob die „alteuropäischen“ Gewässernamen nicht in Untergruppen zu teilen wären, wobei neben einer weiträumigen, zugleich älteren Gruppe eine kleinräumige, gleichzeitig jüngere Gruppe von Gewässernamen Mitteleuropas stände“. Zu den Konsequenzen, die sich daraus für den mutmaßlichen Raum der Entfaltung des Germanischen ergeben könnten, habe ich an anderer Stelle130 zunächst nur kurz Stellung genommen. Heute möchte ich eine notwendig gewordene Ergänzung hinzufügen.
Schon lange ist aufgefallen, daß gerade das Germanische in seinem Wortschatz Bildungen mit -str- („Es handelt sich offensichtlich um ein sehr altertümliches Suffix“131) kennt, man vergleiche etwa got. awistr „Schafstall“ und die Be-merkungen von Siegmund Feist in dessen Vergleichendem Wörterbuch der gotischen Sprache132. Weiteres Material findet sich bei Hans Krahe, Wolfgang Meid, Germanische Sprachwissenschaft (wie Anm. 19), S. 184, Thorsten Andersson133 und Wolfgang Meid134, so z.B. dt. Laster < *lah-stra-, Polster < *bulh-stra-, anord. mostr < *muh-stra-, altwestnord. naust, norw. (mua.) naustr „Bootsschuppen“ u.a.m. Neben diesen offenbar älteren Bildungen, in denen das Suffix an Wurzeln mit gutturalem Auslaut antrat, sind auch Bildungen mit Zwischenvokal bzw. in sekundärer Ableitung an vokalisch auslautende Vorderstücken zu beobachten. „Diese Bildungen sind vornehmlich Ortsbezeichnungen“135. Hierunter fallen z.B. got. hulistr „Hülle“ neben ablautendem altenglischen helustr, heoloster,
130In: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 24(1989)273f.
131Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 35.
132Leiden 1939, S. 70.
133Wie Anm. 99, S. 33ff. und vor allem S. 92-112 (mit Hinweis auf weitere Literatur).
134In: Indogermanische Forschungen 69(1964/65), S. 218ff.; ders., in: Die Sprache 11(1965), S. 122ff.; ders., in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 79(1965), S. 291ff.
135Hans Krahe, Wolfgang Meid (wie Anm. 19), S. 184.

weiterhin altenglisch gilister, geoloster „Geschwür“, das schon erwähnte gotische awistr u.a.m.
Ergänzt man diese Bemerkungen durch den Vergleich mit den oben zu-sammengestellten Orts- und Gewässernamen, so kann es kaum einen Zweifel daran geben, daß diese in ihrer Wortbildung durch germanischen Einfluß geprägt sind136. Daraus ergeben sich für die Gruppe der Bildungen mit -str- und ihre Streuung sowie für die Einordnung des Flußnamens Emster verschiedene Konse-quenzen.
1. Obwohl sich unter diesen Namen etliche befinden, deren Lexem im Germanischen ohne sicheren Anschluß ist (Alster/Elster, Beuster (?), Emster, Ul-ster, Wilster)137, ist der Einfluß des Germanischen in der Wortbildung unver-kennbar.
2. Die schon angesprochene auffällige Streuung der Namen erfordert einen Kommentar. Ich sehe in dieser Verbreitung ein weiteres Indiz für die Annahme, daß sich das Germanische nicht unbedingt in Skandinavien entfaltet hat138.
3. Die Emster, zu der wir nun nach einem längeren Ausholen zurückkommen, ist in diesem Zusammenhang ein typischer und repräsentativer Name. Während die zugrundeliegende Wurzel dem Germanischen fremd ist, verrät die Wortbildung germanischen Einfluß. Der Name scheint mir daher dafür zu sprechen, daß Sprecher indogermanischer Dialekte auch die Umgebung von Bran-denburg besiedelt haben und es eine Kontinuität zu den sich entwickelnden ger-manischen Mundarten gegeben hat.
Aus dieser Zusammenfassung wird deutlich, welche Bedeutung dieser Name besitzt. Während nicht sicher entschieden werden kann, von welchem Teilbereich aus die Havel benannt worden ist, zeigt die Emster zweifelsfrei, daß in Brandenburg und seiner Umgebung auch sehr alte Namen nachgewiesen werden können. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes wollen wir uns nun dem schwierigen Namen Brandenburg zuwenden.
136Ähnlich Thorsten Andersson, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 5(1970), S. 126, Anm. 29: „… für einen durch -str-Ableitung gebildeten Flußnamen wäre also am ehesten an germanischen Ursprung zu denken“.
137Es sind vor allem Hydronyme in Deutschland, deren Erklärung schwer fällt; leichter ist die Deutung der skandinavischen Verwandten, s. Thorsten Andersson (wie Anm. 99), S. 92ff.
138S. dazu meinen Beitrag Germanische Hydronymie aus kontinentaler Sicht, in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 24(1989), S. 269-291.

Ein unbefangener Beobachter wird sicher der Ansicht sein, daß Brandenburg etwas mit deutsch Brand und brennen zu tun hat. Diese Deutung überzeugt jedoch – wie wir noch sehen werden – nicht. Die ältesten Belege zeigen ein Schwanken zwischen Formen wie Brendan-burg, Brenna-burg, Branden-burg. Nach Reinhard E. Fischer139 lauten die ältesten Belege wie folgt: 948 Brendanburg, um 967 (z. Jahr 928/29) Brennaburg (Varianten: Brandenburg, brinnaburg, branneburh, brennaburch), um 967 (z. Jahr 939) Brennaburg (Varianten: Brandanburg, Bran-denburg, brandeburh), um 1014 (z. Jahr 970) Brandeburgiensis aecclesiae, um 1014 (z. Jahr 983) Brandenburgiensem episcopatum usw. Es ist bemerkenswert, daß für den Ort offenbar kein slavischer Name überliefert ist140. Der immer wieder unternommene Versuch, den Namen aus dem Slavischen zu deuten (z.B. zu sla-visch *br?n- „Morast, Sumpf“141), ist abzulehnen142.
Eine völlig überzeugende Deutung fehlt noch immer. Die letzte Äußerung zu diesem schwierigen Namen findet sich im Städtenamenbuch der DDR143. Dort heißt es: „In den Formen *Brand(e)- bzw. Brand(en)burg liegt auf jeden Fall eine deutsche Bildung vor, jedoch bleibt ein Kompositum mit dem frühmittelalterli-chen Heiligen(namen) Brandan bzw. Brendan für diese Zeit und diesen Raum sehr zweifelhaft; eher besteht doch wohl ein Zusammenhang mit dt. Brand und branden“. Gegen diese These, die schon früher von Otto Tschirch vertreten wurde, wendet sich (m.E. mit Recht) Reinhard E. Fischer144: „Das überzeugt weder sprachlich noch sachlich. Der Name müßte dann *Brandburg oder *Brandesburg lauten“. Von Bedeutung sind dagegen einige Beobachtungen über die lautliche Entwicklung des Namens und die daraus zu ziehenden Schlüsse von Reinhard E. Fischer und Gerhard Schlimpert: „Unwahrscheinlich ist die Entstehung des Namens im 10. Jahrhundert,
139Wie Anm. 3, S. 83.
140Ebda.
141Dazu vergleiche man Jürgen Udolph (wie Anm. 20), S. 499-514.
142Vgl. dazu etwa Hans-Dieter Kahl, Slawen und Deutsche in der branden-burgischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts, Köln-Graz 1964, S 589-593 und Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 83f.
143Verfaßt von Ernst Eichler und Hans Walther, Leipzig 1986, S. 60f.
144Wie Anm. 3, S. 85.

denn die überlieferten Formen zeigen im 2. Drittel des 10. Jahrhunderts schon Lau-tentwicklungen des Altsächsischen (nd > nn, a > e, Ausfall des n in der Form Brandeburg), was davon zeugt, daß der Name schon fest eingebürgert war“145. Die Autoren folgern zum Abschluß ihrer Überlegungen: „Es liegt eher ein Perso-nenname zur Wurzel germ. *branda- „Brand“ zugrunde … Gegen diese Deutung wird das Argument vorgebracht, daß bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Bur-gen meist Stellenbezeichnungen als Bestimmungswörter haben …“146. Es seien aber Ausnahmen möglich und eine germanische Form *Brandanburg könne nicht ausgeschlossen werden.
Ich meine, daß keiner der bisher vorgebrachten Vorschläge überzeugt (das klingt auch bei allen Forschern an). Auch der Hinweis von Reinhard E. Fischer147 auf die Etymologie von A. Bretschneider148 und deren Verbindung mit dem Namen des Heiligen Brendan bringt m.E. (wie ich unten wahrscheinlich zu machen versuche) nicht die Lösung149.
Es fragt sich, ob man bei der Deutung des Namens nicht die geographische Lage Brandenburgs mehr berücksichtigen sollte als bisher geschehen. Wir wollen diesem auch aus namenkundlicher Sicht nachgehen und einige Argumente zusammentragen.
Zunächst ist festzuhalten, daß „In historischer Sicht … mit dem Namen Brandenburg immer die Burg auf der Dominsel gemeint [ist]“150. Brandenburg ist aber nicht nur mit der Dominsel, sondern auch mit seiner Altstadt eng mit Wasser, Flußarmen und -buchten verbunden. Das läßt sich auch aus namenkundlicher Sicht bestätigen. So sprechen dafür sowohl der Name Parduin, 1166 Parduin
145Reinhard E. Fischer, Gerhard Schlimpert, in: Zeitschrift für Slawistik 16(1971), S. 680.
146Ebda.; ebenso: Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 85.
147Überzeugende Deutung des Namens Brandenburg, in: Namenkundliche Infor-mationen 38(1980), S. 32f.
148In: Ferdinand Wrede, ein Spandauer Kind, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 29(1978), S. 62-76, speziell S. 71f.
149Die darauf basierenden weitreichenden Folgerungen in dem Beitrag von J. Strzelczyk, Z dziejów wplywów iroszkockich w Europie: iryjska geneza nazwy Brandenburga? in: Kultura sredniowieczna i staropolska. Studia ofiarowane Aleksandrowi Gieysztorowi, Warszawa 1991, S. 89-97 (auf den mich W. Schich dankeswerterweise hinwies), bleiben daher ebenfalls mehr als fraglich.
150Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 83, Anm. 16.

usw.151, „der ursprüngliche Name der Altstadt Brandenburgs“152, und der an der gegenüber liegenden Seite des Flußarms abgegangene Ortsname Krakau (heute noch Krakauer Landstraße), dessen slavische Benennung nach Sophie Wauer153, Reinhard E. Fischer u.a.154 mit slavisch krak „Arm eines Flusses“ zu verbinden ist.
Geographische und onomastische Überlegungen führen mich zu der Frage, ob man nicht versuchen sollte, auch den Namen Brandenburg vom Wasser her zu erklären. Daß dieses möglich ist, werden wir gleich erkennen können.
Bezeichnenderweise findet man schon bei dem Altmeister der deutschen Namenforschung Ernst Förstemann eine Notiz, die in diese Richtung weist. Es heißt dort155: „Die folgenden n. tun dar, dass es einen stamm für flussnamen von der Form Brand oder Brant gegeben haben muß. Deutsch ist derselbe wahr-scheinlich nicht“. Ernst Förstemann führt im Anschluß daran zwei Flußnamen auf (zu denen wir gleich kommen werden) und – getrennt durch eine Zusammenstellung der von dem Personennamen Brand usw. gebildeten Ortsnamen – wenige Zeilen später den ON. Brandenburg. Die von Förstemann genannten Flußnamen sind die Brend in der Rhön und die Brenz, ein Zufluß der Donau. Beide Namen sind inzwischen mehrfach untersucht worden und machen in ihrer Deutung heute keine Probleme.
Die Brend, Fluß in der Rhön, ist durch den Ortsnamen Brendlorenzen früh überliefert: 823 in uilla branda, 837 Brenti, 889 in uilla adbrante, 974 Brenden, 982 in villa Brenden, 1156 Brenden, 1165 Brenden, 1184 in Brenden, usw.156. Es verdient, vermerkt zu werden, daß der Ort bis in das 14. Jh. hinein fast ausschließlich in der
151Zu den Einzelheiten der Deutung als „Nebenarm eines Gewässers“ s. Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 179f.
152Reinhard E. Fischer, Gerhard Schlimpert (wie Anm. 5), S. 679; Reinhard E. Fischer (wie Anm. 3), S. 85.
153In: Namenkundliche Informationen 33(1978)58-66
1547Vgl. auch W. Schich, Das Verhältnis der frühmittelalterlich-slawischen zur hochmittelalterlichen Siedlung im Havelland, in: Das Havelland im Mittelal-ter, hrsg. v. W. Ribbe, Berlin 1987, S. 22.
155Altdeutsches Namenbuch (wie Anm. 86), S. 565.
156Hydronymia Germaniae A 7, S. 20.

Form Brenden belegt ist. Die Etymologie des Namens unterliegt keinem Zweifel. Es ist von dem Flußnamen auszugehen, der „zur idg. Wurzel *brendh- ‚quellen, schwellen’„ gehört157. Die Wortbildung des Namens läßt sich noch sehr viel genauer fassen. H. Krahe hat sich mehrfach zu diesem Namen geäußert und einen idg. Ansatz *bhrondhi, Gen. *bhrondhias „Quelle, Quellfluß“ angenommen. Dieser „ergab über germ. *brandi, *brandjos den FlN. Brend … Zugehörige Verba mit e-stufiger Wz.-Form liegen vor in ir. brenn- ‚hervorquellen, sprudeln‘ (< *brend-nâ), lit. bréstu, bréndau ’schwelle, reife“, lett. briêstu ‚quelle, reife’„158. Es liegt also ein germanischer î-/iâ-Stamm zugrunde. Zu den indogermanischen An-schlüssen s. Alois Walde – Julius Pokorny159 und Julius Pokorny160.
Die Wurzel ist nur im Keltischen, Tocharischen, Baltischen und Slavischen belegt, wobei das Keltische (Julius Pokorny 167: „Air. wahrscheinlich in brenn- (*bhrendh-nâ-) ‚hervorquellen, sprudeln’„161) eine Sonderrolle spielt, da es die Er-weiterung *brend-na- kennt, die den übrigen Sprachen fremd ist162. Zur baltischen Sippe s. Vladimir N. Toporov163.
Der Donauzufluß Brenz ist vor kurzem von Lutz Reichardt164 ausführlich behandelt worden. Die Überlieferung zeigt allerdings keinen Hinweis auf eine Form Brenden, Branden o.ä.: (um 750-802) (Kopie 1150-65) super fluvium Brenze, (um 774) super fluvium Brancia, 875 cappellaam ad Prenza usw. Nach Lutz Reichardt ist ein Zusammenhang mit dem FlN. Brend wahrscheinlich. Albrecht Greule (zitiert bei Lutz Reichardt, a.a.O., S. 38) geht für den Namen der Brenz von einer Grundform *Brandisô aus165.
157Adolf Bach (wie Anm. 117), S. 106 unter Bezug auf Hans Krahe, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 6(1944), S. 374.
158Hans Krahe, in: Beiträge zur Namenforschung 5(1954)86f.; ähnlich ders., Ält. Flußnamen (wie Anm. 1), S. 27.
159Alois Walde, Julius Pokorny, Vergleichendes Wörterbuch der indogermanischen Sprachen, Bd. 2, Berlin-Leipzig 1932, S. 205.
160Indogermanisches etymologisches Wörterbuch (Wie Anm. 40), S 167.
161Ebda.
162Julius Pokorny, Urgeschichte (wie Anm. 66), S. 63.
163Prusskij jazyk, Bd. 1, S. 249f.
164Ortsnamenbuch des Kreises Heidenheim, Stuttgart 1987, S. 36ff.
165Zitiert a.a.O., S. 38.

An der Etymologie der beiden Flußnamen Brend und Brenz kann kaum gezweifelt werden. Während man bei der Brenz vielleicht noch an keltischen Ur-sprung denken mag (entsprechende Hinweise finden sich auch bei Lutz Reichardt), ist dieses für den Rhönfluß abzulehnen. Daraus darf gefolgert werden, daß die Flußnamen auf einer indogermanischen Grundlage ruhen, die in mor-phologischer Hinsicht germanisiert worden sind. In diesem Zusammenhang sind Bemerkungen von Bruno Boesch über die germanischen nominalen jô-Bildungen, die als Flußnamen fungieren, von Bedeutung. Unter Einbeziehung des Namens der Brend führt er aus: „In allen diesen Fällen eignet der jô-Ableitung eine Bedeutung, die über eine Nomen agentis hinaus weist: es ist nicht bloß die ‚Fließende‘, ‚Schwellende‘, ‚reißend Strömende‘, sondern zugleich der ‚Fluß‘, der ‚Schwall‘, die ‚Strömung‘ und umfaßt so die ganze Gegend, wo sich das Fließen, das Schwellen, das Strömen ereignet. Die Bildungsweise findet sich auch bei Stellenbezeichnungen, ja hier liegt wohl die älteste Verwendung vor; die Bezeichnung von Flüssen schließt sich sekundär an …“166.
Ich habe keine Bedenken, den Namen Brandenburg an die idg. Wz. *bhrendh- anzuschließen. Es bleibt allerdings ein Problem bestehen: nicht sicher bestimmbar ist die mutmaßliche Grundform des Namens. Daß dt. Burg hinzugetreten ist, unterliegt keinem Zweifel. Wie aber sind die wechselnden Formen Brendan-, Brenna-, Branden-, Brandene- usw. zu erklären? Es gibt mehrere Möglichkeiten.
1. Entsprechend dem Verhältnis von altindisch síndhu- „Fluß“, Gen.-Abl. *sindh-n-es, Lokat. *sindh-n-i167, dessen -n-Bildungen als *Sind-n-a/Sind-n-os in verschiedenen europäischen Gewässernamen begegnen dürften168, könnte der für das Keltische vorauszusetzende Ansatz *brend-na- auch die Grundlage für Brandenburg abgegeben haben. Allerdings kann man dagegen einwenden, daß die -na-Bildung im Keltischen nur im verbalen Bereich belegt ist und ein Ansatz *brend-na- im Germanischen eigentlich zu *brind-n- mit weitere Assimilation führen müsse. Ob die für
166Bruno Boesch, in: Beiträge zur Namenforschung 5(1954), S. 233.
167Julius Pokorny, Urgeschichte (wie Anm. 66), S. 145f.
168S. Jürgen Udolph, Stellung (wie Anm. 83), S. 268f.

Brandenburg nur einmal belegte Form brinnaburg in dieser Hinsicht interpretiert werden kann, ist sehr zweifelhaft. Eher dürfte Einfluß von ahd., asä. brinnan „brennen“ (intransitiv) vorliegen.
2. Langsilbige jô-Stämme des Altsächsischen traten gelegentlich in die schwache Deklination über oder bildeten Formen nach dieser169. Diese Tendenz setzte sich (z.T. verstärkt) im Mittelniederdeutschen fort. Problematisch ist diese Annahme im Fall von Brandenburg deshalb, weil in diesem Fall eigentlich Um-laut, also *Brendenburg, zu erwarten wäre. Vielleicht ist daher eine dritte Mög-lichkeit vorzuziehen.
3. Wenn man für die Brenz von einer -s-Bildung ausgeht, so sind auch andere Bildungsmittel möglich. Für Brandenburg ist ein -n-Formans wahrscheinlich. Den norddeutschen Flußnamen ist dieses Formans keineswegs fremd. Die Arbeit von Bernd-Ulrich Kettner über die Flußnamen des oberen Leinegebietes170 zeigt in ihrer Auswertung, daß als Bildungselement neben einfachem -n- auch erweiterte Formantien wie -ina- und -ana verwendet worden sind. Mit der Annahme eines Elements -ana- ließe sich für unseren Namen eine Grundform *Brand-ana- konstruieren, die zu späterem Branden-burg geführt haben kann. Von allen drei Möglichkeiten scheint mir die dritte die wenigsten Probleme zu bieten.
Mit diesem Ansatz und der Verbindung zu einem indogermanischen Was-serwort könnten die bisher eine Deutung erschwerenden Fakten ausgeräumt wer-den:
1. Für den Ort Brandenburg ist kein slavischer Name überliefert. Geht man von einer Bezeichnung für den die Dominsel umschließenden Flußarm oder einen Teilabschnittsnamen der Havel aus, der die Grundlage für den deutschen Ortsnamen Brandenburg abgab, so ist eine slavische Benennung für den Ortsna-men nicht unbedingt zu erwarten.
169Belege bei Johan Hendrik Gallée, Altsächsische Grammatik, 2. Aufl., Halle-Leiden 1910, S. 206. Ähnlich äußert Hans Krahe, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 67(1945), S. 375, Anm. 2 zu den Brenden-Belegen des Flußnamens Brend: „Die Form Brenden zeigt das auch sonst gerade bei den jô-Feminina nachgewiesene Schwanken nach der schwachen Deklination“. Vgl. auch Wilhelm Braune, Hans Eggers, Althochdeutsche Grammatik, 13. Aufl., Tübingen 1975, § 20, Anm. 3.
170Wie Anm. 102, S. 348ff.

2. Die oben geschilderten Probleme bei einer Deutung aus deutsch Brand, brennen usw. entfallen.
3. Die Annahme, das Bestimmungswort des Namens Brandenburg enthalte einen Personennamen, ist verschiedentlich mit dem Hinweis darauf kritisiert wor-den, daß „bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Burgen meist Stellenbezeichnun-gen als Bestimmungswörter haben …“171. Die Deutung aus einem ursprünglichen Gewässernamen trägt diesem Rechnung. Man vergleiche ähnlich gebildete Namen wie Boizenburg, Camburg, Ilsenburg, Merseburg, und die Bemerkung von Adolf Bach, Deutsche Namenkunde (wie Anm. 117), Teil II, Bd. 2, S. 230: „Nicht selten lehnen sich diese Namen an Flußnamen an: Weilburg .., Limburg …Dillenburg“172.
4. Eine letzte Bemerkung erfordert der archäologische Befund, wonach „bisher in Brandenburg noch keine spätgermanischen Funde gemacht wurden“173. Das spricht nach Reinhard E. Fischer, op.cit., S. 84 „gegen die in der historischen Lite-ratur verbreitete Auffassung, daß der Name vorslawisch sei“174. Als Laie auf diesem Gebiet weiß ich nicht, ob sich die Fundsituation in letzter Zeit verändert hat. Geht man aber im Fall des Namens Brandenburg von einer Gewässerbe-zeichnung aus, so ist der Nachweis einer Siedlung nicht unbedingt erforderlich.
Mit der Erörterung des schwierigen Namens Brandenburg möchte ich die Überlegungen zu den germanischen und alteuropäischen Namen in Brandenburg und seiner Umgebung abschließen. Übergangen habe ich den Namen der Dosse, zu dem jetzt die Ausführungen von Wolfgang P. Schmid in den Namenkundlichen Informationen175 zu vergleichen sind, sowie den umstrittenen Ortsnamen Marzahne, der aus dem Slavischen erklärt werden kann, aber auch zu germanisch *mark- „Grenze“ (eventuell über eine Entlehnung in das Slavische) gestellt wer-den kann.
171Reinhard E. Fischer, Gerhard Schlimpert, in: Zeitschrift für Slawistik 16(1971), S. 680.
172Bach, Dt. Namenkunde II,1,230.
173R.E. Fischer, G. Schlimpert, ZfSl. 16(1971)679.
174R.E. Fischer, Die ONN. des Havellandes, S. 84.
17558(1990), S. 1-6.

Als Ergebnis der Untersuchung möchte ich festhalten:
1.) In Brandenburg und seiner Umgebung lassen sich neben hochdeutschen, niederdeutschen und slavischen Namen Spuren älterer Sprachen oder Sprachschichten nachweisen.
2.) Wie an den ausgewählten Fällen Havel, Emster und Brandenburg gezeigt werden konnte, handelt es sich dabei um Topo- und Hydronyme, deren Zuordnung zu der alteuropäischen Hydronymie mit Problemen verknüpft ist.
3.) Die Schwierigkeiten der Zuweisung bestehen darin, daß ein bedeutender Einfluß einer indogermanischen Einzelsprache, zweifellos des Germanischen, konstatiert werden muß. Daraus ergibt sich
4.), daß mit einem germanischen Substrat in Brandenburg und seiner Umgebung gerechnet werden darf.
Ich bin gespannt, ob diese aus dem Namenmaterial zu gewinnende Vermutung von Seiten der Archäologie gestützt werden kann.

Jürgen Udolph
Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg und Umgebung (Handout)
I. Havel: 789 Habola, 981 Hauela, um 1075 iuxta Habolam, <*Hab(u)la, Suff. -(u)la, Wz. *hab-, nhd. Haff, Hafen; slav. *Ob la, Woblitz, Wublitz.
Vgl. Hever, 1196 Heuere; Heve, 1523 der Heuen, < *Hab-ina. Alteurop.: *Adula, *Amula, *Apula, Orla < *Orula; germ. u-Stämme in got. magula „Knäblein“, ahd. angul „Angelhaken“; lit. Tat-ula, Dárb-ule, Bab-ùlis, Dub-ùlis, balt. Cabula, thrak. .
II. Emster: < Amstel/Amsterdam? oder < *Amistra, idg. Wz. *am- in alb. amë „Flußbett“, griech. „Graben, Kanal“, heth. amiiar(a)- „Kanal“.
Namen: 1. *Ama > schwed. GN. Åmme; *Amia > Emme; *Amia > Amiette (1141 Amia), Eem, alt Hemi, Ema;
2. -n-Suffix: *Amana > Ohm (+ ON. Ohmen, Amöneburg), Ampney Brook, wruss. Amon‘, ;
3. Bildungen mit -r-Formans: Amer, Am(m)er < *Amara, auch Emmersloot, Amersfort, Ammersbek, evtl. Hamerbek, Ammerswurther Au, hierzu (?) Amorbach, 1464 in der Amerbach;
4. -nt-Suffix: Amance < *Amantia, VN. Amantini;
5. häufig: -s-Bildungen: Ems < *Amisia, Emsbach < *Amisa, Emse, Emse(nbach), Ems (Eder);
6. Mit -t-: Amatà, Amitâs, , Amota, Omet;
7. Problematischer (vor allem im Osten): -l-, hierzu *Amalâ > Amalburna, Amble, Amel, Malone, Emmelke (?); aber: apreuß. emelno, lit. amalas, lett. amuls, amuls, amuols „Mistel“: Amalvas, Amale, Amalis, Amalka, Amule, Amulle, Amelung, Am-meling, Amalve, Omoli, Omoly, Amoli, Amoly, Omulle, Amuole, Amalka, *Amalvas in Omelovka, Omolva.
A. Scherer: < idg. Wz. *om – in ai. áma- „Andrang, Ungestüm“, an. ama „plagen, belästigen“, fraglich.
Mit dem Suff. *-str- (*-istra, *-astra) sind gebildet: Alster/Elster, Beemster, Beuster, Falster, Gelster/Kelsterbach/ON. Gelsenkirchen (12. Jh. Geilistirinkirkin), Jolstra, Imstra, *Jostra/*Jostra, Lister, Nister, Öster, Salstern, Seester(au), Susteren, Ulster, Unstrut (?), Vänstern, Wilster/Wilster Au, Zester/Zesterfleth.
Appellativisch: germ. -str- in got. awistr „Schafstall“, dt. Laster < *lah-stra-, Polster < *bulh-stra-, anord. mostr < *muh-stra-, got. hulistr „Hülle“, ae. helustr, heoloster, gilister, geoloster „Geschwür“.
III. Brandenburg: 948 Brendanburg, um 967 (z. Jahr 928/29) Brennaburg (Varianten: Brandenburg, brinnaburg, branneburh, brennaburch), um 967 (z. Jahr 939) Brennaburg (Varianten: Brandanburg, Brandenburg, brandeburh), um 1014 (z. Jahr 970) Brandeburgiensis aecclesiae, um 1014 (z. Jahr 983) Brandenburgiensem episcopatum usw.; nicht zu slav. *br n- „Morast“. Zu einem PN. Brandan/Brendan? Beachte altsächs. nd > nn, a > e, Ausfall des n in Brandeburg.
Wichtig: geogr. Lage; vgl. Parduin, Krakauer Landstraße „Wasser, Flußarm“; E. Förstemann: vordt. FlußN.-Stamm Brand oder Brant in: Brend, ON. Brendloren-zen, 823 in uilla branda, 837 Brenti, 889 in uilla adbrante, 974 Brenden, 982 in villa Brenden, 1156 Brenden; idg. Wz. *brendh- „quellen, schwellen“, < *bhrondhi, Gen. *bhrondhias „Quelle, Quellfluß“, > germ. *brandi, *brandjos; Verben mit e-stufiger Wz.-Form: ir. brenn- „hervorquellen, sprudeln“ (< *brend-

nâ), lit. bréstu, bréndau ’schwelle, reife“, lett. briêstu ‚quelle, reife’„, germ. î-/iâ-Stamm; Wz. im Kelt., Tochar., Balt. und Slav., nur im Kelt. Erweiterung *brend-na-. Ferner: Brenz, Nfl. d. Donau, (um 750-802) (K. 1150-65) super fluvium Brenze, (um 774) super fluvium Brancia, 875 cappellaam ad Prenza usw.; Zshang. mit Brend sehr wahrscheinlich, nach A. Greule < *Brandisô.
Daher: Brandenburg zur idg. Wz. *bhrendh-, aber Grundform? Problem: Wechsel von Brendan-, Brenna-, Branden-, Brandene-.
Drei Möglichkeiten:
1. Vgl. altind. síndhu- „Fluß“, Gen.-Abl. *sindh-n-es, Lokat. *sindh-n-i, > europ. GNN. Shannon, Sinn, San, dazu etwa kelt. *brend-na-? Ergäbe eher germ. *brind-n-, daher problematisch.
2. jô-Stämme des Altsächs. > schwache Deklination; es fehlt aber Umlaut.
3. -n-Formans? Neben -n- auch -ina-/-ana belegt, evtl. Gf. *Brand-ana-. Ent-sprechende Namen mit Burg (< Gewässernamen) sind Boizenburg, Camburg, Il-senburg, Merseburg, Weilburg, Limburg, Dillenburg.
Alteuropäische und germanische Namen in Brandenburg und seiner
Umgebung (mündliche Fassung; Vortragstext)
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zu den schwierigsten und heikelsten Aufgaben der Namenforschung gehören Versuche, unter einer einzelsprachlichen Schicht eines geographischen Bereichs nach noch älteren Relikten zu suchen. Erst die Forschungen von Hans Krahe und Wolfgang P. Schmid haben uns auf diesem Gebiet mehr Sicherheit gegeben. Sie haben wahrscheinlich machen können, daß sich in weiten Teilen Europas Namen auffinden lassen, die nicht der dort jetzt gesprochenen jeweiligen Einzelsprache oder einer ihrer Vorstufen zugerechnet werden können, sondern aus morphologischen, semasiologischen und anderern Gründen einer älteren, aber indogermanischen, Sprachschicht entstammen müssen. Es ist daher nicht von vorneherein auszuschließen, daß sich auch hier in Brandenburg und seiner Um-gebung entsprechende Namen nachweisen lassen. Dabei ist allerdings zu beden-ken, daß es sich bei der von H. Krahe aufgedeckten sogenannten „alteuropäischen Hydronymie“ in erster Linie um Gewässernamen handelt. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein alter Flußname in einem Orts- oder Siedlungsnamen weiterlebt. Entsprechendes werden wir im Fall des Namens Brandenburg beobachten können.
In meinem Vortrag werde ich die Namen Havel, Emster und Brandenburg behandeln. Es sind nur drei Beispiele, und man mag meinen, daß sich daraus nur wenig gewinnen ließe. Um eine annähernd richtige Einordnung der entsprechen-den Namen vornehmen zu können, müssen wir aber zum Teil sehr weit ausholen und dann erkennen können, daß in diesen Hydro- und Toponymen wichtige Hinweise für die Siedlungsgeschichte verborgen sind.
Diese einleitenden Bemerkungen machen deutlich, welch schwieriges und heikles Gebiet man mit der Untersuchung dieser altertümlichen geographischen Namen betritt. Hinzu kommt, daß die Aufarbeitung der Gewässernamen in den neuen Bundesländern trotz der intensiven Bearbeitung der geographischen No-menklatur durch die Leipziger und Berliner Arbeitsgruppen um E. Eichler, H. Walther und G. Schlimpert noch Lücken aufweist. Immerhin besitzen wir für die Umgebung von Brandenburg mit den Untersuchungen von Reinhard E. Fischer über die Ortsnamen des Havellandes und die Ortsnamen der Zauche gute und wichtige Werke, die ich für diesen Vortrag immer wieder dankbar benutzt habe.

Wie in allen Teilen Europas sind auch die geographischen Namen in Bran-denburg und seiner Umgebung historisch geschichtet. Aus R.E. Fischers Unter-suchung geht das zweifelsfrei hervor. Auch ein Laie erkennt ohne Mühe, daß Namen wie Schönwalde, Mittelfeld, Neuhof einer hochdeutschen Sprachschicht entstammen. Problematischer ist für einen hochdeutsch Sprechenden aber bereits die Deutung niederdeutscher Namen wie Rohrbeck, Ribbeck (alt Ritbeke) und Butenfelde. Allerdings ist auch bei hochdeutschen Namen schon Vorsicht dahin-gehend geboten, daß gelegentlich ältere Relikte eingedeutscht worden sind. Die älteren Belege eines Namens sind daher immer mit heranzuziehen. Dennoch gibt es kaum Probleme, hoch- und niederdeutsche Flur-, Orts- und Gewässernamen in Brandenburg und seiner Umgebung nachzuweisen.
Ebenso sicher ist die Existenz slavischer Orts- und Gewässernamen, zu denen Herr Schlimpert anschließend sprechen wird.
Nach Abhebung der slavischen Schicht bleiben aber offenbar in Brandenburg und seiner Umgebung einige Namen übrig, die sich einer deutschen und slavischen Deutung entziehen. Die entscheidende Frage dabei ist die, ob es sich bei den genannten Hydronymen um germanische Relikte handelt, oder ob sich darunter noch ältere, indogermanische (in der Terminologie von H. Krahe und W.P. Schmid: alteuropäische) Namen verbergen. Wie schon oben angemerkt wurde, werde ich die damit zusammenhängenden Probleme an drei Beispielen diskutieren. Beginnen möchte ich mit dem Namen der Havel.
Dieser Flußname ist schon oft behandelt worden. Ich fasse die bisherige Diskussion kurz zusammen. Die frühe Überlieferung des Namens (789 Habola, 981 Hauela, um 1075 iuxta Habolam usw.) zeigt die Bedeutung dieses Gewässers. Der Name wird heute im allgemeinen für germanisch gehalten und auf eine Grundform *Hab(u)la zurückgeführt. In dieser wird eine Bildung mit dem Suffix -(u)la zu einer Wurzel *hab- gesehen, die auch in nhd. Haff und Hafen vorliegt. Von den Slaven wurde der Name in der Form *Ob la übernommen, davon abge-leitet sind mit dem Suffix -ica die Nebenflüsse Woblitz, Wublitz (polab. *Voblica). Die verschiedentlich vorgetragene Etymologie aus dem Slavischen (so z.B. von J. Nalepa) ist verfehlt. Wie schon erwähnt wurde, ist die Annahme ger-manischer Herkunft weit verbreitet. Das gilt auch für Flußnamen, die offenbar mit dem der Havel verwandt sind. So gehören hierher: Hever, Wattströme auf Nordstrand und Pellworm, und Heve, ein Zufluß zum Möhnesee.
Mit der Einbeziehung dieser Namen beginnen jedoch die Probleme, auf die auch W.P. Schmid in einer im Druck befindlichen Untersuchung aufmerksam macht und bemerkt: „Wenn man Hever und Heve mit germ. Haff verbindet, ergibt sich eine aus dem Germanischen nicht erklärbare Suffixvariation“. Heve und Hever enthalten die Suffixe -r- und -n-, die in der alteuropäischen Hydronymie fest verankert sind, und es fragt sich, wie man das Wortbildungselement -ula im Namen der Havel beurteilen soll. Ist darin wirklich noch eine germanische Bil-dung zu sehen? Alteuropäische Namen wie *Adula, *Amula, *Apula, Orla < *Orula könnten dagegen sprechen.
Es gibt in der alteuropäischen Hydronymie wenig primäre -l-Ableitungen, aber häufiger ila- und -ula-Ableitungen. Hier könnte die Havel gut eingefügt werden. Andererseits kennt auch das Germanische ein Suffix -ula, allerdings vor allem als „reguläre Beziehung zu u-Stämmen, so in gotisch magu-la ‚Knäblein‘ und althoch-deutsch angul ‚Angelhaken’„. Weder deutsch Haff und Hafen noch die verwandten germanischen Wörter zeigen aber Spuren eines u-Stammes. Es scheint daher, als weise das Suffix eher auf einen Zusammenhang mit voreinzelsprachlichen

Namen, darunter auch und vor allem mit entsprechenden Bildungen in Osteuropa. Das wird vor allem bei einem Vergleich mit litauischen Namen wie Tatula, Dárbule, Babùlis, Dubùlis, Vartulys und anderen mehr deutlich.
In seinem bereits erwähnten Beitrag zum Namen der Havel ist W.P. Schmid auch auf dieses Problem eingegangen und hat unter Hinweis auf den baltischen Namen Cabula und dessen thrakischen Verwandten wahrscheinlich gemacht, daß der Name der Havel „nicht direkt aus Haff, Hafen [zu] erklären [ist]“, sondern „morphologisch und semantisch ältere vorgermanische Verhältnisse voraus[setzt]“.
Aus diesen und weiteren Überlegungen darf zusammenfassend gefolgert werden, daß man den Namen der Havel zwar an germanisches Material anschlie-ßen kann, jedoch nicht auszuschließen ist, daß der Name auf einer älteren alteu-ropäischen Grundlage basiert. xxxx
Der Havelzufluß Emster ist schon mehrfach namenkundlich untersucht worden. Die Diskussion wurde lange von einem Aufsatz von M. Bathe bestimmt. Er hat – getreu der von ihm immer wieder nachhaltig vertretenen Auffassung einer Übertragung aus dem Westen (vor allem aus dem Niederländischen) – wahr-scheinlich zu machen versucht, daß der Name der Emster aus dem alten deutschen Sprachgebiet entstammen muß. In diesem Zusammenhang wies er auf das Fluß-namensuffix -ster hin, das in Alster, Ulster, Gelster, Niester, Wilster begegnet und in Beemster sich auch in Nordholland findet. Wäre Bathe dieser Bemerkung nachgegangen, hätte er sicher erkannt, daß diese Flußnamen nur zum geringen Teil aus dem Germanischen erklärt werden können und hohes Alter besitzen müssen, so daß an eine erst in einzelsprachlicher Zeit erfolgte Übertragung nur schwerlich zu denken ist. Gegen Bathes These einer Übertragung aus dem Westen, die noch von R.E. Fischer akzeptiert wurde, hat G. Schlimpert völlig berechtigt Einspruch eingelegt und unter Bezug auf H. Krahe knapp dargelegt: „Der Name der Emster läßt sich ohne Schwierigkeiten auf eine germanische Form *Amistra, zu ide. *am- ‚Flußbett, Graben‘, zurückführen“.
Ich möchte heute ausführlicher auf den Namen der Emster eingehen, da wir es offenbar mit einem Hydronym zu tun haben, das zwar zur alteuropäischen Hy-dronymie gerechnet werden kann, aber in seiner Bildung deutlich germanischen Einfluß zu erkennen gibt. Zudem fehlt bisher eine Zusammenstellung der hiermit verwandten Gewässer- und Ortsnamen. Eine Wurzel *am-/om- dürfte in den fol-genden Appellativen vorliegen: alban. amë „Flußbett“, griech. „Graben, Kanal“, hethit. amiiar(a)- „Kanal“.
Geht man von dem Wortmaterial zu den davon abgeleiteten Namen über, so fällt schon bald auf, daß die „klassischen“ alteuropäischen Bildungen, also etwa diejenigen mit -n-, -nt-, -r-, -s- und -t-, gut vertreten sind. Auch die Ablei-tungsgrundlage, also einfaches *Ama bzw. *Amia, läßt sich nachweisen. Im ein-zelnen lassen sich folgenden Namen anführen (Ich fasse mich jetzt hier sehr kurz und verweise auf das Ihnen vorliegende Blatt mit den wichtigsten Daten):
*Ama im schwed. GN. Åmme; *Amia in Große, Kleine Emme, auch in Amiette und in dem niederländischen Gewässernamen Eem. Bildungen mit einem Formans -n- sind sicher nachweisbar. Hierzu gehören Ohm, weiterhin *Amana, erschlosse-ner Name für ein Teilstück der Maas, auch in Ampney Brook in Gloucestershire, sowie der russische Flußname Amon‘; vielleicht ist hier auch der Flußname bei Catania anzuschließen. -r-Bildungen wie Amer, Am(m)er aus *Amara sind vor allem im deutschen und niederländischen Sprachgebiet bezeugt. Sie finden sie auf Ihrem Blatt. Die für die alteuropäische Hydronymie typischen -nt-Bildungen sind
ebenfalls gut bezeugt, hierzu gehören Amance, ein Nebenfluß der Saône, auch der Aube, weiter Amantia in einem Flußnamen in Pannonien. Häufig sind -s-Bildungen, die schon lange durch den Namen der Ems aufgefallen sind. Weiter sind hier zu nennen: Emsbach zur Lahn, Emse zur Hörsel, Emsenbach zur Ilm bei Bad Sulza, und Ems zur Eder. Bildungen mit den Dentalsuffix -t- sind vor allem in Osteuropa nachweisbar: Amatà, Flußnamen in Litauen und Lettland, Amitâs, Fußname in Apulien, Ammítes in Makedonien, Amota, Seename in Weißrußland und Omet, Gewässername in Ostpreußen.
Ein besonderes Problem sind -l-Ableitungen. In Westeuropa sind sie weniger häufig. Der Osten bietet da jedoch ein anderes Bild, und das zeigt sich auch bei den den hier diskutierten Namen. Im baltischen Bereich gibt es durch die Kreuzung mit dem Wort für die „Mistel“ (Sie finden es auf Ihrem Blatt) besondere Probleme. Sicheres Material bietet daher vor allem Westeuropa: Amalâ in Amal-burna in Suffolk, auch in Amble (Cornwall), sowie in Amel, Ortsname im Département Meuse und Bach bei Eltville; ferner gehört hierzu Malone, linker Nebenfluß des Po. Schwer ist der Flußname Emmelke einzuorden.
Das baltische Wort für die Mistel ist sicher die Grundlage für einige oder mehrere der folgenden Namen Amalvas, Amale, Amalis usw. (Ich habe sie auf dem ausliegenden Blatt im einzelnen aufgeführt). Gelegentlich wird aber auch Zugehörigkeit zu unserer Sippe um idg. *am-/om-erwogen.
Wir können nur eine Zwischenbilanz ziehen: an der Existenz einer indo-germanischen, alteuropäischen Sippe um eine Wurzel *am-/om- ist meines Er-achtens nicht zu zweifeln. Scherers Meinung halte ich aus semantischen Gründen für nicht überzeugend. Wir kommen nunr auf den Emster zurück.
Wie oben schon ausgeführt wurde, hat G. Schlimpert den Namen der Emster auf eine Vorform *Amistra zurückgeführt und mit der Wurzel *am-/om- verbunden. Unsere Zusammenstellung der davon abgeleiteten Hydro- und To-ponyme zeigt nun, daß eine Bildung mit dem Suffix *-istra sonst nicht belegt werden kann. Die Emster steht somit, was die Ableitung von der Wurzel betrifft, isoliert. Diese Isolation kann aber durchbrochen werden, wenn man nach entspre-chenden Bildungen von anderen Ableitungsgrundlagen Ausschau hält. Im folgen-den seien die mir bekannt gewordenen Bildungen mit dem Element *-str-, mei-stens als *-istra oder *-astra belegt, aufgelistet (S. Blatt 1, unten): Alster, Elster, Beemster, Beuster, Falster, Gelster/Kelsterbach/Gelsenkirchen, Jólstra, Imstra, *Jóstra/*Jo,stra, Lister, Nister, Öster, Salstern, Seester(au), Susteren, Ulster, even-tuell Unstrut, weiter Vänstern, Wilster und Wilster Au, Zester/Zesterfleth.
Damit können wir der mit dem Flußnamen Emster in Lexem und Suffix verwandten Namen beenden. Es wird dabei deutlich, daß gegenüber anderen Bil-dungen der alteuropäischen Hydronymie Namen mit einem -str-Element auf einen bestimmten Raum beschränkt: der Schwerpunkt liegt in Deutschland (Alster, Beuster, Elster, Gelster, Kelsterbach, Lister, Nister, Öster, Seester(au), Ulster, Wilster, Wilsterau, Zester), daneben sind nur die Niederlande und Skandinavien von der Streuung betroffen.
Schon lange ist aufgefallen, daß gerade das Germanische in seinem Wortschatz Bildungen mit -str- kennt, man vergleiche etwa got. awistr, dt. Laster < *lah-stra-, Polster < *bulh-stra-, anord. mostr < *muh-stra- u.a.m. Neben diesen offenbar älteren Bildungen, in denen das Suffix an Wurzeln mit gutturalem Auslaut antrat, sind auch Bildungen mit Zwischenvokal bzw. in sekundärer Ableitung an vokalisch auslautende Vorderstücken zu beobachten. „Diese Bildungen sind vornehmlich Ortsbezeichnungen“. Hierunter fallen z.B. got. hulistr „Hülle“ neben
ablautendem altenglischen helustr, heoloster, weiterhin altenglisch gilister, geolo-ster „Geschwür“ und das schon erwähnte gotische awistr.
Ergänzt man diese Bemerkungen durch den Vergleich mit den oben zu-sammengestellten Orts- und Gewässernamen, so kann es kaum einen Zweifel daran geben, daß diese in ihrer Wortbildung durch germanischen Einfluß geprägt sind. Daraus ergeben sich für die Gruppe der Bildungen mit -str- und ihre Streuung sowie für die Einordnung des Flußnamens Emster verschiedene Konse-quenzen.
1. Obwohl sich unter diesen Namen etliche befinden, deren Lexem im Germanischen ohne sicheren Anschluß ist, z.B. Alster/Elster, Beuster, Wilster, ist der Einfluß des Germanischen in der Wortbildung unverkennbar.
2. Die schon angesprochene auffällige Streuung der Namen erfordert einen Kommentar. Der Schwerpunkt in Deutschland ist unverkennbar, Skandinavien scheint nur mit der Alster-Sippe Anteil daran zu haben. Ich sehe in dieser Ver-breitung ein weiteres Indiz für die Annahme, daß sich das Germanische nicht in Skandinavien, sondern im Bereich des Kontinentalgermanischen entfaltet hat.
3. Die Emster, zu der wir nun nach einem längeren Ausholen zurückkommen, ist in diesem Zusammenhang ein typischer und repräsentativer Name. Während die zugrundeliegende Wurzel dem Germanischen fremd ist, verrät die Wortbildung germanischen Einfluß. Der Name scheint mir daher dafür zu sprechen, daß Sprecher indogermanischer Dialekte auch die Umgebung von Bran-denburg besiedelt haben und es eine Kontinuität zu den sich entwickelnden ger-manischen Mundarten gegeben hat.
Aus dieser Zusammenfassung wird deutlich, welche Bedeutung der Name der Emster besitzt. Während nicht sicher entschieden werden kann, von welchem Teilbereich aus die Havel benannt worden ist, zeigt die Emster zweifelsfrei, daß Brandenburg und seine Umgebung auch sehr alte Namen besitzen. Unter Berück-sichtigung dieses Aspektes wollen wir uns nun dem schwierigen Namen Branden-burg zuwenden.
III. Brandenburg. Ein unbefangener Beobachter wird sicher der Ansicht sein, daß Brandenburg etwas mit deutsch Brand und brennen zu tun hat. Diese Deutung überzeugt jedoch nicht. Die ältesten Belege zeigen ein Schwanken zwischen For-men wie Brendan-burg, Brenna-burg, Branden-burg. Die ältesten Belege finden Sie auf Ihrem Blatt, Rückseite. Es ist bemerkenswert, daß für den Ort offenbar kein slavischer Name überliefert ist. Der immer wieder unternommene Versuch, den Namen aus dem Slavischen zu deuten (z.B. zu slavisch *br n- „Morast, Sumpf“), ist abzulehnen.
Eine völlig überzeugende Deutung fehlt noch immer. Die letzte Äußerung zu diesem schwierigen Namen findet sich im Städtenamenbuch der DDR. Dort heißt es: „In den Formen *Brand(e)- bzw. Brand(en)burg liegt auf jeden Fall eine deutsche Bildung vor, jedoch bleibt ein Kompositum mit dem frühmittelalterli-chen Heiligen(namen) Brandan bzw. Brendan für diese Zeit und diesen Raum sehr zweifelhaft; eher besteht doch wohl ein Zusammenhang mit dt. Brand und branden“. Gegen diese These, die schon früher von O. Tschirch vertreten wurde, wendet sich (m.E. mit Recht) R.E. Fischer: „Das überzeugt weder sprachlich noch sachlich. Der Name müßte dann *Brandburg oder *Brandesburg lauten“. Von Be-deutung sind dagegen einige Beobachtungen über die lautliche Entwicklung des Namens und die daraus zu ziehenden Schlüsse von R.E. Fischer und G. Schlim-pert: „Unwahrscheinlich ist die Entstehung des Namens im 10. Jahrhundert, denn die überlieferten Formen zeigen im 2. Drittel des 10. Jahrhunderts schon

Lautentwicklungen des Altsächsischen (nd > nn, a > e, Ausfall des n in der Form Brandeburg), was davon zeugt, daß der Name schon fest eingebürgert war“. Die Autoren folgern zum Abschluß ihrer Überlegungen: „Es liegt eher ein Personen-name zur Wurzel germ. *branda- „Brand“ zugrunde … Gegen diese Deutung wird das Argument vorgebracht, daß bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Burgen meist Stellenbezeichnungen als Bestimmungswörter haben …“. Es seien aber Aus-nahmen möglich.
Ich meine, daß keiner der bisher vorgebrachten Vorschläge überzeugt (das klingt auch bei allen Forschern an). Es fragt sich, ob man bei der Deutung des Namens nicht die geographische Lage Brandenburgs mehr berücksichtigen sollte als bisher geschehen. Wir wollen diesem auch aus namenkundlicher Sicht nachge-hen und einige Argumente zusammentragen.
Zunächst ist festzuhalten, daß „In historischer Sicht … mit dem Namen Brandenburg immer die Burg auf der Dominsel gemeint [ist]“. Brandenburg ist aber nicht nur mit der Dominsel, sondern auch mit seiner Altstadt eng mit Wasser, Flußarmen und -buchten verbunden. Daß läßt sich auch aus namenkundlicher Sicht bestätigen. So sprechen dafür sowohl der Name Parduin, 1166 Parduin usw., „der ursprüngliche Name der Altstadt Brandenburgs“, und der an der gegenüber liegenden Seite des Flußarms abgegangene Ortsname Krakau (heute noch Krakauer Landstraße), dessen slavische Benennung nach S. Wauer, R.E. Fischer u.a. mit slavisch krak „Arm eines Flusses“ zu verbinden ist.
Geographische und onomastische Überlegungen führen mich zu der Frage, ob man nicht versuchen sollte, auch den Namen Brandenburg vom Wasser her zu erklären. Bezeichnenderweise findet man schon bei dem Altmeister der deutschen Namenforschung Ernst Förstemann eine Notiz, die in diese Richtung weist. Es heißt dort: „Die folgenden namen tun dar, dass es einen stamm für flussnamen von der Form Brand oder Brant gegeben haben muß. Deutsch ist derselbe wahrschein-lich nicht“. Förstemann führt im Anschluß daran zwei Flußnamen auf (zu denen wir gleich kommen werden) und – getrennt durch eine Zusammenstellung der von dem Personennamen Brand usw. gebildeten Ortsnamen – wenige Zeilen später den ON. Brandenburg. Die von Förstemann genannten Flußnamen sind die Brend in der Rhön und die Brenz, ein Zufluß der Donau. Beide Namen sind inzwischen mehrfach untersucht worden und machen in ihrer Deutung heute keine Probleme.
Die älteten Belege für die Brend, Fluß in der Rhön, sind auf Ihrem Blatt verzeichnet. Es verdient, vermerkt zu werden, daß der Ort bis in das 14. Jh. hinein fast auschließlich in der Form Brenden belegt ist. Die Etymologie des Namens unterliegt keinem Zweifel. Es ist von dem Flußnamen auszugehen, der „zur idg. Wurzel *brendh- ‚quellen, schwellen’„ gehört und eine Grundform *bhrondhî, Gen. *bhrondhias „Quelle, Quellfluß“ besessen haben dürfte. Diese ergab über germanisch *brandi, *brandjos Brend. Zugehörige Verba mit e-stufiger Wz.-Form liegen vor in ir. brenn- ‚hervorquellen, sprudeln‘ (< *brend-nâ), lit. bréstu, bréndau ’schwelle, reife“, lett. briêstu ‚quelle, reife’„. Es liegt also ein germanischer î-/iâ-Stamm zugrunde. Die Wurzel ist nur im Keltischen, Tocharischen, Baltischen und Slavischen belegt, wobei das Keltische eine Sonderrolle spielt, da es die Erweiterung *brend-na- kennt, die den übrigen Sprachen fremd ist.
Der Donauzufluß Brenz ist vor kurzem von L. Reichardt ausführlich behandelt worden. Die Überlieferung zeigt allerdings keinen Hinweis auf eine Form Brenden, Branden o.ä.: (um 750-802) (Kopie 1150-65) super fluvium Brenze, (um 774) super fluvium Brancia, 875 cappellaam ad Prenza usw. Nach L. Reichardt ist

ein Zusammenhang mit dem FlN. Brend wahrscheinlich. A. Greule geht für den Namen der Brenz von einer Grundform *Brandisô aus.
An der Etymologie der beiden Flußnamen Brend und Brenz kann kaum gezweifelt werden. Während man bei der Brenz vielleicht noch an keltischen Ur-sprung denken mag, ist dieses für den Rhönfluß abzulehnen. Daraus darf gefolgert werden, daß die Flußnamen auf einer indogermanischen Grundlage ruhen, die in morphologischer Hinsicht germanisiert worden sind. In diesem Zusammenhang sind Bemerkungen von B. Boesch über die germanischen nominalen jô-Bildungen, die als Flußnamen fungieren, von Bedeutung. Unter Einbeziehung des Namens der Brend führt er aus: „In allen diesen Fällen eignet der jô-Ableitung eine Bedeutung, die über eine Nomen agentis hinaus weist: es ist nicht bloß die ‚Fließende‘, ‚Schwellende‘, ‚reißend Strömende‘, sondern zugleich der ‚Fluß‘, der ‚Schwall‘, die ‚Strömung‘ und umfaßt so die ganze Gegend, wo sich das Fließen, das Schwellen, das Strömen ereignet. Die Bildungsweise findet sich auch bei Stellenbezeichnungen, ja hier liegt wohl die älteste Verwendung vor; die Bezeich-nung von Flüssen schließt sich sekundär an …“.
Ich habe keine Bedenken, den Namen Brandenburg an die idg. Wz. *bhrendh- anzuschließen. Es bleibt allerdings ein Problem bestehen: nicht sicher bestimmbar ist die mutmaßliche Grundform des Namens. Daß dt. Burg hinzugetreten ist, unterliegt keinem Zweifel. Wie aber sind die wechselnden Formen Brendan-, Brenna-, Branden-, Brandene- usw. zu erklären? Es gibt mehrere Möglichkeiten.
1. Entsprechend dem Verhältnis von altindisch síndhu- „Fluß“, Gen.-Abl. *sindh-n-es, Lokat. *sindh-n-i, dessen -n-Bildungen als *Sind-n-a/Sind-n-os in verschiedenen europäischen Gewässernamen begegnen dürften, könnte der für das Keltische vorauszusetzende Ansatz *brend-na- auch die Grundlage für Branden-burg abgegeben haben. Allerdings kann man dagegen einwenden, daß die -na-Bil-dung im Keltischen nur im verbalen Bereich belegt ist und ein Ansatz *brend-na- im Germanischen eigentlich zu *brind-n- mit weitere Assimilation führen müsse. Ob die für Brandenburg nur einmal belegte Form brinnaburg in dieser Hinsicht interpretiert werden kann, ist sehr zweifelhaft. Eher dürfte Einfluß von ahd., asä. brinnan „brennen“ (intransitiv) vorliegen.
2. Langsilbige jô-Stämme des Altsächsischen traten gelegentlich in die schwache Deklination über oder bildeten Formen nach dieser. Diese Tendenz setzte sich (z.T. verstärkt) im Mittelniederdeutschen fort. Problematisch ist diese Annahme im Fall von Brandenburg deshalb, weil in diesem Fall eigentlich Um-laut, also *Brendenburg, zu erwarten wäre. Vielleicht ist daher eine dritte Mög-lichkeit vorzuziehen.
3. Wenn man für die Brenz von einer -s-Bildung ausgeht, so sind auch andere Bildungsmittel möglich. Für Brandenburg ist ein n-Formans wahrscheinlich. Den norddeutschen Flußnamen ist dieses Formans keineswegs fremd. Die Arbeit von B.-U. Kettner über die Flußnamen des oberen Leinegebietes zeigt in ihrer Auswertung, daß als Bildungselement neben einfachem -n- auch erweiterte For-mantien wie -ina- und -ana verwendet worden sind. Mit der Annahme eines Ele-ments -ana- ließe sich für unseren Namen eine Grundform *Brand-ana- kon-struieren, die zu späterem Branden-burg geführt haben kann. Von allen drei Möglichkeiten scheint mir die dritte die wenigsten Probleme zu bieten.
Mit diesem Ansatz und der Verbindung zu einem indogermanischen Was-serwort könnten die bisher eine Deutung erschwerenden Fakten ausgeräumt wer-den:

1. Für den Ort Brandenburg ist kein slavischer Name überliefert. Geht man von einer Bezeichnung für den die Dominsel umschließenden Flußarm oder einen Teilabschnittsnamen der Havel aus, der die Grundlage für den deutschen Ortsnamen Brandenburg abgab, so ist eine slavische Benennung für den Ortsna-men nicht unbedingt zu erwarten.
2. Die oben geschilderten Probleme bei einer Deutung aus deutsch Brand, brennen usw. entfallen.
3. Die Annahme, das Bestimmungswort des Namens Brandenburg enthalte einen Personennamen, ist verschiedentlich mit dem Hinweis darauf kritisiert wor-den, daß „bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts die Burgen meist Stellenbezeichnun-gen als Bestimmungswörter haben …“. Die Deutung aus einem ursprünglichen Gewässernamen trägt diesem Rechnung. Man vergleiche ähnlich gebildete Namen wie Boizenburg, Camburg, Ilsenburg, Merseburg, und die Bemerkung von A. Bach, Deutsche Namenkunde II,2, S. 230: „Nicht selten lehnen sich diese Namen an Flußnamen an: Weilburg .., Limburg …Dillenburg“.
4. Eine letzte Bemerkung erfordert der archäologische Befund, wonach „bisher in Brandenburg noch keine spätgermanischen Funde gemacht wurden“. Das spricht nach R.E. Fischer, op.cit., S. 84 „gegen die in der historischen Literatur verbreitete Auffassung, daß der Name vorslawisch sei“. Als Laie auf diesem Gebiet weiß ich nicht, ob sich die Fundsituation in letzter Zeit verändert hat. Geht man aber im Fall des Namens Brandenburg von einer Gewässerbezeichnung aus, so ist der Nachweis einer Siedlung nicht unbedingt erforderlich.
Mit der Erörterung des schwierigen Namens Brandenburg möchte ich die Überlegungen zu den germanischen und alteuropäischen Namen Brandenburg und seiner Umgebung abschließen. Übergangen habe ich den Namen der Dosse, zu dem jetzt die Ausführungen von W.P. Schmid in den Namenkundlichen Informa-tionen zu vergleichen sind, sowie den umstrittenen Ortsnamen Marzahne, der aus dem Slavischen erklärt werden kann, aber auch zu germanisch *mark- „Grenze“ (eventuell über eine Entlehnung in das Slavische) gestellt werden kann.
Als Ergebnis der Untersuchung möchte ich festhalten:
1.) In Brandenburg und seiner Umgebung lassen sich neben hochdeutschen, niederdeutschen und slavischen Namen Spuren älterer Sprachen oder Sprachschichten nachweisen.
2.) Wie an den ausgewählten Fällen Havel, Emster und Brandenburg gezeigt werden konnte, handelt es sich dabei um Topo- und Hydronyme, deren Zuordnung zu der alteuropäischen Hydronymie mit Problemen verknüpft ist.
3.) Die Schwierigkeiten der Zuweisung bestehen darin, daß ein bedeutender Einfluß einer indogermanischen Einzelsprache, zweifellos des Germanischen, konstatiert werden muß. Daraus ergibt sich
4.), daß mit einem germanischen Substrat in Brandenburg und seiner Umgebung gerechnet werden darf.
Ich bin gespannt, ob diese aus dem Namenmaterial zu gewinnende Vermutung von Seiten der Archäologie gestützt werden kann.

Jürgen Udolph: Der Name Schlesien

Die Auseinandersetzung um den Namen Schlesien, polnisch Slask, ist zeitweise mit großer Heftigkeit und Schärfe geführt worden. Die „richtige“ Etymologie wurde nach­haltig vertreten, im Laufe der Zeit entwickelte sich eine z.T. erbitterte Feindschaft zwi­schen Anhängern der „silingischen, germanischen“ Theorie und den Vertretern der „autochthonistischen, slavischen“ Deutung. Unbemerkt von den mehr lokalpatriotisch orientierten Verfechtern der beiden Varianten haben sich jedoch in letzter Zeit durch grundlegende Untersuchungen an den Gewässernamen Europas, zu denen auch unser Jubilar beigetragen hat, neue Deutungsmög­lichkeiten aufgetan, die auch für den so umstrittenen Namen Schlesien1 von Bedeutung sein könnten. Dabei handelt es sich um Auffassungen, die sowohl in etlichen Ländern Europas wie auch unter Indogermanisten als wenig fruchtbar angesehen werden: es geht um eine voreinzelsprachliche Namen-schicht, deren Entstehung vor die Herausbil­dung der indogermanischen Sprachen zu legen ist, um die alteuropäische Hydronymie. Die folgenden Bemerkungen versuchen, zu einer Minderung der Schärfe der bisherigen Auseinandersetzung um den Namen Schlesien im Lichte einer kritischen Prüfung und unter Einbeziehung von Untersu-chungen zur europäischen Gewässernamengebung beizutragen2.
Wie lebhaft bis in die jüngste Zeit hinein die Debatte um den Namen geführt wor­den ist, zeigt nicht zuletzt ein Beitrag von W. Manczak3. Ein kurzer Abriß der Grund­gedanken dieses Aufsatzes führt uns in das zentrale Problem der Diskussion: ist der Name Schlesien/Slask von dem (offensichtlich) germanischen Namen der bei Ptole­mäus genannten Óéëßããáé abgeleitet oder nicht? Nach Vorstellung bisheriger Deu­tungsvorschläge, auf die wir z.T. noch kurz zu sprechen kommen werden (genannt werden z.B. Bandtke, Kozierowski, Vasmer, Rudnicki u.a.), werden die beiden Grundpositionen in einem Satz zusammengefaßt4: „les linguists allemands sont persua­dés que ce noms proviennent, en fin de compte, du nom de la tribu germanique Óéëßããáé, alors que les linguistes polonais voient un lien entre ces noms et les mots polonais dialecteaux contenant la racine sleg-“. Dabei geht es nach Manczak vor allem um die Frage, ob man von*S?lesko oder *Slesko auszugehen habe. Der polnische Linguist glaubt, die Entscheidung mit einem Blick in den Slownik polszczyzny XVI wieku treffen zu können. Dieser bietet im Fall des Landesnamens in Wendungen mit den Präpositionen w und z nicht we, ze (wie etwa bei Lemberg und Danzig: we Lwowie bzw. (älter) we Gdansku, ze Gdanska5), sondern nur die Formen w und z. Die Folge­rung Manczaks lautet (S. 53): „La seule conclusion qu’on puisse en tirer est que l’a polonais Slasko est issu de *Slesko (est non pas de *S?lesko) et n’a rien à voir avec les Óéëßããáé“. Daraus folgt seiner Ansicht nach weiter, daß beide oben skizzierten Lösungsvorschläge gleichermaßen fraglich sind, und ferner, daß sich der Name einer sicheren Deutung entzieht, demnach wahrscheinlich älter als die Herausbildung des Germanischen und Slavischen und einer indogermanischen Schicht zuzuschreiben ist. Da nach Manczak die slavische Urheimat zwischen Oder und Weichsel gelegen habe und es eine Kontinuität der Besiedlung gegeben haben müsse, bilde der indogermanische Charakter von Sleza seiner Ansicht nach kein Gegenargument gegen die slavische Ansiedlung.

In der Zuweisung des Namens zu einer indogermanischen Schicht sehe ich einen wirklichen Fortschritt, jedoch krankt Manczaks Vorschlag wie auch der aller anderen Sprachwissenschaftler daran, daß keine Deutung des Namens vorgelegt wird. Gerade in diesem Punkt lassen sich aber heute Fortschritte erzielen. Nach einem kurzen Abriß der Forschungsgeschichte werde ich auf diesen Punkt zurückkommen.
In der Zuweisung der ursprünglichen Bedeutung des Namens Schlesien/Slask ist man sich einig: so bezieht sich der Beleg von 1203 villa in campo Zlesie zweifellos auf  Jackschönau und „auf die Gegend am Zobten als derjenigen, welche zuerst und deshalb in der Folge noch vorzugsweise als das Land Schlesien bezeichnet worden ist …“6. Im Codex Diplomaticus Silesiae V 340 heißt es dazu: „Slezia [ist] in dieser Zeit noch aus­schließlich Niederschlesien; duces Sleziae heissen bis tief im 15. Jahrhundert nur die Nachkommen des ersten Boleslaus, die Nachkommen seiner Bruders Mesco dagegen duces de Opol …“. Auf einer Karte von 1513 dient nach A. Heyer7 der „Name Schle­sia … zur Bezeichnung der Gegend zwischen Spree und Neißemündung, also der Lausitz“. Unzweifelhaft ist nach allgemeiner Ansicht, daß die Gegend um den Zobten der ursprüngliche Geltungsbereich unseres Namens gewesen ist; von dort breitete er sich zunächst auf ganz Nieder­schlesien und später auch auf Oberschlesien aus.

Eine Deutung hat von den ältesten sicheren Belegen auszugehen. Ich habe mich bemüht, diese für den Stammesnamen, das Land, den Fluß Sleza/Lohe und den Berg­namen Sleza/Zobten/Sobótka zusammenzustellen.
1. Silingi. Die Lokalisierung dieses wahrscheinlich germanischen Stammes ist nicht ganz sicher. Man schwankt zwischen der Lausitz und Niederschlesien. Nach M. Schön-feld und H. Reichert8 erscheint der Name bei Ptolemäus als Óéëßããáé, daneben auch in den Varianten Óßëéããáò, Ëßããáé, Ånëéããáé, im 5. Jh (Chron. Hydat) als Vandali  cogno-mine Silingi, auch Vandalis Silingis, sylingis, Vandali Silingi, Silin­gos (silinguos, si-linguites), silin, selingi, sylingi (C. Hydat. Cont.; mehrfach), im 7.Jh. (Isidor von Se-villa) als Silingos, Silingi, wobei sie häufig als Teilstamm der Wandalen be­zeichnet werden.
2. Schlesien/Slask (Land und Gau Schlesien): z.J. 1017 compluribus Cilensi et Diedesi; in pago Silensi, vocabulo hoc a quodam monte nimis excelso et grandi olim sibi indito9, um 1047 (K.) Silesiam10, 1109 regio Zleznensis11, (1138) Slesziam12, 1163 provincia Silencii13, 1175 dux Zlesie, (1202)-1203 dux Zlesie, 1208 dux Zlesiê, 1208 dux Zlesie, 1209 dux Slezie, 1216 in Zlesia, 1218 ducis gratia Zlesie, 1228 in terra Zlesie, (vor 1230) in terra Zlesie, 1233 in terra ducis Slesie, 1234 (K.) Theuto­nici Slesenses, 1234 (Tr.) Zlesie, 1235 in Zlesia, 1238 (Tr.) de Slesia 1240 (K.) in Silesia, 1245 duce Zelesie, duce Slesie, Var.: Zlesie, 1249 (K.) baronibus Slesie14, 1253 terram Zlesie, 1253 terram Slezie (mehrfach), 1259 terra Slesiensi, 1261 in Sle­zia, 1264 in provincia Slesiensi, 1264 in districtu Slesie, 1266 in Slezia, 1267 in terra Zlesie, 1268 (K.) ad partes Slesie, 1270 districtus Slesie, 1271 (K.) milibus Slesiam, 1271 (K.) in Slesiam, 1272 in Slesia (zweimal), 1273 in Slesia, 1275 in Slesia terra, 1279 in Slesia15. Dabei ist beachtenswert, daß „die Form Silesia für Schlesien … vor dem XIV. Jahrhundert nicht nachzuweisen sein“ [dürfte]16.
3. Der Fluß Sleza//Lohe: 1155 inter Muchobor et Selenza (Handschrift: Sclenza)17, 1202 (F. 14.Jh.) ad fluvium Slenze; totam fluvium Slenze18; 1208 prope litus Zlen-zê19, 1218 (F.) per fluvium Lau20, 1245 apud vadum Laui21, (1273) aqua, que dicitur Laau22; 1291 Lavi23.
4. Der Berg Sleza/Zobten/Sobótka: 1108 in monte Silencii24, 1148 (K.) ecclesie sancte Marie de monte Silencii, (1149-1150) (K.) in monte Silencii, 1209 (K.) circa montem Silencii, 1223 monti, qui dicitur Sylencii, 1242 in monte Slenz25, 1245 in Monte Slez, 1247 sub monte Zlenc; supra montem Zlenz; in monte Zlenz, 1250 (K.) montem, qui dicitur Zlencz26, 1256 (K.) prope montem Zlencz, 1260 circa montem Slezie, 1280 (K.) In silva vero Slencz montis27, 1346 Zlesia28, 1360 circa montem Slesie29. Seit dem 14.Jh. erscheint als Übernahme des ON. Sobótka die neue Bezeich­nung Sabothus, in monte Silentii alias Sobotha usw., dann auch dt. Zobten30.
5. Slavischer Stammesname: Mitte 9.Jh. (A. 10.Jh.; sog. Bayer. Geograph) Sleen-zane31, 1086 (A. 12.Jh.) Zlasane32.
Die Deutung des Namens Schlesien war lange Zeit fast unstrittig: die sogenannte „traditionelle“ Auffassung, in ihm eine Ableitung von dem (germanischen) Stamm der Silingi zu sehen, wurde nicht nur von deutschen Sprachwissenschaftlern (K. Zeuss, K. Müllenhoff, J. Hoops, E. Schwarz, M. Vasmer, R. Trautmann u.a.) vertreten, sondern auch von polnischen Linguisten, z.T. sehr nachdrücklich (A. Brückner33, J. Rozwa­dowski34), verfochten. „Schlesien bedeutet ‘Silingenland’“ heißt es bei K.  Müllenhoff und E. Schwarz, für J. Hoops35 ist der slavische Name eine Umgestaltung des germa-­nischen Stammesnamens. Auch der Flußname wurde als „Silingenfluß“ aufgefaßt, ebenso sah man in dem mons Silenci einen  Silingenberg36. Die Lohe war für die meisten ein „unbedeutender linker Nebenfluß der Oder, aber deshalb beacht­lich, weil hier wieder der germanische Stamm der Silingen indirekt erscheint … Die Bedeutung wird ‘Bach des Siling’ sein“37. Daß der Fluß namengebend gewesen wäre, sei „ … ganz unwahrscheinlich, … wenn ein berühmter heiliger Berg die Gegend be­herrscht“38. Darauf und auf den Namen des Flusses (auch auf die deutsche Variante) wird noch zurückzukommen sein.

In der Tat besticht die Herleitung von dem Stammesnamen Silingi. Die wichtigsten Überlegungen zur lautlichen Entwicklung hat bereits M. Vasmer vorgebracht39. Nach Auskunft der oben genannten Nachrichten saßen „südlich von den Goten … zu Beginn der christlichen Zeitrechnung …. die vandilischen Stämme, zu denen auch die Silinger gehören, von denen Schlesien (pol. Slask, tschech. Slezsko) seinen heutigen tschechi­sierten Namen hat“40. Dazu zählen auch die von Ptolemäus erwähnten Óßëéããáé; wei­terhin „haben wir in der Nachricht des spanischen Bischofs und Chronisten Hydatius (um 470 n.Chr.) von den Vandali cognomine Silingi ein einwandfreies Zeugnis für die Zugehörigkeit der Silinger zu den wandalischen Stämmen“, wobei „der Name der Si­linger [schon] durch seine Endung -ing … ziemlich deutlich als ein germanischer Stam-mesname charakterisiert [ist]“ 41. Bei einer Herleitung von diesem Namen „braucht man auch Formen wie westslav. *s?lez?sk? : óßëéããáé ‘Schlesien’ u.a. nicht durch Lautsubstitution zu erklären“42; die Entwicklung wäre ganz regelgerecht verlau­fen: aus Siling- müßte slav. S?leg- werden, „das lautgesetzlich ein S?ledz- ergab, so wie uns ein slavisches k?n?dz? ,Fürst’aus einem altgermanischen kuning- bekannt ist“43. Auch die weitere Entwicklung als Adjektivbildung wird von Vasmer bestens erklärt44. Daran anschließen läßt sich ebenfalls die slavische Bildung mit dem Suffix -’ane.
Der hier nur knapp skizzierte Vorschlag einer Deutung aus einem germanischen Stammesnamen paßt fraglos zu der berechtigten Annahme, daß es ein altes Slaventum in Schlesien nicht gegeben habe45. Dafür wird auch (und wohl nicht zu Unrecht) der ON. Nimptsch (< Nem?c? „Deutsche“?) geltend gemacht. Auch ist zu bedenken, daß der Name Schlesien tschechischen Einfluß verrät: „Die deutsche Bezeichnung für Schlesien hat in der ersten Silbe einen Vokal, der nur im Tschechischen entstanden sein kann“. Ebenso zeigt „die gelehrte lateinische Form Silesia … Spuren tschechischer Lautentwicklung in ihrem e und im inlautenden Siblanten“ 46.

M. Vasmer ist wie A. Brückner der Meinung, daß der Name der Silingi im Berg-namen Zobten (= „Silingerberg“)47 überlebt habe und von dort Schlesien seine Benen-nung erhalten habe. Der Name des Flusses wird – wie schon gesagt – nur am Rande er-wähnt.
Dieser Meinung entgegen steht eine Erklärung aus dem Slavischen. ­Auch diese hat – nicht zuletzt wegen der offensichtlich slavischen Bildung in dem relativ frühen Beleg Sleenzane (Bayer. Geograph)48 – ihre Berechtigung. Da zudem in diesem Beleg keine Spur des an sich zu erwartenden slavischen -?- (*S?l- < *Sil-) zu erkennen ist, sehen die slavischen Forscher darin ein schwerwiegendes Argument gegen die Herleitung von dem Namen der Silinger49.
Man geht daher von einem ursprünglichen Ansatz *sleg- aus, vergleicht damit cech. slezak und poln. slazak, zieht weiter poln. slegnac „naß werden, anfeuchten“, slganina „Regenwet-ter, Feuchtigkeit“ heran, setzt eine slav. Wz. *sleg- „naß, feucht“ an, schließt deshalb auf einen idg. Ansatz *sleng- : *sleng’- und zieht dazu u.a. poln. przeslagly „durch-näßt“, przeslagwa „Seidelbast“, slagwa „Unsauberkeit; Regenwetter“. Neben wurzelauslautendem -g liegt auch -k vor in poln. slaknac  „naß werden, durchnäßt werden, vom Regenwetter durchnäßt werden, von Kälte durchzogen wer­den“, slakwa „Regen-, Schauerwetter, mit Schnee vermischter Regen“, slakniety  „durchnäßt; schlottrig“. Man vermutet ein altes Schwanken des Konsonantismus, etwa -g- : -g’- :  ~  -k-  : -k’-, wie z.B. in ahd. slingan : ags. slinkan,  lett. slãncka : slànga50.

Als Konsequenz ergibt sich aus dieser Zusammenstellung, daß der Flußname als primär angesehen wird51. Diese Etymologie hat zweifellos ihre Berechtigung, jedoch hat erneut M. Vasmer52 auf die Problematik der slavischen Sippe um poln. sleganina hingewiesen: das Alter der -g-Formen ist völlig unbestimmt, die Belege mit -k- dürfen auf keinen Fall beiseite gelassen werden. Viel eher ist ein Wechsel k > g wie in poln. dial. wielgi für wielki „groß“ anzusetzen. Dann wären die Formen mit -g- jung und M. Vasmer folgert wohl mit Recht: „ich halte slakwa usw. für zweifellos verwandt mit russisch sl’akot’ ‘feuchtes Wetter’ und stelle es weiter zu serbokroatisch slëka ‘Flut’, auch odsleka ‘Ebbe’ (bei Vuk …). Die gemeinsame Grundform *slek- genügt zur Er-klärung all dieser Formen … Beide polnischen Bildungen gehen, wie das l (nicht l !) lehrt, auf e zurück“.
Von hieraus führt natürlich kein Weg zu dem Flußnamen Sleza: „Wenn in letzter Zeit der Versuch gemacht worden ist, die Benennung Schlesiens als echt sla­visch zu erweisen und aus einem slavischen *s?lek- zu erklären, so kann dieser Ver­such nicht den Anspruch darauf erheben, ernst genommen zu werden, da man in die­sem Falle ein poln. *Slacz-, cech. Slec- erwarten müßte und die Form von poln. Slezák diesen Ansatz ausschließt“53. Dieser Argumentation sind nicht nur E. Schwarz54 und G. Schlim-pert (a.a.O., S. 114) gefolgt; auch W. Manczak55 stimmt ihr zu. In einem früheren Beitrag hatte dieser zudem darauf verwiesen56, daß eine -a-Ableitung im Slavischen eigentlich auf der -o-Stufe aufbauen müßte und daher *slongã und nicht *slengã zu erwarten wäre. Somit ist auch dieser auf slavischem Material aufbauende Vorschlag mit Recht kri­tisiert worden.
W. Manczak hat in seinem eingangs erwähnten Beitrag unterstrichen, daß ihn keine der beiden bisher vorgebrachten Deutungen überzeugt. Dem wird man folgen können. Wahrscheinlich enthalten aber beide Vorschläge Elemente, die einer überzeugen-deren Etymologie dienlich sein können. Bevor ich darauf eingehe, seien nur knapp einige andere, völlig abweichende und z.T. völlig unbeachtete Deutungsvor­schläge genannt.

So hat E. Kucharski57den Flußnamen Sleza an eine baltische Wurzel sil- ange­schlossen, die u.a. in lit. sìlis, lett. sils  „Vertiefung, Tal, Trog“ vorliegt. Nicht unwich­tig ist seine These, der Flußname enthalte weiterhin das baltische Suffix -ing-. Es wird uns noch beschäftigen.
Übergehen kann man die verschiedentlich vorgebrachte These, es bestehe ein Zu­sammenhang mit poln. slaz „Malve“58. Ebenso ist Lakomys eigene Meinung, der Name Slezanie sei aus einem Ansatz *zelazanie (zu slav. železo usw. „Eisen“), natür­lich unhaltbar59.
Einen ganz anderen Wert besitzt dagegen eine Bemerkung von I. Duridanov, die dieser an für das Problem der schlesischen Namen wenig auffälliger Stelle gemacht hat. Bei der Erörterung der Bildung der Flußnamen des Vardargebietes60 schreibt er: „Der FlN Treska … gehört zu einem vorslavischen Bildungstypus, der auch Flußnamen wie russ. Volga, poln. Wilga …, Warta …, Slega > *Sleza (*slêg-) usw. umfaßt …“. Falls also von einem Ansatz *Sleg-ja  auszugehen wäre, würde die Wortbildung gegen eine slavische Bildung sprechen.

Damit möchte ich die Vorstellung bisheriger Deutungsvorschläge beenden und den Weg zu einem eigenen Vorschlag betreten. Dabei werden wir allerdings – wie schon erwähnt – auf einige bisher schon erwähnte Punkte zurückgreifen.
Bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist die Frage, wie der offensichtlich ger­manische Name der Silingi erklärt werden kann. Dieser ist bisher keineswegs sicher ge-deutet61. Der einzig ernst zu nehmende Vorschlag kommt von M. Vasmer62: „In einer gründlichen Untersuchung … hat … Elof Hellquist auch einen schwedischen Orts­namen Silinge in Södermanland nachgewiesen, wo auch ein Seename Silingen sich findet. Den Ortsnamen hält er für das ursprünglichere und ist geneigt, ihn im Zusam­menhange mit dem ostgermanischen Stammesnamen der Silingi zu erklären“. Vasmer stellt auch wei-tere Parallelen zwischen skandinavischen und ostgermanischen Namen her und schließt daher für die Silingi auf einen „alten Stammesname bei den Germa­nen“.
Das Problem bei dem Vergleich ist ihm ist nicht entgangen: der schwedische Name besitzt in der Wurzelsilbe einen Langvokal und differiert damit von dem wandalischen Stammesnamen (mit Kürze). Er glaubt diesen Unterschied mit weiteren Beispielen auf­heben zu können63. E. Schwarz ist ihm darin aber nicht gefolgt, und hat wegen der Quantitätsdifferenz die jüngste Deutung des germanischen Stammesnamens aufgegrif­fen: „Leute mit dem Sielengeschirr“. „Diese Deutung wäre ansprechend, weil sie den vermutlich kultischen Charakter des Stammesnamens betont“64. Der Quantitätsunter-schied wird auch von W. Manczak65kritisch betrachtet; eine Beziehung zum schwedi-schen ON. wird aus diesem Grund auch von S. Rospond66 abgelehnt.
Bezeichnenderweise gibt es noch eine ganz andere Deutung des Völkernamens: E. Lidén stellt ihn67 „zu abulg. sila ,Gewalt, Kraft’“ und folgt damit einem Vorschlag von L. Laistner68. Diese These überzeugt allerdings kaum und hat auch keine Anhänger ge-funden.

Ich habe mich bemüht, den schwedischen Orts- oder Seenamen Silinge(n) einer ge-naueren Prüfung zu unterziehen. Man muß lange suchen, bevor man ihn findet. So fehlt er in dem geographischen Standardwerk Sverige69, das immerhin auf einem Maßstab von 1 : 300 000 aufbaut und alle dann belegten Namen auflistet. Allein in Ritters Sammlung geographischer Namen70 ist er zu entdecken. Er fehlt auch in dem jüngst erschienenen Band von S. Strandberg über die Seenamen in Södermanland71 und kann kaum überregionale Bedeutung besitzen. Auch von hieraus ergeben sich weitere Zwei-fel an der Zusammenstellung.
Diese Bedenken werden weiter erhöht, wenn man sich dem von deutscher Seite stark vernachlässigten Flußnamen Sleza/Lohe zuwendet. Vor allem M. Vasmer hat sich dagegen gewandt, daß ein Flußname als Ausgangspunkt der Namensippe um Schlesien – Slask – Sleza zu betrachten sei, und hat mit aller Entschiedenheit die An-sicht vertreten, daß von dem Stammesnamen auszugehen sei: „Ein weiterer Einwand gegen die ‘deutsche’ Auffassung, der von verschiedenen … sehr ernst genommen wird, besteht in der Behauptung, daß topographische Bezeichnungen nicht von Stammes-namen ihren Ursprung haben können. Ich halte dieses Argument für … nichtssagend …“. Vasmer verweist auf  Beispiele wie Frankenbach, Sachsengraben, Merskaja Reka und äußert zusammenfassend zu diesem Punkt: „Angesichts solcher Beispiele ist mir vollkommen unbegreiflich, wie man behaupten konnte, daß Gewässernamen nicht von Stammesnamen gebildet sein könnten“72. Gleichermaßen hart vertrat er die Ansicht, daß auch der Bergname Sleza so zu erklären sei: unter Hinweis auf den Fläming be-merkt er73: „ … dann ist es nicht zu verstehen, warum es nicht auch einen Silingerberg hat geben können. Wer solche Bedeutungen für unmöglich hält, der hat eben kein Recht, über Ortsnamenforschung zu reden“. Wie groß die Vernachlässigung des Flus-ses und seines Namens bei Vasmer und Brückner war, zeigt die folgende Passage: man glaubte annehmen zu können, „der Bergname stamme von dem Flußnamen. Schon Brückner hat wiederholt auf die große Unwahrscheinlichkeit dieser Theorie hingewie-sen, die den großen Berg seinen Namen von dem unbedeutenden Fluß beziehen läßt und annehmen zu dürfen glaubt, das ganze Land Schlesien sei von dem unansehnlichen Fluß benannt“74.

Es lohnt sich, diesen „unansehnlichen“ Fluß in seinen Ausmaßen etwas näher zu be-trachten. Zusammen mit seinem rechten Nebenfluß Mala Sleza (Kleine Lohe) bildet er zwischen Bystrzyca und O³awa mit einer Gesamtlänge von ca. 70 km ein bedeutendes linksseitiges Zuflußgebiet der Oder südlich von Breslau. In der nächsten Umgebung von Breslau ist er neben der Oder eindeutig der wichtigste Wasserlauf und umläuft im Westen und Nordwesten das gesamte Gebiet der Stadt. Stellt man diesen Fluß in sei-ner Länge deutschen Flüssen gegenüber, so lassen sich damit in etwa vergleichen (ca. 40-90 km): Ahr, Brigach, Lauchert, Günz, Mindel, Zusam, Vils, Traun, Rott, Mattig, Hase, Hunte, Eder, Fulda, Wümme, Rhume, Innerste u.a.m. Handelt es sich auch hier um „unansehnliche“ Flüsse? Oder ist man etwa voreingenommen gewesen? Man soll-te gewiß nicht die herausragende Lage des Zobten übersehen, aber auch nicht den Fluß und damit seinen Namen als möglichen Ursprung der Benennungskette.
Hinzu kommt ein weiteres Argument, daß vor allem von polnischer Seite einge-bracht worden ist und seine Berechtigung hat75. Es gibt nur außerordentlich wenige Beispiele dafür, daß ein Stammesname zu einem Gewässernamen geworden ist. Vas-mers Hinweis auf Sassenbach und ähnliches zeigt, daß es sich in den allermeisten Fäl-len um recht junge Benennungen handelt.
Für die Annahme, daß von dem Gewässernamen auszugehen ist (auf die entschei-dende Frage, ob es auch eine überzeugende Etymologie für diesen gibt, werden wir noch komen), spricht auch die slavische Benennung Slezanie, cech. Slezane, schon 9./10.Jh. (Bayer. Geograph) Sleenzane. Dieser Typus stellt ist im Slavischen nicht nur, aber sehr häufig eine Ableitung von einem Gewässernamen dar. Das gilt auch und ge-rade für die ältere Zeit. In polnischer Lautung nenne ich Wislanie, Wiercanie, Bobrza-nie, Wkrzanie, Sprewianie, Polabianie, Nyszanie, Morawianie, Buzanie. Vielleicht gehört sogar der Name der Slaven selbst, poln. Slowianie, hierher76.

Die deutsche Form Lohe hilft uns in diesem Punkt nicht77. Offenbar ist weder der alte Name des Berges noch der des Flusses von Slaven an nach Osten einwandernde Deutsche übermittelt worden. Nur im Landschaftsnamen Schlesien/Slask überlebte die alte Bezeichnung. Hat es sich dabei wirklich so abgespielt, wie A. Brückner es uns in seinem Artikel über Schlesien und Golesici78 glauben machen wollte, die Herleitung des Namens aus der Gewässerbzeichnung müsse daran scheitern, „daß die alte Zeit, wie wir es aus Thietmar wissen, den imposanten Zobten, nicht die unbedeutende Lohe berücksichtigte“?  Können wir diesem wirklich folgen? Oder hat nicht A. Brücker viel-leicht mit seiner folgenden Passage, die das Unwahrscheinliche dieser Annahme noch-mals herausstreicht, ins Schwarze getroffen? Er fährt nämlich fort: „… es bleibt der merkwürdige Zufall bestehen, daß ein kleiner Germanenstamm seinen Namen bis in die slavische Zeit rettete, während Namen großer Stämme spurlos schwanden …“ [Unter-streichung von mir, J.U.].
Hat nicht vielleicht eher E. Fraenkel in der knappen Bemerkung „die Lohe = Sleza aus Silingia“ die Grundform des Flußnamens richtig erfaßt79 (auch wenn hier wieder der Stammesname als Grundlage angesehen wird)? Folgt man versuchsweise dieser mutmaßlichen Grundform, so wird man sich Gedanken über ein mögliches Suffix ­-ing- machen müssen. Um die germanische Ableitung zu retten, greift man gern zu nordi-schem Material, so auch E. Schwarz: „Es gibt … vor allem im Norden eine Menge von germanischen Flußnamen, die tatsächlich auf -ing ausgehen“80. Aus slavischer Sicht glaubte W. Semkowicz einwenden zu können81: die Annahme, der GN. hätte ursprün-glich Silinga geheißen, sei verfehlt, da -ingi- auf eine patronymische Bildung weise und in einem Flußnamen nicht begegnen könne.

An dieser Stelle sind die Erkenntnisse aus Untersuchungen an europäischen Flußna-men durch H. Krahe und seine Nachfolger einzufügen. Wir werden sogleich sehen, daß die Einbindung des Flußnamens Sleza in das Netz der alteuropäischen Hydronymie mühelos gelingt. Zuvor möchte ich jedoch diejenigen offenen Fragen, die in diesem Zu-sammenhang bedeutsam sind und in den vorliegenden Seiten angeschnitten worden sind, nochmals kurz auflisten.
1. Der Name Schlesien/Slask bezog sich ursprünglich auf den Zobten und dessen nähere Umgebung. Der Stammesname der Silingi, aber auch der der Sleenzane, der Name des Landes, des Flusses und des Berges gehen wohl auf einen Ursprung zurück.
2. Die Herleitung aller Namen von dem der Silingi überzeugt aus mehreren Grün-den nicht. Der Name der Silingi selbst ist bisher ungedeutet.
3. Rein lautlich ist allerdings ein Ansatz *Silinga durch keinen besseren zu erset-zen.
Damit lassen sich sowohl die Ptolemäischen Óéëßããáé wie polnisch Slask „Schlesien“ verbinden. Die Deutung muß demnach von einem Ansatz *Sil- (offensichtlich mit Kürze) ausgehen.
4. Gegenüber polnisch Slask und dessen Grundform *S?lez-?sk? darf der frühe und wichtige Beleg Sleenzane82 (Bayer. Geograph) doch nicht überbewertet werden.
5. Die Verbindung mit einem angeblich alten slavischen Element *sleg- „naß, feucht“ ist aufzugeben. Die Formen mit -g- sind jung.
6. W. Manczaks Kritik an den beiden bisher vor allem diskutierten Interpretationen ist berechtigt. Seine These von voreinzelsprachlicher Herkunft des Namens Schlesiens würde man gern folgen; nur wurde auch von ihm kein überzeugender Vorschlag vorgelegt.
7. Alte topographische Bezeichnungen sind fast nie von Stammesnamen abgeleitet.
8. Der Flußname wurde auf deutscher Seite entschieden vernachlässigt. Für die Herleitung vom Gewässernamen spricht auch die slavische Bildung Slezanie, cech. Slezane.
9. Die „unbedeutende“ Lohe/Sleza gehört mit ca. 70 km Länge zu den größeren Flüssen im Odergebiet.
10. Das Suffix -ing- muß aus der Gewässernamengebung heraus betrachtet wer-den. Eine Beziehung zum baltischen -ing-Suffix hat E. Kucharski erwogen. Zur Kenntnis genommen wurde sein Vorschlag nicht.

In Anbetracht der Lage und Bedeutung Schlesiens im Spannungsfeld zwischen Deutschen, Polen und Tschechen und der wechselvollen Geschichte seiner Besiedlung ist innerhalb der Namenlandschaft mit erheblichen Verschiebungen zu rechnen. Die historische Siedlungsabfolge hat auf verschiedene Namenschichten gewirkt, man den-ke an die voreinzelsprachlichen Gewässernamen, die auf eine indogermanisch-alteuropäische Namengebung weisen, an den frühen germanischer Einfluß, der nicht aus-zuschließen ist, an die Übernahme durch slavische Einwanderer, an den eindeutig nachweisbaren tschechischen Einfluß, an die Eindeutschung durch Siedler aus dem Westen und an das ständig vorhandene slavische Element. Es dürfte im einzelnen nicht mehr möglich sein, alle Beziehungen oder gegenseitigen Beeinflussungen heute noch zweifelsfrei ermitteln zu können. Wenn man weiter bedenkt, daß in unserem Fall ein Stammesname, ein Flußname, ein Bergname und ein daraus entstehender Ge-bietsname in fast ständigem Kontakt miteinander verwendet und verändert wurden, so halte ich es für ausgeschlossen, anhand von Materialien aus dem 16. Jahrhundert Lau-tungen ermitteln zu wollen, die vor fast 2000 Jahren bestanden haben sollen. Aus diesem Grund halte ich auch Manczaks Argumente83 für nicht überzeugend.
Wie problematisch die gegenseitige Beeinflussung zweier Namen schon in histori-scher Zeit sein kann, läßt sich anhand eines mutmaßlichen -ing-Namens, nämlich des Sollings in Südniedersachsen, dank der sorgfältigen Analyse durch W. Kramer84 gut nachvollziehen. Das Verhältnis zwischen Solling und dem ON. Sohlingen ist gekennzeichnet durch einen ständigen Austausch und durch fortwährende gegenseitige Beeinflussung. Eine „Übersicht über die Leitformen“ beider Namen85 macht dieses besonders deutlich. Um wieviel schwieriger ist noch der Versuch, in einem Grenzbereich in vorhistorische Zeit vorzudringen und Grundformen für Berg-, Stammes-, Fluß- und Landesnamen ermitteln zu wollen! Was uns allenfalls gelingen kann, ist die ungefähre Bestimmung des zugrundeliegenden Elements. Dieses wird – nach allem, was hier zusammengetragen wurde – am ehesten der Name des Flusses sein. Ihn gilt es, einer näheren Prüfung zu unterziehen. Dabei ist die heutige amtliche polnische Schreibung Sleza nicht verwertbar; sie entstand erst nach 1945 auf Grund einer Empfehlung der Komisja Ustalania Nazw Miejscowych86.
Die mit dem Berg-, Stammes- und Landesnamen verbundenen Deutungsprobleme lösen sich vollständig auf, wenn man von dem Flußnamen mit einer durchaus überzeugenden Grundform *Silinga ausgeht. Eigentlich ist es sogar verwunderlich, daß man diesen relativ leicht zu beschreitenden Weg bisher nicht gegangen ist. Es genügt, den Blick von Schlesien abzuwenden und in Europa nach einer „Wasserwurzel“ *sil- zu suchen.
Schon bald stößt man auf den Beitrag von H. Krahe, Einige Gruppen älterer Ge-wässernamen, 1. Namen mit Sil-87, französisches Material hat L.-F. Flutre bereitge-stellt88, und schon vor dem dem Zweiten Weltkrieg hat J. Pokorny einige Namen zu einer Wurzel Sil- gezogen89. Ich gebe im folgenden eine Auflistung der inzwischen bekannt gewordenen Namen. Der Wurzel entsprechend handelt es sich fast ausschließ-lich um Gewässernamen.

An erster Stelle sind unerweiterte Formen zu nennen, die – der alteuropäischen Hy-dronymie entsprechend – mit -os oder -a gebildet sind. Man vergleiche: Sil, FlN. in Ga-licien, ist nach J. Pokorny90„aus Sîl-“ entstanden und mit ags. sioloþ „Meer“, anord. sil „stilles Wasser“ u.a.m. zu verbinden; Sihl, Zufluß der Limmat in Zürich, 1018 fluvius Sylaha, 1217 Altsila usw., dazu auch Flurname Sihlalp,  1018 id est alpem Syla voca-tam usf., s. die ausführliche Darstellung bei A. Greule91: „Sila gehört zu irisch silid ‘tröpfelt, fließt’ (Pokorny)“; *Sila, vorgermanischer Name der Reuss, lebt fort im ON. Silenen im Urner Reusstal, 857 Silana usw., nach A. Greule, a.a.O. 147f.  ist die Grundform für den Fluß als *Sila, für das Tal als *Silãna anzusetzen; man beachte wei-ter 1322 Sela, FlN. in Portugal (?),  < *Sila (mit Kürze in der Wurzelsilbe)92; Sila, seit 1195 belegt, Ausfluß d. Lago di Pinè, Grundform *Sîla93; Sile,  Fluß in Venetien, alt (Plinius, Geograph v. Ravenna u.a.) Silis, Sile94; 956-974 rivulum Silo, „wahrschein-lich im Dép. Haute-Loire“95; Le Syl, 1090 Sil, Fluß bei Lavau, Dép. Loire-Inf.96; Sil, 11./12. Jh. ad flumen Silum, l. Zufluß d. Minho (Galizien), auf Sîl oder evtl. *Silos zurückzuführen97; *Sila (mit Kürze) in la Selle, Zufluß der Somme und d. l’Escaut, auch la Selle de Beauvoisin, Fluß im Dép. Htes-Alpes98.
Hier angeschlossen werden kann auch der FlN. Hyle in Essex, 958 (K. 12.Jh.) (in-nán, andlang) Hile, (andlang) ealdan Hilæ, ca. 1250 (K. 15.Jh.)  Hyle usw., davon abgeleitet ist der ON. Ilford, 1086 Illefort usw. Nach E. Ekwall99 ist ein Ansatz *Sil- gut möglich, so daß eine Verbindung zu Sile (Italien), bei Plinius Silis, usw. hergestellt werden kann. Wörtlich heißt es: „The exact base is found in Ir silim ‘drop, distil, sow, spit’, W hil ‘seed’“100.
Schließlich sind noch zu nennen Sylys, SN. in Litauen, offenbar mit Länge in der Wurzelsilbe101, und auch die mit dem baltischen Wasserwort upe, upis komponierten Namen Sìl-upis, Syl-upis in Litauen, sowie und Sil-upç, Sil-upîte, GN. in Lettland102.

Auch Bildungen mit dem Formans -ios/-ia fehlen nicht: *Silius, jetzt Sillo, Fluß in Huelva (Andalusien) und in Badajoz (Westspanien); *Silius, jetzt Selho, 926 Selio, GN. bei Guimarães, enthält Kürze in der Wurzelsilbe wie auch *Silia, j. Sella, 926 Seliam, Fluß in Asturien, ebenso *Siliôn-, 933-967 rivo que vocitant Selione, Prov. Santander, Nordspanien103.
Bei der Behandlung der Flußnamen des Bodensee- und Oberrheingebietes hatte A. Greule (op.cit., S. 152) noch an sicherer Zugehörigkeit zu alteuropäischen Schicht gezweifelt: „Nichts steht im Wege, die beiden schweizer. FlNN. Sila/Sihl und *Sila/ Reuß auf Grund von mir. silid als kelt. FlNN. anzusprechen, wobei Sila einen alteurop. Typus repräsentieren kann“. Ich möchte dieses – wegen der baltischen Entsprechungen und nicht zuletzt aufgrund des noch folgenden Materials – bezweifeln. Darunter befinden sich nämlich auch Bildungen, die aus einer Einzelsprache heraus nicht erklärt werden können.

Etwas unsicher sind zwar -m-Bildungen, aber sie dürfen dennoch nicht ganz über-gangen werden. Notiert habe ich Siaume, Flußname im Dép. H.-Loire, 1359 Silma, 1504 Sialma, nach A. Dauzat, G. Deslandes Ch. Rostaing 104„obscur“. Vielleicht gibt es dazu eine Entsprechung in dem Seenamen Silm See im unteren Weichsel-Gebiet105, aber die Überlieferung ist sehr schwankend (Silben, Silven).
Weitaus besser steht es um die -n-Bildungen. Hier ist vor allem osteuropäisches Material zu nennen, was durchaus mit bisherigen Erkenntnissen über die Streuung dieses Bildungselementes in der alten Hydronymie korrespondiert106. Zu nennen sind hier Silenka, Fluß im Gebiet d. Sož’, auch FlN. im Desna-Gebiet107 und Silinka, Flußname im Gebiet von Wolga und Oka108.
Besondere Aufmerksamkeit wandte man dem Nebenfluß des Narew Œlina, 1533 Slina, zu109. In ihm sahen Toporov-Trubaèev 207 wohl mit Recht eine Grundform *Silina, wobei von Kürze in der Wurzelsilbe auszugehen ist. Weitere im slavischen Gebiet liegende Gewässernamen wie Silna usw. werden hier wahrscheinlich anzu-schließen sein. Da aber eine sichere Trennung von slav. sila, silny „Kraft, Stärke, stark“ nicht erreicht werden kann und immer wieder auf (angeblichen) Wasserreichtum oder starke Strömung bezug genommen wird, habe ich auf eine Auflistung verzichet. Genannt werden muß aber noch der GN. Silynç in Litauen110.

Unsicher ist ein Ansatz *Silina für einen bei Plinius erwähnten Namen zwischen Irland und Britannien111, der hier einen guten Anschluß finden würde.
Von besonderer Bedeutung sind die viel zitierten -nt-Bildungen in der alteuropäi-schen Hydronymie. An erster Stelle ist hier der Name der Schlenze in Thüringen, eines linken Nebenflusses der Saale, zu nennen. Allerdings bauen alle bisherigen Deutun-gen112 auf einem ziemlich unsicheren Beleg auf113, so daß man große Vorsicht bei der Heranziehung walten lassen sollte114.
In einem ganz anderen Landstrich ist dagegen vielleicht eine andere, sicherere -nt-Bildung aufgetaucht. Es geht um den Namen eines der größten Flüsse der Ukraine, den Sluè’, der häufig mit slavischem Material verbunden worden ist, aber m.E. weitaus überzeugender als *Süloèü aufgefaßt und auf *Silantios zurückgeführt werden kann115.

Weiterhin kann die Grundform *Silantios auch gefunden werden in dem Namen eines Baches bei dem Ort Ma³a S³oñca, dt. Klein Schlantz; die alten Belege 1248 castrum meum Slanciam, 1280 villa Slancza usw. weisen nach H. Górnowicz, HE. 1,33 mit dem Suff. -ja auf eine Wurzel *sleng-/*slenk- „feucht, naß, schlüpfrig, glatt“, die rekonstruierte Form †*Œlêdza ist seines Erachtens „vielleicht vorslavisch, die laut-liche Entwicklung slavisch“. Für E. Rzetelska-Feleszko und J. Duma116 blieb der Name unklar, eine Herleitung aus *Silantios habe ich schon an anderer Stelle unterbreitet117.
Eine weitere starke Stütze der Hydronymie sind -r-Bildungen. Auch sie sind nach-weisbar: Sele, GN. in Campanien, alt Silarus usw.118, zur Deutung s. J. Pokorny, Ur-geschichte 170 (enthält Kürze); Sillaro, Nfl. d. Reno, alt Sîlarus, Tab. Peut. fl. Sila-rum; Silarum fl.119; venetisch Sîlis, ligurisch Sîlarus, Nfl. d. Po in der Aemilia, gehört nach J. Pokorny, Urgeschichte 170 zu ags. sioloþ „Meer“, anord. sil „stilles Wasser“; Célé, Var. Celès, 818 fluvio Celeris, 844 fluvium Celeris, 972 super alveum Sileris, 1456 aqua Sileris,  1470 Celé, enthält kurzes -i-120; 1153 focem de Selir, 1183 Selyr sicut intrat in mare, Flußname in Portugal (?), enthält kurzes -i-121. Der Stammesname der Silures (Plinius, Tacitus, Ptolemäus usw.)122 bleibt wohl fern.
Auffällig ist die bei diesen -r-Ableitungen die Kürze des Wurzelvokals. Sie ent-spricht aber vollkommen der indogermanischen Wortbildung und weist die Namen damit eher einer voreinzelsprachlichen Schicht zu.

An -s-Bildungen ist nur bekannt Silisia, Nfl. d. Meduna (z. Livenza), südlich von Ampezzo123.
Eine bisher unbeachtete – u -Bildung darf vermutet werden in Selwa, ON. bei Al-lenstein/Olsztyn, 1402-08 Silwen, auch Seename Silwa, heute Lemañskie Jezioro, 1402-08 Silwen, später Silben usw. Der ON. basiert auf einem preuß. Seenamen, die deutschen und polnischen Varianten Selwa weisen aber eher auf eine Grundform *Sil(u)v-ã mit dem Suffix -uw-124.

Neben diesen eher alteuropäischen Bildungen sind vor allem im germanischen und baltischen Bereich Namen belegt, die darauf verweisen, daß die zugrundeliegende Wurzel bis in die Ausbildung der einzelnen indogermanischen Dialekte produktiv ge-wesen ist. In aller Kürze nenne ich hier Sielbek, FlN. in Schleswig-Holstein, entspre-chende Bildungen finden sich auch in anderen Teilen Deutschlands; Silaaen (? Grenfjeldaaen) in Norwegen, und Silen, schwed. Seename, zu schwed. sîla „langsam strömen“ 125.
Problematisch sind Ortsnamen aus Deutschland wie Seel, Söhl, Sielen, Siliburin, Silihem, Silehurst, Silehusen, auch Silinga (via) bei Oudenburg (Westflandern)126. Es fällt schwer, bei allen an das Wasserwort sil- zu denken, bei einigen wird man aber kaum eine bessere Lösung finden, so wohl auch nicht bei den hochaltertümlichen ger-manischen Bildungen Sil-ithi in Sylda und Siele127.
Aus dem Baltischen gehören hierher Seil-iupis, Seilç, Seilinç128.

Die hier angesprochenen Namen finden eine sichere Erklärung in der Zuordnung zu der indogermanischen Wurzel *sil-/ *sîl-. Sie liegt u.a. vor in „ags. seoloþ ‘See’, anord. sîl  ‘ruhiger Flußabschnitt’, schwed. dial. sel „ruhig fließendenes Wasser in einem Fluß’, lit. seilé ‘Speichel, Geifer’“129. Wohl mit Recht betrachten J.U. Hubschmied und J. Pokorny „*sil-/*sîl-, *seil- als eine durch l determinierte Erweiterung der idg. Wz. *sei- : *soi- : *sêi- : *si-/*sî- ‘tröpfeln, rinnen, feucht’“130. Neben der Erweiterung mit -l- schließt A. Greule131mit Berechtigung an132: *sei- + -u- z.B. in got. saiws, dt. See  usw.133, *sei- + -r-  in balt. Namen, *sei- + -m- in ahd. seim, dt. Honig-seim usw., ablautend in aisl. simi „Meer“, mit GN. Simmer u.a., *sei- + -n- in verschiedenen Namen, so in Sejna, Simbs, Sena u.a.m., *sei- + -p-/-b- in etlichen indogermanischen Sprachen (s. J. Pokorny, IEW. 894); *sei- + -d(h)- in Sitter (s. Greule § 2.30); *sei- + kw in idg. *seikw- „ausgießen, seihen, rinnen“, auch in Seine, alt Sequana; *sei- + s in Sissle, s. Greule, § 2.29. Es gibt kaum Wortgruppen, die besser in den indoger-manischen Bestand eingefügt werden können.
Es bleibt nun nur noch die Frage, ob hier auch ein Ansatz *Sil-ing- angereiht wer-den kann. Wie oben ausführlich behandelt wurde, ist dieser für den linken Nebenfluß der Oder Œlêza wahrscheinlich zu machen. Es kann nun nicht ganz ausgeschlossen wer-den, daß hier auch der schwedische See- und Ortsname Silinge(n) hinzugestellt werden kann, allerdings wird man in diesem Fall eher an eine einzelsprachliche, germanische Bildung denken dürfen, denn sowohl Basis wie Suffix sind im Germanischen lange pro-duktiv gewesen. Bezeichnenderweise hat E. Hellquist bei der ausführlichen Behandlung der Seenamen Silinge (zwei Namen im Villattinge bzw. Oppunda hd., Södermanland, 1399 Silinge) z.T. eine Ableitung von einem ON. angenommen, aber auch an eine Ver-bindung zu derselben Basis wie bei den schwedischen Seenamen Silen, Sillen u.a. ge-dacht134. Dabei fällt an dieser Stelle bei Hellquist kein Hinweis auf den Namen Schlesien.

Es kann weiter auch nicht ganz ausgeschlossen werden, daß ein Ansatz Sil-ing-auch für einen Namen in Ostpreußen anzusetzen ist. Es geht dabei um den Seenamen Jezioro Szel¹g Wielki, dt. Schilling, bei Ostróda/Osterode, 1324 Schilling, 1327 an den sehe Schilling usw., dort auch Seename Szel¹g Ma³y, 1477 clein Schilling genant usw.135, auch ON. Szel¹gowo, dt. Schillings, 1340-48 ad villam … Schilingam usw.136, den M. Biolik als preußischen Namen zu einer Grundform * Sîlings auffaßt und mit lit. šìlas „Heide, Wald“ verbindet. Andere Deutungsmöglichkeiten können bei R. Przybytek (s. Anm. 135) eingesehen werden.
Zwar bleiben sowohl die schwedischen wie die ostpreußischen Beispiele unsicher, kein Zweifel kann jedoch darin bestehen, daß die schlesische Œlêza auf *Sil-ing-ia zu-rückgeführt werden kann und ein Anschluß die oben genannte „Wasserwurzel“ *sil- die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat. Allerdings verlangt die Wortbildung des Namens noch einen kurzen Kommentar.
In H. Krahes Konzeption der alteuropäischen Hydronymie war für das Suffix -(i)ng- noch kein Platz. Gerade Osteuropa bietet dazu aber wichtiges Material. Vor allem im Baltischen ist es als hydronymisches Bildungselement sehr beliebt, man ver-gleiche die Angaben bei G. Gerullis137, F. Daubaras138, A. Vanagas139 und Udolph, Stellung 322. Aber auch außerhalb des sicher baltischen Sprachgebietes gibt es wich-tige Zeugen in der Hydronymie. Ich nenne abschließend in aller Kürze: *Leut-ing-iã > Luci¹¿a/Luci¹¿na, *Lût-ing-ios  > Lautensee, *L(o)up-ing-iã > £upiê¿a, Lupenze, Stollensen, Tollense, Strwi¹¿ sowie aus Deutschland Mömling/Mümling < *Nemaninga140.

Hier kann der schlesische Flußname Œlêza < *Sil-ing-ia mühelos angeschlossen werden. Er läßt sich somit von der Wurzel her gut in die alteuropäische Hydronymie einpassen, während sein Suffix auf eine engere Verbindung zur osteuropäischen Na-mengebung weist, was angesichts seiner Lage nur zu begreiflich ist.
Die Frage, ob der Name Schlesien slavischer oder germanischer Herkunft ist, löst sich m.E. dahingehend auf, daß keine der beiden Vorschläge akzeptiert werden kann. Der zugrundeliegende Flußname Œlêza entstand vor der Herausbildung der beiden gro-ßen indogermanischen Dialektgruppen. Er ist weder germanischer noch slavischer Her-kunft, sondern gehört der alteuropäischen Hydronymie an.
Eine letzte Bemerkung soll der Streuung der mit Œlêza < *Sil-ing-ia verwandten voreinzelsprachlichen Namen gewidmet sein. Neben Häufungen in Frankreich ließen sich vor allem in Norditalien verwandte Hydronyme nachweisen. Dieses deckt sich recht gut mit denjenigen Ergebnissen, die bei der Untersuchung der alteuropäischen Bestandteile Polens und deren Beziehungen zu anderen Gebieten Europas erzielt wer-den konnten141: man denke an das Nebeneinander von Cybina – Tiber, E³k/Lyck – Livenza, Ner/Nurzec – Nure, Noteæ – Natisone/Natissa, Oder – Adria, Sto³a – Stiluppe, Stilums und an die Liste von Übereinstimmungen zwischen dem Baltikum und der Adria142, die gelegentlich im polnischen Sprachgebiet Stützen in Gewässer- und Ortsnamen finden. Diese und andere Gemeinsamkeiten wie etwa Ma³apanew – lat. pandus143 sowie die Verbindungen zwischen dem Ortsnamen Wien und polnischem Material144 passen bestens zu der hier ermittelten Verflechtung zwischen der Œlêza und den norditalienischen Flußnamen Sila < *Sîla; Sile, alt  Silis, Sile; Sillaro; Sîlis/Sîlarus und Silisia. Auch in diesem Punkt läßt sich somit der Flußname Œlêza (und damit der meines Erachtens davon abgeleitete Name Schlesien145) bestens in die (alt)europäi-sche Namenlandschaft einbetten.

Jürgen Udolph: Der Flußname Finow

(Namenkundliche Informationen, Beiheft 18, Leipzig 1995, S. 191-196)

Die Ortsnamen Hohen- und Niederfinow gehören zusammen mit dem offenbar namengebenden Flußnamen Finow zu den umstrittenen des Gebietes nördlich von Berlin. Man hat in ihm slavischen Urspung gesucht, aber auch angenommen, daß er auf germanische Namengebung zurückgeht. In letzter Zeit wurde vor allem Zeit seine Beziehung zu dem Flußnamen Peene diskutiert. Dabei stand vor allem der Anlaut zur Debatte: sollte etwa von unterschiedlicher Germanisierung des *P- auszugehen sein? Im Fall der Finow wäre dann mit früher, vollzogenener Lautverschiebung, bei der Peene dagegen mit später und damit unterbliebener Germanisierung zu rechnen. Gelänge es, eine Differenzierung wahrscheinlich zu machen, so hätte dieses Auswirkungen für die Frage, wann die Germanisierung des brandenburgischen und vorpommerschen Raumes erfolgt sein könnte.

Die Deutung eines Namens muß – wie bekannt – auf einer ausreichend dokumentierten Auswahl der historischen Belege basieren. Im Fall unseres Namens ist die Ausbeute nicht sehr groß. Da aber sowohl bei den Orts- wie dem Flußnamen kaum Schwankungen zu beobachten sind, kann die Deutung von einer relativ sicheren Grundlage aus erfolgen. Zudem ist man sich einig, daß der Name Finow ursprünglich dem linken Zufluß der Oder zukam und daß die Ortsnamen Hohenfinow und Niederfinow davon abgeleitetet sind. Seit Beginn der Überlieferung gibt es in der Schreibung des Flußnamens und der beiden Ortsnamen östlich von Eberswalde kaum Differenzen, so daß die drei Namen gemeinsam betrachtet werden können.

Der Ortsname Hohenfinow ist nach G. Schlimpert1 wie folgt überliefert: 1258 vie Vinowe, 1334 in opidis tam superiori quam in­feriori

1 G. S c h l i m p e r t, Die Ortsnamen des Barnim, Weimar 1984, S. 135.

Vynowe, 1375 Vino alta, Vynow, Wynow, Vinow, 1314 czu Hogenwinow, 1449 (A.) zcur hoen fynow, 1450 Hoghenwino, 1450 Hogenfino, 1527 Alta Fynow, 1624 Hohen Finow, 1861Hohen-Finow. Für Nieder-Finow habe ich gefunden: 1267Vinavie inferioris, 1300 Vinow 2, 1308 Vinow 3.

An historischen Belegen für die Finow selbst, den linken Zufluß der Oder nordöstlich von Berlin, sind mir bekannt geworden: 1294 aquam … Vino 4 1300 in flu­vium Vinou5,1304 aque vinoue 6, 1315 fluuium Vinowe 7, (1415) uff die Vynaw …, uff die

Vynaw 8. Daß man von dem Flußnamen auszugehen hat, ist sehr wahrscheinlich. W. Hammers zweifelnde Vermutung (a.a.O.), ob an einen Zusammenhang mit slavisch vino „Wein“ zu denken sei, kön­nen wir mit G. Schlimpert getrost übergehen. Dieser hat sich in mehreren Beiträgen mit dem Namen beschäfigt9.

G. Schlimperts Überlegungen sind die folgen­den: da der Name aus dem Slavischen nicht erklärbar ist (ein Zusammenhang mit slav. vino „Wein“ sei – wir schon gesagt – mit Sicherheit auszuschließen) , müsse am ehesten von einer mittelnieder­deutschen Grundform *Fino(u)we ausgegangen werden, in der neben dem Grundwort o(u)we „Au, Land am Wasser“ ein Be­stimmungswort *Fin- vorliege. Dieses sei sicherlich vorslavischer, konkreter: germanischer Her­kunft, und man könne am ehesten eine Verbindung zu der indogermanischen Wurzel *pen- „Schlamm, Sumpf; Wasser, feucht“ herstellen. Hierzu gehören nach G. Schlimpert altisländisch fen „Sumpf, Morast“, altsächsisch feni „Sumpf“, mittelnie­derdeutsch venne „moorige Weide“, sowie ablautend angelsächisch fyne „Feuchtigkeit“. Schlimpert verglich weiter den Ortsnamen Vinsebeck bei Höxter, 11.Jh. Vinesbiki, den Gewässernamen Fehne bei Olden­burg i.O., 8.Jh. Finola, schließlich auch den Sumpfnamen Fiener bei Brandenburg, 1178 silva, que Vinre dicitur, 1009 Uinár, und anderes mehr.

Diese Deutung ist einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Entscheidend ist dabei, daß der Wurzelvo­kal der herangezogenen germanischen Sippe zunächst eindeutig -a- gewesen ist. Das geht nicht zuletzt aus dem – von G. Schlimpert nicht berücksichtigen, aber sehr wichtigen – Beitrag von D. Hof­mann, Zur Entwicklung von germ. *fanja „Sumpf, Moor“ im niederdeutsch-niederländisch-friesischen Nordwesten, Niederdeutsches Wort 10(1970)95-108, hervor. Zwar versuchte G. Schlim­pert, seine These mit dem Hinweis auf die angelsächsische Ablautvariante fyne zu retten, aber dessen -i- ist sicher ebenso sekundär entstanden wie in den von ihm herangezogenen Namen Vinsebeck, Finer und anderen.

2 G. S c h l i m p e r t, Internationaler Kongreß für Slawische Archäologie II,2, Berlin 1970, S. 475.
3 W. H a m m e r, Ortsnamen der Provinz Brandenburg, Teil 2 (Schulprogramm Städt. Realschule Berlin), Berlin 1895, S. 4.
4 A.F. R i e d e l, Codex diplomaticus Brandenburgensis, Reihe A, Bd. 12, S. 283; G. S c h l i m p e r t, in: Studia Onomastica, Festskrift till Th. Andersson, Stockholm 1989, S. 350.
5 G. S c h l i m p e r t, in: Internationaler Kongreß f. Slav. Archäologie II,2, S. 475.
6 A.F. R i e d e l, op.cit. Bd. 3, S. 230; G. S c h l i m p e r t, Ortsnamen Barnim, S. 135.
7 A.F. R i e d e l, op.cit., Bd. 12, S. 208; G. S c h l i m p e r t, Ortsnamen Barnim, S. 135.
8 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 6, S. 30.
9 In: Internationaler Kongreß für Slawische Archäologie II,2, Berlin 1970, S. 475f.; Die Ortsnamen des Barnim, Weimar 1984, S. 135; in: Studia Onomastica, Fs. f. Th. Andersson, S. 349f.



Das hier angesprochene germanischen Sumpfwort habe ich unlängst sehr ausführlich einschließlich einer umfassenden Kartierung behandelt10 und möchte daraus nur einige wenige Punkte herausgreifen. Ausgehend von got. fani „Schlamm“ geht man zumeist von *fanja aus, wobei aber Stammbildung und Genus wechseln innerhalb der germanischen Sprachen (auch in der historischen Entwicklung einzelner Dialekte), an der Altertümlichkeit des Appellativums kann aber kein Zweifel bestehen. Dafür sprechen sowohl Ablauterscheinungen innerhalb des Germanischen wie außergermanische Entsprechungen.

Außerhalb des Gotischen liegt es in altsächsisch fen(n)i, mittelniederdeutsch venne mit der Bedeutung „mit Gras oder Röhricht bewachsenes Sumpf-, Moorland, sumpfiges Weideland“, „sumpfiges, mooriges Land, niedriges Weideland“, vor, setzt sich in norddeutschen Mundarten fort als fenne „von Gräben umgebenes Flurstück; Koppel“, fenn „durch breite Gräben eingefriedetes Landstück in der Marsch“ fort. Das Friesische kennt es seit ältester Zeit als fen(n)e „Sumpf, Weideland“, vgl. weiter ostfriesisch fenne, fenn „niedriges Weideland mit moorigem Untergrund“, fenlond „Sumpfland“, niederländisch ven, veen „Moorkolonie, Torfgräberei“, worauf ostfriesisch fên (fân) getreten ist. Zum Niederländischen vergleiche man D.P. Blok, Ven(ne) in Holland11. Von besonderer Bedeutung sind die englischen Parallelen. Das betrifft weniger die neuenglischen appellativischen Entsprechungen fen, ven, fan, van „Fenn, Moor, Marsch“ und altenglisch fenn, fænn, als die Tatsache, daß dieser germanische Dialekt eine – schon erwähnte – ablautende Variante in altenglisch fyne „Feuchtigkeit, Morast“ zu kennen scheint. Das Nordgermanische schließlich kennt unser Wort als norwegisch fen „Moor“, neuisländisch fen „dass.“, dän. fen „Stück Marschland, das von Gräben eingeschlossen ist“, auch schon altnordisch fen.

Die erwähnte Untersuchung von D. Hofmann macht in Verbindung mit den sicheren außergermanischen Parallelen wie altpreußisch pannean „Moosbruch“, das auch toponymisch erscheint, und altindisch panka- „Schlamm, Kot, Sumpf“ sowie dem wichtigen Vergleichsnamen Pannonien mehr als deutlich, daß von einer Wurzel *pen-/*pon- auszugehen ist. Auch die mutmaßliche Verwandschaft mit althochdeutsch fûht(i), altsächsisch fûht, mittelhochdeutsch viuhte, neuhochdeutsch feucht und erneut altenglisch fûht „feucht“ macht diese Etymologie wahrscheinlich.

Auf die Verbreitung der Namen etc. gehe ich hier jetzt nicht näher ein, siehe dazu die in Anmerkung 10 genannte Untersuchung mit Karte 31 (S. 315). Nur eine Bemerkung zu den Namen mit dem Vokalismus Fien-, (Fiens-, Fienen- usw.) sei hier angeführt. Sie sind nach D. Hofmann, a.a.O. 99, nicht immer zu fenn zu stellen. Meine Überprüfung ergab aber, daß etliche norddeutsche Orts-, Flur- und Gewässernamen

10 J. U d o l p h, Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Berlin-New York 1994, S. 300-318.
11 In: Studia Frisica in memoriam Prof. Dr. K. Fokkema 1898-1967 scripta, Grins 1969, S. 44-47.



hier angeschlossen werden können, so z.B. Fienbostel, Flurname bei Klein Eicklingen; Fienen, Flurname bei Winsen/Luhe; Fienenbusch, Flurname bei Bergen, 1666 Fienenbusch; Venbosch bei Desselghem, 1570 venbosch; Fiensbrock, auch Venusbruch, Flurname bei Sülze, 1587 Fiensbrauk, 1664 Fiensbruch. Hierher gehören wahrscheinlich auch Vienenburg bei Bad Harzburg, 1306 Datum Vineburch, 1315 in Vineborch usw., sowie sicher Vienenkamp im Kr. Detmold und Vienkamp, Vienteich, 1609 in Detmold. Weiterhin können hier genannt werden 1384 in der Vininge, Höhenzug bei Wülfingen, sowie Vienenbach, Gewässername mit ON. Viningeburg bei Lüneburg. Schon früh begegnet der – bereits genannte – Name des Fiener Bruchs bei Genthin in den Quellen, 1178 in palustri silva, que Vinre dicitur; schwer zu lokalisieren ist 1180 pagus Vinne; man vergleiche weiter Vinnbusch bei Moers, 10. Jh. in Fenniloa.

Bei allen diesen Beispielen ist aber von einem sekundären -i- auszugehen. An dem Zusammenhang mit germanisch *fanja besteht zudem für die überwiegende Zahl der genannten Namen kein Zweifel.

Damit wird schon aus diesen Überlegungen heraus G. Schlimperts Annahme, der Name der Finow sei an germanisch *fanja anzuschließen, kaum zu halten sein. Es kommt aber ein weiteres Problem hinzu.

Wenn man von einem anlautenden F- auszugehen bereit ist, so hätte sich dieses nach Übernahme in slavischen Mund eigentlich (man vergleiche den Namen der Peene12) als P- erscheinen müßte. Dieses hatte G. Schlimpert selbst erkannt und an die Möglichkeit von „nichtslawisierten vorslawischen Namen“ gedacht.

Ich denke, daß diese Deutung zu viele Unsicherheiten enthält und möchte eine andere Ety­mologie vorschlagen. Geht man von einer slavischen Lautung mit anlautendem *V- aus, so steht man vor der Möglichkeit einer Übernahme als deutsch W- (im Barnim etwa in Wense, Werneuchen und Wuschewier), aber auch – und gerade bei den Gewässernamen Fängersee und Flakensee – als F-13). Von hieraus ist eine andere, und wie ich meine, bessere Deutung möglich.

Für den unschwer zu ermittelnden Ansatz *Vin-ov- besteht die Möglichkeit, einen Anschluß an die in den indo­germanischen Sprachen bestens vertretene Wurzel *wei-, *wei?­- , *wî- „drehen, biegen“ herzustellen, die mit -n-Formans im Griechischen und Slavischen (zum Beispiel in altkirchensla­visch vìn?c? „Kranz“) vorliegt. Daß von einer Wurzel *wei-, *wî-  Gewässernamen abgeleitet werden können, zeigt die Sippe um den polnischen Flußnamen Wda samt Weida und Wieda und wahrscheinlich auch der Name Wien14. Aber wir können noch weiter gehen: einen Ansatz

12 Zu diesem Namen werde ich an anderer Stelle ausführlich zurückkommen.
13 Man vergleiche diese und weitere Beispiele bei G. S c h l i m p e r t, Die Ortsnamen des Barnim, Weimar 1984, S. 357f.
14 Dazu ausführlich: J. U d o l p h, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie, Heidelberg 1990, S. 289-296.



*Wî-na verlangt auch der schweizerische Flußname Wina, 1240 in der Winnen usw., den A. Greule15 (mit anderer Ety­mologie) behandelt hat. Man braucht aber nicht bis in die ferne Schweiz zu gehen, sondern kann auch im slavischen und baltischen Gebiet bleiben und bei J. Rozwadowski16 nachlesen, daß in Osteuropa Flußnamen des Typs Wiejnica, Wienicza, Wejnie, Wiejno, Winiec und Winy gut belegt sind. Die von J. Rozwadowski dort noch diskutierte finno-ugrische Herkunft kann damit m.E. ausgeschlossen werden.

Die hier vorgeschlagene Deutung ist auch aus Gründen der Realprobe nicht unwahrschein­lich. Der Blick auf die Karte zeigt, daß Hohen- und Niederfinow westlich eines ca. 100 km2 großen alten Oderarms liegen, der noch heute durch zahlreiche Verästelungen und Verzwei­gungen auffällt. Offenbar bezog sich die Namengebung auf dieses Gewässernetz. Gegen einen Zusammenhang mit dem germanischen Sumpfwort fenn spricht auch der Charakter des Flus­ses Finow: aus der aus der Zeit vor dem Bau des Finow-Kanals stammenden sehr gründlichen Untersuchung des Flusses von T. Ph. von Hagen, Beschreibung des Finow-Kanals, Berlin 1875, geht nämlich hervor, daß dieser Fluß derjenige mit dem stärksten Gefälle in Mecklen­burg und Brandenburg war, zahlreiche Mühlen trieb und damit in eindeutigem Gegensatz zur Peene steht.

Der entscheidende Vorteil dieser Deutung liegt aber in der Aufhebung der Diskrepanz zum Anlaut im Namen der Peene, wozu ich an anderem Ort zurückzukommen werde. Die Finow wäre nach diesen Überlegungen der voreinzelsprachlichen alteuropäischen Hydronymie zuzuordnen. Germani­sche Herkunft läßt sich nicht erweisen.

15 Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein, S. 171f.
16 Studia nad nazwami wód slowianskich, Kraków 1948, S. 78f.

Jürgen Udolph: Ruhr, Rhume, Rumia, Ruthe, Ryta und Verwandtes

Vor fast 15 Jahren hatte ich bei bei dem Versuch, die gelegentlich vermutete vorindogermanische Herkunft des Namens der Ruhr einer Prüfung zu unterziehen und den Namen in einen Zusammenhang mit einer alteuropäischen Sippe um die indogermanische Wurzel *reu-/*re??-/*r?- zu stellen1, die Ansicht vertreten, daß sich neben dem in diesem Flußnamen zu vermutenden -r-Element weitere Formantien nachweisen ließen2. Die weitere Aufarbeitung der Hydronymie in West- und Osteuropa hat Material zutage gefördert, die eine Einlösung des damaligen Hinweises möglich machen.

Bei der Aufdeckung der alteuropäischen Hydronymie war Hans Krahe zu der Erkenntnis gekommen, daß die Flußnamen häufig aus einer Wurzel und unterschiedlichen Ableitungselementen zusammengefügt sind. In einem Schema hat er diese Möglichkeiten etwa wie folgt angeordnet3:

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ua

(-uo)

-ma-

(-mo)

-na

(-no)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo-)

-nta

s(i)a,-s(i)o

-sta

(-sto)

-ka

(-ko)

-ta

(-to-)

            

Ala

Alia

Ala-va

Alma

Alna

Alara

 

Alan-ta

Alsa

Ale-sta

  

Dra-va

Druja

  

Dru-na

  

Dru-antia

   

Druta

 

Es ist klar, daß dieser erste Entwurf heute zum Teil anders gefaßt werden würde und Korrekturen angebracht sind. Die Grundlagen dieses Vorschlages haben jedoch bis heute ihre Gültigkeit bewahrt.
Meine heutige Aufgabe besteht darin, dasjenige Material, das die oben genannte Wurzel *reu-/*re??-/*r?- als Ableitungsgrundlage besitzt, den Suffixen entsprechend aufzulisten und gegebenfalls zu kommentieren.

Die zugrundeliegende Wurzel hat J. Pokorny1 in der Form *reu-/*re??-/*r?- und mit einer Grundbedeutung „aufreißen, graben, aufwühlen; ausreißen“ angesetzt, wobei
seiner Ansicht nach „z.T., wie es scheint, noch volleres ereu- … [sowie eine] Partizip Perfekt Passivform rû?tó-“ begegnen. Reflexe dieser Wurzel sind mit den unterschiedlichsten Erweiterungen in zahlreichen indogermanischen Sprachen belegt; ich weise im folgenden nur auf die für die Namenforschung vielleicht besonders wichtigen hin.

An unerweiterten Bildungen sind dieses griech. dñõóß-÷èùí „die Erde aufwühlend“, lat. ruõ „aufreißen, wühlen, scharren“, lit. rãvas „Straßengraben“, aksl. ryjo, ryti „graben“, rovú „Graben“. Weiteres weniger beachtetes slavisches Material hat W. Budziszewska2 zusammengestellt.
Von den zahlreichen Erweiterungen scheinen für den Bereich der Orts- und Gewässernamen bedeutsam zu sein3:
1. Die Labialerweiterung *reub- „reißen“, vor allem in den germanischen Sprachen belegt, vergleiche gotisch raupjan, deutsch rupfen. Die stimmlose Variante *reup- ist mit ähnlichen Bedeutungsnuancen wie „ausreißen, zerreißen, brechen“ überliefert, so z.B. in lat. rumpõ „breche“, aisl. rauf f. „Spalte, Loch“ und serb. rupa „Loch, Grube“.
2. Ein Ansatz *reud-, häufig nachweisbar mit der Grundbedeutung zerreißen“, dazu gehört eine -l-Ableitung *rud-ló- „roh, wild“. Hier anzuschließen ist auch lat. rûdus „zerbröckelndes Gestein, Geröll“, von Bedeutung ist vor allem wiederum eine germanische Bezeichnung für das Wässern und Faulenlassen des Flachses, z.B. in ahd. rõzzen „faulen“, später umgebildet zu dt. rösten, Flachsröste
3. Auch die aspirierte Variante *reudh- ist vor allem in den germanischen Sprachen bekannt; es ist die weit verbreitete „roden“-Wurzel, die auch in Ortsnamen begegnet.
4. Eine Gutturalerweiterung *reuk- „rupfen“ ist vor allem mit griechischen Wörtern wichtig: es sei hingewiesen auf griech. „ñýóóù, attisch „ñýôôù „grabe, scharre“, weiter –ñõãìá „Graben“; zu beachten ist auch irisch rucht „Schwein“ (als „der Wühler“).
5. Eine weitere Bildung zeigt sich als *reus- in lit. raûsti „scharren, wühlen“.

Mit diesen wenigen Beispielen ist die Fülle der Ableitungen längst nicht erschöpft, die Liste könnte beträchtlich erweitert werden. Neue dialektale Untersuchungen fördern gelegentlich weiteres Material zutage4. Uns soll an dieser Stelle jedoch vor allem interessieren, inwieweit die verschiedenen Wurzelerweiterungen hydronymisch vertreten sind und H. Krahes System ergänzt oder korrigiert werden kann.
Unsere Sippe stand bisher etwas am Rande der Diskussion. Unter Hinweis auf H. Krahe, G. Gerullis und die Untersuchung von V.N. Toporov und O.N. Trubaèev hat W.P. Schmid knapp ausgeführt: „[eine Wurzel]*reu?                                  – [liegt vor]: in lit. FlN. Rãvas, Ruvely˜s, Rûra (= dt. Ruhr), Rûme (= dt. Rhume) mit poln. rów ,Graben’, lit. ráuti ,aufreißen’, slav. ryti ,graben’“5.

Ich möchte in meinem Beitrag versuchen, durch eine Zusammenstellung des inzwischen bekannt gewordenen Materials, gegliedert nach den verschiedenen Bildungs-
möglichkeiten, die Einbindung mancher bisher als strittig angesehener Flußnamen in die alteuropäische Hydronymie wahrscheinlicher zu machen.
1. Eine einfache Ableitung von der uns hier interessierenden Wurzel kann als *Reu?                                           a/*Ro-
u?                                           a/*Ruu?                                           a angesetzt werden und würde je nach Weiterentwicklung als Reva, Rava/Rova, Rua/Ruva bzw. deren maskuline Entsprechung zu erwarten sein. Hier ist in erster Linie appellativisches Material zu nennen, so etwa slav. rovú „Graben“, slovak. dial. riava „Bach mit einer sehr schnellen Strömung und steinigem Boden“, lit. rãvas, riãvas „Graben, Rain, Schlucht“, altpreuß. rawys „Graben“ u.a.m.6 Ganz entsprechend setzt man für das Festlandkeltische ein Appellativum *rova „Erdschlipf, Riß, Sturz“ an7.

Im Namenbereich sind sichere Entsprechungen nach meiner Kenntnis nur im Osten Europas nachzuweisen; es sind die balt. GNN. Rãvas, R˜e                             vas, Ravaî 8 und die mit der in Osteuropa nicht selten begegnenden Dehnstufe gebildeten slavischen Namen Rava, Ravy, Rawka, Rawica u.a.9. Diese Namen verlangen nach W.P. Schmid einen indogermanischen Ansatz *ro?uo-. Fern bleibt wahrscheinlich der Name Reva, den J. Treder10wohl zutreffend zu dem aus dem Dt. entlehnten Appell. Riff erklärt.
Hält man sich an das oben angesprochene Schema H. Krahes und geht zu den Suffixbildungen über, so ändert sich das Bild der Verbreitung: auch der Westen hat nun daran Anteil.

Das betrifft allerdings noch nicht die in der alteuropäischen Hydronymie nicht sehr häufig belegte Erweiterung mit einem vokalischen oder konsonantischen -i- oder -j-. Diese findet sich in unserem Fall wiederum nur im Osten und zunächst einmal auf dem Gebiet der Appellativa. Gemeint ist das kaschubische Wort kaschub. reja „Sumpf, Schlamm“, das nach inzwischen übereinstimmender Ansicht11 etymologisch mit slav. ryti, poln. ryæ usw. zu verbinden ist und in Namen seinen Niederschlag gefunden hat (z.B. in dem FlN. Reja, Nfl. d. Piaœnica und anderen12). W.P. Schmid verband dieses Wort mit dem litauischen Gewässernamen Ruuja, der polnischen Grabenbenennung Ryja und weiteren, uns noch beschäftigenden Namen13, wodurch eine Einbindung in indogermanistische Zusammenhänge zwanglos möglich ist und die immer wieder erwogene finnougrische Herkunft von litauischen GNN. wie Rujà, Rùjos und lett. Ruja, Ruj-upe, Rujas (man vergleiche etwa Vanagas, LHEŽ. 283) abgelehnt werden kann.
Dem wird man sicher zustimmen dürfen. Jedoch gehört der Fischerflurname Ryja, ein wasserloser Graben im unteren Weichselgebiet, offenbar nicht hierher. Er wird von H. Bugalska14 von dem mundartlich belegten Appellativ ryja < Rie hergeleitet, worin das deutsche Wort Riede, mua. in zahlreichen Varianten belegt als rie, rie, rît, rije, rye, ridhe, rydhe, rîge, rîe usw., zu sehen ist15. Das gilt auch für den bei B. Sychta belegten GN. *Ryjka16. Es erhebt sich die Frage, ob nicht vielleicht das kaschubische Wort rëja selbst letzten Endes aus dem Deutschen entlehnt ist. Dieses soll hier aber nicht weiter diskutiert werden; Verdachtsmomente sind vorhanden (vgl. W.P. Schmid, in: Baltistica 33,2 (1998), S. 201).

Für unsere Namenzusammenstellung von Interesse könnte dagegen ein verschwundener Flußname bei Veliuonà sein, der 1421 in der Form ad Ryiam belegt ist17. Allerdings bleibt unklar, was sich hinter dem -y- verbirgt. Sollte von -î- auszugehen sein, gehört der Name in einen anderen Zusammenhang.
Die Heranziehung von slavischen Namen ist mit Problemen verbunden. So hat I. Bily18 für den ON. Reust einen Zusammenhang mit slav. *ruj- „rote und gelbe Farbe“ vorgezogen; offenbar ist weiteres sicheres Material nicht zu gewinnen.

Während die bisherige Ausbeute weder quantitativ noch qualitativ besonders ergiebig war, gilt dieses für die nun folgenden nasalhaltigen Suffixe nicht.
Zu den in H. Krahes Tabelle folgenden -m-Bildungen gehören meines Erachtens:
1. Die Rhume, ein rechter Nfl. der Leine in Südniedersachsen, 1105 (Fälschung Mitte 12.Jh.) in aqua que ruma dicitur, 1141 (Kopie 16.Jh., verunechtet) aqua piscosa, que dicitur Ruma, 1154 de rivo qui Ruma dicitur usw., dazu der ON. Rhumspringe, Mitte 13.Jh. Saltus Rume, um 1250 (Abschrift 16.Jh.) Rumespringe, 1274 (Abschrift 16.Jh.) Rumespringe usw.19. Ein Zusammenhang mit got. rûms „geräumig“, mnd. rûm „geräumig, weit, offen, groß“ ist abzulehnen20. Vor 15 Jahren hatte ich bemängelt, daß eine Zusammenstellung der damit verwandten Namen noch ausstehe. Dem soll mit diesem Beitrag wenigstens zum Teil begegnet werden.
2. Rumia, ON. an der Weichselmündung, dt. Rahmel, heute auch FlN. Zagórska Struga, 1283 u.ö. aber Rumna21. Auch hier hat man an die oben genannten gotischen und deutschen Wörter gedacht oder aber kaschubisch rómni „gleich, eben“ herangezogen. Überzeugender ist aber wohl der Vergleich mit der Rhume und den folgenden Namen.
3. Rûmç, ein GN. in Litauen, wurde oft mit dem aus dt. Raum < rûm entlehnten poln. rum verbunden22, jedoch verwiesen schon B.-U. Kettner und D. Schmidt,
einem Vorschlag von W.P. Schmid folgend, auf Rhume und Ruhr. Zieht man noch die geographisch viel näher liegende Zagórska Struga, alt Rumna, hinzu, läßt sich der lit. GN. gut in die Sippe um die Wz. *reu-/*re??-/*r?- einordnen.

Dabei gibt es eine Differenz: während Rhume und Rûmç einen Ansatz *Rûmã fortsetzen können, verlangt Rumia eine Grundform *Rumina, an die Basis wäre  demnach ein Suffix -ina getreten. Offenbar ist dieses kein Einzelfall, sondern in Osteuropa nicht selten, wie das folgende Material zu zeigen scheint. In meinem Beitrag über die Namen Rhume und Rumia hatte ich bereits genannt:
Rumacz, Seename an der unteren Weichsel23;
Rumejka, Zufluß z. Nereœl, balt. Namen nach V.N. Toporov24;
Ruminka, FlN. in Weißrußland25.

Inzwischen ist weiteres Material bekannt geworden. Von Bedeutung ist der mit dem in Osteuropa und im Slavischen häufigen Suffix -ava gebildete slovakische FlN. Rimava, ung. Rima, den B. Varsik ausführlich behandelt und slavische Herkunft erwogen hat26, der jedoch wohl mit einer Grundform *Rymava < *Rûmava zu unserer Sippe gestellt werden kann27. Weiterhin könnte genannt werden der linke Nebenfluß der Zeta Rimàniæ, den  D. Æupiæ28mit slav. *rumìnú „rosig, rot“ verbindet. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird auch anzuschließen sein der See- und Ortsname Rymaèi bei Che³m, den E. Bilut in der bald erscheinenden 10. Lieferung der Hydronymia Europaea behandelt hat. Seine alten Belege 1455-1480 Item Rimacz, lacus, 1564 ieziora okrom Rimaczkiego, ON.: 1564 Rymacz, können als Ableitung von einem PN. interpretiert werden, jedoch ist ein Vergleich mit dem oben genannten Rumacz zu erwägen und Anschluß an unsere Gruppe nicht auszuschließen.
Zum Nachdenken regen auch drei Namen an, die V. Kiparsky29bei der Behandlung des Kurenproblems genannt hat. Es sind ein Flurname (1422? de heide bi dem busche, geheiten Rume), den er zu lett. rûme „Raum, Wohnraum; Hoflage“, einem Lehnwort aus dem Mittelniederdeutschen stellt, ein Seename 1349 eine kleine sehe, Rumecke geheiszen, den er mit dem lett. PN. Rumicke verbindet, und der ON. Rummen, 1504 Dorf Rummen, 1511 landt tho Rumen, bei dem er nur zweifelnd einen Zusammenhang mit dem lettischen Wort rûme erwägt.
Abgesehen von dem Namen der Rhume haben wir bisher nur Material aus Osteuropa anführen können. Jedoch können wir nun auch aus dem Westen Ergänzungen anführen. Ich sehe einen Zusammenhang mit folgenden Namen:
Rummecke, Zufluß z. Ruhr, daran ON. Rumbeck, 1031 Rumbeke, 138 Rumbeke, 1186 Rumbeke, der von E. Barth30 mit M. Schönfeld „zu as. rûmo ,weit, geräumig’ und as. rûm ,Raum’“ gestellt wird. Ich halte diese Deutung für verfehlt und denke eher an ein sekundäres Antreten von ndt. beke31. Das gilt meines Erachtens auch für Rumbeck, ON. bei Rinteln, 1031 Rumbeke, 1183 Rumbeke usw., der nach U. Maack32 mit dunklem ersten Wortglied Rum- oder Ruden-? gebildet ist, aber die „Ableitung von mnd. rude, Rute, oder ruden, roden, erscheint fraglich“.

Einen verwandten Namen sehe ich auch in dem FlN. Romney in Kent, der auch den Orten Old und New Romney seinen Namen gegeben hat. Die Überlieferung 895 (Kopie 13.Jh.) Rumenea, 914 Rumenesea spricht für eine Grundform Rumenëa, deren Etymologie nach E. Ekwall33 nicht klar ist. Er erwägt Zusammenhang mit einem PN., was angesichts des nicht unbedeutenden Flusses unwahrscheinlich ist. Es gibt keine Probleme, den Namen an Rhume, Rumia u.s.w. anzuschließen.
Ein besonderes Problem stellen Ortsnamen dar, die eine Ableitungsgrundlage Rum- voraussetzen. Mir sind drei bekannt geworden, deren Bildung hohes Alter verrät. Es handelt sich um eine -st-Ableitung in dem belg. ON. Rumst bei Antwerpen, 1157 Rumeste, 1162 Rumest, 1223 Rumest, 1225 Rumest34, die in M. Gysselings Wörterbuch unmittelbar vor der -ithi-Bildung Rumt < *Rumithi steht, die ich versuchsweise mit den FlN. Rhume und Rumia verbunden habe35. Ich vermag auch jetzt keine andere, bessere Lösung zu erkennen. Der dritte Name scheint Ruimel in Nordbrabant zu sein, 698-699 (Kopie 1191) in villa Rumelacha, 698-739 in Rumleos, 1050 (Fälschung, Kopie 14.Jh.) in Rumelo, offenbar ein Kompositum mit germ. -lo36.

Es scheint sich wie im baltisch-slavischen Gebiet um Ableitungen einer von der Wurzel *reu-/*re??-/*r?-  + -m- gewonnenen Basis zu handeln, die später nicht nur in Flußnamen, sondern auch in Siedlungsnamen Verwendung fand.
Die hier zusammengestellten Namen werfen vielleicht neues Licht auf einen bis heute nicht sicher erklärten, auf Rom in Italien. Die Verbindung dieses Namens mit dem der Rhume hat z.B. schon A. Carnoy erwogen37. Auch H. Bahlow, dem man sonst kaum vertrauen kann, bemerkte knapp: „Rumon hieß schon der Tiber in vorrömischer Zeit“38.
Nach H. Rix39 liegt vielleicht ein mythischer Name vor. Die vielleicht sorgfältigste (aber wie mir scheint, zu wenig beachtete) Untersuchung zu dem alten Namen des Tiber hat E. Jung vorgelegt: Les noms du Tibre et de Rome40. Er hat sich allerdings den Weg insofern selbst etwas verbaut, als sein Versuch, die Wurzel *sreu- heranzuziehen, scheitern mußte. So finden sich natürlich Versuche, an mediterranes Material anzuschließen und eine indogermanistische Deutung abzulehnen. Der Gedanke (und mehr soll es auch nicht sein), von Rumon ausgehend Rom zur Sippe um Rhume und Rumia und die idg. Wurzel *reu-/*re??-/*r?- zu stellen, hat jedenfalls nicht weniger für sich als jeder andere Versuch. Wir werden im weiteren noch sehen, daß die Einbindung in unsere Gruppe durch andere wichtige Namen durchaus gestützt werden kann.

Dazu zählen auch die -n-Bildungen, zu denen wir nun übergehen wollen. Ihnen ist ein wichtiger Beitrag von J. Santano Moreno mit dem Titel „El hidrónimo Runa“41 gewidmet. Er geht von der Wz. *er- : or- : r- aus (S. 11f.), vermengt dort aber einiges miteinander, was zunächst besser getrennt geblieben wäre. Ein Ansatz *reu- wird nicht erwähnt. Die Zitate der Beiträge von H. Bahlow und H. Jellinghaus führen – wie wir noch sehen werden – nicht sehr weit. Bahlows Material ist nicht verwertbar (s.u.). Im weiteren geht es vor allem um dt. Runse. Daran schließt sich eine Auflistung verschiedener Flußnamen und eine Zusammenstellung appellativischen Materials aus dem Frankoprovenzalischen, Occitanischen und Italienischen an, wo ein Appellativum runa, zumeist „Einschnitt, Tal, Vertiefung, Klamm“ gut bezeugt ist. Der Beitrag beschränkt sich – und hier müssen in erster Linie Ergänzungen vorgenommen werden –  auf den Westen Europas. Es gibt jedoch auch – wie wir noch sehen werden – im Osten bedeutsames Material.
Die Zuordnung von Gewässernamen zu einem Ansatz *reu-n- ist relativ einfach. Hierher gehören:
1.) Runa, FlN. bei Pamplona, alt Runia, Runa42.
2.) Rune, FlN. im Gebiet d. Palais (Frankreich), 1283 Rune, fälschlich auch belegt als Rume, nach A. Dauzat, G. Deslandes, Ch. Rostaing43 „Type obscur“44.
3.) Runio, Variante Rhunio, Fluß im Gebiet d. Evel (Frankreich), nach A. Dauzat, G. Deslandes Ch. Rostaing, a.a.O. unklar45.
Die Annahme mediterraner Herkunft kann nur dann aufrecht erhalten werden, wenn man den Osten unberücksichtigt läßt. In Anbetracht der folgenden Namen wird man das kaum tun dürfen. Man vergleiche:
4.) Runa, Quellfluß der Wolga im Kr. Ostaškov, 1483 v Runu reku, da Runoju vverchú46, der nach M. Vasmer47 nichtindogermanischer Herkunft sein soll und mit finn. Ruonajoki, Ruonakoski …, das zu finn. ruona ‘Schlamm, Moder’ gehört, zu verbinden ist. Mit Recht hat dagegen V.N. Toporov eingewendet48, daß baltisches Material und auch Namen aus dem Gebiet westlich der Weichsel dieser Annahme widersprechen. Wir werden sie gleich im einzelnen anführen. Zuvor muß allerdings darauf verwiesen werden, daß das Wörterbuch d. russ. Gewässernamen49 zwei weitere Flußnamen Runa kennt: es sind ein Nebenfluß d. Pola im Gebiet des Ilmen-Sees und ein Zufluß des Svir’ zum Ladoga-See.
Ostpreußen kennt sichere Parallelen; es ist zum einen
5.) Runa, Zufluß z. Frischen Haff, 1251 ad Runam; ad initium Rune, inter Runam, 1254 inter Runam et Seriam; fluuius Runa usw.50, ferner
6.) Runia, r. Nfl. d. Guber im Pregel-Gebiet, um 1790 Ruhne Graben, 1899 die Ruhne51. Sehr wahrscheinlich ist hier auch anzuschließen der ON. Runowo, dt. Raunau, bei Allenstein, 1347 (Abschrift 14.Jh.) villarum Runow, 1359 (Abschrift 14.Jh.) Runow, 1389 (Abschrift?) Runow usw., dessen Grundform *Rûnaw- R. Przybytek52zusammen mit Gerullis an die oben genannten preußischen Flußnamen Runa anschließt und zur Basis *run- stellt. Ähnlich hatte schon V.N. Toporov argumentiert53.
7.) Schon K. Buga54 hat den lett. Flußnamen Rau˜na mit Runa in Verbindung gebracht. Ähnlich hat Gerullis 147 argumentiert. V.N. Toporov hat sich diesem angeschlossen55.
8. Schließlich kann auch noch der FlN. Runica aus dem Warthegebiet, im S³ownik Geograficzny und auch sonst belegt als Ruhnow, Ruhnowfließ, dazu auch der SN. 1759 Runowo56, hier angeschlossen werden.

Nach diesem Blick in den Osten können wir nochmals nach Westen blicken. H. Bahlow57 hat unter Annahme einer alten Sumpfbezeichnung noch einige deutsche Ortsnamen unter einem Ansatz Run- genannt. Etliche davon sind zu streichen, da sie
nicht verifiziert werden können, so Rühne, Zufluß z. Ohm und zur Solz/Hessen. Ersterer fehlt in der Hydronymia Germaniae 4 (obwohl alle Namen aus Karten des Maßstabes 1 : 25000 aufgenommen worden sind), der zweite ist in Hessen ebenfalls nicht nachzuweisen.

Besser steht es mit Raun bei Nidda, 1187 Runo, mit dem ON. Ruhne bei Soest, 1269 Rune, Ruine (Jellinghaus 149) und weiteren, vor allem bei E. Förstemann58 und H. Jellinghaus (op.cit., S. 149) genannten Namen (z.B. Ruinen in Drente, 1298 Rune; Rönne, Hof bei Bielefeld, 1182 Rune).
Am ehesten wird man diese Namen aber als einzelsprachliche Bildungen zu dem im Deutschen noch in Spuren faßbaren Wort rune „Einschnitt,Vertiefung, Baumstumpf“ (so schon Förstemann II,2,641) stellen können. Bahlows Sumpftheorie scheitert hier ebenso wie sein Versuch (S. 404), eine entsprechende Grundlage in den englischen Namen Runewelle, Ronhale, Runhale, Ronimede, Runimede nachzuweisen. Die im Fall von Bahlow immer notwendige Prüfung ergab:
a.) „Runewelle“ bezieht sich offenbar auf den ON. Runwell in Essex, dessen alte Belege 939 Runweolla, Runewelle, 1086 Runewella, 1203 Runewell E. Ekwall59 wie folgt erklärt: „The first el[ement] is very likely OE rûn ,secret, council’ &c. The name may refer to a spring or stream at which a meeting-place was, or rather to a wishing-well“.
b.) „Ronhalle“ kann ich als Namen nicht nachweisen.
c.) Mit „Runhalle“ ist offenbar der ON. Runhall in Norfolk gemeint, 1086 Runhal, 1206 Runhal, 1254 Runhale, den E. Ekwall, op.cit., S. 396 mit dem ON. Runham (ebenfalls Norfolk) verbindet, in dem zweifellos ein PN. vorliegt. Runhall selbst kann nach Ekwall im ersten Teil ae. rûn „Rat, Beratung“ oder hruna „gefällter Baum, Baumstamm“ enthalten.
d.) Bahlows Angaben Ronimede, Runimede gehören zu dem ON. Runnymede in Surrey, 1215 pratum … Ronimede (Var. Runingmeð), 1215 (A. 1318) Runimede, 1244 Rumened, für den E. Ekwall, a.a.O. eine Bedeutung „meadow in council island“ annimmt und mit ae. Rûnîeg „council island, assembly island“ verbindet60 (Nachtrag: ergänze Raunelbach mit ON. Rhaunen bei A. Greule, Beiheft zum Gesch. Atlas der Rheinlande, S. 16).
Somit bleibt von Bahlows englischen Vergleichsnamen kaum Sicheres übrig. Unsicheres gibt es aber auch noch im Osten. Fern bleiben aus Polen zwei Namen, die eine Grundform *Runa enthalten könnten. Im Kodeks dyplomatyczna Wielkopolski, Bd. 2, S. 49, Anmerkung, wird unter dem Jahr 1291 ein Flußname Runa mit dem heutigen Fluß Bia³a in der Nähe der Rheda identifiziert, im Register desselben Bandes erscheint dieser aber offenbar als Rumia, den wir oben schon behandelt haben.
Fernzuhalten ist auch Rynia, ein linker Zufluß des Narew oder aber (nach Kuraszkiewicz-Wolff61) „mo¿e dziœ Rz¹dza?“, der in einem Beleg von 1526 als vody
‘z rzeky Rynyey erscheint62. Da jedoch der dazu gehörende ON. Rynia alt als Renia erscheint (z.B. 1488 Reny, 1517 Renya63), hat G. Schlimpert mit seinem Vorschlag, an die Wz. *rei-n- anzuknüpfen64, wahrscheinlich recht.
Schließlich bleibt auch der alt nicht belegte FlN. Rynna beiseite. J. Rieger und E. Wolnicz-Paw³owska65 bemerken nur kurz: „Tu zapewne n[azwa] koryta, por[ównaj] Wanna“. Daran hat V.Ç. Orel Kritik geübt66und eine Verbindung mit lit. rinà, lett. rîne vorgezogen.

Es ist – so hoffe ich – deutlich geworden, daß sowohl der Westen wie der Osten den Flußnamentypus Runa kennt. Damit fallen Versuche, diese Namen dem mediterranen Substrat oder eine finno-ugrischen Sprachschicht zuzuordnen. Viel einfacher ist es, Runa neben Ruma zu stellen. Die nun folgenden -r-Ableitungen stützen diese These.
Von einer Wurzel *reu- mit -r-haltigem Formans gebildete Namen sind schon recht früh erkannt worden. So hat schon H. Krahe67 hierher die Ruhr mit der Bemerkung gestellt: „Etymologisch wohl als Ableitung auf -ra … zur Wz. *reu-/*ru- ,aufreißen, graben’ zu verstehen“. Dagegen hat H. Kuhn68 im Hinblick auf die Suche nach einer Wurzel skeptisch eingewandt: „hierzu wird sich wohl meist etwas auffinden lassen“. Ich habe dazu schon an anderem Ort Stellung genommen69 und denke, daß auch der hier angestellte Versuch, weiteres Material zu der in Frage stehenden Wurzel zusammenzustellen, der Kritik begegnen kann. Im einzelnen lassen sich heute nach meiner Kenntnis zu den -r-Bildungen anführen:
1.) Der Name der schon erwähnten Ruhr, r. Nfl. d. Rheins, 796, 802, 811 rura, rurê, ruram, rure usw.70, geht auf eine Grundform *Rûra zurück71. Bei der Diskussion der Etymologie des Namens hatte D. Schmidt72 ausgeführt, daß „die Bildungsweise … zwar klar, aber keineswegs eindeutig [sei], d.h. typisch für eine Schicht der GewN., auch fehlt eine überzeugende, den Namen einer bestimmten Sprache zuweisende Etymologie“. Sie hat diese skeptische Auffassung aber wenige Zeilen später selbst korrigiert und geäußert: „Auszugehen ist … von einer r-Bildung zu einer Wz. idg. *rû-, deren Altertümlichkeit, sicher voreinzelsprach-liche Herkunft durch vergleichbare Bildungen desselben Typs belegt ist …“, weiter wird von ihr zurecht eine schwundstufige -r-Bildung erwogen, die gut indogermanisch ist.
2.) Roer/Rur, rechter Nebenfluß der Maas, Anf. 8. Jh., 847 u.ö. Rura73, mit Nebenfluß Einruhr, ca. 1075 Rure, Grundform ebenfalls *Rûra74.
3.) Ruhr (Bach), Nebenfluß der Warme (Kr. Hofgeismar)75.
4.) Rulle, Nfl. d. Semois in Belg.-Luxemburg, mit ON. 1055 usw. Rura76.
5.) Rurà, GN. in Litauen. Die von A. Vanagas77 erwogene Verbindung mit lit. rurà „Röhre“ ist schwer zu verstehen78, da dieses Wort ein polnisches Lehnwort ist, das seinerseits aus dem Deutschen stammt.

Die Einbindung in die alteuropäische Hydronymie wird dadurch erleichtert, daß nicht nur die Grundform und Ausgangsbasis Rûrã belegt werden kann, sondern auch verschiedene Ableitungen, die sich in H. Krahes System einpassen lassen. Hierher gehören
6.) Röhr, Nebenfluß der Ruhr, dessen Name entweder auf *Rurina oder *Rurºa zurückgeht79.
7.) Ein 1036 als Rurinna und 1197 in der Form Rurenna belegter Name, der sich entweder auf die Ruhr selbst oder einen ihrer Nebenflüsse bezieht80.
Sieht man von dem litauischen FlN. Rurà ab, so liegen alle bisher genannten Namen in dem Bereich, der nach H. Kuhn als „Nordwest-Block“ bezeichnet wird. Und so nimmt es nicht Wunder, daß Kuhn selbst darauf hingewiesen hat, daß Rur-Elemente fast ganz auf den Nordwestblock beschränkt seien81. In meinem ersten Versuch über diese Namen hatte ich schon vermerkt, daß diese Auffassung nicht zu halten ist. Dagegen spricht z.B. der Name der
8.) Rurzyca, dt. Röhrike, rechter Nebenfluß der unteren Oder, dessen Überlieferung wegen der bis heute nicht näher behandelten Frage der Slavisierung etwas genauer angegeben werden soll82: 1234 in fluvium Roreke, 1235 (A.) iuxta rivulum Ruri[k]la, 1235 in fluvium Roreke vulgariter appellatum, 1235 iuxta Riuulum Ruritza, 1271 vsaue in Rorekam, 1292 aquam, que Roreke vocatur, 1292 aquam que Roreke vocatur … ipsam Roreke, 1324 super fluvium Rörek, 1330 aquam, que dicitur Roreke, 1337 ad fluvium Roreke, 1338 ad flumen Roreke, 1342 super Roreken, 1354 vsque ad dictam
aquam Roreke … et ipsam Roreke, 1364 super flumen Roryken …, dicti fluminis Rorik, 1366 to dem Roreken, 1374 in Ryreke, 1394 watern, als Mentenitze vnd Roricke, 1407 an das flischende wasser, genant dy Roreke, 1407 das Flysch, das genant yst dy Roreke, 1462 tome roreken, 1499 In die Rorike lopet, 1545 yhns Röhrichtt flieszendt, 1564 die Roricke; an der Roricken gehet, 1565 an dem fliessenden Wasser, die Rörich genandt83. Heranzuziehen sind auch die Belege für den ON. Rurka, dt. Rörchen bei Chojna, dt. Königsberg (Neumark), man vergleiche 1261 Datum in Roreke, 1263 in Roreke, 1279 in curia Rorik, 1279 in curia Rorik, 1280 de curia Rorich, 1284 in Rorik, 1281 de curia Rorik, 1281 magister Roreke, 1285 Bernardus in Rorik, 1291 in Rorekem, 1296 in Rorike, 1303 in Roreke; in Roreke84.

In einer kurzen Bemerkung hatte ich an anderer Stelle85 zu dem Namen dieses rechten Zuflusses der Oder schon Stellung genom­men, der von M. Rudnicki seinerzeit ohne nähere Begründung dem Slavischen zugewiesen worden war. Inzwischen bestehen an seiner Etymologie wohl keine Zweifel mehr, wie ein Blick in die Hydronymia Europaea86 zeigt.
Probleme bereitet aber die Slavisierung des Oderzuflußnamens, sowohl die der Wurzel wie die des Suffixes. Die deutsche Varianten des Fluß- und Ortsnamens zeigen deutlich Einfluß von deutsch Rohr, Schilfrohr; gelegentlich zeigt sich aber auch dort -u- im Stammvokal, zum Beispiel 1235 iuxta Rivulum Ruritza. Auf polnischer Seite trat natürlich Angleichung an rura, rurka „Röhre“ ein, aber es fragt sich, wann dieses geschehen ist. In ältester Zeit kann dieses nicht stattgefunden haben, da das polnische Appellativum seinerseits erst aus dem Deutschen entlehnt worden sein mußte.

Die Überlieferung des Namens und seine Bildung mit einem ursprüngli­chen -k-Suffix zeigen nun, daß eine ältere, voreinzelsprachliche Grundform vorgelegen hat. Beachtet man sowohl die deutsche wie die polnische Überlieferung, so kommt man an dem Ansatz einer Grund­form *Rûrîka kaum vorbei. Dabei sind sowohl -u- wie auch -i- als Länge anzusetzen. Damit aber ergibt sich ein Problem: warum führte dann die Slavisierung nicht zu der normalen Ent­wicklung von *-û- > -y- und zur Palatalisierung des -k- im Suffix? Das heu­tige polnische Ele­ment -ica ist eindeutig jüngeren Ursprungs.
Bei früher Übernahme in slavischen Mund wäre eine Form *Ryrica zu erwarten gewesen, die dann im Deutschen vielleicht als *Reritza aufgetreten wäre. Nichts davon ist zu sehen. Es darf daher meines Erachtens zumindestens die Vermutung geäußert werden, daß die Slavisierung des Namens nicht früh – etwa zu urslavischer Zeit – erfolgt sein kann, sondern später von­statten gegangen sein dürfte. Offenbar lebte in
slavischem Mund bis zur Übernahme der deutschen Kolonisten eine Lautung *Rurika fort, die noch nicht von dem deutschen Lehnwort rura, rurka beeinflußt gewesen sein kann. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Slavisierung bleibt somit offen; späte Übernahme in das Slavische ist nicht ausgeschlossen.
9.) Weit außerhalb des Nordwestblocks liegt auch die Rauriser Ache, ein rechter Nebenfluß der Salzach im Salzburger Land, dessen Belege bei M. Straberger87 eingesehen werden können: 1122 Rurese, 1208 oder 1218 predium in Rvrese, 1231-42 Rurês, 1241 Râuris usw. Als Ausgangsform ist wohl *Rûresa anzusetzen88.

Daß offenbar wie bei Rûm- und Rûr- auch sekundäre Komposita entstanden sein können, scheint
10.) der Flußname Rurbeke, ein verschwundener Name bei Rumbeck nahe Arnsberg, 1196 Rurabeke89, zu zeigen.
Seit meinem letzten Versuch über die Namen Ruhr, Rhume und Rumia sind mir weitere Namen bekannt geworden, die hier genannt werden müssen. Zum einen ist es die
11.) Raab, ein rechter Zufluß z. Pram im Inn-Gebiet, ca. 1134 rurippe, ca. 1140 Rov                      rippe, davon abgeleitet ein ON., der älter bezeugt ist: 955 (F. um 1175, A. 15.Jh.) Rurippe, 1070-1100 di Riurippe, vor 1075 (F. Mitte 12.Jh.) Rvirippe, weiter oft Rurippe90. Nach E. Förstemann91 gehört der Name zu „ahd. hruora, mhd. ruor, Wildspur, mhd. ruore, falge, zweite Ackerung. Der zweite Teil ist dunkel“.
Der Name ist schwierig und, soweit ich sehe, bisher nicht erklärt. Ich halte es  nicht für ausgeschlossen, daß von einem Ansatz *Ruripa auszugehen ist, der mit hdt. Lautverschiebung aus *Ruriba herzuleiten ist. Er würde damit Anschluß an unsere Sippe um Ruhr, Rulle und Rurzyca gewinnen und ein Suffix *-iba voraussetzen. Dieses ist zwar selten, aber in einigen nicht unbedeutenden Namen erkennbar, man denke an Vitebsk an der Vid’ba < *Vidibã, ferner an den Vidbol, einen ca. 60 km langen Nebenfluß der Donau, der aus *Vid-ib-alos entstanden sein kann. Mit Wechsel des präsuffixalen Vokals ist hier noch die Vouge, ein Fluß im Dép. Côte-d’or (Frankreich), im Itinerarium Antonini und in der Peuteringischen Tafel als Vidubia überliefert, zu nennen92. Zu nennen ist auch ein linker Zufluß des Volchov Pit’ba oder Pid’ba.
Das bisher mit einem -r- erweiterte vorgetragene Material erforderte auf voreinzelsprachlicher Ebene die Schwundstufe *rû-. Diese findet sich auch in
12. Ruwer, ein rechter Nebenfluß der Mosel, um 370 Erubris, 633 Ruvera, 953 in Ruvera fluvio usw., der nach M. Buchmüller, W. Haubrichs und R. Spang93 und W.P.
Schmid94 zusammen mit Ruwer, SN. im Kr. Trier, 946 Ruobera, 962 Rubera, 1153 Ruvere, und dem rechten Nebenfluß der Ruwer Riveris, um 1200 Ruverisene, 1271 in … Ruverisse usw. aus einer idg. Grundform *Ru?uarã oder *Ru?uera  bzw. *Rubarã zu erklären und zu unserer Wurzel zu stellen ist. Es bleibt allerdings unklar, ob nicht wegen des frühen Belegs aus dem 4. Jahrhundert nicht eher von einem Ansatz mit Labial auszugehen ist. Hierher würde sicher gehören Roubion, ein Nebenfluß der Rhône, 886 Rubione95. Aber selbst in diesem Fall wäre letztlich eine Verbindung mit unserer Wurzel möglich, denn bei dem Ansatz *reu- ist die Labialerweiterung bereits appellativisch belegt.

Die bisher behandelten -m-, -n- und -r-Erweiterungen sind schon von verschiedener Seite in einen Zusammenhang mit Gewässernamen und der alteuropäischen Hydronymie gestellt worden. Es gibt jedoch Ableitungen, die bisher unbeachtet geblieben sind, in H. Krahes System aber angeführt sind. Dazu gehören Bildungen mit einem -l-Element.
Auf diese stieß ich bei der Untersuchung der Ortsnamen des Kreises Holzminden in Südniedersachsen. Der ON. Rühle an der Weser südlich von Bodenwerder erscheint (1155-84) (Abschrift 13. Jh.) als Personenname Johannis de Rule, weiter häufig als de Rule, in Rulen, tor Rule96, er liegt an dem Rühler-Bach, der aber keine alten Belege aufweist: 1803 Rühle … am Rühlerbache97. Die Grundform muß über die Form Rule gefunden und ein umlauterzeugender Vokal angesetzt werden. Nach R. Möller98 ist die „Deutung schwierig. Der Ort liegt langgestreckt am östlichen Ufer der Weser in einem kleinen engen Flußtal mit rechts in die Weser einmündenden Bach und steil ansteigenden Erhebungen“. Weiter erwägt Möller, von einem Gewässernamen auszugehen, vergleicht die Flurnamen Röwel, im Räuel für feuchte Wiesen im Kr. Rotenburg (Wümme), sowie den ON. Rühle, Kr. Meppen, 1280 Rule, der auf einer Geestzunge westlich der Ems liegt. Seiner Ansicht nach ist über eine Ablautreihe iu (< eu) – au – u eine Verbindung zu idg. *reus- „Steinhaufen“ usw. mit -l-Suffix denkbar oder an schwedisch dial. rul „Wulst“ anzuknüpfen99. Möller nennt auch den ON. Rulle bei Osnabrück, 1200 Rulle, der hier anzuschließen wäre.

Diese Vorschläge überzeugen kaum. Offensichtlich ist von dem Flußnamen auszugehen, der einen Ansatz *Rûlia voraussetzt. Die Frage, ob das -l- zur Wurzel gehört oder als suffixales Element anzusehen ist, läßt sich mit dem Hinweis auf die bisher behandelten Namen Ruhr, Rhume usw. und auf noch zu nennende Beispiele dahingehend beantworten, daß weit eher von einem Suffix zu der Wurzel *reu- auszugehen ist. Die Lage von Rühle in einem tief eingekerbten Tal des Sollings spricht auch
semantisch für einen Zusammenhang mit der genannten Wurzel. Zudem werden „alle Ortsteile … durch Bäche, die ihre Quellen im oder am Vogler sowie am Rande des Breitensteins haben, mit Wasser versorgt. Sei münden gemeinsam in die Weser“100.

Der ON. wird Verwandte besitzen in:
Rühle, ON. auf einer Geestzunge westlich der Ems bei Meppen, 1280 Rule101, vielleicht ein alter Teilabschnittsname der Ems.
Rulle, ON. bei Osnabrück, 1200 Rulle102, der nach E. Förstemann103 von dem an dem Ort vorbeifließenden Ruller Fleet seinen Namen erhalten hat, vergleicht damit nicht das nahe liegende dt. Verbum rollen (das Lehnwort ist), sondern die von mir schon genannten Flußnamen Ruhr und Rulle, alt Rura. Er bemerkt weiter: „Vielleicht gaben verpflanzte Wallonen dem Ruller fleet seinen Namen. Ruhla in Thüringen ist slavisch: rvula Grabestätte“104.

Daß Wallonen für den ON. verantwortlich seien, ist mehr als unwahrscheinlich, denn dann müßten diese auch für Rühle und noch folgende Namen verantwortlich sein. Wichtig aber ist Förstemanns Hinweis auf den thüringischen Orts- und Flußnamen Ruhla, heute Erbstrom, 1409 yn der Rula, 1584 Die Ruhla, 1587 wasser die Ruhla genannt, der ON. erscheint 1378 als Rula, villa Rula105, ein Name, der nicht slavischer Herkunft ist. H. Walther106 sieht in ihm  „vielleicht *Rudlaha, vgl. bair. rodeln, rudeln ‘rütteln, schütteln, rollen, kugeln’ oder mnd. rollen, rullen ‘rollen’ bzw. ahd. *rollôn ‘sich ungestüm bewegen’“. Ich denke, daß Ruhla nicht von Rühle und Rulle und auch nicht von Ruhr und Rhume zu trennen ist, und mit -l-Suffix zu unserer Sippe zu stellen ist.
Hinzu kommt, daß auch außerhalb des deutschen Sprachgebietes Parallelen nachgewiesen werden können. Man vergleiche:
1.) Ryla, ein rechter Nebenfluß d. Sem’ im Desna-Gebiet, dort auch der davon abgeleitete ON. Ryl’sk, in dem nach S. Rospond107, I. Duridanov108 und anderen eine -l-Bildung (Partizip) zu slavisch ryti zu sehen ist. Die slavische Deutung ist nicht so sicher, wie vielfach angenommen wird. Zum einen sind -l-Bildungen in der alten slavischen Hydronymie außerordentlich selten109, zum anderen befindet sich das Gewässer weitab vom alten slavischen Siedlungsgebiet, in dem allenfalls partizipiale
l-Bildungen begegnen110. Es dürfte nicht unbedingt verfehlt sein, in Ryla eine Vorform *Rûlã zu sehen, die mit den deutschen Flußnamen verglichen werden kann.
2.) Ganz ähnlich wird es sich mit Rila in Bulgarien verhalten. Dieser Fluß- und Gebirgsname (bulg. Rilska reka, Rila planina) ist in letzter Zeit fast immer aus dem Slavischen und wie oben bei Ryla, Rylsk behandelt erklärt worden111. Es gab jedoch auch eine andere Meinung, die A. Salambaschev112 referiert hat. D. Deèev113 und S. Mladenov114 führten Rila auf Ryla zurück und stellten sie mit -l-Suffix zu der idg. Wurzel *(s)rû-, *(s)reu-, *(s)rou-, Erweiterung der Wurzel *ser- „fließen“. Ausführlich hat sich zuletzt G. Schramm115 mit dem Namen befaßt. Seine „thrakische Alternative“ ist bei W.P. Schmid116 auf Kritik gestoßen.
Bisher ist bei der Frage der Herkunft dieses Namens nur gelegentlich auf den Flußnamen aus dem Desna-Gebiet eingegangen worden; die deutschen Namen Rühle, Rulle und Ruhla wurden überhaupt nicht herangezogen. Ich denke aber, daß der Zusammenhang – auch im Kontext mit den schon behandelten -r-, -m- und -n-Ableitungen – mit unserer Wurzel *reu-/*re??-/*r?- kaum zu bestreiten ist. Daß es auch semantisch keine Probleme gibt, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die geographischen Verhältnisse am Fluß Rilska reka.

Man kann noch weitere Namen aus dem slavischen Siedlungsgebiet anschließen, so etwa Ryla, Flußarm der Weichsel bei Fordon, dessen Name aber von dt. Rille beeinflußt sein kann117, weiter Rylska, Zufluß zur  Rawka, dort auch ON. Rylsk, der FlN. erscheint 1564-70 zweimal als Rylska118, schließlich vielleicht auch Rulów, 9 km langer Fluß im San-Gebiet, allerdings begegnen auch Belege mit -o- als Rolow, Rolów119; somit bleiben Unsicherheiten bestehen.
Es ist – so hoffe ich – deutlich geworden, daß -l-Ableitungen zu unserer Wurzel gleichberechtigt neben -m-, -n- und -r-Suffixen stehen. Daß dabei vor allem der Osten und das deutsche Sprachgebiet Anteil haben, deckt sich gut mit bisherigen Erkenntnissen. Neben den hier genannten Ableitungen ist noch ein baltischer Name zu notieren: es ist der lit. Flußname Rûvely˜s, den A. Vanagas120 nicht recht einordnen konnte und den W.P. Schmid121 hierher gestellt hat.
In H. Krahes Aufstellung folgt auf die -l-Ableitungen das in der alteuropäischen Hydronymie häufige -nt-Formans, das jedoch vor allem im ehemals festlandkeltischen Sprachgebiet, vor allem in Süddeutschland, in Frankreich und auf der Iberischen Halbinsel, verbreitet ist.
Eine -nt-Ableitung zu der Wurzel *reu-/*re??-/*r?- müßte den Formen Avant(i)a, Durance/Drwêca, Šlavantas entsprechend etwa *Revantia, *Ravantia, *Rovantia, *Ruvantia, *Rúvontia u.ä. lauten. Geht man damit auf der Suche nach mutmaßlich verwandten Namen, so stößt man auf slavischem Gebiet auf einen Typus, der bisher ganz anders interpretiert worden ist: gemeint ist die Sippe um Reut, Revuca. Seit V. Šmilauer122 und vor allem M. Vasmer123 wird darin ein partizipialer Ansatz *Revo,t- gesehen, „da russ. v vor u lautgesetzlich schwinden kann. Dann ist er zu vergleichen mit abulg. revìti ‘brüllen’“124. Diese Meinung fand Zustimmung bei H. Krahe125, E. Dickenmann126, O.N. Trubaèev127 und anderen. Hier angeschlossen werden auch Namen wie Revun128. Im Fall des slovakischen Flußnamens Revúca scheint die deutsche Variante Rauschenbach, 1558 Rausenbach129, für die allgemein vertretene Ansicht zu sprechen.
Es ist sicher verwegen, Argumente gegen diese weit verbreitete Ansicht vorzubringen. Vom Lautlichen her ist aber die Möglichkeit, ostslavische Flußnamen wie Reut, Reutinka, Reuticha, Revuèa, Revuèij zu der Wurzel *reu- zu stellen, nicht auszuschließen. Dieses bliebe aber ganz unsicher, wenn sich nicht noch ein weiteres Argument gewinnen ließe: ich habe erhebliche Zweifel daran, Gewässer aus dem Einzugsbereich des oberen Dnjepr und im Oka-Gebiet als „brüllende, rauschende“ Flüsse zu interpretieren. Eine Verbindung mit einer Partizipialbildung zu „aufreißen, vertiefen, aushöhlen“ überzeugt mich persönlich sehr viel mehr.

Eine Entscheidung für oder wider die eine oder andere Etymologie soll hier nicht gefällt werden. Außer dem hier angesprochenen Typus Reut, Revuca habe ich keine -nt-Bildungen zu unserer Wurzel nachweisen können.
Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn man sich den -s-Bildungen zuwendet. In einer knappen Bemerkung hat W.P. Schmid bei der Untersuchung von keltisch-baltischen Namen-Entsprechungen Ruhr, Ruhme, Ruwer und andere mit dem baltischen Namen Rusa verglichen und zu der idg. Wurzel *reu- gestellt130. Jedoch scheint auch der Westen den Typus zu kennen. Ihm hat A. Greule unter dem Titel Riusiava, Riß und Reuß in den Blättern für oberdeutsche Namen-
forschung131 einen kleinen Beitrag gewidmet, in dem Gedanken weiterentwickelt wurden, die derselbe Autor in seinem Buch über die vor- und frühgermanischen Flußnamen am Ober­rhein, Heidelberg 1973, geäußert hatte. Zu nennen sind:
1.) Ein Ansatz *Rûsi/*Rûsjõ  in dem Flußnamen Reuß in der Schweiz, vor 840 Rusa, 840 Riusa usw132. Da eine Länge im Wurzel-Vokal vorliegt, ist nach A. Greule ein Anschluß an schwed. rûsa „daherstürmen, eilen“ möglich, einer Weiterentwicklung zu idg. *reu-s-, deren Schwundstufe außer in den germansichen Wörtern nur kurzes -u- zeigt (so in altind. ruºáti „ist unwirsch“, russ. ruch „Unruhe, Bewegung“ < vorslav. *rusi-). A. Greule schließt: „Es ist in Anbetracht des vorgerm. *Rusiava zu überlegen, ob nicht auch die Reuß in der Form von Rusia ursprünglich einen vorgerm. Namen hatte, dessen -u- unter dem Einfluß von alt-alemannischen Wörtern wie rûschen, brûsen usw. gedehnt wurde“133. In Greules Beitrag spielt eine wichtige Rolle auch ein Nebenfluß der Donau, die
2.) Riß < *Rusiava, 1293 Riussaiam, 1295 Russagie, Riussaigie, Russaigie, 1531 Riss134, in der als zweites Kompositionsglied -ouwa oder -au vorliegt, während im ersten Teil des Namens eine Grundform *Rusja (mit Kürze in der Wurzel-Silbe) vermutet werden darf. Die älteste Form des Namens ist auch in dem bereits bei Ptolemäus (Geographia 2,11) als FÑéïõóéáïýá überlieferten ON. verborgen. A. Greule erwägt daher neben dem Ansatz *Rusiava eine (für den ON. gültige?) Nebenform *Rusiavia135. Die weitere etymologische Beurteilung ist nach A. Greule schwierig, man könne ihn nur schwer vom Namen der (oben genannten) Reuß in der Schweiz (vor 840 Rusa, 840 Riusa usw.) trennen.

Meines Wissens sind damit die Belege Westeuropas bereits erschöpft. A. Greule hat auch keine weiteren Parallelen genannt. In einer kurzen Mitteilung hatte ich selbst L. Reichardt osteuropäisches Material namhaft machen können136, das im folgenden ergänzt und ausführlicher behandelt werden soll. Es sind heranzuziehen:
1.) Ros’, rechter Zufluß z. Dnjepr, altruss. Rúsú, nach M. Vasmer137 „wohl verwandt mit rúslo. Vgl. auch Órša, lit. Rùsnç ,Arm des Memels’, rusç´ti ,langsam fließen’“138. Als Grundform ist wohl – wie der altrussische Beleg zeigt – *Rus-os anzusetzen. Hierzu stelle ich auch (gegen Vasmer)
2.) Rus’, auch Russa, Fluß bei Staraja Russa (schon 1167 erwähnt; 1264 Rusa), mit dem Landschaftsnamen Porus’e und Fluß Porus’a (ein Nebenfluß des Polist’), nach M. Vasmer139
„wohl etymologisch identisch mit Rus´“, er sieht in diesem Namen somit einen Hinweis auf Wikingerspuren. Ich bin weit davon entfernt, diese Spuren nicht zu akzeptieren, glaube aber nicht, daß sie in Namen größerer Gewässer aufzufinden sind. Daher kann ich auch M. Vasmer nicht folgen, wenn er140
3.) den Namen des bedeutenden Flusses Rusa, ein Zufluß d. Sem’, im Gouv. Kursk mit den Wikingern in Verbindung bringt. Eine Bemerkung Vasmers selbst läßt Zweifel daran aufkommen. Bei der Diskussion des Namens Nerusa sagt er141: „Gehört zum FlN Rusa (G. Èernigov) und ruslo ,Strömung’“. Damit wird eine Verbindung mit dem Namen Rus’ unmöglich. Diese Zweifel verstärken sich, wenn man weiterhin berücksichtigt:
4.) Rusa, FlN. in der Gegend von Režica, Gouv. Vitebsk, 1599 po Rus¹142. Ferner ist wichtig der Ansatz
5.) *Rusºã  in den Gewässernamen Orša, mehrfach in Rußland, darunter ein linker Nebenfluß der Wolga im Gouv. Tver’143. M. Vasmers Meinung144, es seien „jedenfalls echt-slav[ische]“ Bildungen, kann man schwerlich teilen. Allein die lautliche Entwicklung zeigt deutlich ostslavischen Einfluß; die Etymologie ist davon nicht berührt. Man vergleiche den schon genannten Donauzufluß Riß < *Rusiava, in dem ebenfalls eine Grundform *Rusja vermutet wird.
Problematisch in ihrer Zugehörigkeit sind zugegebenermaßen Siedlungsnamen wie Rusa, Russa, z.B. in den Gouv. Pskov und Petersburg. Diese wird man kaum von der Völkerbezeichnung Rus’ trennen dürfen. Bei Gewässernamen sehe ich dagegen größere Probleme, zudem auch baltisches Material heranzuziehen ist.

Allerdings taucht in diesem Sprachbereich ein neues Problem auf: Namen mit kurzem Wurzel-Vokal werden eher zu lit. rusçti, rusnóti „langsam fließen; ruhig, gemächlich dahinfließen, rieseln“ gehören, wozu auch von einigen Forschern russ. ruslo „Strömung, Strombett“ gestellt wird; bei Länge wird die Sippe um lit. rûsy˜s „Grube“ usw. vorzuziehen sein. Ob man etymologisch eine Verbindung beider vornehmen sollte, bleibt unklar. An Namen lassen sich anführen:
1. ) †*Russa, Fluß bei Braniewo, 1284 Russa, den Gerullis 147 noch zu lit. rusç´                             ti, rusnóti „langsam fließen“ stellte, I. Duridanov145 mit thrakischem Ortsnamenmaterial verband (s.u.), und schließlich W.P. Schmid146 als -s-Erweiterung zu unserer Wurzel *reu?                                           – auffaßte. Hier angeschlossen werden kann vielleicht auch
2.) Russe, ein 1350 erwähnter Sumpf in Galindien147.
3.) †*Rusele, 1304 erwähnter Bach bei Drewsdorf nahe Braunsberg, den G. Gerullis 146 in einem Zusammenhang mit Rauschen bei Fischhausen, 1258 Ruse-moter, 1458 Rawschen, Rawssche nennt und zu lit. rûsy˜                                 s, lett. rûsa „Grube“ stellt. Ihm ist I. Duridanov148gefolgt. Wegen der unsicheren Quantität des -u- ist M. Biolik149 bei de Beurteilung etwas zurückhaltender.
4.) Recht sicher hinzuzuziehen ist der lit. FlN. Ruvesy˜                                 s150. Schließlich können noch genannt werden
5.) Rusow, 1331/35 erwähnter Fluß an der preuß.-masow. Grenze, Suff. -õv- oder -av-151.
6.) Rùsnç,  rechter Arm der Memel, 1540 dy Roesse; alte Rùsse152.

Ein Zusamenhang darf schließlich vielleicht auch angenommen werden mit dem ON. dak. Rusidava, am Olt (Tab. Peut.), dem thrak. Fñïýóéïí  sowie dem dakischen Siedlungsnamen *Ñõóéïí, die I. Duridanov, Thrak.-dakische Studien 60 mit zahlreichen der oben genannten balt. Namen verbunden hat. Er bemerkt allerdings dazu: „Da bei [diesen] Namen nicht klarsteht, ob das -u- kurz oder lang ist, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, zu welcher von den genannten Wortsippen sie gehören“.
Eher slavischen Ursprungs können Rusava und Rusawa sein. Der erste ist ein Nebenfluß des Dnjestr, 1459 nadú rekoju Rusavoju, v Rusavu153, der zweite ein linker Nebenfluß des San, heute Ró¿owy Potok, 1369 (A. 1532) Russzava154, man beachte russ. rúsyj „dunkelblond, hellbraun“; gerade -ava tritt gern an Farbbezeichnungen an.
Die zuletzt angeführten etwas fraglichen Namen können jedoch den Eindruck verdrängen, daß -s-Ableitungen zu der idg. Wurzel *reu- belegt werden und neben *Ruma, *Rura, *Runa, *Rula gestellt werden können.
In H. Krahes Liste folgen -st-Bildungen. Diese sind in der alteuropäischen Hydronymie nicht so häufig wie andere Formantien anzutreffen und sind vor allem im slavischen und baltischen Bereich zu Haus155. Ableitungen von unserer Wurzel müßten etwa *Revasta, *Revista, *Revosta, *Ravasta, *Revasta o.ä. lauten. Trotz intensiver Suche ist es mir nicht geglückt, einen sicheren Vertreter zu entdecken. Diese Spalte in H. Krahes Schema bleibt somit vorerst leer.
Gleiches gilt für das -k-Suffix. Auch in diesem Fall blieb die Suche nach sicheren Fällen ohne Erfolg.

Ein etwas anderes Bild läßt sich unter Umständen bei der stimmhaften Variante des Gutturalsuffixes, bei den Bildungen mit -g-, gewinnen. In H. Krahes Schema taucht dieses Formans nicht auf, was vor allem daran liegen mag, daß es eher im Osten Europas verbreitet ist. Es hat aber den Anschein, als könne man ein Rekonstrukt *Ru-g-a einschließlich einiger Erweiterungen aus den Gewässernamen gewinnen.
Hierher kann gehören
1.) ein Ansatz *Rugia, den G.R. Solta in der Rezension einer Untersuchung von A. Schmid156 anläßlich des Flußnamens Rasilz als romanisches Appellativum *rugia „Wasserlauf“ diskutiert. Dabei wird darauf verwiesen, daß das Rätoromanische dieses in der Toponomastik kenne, nicht aber als Appellativum, das seinerseits in der Bedeutung „Wassergraben, Kanal“ auch im Katalanischen, in den Zentral- und Ostalpen und in Dalmatien belegt werden könne. Solta fährt fort: „Ob wir es mit einem idg. oder nicht-idg. Element zu tun haben, ist schwer zu sagen. Hubschmid … meint, daß es kaum gallisch sein könne. M.E. kommen wir in vorkeltische Schichten“157. Ich denke, daß eine Entscheidung in dieser schwierigen Frage erst dann gefällt werden kann, wenn das in diesem Beitrag zusammengestellte Material, das nachhaltig für den Ansatz einer idg. Wurzel *reu- und deren Nachweis in der Hydronymie spricht, berücksichtigt wird. Ein Appellativum *rugia „Wasserlauf“ paßt jedenfalls bestens in den hier gesteckten Rahmen.

Es gibt jedoch noch weitere Hinweise auf das Vorkommen eines Konstrukts *Rug(i)a in der Hydronymie. So ist für O.N. Trubaèev158der FlN. Ruga im Pripjet’-Gebiet unklar. Sein benachbarter Verwandter Ružanica159 zeigt, daß von einem bedeutenderen Gewässer auszugehen ist und führt zugleich zu der Frage, ob hier nicht auch litauische FlNN. wie Rùg-upis, Rugìne und andere160 angeschlossen werden können. Und schließlich bleibt man bei diesem Ansatz fast automatisch bei dem Namen der Insel Rügen hängen, den zuletzt D. Berger161 behandelt hat. Ich bin weit davon entfernt, diesen Namen hier sofort anzuschließen (wie wäre z.B. der Inselname mit einer Wurzel zu verbinden, die letztlich auf „vertiefen, aufreißen, aushöhlen“ weist?), aber rein lautlich gibt es offenbar keine Probleme bei diesem Vergleich. Diese knappen Bemerkungen sollten auch nur als erster Hinweis auf die Möglichkeit einer -g-Ableitung zu unserer Wurzel verstanden werden. Der Flußname aus dem Pripjet’-Gebiet und das Alpenwort *rugia sind allerdings Punkte, die man zukünftig berücksichtigen sollte.
Damit komme ich zum letzten Formans der Kraheschen Auflistung, dem Suffix -t-. In Kürze hatte ich bei meinem ersten Versuch über diese Namen162 bemerkt, daß dieses Suffix neben Rhume und Rumia treten könne und auf den FlN. Ryta im Gebiet des Westlichen Bug verwiesen. Inzwischen steht die 10. Lieferung der Hydronymia Europaea
von E. Bilut vor dem Erscheinen, in der der FlN. Ryta als linker Nebenfluß des Muchavec mit den Belegen 1566 Za rekoju Ritoju; po stavú i reku Rituju usw. erscheint und wo bereits die Möglichkeit angedeutet wird, daß der Name in das Netz der alteuropäischen Hydronymie eingefügt werden kann. Noch nicht erwähnt wird bei E. Bilut, daß auch das deutsche Sprachgebiet Namen kennt, die hier angeschlossen werden können. Es sind:
1.) Ruthe, Nebenfluß der Lenne bei Eschershausen (Kreis Holzminden), 1745/46 Die Ruthe163.
2.) Rute, rechter Zufluß der Weser, 1410 vp dusse sijden … der ruten164.
3.) Rutherbach, rechter Nebenfluß der Ruhr mit ON. Ruthermühle, Ruthenhof, FlN. 14. Jh. … der Ruten, iuxta Rùte. D. Schmidt 95f. vergleicht diesen Namen mit den beiden obigen und vermerkt weiter: „Da alle diese Gew. auf ndt. Gebiet fließen und auch in mnd. Zeit belegt sind, ist für den Stammauslaut von ndt. = germ. -t auszugehen, eine ursprüngliche Länge -û- des Wz.-Vokals ist zwar wahrscheinlich, aufgrund der Belege jedoch nicht mit Sicherheit nachzuweisen … Ohne weiteres, eindeutiger überliefertes Vergleichsmaterial sind zu diesen, bisher nur in ndt. Raum nachgewiesenen N. keine näheren Aussagen zu Bildung, Herkunft und Alter zu machen“. Wir hatten schon gesehen, daß mit der Ryta eine weitere Parallele weit außerhalb des niederdeutschen Sprachgebiets gewonnen werden kann. Man sollte aber aus Niedersachsen auch noch berücksichtigen:
4.) Ruthe, Ort bei Hildesheim „in der durch den Zusammenfluß von Innerste und Leine gebildeten Flußgabel; um 900 Rothun, 1193 (de) Ruthen, 13. Jahrhundert Rutha“, nach D. Rosenthal165, von dem auch die Belege stammen, „wohl zu mnd. rûde, rûte ,viereckige Fläche’“. Das überzeugt nicht; ein Vergleich mit den schon genannten Namen aus dem Weser-Gebiet bietet sich m.E. eher an.

Hinzu kommen noch weitere, interessante Parallelen. Eine ist in England zu finden. Bei der Diskussion des Flußnamens Roden in Shropshire, der im 4. Jahrhundert als Rutunio überliefert ist, schlägt E. Ekwall166 eine Ableitung von einem Ansatz *Rutunã  vor, der mit unserer Wurzel *reu- zu verbinden sei. Diese Deutung ist für einen Flußnamen sicher recht fundiert. Damit würden wir einen weiteren, sicher alteuropäischen Namen finden.
Wir können uns aber nochmals dem Osten zuwenden. In einer ukrainischen Untersuchung findet sich die beste und umfassendste Zusammenstellung der zu einem Ansatz Rut- zu stellenden Namen. Es handelt sich um die Untersuchung von I.M. Železnjak über die Rus’ und ethnolinguistische Prozesse westlich des mittleren Dnjepr167. In ihr werden (S. 114ff.) nacheinander angeführt:
1.) Protoka, Nebenfluß d. Ros’, seit ältester Überlieferung aber nur bezeugt als Ruta, Rutú u.ä.;
2.) Ruta, Gewässername bei Luck (Ukraine);
3.) Rutec, Ruta, Gewässernamen im Dnjepr-Gebiet;
4.) Rutupis u.a., Gewässernamen aus Litauen168;
5.) Rutovi, Rut, Ruta, Gewässernamen in Slovenien und Serbien;
6.) Roden in England (s.o.),
7.) Richborough in England, alt Rutupiae u.ä.169;
8) Roya in Ligurien, alt Rutuba
und anderes mehr. Genannt werden auch die bei D. Schmidt erwähnten und oben behandelten Namen Rut(h)e.

Dieser ukrainische Beitrag zeigt recht deutlich, wie weitgespannt das Netz der alten Hydronymie gespannt ist und daß für eine einzelsprachliche Erklärung kaum Raum ist. Hier können auch die von I.M. Železnjak nicht erwähnten Namen, so auch Ryta, angeschlossen werden. Weiterhin ist deutlich geworden, daß es kaum Zweifel daran geben kann, die hier zusammengestellten Flußnamen als -t-Ableitungen unserer Wurzel aufzufassen und damit neben Rhume, Rumia, Runa, Ruhr, Rurzyca, Rühle, Rila, Reuß, Riß, Ros’ und Ruga zu stellen. Greift man H. Krahes Schema auf und wendet es auf die hier behandelte Wurzel an, so ergibt sich etwa folgendes Bild:

Ableitungen zu der Wz. *reu-/*re-/*r

-a

(-o-)

-ia

(-io-)

-ma-

(-mo-)

-na

(-no-)

-ra

(-ro-)

-la

(-lo-)

-nta

-s(i)a,

-s(i)o-

-g(i)a

-ta,

-to-

          

rovú, rãvas,

riava

reja(?)

 

runa (medi-terran?)

    

*rugia

(roman.)

 

Rawa,

Rãvas

 

Ruja, Rujas

Rhume, Rumia

Runa, Rauna,

Ruhr, Roer, Rulle, Rurzy-ca u.a.

Rühle, Rulle, Ryla, Rila

Reut, Revu-

ca (?)

Reuß, Riß, Ros’, Rusa u.a.

Ruga,

Rügen (?)

Rut(h)e, Ryta, Rutú u.a.

 

Vergleicht man dieses mit dem eingangs vorgelegten Schema von H. Krahe, so zeigt sich meines Erachtens, daß es kaum einen Zweifel daran geben kann, daß H. Krahes System der alteuropäischen Hydronymie auch bei der hier diskutierten Wurzel allen Zweifeln zum Trotz Bestand hat. Erklärungsmöglichkeiten aus einem  meditarranen oder finno-ugrischen Substrat können gegenüber dem hier vorgestellten Matieral kaum überzeugen.
Dieser Beitrag hat aber auch zu zeigen versucht, wie wichtig die Berücksichtigung osteuropäischen Materials für Westeuropa ist; allerdings gilt auch die Umkehrung dieses Satzes.

Die Rattenfängersage aus namenkundlicher Sicht

[in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 69(1997)125-183]

Einleitung. Namenkundlicher Aspekt

Es gibt nicht wenige Stimmen, die sich in letzter Zeit dafür ausgesprochen haben, daß die wis-senschaftliche Untersuchung des historischen Kerns der bekannten Sage vom Rattenfänger von Hameln kaum noch neue Argumente wird bieten können. In diesem Sinne heißt es etwa bei W. Mieder: „Vor allem die Arbeiten von W. Krogmann (1934), Wolfgang Wann (1949), Heinrich Spanuth (1951) und Hans Dobbertin (1970) haben eine detaillierte Geschichte der Sage ausgearbeitet, so daß die historische Erforschung als abgeschlossen erklärt werden kann“ . Es muß daher Verwunderung auslösen, wenn ich nochmals versuche, zu der Sage ei-nen Beitrag zu liefern. Ich wage es, weil es eine wissenschaftliche Disziplin gibt, die in der bisherigen Diskussion oft herangezogen worden ist und die durchaus zu einer gewissen Klä-rung des zugrundeliegenden historischen Ereignisses beitragen kann, die aber eine strenge Methodik verlangt, die von fast keinem der bisherigen Interpreten der Sage beherrscht wurde: das Feld der Namen und ihrer Erforschung. Das mag zum Teil darin begründet sein, daß man als Historiker geneigt ist, dieses Gebiet als „Hilfswissenschaft“ zu bezeichnen. Man kann aber nicht umhin festzuhalten, daß die Namen Aussagemöglichkeiten gerade dann bieten, wenn historische Quellen fehlen; und das sollte man nutzen.
Ich werde im folgenden daher keineswegs zum Sagenstoff selbst beitragen oder beitragen können, sondern nur zu einem Teilbereich, der allerdings dann wiederum seine Bedeutung für den Kern der Sage gewinnt: gemeint ist die schon lange diskutierte Frage, wohin die Aussied-ler aus dem Hamelner Raum gezogen sein könnten, vorausgesetzt, die Ostkolonisationstheorie liegt der Erzählung wirklich zugrunde. 
Mein Beitrag wird sich im wesentlichen auf die Diskussion bisheriger Vorschläge beschrän-ken, dabei aber zeigen können, wie leichtfertig und oberflächlich man doch gelegentlich mit dem Namenmaterial umgegangen ist, zumeist wenn es darum ging, die Richtigkeit einer The-se zu beweisen.
Namenforschung und bishere Thesen zum Kern der Sage
Am Anfang meines Beitrages soll ein knapper Überblick über die Geschichte der Forschung stehen, wobei natürlich besonderer Wert auf die Berücksichtigung namenkundlicher Argu-mente gelegt wird. Eine – wie mir scheint – nüchterne und auf die wesentlichen Punkte be-schränkte Zusammenstellung des Sagengerüstes haben R. Frenzel und M. Rumpf geboten . Allerdings haben sie – darauf wird noch zurückkommen sein – diese Nüchternheit bei ihrer eigenen Interpretation gegen Ende ihres Beitrages aufgegeben und sind bei dem Griff nach einem Namen (Coppenbrügge) einem Irrtum verfallen. Erstaunt war ich, daß W. Krogmann in seiner Studie  die Namen kaum berücksichtigte; sie spielen auch in der wichtigen Sammlung von H. Dobbertin  keine Rolle (zu anderen Arbeiten des Herausgebers werden wir noch kommen).
Nüchterne Beobachter der vielfältigen Diskussion haben schon bald aus den unterschiedlichen Interpretationen gefolgert, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ostkolonisation hinter der Sage zu vermuten ist. Die Nichtberücksichtigung dieser These erzeugte sogar Erstaunen au-ßerhalb von Europa: „Sonderbarerweise hat ein wirklich wichtiges politisches Ereignis des mittelalterlichen Europa bei den früheren Forschern, die dem Rattenfänger auf der Spur wa-ren, nur flüchtige Beachtung gefunden: das Phänomen der Massenauswanderung nach dem Osten, der ständige Strom deutscher Kolonisten …“ . Nicht nur H. Dobbertin, dessen Thesen uns – wie gesagt – noch beschäftigen werden, hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Auch aus anderer Richtung fand dieses Zustimmung, so etwa bei M. Kroner : „Für die Deutung des historischen Kerns der Sage hat die Wissenschaft bisher verschiedene Erklärungen angeboten. Wir nennen schlagwortartig folgende: Kinderkreuzzug, Naturkatastrophe, großes Kinderster-ben, priesterlicher Ritualmord, Tanzwut (Veitstanz), Erinnerung an die großen Verluste Ha-melns in der Schlacht von Sedemünde (1260), Ostkolonisation. Von allen Erklärungen hat die im Zusammenhang mit der deutschen Ostkolonisation den höchsten Wahrscheinlichkeits-grad“.
 
Siebenbürgen?

Gelegentlich ist – wie auch in der Fassung der Rattenfängergeschichte bei den Brüdern Grimm angedeutet – Siebenbürgen als Ziel der Wanderung angegeben worden. So sah man auch schon früher in dem Rattenfänger einen Werber, „der Kolonisten für Siebenbürgen geworben habe“ . „Obwohl diese Deutung für Siebenbürgen selbst nicht zutrifft“, dürfte sie nach den Worten von M. Kroner  „für andere Gebiete des deutschen Ostens Gültigkeit haben. Die Urheimatfor-schung der Siebenbürger Sachsen hat nämlich ergeben, daß ausgerechnet nach Niedersachsen, in dem Hameln liegt, keine Herkunftsspuren hinführen … Die Erklärung, die man gelegentlich dafür gibt, es handele sich um eine assoziative Mißdeutung einer bei Hameln gelegenen Ort-schaft Seeberge in Siebenbürgen, leuchtet mir nicht ein“. Das Siebenbürgen nicht in Frage kommt, betont auch A. Ostermeyer .
Es sind vor allem sprachwissenschaftliche und namenkundliche Argumente, die dagegen sprechen, als Ziel der Auswanderung den Balkan anzunehmen. Wenn man diesen Bereich ausnimmt, dann wird man sich andererseits fragen müssen, ob nicht Sprachwissenschaft und Namenforschung dazu beitragen können, das mutmaßliche Gebiet zu ermitteln. Denn meines Erachtens wird man mit M. Kroner  festhalten können: „Die Rattenfängersage dürfte nichts-destoweniger mit der Besiedlung anderer Gebiete in Osteuropa in Verbindung stehen“. Aller-dings „gehen (die) Ansichten weit auseinander. Man ist sich nicht nur uneins darüber, mit welcher Region der deutschen Ostsiedlung der Hamelner Vorgänge verknüpft sein könnte , sondern es ist nach Meinung mancher Forscher auch immer noch sicher, „ob ein solcher Zu-sammenhang überhaupt bestanden hat“ .

Die Mähren-Theorie

Greift man mit diesem Wissensstand zu den beiden großen deutschen Enzyklopädien, so fin-det man in einer  als ersten Titel in dem alphabetisch nicht geordneten Literaturteil die Arbeit von W. Wann  und in der anderen  den Satz „Kern ist vielleicht die Anwerbung von Hamel-ner Burschen und Mädchen durch den Bischof von Olmütz zur Besiedlung Mährens“. Prüft man diese Angaben weiter nach, so wird man auf die in der Anmerkung 15 genannte Würzburger Dissertation von Wolfgang Wann geführt und schon bald mit der These konfrontiert, daß Aussiedler aus dem Weserbergland in Mähren eine neue Heimat gefunden hätten und daß dieses seinen Niederschlag in Orts- und Flurnamen gefunden habe. Folgt der Namenforscher diesem Weg, so wird er schon bald zu einer Diskus-sion herausgefordert. Nimmt er sie auf, so muß der Weg der Sage verlassen werden und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Details beginnen. Das soll im folgenden ver-sucht werden.

Bruno von Schaumburg

Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß es enge Beziehungen zwischen dem Weserberg-land und Mähren gegeben hat : sie kristallisierten sich vor allem in der Person des Bischofs von Olmütz Bruno von Schaumburg. An dessen Kolonisationswerk kann nicht vorbeigegan-gen werden. Auf Einzelheiten ist hier nicht einzugehen, man vergleiche etwa die Ausführun-gen bei H. Schiffling , F. v. Klocke  und anderen. Nach eigenen Erklärungen ließ Bruno von Schaumburg unter anderem  „die Wälder roden und die deutschen Dörfer Petersdorf, Johan-nesthal, Hennersdorf, Arnsdorf, Batzdorf, Pittarn, Liebenthal, Röwersdorf, Peischdorf und die Burgen zu Füllstein und Hotzenplotz anlegen“ . Unzweifelhafte Zeugnisse sind unter ande-rem die Burg Schauenstein etwa 15 km östlich der Mährischen Pforte und Schaumburg bei Holštejn .
Selbstverständlich befanden sich in seiner Gefolgschaft auch Schaumburger. Bei Wann heißt es dazu: „Seine ritterliche und geistige Gefolgschaft, die sich allmählich um ihn sammelte …, stammte zwar aus dem gesamten Reich, die meisten aber kamen doch aus dem Weserbergland und waren hier insbesonders zwischen Minden und Höxter beheimatet. Dazu gehörten, um aus der reichen Fülle nur einige zu nennen, z.B. die Bardeleben, Bose, Cul, Dassel, Emse, Fülme-Füllstein, Heimsen, Hohenbüchen, Homburg, Hörstel, Höxter, Kämmerer, Lachdorf, Landsberg, Meinsen, Romberg, Rottorf, Eisbergen, Spenthove, Stockvisch, vom Turm, Vroleb-sen,
 
Wertinghausen und viele andere mehr“ . Auch Fortsetzer seines Werkes sind bekannt .
Das sind gewichtige Argumente, die W. Wann zu Schlußfolgerungen wie diesen führten: „Die Forschungen der letzten Jahre, insbesondere in den mährischen Archiven, erbrachten zu die-sen einmaligen Beziehungen zwischen der Mährischen und der Westfälischen Pforte ein ganz neues und reichhaltiges Material an Familien-, Orts- und Flurnamen, an Wappen, rechtshisto-rischen und volkskundlichen Denkmalen. Sie bilden gleichzeitig einen Bestandteil innerhalb eines komplizierten Beweissystems, mit dem der endgültige Verbleib der Hämelschen Kinder präzise dokumentiert aufgezeigt werden kann“ . Bezeichnenderweise erscheinen bei dieser Argumentation die Ortsnamen mit an erster Stelle, es wird daher zu prüfen sein, ob sie die gezogenen Konsequenzen stützen können.

Ortsnamen aus dem Wesergebiet in Mähren?

Es ist nicht verwunderlich, daß ausgehend von der Kolonisationstätigkeit Brunos von Schaumburg in Mähren die Vermutung entstehen mußte, es könne ein Zusammenhang mit der Rattenfängersage bestehen. Die von Wolfgang Wann entwickelte These  basiert nach seinen eigenen Worten – und das ist nicht immer genügend beachtetet worden – auf namenkundlichen Argumenten: „Ich habe … im Laufe der Jahre dieses gesamte Kolonisationsgebiet eindring-lichst kennen und oft gerade dort, wo es schon längst slawisch geworden war und wo nur mehr die Steine, die die Urkunden oder die Familien- und Flurnamen sprachen, lieben ge-lernt .
Diese Bemerkungen sind für einen Namenforscher bedenklich, wenn nicht alarmierend: die Aufdeckung eines namenkundlichen Substrats gehört zu den schwierigsten Aufgaben, denen sich ein Onomast unterzieht. Hier aber wagt ein auf diesem Gebiet nicht ausgewiesener Laie weitreichende Schlußfolgerungen, die den Weg bis in unsere Enzyklopädien finden. Den Grund dafür nannte ich schon anfangs: die Namenforschung ist eine „Hilfswissenschaft“.
Ohne Prüfung durch die Onomastik fand die These von W. Wann Anklang. So heißt es bei H. Spanuth : „Ich bin davon überzeugt, daß er … den Nachweis erbracht hat, daß die mittelalter-liche Besiedlung seiner Heimat, des Gebietes des alten Bistums Olmütz, durch Kolonisten aus unserem engeren Heimatgebiet, darunter auch der Stadt Hameln, erfolgt ist. Darüber hinaus hat er es nach meiner Überzeugung bis zu einem an Gewißheit grenzenden Grade wahrscheinlich gemacht, daß der Hamelner An-teil an dieser kolonisatorischen Leistung den Ursprung der alten Ortssage vom ,Exodus Hame-lensis’, dem ,Auszug der hämelschen Kinder’, bildet …“, und weiter: Wann hat „den Nach-weis geführt, daß die deutsche Besiedlung seiner mährischen Heimat im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts durch den damaligen Bischof von Olmütz, einen Grafen Bruno von Schaumburg, und seinen Nachfolgern auf Veranlassung des böhmischen Königs Ottokar durchgeführt wor-den ist, dessen vertrauter Ratgeber Bruno war …“ . Etwas vorsichtiger wurde die These von anderen aufgenommen: „Wann (und unabhängig von ihm von Klocke) haben den Nachweis versucht (der freilich von Schnath 1980 [G. Schnath, Die Rattenfängersage aus der Sicht des Historikers, Vortrag anläßlich des 61. Niedersachsentages in Hameln 1980] infragegestellt wurde …), daß im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts (also zur Zeit des Hamelner Gesche-hens) die deutsche Besiedlung des dünnbesiedelten Raumes der ,Mährischen Pforte’ durch den damaligen Bischof von Olmütz, einen Grafen Bruno von Schaumburg und seine Nachfol-ger, auf Anordnung des böhmischen Königs Ottokar durchgeführt worden sei … Es ist selbst-verständlich, daß der aus dem Wesergebiet stammende Bischof Bruno von Schaumburg wie seine wohl ebenfalls aus dem Wesergebiet kommenden adligen Locatoren und die von ihnen abgesandten Werber die Siedler in erster Linie aus ihrem eigenen Heimatgebiet zu gewinnen suchten“ .
Eine Lösung der strittigen Frage kann nur von seiten der Namenforschung kommen, denn den „stärksten Beweis für diese Annahme bietet die Identität vieler Geschlechternamen im Hei-matgebiet und dem Siedlungslande. Unabhängig von Wann hat auch der westfälische Histori-ker von Klocke enge Beziehungen zwischen Westfalen bzw. dem Wesergebiet und dem mäh-rischen Bistum Olmütz nachgewiesen“ . H. Spanuths recht positive Aufnahme der Thesen von W. Wann  fand zum großen Teil in den Besprechungen ihre Fortsetzung, so etwa bei K. Brüning : Spanuth „weist nach, … daß … der Troppauer Archivar Wann die richtige Erklä-rung gefunden hat: Der Rattenfänger ist ein Werber, der zahlreiche junge Leute aus dem We-sergebiet, darunter viele Hamelner ,Stadtkinder’ als Kolonisten nach Mähren brachte, wo sie in der Olmützer Gegend angesiedelt wurden“. Etwas vorsichtiger war K. Ranke : „ … Wann versucht als erster in einer anscheinend sehr sorgfältigen Untersuchung über die Besiedlung des Bistums Olmütz auf Grund von lokalen und namenkundlichen Forschungen den exakten Nachweis zu erbringen, daß der Hamelner Anteil an dieser kolonisatorischen Leistung den Ursprung unserer Sage gebildet habe“, jedoch bliebe die Publikation der Dissertation abzu-warten. Schon sicherer heißt es bei U. Stille  „Mit namenkundlichen und siedlungsgeschichtlichen Untersu-chungen vor allem hat Wann diese Deutung beweiskräftig belegen können – soweit Spanuth darüber berichtet, denn die Arbeit von Wann selbst liegt bislang leider nur als maschinen-schriftliche Würzburger Dissertation vor. Die Erklärung erscheint jedoch recht einleuchtend, und sie scheint die Auflösung des Rätsels der Sage zu bedeuten“ .
Die angesprochene Dissertation wurde nicht publiziert und liegt nur in maschinenschriftlicher Form vor. Bekannt sind die Thesen von W. Wann aber dennoch, zum einen durch die positive Aufnahme bei H. Spanuth, zum andern dadurch, daß 35 Jahre nach der Promotion die Theorie anhand von nachgelassenen Manuskripten im Auftrag des Sudentendeutschen Archivs von Walter Scherzer neu formuliert wurde . Die für unsere Aufgabe wichtigsten beiden Punkte erscheinen in diesem Buch zum einen auf S. 19 in Abschnitt 5 „Auswanderung im Zuge der Ostkolonisation, die wahrscheinlichste Deutung“, und zum anderen auf S. 20 in der Wendung „Wann waren bei der Erforschung der Siedlungsgeschichte seiner Heimat nicht nur die nicht zu übersehende Zahl niederdeutscher Orts- und Familiennamen, sondern auch die durch den Olmützer Bischof Bruno von Schaumburg (1245-1281) gegebenen Familienbeziehungen zur unmittelbar benachbarten Stadt Hameln aufgefallen“.
Nach dieser knappen Vorstellung der Mähren-These von W. Wann, die von H. Spanuth im wesentlichen übernommen worden ist und durch die Herausgabe durch W. Scherzer einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, ist es an der Zeit, die Konzeption anhand der im einzelnen vorgebrachten Argumente zu überprüfen. Ich beginne bei den Ortsnamen, gehe dann zu den Flurnamen über und beschließe diesen Abschnitt mit den Personennamen.
Eine wichtige Stütze – für den Namenkundler sogar die wichtigste – liegt in dem Versuch, mit Hilfe etlicher Ortsnamen zu versuchen, die Beziehungen zwischen Mähren und dem Weser-bergland herauszuarbeiten und darin Beweise für eine Aussiedlung aus dem Hamelner Raum zu sehen. Eine gute Übersicht über die meisten der im folgenden herangezogenen Ortsnamen bietet die von W. Scherzer herausgegebene Publikation (im folgenden abgekürzt als Wann/Scherzer) in einer Karte im Anhang des Buches.
 
Kritik der mährischen Ortsnamen

Ich beginne die Diskussion mit einer Passage bei F. v. Klocke über Bruno von Schaumburg : „Nach seiner eigenen Erklärung ließ er dort die Wälder roden und die deutschen Dörfer Pe-tersdorf, Johannesthal, Hennersdorf, Arnsdorf, Batzdorf, Pittarn, Liebenthal , Röwersdorf , Peischdorf und die Burgen zu Füllstein und Hotzenplotz anlegen“. Zum Beweis, daß es sich dabei um Namen handelt, die sich auch im Weserbergland finden, wird zunächst nichts ausge-führt (auf den sicher dazugehörenden Namen Füllstein komme ich noch zurück). Aber es wird wenige Seiten weiter betont: „Die Dörfer bei Hotzenplotz führten auch zunächst typisch nie-derdeutsche Namensformen, die sich erst später verloren, so 1255 Godevridestorp (Gott¬frieds¬dorf, später Füllstein genannt) und Rudolveswalt (heute Roßwald), 1256 Henrikestorp (heute Hennersdorf), Levendal (heute Liebenthal) und Renverdestorp (heute Röwersdorf; erstes Stammwort Reinfried), 1267 Janestorp (heute Johannesthal), Arnoldestorp (heute Arnsdorf), Bertoldestorp (heute Batzdorf), Peterswalde (heute Petersdorf), Pizkerstorp (heute Peisch-dorf)“ . Aus den niederdeutschen Formen wird sofort anschließend gefolgert: „Hier, im so-genannten Olmützer Bistumsland von Hotzenplotz ist mit westfälischer Bauernkolonisation sicher zu rechnen „, später hätten dann mitteldeutsche und schlesische Kräfte zu einer Assi-milation und Aufgabe der niederdeutschen Formen geführt.
Diese Ausführungen finden sich auszugsweise bei Wann/Scherzer, S. 28 wieder, indem an niederdeutschen Ortsnamen im Bistum Olmütz angeführt werden: Arnoldestorph (zuletzt Arnsdorf), Janestorph bzw. Jansdorf bzw. Johannesthal, Henrikestorph (Hennersdorf), Bertholdestorph (Batzdorf), Renfridestorph (eine Wüstung).
Der Namenforscher fragt sich zum einen, ob der niederdeutsche Charakter der Ortsnamen zweifelsfrei ist, und zum andern, ob es Hinweise auf westfälische Herkunft gibt. Meine Durchsicht der Namen führte zu folgendem Ergebnis:
a.) Petersdorf (Peterswalde), èechisch heute Petrovice. Die alten Belege zeigen, daß ein ur-sprünglich slavischer Ortsname vorliegt: 1208 in Petrouich, 1267 in villa Petrowiz, 1389 Pe-tersdorf, 1570 Petersdorf usw. (L. Hosák, R. Šrámek ; im folgenden: Hosák-Šrámek). Nie-derdeutsches ist nicht festzustellen.
b.) Johannesthal, èechisch Janov, erscheint in seinem ältesten Beleg 1267 als Ianestorph, später: 1446 Janow, 1595 jiným johantalskym . Bei v. Klocke und Wann/Scherzer wird un-sauber zitiert „1267 Janestorp“. Dadurch wird niederdeutscher Einfluß (dorp) suggeriert, der aber gar nicht vorhanden ist (1268 Ianestorph). Der Name ent-hält offenbar den slavischen Personennamen Jan, erst später setzt sich Johann durch. Der Versuch, durch eine später in diesem Ort bezeugte Person Haemler eine Beziehung zu Ha-meln herzustellen , wird damit gegenstandslos. Zudem wird eine Quelle für diesen Beleg nicht genannt.
c. Hennersdorf, heute èechisch Jindøichov, darf als Gründung aus der Zeit Brunos von Schaumburg angesehen werden: 1256 Henrikestorp, 1267 Henrikestorph usw. . Auch der niederdeutsche Charakter des Personennamens darf als sicher gelten . Als Beweis für eine Zuwanderung aus dem Wesergebiet reicht dieses allerdings keineswegs aus.
d. Arnsdorf, èechisch Arnultovice, 1267 Arnoldestorph, 1320 in Arnoldisdorf usw. , zeigt keine speziell niederdeutsche Lautung.
e. Batzdorf, èechisch Bartultovice, ist in den Quellen wie folgt belegt: 1267 Bertoldesdorph, 1320 in Pertoldisdorf, 1389 Bertoldi villam usw. . Niederdeutsches ist nicht zu entdecken; vielmehr spricht der Beleg von 1320 für oberdeutschen Einfluß.
f. Pittarn ist ein Ortsname unklarer Herkunft . Er ist zweifellos älter als die deutsche Ostsied-lung.
g. Liebenthal, èechisch Liptaò, ist ursprünglich ein niederdeutscher Name: 1256 Leuendal, 1262 Luptyn , 1267 Leuendal, 1280 in Luptyn, 1300 in Lybental, 1320 in Liebental usw. . Daneben muß allerdings auch ein slavischer Name Luptin bestanden haben. Die niederdeut-sche Form scheint auf eine Siedlung am leven dale (= hochdeutsch am lieben Tale) zurückzu-gehen, jedoch kann auch ein sehr alter Name (die èechische Form erweckt diesen Verdacht) vorliegen. Eine spezielle Beziehung zum Weserbergland oder zu Westfalen läßt sich aber nicht entdecken.
h. Röwersdorf, èechisch Tøemešna, ist alt wie folgt belegt: 1256 Renuerdostorp, 1267 Renfridestorph, 1320 in Rinfridisdorf, 1389 Reynersdorff usw. . In dem Bestimmungswort, d.h. in dem Personennamen, kann man eine niederdeutsche Form sehen (vor allem der Beleg von 1256 spricht dafür). Damit gewinnt man aber noch lange keine Verbindung mit Westfalen oder dem Weserbergland.
 
i. Peischdorf, èechisch Piskoøov, erscheint in den Quellen wie folgt: 1267 Piskerstorph, 1317 villam Piskersdorf, 1318-26 Piskersdorf, 1318 Piskoøov, 1389 Pikorzaw . Der Name ist nicht ganz leicht zu erklären, man wird am ehesten von einem Personennamen im ersten Teil ausgehen dürfen, der mit dem èechischen Fischnamen piskoø „Schlammbeißer“, am ehesten über einen Personennamen, zu verbinden ist. Die slavische Fischbezeichnung ist in das Deut-sche entlehnt worden. Für niederdeutsche oder weserländische Siedlung spricht nichts.
j. Hotzenplotz. Der Name dieses Ortes geht auf den Flußnamen Hotzenplotz, èech. Osoblaha, poln. Osob³oga, zurück, der vorslavischer Herkunft ist . Für unsere Problemstellung ist die-ses ohne Wert.
k. Rudolveswalt, èechisch Rudoltice, 1255 Rudolueswalt, 1389 Rudolswald usw. , zeigt keinerlei Spuren eines niederdeutschen Einflusses.
Das Resümee der Überprüfung ist kurz: nichts weist auf spezielle Beziehungen zum Weser-bergland hin. Allein ein Name, der von v. Klocke und von Wann/Scherzer angeführt worden ist, kann dafür herangezogen werden: der Burgname Füllstein, auf den noch zurückzukommen ist.
Es hat sich gezeigt, daß eine genaue Überprüfung der vorgebrachten Argumente nicht nur notwendig ist, sondern zu fundierten Aussagen führen kann. Diese Methode soll daher auch bei weiteren Ortsnamen, die als Beweis für eine westfälisch-weserländische Besiedlung  ge-wertet worden sind, angewendet werden.
l. Branekesdorf, eine Wüstung bei Blansko (heute Ortsteil dieser Stadt) nördlich von Brünn, ist nur einmal 1277 als Branekesdorp erwähnt . Es lag in der Nähe des Ortes Hamlíkov, der als wichtiges Argument für eine Beziehung zu Hameln angeführt wird (s. unten) und trug nach Wann/Scherzer 42 einen niedersächsischen Namen. Zusammen mit zwei anderen Orten ge-hörte er „seit 1277 den … Herren von Stango …“ . Ich habe mich bemüht, einen niederdeut-schen Personennamen Branek o.ä. nachzuweisen. Die einschlägigen Wörterbücher kennen jedoch keinen. Nimmt man weiter zur Kenntnis, daß die Silbe -ek- auch ein slavisches Suffix widerspiegeln kann, so gewinnt die slavische Deutung bei Hosák-Šrámek I 106 an Gewicht.
m. „Die nach Bischof Bruno benannten Siedlungen“  sind nach Wann/Scherzer, S. 30: 1.) Braunsberg, 2.) Brunswerde (nach Wann/Scherzer „Ausgangssiedlung für Braunsberg und daher später Altendorf genannt“), 3.) Brunseifen, 4.) Braunseifen (so auch bei F. v. Klocke : „Braunseifen, d.h. soviel wie Brunostal“), 5.) Brunthal, „der zweite Name für die Stadt Freudenthal“, 6.) Brunos, Wg. bei Walachisch-Meseritsch. Eine Überprüfung ist notwendig.
Zu Braunsberg, èechisch Brušperk: sowohl die alten Belege (1269 civitatem, quem Brunsperch nuncupavi … Brunsperh, 1270 in Brunsperg usw. ) wie die historische Überliefe-rung läßt keinen Zweifel daran, daß in der Tat eine Brunonische Gründung vorliegt . Aller-dings weisen die Ortsnamen im zweiten Teil auf oberdeutsche Lautung (-perg für -berg) hin. Niederdeutsches -barg ist nicht zu erkennen.
Zu Brunswerde: ein Teil der Nachfolgesiedlung trägt heute den Namen Stará Ves, an alten Belegen sind zu nennen 1267 Bruneswerde, 1269 Brunswerde, 1389 in Braunswerde, 1403 in Brunswerd, 1408 super bonis illis Bravnswerd, 1466 de Antiqua villa vulgariter z Starewsy, 1518 v Stare Wsy, … 1718 Altendorf . Der Zusammenhang mit dem Namen Brunos von Schaumburg ist unstrittig.
Zu Brunseifen/Braunseifen: mir gelingt nur der Nachweis eines Ortsnamens Braunseifen, èechisch Brunzejf, heute Rýzovištì. Aufgrund der alten Belege (1320 Brunsif, 1408 super Brunzyw, 1437 de oppido Brunsiffi usw. ) ist ein Zusammenhang mit dem Namen Brunos möglich. Da aber das Genetivformans fehlt (Brunos-seifen wäre zu erwarten), vermuten Ho-sák-Šrámek durch die Assimilation des ersten -s- an das zweite -s- frühen Ausfall des Genus-formans. Das kann man akzpetieren, es fällt aber zum einen auf, daß der Name im Gegensatz zu sonstigen Gründungen Brunos sehr viel später erwähnt ist und daß eine unmittelbare Ver-bindung mit mittelhochdeutsch brun + seifen „Bach, Wasserlauf“ auch von P. Vogt, dem wir eine gründliche Zusammenstellung der einschlägigen Namen verdanken , angenommen wor-den ist. Vogt hat auf weitere Namen im ehemaligen Kreis Olmütz (Brandseifen, Goldseifen, Kaltenseifenmühle, Rabenseifen, Seifenmühle, Stubinseifen) aufmerksam gemacht hat. Es spricht somit einiges dafür, in dem Namen von einem Adjektiv auszugehen und den Bischofs-namen fernzuhalten.
Im Fall von Brunthal, dem „zweiten Name für die Stadt Freudenthal“ , ist die Ansicht bei Wann/Scherzer , der ON. Bruntál bei Troppau sei „später umbenannt in Freudenthal“ und „nach dem Bischof Bruno benannt“, verfehlt. Die alten Belege lauten zwischen 1220 und 1405 nur Freudental, Wrowdintal, Vreudental  u.ä., erst 1456 begegnet zum ersten Mal sta-rosta bruntalsky , daher lehnten Hosák und Šrámek auch mit Recht einen Zusammenhabng mit dem Namen des Bischofs ab:
 
„Rovne? nelze v místní jménì hledat osobní jméno olomouckého biskupa Bruna ze Schauen-burku“.
Im Gegensatz zu dem vorigen Namen wird der der Wüstung Brunos (woher diese Form stammt, ist mir unklar geblieben) bei Walachisch-Meseritsch auch von Hosák-Šrámek I 111 anhand der Belege 1297 villam Brunnow, 1505 Brniow, 1535 ves Brniow usw. mit Bruno von Schaumburg in Verbindung gebracht, wobei man sich vor allem auf den ersten Beleg von 1297 stützt. Mich überzeugt das nicht; viel eher wird eine Schreiberumdeutung des ursprüng-lichen èechischen Namens Brnov vorliegen. Dieser wiederum gehört viel eher zu dem im Sla-vischen weit verbreiteten Sumpf- und Morastwort brn, an das auch Brno/Brünn angeschlossen werden kann .
n. Wann/Scherzer 42 nennen als deutschen Ortsnamen bei Hamlíkov Birchow, um auch da-durch die Beziehungen nach Hameln zu stützen. Offenbar (letzte Sicherheit konnte nicht ge-wonnen werden) handelt es sich um den 1320 einmal bezeugten Wüstungsnamen Briczow . Deutsche Herkunft scheidet angesichts dieses Beleges aus.
o. Nach Wann/Scherzer 34 hält der ON. Bu(t)schafka bei Hotzenplotz wie der ehemalige Buschhof südlich von Hotzenplotz „die Erinnerung wach an die von dem Bussche“. Der skep-tischen Haltung von H. Dobbertin , daß es erst recht nicht zutreffe, „daß die niedersächsische Adelsfamilie von dem Bussche etwas mit dem Buschhof südlich Hotzenplotz und mit der Ort-schaft Bu(t)schafka zu tun hatte“, kann nur zugestimmt werden. Sucht man die historischen Belege für den Ort Butschafka, èechisch Buèávka, bei Hosák-Šrámek I 126 auf, so findet man dort: „1570 Bischofka, 1582 ves Bussowecz, 1720 Buschaweg“. Es ist schon erschre-ckend, wie hier von seiten der Vertreter der Mährenthese gearbeitet worden ist.
p. Unzweifelhaft schaumburgischen Einfluß verrät der Burgenname Füllstein bei Hot-zenplotz, èechisch Fulštejn, heute Bohušov. Seine Belege, die hier nicht aufgeführt zu werden brauchen , sowie die geschichtliche Überlieferung weisen klar darauf hin, daß der Name eine Übertragung einer aus Schaumburg nach Mähren ausgesiedelten Adelsfamilie ist . Nur am Rande sei erwähnt, daß Spuren dieser Familie bis in die Ukraine zu verfolgen sind .
 
q. Nach Wann/Scherzer 28f. erinnert „das 1267 erstmals urkundlich erwähnte Kolonisations-dorf Grabowe (heute eingemeindet in Groß-Ostrau) … direkt an niedersächsische Familien. Dieses großbürgerliche Geschlecht wird zwischen 1247 und dem 14. Jahrhundert in Hameln oft erwähnt“. Nichts davon läßt sich halten. Der ON., heute èechisch Hrabová, 1297 in Gra-bow, 1389 ville Antiquae Grabouie usw.  stand in Beziehung zu dem Ortsnamen Hrabùvka, 1389 Nouam Grabouiam usw. , und gehört zu den unzähligen slavischen Ableitungen von grab, hrab „Weißbuche“ .
r. Hamlíkov. Dieser Wüstungsname nordöstlich von Brünn ist ein besonders wichtiges Argu-ment für einen angeblichen Zuzug aus Hameln, denn er stellt nach Wann/Scherzer, S. 41 „die enge Beziehung zwischen dem Olmützer Bistumsgebiet und Hameln besonders klar heraus … Die Siedlung wird unter der Bezeichnung Hemlincow erstmals 1353 in der Olmützer Landta-fel als zur Herrschaft Holstein gehörend genannt. Doch da für die Eintragungen in die alten Landtafeln in der Regel nur die tschechischen Namensformen maßgebend waren, ist Hemlin-cow bereits die ins Tschechische abgewandelte Schreibweise eines deutschen Ortsnamens, zumal der Tscheche seit Ende des 13. Jahrhunderts stimmhaftes g nicht mehr kennt. Die Schreibweisen in späteren Landtafeln lauten daher Hamlikow und sogar Hamakow, wobei dem deutschen Hamling(en) oder Hemling(en) die slawische Ableitungssilbe -ow (= Dorf u.ä.) angefügt worden ist. Der Name Hemlincow ist im gesamten Osten einmalig und aus dem Alt-tschechischen nicht zu erklären. Wohl aber darf man in der deutschen Namensform Ham-ling(en) bzw. Hemling(en) ein Patronymicum, d.h. Ableitung von einem Namen vermuten …“. Die Konsequenz lautet: „Hemlincow-Hamlingen wäre demnach die Siedlung, in der sich Ab-kömmlinge aus Hameln niedergelassen haben“ . Diesem schloß sich H. Spanuth  an: „Selbst den Namen einer Siedlung, der aus dem der Stadt Hameln abgeleitet ist, hat Wann festgestellt, das inzwischen wüst gewordene Hamelingow (-kow), bei dem das Stammwort Hamel durch die eine Siedlung bezeichnende Silbe -ing und überdies durch das gleichbedeutende slawische -ow erweitert ist. Hamelner Herkunft beweisen auch die Familiennamen Hamlinus, Hämler und Hamel“.
Diese These versuchen Wann/Scherzer, S. 44 auch mit einem Blick in Hosák-Šrámek zu stützen: „ … zumal auch tschechische Siedlungs- und Ortsnamenforscher den Namen Hem-lincow aus dem Deutschen ableiten, so zuletzt L. Hosák und R. Šrámek in dem von ihnen be-arbeiten Ortsnamenbuch Mährens und Schlesiens (1970, S. 239)“.
 
Die Auffassung dieses Ortsnamens als eine „Siedlung, in der sich Aussiedler aus Hameln nie-dergelassen haben“, blieb jedoch nicht ohne Widerspruch. Zunächst hat H. Dobbertin  nur ganz allgemein Zweifel angemeldet, dann vertrat er zunächst die Auffassung, „das winzige mährische Dorf [sei ] … in Wirklichkeit nach einem Amelung (Ameling, Hamelinus)“ be-nannt . Wenige Jahre später verwies er auf einen Beitrag von E. Èerný , der sich mit der Geschichte des Dorfes intensiv beschäftig hatte, jedoch irrtümlich Hamlíkov mit dem 1349 erwähnten Holštejner Dorf Hertwigslog gleichsetzte .
Konkreter heißt es an gleicher Stelle: „Die Schreibweise Hamlingen kommt urkundlich gar nicht vor. Die von Dr. Wann gemeinte winzige Siedlung heißt 1353 Hemlynkov und Hemli-kov, 1385 Hamlicow, 1407 Hamlyko, 1437 Hamlinkow, 1511 Hamakow und gehörte zu den überwiegend deutschen Rodungsdörfern im Distrikt der erstmalig 1283 genannten Burg Holstejn zwischen Brünn und Olmütz“ . Auch an dieser Stelle nimmt H. Dobbertin an, „Ham¬líkov als Gründung eines Locators namens Hamelinus = Ameling/Amelung aufzufassen (vergleiche das seit 1466 bezeugte nach einem Ruprecht benannte Nachbardorf Rupp-recht/Ruprechtov“ . Dabei wird die Deutung von Hosák-Šrámek I 239 kritisiert: „Entschie¬den abzulehnen ist die von  … Šrámek vorgeschlagene Ableitung des Ortsnamens Hamlíkov vom deutschen Wort Hammel (L. Hosák, R. Šrámek, … I, 239)“ . Wieder etwas anders heißt es bei H. Dobbertin an anderer Stelle : „Heute leite ich den Ortsnamen Hamlingow … von dem in Mähren vereinzelt, in Frankreich häufig auftretenden Personennamen Hamelinus (Ameling, Amelung) ab, nicht aber von dem Namen der Stadt Hameln (Quernhameln) …“. Einen weiteren Vorschlag aus dem Jahr 1986 (Hemlynkow (1353) … dürfte von Österreich aus besiedelt sein, denn sie hieß 1349 Merhlinslag“ ) hat er selbst später revidiert . In jüngster Zeit nimmt er an, daß der Beleg 1349 Merhlin-slag aus Hemlin-slog verlesen ist und auf einen deutschen Lokator namens Hamelinus (Ameling, Amelung), der frühestens um 1250 bei Ged-witz wirkte, zurückgeht . Damit steht für ihn fest, daß eine Herleitung des Namens vom dt. Wort Hammel im Sinne von Hosák-Šrámek I 239 ein Fehlgriff ist.
Die hier keineswegs in ganzer Breite dargestellte Diskussion zeigt, wie gering die Kenntnisse der Autoren auf namenkundlichem Sektor sind. Die Belege werden je nach Bedarf hin und her geschoben, eine saubere Chronologie wird nicht geleistet, auf lautliche und morphologische Fakten wird nicht geachtet, ein Vorschlag folgt dem nächsten, die Deutung basiert zum Teil auf aus der Luft gegriffenen Belegen usw. Man wagt sogar, den ausgewiesenen Fachvertretern der Onomastik ihre Kenntnis abzusprechen. Dabei bieten L. Hosák und R. Šrámek  eine Chronologie der Überlieferung des umstrittenen Namens und eine fundierte Deutung. Der Name Hamlíkov, inzwischen wüst, ist wie folgt überliefert: 1385 Hamlicov , 1407 in Hamly-ko, 1437 Hamlinkow, 1511 vsi pusté … Hamakow (!), in ihm liegt eine Ableitung von einem Personennamen Hamlík vor, der seinerseits auf dt. Hammel beruht.
Die obigen Deutungen stecken voller Fehler: ein Suffix -ing- ist nicht vorhanden; eine Form Hemlincow ist nicht belegt; der Name Hameln bleibt fern; Hosák und Šrámek leiten den Na-men keineswegs aus dem Dt. ab, sondern von einem tschechischen PN., der mit slavischem Suffix -ik- von dt. Hammel abgeleitet ist (das ist zu beachten!); Dobbertin wirft Amelung, Ameling, Hamelinus ohne Kommentar in einen Topf.
Unser Resümee ist kurz: der Name hat mit Hameln nichts zu tun. Alle Vermutungen, die in diese Richtung gingen, sind verfehlt .
s. Hombok, ein mährisches Angerdorf, nach H. Dobbertin  bezeugt seit 1351, ist seiner An-sicht nach eine Gründung des in Quellen zwischen 1231 und 1277 erscheinenden Hildeshei-mer Edelherren Ulrich von Hohenbüchen. Dieses ist aus der Luft gegriffen.
Die Überlieferung des Namens zeigt (1364 parua Hluboky, 1365 Hlubiczki, 1391 mediam villam Hlubeczkeho usw. ), daß tschechisch hluboký „tief“ vorliegt . Der erste Beleg, der deutschen Einfluß zeigt, stammt aus dem Jahre 1691 Hohnbockh.
 
Man sieht, daß auch H. Dobbertin die Grundlagen der slavistischen Namenforschung nicht beherrscht.
t. Der Ortsname Hochwald, tschechisch Hukvaldy, südlich von Mähr. Ostrau, geht dagegen zweifelsfrei auf den Namen der Grafen von Hückeswagen zurück : 1234 Arnulfhus comes de Hucesvage, 1235 de Hugensvald, 1285 de Hukenswald usw. , deren westfälischer Heimatort außer Frage steht.
u. Hinsichtlich des Ortsnamens Rosenowe, tschechisch Ro?nov, heißt es bei Wann/Scherzer 29: „Zu diesen Ortsnamenbildungen ist wohl auch die zu den älteren Brunonischen Gründun-gen gehörende Stadt und Burg Rosenowe (zuletzt Roschnau genannt) an der der unteren Bet-schwa … zu rechnen, kommt doch der Familienname Rosenau heute noch in Hamburg und im Holsteinischen vor. Auch wird im Ratzeburger Bistumszehntverzeichnis von etwa 1230 im Grenzbereich Ratzeburg gegen Holstein gleichfalls ein Ort Rosenowe genannt“. Auch hier irren die Autoren. Während Hosák-Šrámek I, S. 390f. nach Auflistung der Belege (1267 Ro-senowe, 1366 zu Rosenow usw.) noch die deutsche Deutung referieren, aber auch eine slavi-sche erwägen, sind sich R. Trautmann  und H. Wurms  in bezug auf den Ortsnamen bei Ratzeburg einig: die slavische ist vorzuziehen. Personennamen aus Hamburg und Schleswig-Holstein können als Gegenargument kaum belastet werden.
v. Schauenstein, Burg etwa 15 km östlich der Mährischen Pforte, zwischen 1270 u.1280 er-baut, „erinnert an die im Schaumburger Land bei Obernkirchen zwischen Hannover und Min-den gelegene Burg gleichen Namens“ . Dem ist angesichts der historischen Überlieferung (1293 Schornstein, 1307 in nouo Castro, 1347 castra nostra Schowensteyn usw. ) nur zuzu-stimmen. In der Nähe der Burg liegt der heutige tschechische Ort Kopøivnice, dt. Nesselsdorf. Diesen Namen vergleichen Wann/Scherzer, S. 30 mit Nesselberg (Nettelberg), „auf dem die Stammburg der Schaumburger Grafen oberhalb des Wesertals erbaut worden ist“. Diese An-sicht ist zwar angesichts der historischen Überlieferung (1511 od hranice kopøivnický, 1517 z Koprziwnicze, 1581 ves Kopr?ywnicze …, erst 1846 Nesselsdorf ) verfehlt, jedoch folgen die tschechischen Autoren des mährischen Ortsnamenbuches (und das kennzeichnet ihre in-tegre Haltung gegenüber den Namen) der Ansicht von J. Pilnáèeck , der das Motiv der Na-mengebung in dem Wappen Brunos von Schaumburg, dem Nesselblatt (tschech. kopøivný list) sieht, wodurch schaumburgischer Einfluß doch vorhanden wäre. Ich muß gestehen, daß mich diese These nicht überzeugt. Der Ortsname geht viel eher auf den den Ort durchfließenden Bachnamen Kopøiv¬nice zurück, einer ganz gewöhnlichen Ableitung zu dem tschechischen Wort für die „Brennessel“ kopøiva.
w. Unstrittig ist die Verbindung zur Weser im Fall des Burgennamens Schauenburg, tsche-chisch Šaumburg, 1282 de Schowenburg, 1292 de Schowenburg, 1297 de Schonwenburg usw. , dessen Bau nach Wann/Scherzer, S. 31 1272 von Bischof Bruno geplant und in den nächsten Jahren durchgeführt worden ist. Diesem stimmt auch H. Dobbertin  zu.
x. Die Burgruine Stangow bei Dieditz im Kr. Wischau, erinnert nach Wann/Scherzer, S. 34 „an das Geschlecht der (von) Stange (Stango)“. Es könne daher auf Beziehungen zum Weser-bergland geschlossen werden. Erneut liegt ein schwerer Fehler vor: es gibt einen einzigen Be-leg für diese Ruine: 1361 Dyedycz … in duobis castris videlicet Nouo, quod Stagnow dici-tur . Es ist äußerst schwierig, aufgrund dieser einen Nennung den Namen deuten zu wol-len , aber ein deutscher Personenname liegt auf keinen Fall zugrunde.
y. Ebenso verfehlt ist die Vermutung, der Ortsname Stangendorf in Nordböhmen erinnere „an das Geschlecht der (von) Stange (Stango)“ . Der Ortsname ist slavischer Herkunft: 1407 Trnecz de Stanowicz, 1457 und 1473 in Stanowiczich usw., erst 1665 Stangendorff .

Mährische Ortsnamen – Zusammenfassung

Wir sind am Ende der Durchsicht der herangezogenen Ortsnamen. In der Beurteilung kann ich mich kurz fassen: entgegen der von W. Wann vorgebrachten und so überzeugend klingenden These, daß die Forschungen zu den „einmaligen Beziehungen zwischen der Mährischen und der Westfälischen Pforte ein ganz neues und reichhaltiges Material an Familien-, Orts- und Flurnamen …“ erbracht hätten , muß festgehalten werden, daß die herangezogenen Ortsna-men nur in wenigen Fällen belastet werden können. Vieles steht auf tönernen Füßen oder ist mehr als fraglich.
Für eine Verbindung zum Wesergebiet sprechen folgende Namen: Braunsberg/Brušperk, Brunswerde (jeweils zum Namen Brunos von Schaumburg), Füllstein/Fulštejn (Adelsname aus Schaumburg), Hochwald/Hukvaldy (enthält den Adelsnamen Hü-ckeswagen aus Westfalen) sowie die für sich sprechenden Burgennamen Schauenstein und Schauenburg.
Vor weiteren Schlußfolgerungen sollen aber zunächst die Flur- und Personennamen geprüft werden.
Trotz W. Wanns energisch vertretener Auffassung, es ließen sich auch Flurnamen als Beweis für engste Beziehungen zwischen Mähren und dem Weserbergland nachweisen, hat er selbst keinen einzigen Namen erwähnt. Da auch bei anderen Autoren entsprechendes Material nicht behandelt worden ist, kann eine Überprüfung hier nicht geleistet werden. Ob eine kritische Durchsicht mährischer Flurnamenarbeiten zu einem Erfolg führt, wage ich nicht zu beantwor-ten. Herangezogen werden könnten z.B. zwei Abhandlungen von J. Skutil: Místopisný slovník obcí okresu Blansko, Blansko 1966, und Mikrotoponymie a oronymie Drahanské vrchoviny, Blansko 1968.

Deutsche Personennamen in Mähren

Ein anderes Bild zeigt sich bei Argumenten, die mit Hilfe von Personennamen angeführt wor-den sind. In diesem Bereich scheinen die Vertreter der Mähren-These mehr Erfolg zu haben. Schon im Jahre 1940 meinte F. v. Klocke im Hinblick auf die Kolonisation in Mähren : „ … die dem Schaumburger und Mindener Weserlande entstammenden Ritter oder Rittergenossen Rutger v. Bardeleben, Johann Kämmerer, Heinrich und Bruno v. Spenthofen, Dietrich v. Rot-torf, Konrad v. Lachdorf, Johann v. Cul und der tecklenburgische Ritterbürtige Eberhard v. Hörstel gehörten irgendwie zum Olmützer Gefolgschaftskreise“. Bei W. Wann heißt es daran anschließend über Bruno von Schaumburg: „Seine ritterliche und geistige Gefolgschaft, die sich allmählich um ihn sammelte …, stammte zwar aus dem gesamten Reich, die meisten aber kamen doch aus dem Weserbergland und waren hier insbesonders zwischen Minden und Höx-ter beheimatet. Dazu gehörten, um aus der reichen Fülle nur einige zu nennen, z.B. die Barde-leben, Bose, Cul, Dassel, Emse , Fülme-Füllstein, Heimsen, Hohenbüchen, Homburg, Hörs-tel, Höxter, Kämmerer, Lachdorf, Landsberg, Meinsen, Romberg, Rottorf, Eisbergen, Spen-thove, Stockvisch, vom Turm, Vrolebsen, Wertinghausen und viele andere mehr“ .
 
H. Spanuth war von den Thesen überzeugt: „Diese[s] … beweist Wann … vor allem durch den Nachweis der gleichen Geschlechternamen im Heimatgebiet wie im Siedlungslande“ , und daran anschließend: „Die stärksten Beweise … gewinnt er … auf rein historischem Wege. In mühsamer Arbeit hat er aus Urkunden seiner alten Heimat eine große Zahl von Bürgernamen gesammelt, die gleichzeitig in Alt-Hamelner Quellen bezeugt sind, darunter so charakteristi-sche und wenig häufige Namen wie Leist, Rike, Fargel, Hake, Ketteler u.a. Diese Reihen wie-gen umso schwerer, als bürgerliche Familiennamen damals erst aufkamen und überdies nur ein Bruchteil von ihnen in den stark dezimierten Urkunden der Stadt Hameln überhaupt vor-kommt“ .
Dieses letzte Argument allerdings haben R. Frenzel und M. Rumpf zurückgewiesen: : „Es handelt sich um in ganz Mitteldeutschland gebräuchliche Namen wie Leist, Rike, Hake, Kette-ler – also kein Beweis“.
Es bleiben somit zur Prüfung die oben von W. Wann genannten Personennamen und weitere, vor allem bei Wann/Scherzer angeführte Namen. Ich werde sie im folgenden im einzelnen anführen und kurz besprechen.
Den Familiennamen Apole glauben Wann/Scherzer, S. 33 mit dem Ortsnamen Apelern zu-sammenbringen zu können. Das ist vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen unmöglich. Der Vergleich überzeugt nicht.
Das Geschlecht derer von Bardeleben ist im Urkundenbuch von Hameln gut bezeugt. W. Wann stützt sich aber vornehmlich auf eine Urkunde von 1264, zu der H. Dobbertin  einzu-sehen ist.
Eine besondere Beziehung zwischen dem Familiennamen Bose in Schaumburg und Mähren  vermag ich nicht zu entdecken.
Zu der Verbindung des Familiennamens von dem Busche (Schaumburg) mit mährischen Na-men wurde oben schon ablehnend Stellung genommen.
Der Familienname Cul (Schaumburg) erscheint in der strittigen Urkunde von 1264, zu der Anm. 118 zu vergleichen ist.
Die Heranziehung des Familiennamens Eisbergen überzeugt mich nicht. Genauere Angaben fehlen.
Zum Namen Emse, der mit Schaumburg nicht zu tun hat, wurde oben schon Stellung genommen.
 
Akzeptiert werden können die Beziehungen der Familie Fülme-Füllstein mit Mähren, die sich in dem oben diskutierten mährischen Burgennamen niedergeschlagen haben.
Spezielle Verbindungen zu Hameln glauben Wann/Scherzer, S. 40 in den Personennamen „Hamel (Hamal) im Boskowitzer Bezirk westlich von Olmütz“, ferner in einem gewissen „Hamelinus aus der nach Bischof Bruno benannten Siedlung Bruntal (später umbenannt in Freudenthal) und vor allem ein Haemler in … Janestorph (Johannesthal, Kreis Jägerndorf)“ erblicken zu können. Nichts davon läßt sich halten. Der Ort Bruntal ist nicht nach Bischof Bruno benannt (s.o.), der Personenname Haemler verrät Umlaut und damit Ableitung von dem altdeutschen Namen Hamilo, Hemilo , bei allen drei Namen kommt eher der Hammel als Übername in Betracht als der Ortsname Hameln.
Unstrittig ist die Herkunft derer von Hemenhusen aus dem Wesergebiet, die nach Olmütz und in die Nähe von Hotzenplotz ausgewandert sind , auch wird man nicht bestreiten können, daß „sich mit Achilles von Heimsen … [und anderen] Bürger und Bauern aus Hameln und Umgebung in Olmütz angesiedelt haben können“ . Und dennoch gibt es gegenüber der The-se, daß der Auszug über die Uckermark nach Pommern erfolgt ist, gewichtige Unterschiede, auf die noch einzugehen sein wird.
Verfehlt ist der Versuch, in dem mährischen Ortsnamen Hombok den Namen derer von Ho-henbüchen (bei Alfeld/Leine) zu sehen (s.o.). Die Familie ist aber in Mähren nachweisbar und offenbar aus Südniedersachsen eingewandert. Eine spezielle Beziehung zu Hameln läßt sich allerdings nicht nachweisen .
Ein Ritter mit dem Namen Eberhard von Horstelau erscheint in der umstrittenen Urkunde von 1264, zu der oben schon Stellung genommen wurde.
Genauere Angaben zu einem Familiennamen Höxter fehlen.
Die Herkunft der Familie von Hückeswagen (an der Wupper) ist unzweifelhaft. Über ihr Wirken in Mähren war schon oben die Rede. Eine besondere Beziehung zu Hameln besteht aber nicht .
Für den Familiennamen Kämmerer sind besondere Beziehungen zum Wesergebiet nicht nachzuweisen.
 
Konrad von Lachdorf erscheint in der strittigen Urkunde von 1264 und war wahrscheinlich Bürger von Minden .
Das Geschlecht von Landisbergen ist an Weser bei Leese und Estorf beheimatet; Hameln liegt weit ab .
Beziehungen zwischen Hameln und Mähren spiegeln sich dagegen in dem Namen des Ritters Tethardus Lothe wieder .
Den Namen des Ortes Meinsen bei Minden trägt offenbar Herbordus de Meynhusen, „der … beim schlesischen Kloster Heinrichau begütert war“ . Aber auch dieser Ort liegt von Ha-meln weiter entfernt.
Auf die Umgebung von Rinteln verweist der von Wann herangezogene Familienname Rottor-pe, nämlich auf die Wüstung Rottorf östlich von Rinteln . Allerdings handelt es sich erneut um einen Beleg der umstrittenen Urkunde von 1264.
Die unzweifelhaft vorhandenen Beziehungen zwischen Schaumburg und Mähren schlugen sich auch darin nieder, daß Nikolaus von Schaumburg 1263 von Bruno ein Lehen zu Choryn bei Wallachisch-Meseritz erhielt .
Nicht ganz so sicher sind die Beziehungen der in Mähren genannten von Spenthove .
Für spezielle Verbindungen zu Hameln nahmen W. Wann und W. Scherzer den Familienna-men Stockvisch in Anspruch . H. Dobbertin hat jedoch mit Recht darauf verwiesen , daß ein Ritter namens Stocvisch 1283 in Diensten der Grafen von Schwerin gestanden hat. Auch zu diesem Gebiet hat Mähren unzweifelhaft Beziehungen unterhalten.
Besser steht es um den 1256 genannten Helmbert de Turri, einen Getreuen Brunos, „der vom Turmhofamt bei Möllenbeck abstammte“ .
Das betrifft auch einen „nicht genauer bezeichneten Beamten Brunos: Johann Vrolenwezen oder Frolebsen aus der Gegend von Hameln, der 1273 mit 10 Hufen zu Katscher bei Troppau belehnt wurde“ . H. Dobbertin meint zwar, daß es sicherlich nicht zutreffe, daß „dieser Knappe Johannes Vrolewezensis (1273) nach der Wüstung Frolibeshusen südlich Hameln benannt sei“ , aber er nennt nur die aus der Wende des 8. bis 9. Jahrhunderts stammende Belegform der Fuldaer Tradition Frolibeshusen, während Formen des 14. Jahrhunderts wie die um 1350 belegte Variante in Vrolevessen , 1365 Vrolevessen  und auch spätere Belege wie z.B. 1534 im Frolevser Feld  doch eindeutig für eine Verbin-dung des Familiennamens mit der Wüstung bei Hagenohsen sprechen.
Verfehlt ist allerdings die Annahme von W. Wann und W. Scherzer , mit der Person Her-mann von Wertinghausen (seit 1273 Erbvogt in Müglitz, 32 km von Olmütz entfernt) ließen sich spezielle Verbindungen mit Hameln als „Angehöriger eines in Hameln vielgenannten Geschlechtes“ herstellen , vgl. die ausführlichen Gegenargumente von H. Dobbertin .

Mährische Personennamen – Auswertung

Damit sind wir am Ende der Betrachtung derjenigen Argumente angekommen, denen Perso-nennamen als Basis zugrunde gelegt wird. Wir konnten einige nicht als Beweis für enge Be-ziehungen zwischen Mähren und Hameln (oder der näheren Umgebung) akzeptieren, aber einige Gleichungen sind sicher und nicht zu erschüttern. Wer sich jedoch in namenkundlichen Arbeiten auskennt, weiß, daß bei der Diskussion von strittigen Beziehungen die Flexibilität von Personen gegenüber der Beharrung von Ortsnamen eine geringere Aussagekraft besitzt. Natürlich kann es keinen Zweifel daran geben, daß es Kontakte zwischen dem Weserbergland und Mähren gegeben hat. Es fragt sich nur, ob es nicht einen anderen Bereich gegeben hat, der zu Hameln und seiner Umgebung engere, festere und (das ist angesichts der mutmaßlichen Datierung des „Auszugs der Hamelner Kinder“ nicht unwichtig) auch nach dem Ende der Tä-tigkeit von Bruno von Schaumburg andauernde Beziehungen unterhalten hat.
Ich übergehe den Glauben von W. Wann und W. Scherzer daran, daß zu unserer Frage Vor-namen etwas beitragen könnten („Vornamen wie etwa Balduin, Christian, Ewerhard, Hen-ning, Herbord, Lambert, Mauriz, Steven, Tilman, Witigo weisen nach Niedersachsen“) , da das zu dünnes Eis ist, um darauf etwas zu bauen, und komme zu einer zusammenfassenden Wertung der Thesen von W. Wann.

Kritik der Mähren-Theorie

Wie schon mehrfach angesprochen, meinte Wann, daß die „Forschungen der letzten Jahre, insbesondere in den mährischen Archiven, … zu diesen einmaligen Beziehungen zwischen der Mährischen und der Westfälischen Pforte ein ganz neues und reichhaltiges Material an Fami-lien-, Orts- und Flurnamen, an Wappen, rechtshistorischen und volkskundlichen Denkmalen [erbrachten]“. Seine Thesen gipfeln in der Behauptung, daß diese Beziehungen „gleichzeitig einen Bestandteil innerhalb eines komplizierten Beweissystems, mit dem der endgültige Ver-bleib der Hämelschen Kinder präzise dokumentiert aufgezeigt werden kann, [bilden]“ . Dar-in stimmte ihm W. Scherzer zu, wenn er in dem Vorwort zur Neuausgabe 1984 meinte: „Die von ihm [W. Wann, J.U.] nach Niedersachsen und Hameln weisenden Belege sind zahlreich und bei weitem reichhaltiger als die Unterlagen früherer Deutungsversuche zur Rattenfänger-sage“ . Daß diese Auffassung nicht zu halten ist, werden wir bei einem Vergleich der Orts- und Personennamen des Wesergebietes mit denen der deutschen Ostsiedlung noch sehen.
Jedoch sind die Auffassungen von W. Wann und W. Scherzer auch bereits von anderer Seite nachhaltig kritisiert worden: „Die von Wann gebrachten Namen überzeugen nicht. Es sind Namen, wie sie in Mittel- und Norddeutschland üblich sind. Überdies wäre auch eine genaue Ableitung der Namen und der Heimat der Träger keineswegs ein stichhaltiger Beweis dafür, daß diese Namensträger unbedingt den Rattenfängerzug mitgemacht hätten“ . Nachdenklich stimmt auch die folgende Bemerkung von A. Cammann : „Im mährischen Urkundenbuch ist nach Dobbertin keine Hamelner Bürgerfamilie des 13. Jahrhunderts genannt, niemand von den Werengisi, Gruelhut, Lotho, von Wenge u.a.m. Dagegen sind sie in Pommern und an der Heerstraße Hameln-Magdeburg-Stettin-Kolberg häufig nachzuweisen“. In dieselbe Richtung geht die knappe Bemerkung von H. Dobbertin: „Hamelner Patriziernamen des 13. Jahrhun-derts hat Wann in oder bei Olmütz nicht nachgewiesen“ . Ebenso bedeutsam sind die An-merkungen von R. Frenzel
und M. Rumpf : „Wann behauptet, es habe sich um die niederen Schichten der Bevölkerung gehandelt. Dazu wäre zu sagen: Diese Bevölkerungsschichten hatten im 13. Jahrhundert noch keine Familiennamen. Die bürgerlichen Familiennamen bildeten sich damals erst langsam beim Patriziat heraus“. Daß die niederen Schichten gerade keinen Anteil an der Siedlung in Mähren hatten, hat auch – vielfach unbemerkt – der so gern von W. Wann und W. Scherzer herangezogene F. v. Klocke Jahrzehnte vorher bemerkt: „So wird durch günstige Urkunden-überlieferung für das Schaumburg-Olmützer Kolonisationsbemühen einmal der westfälische Ritteranteil am Ostunternehmen … nach Umfang und Bedeutung klar erkennbar … Hingegen bleibt der Anteil westfälischer Bauern an der Schaumburger Siedlung in Mähren viel unklarer als der in Holstein“   [Unterstreichung von mir, J.U.]. Hinzu kommt, daß das mit der Ratten-fängersage zusammenhängende Ereignis zeitlich später als die mährische Kolonisation schaumburgischer Adeliger anzusetzen ist. Das unterstrich – ganz unabhängig von der Ratten-fängersage – der von W. Wann und W. Scherzer gern zitierte F. v. Klocke: „Daß der ländliche Siedlungsbereich in Mähren nach Brunos Tod noch nennenswerten Nachschub aus Westfalen erhielt, läßt sich nicht annehmen“ . Ein halbes Jahrhundert später führte G. Schnath diese Tatsache als für ihn wichtigstes Argument gegen die Mährenthese an: „Anläßlich des 61. Nie-dersachsentages in Hameln 1980 [lehnte] … Schnath … Wanns Auslegung ab, weil die Besied-lung des Bistums Olmütz schon 1240/50 stattgefunden habe“ .
Bischof Bruno starb 1281. Der Einfluß aus dem Wesergebiet ließ rapide nach. W. Wanns Be-hauptung, im 13. Jahrhundert habe „von den … zur engeren Wahl stehenden fünf Ländern: Neumark, Brandenburg, Oberschlesien, Westgalizien, Nordmähren und Oberungarn … letzt-lich nur eine einzige Landschaft … zur fraglichen Zeit nachweisbar enge und in ihrer Art auf-fallende Kolonisationsbeziehungen zumindestens zur unmittelbaren Hamelner Nachbarschaft unterhalten …: das einen Bestandteil Alt-Mährens bildende Olmützer Bischofsland“ , ist falsch und entschieden zurückzuweisen. Sie berücksichtigt nicht die entscheidende Bedeutung der Schlacht bei Bornhöved (1227). Die Niederlage des dänischen Königs führte zum Zu-sammenbruch der dänischen Vormachtstellung und zum Aufstieg des deutschen Ostseehan-dels. Die Barrieren für die deutsche Ostsiedlung, vor allem in die ostseenahen Länder Meck-lenburg, Pommern, Ostpreußen und in das Baltikum, waren durchbrochen. Dieses sollte sich auch in den Orts- und Flurnamen dieser Gebiete niederschlagen und ist deshalb von erhebli-cher Bedeutung, weil für W. Wann die aus dem Namenmaterial erarbeiteten Parallelen die entscheidenden Argumente für Mähren als Ziel des „Rattenfängerauszuges“ darstellen. Diese Tatsache sind auch von Kritikern der Wannschen These nicht immer genügend beobachtet worden.

Die Gegenposition: Pommern und benachbarte Gebiete

Wir hatten bereits gesehen, daß W. Wann auf onomastischem Gebiet entscheidende und schwerwiegende Fehler unterlaufen sind. Von seinem Material bleibt nur im Bereich der Per-sonennamen Belastbares übrig. Ganz anders sieht es dagegen bei einem Vergleich der Namen des Weserberglandes und dessen Umgebung mit denen Pommerns, der Uckermark und weite-rer Ziele der deutschen Ostkolonisation aus. Dazu soll jetzt übergegangen werden.
Es darf schon hier bemerkt werden, daß ich im wesentlichen mit der Meinung von H. Dobber-tin übereinstimme, der in zahlreichen Beiträgen  den Nachweis zu erbringen versuchte, daß die Beziehungen des Hamelner Raumes mit denen Pommerns und den angrenzenden Gebieten viel enger als mit denen Mährens waren. Es wird allerdings auch darauf verwiesen werden müssen, daß ihm – ebenso wie W. Wann – bei der Behandlung der Orts- und Personennamen schlimme Fehler unterlaufen sind.
Die mit der deutschen Ostsiedlung verbundenen Aspekte sind vielfach behandelt worden. Ich werde darauf nur am Rande eingehen und nur insoweit, wie sie für das Weserbergland und den Hamelner Raum von Bedeutung sind. Hinweise dazu fand ich vor allem in den Beiträgen von C. Krollmann , F. Bertheau , E. Weise , F. Morré , W. Kuhn  und in dem Sam-melband Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte .

Ortsnamen

Uns soll im folgenden nur der namenkundliche Aspekt beschäftigen, vor allem die Frage, ob die nach Osten wandernden Siedler durch mitgenommene Namen etwas zu ihrer Herkunft aussagen können. An erster Stelle stehen dabei die Ortsnamen.
 
Durch die fortschreitende Bearbeitung der mitteldeutschen Namen sind die Vergleichsmög-lichkeiten in der letzten Zeit erheblich besser geworden. Nicht zuletzt durch die Arbeiten am Brandenburgischen Namenbuch  ist die Basis für Vergleiche zwischen westdeutschen und mitteldeutschen Namen erheblich verbessert worden. Dabei haben sich die Autoren auch den Namenübertragungen zugewandt; jeder Band des Brandenburgischen Namenbuchs enthält einen Abschnitt, in dem mutmaßliche Namenentsprechungen diskutiert werden. Weiterhin ist eine im Druck befindliche zusammenfassende Studie von S. Wauer mit reichhaltigen Litera-turangaben zu berücksichtigen , in der die Problematik der Namenübertragung am Beispiel der Uckermark ausführlich behandelt worden ist.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen soll zu einzelnen Ortsnamen, die im Zusammenhang mit der deutschen Ostsiedlung als Übertragungen diskutiert worden sind und Hinweise auf die Herkunft der Siedler geben könnten, übergegangen werden.
1.) Altfelde bei Marienburg. H. Dobbertin vermutete , „‘daß der Vogt Johann von Alfeld 1283 in Masuren als Vasall des Grafen Nikolaus von Spiegelberg verschollen ist’, auch mit weiteren genealogischen Perspektiven, z.B. auf Gründung des Dorfes Altfelde bei Marien-burg“. Diese Gleichsetzung ist in jeder Hinsicht verfehlt, sowohl hinsichtlich des ON. Alfeld (Leine), der mit niederdeutsch old „alt“ nichts zu tun hat, wie auch des ON. Alt(en)feld(e) bei Marienburg, heute polnisch Stare Pole, 1330 Aldenvelt, 1398 Aldefeld, 1565 Althfelth alias Stare Pole usw. . Schon an diesem einen Beispiel kann man sehen, daß auch den Gegnern der Mähren-These W. Wanns auf namenkundlichem Sektor grundlegende Kenntnisse fehlen.
2.) Altschaumburg an der Oder (nördlisch von Küstrin), 1460 Schawenborch, heute polnisch Szumi³owo, ist von H. Dobbertin zunächst  als „nach den beiden gleichnamigen Grafenfami-lien des Weserberglandes benannt“ aufgefaßt worden. Später präzisierte er diese Angabe und sah in dem Ortsnamen einen Bezug auf die Brandenburger Markgräfin Heilwigis von Schaumburg-Holstein . In jedem Fall ist seine Bemerkung wichtig, daß der Name nicht be-weise, daß „die Grafen von Schaumburg-Holstein einseitig die Olmützer Kolonisation unter-stützt haben“ .
 
3.) Verschiedentlich ist vermutet worden, daß der nahe bei Hindenburg (zu diesem Namen s. unten) in der Uckermark liegende ON. Baßdorf von Lippe übertragen worden sei . Dabei ist aber der westfälische Vergleichsname nicht genannt worden, ich vermute, daß man an Bas-dorf, eine Wüstung bei Minden, oder an Basdorf bei Korbach (Hessen-Waldeck) gedacht hat. In jedem Fall muß der Vergleich aufgegeben werden, da die alten Belege für Baßdorf (Uckermark) 1335 Bartoldesdorp, 1375 Bartilsdorp, 1486 Berstorff, 1527 Bergestroff usw., um 1720 Barsdorff , eindeutig auf Ableitung von einem stark flektierenden Personennamen Barthold weisen , während die beiden westdeutschen Toponyme ganz anderer, z.T. noch ungeklärter Herkunft sind: Basdorf bei Korbach in Waldeck ist nach dem Westfälischen Ur-kundenbuch, den Zusammenstellungen bei Erhard, Regesta Historiae Westfaliae und anderen Quellen alt nur überliefert als Barstorp, Borstorp. Eine Ableitung von Berthold, Barthold liegt keineswegs vor. Die ältesten Belege für die Wüstung Bastorpe bei Minden am Bach Bastau sind 1181 Bastorpe, ca. 1191 Basthorpe , worin E. Förstemann  vielleicht mit Recht eine Ableitung von dt. Bast sieht. Die Verbindung mit dem Osten ist m.E. nicht überzeugend.
4.) In dem ON. Beweringen, heute poln. Bobrowniki (Stargard), einem ON. bei Marienfließ, poln. Marionowo (östlich von Stargard), sieht H. Dobbertin  mit Recht eine Übertragung von Beveringen bei Pritzwalk und weiter von Beverungen an der Weser. Jüngere Untersu-chungen bestätigen diese Auffassung nachhaltig. So hat S. Wauer den ON. Beveringen bei Pritzwalk behandelt und ihn aufgrund der alten Belege 1368 Beueringhe, 1376 in Beueringen usw. als Übertragung von Beverungen an der Bever bei Höxter angesprochen. Wichtig ist ihre Bemerkung, daß keine Bildung „PN. Bever ,Biber’ + -ingen“ vorliegen kann, „da zur Zeit der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung Namen mit dem Suffix -ingen nicht mehr gebildet wurden“ . Zum ON. Beverungen an der Weser, 826-876 Beuerungen, am Rand: Beuerun-gen, 1155 de curia Beueringen, (1162) de curia Beveringen, (1205-16) Heinricus de Beverun-gen, (1223-54) Conradus de Beverunge, 1238 (K.) Conrado de Beverungen, 1252 Conradus de Beuerungen, 1252 Conradus de Beuerunge, 1256 dictus de Beuerungen, 1300 (oder 1306) (A.) in Beverungen, 1266 Bertoldus de Beverungen, 1262 miles de Beverungen, 1283 villa Beuerungen, (vor 1284) in inferiori Beverungen (Nieder-
Beverungen), 1284 in minori Beverungen (Nieder-Beverungen), 1399 an Beverungen , einer hochaltertümlichen Ableitung zum Flußnamen Bever, habe ich an anderem Ort Stellung ge-nommen . Der Wechsel zwischen -ing- und -ung- ist häufiger zu beobachten; man kann im allgemeinen eine Entwicklung von -ung- > -ing- feststellen. Die Beobachtung von S. Wauer ist deshalb so bedeutsam, weil es sich bei den Namen in der Prignitz und in Pommern auf-grund des nicht mehr produktiven Suffixes nur um eine Namenübertragung handeln kann und nicht um Schöpfungen aus dem lebendigen Wortschatz.
5.) Dem Vorschlag von L. Enders , in der Namenparallelität Bischofshagen, Wüstung bei Greiffenberg (Uckermark) – Bischofshagen (bei Löhne in Westfalen) eine Übertragung aus dem Westen zu sehen, ist S. Wauer gefolgt . Bischofshagen bei Greiffenberg ist wie folgt belegt: 1375 Byscoppeshaghen, 1416 to Byschopshagen, 1481 zu Bischofshagen, 1498 zu pi-schoffeshagen usw. , für Bischofshagen in Westfalen habe ich einen Beleg von 1318 in den Bischopeshagen …  gefunden . Zu weiteren -hagen-Ortsnamen wird weiter unten noch Stellung genommen.
6.) Bei jedem Namen ist sorgfältig zu prüfen, ob die Verbindungen korrekt sind. Nach S. Wauer ist der Versuch von L. Enders , den uckermärkischen ON. Boisterfelde („bis ins 19. Jahrhundert hinein „Biesterfelde“ gesprochen …“), auf Biesterfeld in Westfalen (südlich von Lügde bei Bad Pyrmont) zurückzuführen, abzulehnen, denn dieser „kann nicht auf Biester-feld/Westfalen zurückgehen, da dieser Ort weit jünger ist“  . Für sich genommen ist das rich-tig, aber offenbar sind die Verhältnisse bei dem westfälischen Namen etwas komplizierter. Klar dürfte sein, daß der uckermärkische Name auf altes Bi(e)sterfeld zurückgeht: 1375 Bis-tervelt, 1528 Biestenfeldt, 1629 Biesterfeldt (FlurN.) .
Der westfälische Name Biesterfeld südlich von Bad Pyrmont geht auf eine Meierei zurück, die (zusammen mit anderen) zur Zeit von Simon VI. im 16. Jahrhundert entstanden ist . Zu be-achten ist aber sowohl eine Adelsfamilie Lippe-Biesterfeld, die Graf Jobst Hermann (1625-1678) begründet hat, wie auch der alte und bisher nicht sicher erklärte Wüstungsname Biest bei Lemgo, 12. Jahrhundert und später Bist, Biest, der auch dem Biesterberg und der Biestermark bei Lemgo seinen Namen gegeben hat. Auch als Familien-name erscheint diese Bezeichnung, z.B. 1293 als Iohanne de Bist  .
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß Boisterfelde in einer Beziehung zu Biest, Biester-berg, Biestermark und auch Biesterfelde steht, wobei zuzugestehen ist, daß von diesen Bies-terfelde der jüngste Name in Lippe zu sein scheint. Die Familie Lippe-Biesterfeld muß jedoch ihren Namen auch aus dieser Gruppe erhalten haben. Ich meine, man kann die Verbindung mit Boisterfelde aufrecht erhalten, zumal weitere Übertragungen in den benachbarten Ortsnamen Hindenburg und Hammelspring (zu beiden s.u.) vorliegen.
7.) Auf Beziehungen zwischen Bischof Bruno und Ostpreußen weisen Wann/Scherzer selbst hin: dessen Teilnahme an einem Feldzug „scheint  mit der Benennung der wohl 1254 gegrün-deten Stadt Braunsberg (Brunsberg) im preußischen Ermland honoriert worden zu sein“ . Allerdings ist diese weit verbreitete Annahme mit einem kleinen Fragezeichen zu versehen: Braunsberg, heute poln. Braniewo, ist bereits 1249 in der Form Brusebergue überliefert, er-scheint zwar 1254 als Brunsberg, dann aber (1274-75) wieder etwas abweichend als Brunen-berch, und gewinnt erst später Stabilität in den Formen Brunsberg, Braunsberg . Während K. Rymut nur darauf verweist, daß 1249 eine Bezeichnung für ein preußisches Dorf vorliege, hat S. Rospond wohl mit Recht in dem Beleg von 1249 einen preußischen Namen gesehen, der dann von den deutschen Kolonisten an den Namen Brunos angeglichen worden sei („na-dali mu pr. m. [den preußischen Namen, J.U.] przeinaczaj¹c nazwê na niem. Brunsberg ku czci œw. Brunona“). Ganz so sicher ist also die Verbindung mit dem Namen Brunos nicht .
8.) Auf Beziehungen zur Weser weist aber der ON. Dahlhausen bei Pritzwalk in der Prignitz hin. Seine historischen Belege (1487 dat dorp Dalehusen, 1503 Dallhusen, 1581 Dalhausen, 1601 Dahlhausen, 1652 Dalhausen) stützen die von S. Wauer  angenommene Übertragung von Dalhausen bei Beverungen an der Weser, 9.-11. Jh. (auch Kopie 1479) Daelhusen. Nicht zuletzt die Nähe zu Beverungen bzw. Beveringen bei Pritzwalk spricht nach ihrer Ansicht für diese Auffassung.
9.) Ähnlich verhält es sich mit dem ON. Eberstein bei Naugard, heute poln. Wojcieszyn. Es handelt sich zweifelsfrei um eine Übertragung, die auf Burg, Herrschaft und Familie (von) Everstein bei Holzminden zurückgeht. Ausführlich hat  sich dazu und zu den intensiven Verbindungen der Familie mit Pommern H. Dobbertin geäu-ßert , man vergleiche auch die Ausführungen von A. Hofmeister .
10.) Daß man seine Phantasie auch gelegentlich zügeln muß, zeigt der ON. Fanger, jetzt poln. Wêgorza, bei Naugard, 1461 Vanger. Daß diesem ON. slavisch *vo gorü „Aal“ zugrunde liegt, hätte schon ein Blick in die wirklich nicht unbekannten Arbeiten von R. Trautmann  gezeigt; auch für H. Dobbertin  ist dieses ein „zweifellos slavischer Ortsname“. Dennoch hat auch er damit spekuliert, dieser Name könne in Verbindung mit den benachbarten Pipenborg und Ro-den Vehr zur Namenbildung und Vorstellung von einem „Rattenfänger“ und „Piper“/¬Pfei¬fer beigetragen haben . Noch weiter ging A. Cammann mit der Vermutung, ob sich nicht „aus dem Herrschaftsnamen Roden Vehr – Fanger der Beiname Rattenfänger [hätte] bilden können für jenen Nikolaus …? Das sind gewagte Thesen, aber des Nachdenkens wert“ . Diese Spe-kulationen führen viel zu weit, selbst wenn man zugestehen muß, daß die hier angesprochene Gegend von Hameln aus besiedelt worden ist .
11.) Fraglich ist auch die Ansicht von H. Dobbertin , der Name der Familie von Mansfeld-Friedeberg (Vredeberch, Vriberch) lebe angeblich in etlichen Ortsnamen der Neumark, Schlesiens und Mährens fort, so in 1. Friedeberg, poln. Strzelce Krajeñskie (in der Nähe auch Mansfelde, heute poln. Lipie Góry, also wahrscheinlich übertragen von Mansfeld), nahe der Netzemündung, 1272 (Strzelecz), 1334 Vredebreg, 1433 Strzelcze, 1440 Strzelce ,  2. in Friedeberg, heute poln. Mirsk, bei Grünberg, 1337 Fridberge, 1346 Frideberg, 1687 Frid-berg , 3. in Hohenfriedeberg bei Striegau, heute poln. Dobromierz, 1565 Hochfridberg usw. , 4. in Friedeberg am Altvatergebirge, èechisch Frýdberk, heute ?ulová, 1325 Vredberg, 1348 castrum Vredberg usw.  und schließlich 5. in Frideberch, èechisch Místek bei Mähr. Ostrau, 1267 Frideberch, 1288 Vridberg usw. .
Eine Überprüfung der einschlägigen onomastischen Literatur (S. Rospond, K. Rymut, Hosák-Šrámek) zeigt, daß die genannten Namen kaum anders als als typische „Gründungsnamen“ mittelalterlicher Städte  aufgefaßt werden können und zu dt. Friede und Berg bzw. Burg gehört. Damit wird in diesem Fall – unbeabsichtigt – die Möglichkeit einer Verbindung zwi-schen dem Mansfeldischen und Nordmähren, die W. Wann und W. Scherzer vielleicht nicht unwillkommen gewesen wäre, höchst unwahrscheinlich.
12.) Ebenfalls zurückzuweisen ist die von L. Enders  vermutete Beziehung zwischen Fürs-tenau in Westfalen und Fürstenau in der Uckermark, man vergleiche die Kritik von S. Wau-er .
13.) Ganz anders steht es mit den -hagen-Ortsnamen, deren besondere Problematik in Ver-bindung mit dem Hägerrecht hier gar nicht diskutiert werden soll . Wichtig sind hier nur Verbindungen zwischen -hagen-Namen. So betonten W. Wann und W. Scherzer , daß Wüs-tenhagen im Olmützer Gebiet besonders an die „in der Grafschaft Schaumburg zahlreichen  hagen-Siedlungen – ehemalige Rodungssiedlungen – …“ erinnere.
Setzt man dem die Verhältnisse in Brandenburg, Pommern, der Neumark und weiteren durch die deutsche Ostsiedlung erreichten Territorien gegenüber, so zeigen einige Zitate den bedeu-tend größeren Umfang: „Fast ganz auf das pommersche Uckerland beschränkte sich bei der Namenbildung die Verwendung des Grundwortes -hagen. Es verweist auf westfälischen Sied-lungseinfluß, der von Schaumburg-Lippe ausgehend über Mecklenburg und Pommern anhand zahlreicher Namenbelege erkennbar und unter pommerscher Herrschaft bis in die Uckermark gelenkt worden ist“ , „Planmäßige Hagensiedlungen entstanden, von Schaumburg-Lippe ausgehend, in Mecklenburg und Pommern, vorwiegend an der Ostseeküste und am Oderhaff, doch auch im Binnenland, vornehmlich auf dem Territorium der Fürsten von Werle-Güstrow, in einem breiten Landstreifen zwischen Müritz- und Kummerow-See bis zur Tollense hin. Die unter pommerscher Herrschaft bis 1250 im Uckerland vollzogene Gründung der Hagen-Dörfer kann nicht isoliert von diesem Trend geschehen sein, zumal die Siedler zu einem Teil aus dem westfälischen Hagen-Gebiet stammten“ . Speziell zur Uckermark bemerkt S. Wauer : „Das im nördl. Teil der Ucker-mark häufig vertretene GW steht mit dem Siedlungszug von Westfalen nach Mecklenburg und Pommern in Verbindung“.
Eines der Ausgangsgebiete hat jüngst W. Laur namenkundlich bearbeitet  und zur Verbrei-tung ähnliche Schlußfolgerungen gezogen: „Die ersten Erwähnungen von -hagen-Namen fin-den wir in Westfalen … Von hier aus haben sie sich wohl mit den Schaumburgern nach Schleswig-Holstein verbreitet und vom östlichen Niedersachsen weiter nach Nordosten“ . Man vergleiche dazu auch die Ausführungen von R. Weiß  und F. Engel .
Ich denke, daß diese Bemerkungen ausreichen, um die intensiven Kontakte des Wesergebietes mit dem Nordosten deutlich zu machen. Spärliche Spuren nach Mähren können das nicht aus-gleichen.
14.) Hameln und dessen engere und weitere Umgebung stand bei den bisherigen Namenparal-lelen schon des öfteren zur Debatte. Daß sich dieses in der Diskussion um die Beziehungen des Mutterlandes mit den ostdeutschen Kolonisationsgebieten gut einpassen läßt, machen ei-nige Zitate deutlich. Dem zwanzig Kilometer entfernten Kloster Wülfinghausen schenkt 1250 der Herzog Barnim von Pommern seine Kirche in Pyritz (südlich von Stargard). „Der Geleit-brief des Erzbischofs von Magdeburg zeigt, daß Vertreter des Klosters in der betreffenden Zeit im Osten unterwegs waren, um Stiftungen zu erhalten …“ . Die ungewöhnliche Bezie-hung blieb in den historischen Quellen ohne Folgenotizen, aber der Vorfall als solcher ist schon bemerkenswert. Für die nördliche Uckermark unterstreicht L. Enders , daß sie „von Norden und Nordwesten her aus dem holsteinisch-mecklenburgischen und westfälisch-niedersächsischen Raum beeinflußt“ ist . Schon seit 1158 holte „Erzbischof Wichmann von Magdeburg … Kolonisten, unter anderm aus Flandern und Westfalen, in seine ostelbischen Besitzungen“ .
 
In dieses Umfeld gehört wohl eine der auffälligsten Namenparallelen  zwischen dem Hamel-ner Gebiet und dem Nordosten: die Verbindung zwischen Hamelspringe im Kreis Hameln-Pyrmont und Hammelspring in der Uckermark.
Hamelspringe am Süntel westlich von Bad Münder erscheint seit 1163 mit geringen Schwan-kungen als Hamelspring, in Verbindung mit Personennamen als Hamelspringe und Ha-melsprynghe . Die Deutung des Namens ist einfach: hier entspringt die Hamel, die später bei Hameln in die Weser mündet. Dieser durchsichtige Name ist in die Uckermark übertragen worden  und heißt dort heute Hammelspring (bei Zehdenick). Der älteste Beleg stammt aus dem Jahr 1375: Havelspryng, wenig später (1438) erscheint Hamelspringe . Der erste Beleg suggeriert, daß hier die Havel entspringen würde; diese liegt jedoch etliche Kilomter entfernt und spielt für den Namen des Ortes keine Rolle . Die Übertragung des ON. darf als gesichert bezeichnet werden . Es besteht Grund zu der Vermutung, daß Conrad II. von Hamelspringe entscheidend bei der Kolonisation in die Gebiete nördlich von Berlin mitgewirkt hat . In der Chronik von Hamelspringe heißt es dazu bei H. Schiffling: „Auf der damals kürzesten Wege-verbindung in den pommerschen Kolonisationsraum, über Magdeburg, Brandenburg, Havel-berg, Stettin in die Siedlungsgebiete Gollnow-Hindenburg-Naugard, mußte man hinter Havel-berg über das Kloster Zehdenick und Prenzlau. Zwischen diesen beiden Städten gibt es unter anderen Angerdorfgründungen zwei Orte namens Hindenburg und einen Ort Hammelspring. Es besteht die Vermutung, … daß die Gründung von Hammelspring und die Orte Hindenburg auf das siedlungsunternehmerische Betreiben Conrads II. von Hamelspringe zurückgeht“ .
15.) Die nötige Sorgfalt im Umgang mit den Namenmaterial ist vor allem in umstrittenen Fäl-len besonders wichtig. H. Dobbertin glaubt, einen 1254 in Riga erwähnten Begleiter des Gra-fen Adolf von Schaumburg mit dem Namen Heyde 
von Heyen bei Bodenwerder herleiten zu können . Vergleicht man damit die etwa zeitgleich belegten Formen dieses Ortsnamens im Kreis Holzminden (1197 Heigen , 1304 (Kopie) in Eygen , 1310 (Kopie 17. Jh.) in Heyen , 1313 Heyen , 1316 Heyen  usw. ), so wird deutlich, daß diese Interpretation zurückzuweisen ist.
16.) Die schon genannten Orte Hindenburg sind ein weiterer wichtiger Aspekt in den Verbin-dungen des Weserberglandes mit dem Nordosten. Ausgangspunkt ist nach H. Dobbertin  und anderen die bei dem heutigen Ort Hinnenburg, Ortsteil von Brakel westlich von Höxter, früher gelegene Burg und um 1265 von Edelherrn Bertold von Brakel gegründete Herrschaft Hindenburg , 1237 Bertoldus de Hindeneburg, 1238 de Hindeneburg, um 1254 de Hindene-borgh, 1267 castrum Hyndeneborch usw.  Die „Familie Hindenburg stammt aus der Gegend von Beverungen“, heißt es knapp bei A. Cammann .
Mit hoher Wahrscheinlichkeit finden sich Übertragungen des Ortsnamens in den östlichen Kolonisationsgebieten in folgenden Orten wieder:
a.) Hindenburg, heute poln. Koœciuszki , bei Naugard, 1317 territorium Hyndenborch, 1331 castra … Hindenborgh usw. , nach H. Dobbertin  von Hameln aus besiedelt und ur-sprünglich Wohnsitz der Familie von Hindenburg .
 
b.) Hindenburg bei Stendal in der Altmark , wo nach S. Wauer  eine Burg nachzuweisen ist, 1283 jhm dorffe Hindenburg, 1327 ville Hindenburg, 1441 dorffe zcu Hindenborg, 1464 Conrades to hindenborch, 1471 to hyndenborch (2mal) , nach H. Dobbertin  vermutlich gegründet um 1208, da in diesem Gebiet 1208 ein Reynerus de Hindenburg bezeugt ist .
c.) Lindenhagen bei Prenzlau, erst 1949 umbenannt aus Hindenburg, 1269 Fredericus de Hyndenborg, 1321 in villa Hindenborch . Eine Übertragung des Namens aus Westfalen nehmen auch L. Enders  und S. Wauer  an.
d.) Hindenburg bei Templin, 1369 tu Hindenborch bi Templin, 1375 Hyndenborch usw.
auch erwähnt 1438/73,  wo keine Burg nachzuweisen ist . Dieses Dorf ist nach H. Dobber-tin  besonders interessant: „es wird nämlich 1438 und 1473 – zusammen mit dem unmittel-bar westlich angrenzenden Dorfe Hammelspring – als Zubehör des Schlosses Zehdenick … erwähnt“. Eine Übertragung des Namens aus Westfalen nehmen auch L. Enders  und S. Wauer  an.
e.) Nicht ganz sicher ist, ob hier auch Hindenberg bei Neuruppin einzureihen ist. Die Überlie-ferung zeigt kein Grundwort -burg: 1365 domus hindenberghe; Nycolaus hyndenberch, 1520 die veltmarckenn hindenbergk …, 1540 der feldtmarck hinneberg . Vielleicht liegt eher eine Bildung „hinter (dem) Berg“ vor“.
Ich halte es für möglich, daß hier auch
f.) Hindenberg bei Luckau in der Niederlausitz anzuschließen ist. Dessen Überlieferung weist nicht auf -berg, sonder auf -burg: 1411 Hindenburg, 1482 Hindberg, Hindeberg, 1525 Hin-denborg, Hindenborg, Hindenborgk, [1527] Hindebergk. S. Körner, aus dessen Arbeit  die Belege stammen, etymologisiert den Namen als „Siedlung am Hirschkuhberg zu ahd. hinta ,Hirschkuh’“.
 
Fern bleiben Hindenburg in Oberschlesien, früher und jetzt Zabrze, und Hindenburg, Kr. La-biau in Ostpreußen, früher Groß-Friedrichsgraben, die zu Ehren des Feldmarschalls Hinden-burg (der zwar aus der Familie derer von Hindenburg stammt, was für unsere Frage aber ohne Bedeutung ist) so benannt worden sind .
17.) Nicht immer kann man jedoch den Ausführungen von H. Dobbertin, die im Fall des Ver-gleichs der Hindenburg-Orte überzeugen, folgen. So sind ihm bei dem Versuch , den ON.  Hohenbocka bei Senftenberg, angeblich bezeugt seit 1351, als eine Gründung des in Quellen zwischen 1231 und 1277 erscheinenden Hildesheimer Edelherren Ulrich von Hohenbüchen zu deklarieren, schwere Fehler unterlaufen. Dieser Adelige trägt den Namen des Dorfes Hohen-büchen im Kr. Holzminden, dessen alte Belege nach H. Kleinau  und anderen zunächst in latinisierter Form auftreten (1209 Conradus de Alta fago, 1211 Conradus de Alta fago; 1214 Conradus de Alta fago usw.), wenig später erscheint der Name in deutscher Form (1219 Con-radus de Honboken), was zeigt, daß der Name schon immer aus zwei Elementen (hoch + bo-                      k- „Buche“) bestanden hat.
Ganz anders dagegen Hohenbocka. H. Dobbertin hätte bei E. Eichler und H. Walther  nach-lesen können, daß die ältesten Formen des Namens seit 1451 Bugkow, Bockow, Bockaw, Bu-cke usw. lauten, daß er slavischer Herkunft ist und „das differenzierende Hohen- … erst im ausgehenden 16. Jh. an den Namen an[trat]“. Der Vergleich ist daher zu streichen.
Ebenso verfehlt ist H. Dobbertins Glaube, daß „das Dorf Hombok östlich Olmütz … vermut-lich seinen Namen [d.h. den von Ulrich von Hohenbüchen, J.U.]“ trägt . Der Blick in das Standardwerk der mährischen Onomastik  zeigt, daß der Name einwandfrei zu èechisch hluboký „tief“ gehört: 1364 parua Hluboky, 1365 Hlubiczki (!), 1391 mediam villam Hlubecz-keho. Ein Zusatz Hohen- erscheint erst sehr viel später: 1691 Hohnbockh. Damit bleibt auch dieser Name fern.
Daß allerdings auch in diesem Fall die Verbindungen des Wesergebietes mit dem deutschen Osten eine weitere Stütze erfahren können, erweist der in einer auf dem Zobten ausgestellte Urkunde von 1242 erwähnte Vlricus de alta fago , der mit Hohenbüchen im Kr. Holzminden zu verbinden ist und offensichtlich identisch ist mit den Nennungen in folgenden Belegen: 1240 Olricus de Alta fago , 1248 Olricus de hon-boken .
18.) Eine onomastische Perspektive enthält auch die Diskussion um einen Teil der Inschrift am Hamelner Rattenfängerhaus. Es ist die Passage To Calvarie bi den Koppen verloren. Auf die verwickelten Verhältnisse der Überlieferung will ich hier gar nicht eingehen. Vielleicht hat dieser Zusatz sowieso nur eine untergeordnete Bedeutung, denn in der Lüneburger Fassung ist „die Ortsbezeichnung Koppen, die mit Kopahn, einem Johanniterhof bei Rügenwalde gleich-gesetzt wird“, nicht erwähnt .
Daran scheitert wahrscheinlich auch schon die These von G. Spanuth, daß die Kinder beim Tanzen auf der Brücke „in den Koppen“ versunken seien. Es bleibt aber das Problem: was war oder ist bi den Koppen?
Einige sehen darin einen Flurnamen bei Hameln, so W. Wann , der einen Beleg von 1356 Die sogenannten Koppen für den Ausgangspunkt hält und andere Namenformen wie Der Koppen, Koppenberg, Köpfelberg als spätere und jüngere Formen für weniger belastbar er-klärt.
Nach G. Spanuth  muß Koppen „ein ganz bestimmter, eng begrenzter topographischer Beg-riff sein, der auch als Ortsname Coppenbrügge zur Erklärung herangezogen werden muß. Mit-telniederdeutsch kopp m. heißt ,Becher, Hirnschale’ und geht erst allmählich im 17. Jh. in die Bedeutung ,Kopf, Bergspitze’ über. Dafür steht mnd. höved = hd. haupt …“.
In eine ganz andere Richtung gehen Vermutungen von A. Cammann, H. Dobbertin, C. Soete-mann  und anderen. Sie entdeckten den Ort Kopahn, poln. Kopañ, bei Rügenwalde, der „1270 bis 1294 urkundlich als Johanniterhof (Cuppen, Kopan, Cvpan usw.) bezeugt [ist], be-vor die Johanniter nach (Alt )Schlawe übersiedelten. Das heutige Dorf Kopahn liegt in Küs-tennähe am Nordhang einer bis mehr als 40 Meter über den Meeresspiegel ansteigenden An-höhe nördlich von ,Kopfberg’ der Stadt Rügenwalde, die 1270 durch Fürst Wizlaw II. von Rügen(-Stralsund) auf dem Berge ,Thirlou’ (Darlow) westlich Kopahn gegründet ist … und 1312 auf den heutigen Platz an die Wipper verlegt wurde“ . Allerdings gibt es Identifizie-rungsprobleme, wie H. Dobbertin  selbst einräumt: „Ob Kopahn, wie Lisch (Namenregister zum Meckl. UB. I-IV) meinte, mit dem bis 1294 bezeugten pommer-schen Johanniterhof Kopan gleichzusetzen ist, der in Gollnow bei Stettin begütert war, muß dahingestellt bleiben“.
Auch in diesem Komplex sind einige Korrekturen vorzunehmen. Nach F.C. Müller  gibt die Bezeichung bi den Koppen „einen Hinweis auf die Wanderrichtung der aus Hameln entführten Kinder, die die Stadt durch das Osttor verließen. Die Koppen (= Kuppen) sind Hügel ostwärts des mittelalterlichen Hameln, jetzt in das Stadtgebiet einbezogen, im Zuge von Eisenbahn- und Industriebauten eingeebnet“. Dem wird man vielleicht zustimmen können, kaum aber den Folgerungen in einer damit verbundenen Bemerkung, „die Bezeichnung Koppe … wiederholt sich für Berge in Schlesien und im Sudetenland, wie zum Beispiel Schneekoppe“.
Es ist unzulässig, aus der zufälligen Ähnlichkeit der Hamelner Koppen mit einem slavischen Ortsnamen bei Rügenwalde (Kopahn – Kopañ) oder dem Namen der Schneekoppe Folgerun-gen zu ziehen. Koppe ist eine Nebenform zu Kuppe, es „ist ein typisches Wort Mitteldeutsch-lands zur Bezeichnung von Bergen …, das … vor allem durch rheinische und hessische Siedler nach dem Osten bis ins Riesengebirge getragen wurde“ , das sich in Dutzenden von Namen findet (eine Verbreitungskarte bietet die in der Anmerkung genannte Arbeit von C. Kandler auf S. 69). Allein 45 Namen bietet diese Arbeit auf S. 121f. für Mitteldeutschland. Der Ver-such, aus diesen eine etwaigen Vergleichsnamen für bi den Koppen zu finden, ist ohne Sinn.
19.) Besser steht es wahrscheinlich um die Vermutung von H. Dobbertin , der ON. Leine bei Pyritz (heute poln. Linie) sei „benannt von der Leine“. Ältere Belege zu dem ON. habe ich nicht gefunden, aber eine Ortsnamenform auf niederdeutschem Gebiet, die einen Diphthong  ei- enthält, erfordert immer besondere Aufmerksamkeit. Nicht klar ist mir, ob der Name einer gut bezeugten adeligen pommerschen Familie von der Leine, de Leine, Leyne mit dem Orts-namen in einen Zusammenhang gehört oder ob die folgenden Belege des Familiennamens direkt an die Leine, Zufluß der Aller angeschlossen werden können: 1248 Theodericus de Lei-ne, 1248 (Kopie 1560) Theodoricus de Leine, 1250 (Abschrift 16. Jh.) Teodoricus de Leine, 1320 Theodericus de Leyne, 1320 Theodericus de Leyne, 1320 Thidericus de Leyne . Da sich ein slavischer Anschluß für diesen Ortsnamen nicht findet, halte ich die Vermutung H. Dobbertins – gleichgültig, ob der Familienname dem Ort dem Namen gab oder nicht – für ge-rechtfertigt.
20.) Nur am Rand will ich – da es weniger um das Wesergebiet geht – auf einen weiteren Ver-gleich eingehen. A. Poschmann hat  auf der Grundlage einer älteren
 
Arbeit  für sicher angesehen, daß Lichtenau, 15 km südöstlich Paderborn, 131(2?) in castro Masenheim sive Lechtenowe  (ein offensichtlich jüngerer Ortsname, der durch Zusammen-legung von Dörfern und Stadtgründung neben dem alten Kirchort entstanden ist ), der Na-menpate für Lichtenau im Ermland bei Braunsberg (heute polnisch Lechowo) gewesen ist.
Dessen darf man sich aber nicht sicher sein. Es gibt genug Orte, die den Namen Lichtenau tragen und ebenfalls für eine Übertragung in Frage kämen. Noch wahrscheinlicher ist aber, daß es sich um voneinander unabhängige Bildungen mit der Bedeutung „Ort in der hellen, freundlichen, belichteten Aue“ handelt. Der Ortsname ist zu untypisch, um belastet werden zu können. Hinzu kommt, daß Lichtenau in Ostpreußen bereits 1254 genannt ist: ad terminos ville, que dicitur Lichtenowe … predictis de Lichtenowe , also etliche Jahrzehnte vor der ersten Nennung von Lichtenau in Westfalen.
21.) Ebenso ist es zu vermeiden, lautlich ähnliche Namen ohne Kontrolle als übertragen zu erklären. Das tut H. Dobbertin  im Fall von Mellen östlich Daber, das nach Mölln bei Rat-zeburg benannt sei. Wie die historische Belege zeigen, ist der Vergleich abzulehnen: (Groß )¬Mellen bei Daber, 1252 Melna, 1263 Melne, 1264 Melne usw.  gegenüber (Alt )Mölln, 1194 ad Antiquum Mulne, um 1200 procedens Molne, 1212 Thiethardus de Mulne, 1230 Mvlne, Ad antiquum Mulne usw. . Die Deutung der Namen kann hier unterbleiben.
22.) Bei der Erörterung eines Märchen- und Sagenkomplexes in Ostpreußen, bei der es auch um eine Rattenfängersage aus Dziergunken-Mühle geht, zitiert A. Cammann  J. Herrmann, der für den in der Nähe liegenden Ort Nickelsdorf (heute polnisch Nikielkowo) erwogen hat: „nach Graf Nikolaus?“. A. Cammann setzt diesem hinzu: „Vielleicht aber auch nach Nikolaus Sprenz“.
Nichts davon läßt sich halten. Man hätte schon bei V. Röhrich  nachlesen können, welcher Familie der Namenspatron wahrscheinlich angehört hat. Den Namen selbst  behandeln ausführlich B. Czopek-Kopciuch  und A. Pospiszylowa , die u.a. erwähnt, daß das Dorf 1366 Nicolao de Wopen als Lehen übertragen wurde.
23.) Die Gegend um Piepenburg, poln. Wyszogóra, bei Labes wurde nach H. Dobbertin  von Hameln aus besiedelt. Für den Ort habe ich nur einen Beleg aus dem Jahre 1320 als Pi-penborg  gefunden. Während A. Cammann  erwägt, ob diese „verdächtigen“ Ortsnamen „vielleicht auch zur Namensbildung und Vorstellung von einem ,Rattenfänger’ und ,Piper’/Pfeifer beigetragen haben könnten“, ist er für H. Dobbertin  „wahrscheinlich eine Variante des Namens der Hildesheimer Poppenburg …“ , denn „vielleicht haben Graf Bern-hard von Poppenburg und die Grafen Hermann und Heinrich von Wohldenberg … die Ort-schaften Piepenburg (= Poppenburg?) und Woldenburg … gegründet“ . An anderer Stelle heißt es bei demselben: „Sehr wahrscheinlich ist Piepenburg nach dem Grafen Bernhard von Poppenburg-Spiegelberg benannt … Der Ortsname Piepenburg kommt anderweitig nicht vor“.
Auch hier muß energisch Einspruch eingelegt werden. Zum einen ist zu beachten, daß der Ort Piepenburg und nicht Pieper(s)burg hieß (in dem man dann vielleicht so etwas wie einen Pi-per (Pfeifer) vermuten könnte, was aber auch kaum anzunehmen wäre), zum andern dürfte niemand in Hameln bis 1945 gewußt haben, daß es ein Dorf im fernen Pommern gegeben hat, das Piepenburg heißt und dadurch etwa die Erfindung eines Pfeifers (der in der Sage ja ein späterer Zusatz ist) beeinflußt worden wäre.
Der Name ist ganz anderen Ursprungs und kann auch keineswegs wie bei H. Dobbertin erklärt werden. Poppenburg bei Nordstemmen ist sehr früh überliefert: 1049 ad Bobbenburg habui-mus, 1056 castelli Poppenburg, 1141 (Kopie) Friedericus de Poppenburg usw. , die Formen mit -o- sind absolut konstant und gelten auch im 13. und 14. Jahrhundert: 1241 omnes milites de Poppenburg, 1353 to Poppenborch . Eine Interpretation als Pi(e)penburg ist völlig ver-fehlt. Der Name steht keineswegs so isoliert wie von H. Dobbertin vermutet. Im Kreis Labes liegt auch Piepenhagen und in Stettin gab es den Ortsteil Piepenwerder. Zugrunde liegt entweder niederdeutsch piep „Pfeife, Röhre, Abzugsgraben“  oder – wahrscheinlich eher – das z.B. im Westfälischen bekannte pîpe, das sich vor allem auf das „Pfeifengras (Molinia coeru-lea, eine in Mooren, feuchten Wiesen und lichten Wäldern häufig auftretende Grasart“) be-zieht . Der Rattenfänger bleibt fern.
24.) Zu Spekulationen hat auch der ON. Rothenfier (bei S. Rospond  Rothenflier!), poln. Czermnica, ON. bei Naugard, 1461 Roden Vehr , Anlaß gegeben. Da die Umgebung des Ortes von Hameln aus besiedelt worden sei  und neben Rothenfier auch Piepenborg lag, meinte H. Dobbertin : „Der Name Rothenfier bezeichnete wie der 1268 bei Gollnow be-zeugte Waldname Ekfir und wie die Dorfnamen Eichfier, Deutschfier, Hasenfier (= Hassos Fier!) vermutlich eine viereckige Rodungsfläche. Das Zusammentreffen dieser beiden merk-würdigen, anderweitig in Deutschland nicht vorkommenden Ortsnamen an der Westgrenze der um 1263 bis 1274 vom Weserbergland aus besiedelten Herrschaften Hindenburg und Naugard gibt … zu denken“.
Eine Verbindung zum Rattenfänger suchte A. Cammann (wenn auch zugebend, daß es sich um „gewagte Themen“ handele) herzustellen: „Hätte sich nicht aus dem Herrschaftsnamen Roden Vehr – Fanger der Beiname Rattenfänger bilden können für jenen Nikolaus …?“ .
Die Überlegungen enthalten nichts, was sich halten ließe. Über den pommerschen Flurnamen Vier oder Fier hat R. Holsten  in aller Ausführlichkeit unter Nennung von fast 100 Flurna-men und unter Bezug auf historische Belege gehandelt. Auf Einzelheiten soll hier nicht einge-gangen werden. Sicher ist nur, daß es sich bei dem Ortsnamen Rothenfier um einen Namen handelt, der aus dem pommerschen Wortschatz heraus ohne irgendeinen Bezug auf Hameln oder den Rattenfänger gebildet worden ist.
25.) Ganz anders steht es dagegen mit dem ON. Rutenberg in der Uckermark, 1300 Ruten-bergk , für die mit Recht angenommen worden ist, daß ihn „die „niedersächsische(n) Fami-lie(n) v. Rutenberg … bei ihrer Wanderung ins Kolonisationsgebiet … gegründet haben“ . Die Familie von Rutenberg verdankt ihren Namen dem Ort Rautenberg bei Hildesheim, an ältesten Belegen kenne ich 1226 Heinricus de Ruthenberge, 1227 Sifridus de Rutenberg, 1232 Sifridus de Rutenberge , zur Geschichte der Familie ver-gleiche man G. Weber , Emil Frhr. v. Orgies-Rautenberg , V. Röhrich  und T. Penners .
E. Weise hat zudem völlig recht, wenn er darauf verweist , daß der Name auch noch einmal im Ermland vorkommt. Es ist (Groß, Klein) Rautenberg bei Gumbinnen, poln. Wierzno Wiel-kie, Ma³e, 1347 Tylo de Rutenberg,  1348 (A. 14.,15. Jh.) Tylo de Rutenberg, Tilone de Rutenberg, 1357 (Tilo von) Rutenberg .
Ich denke, daß die Verbindung zwischen der Familie Rautenberg und beiden Ortsnamen Be-stand hat.
26.) Der heute nur noch in der Domäne Hof Spiegelberg östlich des Ith im Kreis Hameln-Pyrmont erhaltene Ortsname Spiegelberg ist der letzte Rest des einst in der Wesergegend nicht unbedeutenden Geschlechts derer von Spiegelberg, dessen Hauptsitz Coppenbrügge ge-wesen ist. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden; die Literatur zur Geschichte der Familie enthält die notwendigen Angaben .
Die Kolonisationstätigkeit der Familie führte zweifelsfrei zur Übertragung des Namens nach Osten. Zu nennen ist vor allem Spiegelberg, ON. bei Pasewalk 
(Uckermark) . Die Verbindung mit slavisch œpik „Mergel, fetter Boden“ als „Mergel-berg“  ist aufzugeben. Als zweiter Name ist Spiegelberg, poln. Sprêcowo, ON. nördlich von Allenstein zu nennen , für den jetzt eine gute Zusammenstellung der historischen Bele-ge durch A. Pospiszylowa (allerdings mit der Erklärung aus einem PN. Spiegel + -berg) vor-liegt : 1360 Spiegelberg, 1388 Spiegelberg, 1564-80 Spiegelberg, 1625 Spiegelberg, 17. Jh. Sprencowo, 1656 Sprecowo, 1673-74 Spzencowo, um 1790 Spiegelberg, 1820 Spiegelberg alias Sprencowo usw. .
Fern bleibt dagegen Spiegelberg, poln. PoŸrzad³o, Orts- und Bergname bei Sternberg. Zwar hat H. Dobbertin recht, daß der Ort 1350 genannt ist , aber bezeichnenderweise teilt er den Beleg nicht mit. Dieser lautet nämlich Speghelberg , und in dieser, im Bestimmungswort niederdeutsch aufscheinender Form ist die Familie derer von Spiegelberg nie geschrieben worden. H. Dobbertins Vermutungen, der Ort könne „nach den gleichnamigen Grafenfamilien des Weserberglandes benannt worden sein“ , ist schon aus diesem Grund abzulehnen.
Zu weit führen auch andere, damit zusammenhängende Vermutungen von H. Dobbertin : „Der ungewöhnliche Ortsname Spiegel tritt nur in Bayern (Weiler bei Bad Tölz), zwischen Küstrin und Landsberg/Warthe (Forstort bei Döllensradung) und in Pommern (Gr. u. Kl.-Spiegel bei Kallies) auf. Hermann I. Spiegel v. Desenberg führte 1252 … einen Rundspiegel im Siegel … Später hatten die Spiegel v. Desenberg 3 (2,1) Rundspiegel im Wappen wie an-scheinend auch der 1442/43 in Spiegelsdorf (bei Boltenhagen zwischen Greifswald und Wol-gast) ansässige Hennink Speygelstorp … Ferner sei hier auf Spiegelhagen (bei Perleberg) hin-gewiesen, das an einer der Straßen von Amelungsborn zum Amelungsborner Klosterhof Dran-se (b. Wittstock i.d. Prignitz) liegt …“.
Hier sind wiederum verschiedene Dinge zurechtzurücken. Der ON. Spiegel westlich von Landsberg/Warthe, heißt heute polnisch PoŸrzad³o. Weder von dieser noch von jener Form führt der Weg zu der Familie Spiegelberg. Ebenso wenig trifft das für Groß und Klein Spiegel südlich von Dramburg/Drawsko in Pommern zu, heute ebenfalls polnisch PoŸrzad³o. Für beide gibt es ältere Belege:  1337 Spiegel, Spigel, 15. Jahrhundert Spygel, Spigel, im Landbuch Kaiser Karls IV. Spiegel . Nicht übersehen darf man, daß die Orte am Spiegel See liegen .
E. Mucke hatte beide Namen zunächst für slavisch gehalten und als ursprünglich Spikel bzw. Spikle zu spik, poln. œpik „fetter Boden, Mergel“ gestellt . In den „Berichtigungen und Er-gänzungen“ zu diesem Aufsatz  korrigiert er allerdings: „die gegebene Erklärung ist frag-lich, da das polnische Wort spik nicht vor dem 14. Jahrhundert aus dem Deutschen entlehnt ist; der Name kann daher auch deutschen Ursprungs sein“. Dem kann man sich nur anschlie-ßen. Sehr wahrscheinlich wird von dem Gewässernamen auszugehen sein, der auf einen ruhi-gen, flachen See Bezug genommen hat.
Von der Familie Spiegelberg fernzuhalten ist ebenfalls der ON. Spiegelsdorf östlich von Greifswald, 1360 speghelstorp, 1439 Spegelstorp usw., der eine Ableitung von einem PN. Spëgel enthält .
Das gilt schließlich auch für Spiegelhagen, ON. bei Perleberg, 1293 Spighelhaghen, 1303 spighelhaghen, 1323 speghelhaghen usw., man vergleiche die ausführliche Behandlung des Namens bei S. Wauer, Die Ortsnamen der Prignitz .
27.) Weniger strittig ist die Vermutung, daß der Ort Tiefenau (heute poln. Tychnowy) nahe der Marienburg nach Dietrich von Depenow benannt worden ist. Das nahm nicht nur H. Dob-bertin an , der zugleich als Herkunftsort des Familiennamens auf eine „noch als Burgwall vorhandenen Burg bei Heeßel westlich Burgdorf bei Hannover“ hinwies , sondern auch A. Cammann , E. Weise  und der Bearbeiter der Ortsnamen des Danziger Weichselgebietes H. Górnowicz , der eine gute Zusammenstellung der historischen Überlieferung des Orts-namens vorgelegt hat: 1250 a castro Dypenowe, 1285 de Tyfenow, in Typhenov, 1294 castri Tifenouwe usw., sowie jetzt auch B. Czopek-Kopciuch .
28.) Eine Übertragung aus Westfalen nimmt L. Enders für den Ortsnamen Vorwerk in der Uckermark an: „Westfälisch sind auch die Ortsnamen … Vorwerk … „ . Alte Belege schei-nen zu fehlen . Nach einer Phase, in der nur von dem „wüsten Feld Vorwerk“ gesprochen wird , entstanden im 1. Drittel des 18. Jahrhunderts neue Vorwerke, darunter auch Vor-werk . Der Übertragungsthese hat S. Wauer zugestimmt .
Ich vermag dem nicht zu folgen. Meine Suche nach westfälischen Ortsnamen führte zu vier Namen, von denen ältere Belege nicht zu erbringen sind. Ich habe den Eindruck, daß sowohl im Westen wie im Osten unabhängig voneinander Namen des Typs Vorwerk entstanden sind. Eine Verbindung sollte über dem Zufall erhaben sein; das ist hier nach meiner Einschätzung nicht der Fall.
29.) Nicht ohne Bedeutung ist der Nachweis eines Wüstungsnamens Westfalen bei Kyritz in der Prignitz, 1315 in campo westualia, 1429 auf dem uestualischen felde usw. . Es handelt sich einwandfrei um einen Hinweis auf Siedler aus Westfalen.
30.) Dagegen wird man der Vermutung von H. Dobbertin , in dem ON. Wohnsdorf bei Al-lenburg (Ostpreußen), 1288 Wonssdorf , eine Benennung nach einem Grafen von Wunstorf zu vermuten, kaum zustimmen können. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts  hieß Wunstorf wie folgt: 1250 prope Wunnestorp, um 1260 Wunstorpe, 1290 de Rad tho Wnstorpe, um 1290 Johannes comes de Wunstorpe, 1300 juxta Wunstorpe, 1325 in Wunstorppe, 1325 tho … Wounstorppe . Ich sehe keine Möglichkeit, die jeweilige Überlieferung miteinander zu verbinden.
31.) Etwas besser steht es vielleicht – wobei Sicherheit nicht zu gewinnen ist – mit H. Dobber-tins zweifelnd vorgetragenen Vergleich zwischen Wohldenberg bei Hildesheim und Wolden-burg in Pommern, heute poln. D¹bie: „[Wir] wissen … nicht, ob wir den Namen der seit 1248 bei Plathe bezeugten Burg Woldenberg oder Woldenburg des Ritters Friedrich von der Osten mit den Hildesheimer Grafen von Wohldenberg in Verbindung bringen dürfen“ . Der Ort bei Hildesheim ist bestens bezeugt, auch die daher stammende Familie ist in Dutzenden von Belegen bekannt. Hier eine Auswahl um die Mitte des 13. Jahrhunderts: 1245 comitum de Woldenberge, 1245 Heinrici de Waldenberg, 1246 comites de Waldenbergk, 1247 comes de Woldenberg, 1249 in Woldenberc, 1251 comites de Waldenberg; comes de Woldenberg, 1251 dictus de Woldenberg; senior de Woldenberge, 1251 Ludolfus de Woldenberg, (nach 1251) in Woldenberg, (nach 1251) Heinrici de Walden-berch, 1253 Hermannus de Wåldenberg . Für keinen anderen Ort Norddeutschlands habe ich bisher entsprechend zahlreiche Belege sammeln können. Ich denke, dieser Vergleich ist überzeugender als mancher andere.
32.) Das trifft jedoch nicht für den ON. Wünsdorf bei Jüterbog und der mutmaßlichen Ver-bindung mit Wunstorf zu. H. Dobbertin  glaubte diese Verknüpfung damit stützen zu kön-nen, daß Wünsdorf eine Gründung des Grafen Ludolf von Roden-Wunstorf gewesen sei. Er führt dazu an Belegen an: 1430 gerichte thu ferren Wunstorf, 1668 negst Wundssdorf .
Die Untersuchungen der Ortsnamen Brandenburgs stützen diese Ansicht nicht und korrigieren auch die von H. Dobbertin erwähnten Belege: G. Schlimpert hat zunächst darauf verwiesen , daß aus den beiden ursprünglichen Siedlungen Fernwünsdorf und Nächstwünsdorf erst 1874 der Name Wünsdorf entstanden ist (H. Dobbertins Belege beziehen sich also auf zunächst un-terschiedene Siedlungen). Fernwünsdorf ist wie folgt überliefert: 1346 Wustdorf(f), Wusttorf, 1430 thu ferren Wunstorf, 1501 in den beyden dorffern wonsdorff, 1583 Ferne Wunsdorff, 1624 Fern Wünstorff usw., der Nachbarort Nächstwünsdorf: 1501 in den beyden dorffern wonsdorff, 1583 Das dorff Negst Wunsdorff … Negst Wünsdorff usw.
Eine Verbindung mit Wunstorff ist nicht möglich, da dieser Name keinen Umlaut (-ü-) zeigt, während Wünsdorf diesen zwingend voraussetzt und das -ü- auch schon im 14. Jahrhundert sehr wahrscheinlich gesprochen wurde. Die mittelniederdeutsche und mittelhochdeutschen Schreiben hatten aber noch kein Zeichen für das -ü-, es wurde wie -u- unterschiedslos als -u- realisiert. Der Vergleich ist abzulehnen.

Auswertung

Wir sind am Schluß unserer detaillierten Betrachtung möglicher Verbindungen des Weser- und Leinegebietes mit den Ortsnamen des deutschen Ostens angelangt. Daß sich diese auch außerhalb der Ortsnamen aufzeigen lassen, ist kein Geheimnis. Einige wenige Zitate mögen das belegen. So betont E. Weise den Landweg der Ostfahrer und meint : „Deutsche Bauern … benutzten … lieber die Landbrücke über Frankfurt-Thorn oder den Weg an die Küste ent-lang. Der Bauer treckt, er fährt nicht gern über See“, und kurz davor: „Die Besitzungen des Deutschen Ordens lagen ganz überwiegend im südlichen Niedersachsen …“ . So war auch Doberan eine Tochtergründung „man sagte damals direkt filia“ – des Weserklosters Amelunx-born . In der Klosterkirche von Doberan stand ein Grabstein des 1304 bezeugten mecklen-burgischen Ritters Hinricus de Wesere . Im Jahre 1240 schenkte Herzog Barnim von Pom-mern dem Kloster Wülfinghausen seine Kirche in Pyritz .
Ich denke, es ist deutlich geworden, daß es unzweifelhafte Verbindungen zwischen dem We-ser- und Leinegebiet und dem Raum nördlich von Berlin (vor allem in der Prignitz und der Uckermark) gibt. Nach Streichung von etlichen falsch interpretierten Fällen bleiben an siche-ren Übertragungen von Orts- und Familiennamen auf Orte im Osten übrig: Beverungen – Be-weringen, Everstein, Schaumburg, Bischofshagen, Biesterfelde – Boisterfelde, Dalhausen – Dahlhausen, Hamelspringe – Hammelspring, Hindenburg, Rautenberg – Rutenberg, Spiegel-berg, Depenau – Tiefenau, Westfalen, Wohldenberg – Woldenburg.
Damit präsentiert sich bereits durch die Basis der Ortsnamen (die aber mit Sicherheit die überzeugendste Basis für derartige Vergleiche bieten) dieser Komplex als wesentlich über-zeugender als der von W. Wann und W. Scherzer bevorzugte mährische Raum (wobei nicht bestritten werden soll und kann, daß es auch – davon war eingangs schon ausführlich die Rede – dorthin eindeutige Namenübertragungen gegeben hat). Ein kurzer Blick in die Familien- und Personennamen wird diesen Eindruck noch verstärken.
 
Coppenbrügge – ein exemplarischer Fall
Zuvor sei jedoch an einem exemplarischen Fall nochmals demonstriert, wie leichtfertig gele-gentlich in der bisherigen Diskussion mit namenkundlichen Argumenten umgegangen wurde: gemeint ist der Ortsname Coppenbrügge östlich von Hameln.
Obwohl auch ältere Belege eindeutig zeigen, daß im Grundwort von ndt. -brugge „Brücke“ auszugehen ist (vgl. unten die Auflistung der Belege), indem man an Namen wie etwa Brüg-gen an der Leine und Brügge in Flandern anschließen kann, vertraut W. Woeller  auf die Namendeutung von S.D.G. Freydanck , sieht daher im Grundwort  burg, denkt bei dem Verschwinden der Kinder an einen Sumpfkessel bei Coppenbrügge und begründet dieses mit dem Ortsnamen: er „trug den Namen Copenbrug und war eine altgermanische Opferstätte. Als 1303 … eine feste Burg errichtet wurde, ging der Name auf die Burg und den mit ihr entste-henden Ort über“ . In einer Anmerkung verweist W. Woeller nochmals auf die Arbeit von Freydanck, „in der bereits versucht wurde, zwischen Koppen und Coppenbrügge eine Verbin-dung herzustellen“ .
Dazu ist zunächst zu bemerken, daß Freydancks Untersuchung zu den schlechtesten und zu-gleich phantasievollsten Arbeiten über niedersächsische Ortsnamen gehört . Mit allem Nachdruck ist auf die zahlreiche Korrekturen enthaltenen Ausführungen von L. Bückmann  hinzuweisen. Dennoch haben auch R. Frenzel und M. Rumpf, die eine m.E. nüchterne und auf die wesentlichen Punkte beschränkte Zusammenstellung des Sagengerüstes geboten haben , diese Nüchternheit in diesem Fall aufgegeben und sind den Ausführungen W. Woellers ge-folgt. Es ist schon erstaunlich, wie leichtfertig man mit dem Ortsnamenmaterial umzugehen bereit ist.
Coppenbrügge ist wie folgt belegt: 10. Jh. (Abschr. 15. Jh.) ad Cobbanbrug, 1013 per summi-tatem montis Gigath … usque ad Cobbanberg, 1033 usque ad Cobbanberg, 1062 tendit Chop-penbrukke, de Choppenbrukke, 1281 in villa Cobbenbrukke, 1381 Johanns de Kobbenbrughe, 1388 von der Kopenbrügge, 1393 van der Cobbenbrugge . Die Belege von 1013 und 1033 beziehen sich auf eine Erhebung bei Coppenbrügge. Daß der Name ansonsten eindeutig Bezug auf eine Brücke nimmt, zeigen die Belege ganz deutlich. Aber noch neueste Veröffentlichungen bieten Erstaunliches. So sieht Gercke  in dem Beleg a loco Kobbanbrug das Bestimmungswort brug = Bruch, folgert daraus, daß es sich nicht um das damalige Dorf handelt, sondern offensichtlich um den Bruch, der 1062 als Choppenbrukke dem Bischof Hezilo von Hildesheim verliehen wurde. Noch schlimmer wird es, wenn er fortfährt: „Daß es um 1000 schon vorhanden war, kann daraus geschlossen werden, daß der Ortsname Coppenbrügge ein keltisches Wort ist, wie es Edward Schröder erkannt hat“.
Natürlich liegt in Kobbanbrug nicht brug = Bruch vor, denn im Raum Coppenbrügge kann nur von niederdeutscher Lautung ausgegangen werden, wo es nur brok heißt, niemals brug, zum zweiten sollte man Keltisches aus Norddeutschland endlich verbannen; noch nicht ein-mal in Hessen wird man auch nur einen einzigen Ortsnamen finden, der mit Sicherheit dem Keltischen zuzuzählen ist.
Mit den Rattenfängersage hat der Name Coppenbrügge nichts zu tun.

Familiennamen von Weser und Leine im Osten

Es bleibt noch übrig, einen Blick in die weserländischen Familien- und Personennamen zu tun und zu prüfen, inwieweit diese den Weg nach Osten gefunden haben. Da einige schon bei der Behandlung der Ortsnamen zur Sprache gekommen sind, können wir uns hier relativ kurz fassen.
Daß Kolonisten aus dem Weserbergland den Weg nach Pommern und benachbarten Gebieten gefunden haben, ist unbestritten. H. Dobbertin hat in seinem Beitrag über Livland- und Preu-ßenfahrten westdeutscher Fürsten,Grafen und Edelherren im 13. Jahrhundert  u.a. behandelt:  Gottschalk von Pyrmont (1207), Ludolf von Hallermund, Dietrich von Adensen (1209), Hel-mold von der Plesse (1211), Adolf von Dassel (1220), Bodo von Homburg (1221), wahr-scheinlich hat auch Hermann II. Spiegel von Desenberg (1252-98) in Pommern kolonisiert .
Die von Duding(h)e, eine um 1230 nach Mecklenburg eingewanderte Ritterfamilie stammt aus Duingen bei Alfeld . Zu dieser Zeit erscheint der Ortsname wie folgt: 1238 filius suus de Dudinge, (um 1264) Dutinge, 1272 Hermannus de Dudinge; 1277-84 Iohannes Dudinges, 1291 de Dudingen, 1308 Hartmannus de Dudingen, 1308 Hartmanno de Dudinge, 1317 Hartmannus de Dudighe .
 
Beteko Gruelhut und andere Angehörige dieser Familie sind an Ostlandfahrten mehrfach be-teiligt ; mehrfach erscheint ein Familienname Hamel in Pommern , z.B. 1317 Lodekinus de Hamel, 1318 Thilo de Hamel (in Berlin ansässig) ,  worunter sich auch gelegentlich ein Abkömmling aus Hohenhameln bei Hildesheim befinden kann.
Ein starkes Argument für die Beziehungen Hamelns mit dem Odergebiet führt H. Dobbertin auch mit dem Hinweis auf Personen an, die Quernhamel heißen. Die Beziehung zu der mit-telalterlichen Ortsnamenvariante Hamelns ist evident. Gerade im 14. und 15. Jahrhundert wird Hameln oft so genannt: 1323 in Quernhamelen, 1337 (K.) in opido Hamelensi, alias dicti Quernhamelen, (1338) (K.) quod dictus locus aliquando nominetur Hamelen, aliquando Quernhamelen, 1345 in oppido nostro Hamelen alias Quernhamelen vulgariter nominato, (ca. 1368) Ad consules in Quernhamelen, 1372 to Querenhamelen, 1373 uppe Querenhamelen, 1407 unse stadt Querenhamelen . Daher ist für Personen, die diesen Namen tragen, oder für ihre Eltern oder Großeltern Hameln als Herkunftsort mit Sicherheit anzunehmen.
Zu nennen sind hier Wedego Quernhamel, 1357 Bürger von Danzig , 1377/78 Coneke von Querrehamel, Grundstücksbesitzer ebenda , aus Frankfurt/Oder: 1441 peter vnd hanse, geb-rudern, gnannt die quernhamele , 1473 Thewes Schulz vnd Quernhammel, Herrn des Raths , 1486 Hans Qwerenhamer; hans Qwernhammer; Hans Qwernhamer; hanns Quern-hamer . Bis Riga weisen die Spuren: 1303 Hermannus, Thiedemannus Quernehamel .
Vergleicht man mit diesen überzeugenden und unzweifelhaften Herkunftsnamen die Versuche von W. Wann und W. Scherzer, mit aller Macht in dem Wüstungsnamen Hamlíkov bei Brünn einen Zusammenhang mit Hameln zu entdecken, so wird die Diskrepanz zwischen Fakten und Wünschen besonders deutlich.
Die Familie derer von Spiegelberg wurde oben schon bei der Behandlung der Ortsnamen be-handelt.
In dem ON. Pottholtensen bei Wennigsen am Deister steckt ursprünglich eine Form Spolen-holthusen, die später zu Pottholtensen entstellt worden ist. Im ersten Teil des Namens liegt ein Familienname vor, wie einige älter ON.-Belege zeigen: 1222-1227 Domi-num Spolen de Holthusen, 1241 fratres et milites de Spollenholthusen, 1243 Con. et Thideri-cus de Spolenholthusen, 1247 fratres et milites de Spolenholthusen, 1304-24 in Spolholthu-sen . Zu gleicher Zeit ist im Calenberger Land auch die Familie Spole bezeugt: 1234-1242 Conradus et Didericus Spolones, 1243 Thidericus Spole, 1245 Conradus et Tidiricus fratres spolones dicit, ca. 1248 … Spole, 1252 fratres et milites dicti Spolen … Datum Holthusen .
Wie nun einige Belege aus Mecklenburg und Brandenburg zeigen, war „zumindestens ein Mitglied … an der Ostkolonisation beteiligt“ : 1261 Hinricus Spole , 1304 Her Spole .
Weitere Ostlandfahrer befanden sich unter den Stanges  und den Trampes .
Diese knappen Bemerkungen machen deutlich, daß auch die familiären Verbindungen zwi-schen dem Wesergebiet und Pommern, Brandenburg, Mecklenburg usw. sehr viel enger waren als diejenigen mit Mähren. H. Dobbertins These scheint mir auch in diesem Fall gut begrün-det.

Kritik der Pommern-Theorie

Allerdings ist „seine Theorie einer auf dem Weg nach Pommern untergegangenen ,mittelalterlichen Adelswanderung’ seit Jahrzehnten immer wieder als die einzig mögliche Erklärung des Sagenkerns zu beweisen“ , auch kritisiert worden.
So etwa von W. Ueffing , der schon das Datum 1284 bezweifelt. Des weiteren von B.U. Hucker, der darauf verwiesen hat,  „wie dicht die personellen Beziehungen hin und her waren“ und deshalb meint: „Von einem spurlosen Verschwinden der Hamelner hätte keine Rede sein können und eine erfolglose Suche der Mütter bliebe angesichts der Funktionstüchtigkeit des Schiffsverkehrs und des Informationsnetzes im Hanseraum ziemlich rätselhaft“ .
Zur genauen Datierung des Auszugs der Hamelner Jungleute vermögen die Ortsnamen natür-lich nichts beizutragen. Aber immerhin läßt sich sagen, daß das anvisierte Jahr sich sehr gut in die Hochphase der deutschen Ostkolonisation einpaßt. Notiert man die Ersterwähnungen der in diesem Beitrag behandelten sicheren Ortsnamenübertragungen (wobei mir klar ist, daß das über das Entstehungsjahr nur bedingt Auskunft gibt) und zwei Personennamen, die mit den Flüssen Weser und Leine zu verbinden sind, so ergibt sich folgende Reihe: 1460 Schawen-borch, 1386 Beueringhe. 1375 Byscoppeshaghen, 1375 Bistervelt, 1487 Dalehusen, 1375 Ha-velspryng, 1317 Hyndenborch, 1283 jhm dorffe Hindenburg, 1269 Fredericus de Hynden-borg, 1369 tu Hindenborch, 1248 Theodericus de Leine, 1300 Rutenbergk, 1347 Tylo de Ru-tenberg, 1360 Spiegelberg, 1250 a castro Dypenowe, 1315 in campo westualia, 1248 Wol-denberg, 1304 Hinricus de Wesere.
Auf den Einwand von B.U. Hucker, ein spurloses Verschwinden könne angesichts der engen Verbindungen zwischen Heimat und Kolonisationsgebiet nicht angenommen werden, hat H. Dobbertin selbst wie folgt geantwortet: „Die Verhältnisse in Osteuropa waren zwar nicht Wildwest-Verhältnisse …, aber es gab gewiß unzählige Vermißtenschicksale …“, die den Stoff für sagenhafte Ausschmückungen hergegeben haben dürften. Ich denke, daß H. Dobbertin auch in diesem Punkt recht hat. Auswandern ist immer mit Risiken behaftet; einige wenige Unglücksfälle reichen aus, um in der Heimat zu gewaltigen Katastrophen umgedeutet zu wer-den.

Zusammenfassung

Ich bin am Ende meiner Überprüfung der namenkundlichen Seite bisheriger Theorien zur mutmaßlichen Auswanderung Hamelner Jungbürger. Nochmals sei betont, daß nicht zu bestreiten ist, daß es Verbindungen zwischen Mähren und dem Weserbergland gibt, aber ohne Frage bestehen viel sicherere Namengleichungen zwischen dem Wesergebiet und den Koloni-sationsgebieten nördlich von Berlin, vor allem der Prignitz, der Uckermark und mit Pommern. Die Gleichung Hamelspringe – Hammelspring spricht für sich.
Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, daß eine sorgfältige Untersuchung der geographischen Namen doch sehr klare Hinweise auf das Ziel der Auswanderer geben kann. Gerade dieses ist bisher oft bestritten worden. So etwa von M. Kroner, der durchaus der Auswanderungstheorie den Vorzug gibt und unterstrichen hat: „Wenn dem so ist, hat die deutsche Ostkolonisation, über die es nur spärliche dokumentarische Nachrichten gibt, im Kleide der Fabel den Stoff für die bekannteste deutsche Sagengestalt geliefert“ . Zugleich schränkt er aber ein: „Das Niederlassungsgebiet konnte sich von der Ostsee bis nach Mähren erstreckt haben“.
Diese Skepsis findet sich auch bei H.E. Mayer , der m.E. zurecht gegenüber H. Dobbertin Zurückhaltung empfiehlt: „Der Vf. ist der sich in unserer Wissenschaft immer stärker be-merkbar machenden Versuchung erlegen, die Klärung der Vergangenheit bis zur letzten Kon-sequenz und zum letzten Detail treiben zu wollen (so etwa, wenn er glaubt, das Schiff mit den Auswanderern sei 1284 Juli 22 vom Johanniterhof Cuppen bei Rügenwalde zum letztenmale gesehen worden).“ Allzu skeptisch heißt es dann aber weiter: „Daß der Zug ins Kolonialland ging, sei als Möglichkeit gerne geglaubt. Zu weiteren Vermutungen reichen die Quellen nicht hin“.
Dem möchte ich die Aussagefähigkeit von Ortsnamen, die von einer Bevölkerung entweder mitgenommen werden oder aber aus ihrer Sprache, mit Hilfe derer ihre Herkunft oft genug bestimmt werden kann, in ihrer neuen Heimat nach alten Mustern neu geschaffen wurden, entgegensetzen . Daß mit dieser Untersuchung der geographischen Namen nur ein Teil des die Sage umspannenden dichten Netzes von Vermutungen, Ausmalungen und dichterischen Veränderungen etwas gelockert worden ist, liegt in der Natur der Sache. Wahrscheinlich ver-hält es sich so, wie E. Weise vermutet hat, daß es „die Erinnerung an einen starken Men-schenverlust durch die Ostkolonisation [ist], die in der Sage festgehalten wird“ .
Und daß von allen angebotenen Theorien (Kinderkreuzzug, Naturkatastrophe, großes Kinder-sterben, priesterlicher Ritualmord, Tanzwut [Veitstanz], Erinnerung an die großen Verluste Hamelns in der Schlacht von Sedemünde [1260], Ostkolonisation) die Suche nach einer neuen Existenz im Osten mit hoher Wahrscheinlichkeit hinter der Sage zu vermuten ist, wird immer wieder angenommen, ja gelegentlich erzeugte die Nichtberücksichtigung dieses Vorschlags sogar Erstaunen. Ich zitiere nochmals J.P. O’Donell : „Sonderbarerweise hat ein wirklich wichtiges politisches Ereignis des mittelalterlichen Europa bei den früheren Forschern, die dem Rattenfänger auf der Spur waren, nur flüchtige Beachtung gefunden: das Phänomen der Massenauswanderung nach dem Osten, der ständige Strom deutscher Kolonisten …“.
 
Verbindungslinien zwischen Weser- und Leinegebiet und dem Osten

1  Beverungen (Weser) – Beveringen (bei Pritzwalk) – Beweringen (bei Stargard i. Pomm.)
2  Everstein (bei Holzminden) – Everstein (bei Naugard)
3  Schaumburg (bei Hess. Oldendorf) – Altschaumburg (nördl. Küstrin)
4  Bischofshagen (bei Löhne/Westf.) – Bischofshagen (b. Greiffenberg/Uckermark)
5  Biesterfelde (südl. Bad Pyrmont) – Boisterfelde (bei Prenzlau/Uckermark)
6  Dalhausen (bei Beverungen/Weser) – Dahlhausen (bei Pritzwalk/Prignitz)
7  Hamelspringe (westl. Bad Münder) – Hammelspring (bei Templin/Uckermark)
8  Hindenburg (westl. Höxter) – Hindenburg (Altmark) – Hindenburg (bei Templin) – Hindenburg (bei Prenzlau) – Hindenburg (Pommern)
9  Rautenberg (bei Hildesheim) – Rutenberg (südöstl. Neustrelitz)
10  Spiegelberg (südl. Coppenbrügge) – Spiegelberg (bei Pasewalk/Uckermark) – Spiegelberg (bei Allen-stein/Ostpreußen)
11  Depenau (bei Burgdorf/Han.) – Tiefenau (an der Marienburg)
12  Westfalen (Ländername) – Westfalen (bei Kyritz/Prignitz)

Verbindungen nach Mähren

a  Fülme (Porta Westfalica) – Fulštejn (bei Hotzenplotz, èech. Osoblaha)
c  Schaumburg – Šaumburk (bei Olmütz)

 
Diesem wollte ich nachgehen. Auf der einen Seite ging es mir darum, die z.T. erheblichen Unzulänglichkeiten, ja Unkenntnisse auf namenkundlichem Sektor deutlich zu machen (das betraf Anhänger wie Gegner der Mährentheorie gleichermaßen), zum anderen habe ich zu zeigen versucht, welch sichere Zeugnisse für Wanderungsbewegungen die Ortsnamen in sich bergen. Gar zu gern werden diese Aussagemöglichkeiten von Archäologen und Historikern übersehen oder für unerheblich erachtet. Um so wichtiger ist es, die historisch bezeugte Ost-kolonisation anhand der Ortsnamen einer Prüfung zu unterziehen.
Trägt man die aus dem Weser- und Leinegebiet sicher übertragenen Namen auf einer Karte ein (s.oben), so erscheinen diese Aussagen noch plastischer. Deutlich erkennbar sind die en-gen Verbindungen mit dem Nordosten, wobei zu betonen ist, daß nicht Pommern das eigentli-che Ziel war, sondern die Prignitz und die Uckermark. Hier finden sich fast alle Namen des Weser- und Leinegebietes wieder. Erst in einem weiteren Vordringen wird offenbar die Oder überschritten. Die Zusammenstellung der Namen und ihre Kartierung zeigen, daß die erste Kolonisationswelle aus dem Wesergebiet über die Altmark hinweg führte (Hindenburg als Ortsname einmal belegt) und daß sich die Kolonisten zunächst nördlich von Berlin niederge-lassen haben. Benachbarte Orte wie Hindenburg und Hammelspring sowie Beveringen und Dahlhausen deuten auf gewissen Konzentrationen der Siedler aus dem Wesergebiet hin.
Dem gegenüber ist die Zahl der sicher übertragenen Namen nach Mähren verschwindend ge-ring. Sie reicht nicht im mindesten an die Streuung nach Nordosten heran.
 
Schlußwort

Das Ergebnis zeigt, daß historische Überlieferung und Streuung der Ortsnamen zu einer ge-wissen Deckung gebracht werden können. Daraus dürfen verschiedene Folgerungen gezogen werden:
1.) Eine sorgfältige Analyse der Ortsnamen erlaubt es, Aussagen über Heimat und Expansi-onsgebiet zu machen.
2.) Übertragungen von Ortsnamen aus neuerer Zeit sind gut bekannt. Man denke an die Be-siedlung Amerikas durch Europäer (Namen wie Stanton, New Orleans, Hannover, Berlin), an die Einwanderung von Europäern nach Südafrika (Heidelberg, Heilbronn, Rijswijk), an die die Eroberung und Besiedlung Sibiriens durch russische Kolonisten, an Hugenottenumsied-lungen (Salzburg im Kreis Hameln-Pyrmont).
3.) Daraus folgt, daß die Orte Hammelspring, Beveringen, Hindenburg, Spiegelberg, Ruten-berg in der Prignitz, in der Uckermark und in Pommern im Zug der deutschen Ostkolonisation dorthin gekommen sein müssen. Der Anteil des Wesergebietes ist bedeutend. Es gibt gute Gründe, die Ortsnamen des Ostens mit dem Ziel der Hamelner Auswanderer in Verbindung zu bringen.
4.) Die Kontakte mit Mähren waren in erster Linie mit der Person des Bischofs Bruno von Schaumburg verknüpft. Nach dessen Tod 1281 erlosch die Zuwanderung aus dem Weserge-biet, während die deutschen Ostgebiete bis zum Baltikum den Siedlern weiter offen standen.
5.) Wenn es einen Rattenfänger gegeben haben sollte (es handelt sich aber wohl um einen zweiten Erzählstrang, der erst spät ausgeprägt wurde), dann hätte er die Hamelner mit Sicher-heit weder nach Siebenbürgen oder nach Mähren, sondern nur nach Brandenburg, in die Prig-nitz, die Uckermark oder nach Pommern geführt. Das jedenfalls besagen die Ortsnamen.
 

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Jürgen Udolph zu Jens-Uwe von Rohden: Die Gewässernamen im Einzugsgebiet der Treene

Die Arbeit, eine mit dem Jungius-Preis ausgezeichnete Kieler Dissertation, beginnt mit einem Vorwort (S. 9f.), der zu ent­nehmen ist, daß die Untersuchung in langen Jahren nebenberuflich entstanden ist. In der sich an­schließenden Einleitung (S. 11-20) wird die Forschungslage umrissen. Dabei wird unterstrichen, daß es bisher keine namenkundliche Untersuchung gab, die ‚ein bestimmtes Flußgebiet im Schles­wiger Raum behandelt‘ (S. 11). Vorarbeiten lagen unter anderem von W. Laur, K. Hald, A. Bjerrum, J. Kousgård Sórensen und G. Kvaran vor (zur Kritik an dieser Arbeit: S. 14f. mit Hin­weis auf die Besprechung von W. Laur, BNF.NF. 16,1981,237-240). Der Gegensatz zu der Unter­suchung von G. Kvaran liegt nach Auffassung des Verfassers vor allem in der Begrenztheit und Überschaubarkeit des Untersuchungsgebietes (S. 15). Methode und Zielsetzung der Arbeit orien­tieren sich an den Arbeiten von F. Witt, B.-U. Kettner, W. Kramer und F. Debus. Dabei hat sich v. Rohden dem Grundsatz verpflichtet, ‚alle verfügbaren Namen und Belege zu sammeln‘ (S. 13), wobei Mundartformen mit F. Debus als ‚prinzipiell gleichwertige Belege‘ betrachtet werden (S. 13). Zur Textgrundlage und Quellenkritik wird auf den Seiten 15-19 Stellung genommen. Umfragen unter Informanten haben dabei ergeben, daß ursprünglich süderjütische Namen schon oft nieder­deutsche Gestalt angenommen haben. Die Anmerkungen zu dem einleitenden Kapitel (S. 19f.) be­schließen diesen Teil der Arbeit. – Teil 1 der Untersuchung umreißt das Untersuchungsgebiet (S. 21-34). Es umfaßt das zentrale nördliche Schleswig-Holstein, etwa den Raum zwischen Flensburg, Schleswig und Husum. Drei 3 Karten geben einen guten Überblick über das Terrain. Die Bemer­kungen zur Siedlungs- und Sprachgeschichte (S. 25-33) gehen auf den zum Teil bereits vollzogenen Sprachwandel vom Süderjütischen zum Nieder- und später Hochdeutschen ein. Weiterhin werden die Probleme bei der Bestimmung der alten Wohnsitze der Angeln, Jüten und Sachsen angespro­chen. Die ‚von Westen her einsetzende Siedlungstätigkeit der Friesen um die Jahrtausendwende … hat die Hydronymie im Untersuchungsgebiet nur ausnahmsweise beeinflußt‘ (S. 28). ‚Etwa vom 12. Jahrhundert an kann man in Schleswig von den Einzelsprachen Süderjütisch, Niederdeutsch und Nordfriesisch sprechen‘ (S. 29). ‚Anhand der sprachlichen Zugehörigkeit der Ortsnamen läßt sich der Rückzug der dänischen Sprachgrenze herausarbeiten‘ (S. 29). Das Vordringen des Mittelnieder­deutschen steht im Zusammenhang mit der Entfaltung der Hanse und deren Zentrum Lübeck. Später findet eine Ablösung durch das Hochdeutsche statt. – Teil 2 der Arbeit behandelt die ‚Hydronymie des Untersuchungsgebietes‘ (S. 35-171). Es handelt sich eigentlich um die zusam­menfassende Auswertung der Untersuchung und war offenbar ursprünglich nach dem jetzigen Teil III (dem Lexikon der Gewässernamen) plaziert gewesen, denn der erste Satz (S. 35) lautet: ‚In Teil III (Lexikon) sind alle in die Sammlung aufgenommenen Namen … nach ihrer Herkunft, Bedeutung und Bildungsweise erörtert worden‘. In vier Abschnitten werden behandelt: 1. ‚Die Gewässerbe­zeichnungen und ihre Verwendung‘ (S. 35-109), wobei es vor allem um eine ‚Namengrammatik‘ (S. 35) geht.

‚Wesentliche Gesichtspunkte‘ sind für den Autor ‚die Verwendung bestimmter Gewässer­bezeichnungen, die Semasiologie und die Bildungsweisen‘ (S. 35). Dabei wird in fließende Gewäs­ser und Quellen (S. 37-82, zum Beispiel å, au, bek, born, kilde, siek, rönne) und stehende Gewässer (S. 83-109, unter anderem diek, kolk, kule, see, sood) unterteilt. Eine genaue Trennung läßt sich natürlich nicht in jedem Fall durchführen. 2. ‚Mehrnamigkeit‘ (S. 111-131), untersucht werden Mehrfachformen, Übersetzungen, Umdeutungen, Namenangleichungen und anderes mehr. 3. ‚Lautliche Erscheinungen‘ (S. 133-154), wobei es vor allem um niederdeutsche und nordgerma­nisch-süderjütische Eigenheiten und Entwicklungen geht. In diesem Zusammenhang kann der Verfasser wichtige Einzelheiten, die auch für die historische Grammatik der entsprechenden ger­manischen Dialekte von Bedeutung sind, herausarbeiten. Vor den Anmerkungen zu diesem Kapitel (S. 168-171) steht 4. die Behandlung der ‚kontaktsprachlichen Erscheinungen (Interferenzen)‘ (S. 155-167). Diese können sich auswirken als ‚unveränderte Übernahmen, orthographische Umgestal­tungen, Weiterentwicklungen nach den morphologischen und morphosyntaktischen Gesetzen des Superstrats, Umbildungen nach den phonologischen und phonotaktischen Gesetzen des Superstrats (Lautsubstitutionen), Transpositionen lexikalischer Elemente (Übersetzungen), Mißverständnisse und volksetymologische Umdeutungen‘ (S. 155). – Der umfangreichste Teil der Untersuchung (S. 173-483) enthält ein Lexikon der Namen des Untersuchungsgebietes (zu Einzelheiten der Behand­lung sieh S. 173-175). Dieses ist sorgfältig zusammengestellt, es läßt kaum Wünsche offen und ist nach Prinzipien gestaltet, wie sie modernen onomastischen Untersuchungen zukommt. Zu einigen wenigen Ergänzungen sieh weiter unten. – Verzeichnisse der Quellen sowie der Lautschrift, Ab­kürzungen, Symbole, Literatur und Karten und ein wertvolles Register (S. 485-593) beschließen die Arbeit. – Eine namenkundliche Arbeit, die eine Fülle von Material verarbeitet, regt immer zu Kommentaren, Ergänzungen und Fragen an. Vor einer zusammenfassenden Wertung und dem Versuch, die vorliegende Untersuchung für siedlungsgeschichtliche Aspekte zu nutzen, sei daher auf einige Einzelheiten eingegangen. – Zu Arensbek (S. 179ff.) ergänze Arendsee, Arentsee (Hydronymia Germaniae A 16, Stuttgart 1990, S. 13ff.). Die bei der Erörterung der Etymologie gemachte Äußerung ‚Adlersee ergäbe durchaus einen Sinn‘ (S. 180) erscheint mir nicht sehr plausi­bel. Entsprechende Versuche, die im slavischen Bereich liegenden, ähnlich gelagerten Orla-Namen zu deuten, führen kaum weiter (hierzu und zur Wurzel *er-/or- in der alteuropäischen Hydrony­mie sieh J. Udolph, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hy­dronymie, Heidelberg 1990, S. 219-226, speziell S. 222f.). – Zu Bollerbek (S. 216) ergänze Bollers Beck, Bollers Beke (Hydronymia Germaniae, A 16, S. 50). – Zu döbbel und so weiter < *dupila- ‚Sumpf‘ vergleiche man die Ausführungen von V.F. Faltings, Nordfriesisches Jahrbuch, NF. 2O,1984,29O, sowie mittelhochdeutsch tobel ‚Vertiefung, Waldtal‘ und aus dem Slavischen zum Beispiel russ. dupló, poln. dupel ‚Höhlung im Baumstamm‘, auch ‚Bienenstock‘ (M. Vasmer, Rus­sisches etymologisches Wörterbuch, Band 1, Heidelberg 1953, S. 382).

Für polnisch Gdansk (S. 218) lies Gdansk. – Zu Jerrisbek (S. 315f.) ist wohl der Ortsname Jersbek bei Bargteheide (ältere Belege jetzt in Hydronymia Germaniae, A 16, S. 180) heranzuziehen. – Krauel (S. 335) besitzt eine weitere Entsprechung in Hamburg: Kraueler Brack, auch Orts- und Inselname Krauel (sieh Hy­dronymia Germaniae, A 16, S. 194). – Der Flurname Müsch (S. 362f.) wird zu *musk gestellt und dazu ergänzt: ‚Die Wurzel *musk ist in vielen nordischen Toponymen enthalten‘ (S. 362), K. Hald ’setzt ein Appellativ *mysk voraus, eng verwandt mit jüt. musk … ‚Nieselregen, Nebel‘ und adän. myske, jüt. muske … ’nieseln‘, möglicherweise auch mit jüt. musk ‚Schimmel‘ … (Er) vermutet au­ßerdem eine Verbindung mit norweg. *mysk und schott. misk als Bezeichnung für niedriges, feuchtes und unbebautes Land‘ (S. 363). Von hieraus ist eine interessante Verbindung zu zwei -ithi-Namen möglich, man vergleiche Moischt, Ortsteil von Marburg, 13.-15. Jh. muscede, Mushede, Muskede, Muschede, demnach wahrscheinlich aus *Musk-ithi, und Müschede, Ortsteil von Arns­berg, a. 1204 zum Musche, Muschede. Ich hatte diese beiden Namen bei der Behandlung der -ithi-Bildungen (in: Probleme der älteren Namenschichten, Leipziger Symposium, BNF.NF., Beiheft, Heidelberg 1991, im Druck) zu den eher nichtgermanischen Typen gezählt und mit russisch muzga ‚See, Lake, Weiher‘, slovenisch muzga ‚Schlamm, Lettenerde‘ verbunden. Nun scheint ein Ansatz *Musk-ithi doch seine Erklärung innerhalb des Germanischen zu finden; zu den slavischen Appel­lativen bestände dann Urverwandtschaft. – Die Annahme einer Entlehnung von niederdeutsch piep ‚Pfeife, Röhre‘, aber auch ’schmaler Abzugsgraben zwischen Acker-, Weide- und Wiesenstücken‘ (S. 55), aus lateinisch *pîpa ‚Schalmei‘ kann zutreffen. Gerade aber die -l-Ableitung erscheint nicht nur in dem jütisch pebel, pebbel ‚kleiner Bach‘, sondern ebenfalls in -ithi-Bildungen wie in den Ortsnamen Hack-Pfiffel bei Sangerhausen, a. 1261 Pfeffelde, a. 1438 Familie Hacke im Dorfe Pfeffelde; Pfiffel bei Allstedt und Mönch-Pfiffel, Kreis. Apolda, 9. Jahrhundert (Kopie 11. Jahr­hundert) Bablide, a. 1154 Peffelde und so weiter, die mit den Gewässernamen Pfiffelbach und Pfüffelerbach in Verbindung stehen. Man vergleiche auch altenglisch pípe ‚(hölzerne) Wasserröhre‘. Ob nicht doch von einem germanischen Appellativum auszugehen ist, das nur zufällig an lateinisch *pîpa ‚Schalmei‘ anklingt? –  Zur Zusammenstellung des Hydronyms Rheider Au und der Ortsna­men Groß-, Klein-Rheide (S. 391-393) mit einem indogermanischen Ansatz *roi-t- > germanisch *rai-p- sieh auch A. Mayer, Die Sprache der alten Illyrier, Band 2, Wien 1959, S. 94f. – Die für unklar und umstritten gehaltene Etymologie von deutsch See löst sich mit A. Greule, Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein, Heidelberg 1973, S. 151, als u-Determinativum der Wurzel *sei-/soi-/si- ‚tröpfeln, rinnen, feucht‘ meines Erachtens doch zufriedenstellend. – Wei­teres Vergleichsmaterial zu Stolbek sieh jetzt bei J. Udolph, Stellung 276f. – Es fällt auf, daß v. Rohden keine Probleme hatte, Vergleiche aus dem nördlich des Untersuchungsgebietes angrenzen­den dänischen Sprachgebiet beizubringen. Die rührige dänische Namenforschung hat dazu das ihre getan.

Dagegen fehlt es für den Raum südlich der Elbe nach wie vor an fundierten Untersuchun­gen (abgesehen von den Flurnamenuntersuchungen in Niedersachsen). Nur einige wenige Ergän­zungen waren aus dem Namenmaterial des Unterelbegebietes (Hydronymia Germaniae, A 16) mög­lich. – Wenn man eine zusammenfassende Wertung der Untersuchung vornimmt, so muß man sa­gen, daß der Verfasser seiner Aufgabe voll gerecht geworden ist. Seine Deutungen überzeugen fast durchweg; über einzelne Namen wird man immer streiten können. Allerdings liegt diese Beurtei­lung auch zum Teil in der Materie selbst. Es sind fast ausschließlich relativ junge Namen, denen sich v. Rohden gegenüber sah. Ihre Deutung steht vor nicht allzu großen Schwierigkeiten. Dabei ist allerdings zu unterstreichen, daß sich der Verfasser den verschiedenen Problemen der Interferenz zwischen niederdeutschen und dänischen Namensformen gewachsen zeigt. Er hat eine Arbeit vor­gelegt, der man Anerkennung zollen muß. – Mit diesem Urteil könnte man diese Besprechung ab­schließen. Es ist aber gerade die eben angesprochene Erkenntnis, daß sich im Untersuchungsgebiet fast ausschließlich junge und jüngste Gewässernamen auffinden lassen, die zum Nachdenken über die daraus resultierende Siedlungsgeschichte anregen sollte. Von Rohden hat selbst auf die geringe Anzahl älterer Bildungen aufmerksam gemacht: ‚Beispiele einer älteren, einstämmigen Hydronymie [bleiben], auch im Vergleich mit dem Landesteil Holstein, spärlich. Dies gilt auch für das hier be­handelte UG‘ (S.70) und weiter: ‚Ursprünglich einstämmige Namen einer germanischen oder gar indogermanischen Schicht machen mit etwa 1% nur einen verschwindend geringen Anteil des Na­menbestandes aus‘ (S. 72). Hinzu kommt, daß auch bei Namen, ‚die sich in die alteuropäische Hy­dronymie stellen ließen, Zweifel angebracht [sind], insbesondere, weil sie auch noch an vorhan­denes Wortgut anzuschließen sind‘ (S. 71). Wenn man dem gegenüber in Rechnung stellt, daß sich das Germanische als indogermanische Sprache auf einer indogermanisch-alteuropäischen Grundlage aus einem voreinzelsprachlichen Dialektbereich herausgebildet haben muß, dann kann sich dieses nicht dort abgespielt haben, wo ältere Namen und Namentypen so gut wie unbekannt sind. Zu ei­nem ähnlichen Ergebnis kam ich auch schon bei der Besprechung der Arbeit von Antje Schmitz, Die Orts- und Gewässernamen des Kreises Plön, BNF.NF. 23(1988), S. 315. Das heißt, daß die Zweifel, Schleswig-Holstein gehöre mit zum ältesten germanischen Siedlungsgebiet, durch die vor­liegende fundierte Arbeit weiteren Zuwachs erhalten. – Ein weiterer Punkt ist die Frage des ur­sprünglichen Siedlungsgebietes der Angeln, Sachsen und Jüten. Ihre Lage ist unsicher (S. 25). Von Rohden baut in diesem Zusammenhang vor allem auf die Archäologie: ‚Übereinstimmende vorzeit­liche Funde im Osten Südjütlands und in Teilen Englands, in die die Angeln später auswanderten, machen … das östliche Hügelland als Siedlungsraum der Angeln wahrscheinlich‘ (S. 25). Wohl auch auf archäologischen Untersuchungen basiert die weit verbreitete und bisher kaum bestrittene An­nahme, daß von Schleswig-Holstein aus ‚wesentliche Bestandteile beider Völker [Angeln, Sachsen, J.U.] im 5. Jahrhundert gemeinsam zu den britischen Inseln auswanderten …‘ (S. 26).

Ich möchte dieser Auffassung eine Erkenntnis entgegenstellen, die der Autor in einem anderen Zusammenhang gemacht hat und die die Bedeutung der Namenforschung für derartige Fragen unterstreicht: ‚Anhand der sprachlichen Zugehörigkeit der Ortsnamen läßt sich der Rückzug der dänischen Sprachgrenze herausarbeiten‘ (S. 29). Müßte man nicht das auf die Frage der Landnahme Englands übertragen und von namenkundlicher Seite an das Problem herangehen? Und um noch einen Schritt weiter zu gehen: es erheben sich ernste Zweifel an der ständig vertretenen Meinung, die germanischen Siedler Englands seien vor allem aus Schleswig-Holstein gekommen, wenn sich (wie zum Beispiel durch die vorliegende Untersuchung) herausstellt, daß das mutmaßliche Ausgangsge­biet kaum altertümliche germanische Namen oder Namentypen besitzt. – Mit diesen Überlegungen bin ich weit über die ursprüngliche Intention der zu besprechenden Arbeit hinausgegangen. Sie zeigen aber, zu welchen weitreichenden Folgerungen onomastische Arbeiten in der hier vorgelegten Qualität anregen können. Dem Verfasser ist für seine intensive, zeitaufwendige und umfassende Arbeit zu danken. (Göttingen, Jürgen Udolph)

Kieler Beiträge zur deutschen Sprachgeschichte. Band 13. 1989. Karl Wachholtz Verlag Neumünster. 593 S. Mit 13 Karten. 8°.- Die Arbeit, eine mit dem Jungius-Preis ausgezeichnete Kieler Dissertation, beginnt mit einem Vorwort (S. 9f.), der zu ent­nehmen ist, daß die Untersuchung in langen Jahren nebenberuflich entstanden ist. In der sich an­schließenden Einleitung (S. 11-20) wird die Forschungslage umrissen. Dabei wird unterstrichen, daß es bisher keine namenkundliche Untersuchung gab, die ‚ein bestimmtes Flußgebiet im Schles­wiger Raum behandelt‘ (S. 11). Vorarbeiten lagen unter anderem von W. Laur, K. Hald, A. Bjerrum, J. Kousgård Sórensen und G. Kvaran vor (zur Kritik an dieser Arbeit: S. 14f. mit Hin­weis auf die Besprechung von W. Laur, BNF.NF. 16,1981,237-240). Der Gegensatz zu der Unter­suchung von G. Kvaran liegt nach Auffassung des Verfassers vor allem in der Begrenztheit und Überschaubarkeit des Untersuchungsgebietes (S. 15). Methode und Zielsetzung der Arbeit orien­tieren sich an den Arbeiten von F. Witt, B.-U. Kettner, W. Kramer und F. Debus. Dabei hat sich v. Rohden dem Grundsatz verpflichtet, ‚alle verfügbaren Namen und Belege zu sammeln‘ (S. 13), wobei Mundartformen mit F. Debus als ‚prinzipiell gleichwertige Belege‘ betrachtet werden (S. 13). Zur Textgrundlage und Quellenkritik wird auf den Seiten 15-19 Stellung genommen. Umfragen unter Informanten haben dabei ergeben, daß ursprünglich süderjütische Namen schon oft nieder­deutsche Gestalt angenommen haben. Die Anmerkungen zu dem einleitenden Kapitel (S. 19f.) be­schließen diesen Teil der Arbeit. – Teil 1 der Untersuchung umreißt das Untersuchungsgebiet (S. 21-34). Es umfaßt das zentrale nördliche Schleswig-Holstein, etwa den Raum zwischen Flensburg, Schleswig und Husum. Drei 3 Karten geben einen guten Überblick über das Terrain. Die Bemer­kungen zur Siedlungs- und Sprachgeschichte (S. 25-33) gehen auf den zum Teil bereits vollzogenen Sprachwandel vom Süderjütischen zum Nieder- und später Hochdeutschen ein. Weiterhin werden die Probleme bei der Bestimmung der alten Wohnsitze der Angeln, Jüten und Sachsen angespro­chen. Die ‚von Westen her einsetzende Siedlungstätigkeit der Friesen um die Jahrtausendwende … hat die Hydronymie im Untersuchungsgebiet nur ausnahmsweise beeinflußt‘ (S. 28). ‚Etwa vom 12. Jahrhundert an kann man in Schleswig von den Einzelsprachen Süderjütisch, Niederdeutsch und Nordfriesisch sprechen‘ (S. 29). ‚Anhand der sprachlichen Zugehörigkeit der Ortsnamen läßt sich der Rückzug der dänischen Sprachgrenze herausarbeiten‘ (S. 29). Das Vordringen des Mittelnieder­deutschen steht im Zusammenhang mit der Entfaltung der Hanse und deren Zentrum Lübeck. Später findet eine Ablösung durch das Hochdeutsche statt. – Teil 2 der Arbeit behandelt die ‚Hydronymie des Untersuchungsgebietes‘ (S. 35-171). Es handelt sich eigentlich um die zusam­menfassende Auswertung der Untersuchung und war offenbar ursprünglich nach dem jetzigen Teil III (dem Lexikon der Gewässernamen) plaziert gewesen, denn der erste Satz (S. 35) lautet: ‚In Teil III (Lexikon) sind alle in die Sammlung aufgenommenen Namen … nach ihrer Herkunft, Bedeutung und Bildungsweise erörtert worden‘. In vier Abschnitten werden behandelt: 1. ‚Die Gewässerbe­zeichnungen und ihre Verwendung‘ (S. 35-109), wobei es vor allem um eine ‚Namengrammatik‘ (S. 35) geht. ‚Wesentliche Gesichtspunkte‘ sind für den Autor ‚die Verwendung bestimmter Gewässer­bezeichnungen, die Semasiologie und die Bildungsweisen‘ (S. 35). Dabei wird in fließende Gewäs­ser und Quellen (S. 37-82, zum Beispiel å, au, bek, born, kilde, siek, rönne) und stehende Gewässer (S. 83-109, unter anderem diek, kolk, kule, see, sood) unterteilt. Eine genaue Trennung läßt sich natürlich nicht in jedem Fall durchführen. 2. ‚Mehrnamigkeit‘ (S. 111-131), untersucht werden Mehrfachformen, Übersetzungen, Umdeutungen, Namenangleichungen und anderes mehr. 3. ‚Lautliche Erscheinungen‘ (S. 133-154), wobei es vor allem um niederdeutsche und nordgerma­nisch-süderjütische Eigenheiten und Entwicklungen geht. In diesem Zusammenhang kann der Verfasser wichtige Einzelheiten, die auch für die historische Grammatik der entsprechenden ger­manischen Dialekte von Bedeutung sind, herausarbeiten. Vor den Anmerkungen zu diesem Kapitel (S. 168-171) steht 4. die Behandlung der ‚kontaktsprachlichen Erscheinungen (Interferenzen)‘ (S. 155-167). Diese können sich auswirken als ‚unveränderte Übernahmen, orthographische Umgestal­tungen, Weiterentwicklungen nach den morphologischen und morphosyntaktischen Gesetzen des Superstrats, Umbildungen nach den phonologischen und phonotaktischen Gesetzen des Superstrats (Lautsubstitutionen), Transpositionen lexikalischer Elemente (Übersetzungen), Mißverständnisse und volksetymologische Umdeutungen‘ (S. 155). – Der umfangreichste Teil der Untersuchung (S. 173-483) enthält ein Lexikon der Namen des Untersuchungsgebietes (zu Einzelheiten der Behand­lung sieh S. 173-175). Dieses ist sorgfältig zusammengestellt, es läßt kaum Wünsche offen und ist nach Prinzipien gestaltet, wie sie modernen onomastischen Untersuchungen zukommt. Zu einigen wenigen Ergänzungen sieh weiter unten. – Verzeichnisse der Quellen sowie der Lautschrift, Ab­kürzungen, Symbole, Literatur und Karten und ein wertvolles Register (S. 485-593) beschließen die Arbeit. – Eine namenkundliche Arbeit, die eine Fülle von Material verarbeitet, regt immer zu Kommentaren, Ergänzungen und Fragen an. Vor einer zusammenfassenden Wertung und dem Versuch, die vorliegende Untersuchung für siedlungsgeschichtliche Aspekte zu nutzen, sei daher auf einige Einzelheiten eingegangen. – Zu Arensbek (S. 179ff.) ergänze Arendsee, Arentsee (Hydronymia Germaniae A 16, Stuttgart 1990, S. 13ff.). Die bei der Erörterung der Etymologie gemachte Äußerung ‚Adlersee ergäbe durchaus einen Sinn‘ (S. 180) erscheint mir nicht sehr plausi­bel. Entsprechende Versuche, die im slavischen Bereich liegenden, ähnlich gelagerten Orla-Namen zu deuten, führen kaum weiter (hierzu und zur Wurzel *er-/or- in der alteuropäischen Hydrony­mie sieh J. Udolph, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hy­dronymie, Heidelberg 1990, S. 219-226, speziell S. 222f.). – Zu Bollerbek (S. 216) ergänze Bollers Beck, Bollers Beke (Hydronymia Germaniae, A 16, S. 50). – Zu döbbel und so weiter < *dupila- ‚Sumpf‘ vergleiche man die Ausführungen von V.F. Faltings, Nordfriesisches Jahrbuch, NF. 2O,1984,29O, sowie mittelhochdeutsch tobel ‚Vertiefung, Waldtal‘ und aus dem Slavischen zum Beispiel russ. dupló, poln. dupel ‚Höhlung im Baumstamm‘, auch ‚Bienenstock‘ (M. Vasmer, Rus­sisches etymologisches Wörterbuch, Band 1, Heidelberg 1953, S. 382). – Für polnisch Gdansk (S. 218) lies Gdansk. – Zu Jerrisbek (S. 315f.) ist wohl der Ortsname Jersbek bei Bargteheide (ältere Belege jetzt in Hydronymia Germaniae, A 16, S. 180) heranzuziehen. – Krauel (S. 335) besitzt eine weitere Entsprechung in Hamburg: Kraueler Brack, auch Orts- und Inselname Krauel (sieh Hy­dronymia Germaniae, A 16, S. 194). – Der Flurname Müsch (S. 362f.) wird zu *musk gestellt und dazu ergänzt: ‚Die Wurzel *musk ist in vielen nordischen Toponymen enthalten‘ (S. 362), K. Hald ’setzt ein Appellativ *mysk voraus, eng verwandt mit jüt. musk … ‚Nieselregen, Nebel‘ und adän. myske, jüt. muske … ’nieseln‘, möglicherweise auch mit jüt. musk ‚Schimmel‘ … (Er) vermutet au­ßerdem eine Verbindung mit norweg. *mysk und schott. misk als Bezeichnung für niedriges, feuchtes und unbebautes Land‘ (S. 363). Von hieraus ist eine interessante Verbindung zu zwei -ithi-Namen möglich, man vergleiche Moischt, Ortsteil von Marburg, 13.-15. Jh. muscede, Mushede, Muskede, Muschede, demnach wahrscheinlich aus *Musk-ithi, und Müschede, Ortsteil von Arns­berg, a. 1204 zum Musche, Muschede. Ich hatte diese beiden Namen bei der Behandlung der -ithi-Bildungen (in: Probleme der älteren Namenschichten, Leipziger Symposium, BNF.NF., Beiheft, Heidelberg 1991, im Druck) zu den eher nichtgermanischen Typen gezählt und mit russisch muzga ‚See, Lake, Weiher‘, slovenisch muzga ‚Schlamm, Lettenerde‘ verbunden. Nun scheint ein Ansatz *Musk-ithi doch seine Erklärung innerhalb des Germanischen zu finden; zu den slavischen Appel­lativen bestände dann Urverwandtschaft. – Die Annahme einer Entlehnung von niederdeutsch piep ‚Pfeife, Röhre‘, aber auch ’schmaler Abzugsgraben zwischen Acker-, Weide- und Wiesenstücken‘ (S. 55), aus lateinisch *pîpa ‚Schalmei‘ kann zutreffen. Gerade aber die -l-Ableitung erscheint nicht nur in dem jütisch pebel, pebbel ‚kleiner Bach‘, sondern ebenfalls in -ithi-Bildungen wie in den Ortsnamen Hack-Pfiffel bei Sangerhausen, a. 1261 Pfeffelde, a. 1438 Familie Hacke im Dorfe Pfeffelde; Pfiffel bei Allstedt und Mönch-Pfiffel, Kreis. Apolda, 9. Jahrhundert (Kopie 11. Jahr­hundert) Bablide, a. 1154 Peffelde und so weiter, die mit den Gewässernamen Pfiffelbach und Pfüffelerbach in Verbindung stehen. Man vergleiche auch altenglisch pípe ‚(hölzerne) Wasserröhre‘. Ob nicht doch von einem germanischen Appellativum auszugehen ist, das nur zufällig an lateinisch *pîpa ‚Schalmei‘ anklingt? –  Zur Zusammenstellung des Hydronyms Rheider Au und der Ortsna­men Groß-, Klein-Rheide (S. 391-393) mit einem indogermanischen Ansatz *roi-t- > germanisch *rai-p- sieh auch A. Mayer, Die Sprache der alten Illyrier, Band 2, Wien 1959, S. 94f. – Die für unklar und umstritten gehaltene Etymologie von deutsch See löst sich mit A. Greule, Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein, Heidelberg 1973, S. 151, als u-Determinativum der Wurzel *sei-/soi-/si- ‚tröpfeln, rinnen, feucht‘ meines Erachtens doch zufriedenstellend. – Wei­teres Vergleichsmaterial zu Stolbek sieh jetzt bei J. Udolph, Stellung 276f. – Es fällt auf, daß v. Rohden keine Probleme hatte, Vergleiche aus dem nördlich des Untersuchungsgebietes angrenzen­den dänischen Sprachgebiet beizubringen. Die rührige dänische Namenforschung hat dazu das ihre getan. Dagegen fehlt es für den Raum südlich der Elbe nach wie vor an fundierten Untersuchun­gen (abgesehen von den Flurnamenuntersuchungen in Niedersachsen). Nur einige wenige Ergän­zungen waren aus dem Namenmaterial des Unterelbegebietes (Hydronymia Germaniae, A 16) mög­lich. – Wenn man eine zusammenfassende Wertung der Untersuchung vornimmt, so muß man sa­gen, daß der Verfasser seiner Aufgabe voll gerecht geworden ist. Seine Deutungen überzeugen fast durchweg; über einzelne Namen wird man immer streiten können. Allerdings liegt diese Beurtei­lung auch zum Teil in der Materie selbst. Es sind fast ausschließlich relativ junge Namen, denen sich v. Rohden gegenüber sah. Ihre Deutung steht vor nicht allzu großen Schwierigkeiten. Dabei ist allerdings zu unterstreichen, daß sich der Verfasser den verschiedenen Problemen der Interferenz zwischen niederdeutschen und dänischen Namensformen gewachsen zeigt. Er hat eine Arbeit vor­gelegt, der man Anerkennung zollen muß. – Mit diesem Urteil könnte man diese Besprechung ab­schließen. Es ist aber gerade die eben angesprochene Erkenntnis, daß sich im Untersuchungsgebiet fast ausschließlich junge und jüngste Gewässernamen auffinden lassen, die zum Nachdenken über die daraus resultierende Siedlungsgeschichte anregen sollte. Von Rohden hat selbst auf die geringe Anzahl älterer Bildungen aufmerksam gemacht: ‚Beispiele einer älteren, einstämmigen Hydronymie [bleiben], auch im Vergleich mit dem Landesteil Holstein, spärlich. Dies gilt auch für das hier be­handelte UG‘ (S.70) und weiter: ‚Ursprünglich einstämmige Namen einer germanischen oder gar indogermanischen Schicht machen mit etwa 1% nur einen verschwindend geringen Anteil des Na­menbestandes aus‘ (S. 72). Hinzu kommt, daß auch bei Namen, ‚die sich in die alteuropäische Hy­dronymie stellen ließen, Zweifel angebracht [sind], insbesondere, weil sie auch noch an vorhan­denes Wortgut anzuschließen sind‘ (S. 71). Wenn man dem gegenüber in Rechnung stellt, daß sich das Germanische als indogermanische Sprache auf einer indogermanisch-alteuropäischen Grundlage aus einem voreinzelsprachlichen Dialektbereich herausgebildet haben muß, dann kann sich dieses nicht dort abgespielt haben, wo ältere Namen und Namentypen so gut wie unbekannt sind. Zu ei­nem ähnlichen Ergebnis kam ich auch schon bei der Besprechung der Arbeit von Antje Schmitz, Die Orts- und Gewässernamen des Kreises Plön, BNF.NF. 23(1988), S. 315. Das heißt, daß die Zweifel, Schleswig-Holstein gehöre mit zum ältesten germanischen Siedlungsgebiet, durch die vor­liegende fundierte Arbeit weiteren Zuwachs erhalten. – Ein weiterer Punkt ist die Frage des ur­sprünglichen Siedlungsgebietes der Angeln, Sachsen und Jüten. Ihre Lage ist unsicher (S. 25). Von Rohden baut in diesem Zusammenhang vor allem auf die Archäologie: ‚Übereinstimmende vorzeit­liche Funde im Osten Südjütlands und in Teilen Englands, in die die Angeln später auswanderten, machen … das östliche Hügelland als Siedlungsraum der Angeln wahrscheinlich‘ (S. 25). Wohl auch auf archäologischen Untersuchungen basiert die weit verbreitete und bisher kaum bestrittene An­nahme, daß von Schleswig-Holstein aus ‚wesentliche Bestandteile beider Völker [Angeln, Sachsen, J.U.] im 5. Jahrhundert gemeinsam zu den britischen Inseln auswanderten …‘ (S. 26). Ich möchte dieser Auffassung eine Erkenntnis entgegenstellen, die der Autor in einem anderen Zusammenhang gemacht hat und die die Bedeutung der Namenforschung für derartige Fragen unterstreicht: ‚Anhand der sprachlichen Zugehörigkeit der Ortsnamen läßt sich der Rückzug der dänischen Sprachgrenze herausarbeiten‘ (S. 29). Müßte man nicht das auf die Frage der Landnahme Englands übertragen und von namenkundlicher Seite an das Problem herangehen? Und um noch einen Schritt weiter zu gehen: es erheben sich ernste Zweifel an der ständig vertretenen Meinung, die germanischen Siedler Englands seien vor allem aus Schleswig-Holstein gekommen, wenn sich (wie zum Beispiel durch die vorliegende Untersuchung) herausstellt, daß das mutmaßliche Ausgangsge­biet kaum altertümliche germanische Namen oder Namentypen besitzt. – Mit diesen Überlegungen bin ich weit über die ursprüngliche Intention der zu besprechenden Arbeit hinausgegangen. Sie zeigen aber, zu welchen weitreichenden Folgerungen onomastische Arbeiten in der hier vorgelegten Qualität anregen können. Dem Verfasser ist für seine intensive, zeitaufwendige und umfassende Arbeit zu danken. (Göttingen, Jürgen Udolph)

Jürgen Udolph: Besprechung von Herbert Schelesniker: Slavisch und Indogermanisch

Erschienen in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 27(1992)472-475.
Herbert Schelesniker. Slavisch und Indogermanisch. Der Weg des Slavischen zur sprachlichen Eigenständigkeit. Mit 4 Karten. Innsbrucker Beiträge zur Sprach-wissenschaft. Vorträge und Kleinere Schriften 48. 1991. Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck. 24 S. 8°.

In der vorletzten Studie des im Januar 1991 verstorbenen Innsbrucker Slavisten versucht der Autor auf 13 Seiten (Titelei und Literatur sowie vier Karten nehmen den übrigen Platz ein) einen Abriß der Ausgliederung des Slavischen aus dem indogermanischen Dialektverband. Auch wenn keiner meiner Titel im Literaturverzeichnis verzeichnet ist (dafür allerdings zwei Karten, vgl. S. 22-23), so sind es nicht zuletzt die namenkundlichen Untersuchungen des Rezensenten, die in dieser Skizze attackiert werden. Das zeigt sich schon auf S. 6: die Onomastik sei nicht in der Lage, Ort und Zeit einer Volkswerdung zu ermitteln, denn „Ethnogenesen vollziehen sich in kleinen Keimzellen, von der Umwelt unbemerkt“. Dagegen bestehe „der einzig zielführende Weg, die Existenz früher Slaven in einem bestimmten Areal toponymisch zu erfassen und nachzuweisen“, in der Behandlung von „Namen nicht- bzw. vorslavischer Bildungsart, die aus dem Slavischen nicht erklärbar sind, aber deutliche Spuren einer slavischen Überformung erkennen lassen“. Wenig später heißt es dazu ergänzend: „Mit anderen Worten: Slavische Orts-, Flur- und Gewässernamen weisen, selbst in ihrer ältesten überlieferten Gestalt, lediglich auf ein Gebiet, das von Slaven besiedelt ist oder war, nicht aber auf den ‚Urkern‘ des slavischen Territoriums. Entsprechendes gilt für thrakische, illyrische, keltische und Namen anderer Völkerschaften. Somit ist die Toponymie allein nicht imstande, das Dunkel der Vor- und Frühzeit des Slavischen auszuleuchten, wie sie gleichfalls außerstande ist, sprachliche Zusammenhänge und Entwicklungen sowie zwischensprachliche Beziehungen aufzudecken“ (S. 7). Diese Sätze lassen jeden Namenforscher an der Bedeutung seiner Bemühungen zweifeln. Ich erspare mir eine detaillierte Auflistung gegensätzlicher Meinungen und möchte zunächst skizzieren, mit welchen Argumenten Schelesniker selbst zur Ethnogenese des Slavischen beitragen möchte.

Mit Recht wird zunächst die besondere Bedeutung der germanisch-baltisch-slavischen Isoglossen (S. 8) betont. Ähnliches gilt für den -t-Einschub, der bekanntlich auch das Illyrische umfaßt. Problematischer sind m.E. dagegen Wortgleichungen, mit denen gern operiert wird, so etwa für „Roggen“, „Blei“, „Zinn“, „Zink“, „Eisen“ (mit Hinweis auf archäologische Untersuchungen, wonach „um 500 sich bei den Balten bereits eine eisenverarbeitende Industrie nachweisen läßt“, S. 13) u.a.m. Das Problem des slavischen -ch- löst sich für den Autor wie folgt: „In Wirklichkeit sind alle mit ch- anlautenden Wörter des Slavischen, die sich auf indogermanischer Grundlage etymologisieren lassen, Erbwörter und reichen als solche in die Frühzeit des Slavischen zurück“ (S. 9).

Eine besondere Position nimmt nach Schelesniker der iranische Einfluß im Slavischen ein. Ihm sind die Differenzierungen des Slavischen gegenüber dem Baltischen anzulasten, weiterhin der mutmaßliche Zusammenfall von idg. *o, *a, *e > a, sowie die Palatalisierung: „man wird darin eine Angleichung oder Anpassung slavischer Artikulation an die Sprechweise der benachbarten iranischen Bevölkerung zu sehen haben“ (S. 14). Das Iranische ist „gleichsam als ‚Geburtshelfer‘ des Slavischen anzusehen“ (S. 16).

Weiterhin sind für die Ausgliederung des Slavischen turksprachige Einflüsse von Bedeutung gewesen (S. 16f.). Genannt werden hier die „intrasyllabische Harmonie“ (die ich im Slavischen allerdings nicht erkennen kann), die progressive 3. Palatalisierung, die Delabialisierung gerundeter Vokale (*u > ; *û > y) und das verbpaarige Aspektsystem.

Aus den iranisch-slavischen und turksprachlich-slavischen Kontakten ergibt sich für die Heimatfrage: die indogermanischen Vorslaven waren „vor ihrer Expansion in einer Gegend ansässig, die im Vorraum der Ostkarpaten, etwa im Zwischenflußgebiet von Prut, Dnestr und Südlichem Bug zu suchen ist … Das erwähnte Gebiet weist auch nur einen geringen Bestand an alten slavischen Orts-, Flur- und Gewässerbezeichnungen auf, doch breiten sich diese von hier aus bündelartig nach allen Richtungen aus“ (S. 15). Die Häufungen slavischer Namen im Raum westlich davon zeigen „nicht das Ursprungsland [man darf hinzufügen: wie

bei J. Udolph. J.U.], sondern die Expansion der Slaven, die aus einem unauffälligen Kerngebiet erfolgte“ (S. 16).

Unklar bleibt mir in diesem Zusammenhang allerdings die Passage „Lexikalisch-semantisch lassen sich spezifische Übereinstimmungen des Slavischen mit dem Italischen, Germanischen, Baltischen und Indoiranischen nachweisen, was bedeutet, daß die Vorfahren der Slaven ihren Standort innerhalb der indogermanischen Sprachgemeinschaft einigemale geändert haben müssen, ehe sie als eigenständiges Volk mit eigener Sprache hervortraten“ (S. 7). Dazu vgl. unten.

Das Schlußwort lautet: „Der gedrängte Überblick soll zeigen, daß der Ausgliederungs- und Verselbständigungsprozeß des Slavischen gegenüber dem indogermanischen Dialektverband nur dann erfolgversprechend sichtbar gemacht werden kann, wenn man historische, kulturelle und sprachliche Schichten freilegt und miteinander in Beziehung setzt. Die Toponymie ist nur eine dieser Schichten, die insgesamt gesehen gegenüber den anderen keinen Vorrang genießt“ (S. 18).

Die Studie fordert zu deutlicher Kritik heraus. Ich beginne bei dem Schlußwort und möchte die Frage stellen: auf welchem Wege ist es möglich, „historische, kulturelle und sprachliche Schichten“ in der Ausgliederung des Slavischen herauszuarbeiten? Es geht dabei nach allgemeiner Einschätzung um einen Zeitraum, der um Christi Geburt anzusetzen ist. Haben wir wirklich Methoden, die uns Aussagen über historische oder kulturelle Schichten im sich entwickelnden Slavischen erlauben? Und hilft uns die Archäologie, die von Schelesniker einmal bei der Diskussion des „Eisen“-Wortes zur Stütze herangezogen wird, weiter? Sind es nicht doch im wesentlichen sprachwissenschaftliche Methoden, darunter Entlehnung und onomastische Überlegungen, die weiter helfen können? Oder sind die Worte von M. Vasmer, daß die slavische Urheimatfrage „in erster Linie gefördert werden kann durch gründliche Lehnwörter- und Ortsnamenforschungen und möglichst vollständige Berücksichtigung aller alten historischen und geographischen Quellen“ (Schriften zur slavischen Altertumskunde und Namenkunde, Bd. 1, Berlin-Wiesbaden 1971, S. 71) heute nicht mehr gültig? Schelesnikers Studie wäre dann ein Gewinn, wenn sich seine Argumente halten ließen. Das ist aber bei nicht wenigen Punkt nicht der Fall.

So halte ich die These, wonach die Behandlung von „Namen nicht- bzw. vorslavischer Bildungsart, die aus dem Slavischen nicht erklärbar sind, aber deutliche Spuren einer slavischen Überformung erkennen lassen“ von besonderem Wert für die Heimat-Frage sei, für unrichtig. Eine Studie, die in diese Richtung geht, habe ich selbst vorgelegt (Gewässernamen der Ukraine und ihre Bedeutung für die Urheimat der Slaven. In: Slavistische Studien zum IX. Internationalen Slavistenkongreß in Kiev, Köln-Wien 1983, S. 579-595) und nur feststellen können, daß weite Gebiete von Slaven so frühzeitig erreicht worden sind, daß die übernommenen Namen die anzusetzenden urslavischen Lautentwicklungen mitgemacht haben. Eine genauere Eingrenzung und Bestimmung der Heimat ist damit nicht möglich.

Der nach Schelesniker angenommene starke Einfluß des Iranischen auf das (sich entwickelnde) Slavische ist eindeutig zu hoch eingestuft. Es geht kaum an, diesem die Differenzierungen des Slavischen gegenüber dem Baltischen anzulasten. Ebensowenig müssen die Palatalisierungen auf fremden Einfluß zurückgeführt werden. Eine Änderung der Artikulation vor vorderen Vokalen ist so weit verbreitet, daß man ohne Substrat- oder Kontakteinfluß auskommen kann. Der mutmaßliche Zu-sammenfall von idg. *o, *a, *e > slav. a, den Schelesniker zusammen mit anderen Forschern postuliert, hatte ich schon in einem anderen Zusammenhang kritisiert (Indogermanische Forschungen 87,1982,364-369) und darauf verwiesen, daß auch die Hydronymie mit wichtigem Beweismaterial aufwarten kann (Ebda., S. 367). Die in diesem Zusammenhang auch von H. Schelesniker erneut vorgetragene These, in dem russischen Akan’e sei ein sehr alter Wandel zu sehen, ist verfehlt, denn „die ersten sicheren Belege des Moskauer Akanje stammen aus der ersten Hälfte des 14.Jh. … Weiter im Westen sind die ersten Belege noch jünger … (Polock 1478)“ (A. Issatschenko, Geschichte der russischen Sprache, 1. Bd., Heidelberg 1980, S. 182). Überträgt man diese Chronologie auf das Germanisch-Deutsche, so hieße das, daß man mit der Sprache Luthers Probleme des Urgermanischen zu lösen versucht. Die beste Erklärung bietet nach wie vor G. Stipa (vgl. IF. 81,1976,428f.), der finnougrischen Einfluß annimmt. Ich möchte diese Entwicklung mit einem abgewandelten Satz von H. Schelesniker kommentieren: „man wird darin eine Angleichung oder Anpassung finno-ugrischer Artikulation an die Sprechweise der

slavischen Bevölkerung zu sehen haben“. Der für das Urslavische angesetzte Akan’e-Wandel scheitert allein schon an dem Fehlen im Ukrainischen.

Auch die als Beweis für iranischen Einfluß auf das Slavische angeführte Arbeit von G. Holzer, Entlehnungen aus einer bisher unbekannten indogermanischen Sprache im Urslavischen und Urbaltischen, Wien 1989, eine nach H. Schelesniker „in jeder Hinsicht aufschlußreiche Abhandlung“, kann aus namenkundlicher Sicht nicht als Stütze herangezogen werden (vgl. meine Rez. in dieser Zeitschrift, Neue Folge 25,1990,140-143).

Schließlich ist noch einmal auf die These zurückzukommen, wonach die Vorfahren der Slaven ihren Standort aufgrund von Übereinstimmungen mit anderen indogermanischen Sprachen „einigemale geändert haben müssen, ehe sie als eigenständiges Volk mit eigener Sprache hervortraten“ (S. 7). Eine ganz entsprechende Ansicht hat O.N. Trubacev in seinen letzten Arbeiten zur frühen Gliederung des Indogermanischen hinsichtlich des Baltischen geäußert: da diese idg. Sprache vielfältige Beziehungen zu verschiedenen idg. Idiomen besitzt, hat das Baltische seine Lage mehrfach verändert. Die Unhaltbarkeit beider Thesen liegt auf der Hand. Nimmt man sie ernst, so wäre nicht nur für diese beiden Sprachgruppen, sondern für alle indogermanischen Sprachen ein ständiges Gehen und Kommen und eine Fülle von Wanderungsbewegungen anzusetzen.

Die dazu konträre Ansicht führt im Grunde zu den Grundüberzeugungen der Slavistik und Indogermanistik zurück: aus einer indogermanischen Dialektszone heraus hat sich in einer relativ kleinen Keimzelle das Slavische herausgebildet. Man rechnet – wahrscheinlich mit Recht – mit einer Zeitspanne von etwa einem Jahrtausend. In dieser Zeit wurden Gewässer- und Ortsnamen übernommen, umgestaltet und neu gegeben. Es kommt nur darauf an, ein Gebiet ausfindig zu machen, in der sich eine relative Kontinuität von der alteuropäisch-indogermanischen Namenschicht zum Slavischen herausarbeiten läßt. Besonders hilfreich sind dabei Toponyme, die aus slavischen Appellativen entstammen, die in dem entsprechenden Gebiet nicht mehr nachweisbar und unproduktiv geworden sind.

Diese Voraussetzungen werden in dem von H. Schelesniker favorisierten Gebiet „im Vorraum der Ostkarpaten, etwa im Zwischenflußgebiet von Prut, Dnestr und Südlichem Bug“ nicht erfüllt. Weder die slavische Namengebung noch die alteuropäische Hydronyme geben Hinweise in diese Richtung. Da die Onomastik nach H. Schelesniker allerdings nicht die entscheidende Rolle spielt, hätte er dieses Argument wohl ohnehin nicht akzeptiert. Ich sehe jetzt ganz davon ab, daß vor allem polnische Forscher (wie etwa in letzter Zeit W. Manczak) mit einer Heimat in dem von H. Schelesniker genannten Gebiet kaum einverstanden sein dürften, und schließe nur mit der m.E. nach wie vor gültigen Einschätzung, daß Fragen der Ethnogenese, Heimat und Ausgliederung einer idg. Sprache nur unter Einbeziehung von onomastischen Untersuchungen behandelt werden können. (Göttingen, Jürgen Udolph)

Jürgen Udolph: Besprechung von Herbert Schelesniker: Das slavische Verbalsystem

Erschienen in: Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 27(1992)475-476.
Herbert Schelesniker. Das slavische Verbalsystem und seine sprachhistorischen Grundlagen. Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Vorträge und Kleinere Schriften 51. 1991. Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck. 48 S. 8°.-

Die Studie ist die „letzte wissenschaftliche Arbeit und in diesem Sinne [das] Vermächtnis“ und „eine sehr persönliche Auffassung zum slavischen Verbalsystem“ (Vorwort des Herausgebers W. Meid, S. 5) des 1991 verstorbenen Innsbrucker Slavisten. Sie enthält ein Vorwort des Herausgebers (S. 5) und des Autors, sowie Abschnitte über die Sonderstellung des Verbums (S. 8-12), die grammatischen Kategorien des Verbums (S. 12-37), darin als Hauptteil das Problem des slavischen Aspekts, die Einteilung der Verbalklassen (S. 37-47), ihren Niederschlag im Slavischen (S. 38-47) und Hinweise auf die „Fachliteratur“ (S. 48). Sie entstand aus einem Vorlesungszyklus über das slavische Verbum und versucht, „die Grundlinien des Entwicklungsverlaufes aufzuzeigen, den das Verbum aus indogermanischer Zeit bis in die Periode der sprachlichen und völkischen Eigenständigkeit der Slaven genommen hat“ (S. 7). Sie wird nach Ansicht des Autors „Slavisten, Sprachhistorikern, Indogermanisten u.a. für ihre Auffassungen und Beurteilungen sicherlich von Nutzen sein“ (S. 8).

Den Namenforscher berührt die Skizze – so könnte man meinen – naturgemäß nur am Rand. Immerhin liest er in dem Abschnitt über die „Sonderstellung des Verbums“, es sei die „wohl meistbehandelte Wortart“ (S. 8), findet jedoch wenige Minuten später in seinem Briefkasten das erste Rundschreiben des 18. Internationalen Kongresses für Namenforschung und fragt sich, warum es entsprechende Tagungen nicht auch zum Verbum gibt. Bei einem ganz anderen Punkt der Darstellung, nämlich der Frage, wann und wo sihc der slavische Aspekt herausgebildet hat, wird jedoch auch die Onomstik berührt (dazu s.u.).

Aus der Abhandlung will ich nur wenige wichtige Punkte hervorheben. So bildet für Schelesniker das „das indogermanische Perfekt den Angelpunkt unseres verbalen, nominalen und temporalen Denkens“ (S. 12). Den Schwerpunkt der Abhandlung bildet naturgemäß der immer wieder behandelt slavische Aspekt (S. 17-37). Dabei

wird mit Recht die Differenzierung zwischen dieser slavischen Erscheinung und den Verhältnissen in anderen idg. Sprachen (z.B. Englisch) betont (S. 17). Die Hauptfragen sind: 1. Wie entstand der Aspekt? 2. Wann entstand er? 3. Warum entstand er? Die Antworten werden nach längerer Erörterung (die der Autor schon früher in seinem Beitrag Entstehung und Entwicklung des slavischen Aspektsystems, Die Welt der Slaven 4,1959, S. 389ff. geführt hatte) auf den S. 32f. gegeben. Etwas zu kurz gekommen ist dabei m.E. die entscheidende Rolle des Sprechers, dessen subjektive Entscheidung nur an zwei Stellen durchschimmert: „Spätestens mit der Etablierung des Perfekts im Verbalsystem mußte dem Sprecher bewußt werden, daß man auch nichtdurative Handlungsvorgänge … sich als gegenwärtig verlaufend vorstellbar und verbal aussagbar machen könne“ (S. 26), und genereller: das „hängt von der Betrachtungs- und Auffassungsweise des Sprechenden ab“ (S. 29). Doch wie kam es zu dem Wandel? Die Antwort lautet: „Die Wurzeln des slavischen Aspektsystems mit seiner charakteristischen Verbpaarigkeit liegen in dem ausgeprägten synchronen Verbaldenken der alten Sprachträger. Ein derartiges Denken in Zeitstreckenbezügen war den indogermanischen Nachbarvölkern der Slaven [welche, wird nicht gesagt; J.U.] … weitgehend abhanden gekommen, so daß die nicht unbegründete [Beweise dafür werden nicht gegeben, J.U.] Annahme besteht, daß bei der Entwicklung des slavischen Aspektsystems eine nichtindogermanische Sprache Pate gestanden hat, wenngleich das eingesetzte Instrumentarium indogermanisch ist“ (S. 33). Welche Dialekte in Frage kommen, wird im Anschluß daran ausgeführt: „Die Slaven standen mehrere Jahrhunderte in zum Teil engen Kontakt mit Sprachen turkotatarischer Völker. Avaren, Chazaren und Bulgaren bestimmten die Lebensweise der slavischen Volksstämme zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert unserer Zeitrechung entscheidend mit“. Die Umgestaltungen sprechen „nach der Art der Strukturveränderung für starke Beeinflussung durch Turksprachen … Leider sind diese Erscheinungen von der Sprachwissenschaft bis heute nicht in ihrer vollen Tragweite erkannt und erfaßt und so gut wie gar nicht ausgewertet“ (S. 33). In einer Anmerkung zu dieser These wird darauf verwiesen, daß das altkirchenslavische Futurum „klare Substrateinwirkungen zu erkennen“ gibt, so in der Wendung imam‘ „(ich) habe“ + Infinitiv (in der griech.-roman. Futurkonstruktionen als Quelle angesehen werden) und in slav. naÇ’no, oder v’Çn’no, „beginne“, das germanischen Einfluß verraten soll.

Diese Auffassungen sind entschieden abzulehnen. Es sind gerade Argumente, die durch die Untersuchung der geographischen Namen gewonnen werden können, die darauf hinweisen, daß sich das entwickelnde Slavisch nicht in engerer Nachbarschaft zu Turkstämmen oder finno-ugrischen Sprachen (die Schelesniker nicht erwähnt, obwohl ihr Einfluß im Russischen unverkennbar ist) befunden hat, sondern einerseits in einer sehr frühen Periode mit idg. Dialekten Kontakt besaß, aus denen später Indo-Iranisch und Baltisch entsprangen, und später in einen engeren Verbund mit dem frühen Baltischen und Germanischen getreten ist. Zudem können mutmaßliche Substrateinflüsse im Altkirchenslavischen ebenso wenig als Argument für Substrateinfluß in einer früheren Stufe des Slavischen herangezogen werden wie der finno-ugrische Einfluß auf das Russische. Beide berühren nicht der Kern des alten slavischen Siedlungsgebietes.

Die Ursachen für die Entwicklung des Aspekts sind kaum noch auszumachen. Ob nicht hier eine Bemerkung von Schelesniker aufzugreifen ist, die er im Hinblick auf den Bestand der athematischen Verba gemacht hat und wonach „für dessen Schwund im Slavischen sich eigentlich keine Ursache erkennen läßt“ (S. 44)? Die Substrattheorie ist jedenfalls abzulehnen. (Göttingen, Jürgen Udolph)

Jürgen Udolph: Besprechung von Bruno Schier: West und Ost in den Volkskulturen Mitteleuropas

Erschienen: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 59(1992) 200-204.
BRUNO SCHIER: West und Ost in den Volkskulturen Mitteleuropas. Landes- und volkskundliche Studien zur Kulturmorphologie der deutsch-slawischen Kontaktzone für die Zeit vor und zwischen den Weltkriegen. Marburg: Elwert 1989. XII, 308 S.

Aus dem Vorwort der Arbeit (S. VIIIf.) von W. WERNER-KÜNZIG ist der Werdegang der Publikation ersichtlich: das Manuskript des 1984 verstorbenen Autors wurde von dem Johannes-Künzig-Institut für ostdeutsche Volkskunde in Freiburg überarbeitet. Hinzugefügt wurde eine Bibliographie. Die Hauptlast der Bearbeitung trugen F. DROBEK UND W. WERNER-KÜNZIG. Unterstützung erfuhren die Herausgeber von H. RÖSEL UND O. NAHODIL, der in einem „Vermächtnis eines gelehrten Deutschböhmers“ (S. X-XII) das Lebenswerk des Autors würdigt. Es handelt sich im wesentlichen um die „Problematik der Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Slawen in volkskundlicher Sicht“ (S. XI). Bei der Beurteilung der Arbeit sind verschiedene Punkte zu berücksichtigen. Zum einen erschien es mit fünfjähriger Verspätung, zum anderen ist eine postume Veröffentlichung immer mit Problemen verbunden. Das zeigt sich in einer gewissen Unausgewogenheit (auf S. XII von O. NAHODIL selbst angesprochen), aber auch in nicht wenigen Wiederholungen, die deutlich machen, daß der Autor noch an der Ausformulierung gefeilt hat. Dennoch handelt es sich wohl um eine „Gesamtschau der Erträge seiner wissenschaftlichen Bemühungen und Werke im Zeitraum von sechzig Jahren“ (S. XI). B. SCHIERs letztes Werk ist für O. NAHODIL „eine reiche Material- und Ideensammlung – und schon als eine solche ein Buch von Bedeutung, das den kommenden Adepten der Volkskunde viel zu bieten hat“ (S. XII).

In meiner Besprechung werde ich vor allem von Seiten der Sprachwissenschaft und Namenkunde zu argumentieren versuchen. Als Laie auf dem Gebiet der Volkskunde kann ich zu dem Hauptarbeitsgebiet des Autors nur wenig beitragen. Auch gehe ich nicht auf diejenigen Stellen ein, „in denen die dunklen Vorstellung [sic!] des Dritten Reiches durchsickern“ (O. NAHODIL, S. XII).

In einer Einleitung (S. 1-9) wird als Hauptarbeitsgebiet B. SCHIERs die deutsch-slavische Kontaktzone unterstrichen. Immer wieder wird (auch im weiteren Verlauf der Arbeit) betont, daß Ostmitteleuropa zwei Einflüssen unterworfen war: dem des westlichen Abendlandes und dem des asiatischen Ostens. Die nach Westen

hin orientierten Völker sahen als „äußeres Zeichen ihrer Zugehörigkeit … stets mit besonderem Stolz [die] Verwendung der lateinischen Schrift [an]“ (S. 7).

Den Schwerpunkt der Arbeit bieten die Hauptteile A und B. Teil A behandelt die „allgemeinen Voraussetzungen der west-östlichen Kulturbeziehungen“ (S. 11-174), darin I. Natürliche Grundlagen des Völkerlebens in Mittel- und Osteuropa – d.h. Boden, Klima, Pflanzen- und Tierwelt, Interethnische Einflüsse und volkscharakterologische Folgen sowie Ergebnisse im erdräumlichen und sozialgeschichtlichen Bereich (S. 11-33), II. Die vor- und frühgeschichtliche Völkerschichtung Mitteleuropas im Lichte der Ortsnamenforschung, darin Vorindogermanische, illyrisch-venetische, keltische, germanische, slawische und deutsche Ortsnamen (S. 34-62). III. Altersschichten des Volks- und Aberglaubens Mitteleuropas im Lichte der volkskundlichen Strukturforschung (S. 63-126). IV. Asiatische Einwirkungen im Altertum und fernöstliche Einflüsse seit dem Mittelalter, darunter z.B. Ackergeräte, Seeverkehr, Waffen, Geldwesen, Textilien (S. 127-174).

Teil B ist der „Kulturmorphologie der deutsch-slawischen Kontaktzone in geschichtlicher Zeit“ (S. 175-272) gewidmet. Er enthält I. Frühgeschichtliche Vorstufen der Kulturbeziehungen, wobei der Autor „als Philologe von sprachwissenschaftlichen Erwägungen, insbesondere nach der Methode der ‚Wörter und Sachen‘ ausgehen möchte“ (S. 175). Zur Diskussion regt die These an, daß „lange vor der Zeitenwende … die ersten sprachlichen und sachlichen Berührungen zwischen Germanen und Slawen ein[setzten]“ (S. 175). Es fragt sich, mit welchen wissenschaftlichen Methoden dieses nachweisbar ist. Im einzelnen werden behandelt: 1. Ostgermanisch-slawische Beziehungen (vor allem die Bereiche „Siedlung und Haus“, Kleidung, Tracht, Sagen, 2. Westgermanisch-slawische Beziehungen (z.B. Dönse, Bienenzucht und Scheunenwirtschaft), 3. Ostdeutsch-westslawische Beziehungen. Die Die Volkskulturen des östlichen Mitteleuropa zwischen West und Ost sind Thema des II. Abschnittes, diskutiert werden die Bereiche der sachlichen (S. 197-208) und geistigen Volkskultur (S. 208-216).

Der III. Abschnitt behandelt ostdeutsch-westslawische Gemeinsamkeiten am Beispiel des Sudetenraums (S. 217-229), unterteilt in die Teilbereiche „Das tschechische Volk als Glied der abendländischen Völkerfamilie“ (S. 217-219), „Deutsch-tschechische Übereinstimmungen im Bereiche der Mundarten und Schriftsprache, der ländlichen und städtischen Kultur“ (S. 219-223) und „Deutsch-

tschechische Übereinstimmungen im literarischen und volkscharakterologischen Bereich“ (S. 223-229).

Den Abschluß bildet eine „Strukturanalyse des slowakischen Volkes als Beispiel für den Aufbau der Volkskulturen am Ostrande der abendländischen Welt“ (S. 230-272). Dieser „klassische Fall der vergleichenden Volkskunde“ wird anhand der natürlichen Schichten (anthropologische Grundlagen, Einwirkungen von Klima und Boden), zeitlicher Schichten (Indogermanisch-altslawisches Erbe, Kulturschichten des Mittelalters und der Neuzeit, Geschichtliche Kulturräume) und ethnischer Schichten (westslawische Grundlage und Einflüsse der slawischen Nachbarn, ungarische, rumänische und deutsche Einflüsse, Übervolkliche Kulturräume in Mitteleuropa) behandelt. Ein Nachwort (S. 273-282) und ein Literaturverzeichnis (S. 283-308) bilden den Schluß der Arbeit.

Wie oben bereits erwähnt, sieht der Verf. das östliche Mitteleuropa im Spannungsfeld zwischen dem abendländischen Westen und dem asiatischen Osten. Zum Einfluß des Ostens heißt es: „Die Steppenvölker Asiens sind eine bewegende Kraft erster Ordnung in der Geschichte Europas; sie haben die Völkerwanderungen der Germanen, der Slawen und Finnen ausgelöst … Slawische und deutsche Forscher nehmen übereinstimmend an, daß die südlich der Sudeten und Karpaten siedelnden Slawenstämme zu einem großen Teil unter awarischer Zwingherrschaft in ihren neuen Wohnsitz eingewandert sind“ (S. 27), und weiter: „In wie starkem Maße auch die moderne Sprachwissenschaft mit mongolischen Einflüssen rechnet, drückt sich in der Tatsache aus, daß der slowakische Slawist LUDWIG NOVÁK in einer neuen Theorie die Eigenständigkeit des Altslawischen im Rahmen der baltisch-slawischen Sprachgemeinschaft auf den Vorgang der Mongolisierung zurückführt“ (S. 28). Aus diesen mehr als anfechtbaren Thesen wird auf „Nachwirkungen der Mongolenherrschaft im slawischen Volkscharakter …“ (S. 31) geschlossen. Dem ist nachhaltig zu widersprechen. Die Entfaltung des Slavischen aus indogermanischen Dialekten stand unter dem Einfluß der aus dem Indo-Iranischen ausgehenden Satemisierung, weiterhin lassen sich deutliche Übereinstimmungen zwischen den idg. Sprachgruppen Baltisch, Slavisch und Germanisch herausarbeiten (die offenbar auch im Namenschatz ihre Spuren hinterlassen hatten) und schließlich muß das Slavische zu denjenigen Sprachen gerechnet werden, die Anteil an der Alteuropäischen Hydronymie besitzen. Auch dürfte der avarische Einfluß überschätzt werden. Die Wanderungsbewegungen der Slaven wären auch ohne

avarischen Druck zu erwarten gewesen. An mongolische Einflüsse zu glauben, gibt das sprachliche Material jedenfalls nicht her.

Wir sind mit diesen Bemerkungen bereits zur Kritik aus sprachwissenschaftlich-namenkundlicher Sicht übergegangen. Es muß betont werden, daß B. SCHIERs Arbeiten zum einen nicht den aktuellen Stand (berechnet etwa auf das Jahr 1980) widerspiegeln und zum anderen deutliche Mängel aufweisen. An einigen wenigen Beispielen (dabei wird auch neuere Literatur berücksichtigt) soll das verdeutlicht werden.

1. Die Annahme vorindogermanischer Relikte, die der Verf. selbst mit Recht bei den Namen Worbis und Krkonose zurückgewiesen hat, wird unnötigerweise bei dem Flußnamen Duria aufrecht erhalten: „Da diese Dur-Namen von der Slowakei über die Schweiz, Oberitalien und Frankreich bis nach Spanien vertreten sind, scheinen hier die Reste einer weitverbreiteten vorindogermanischen Flußnamengebung vorzuliegen“ (S. 36). Vgl. dagegen W.P. Schmid s.v. Duria, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 6, Berlin-New York 1985, S. 294f.

2. Der Glaube an „Illyrisch-venetische Ortsnamen“ (S. 36-39), die ein „spezifisch ostdeutsches Ortsnamenproblem“ (S. 36) darstellen sollen, da „in Ostdeutschland … mehrere Stammes-, Fluß- und Ortsnamen weder germanisch noch slawisch zu sein [scheinen], sondern dem illyrisch-venetischen Sprachgut zuzugehören“ (S. 37), kann aufgegeben werden. Ohne hier auf Einzelheiten der Erörterung des als „illyrisch“ bezeichneten Suffixes -eia in Aquileia, Noreia, Celeia „Cilli“, Matreia „Windisch-Matrei“ und der Orts- und Gewässernamen Streu, -apa/-opa in Oppa und Aupa, eines „vorkeltischen Appellativums ‚Fluß‘ in March, alt Marus, sowie von Mur, Mürz, Cusus, zu Netze, Drage/Drawa, Drewenz, Durance, Neiße (zu den polnischen Gewässernamen s. jetzt J. Udolph, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie, Heidelberg 1990) einzugehen, ist generell auf die bessere Einbindung in die bei SCHIER unerwähnt gebliebene Alteuropäische Hydronymie H. KRAHES und W.P. SCHMIDs zu verweisen. Veraltet ist die in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die von M. VASMER erkannte Erscheinung, „daß einige der als illyrisch angesehene Ortsnamen Ostdeutschlands deutliche Beziehungen zu dem venetischen Raum im Gebiet der Adria aufweisen, wie VASMERs Gleichungen … erkennen lassen“ (S. 38), vgl. H. KRAHE, Vorgeschichtliche Sprachbeziehungen von den baltischen Ostseeländern bis

zu den Gebieten um den Nordteil der Adria, Mainz 1957 (immerhin erscheint der Titel im Literaturverzeichnis).

3. Zur Problematik der slavischen Torg-Namen, Tergeste „Triest“ usw. s. Rezensent, „Handel“ und „Verkehr“ in slavischen Ortsnamen, in: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit, Teil IV, Göttingen 1987, S. 570-615, speziell S. 583-590.

4. Bei der Behandlung der „germanischen Ortsnamen“ heißt es unter Berufung auf KOSSINNA, SPROCKHOFF, WAHLE und TACKENBERG: „Um das Jahr 1000 v. Chr. erstreckte sich ältester germanischer Siedlungsboden von der unteren Elbe bis zur unteren Oder“ (S. 40). Es ist mehr als fraglich, ob man zu diesem frühen Zeitpunkt schon von „Germanen“ sprechen kann und ob das altgermanische Siedlungsgebiet schon so früh dieses große Gebiet umfaßte. Ebenso unsicher geworden ist die immer wieder vertretene These: „Um Christi Geburt … ergreifen die Goten zunächst von dem Gebiet um die Weichselmündung Besitz; sie haben hier neben zahlreichen Bodenfunden auch germanisches Namengut hinterlassen …“ (S. 40). Dazu und zu den Ortsnamen Danzig und Gdingen vgl. Beiträge zur Namenforschung, Neue Folge 23(1988)299f. (mit weiteren Literaturhinweisen). Auch die ethnische Zuweisung der als germanisch postulierten Namen Gdec/Giecz bei Gnesen, Hedcany, Ortsnamen in Böhmen, Graudenz, Elbe, Havel, Elde, Delvenau, Spree, Weichsel („Rückentlehnung eines ursprünglich germanisch belegten Eigennamens aus dem Slawischen“), Schlesien und Nimptsch ist nicht so sicher, wie der Verf. angenommen hat.

5. Bei der Diskussion slavischer Ortsnamen (S. 44-59) kann sich SCHIER auf umfassende Untersuchungen (TRAUTMANN, SCHWARZ u.a.) stützen. Dennoch vermißt man in diesem Zusammenhang Hinweise auf die Leipziger und Berliner Arbeitskreise um E. EICHLER/H. WALTHER und G. SCHLIMPERT.

6. Der für die Leser der ZDL. zweitwichtigste Abschnitt dürfte die Erörterung „deutsch-tschechischer Übereinstimmungen im Bereiche der Mundarten und Schriftsprache, der ländlichen und städtischen Kultur“ (S. 219-223) sein. SCHIER führt dazu aus: „Die Tschechen haben sich der deutschen Anfangsbetonung angeschlossen und sie strenger als die Deutschen durchgeführt“ (S. 219); „Gleich dem Deutschen hat das Tschechische auch die Auslautverhärtung durchgeführt“ (S. 219). Die Lautveränderungen mhd. uo > ú, ie > i, ú > au, í > ei werden als Ausgang für ähnliche Entwicklungen im Tschechischen angesehen („Die Tschechen haben

[diese] Lautentwicklungen mitgemacht“); „Auch der alttschechische Lautwandel g > h (Praga > Praha) oder von r > r (trieda > trída ‚Klasse‘) wird von L. NOVÁK ebenso wie der i-Umlaut in u > ü > i (vgl. slowak. cudzí neben tsch. cizí ‚fremd‘) oder der Übergang von a > ä > e (vgl. Jan > Jeník) als eine Folge der deutschen Einwirkung erklärt“ (S. 220; Wiederholung dieser Thesen: S. 270f.). Zusammenfassend heißt es dann: „Bereits diese knappen sprachlichen Erwägungen geben uns das Recht, mit ROMAN JAKOBSON und LUDWIK NOVÁK von einem mitteleuropäischen Sprachenbund zu sprechen, der sich von dem eurasischen Sprachenbund des Ostens scharf abhebt. Er umfaßt heute das deutsche und tschechische, das west- und mittelslowakische sowie das madjarische Sprachgebiet; bis zum 15. Jahrhundert gehörten auch die polnischen, die lachischen und die ostslowakischen Mundarten dazu“ (S. 220). Auch in diesem Fall sind erhebliche Zweifel angebracht. Nicht zu allen der von SCHIER genannten Beispielen, aber zu den wichtigsten (Auslautverhärtung, Anfangsbetonung) sind durchaus andere Stimmen laut geworden: man vergleiche vor allem die kritische Stellungnahme von I. FUTAKY (und anderen) zu dem von H. HAARMANN postulierten Donau-Sprachbund in Finnisch-Ugrische Mitteilungen 2(1978)181-192. Zu dem immer noch umstrittenen Lautwandel g > h wird sicher nicht das Deutsche verantwortlich gemacht werden können, da die Erscheinung nicht nur das Tschechische und Slovakische, sondern auch das Ukrainische, Weißrussische und Südgroßrussische umfaßt. Den Thesen von L. NOVAK ist mit Vorsicht zu begegnen.

7. Die umstrittene Frage der sogenannten Südslavismen im Mittelslovakischen (S. 254f.) kann mit Hilfe der Namenforschung zu einer Klärung geführt werden. Wie ich an anderer Stelle ausführen werde, sind die dazu gehörenden Namen innerhalb der Slovakei so eng miteinander verzahnt und benachbart, daß nur die Möglichkeit bleibt, auf eine frühe Ausgliederung der slavischen Dialekte zu schließen. Späterer südslavischer Einfluß auf das Slovakische scheint daher ausgeschlossen.

B. SCHIER hat die in den letzten Jahren erfolgten umwälzenden Veränderungen im östlichen Europa leider nicht mehr erleben dürfen. Sie hätten ihn sicher angespornt, weiter mit volkskundlichen Methoden an die Probleme der an der Nahtstelle zwischen Ost und West liegenden Staaten und Völker heranzugehen. Im Schlußkapitel hat er einen Ausblick in die Zukunft gewagt: „Im Hinblick auf die unnatürliche und unheilvolle Teilung Deutschlands nach 1945 wären wir glücklich,

wenn [die] hohe Verantwortung für den Frieden der Welt viel leidenschaftlicher als bisher alle Staatsmänner und die ganze Weltöffentlichkeit von heute ergriffe“ (S. 282). Durch die Umwälzungen sind nun neue Möglichkeiten und neue Aufgaben für die Volkskunde entstanden. Meine Besprechung konnte sich nur mit den Aspekten der Sprachwissenschaft und der Namenforschung befassen. Dabei schienen mir erhebliche Korrekturen angebracht. Sie mögen ein bescheidener Beitrag zu der zukünftigen Arbeit auf diesen Gebieten sein. Die Rezension stellt daher keine zusammenfassende Wertung der vorliegenden Arbeit dar, dazu sind Vertreter der Volkskunde berufener.

Das in dem vorliegenden Buch zusammenfassend vorgelegte Lebenswerk von B. SCHIER ist eine interessante, zum Nachdenken und weiterer Untersuchung anregende Lektüre. Sie verdeutlicht auch – und das scheint mir für die Leser dieser Zeitschrift von besonderer Bedeutung zu sein -, welch hohen Stellenwert die Sprachwissenschaft, vor allem aber die Namenforschung bei diesen strittigen Fragen besitzt.

Jürgen Udolph: Besprechung von Marija Gimbutas: Die Ethnogenese der europäischen Indogermanen

Aus den Überschriften wird bereits die Grundthese der Archäologin deutlich: Mitteleuropa ist erst später indogermanisiert worden, es ist eine sekundäre Heimat indogermanischer Stämme. Der Ausgangbereich der nach Europa einfallenden Eroberer wird in den Kapitelüberschrif­ten nicht genannt, wer jedoch auch nur flüchtig Einblick in die Arbeiten von M. Gimbutas ge­nommen hat, der weiß, daß es sich um die südrussische Steppe, das Gebiet der sogenannten Kurgankultur (benannt nach den ‚für diese Kultur charakteristischen Grabhügeln mit Grab­kammern (russ. kurgan)‘ (S. 6, Anm. 6) handelt. – Knappe Darstellungen haben den Vorteil, daß dem Leser die Meinung des Autors in prägnanter Kürze präsentiert werden. Sie bieten das Gerüst, auf dem die Argumentation aufbaut. Es ist zu prüfen, ob diese Thesen nicht schon in ihrem Kern angreifbar sind. – Satz 1 der Abhandlung lautet: ‚Das neolithische und kupfer­zeitliche Europa (6 500 – 3 500 vor unserer Zeitrechnung) war ein nichtindogermanisches‘. Diese These stützt sich ausschließlich auf archäologisches Material (Einfall von Kurgan-Leu­ten nach Europa, S. 6). Das, was man M. Gimbutas zufolge als charakteristisch indogerma­nisch bezeichnen kann, manifestiert sich ‚am besten in der Sozialstruktur, im religiösen Pan­theon und Brauchtum‘. – Diese Grundgedanken sind meines Erachtens in sich bereits falsch. Zu den archäologischen Argumenten werde ich hier als Laie nicht Stellung nehmen, Alexan­der Häusler und andere Fachvertreter sind dafür kompetenter.

Ich bezweifle jedoch nachhaltig, daß sich ‚das Indogermanische‘ außerhalb der Sprache zweifelsfrei nachweisen läßt. Wenn man aber diese Komponente als wichtigste akzepiert, dann hängt fast alles, was man zur Frühzeit ‚des‘ Indogermanischen und der indogermanischen Stämme sagen kann, von der ausreichenden Berücksichtigung der Toponymie und vor allem der Hydronymie ab. In diesem Zusammenhang erscheint bereits auf der ersten Seite eine Bemerkung des Herausgebers Wolfgang Meid (wohlgemerkt: nicht der Autorin), die dem gegenwärtigen Stand der Diskus­sion um die alteuropäische Hydronymie nicht gerecht wird. Das ‚Alteuropa‘ von Marija Gim­butas wird korrekt von dem getrennt, was Hans Krahe ‚alteuropäisch‘ genannt hat. Wenn der Herausgeber in einer Anmerkung jedoch klarzustellen versucht: ‚Um der Gefahr der Be­griffsverwirrung zu entgehen, sollte man die Bezeichnung ‚alteuropäische Hydronymie‘ durch ‚westindogermanische Hydronymie‘ ersetzen‘, so wird damit der Stand der Diskussion aus den sechziger Jahren wiedergegeben, nicht aber der gegenwärtige. Die besondere Stellung des Baltischen, die Einbeziehung des slavischen und in großem Umfang slavisierten Sprach­gebietes und die Ausdehnung der voreinzelsprachlichen Namengebung bis in die südrussische Steppe lassen ein Etikett ‚westindogermanisch‘ schon lange nicht mehr zu. – Während das er­ste Kapitel fast ausschließlich mit archäologischen Argumenten ausgefüllt ist, geht es im zweiten (Mitteleuropa – die sekundäre Heimat der Indogermanen) auch um linguistische Be­weisgründe.

Dabei sind aber etliche gravierende Fehler festzustellen: – 1. Die Annahme, die alteuropäische Hydronymie sei im Slavischen nur marginal vorhanden (S. 10), ist überholt. Gerade Polen bietet eine Fülle von voreinzelsprachlichen Namen mit gesicherten Beziehun­gen zum Baltikum, aber auch zum Westen (auf Einzelheiten gehe ich hier jetzt nicht ein (vgl. Rezensent, Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hy­dronymie, BNF.NF., Beiheft 31), Heidelberg 1990). – 2. Die auch von M. Gimbutas aufge­griffene These von A. Tovar, die alteuropäische Hydronymie sei mit nichtindogermanischen Elementen durchsetzt (S. 11), ist zurückzuweisen (vgl. Kratylos 22,1977, S. 123-129). – 3. Völ­lig verfehlt ist die Annahme, ‚das‘ indogermanische Wort für ‚Meer‘ (nebenbei gesagt, gibt eine Reihe anderer Bezeichnungen) in lat. mare usw. beziehe sich auf das offene Meer, so daß man von hier aus auf alte Wohnsitze schließen könne (S. 11). Gewässernamen wie Morava, deutsch March, und der daraus abgeleitete Ländername Morava ‚Mähren‘, die balkanischen Flußnamen Morava und andere, sowie detaillierte Untersuchungen zu dem Wort mare, Meer, more (man vergleiche schon A. Nehring, Idg. *mari, *mori, Festschrift für Franz Rolf Schrö­der, Heidelberg 1959, S. 122-138; zum Slavischen Rezensent, Studien zu slavischen Gewäs­sernamen und Gewässerbezeichnungen, BNF.NF., Beiheft 17, Heidelberg 1979, S. 214-226), lassen keinen Zweifel daran zu, daß von einer ursprünglichen Bedeutung ‚Binnensee, Bin­nengewässer‘ auszugehen ist.

Weniger Kritik fordert Abschnitt 3 (Die Entstehung einer nördlichen und südlichen Indogermanengruppe durch Abwanderung aus Mitteleuropa zwi­schen 3 000 und 2 500) heraus. Auch dem vierten Kapitel, der Behandlung der Ausbildung der baltischen Sprachfamilie kann im wesentlichen zugestimmt werden. Es zeigt sich dabei aber auch, daß die Argumentation dann unangreifbarer wird, wenn hydronymische Untersu­chungen herangezogen werden können. So heißt es mit Recht unter Berufung auf V.N. Topo­rov und O.N. Trubaåev: ‚Die baltische Hydronymie der Landschaften des heutigen Weiß- und Zentralrußlands beweist das Ausmaß der baltischen Besiedlung eindrucksvoller als archäolo­gische Funde allein es vermögen‘ (S. 17). Allerdings bleiben auch in diesem Zusammenhang schwere Fehler nicht aus, so zum Beispiel, wenn mit Hermann Schall ‚die Westgrenze der Balten bis westlich von Berlin‘ verlegt wird (S. 17), und dessen Meinung, der Name Berlin selbst sei baltischer Herkunft referiert wird. – Zustimmen kann man allerdings der nach Vor­stellung von archäologischen und sprachwissenschaftlichen Argumenten gezogenen Vermu­tung, daß die Identität der Balten ‚eine der am wenigsten umstrittenen unter den europäi­schen Indogermanen ist‘ (S. 17), und auf urgeschichtlichen Thesen aufbauend sicher auch dem folgenden Halbsatz ‚ähnlich der der Germanen‘, jedoch wird eine vom Rezensenten im Druck befindliche umfangreiche Untersuchung zum Germanenproblem aus namenkundlicher Sicht zu zeigen versuchen, daß die bisher als sicher angenommene nordische Herkunft ger­manischer Stämme nicht zu halten ist.

Auch in diesem Punkt zeigt sich somit, daß die Ergeb­nisse archäologischer Untersuchungen erst dann als wirklich gesichert gelten können, wenn sie topo- und hydronymisch gestützt worden sind. Für den Fall des Slavischen hat M. Gimbu­tas daraus die meiner Ansicht nach richtigen Schlüsse gezogen (S. 25f.). Auch bei dieser in ih­rer Herkunft lang umstrittenen indogermanisch Sprachengruppe gab letztlich die Durchsicht der Gewässernamen den Ausschlag für oder gegen lange diskutierte Thesen. – Insofern kann man dem ersten Teil des einleitenden Satz des letzten Abschnittes des Bändchens zustimmen. Dort heißt es: ‚Am Modellfall der baltischen Gruppe hat sich gezeigt, daß ohne eine linguisti­sche Basis die Identifikation indogermanischer Sprachfamilien in ihrem Frühstadium kaum möglich ist …‘. Das gilt meiner Meinung nach aber nicht für den zweiten Halbsatz ‚… und daß umgekehrt ohne stützende archäologische Beweise die Untersuchung von Orts- und Gewäs­sernamen unschlüssig bleibt‘ (S. 27). Die bisher fast ohne Widerspruch akzeptierte, nahezu auschließlich auf archäologischen Untersuchungen basierende und als gesichert geltende An­nahme der nordischen Heimat des Germanischen wird als Testfall für die Auffassungen von Marija Gimbutas und meiner knappen Besprechung dienen können. (Göttingen, Jürgen Udolph)

Zuwanderungsthese stirbt nicht aus: „Im 6. Jahrtausend wanderten aus Südosteuropa kommend die ersten Sprecher des indogermanischen Sprachtypus ein und verdrängten die nicht-indogermanischen Sprachen bis auf Reste und Relikte“ (A. Greule, Spuren der Vorzeit: Die Flussnamen Sachsen-Anhalts und andere Namengeschichten, in: Namen des Frühmittelalters als sprachliche Zeugnisse und als Geschichtsquellen, Berlin – New York 2009, S. 153).

Termine und Vorträge

Am Freitag, dem 3. Mai 2024, um 18:00 Uhr ist Prof. Udolph in Kösnitz, Bad Sulza zu Gast und hält einen Vortrag zu Familiennamen.

Der Vortrag findet statt im Gemeindehaus Kösnitz.

Am Sonntag, dem 5.5.2024, referiert Prof. Udolph um 12 Uhr in Göttingen.

Namen sind Schall und Rauch – stimmt das?

Ort: noch unbekannt

Näheres demnächst hier:

https://www.uni-goettingen.de/de/613438.html

Radio-Sendungen

Antenne Brandenburg
Montag bis Samstag,
zwischen 10 und 11 Uhr

MDR 1 Radio Thüringen
Ihren Namen bitte! – Namenforscher Udolph erklärt ihn

Sendung jeweils von 11.00–12.00 Uhr.

  • Donnerstag, 2. Mai
  • Mittwoch, 8. Mai
  • Donnerstag, 16. Mai
  • Donnerstag, 23. Mai
  • Donnerstag, 30. Mai
  •  

MDR 1 Radio Sachsen
Namenkunde: Familiennamen und ihre Bedeutung
jeden Montag, 15.00–16.00 Uhr

SWR 1 Rheinland-Pfalz
Namenforscher | Was bedeutet mein Name?
Montag bis Freitag,
zwischen 9.00 Uhr und 12.00 Uhr

TV-Sendungen

RBB

Prof. Udolph ist am 2. Oktober 2023 in der Sendung schön + gut ab 18:30 Uhr zu sehen.

MDR

Professor Udolph ist am 23. Mai 2024 wieder im MDR Fernsehen bei MDR um Vier zu sehen.

Schritt 1 von 3

Geben Sie bitte Informationen für die wissenschaftliche Untersuchung an

Dr. Kristin Loga

  • 2003–2008 Studium der Germanistik, Afrikanistik und Onomastik an der Universität Leipzig
  • Abschlussarbeit: Die Ortsnamen des Landkreises Sangerhausen, Magisterarbeit, masch., Leipzig 2007.
  • 2012–2019 Dissertation über die Ortsnamen in den ehem. Landkreisen Quedlinburg und Sangerhausen, Sachsen-Anhalt
  • 12.11.2020 erfolgreiche Verteidigung der Dissertation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Veröffentlichungen (Auswahl):

  • „Über Namen gibt’s immer was zu sagen.“ Festschrift für Jürgen Udolph zum 80. Geburtstag, hg. zus. mit Joachim Andraschke, Bamberg und Schwanewede 2023. (zu bestellen direkt bei uns im Namenzentrum)
  • „Ortsnamen im Ostharz: Eine onomastische Untersuchung der Namen rezenter und wüst gefallener Siedlungen der ehemaligen Landkreise Sangerhausen und Quedlinburg“, Dissertation Halle 2020, kostenfrei zugänglich unter https://opendata.uni-halle.de/handle/1981185920/92661
  • Der Ortsname Questenberg. In: Das Questenfest. Forschung und Festkultur. Tagungsband der Tagung von 11.–13. Oktober 2019 in Questenberg und Roßla. Schriftenreihe des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz 2020, S. 156–164.
  • (Zus. mit Christian Zschieschang) Namenkunde in und über Sachsen-Anhalt: Stand, Neues und Fehlendes. In: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt 31 (2019), S. 231–246.
  • Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes. In: Mehrsprachige Sprachlandschaften? Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme. Akten der Kieler Tagung 16.–18. Oktober 2014. Hrsg. v. Kathrin Marterior und Norbert Nübler (Onomastica Lipsiensia. Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung 11). Leipzig 2016, S. 131–156.
  • Viertel- und Straßennamen der Stadt Bremen. In: Die Stadt und ihre Namen. 2. Teilband. Hg. v. Dieter Kremer und Dietlind Kremer (Onomastica Lipsiensia. Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung 9). Leipzig 2013, S. 195–214.
  • Kurzer Überblick über die Siedlungsnamen im Kreis Sangerhausen. In: Namenkundliche Informationen 98 (2010), S. 121–133

Äußere Familiennamengeschichte

Menschen (Textproduzenten, Textrezipienten, Familiennamenbenutzer) kommunizieren mittels Texten, die Familiennamen enthalten, über sich selbst und über andere Menschen. Will man eine über die Geschichte der Wortlaute der Familiennamen hinausgehende, die Semantik (Bedeutung) berücksichtigende Familiennamengeschichte betreiben, muss man sich der Geschichte der Personen, über die Informationen in den Gehirnen der Familiennamenbenutzer abgespeichert sind, widmen. Da sich die Bedeutungen der Familiennamen wie die der anderen Wörter in den Gehirnen der Familiennamenbenutzer befinden, ist die Familiennamensemantik generell zu rekonstruieren. Im Falle rezenter Familiennamengeschichte kommen als Gewährspersonen dienende Familiennamenbenutzer in Betracht, die bestenfalls annähernd genaue Angaben für die Rekonstruktion der Semantik zur betreffenden Zeit machen können. Zur Ermittlung relevanter Merkmale der Denotation (wer mit dem Namen gemeint ist) und der Konnotationen (über welche Eigenschaften derjenige verfügt) sind Fragen über die familiennamentlich benannte(n) Person(en) zu stellen, während hinsichtlich der Konnotationen darüber hinaus auch Auskünfte über den (die) Familiennamen eingeholt werden können. Stehen wie bei weiter zurückliegender Familiennamengeschichte keine Gewährspersonen zur Verfügung, dann müssen die Personengeschichte (Prosopographie) beziehungsweise die Familiengeschichte (Genealogie) herangezogen werden.

Um eine den jeweiligen vorliegenden Umständen angemessene Deutung der Familiennamen vornehmen zu können, sind die Personen beziehungsweise Familien in die relevante Orts- und Regionalgeschichte sowie in die größeren historischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Gegebenheiten einzuordnen. Diese enge, unverzichtbare Verbindung von Wortstudium beziehungsweise Wortgeschichte (innere Familiennamengeschichte) und Sachstudium beziehungsweise Sachgeschichte (äußere Familiennamengeschichte) liegt dem bewährten Forschungsprinzip „Wörter und Sachen“ zugrunde, welches sich aus der Bezeichnungsfunktion der Sprache ergibt. Auf Familiennamen angewandt, kann man vom Forschungsprinzip „Familiennamen und Familienmitglieder“ sprechen. Die Beschäftigung mit der äußeren Geschichte der Familiennamen, die auch die Untersuchung der Verbreitung der mit gleichlautenden Familiennamen benannten Personen zu unterschiedlichen Zeiten beinhaltet (historische Familiennamengeographie), sich also neben Personen- beziehungsweise Familiengeschichte auch auf diese Weise um das Auffinden der „Heimat“ der Familiennamen bemüht, die Familiennamen somit „in ihre Landschaft“ (Namenlandschaft, Mundart) hineinstellt, liefert die Hintergründe und Belege für die innere Geschichte der Familiennamen. Um eine möglichst übersichtliche Anordnung der Verbreitungsdaten zu bekommen, fertigen wir Karten an. Entsprechend den gerade interessierenden Aspekten der inneren Familiennamengeschichte sind hinreichend umfängliche und aussagekräftige Belege als Materialbasis zusammenzutragen und quellenkritisch aufzubereiten. Zur Belegsammlung, das heißt zur Ermittlung von Fundstellen der untersuchten Familiennamen in historischen Dokumenten, durchforsten wir Quelleneditionen in Bibliotheken. Oftmals reicht die Qualität der Editionen für unsere Zwecke nicht aus und außerdem sind die meisten familiennamenkundlich relevanten Quellen bisher nicht ediert, so dass wir regelmäßig ins Archiv gehen, um die Belege direkt aus den Dokumenten zu exzerpieren. Der Umgang mit historischen Quellen erfordert nicht nur Kenntnisse der Paläographie, sondern auch des Lateinischen, historischer Sprachstufen des Deutschen und anderer Sprachen. Man kann die Wichtigkeit der Belege für die Familiennamenkunde kaum übertreiben, insbesondere dann nicht, wenn man die Nachvollziehbarkeit jeglicher Schlussfolgerungen als Kriterium von Wissenschaftlichkeit anerkennt. Wissenschaftliche Familiennamenkunde ist ohne Belege nicht möglich.

Gelegentlich werden von den Verfassern familiennamenkundlicher Publikationen, vor allem solcher von Familiennamenbüchern, diverse Gründe vorgebracht, warum keine Belege angeführt werden. Die gängigsten Gründe sind:

  • Der für die Belegapparate erforderliche Raum steht nicht im Verhältnis zu deren Nutzen
  • Familiennamenkunde ist keine Personen- oder Familiengeschichte

Verfasser, die Derartiges behaupten, dürften meistens wohl eher verbergen wollen oder sogar eingestehen, dass sie keine äußere Familiennamengeschichte betrieben beziehungsweise keine die Ergebnisse äußerer Familiennamengeschichte präsentierenden Vorarbeiten herangezogen haben.